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Die Ahnen

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»Jawohl«, antwortete der Senior ohne Behagen; »er hat früher einmal meine Frau behandelt, aber als später meine Tochter erkrankte, hatte sie eine Abneigung, ihn zu Rate zu ziehen, und seit Jahren besucht uns der Arzt aus einer anderen Stadt.«

»Ihre Demoiselle Tochter hatte die richtige Empfindung, als sie sich weigerte, dem erwähnten Manne ihr Vertrauen zu schenken.« Henriette stand unbeweglich und sah dem Franzosen voll ins Gesicht. »Meine Reise geht auch ihn an«, fuhr dieser geschwätzig fort. »Er ist ein gefährliches Subjekt.«

»Das tut mir leid«, sagte der ehrliche Senior; »ich wünsche nur, daß er sich als unschuldig ausweise.«

Der Franzose lächelte. »Es wird gut für ihn sein, wenn er das vermag.«

»Sie sollen ihn doch nicht bei unserer Regierung belangen?« fragte der Senior.

Der Franzose lächelte wieder. »Der Kaiser liebt ein kurzes Verfahren und wartet in solchen Fällen nicht darauf, was den Regierungen belieben wird.« Er brach ab und fragte nach der Entfernung bis zur nächsten Festung. Denn diese war im Besitz der Franzosen geblieben, auch nachdem ihre Truppen die übrige Provinz geräumt hatten.

Henriette trat jetzt an den Tisch und sagte langsam, wie jemand, der auswendig Gelerntes hersagt: »Ich hoffe, der Herr wird uns die Ehre erweisen, heut in unserem Hause vorlieb zu nehmen; ein Abendessen und eine Nachtruhe wird Ihnen nach der langen Reise gut tun.«

»Ich handle gegen meine Order,« versetzte der höfliche Franzose, »aber ich vermag einer Einladung aus Ihrem Munde nicht ganz zu widerstehen. Sie werden mir erlauben, heut zur Nacht nach der nächsten Station aufzubrechen, wo mich ein Kommando aus unserer Garnison erwartet, denn mein Auftrag hat Eile.«

»Dann machen wir sogleich zurecht, was Sie bedürfen.«

»Eine stolze Schönheit,« sagte der Franzose, ihr nachsehend, mit dreister Artigkeit, »Major Dessalle hat Geschmack, und ich finde, er ist zu beneiden.«

Henriette ging in die Küche, befahl ruhig den Mädchen und half selbst. Auch während des Abendessens ging sie ab und zu und trug selbst den Wein auf. »Es ist französischer Wein, mein Herr«, sagte sie mit kaltem Lächeln. »Wir wissen Ihnen nichts Besseres anzubieten.« Sie setzte sich einen Augenblick mit zu Tisch, doch aß sie nicht und antwortete auf die Einladung des Fremden, daß heut für sie Fasttag sei. Nach dem Essen verneigte sie sich vor dem Gaste, sagte Vater und Mutter gute Nacht und setzte gleichgültig hinzu: »Das Bärbel hat heut hergeschickt; ich will morgen mit dem Frühesten nach ihr sehen; sie erwartet ihre Stunde.«

»Weshalb will Mademoiselle uns verlassen?« fragte der Franzose mit aufsteigendem Argwohn.

»Entbindung einer Freundin«, erklärte der Senior. »Ah so«, sagte der Fremde, zufrieden, daß ihn die zarte Angelegenheit nichts anging.

Henriette rief die alte Magd Susanne in ihre Stube. »Du bist treu und klug, heut sollst du mir das beweisen. Wenn von jetzt ab nach mir gefragt wird, so sage, ich sei zum Bärbel gegangen.« Sie verhüllte ihr Haupt und schlug ein dunkles Tuch um die Schultern. »Schließe hinter mir die Gartentür!«

»Sie wollen doch nicht hinaus?« fragte die Magd entsetzt, »zur Nacht und in dieser unsicheren Zeit.«

»Dies ist die Zeit, bei Nacht zu gehen«, antwortete Henriette, das Tuch zusammensteckend. »Wo ist der Knecht?« – »Im Stall mit dem Postillion des fremden Herrn.«

»Er darf von nichts wissen – und wo ist Christian mit dem Hunde?«

»Er sitzt noch im Hirtenhause, wird aber bald zur Nachtwache kommen.«

»Schnell, damit der Hund nicht anschlägt, wenn er meinen Tritt hört. Bete für mich, Susanne, und schweige.« Sie eilte durch den Garten bei dem alten Brunnen vorüber auf die Landstraße. Dort ging sie mit ruhigem Schritt vorwärts. »Ich muß die Kraft sparen,« sagte sie zu sich selbst, »der Weg ist weit, aber ich habe die ganze Nacht vor mir.« Sie spähte mit scharfem Blick auf die Straße und in die Landschaft. Durch das gebrochene Gewölk schien bald heller, bald schwächer ein graues Dämmerlicht, es warf viele seltsame Schatten ihrer Gestalt auf den Weg, hierhin und dorthin, rings um sie im Kreise. Zuweilen blieb sie neben einem Baumstamm stehen und lauschte; alles war still, nur die Frösche schrien lustig im Sumpfe, die Grillen zirpten, und in dem nahen Dorfe bellten die Hunde. In der Niederung zur Seite lag weißer Dampf am Boden, wie eine Wasserfläche breitete er sich über Gräser und Blüten des Grundes. »Dort ist der Richtweg, der mich schneller fördert, und ich vermeide den Wagen des Feindes.« Sie verließ die Straße, betrat das große Ried, welches sich in ihrer Richtung weit hinzog, und achtete sorglich auf die kleinen Erdhaufen, die Zeichen des Weges. Der Nebel deckte ihr die Füße bis an die Knie, und der Landmann in dem nahen Weiler, welcher die hohe Gestalt lautlos an sich vorüberschweben sah, nahm erschrocken den Hut vor die Augen und sprach einen frommen Spruch hinein, damit ihn der Geist nicht schädige.

»Jetzt denkt er meiner,« sagte sie vor sich hin, »denn mir will das Herz zerspringen vor Sorge und Gram um ihn. Immer hat mich getröstet, wenn mein Jammer unerträglich wurde und die Sehnsucht nach Rettung übergroß, daß auch ihm in derselben Stunde das Herz schwer sein müßte bei dem Gedanken an mich. Zu dieser Zeit kommt er wohl heim von einem Kranken, vielleicht auch aus lustiger Gesellschaft, und wenn er in seine Stube tritt, sieht er, wie das Sternenlicht ein bleiches Fenster auf der Diele malt, dann fällt ihm jener Abend ein, an dem er den Brief des Vaters erhielt, und noch ein anderer Abend, wo er neben mir saß auf der Bank. Zwischen uns war nur ein heller Strahl Mondenschein, und der Strahl schien über meine Hand, da legte er seine Hand auf die meine, und der Strahl war wieder da, er konnte ihn nicht zudecken, wie er als Knabe immer gewollt. Er weiß nicht, wie oft ich in meiner Kammer die Hand auf das Fensterbrett gelegt habe, damit der liebe Mond sein Licht ebenso darauf werfe wie damals. Seitdem haben wir schwere Jahre verlebt, und von dem Fluch, der auf mir liegt, vermag auch er mich nicht zu lösen.«

So schritt sie vorwärts, eine Meile und die andere. Das letzte bleiche Abendrot rückte am Himmel langsam gen Norden, und die Jungfrau wandte zuweilen den Blick rückwärts und suchte den Schein. »Im Sommer mahnst du, freundliches Licht, wie geheime Hoffnung daran, daß die Sonne in der Nähe bleibt und in kurzem wieder heraufsteigen wird über die grünende Erde; wenn aber im Winter von jener Stelle die rote Lohe aufsteigt und den Himmel mit Flammen und zuckendem Glanze anfüllt, dann entsetzen sich die Dorfleute und wahrsagen Böses. Ach, das schwerste Unheil kommt plötzlich über den Ahnungslosen, mitten in Friede und Freude bricht es hinein. Als ich heut am Dornenstrauch stand und das Zwitschern der kleinen Vögel hörte, war mir freudig zumut, und ich dachte an nichts, als an den heimlichen Gesang, der von ihnen zu mir klingt. Die Kleinen ahnen es auch nicht, wenn das Raubtier gegen sie heranschleicht.« Und ihr Schritt wurde schneller.

Zur Seite lag der Hof, in welchem ihre Gespielin wohnte; vielleicht wachte sie jetzt im Bett, über die Wiege des Kindes gebeugt. Und die Wanderin dachte daran, ob sie an das Tor pochen sollte, um den Beistand ihrer Vertrauten wachzurufen, aber sie schüttelte das Haupt und schritt schnell vorüber. In dem Marktflecken schlug die Uhr Mitternacht, und in weiter Entfernung hallte aus den Dörfern derselbe Schlag; die ängstliche Stunde der Nacht begann. Daheim, als sie noch Kind war, hatte auch ihr in dieser Stunde vor dem Friedhofe gegraut, aber später war sie oft bei Nacht über die Stätte gegangen und hatte der Furcht sich entwöhnt. Vor sich sah sie die Umrisse des Gehölzes, durch welches der Weg führte, und besorgt spähte sie in die dunkle Masse des Laubwerkes, das sich wie aus schwarzem Stein gehauen vor ihr hinzog. Dort unter dem ersten Busch, der am Wege stand, entdeckte sie in der fahlen Dämmerung undeutlich eine menschliche Gestalt. Ein Mann lag am Boden. Da durchfuhr sie heiße, bebende Angst; der Gedanke an jenen schrecklichen Tag im Pfarrhause, alles Entsetzen, das sie seitdem in der Erinnerung empfunden, wurden in ihr übermächtig, sie flog dahin wie ein gescheuchtes Wild. Ein Tier des Waldes sprang neben ihr auf, und neues Entsetzen schüttelte ihr die Glieder; lange lief sie, Atem und Kraft begannen zu versagen. Erst als sie wieder ins Freie gekommen war, blickte sie zurück und erkannte, daß niemand folgte. Sie lehnte sich an einen Baum des Weges, bis der Herzschlag, der ihr die Brust zu zersprengen drohte, beruhigt war, und wieder dachte sie, wie der geliebte Mann jetzt ahnungslos im Schlummer lag, während das Verderben unsichtbar auf schnellen Rossen gegen ihn heranzog. Sie sah ihn unter den Feinden stehen, hochaufgerichtet, das Antlitz bleich und zusammengezogen, wie es damals war, als sie ihm von der Treppe nachgeblickt hatte, sie sah die Gewehre der Feinde gegen ihn im Anschlage und hörte die Salve, mit welcher der böse Feind einen Deutschen, der ihm verhaßt war, vom Leben schied. Da zuckte sie zusammen und wankte wieder vorwärts, mutlos und halb gebrochen. Dort bei der großen Linde stand ein steinernes Kreuz aus alter Zeit. Sie lehnte sich an den Stein, schlug die Hände zusammen, neigte das Haupt und bat für seine Rettung, bis die finstere Einbildung verschwand.

Mit neuem Mute ging sie weiter. Es war jetzt hohe Nacht, auch die leisen Töne der Natur waren verstummt, rings um sie feierliches Schweigen.

Als er noch klein war, dachte sie, hat ihm sein Vater die Händchen im Bett zusammengelegt und die holde Kindergestalt mit Freuden betrachtet, wie sie im Schlummer gleich einem Engel dalag, die bräunlichen Haare kräuselten sich schon damals zu Locken, rosig waren die Bäckchen, die Beinchen hatte er heraufgezogen, wie die Art der schlafenden Kinder ist, und die kleinen Finger halb geschlossen. »Lieber, süßer Knabe, jetzt bist du recht groß geworden, aber wenn ein heiterer Schein über dein Antlitz zieht, dann blicken die Augen so voll und unschuldig wie die eines Kindes in die Welt.«

 

Sie kam durch ein Dorf; in einer Seitengasse sang der Wächter und blies herzhaft in sein Horn. Hier war es friedlich und sicher, und sie setzte sich auf eine Bank, die vor der Schenke stand. Der Morgen war nahe und das Schwerste vorüber; sie hörte den Hufschlag der Pferde im Stall und das Schnauben, mit welchem sie ihr Futter erwarteten. Wohin würde er flüchten, wenn ihre Warnung kam? Sie wußte es wohl: in die Berge der Grafschaft, wo jetzt sein vornehmer Freund weilte. Und sie nickte zufrieden mit dem Haupt. Der würde wohl Rat wissen; und wenn das Volk aufstand und der Kampf losbrach gegen den hinterlistigen Kaiser, dann zog der Geliebte an der Seite des Grafen hinaus, ach, hinaus in neue Gefahr. Wieder sah sie auf zum Sternenhimmel. »Frisch, Mädchen! Bald krähen die Hähne«, ermunterte sie sich selbst.

Das erste fahle Licht des Morgens hob sich, und immer noch schritt die verhüllte Gestalt den Weg dahin, der Tau hing sich in Haar und Tuch, die Tropfen rannen ihr von der Stirn herab; war es das Wasser der Luft oder der Angstschweiß der Ermüdeten? Das rosige Frühlicht breitete sich über den Himmel, und die Lerche sang in der Höhe; aber schreckhaft klang ihr das Getriller des Vogels. Was geschlafen hatte, erwachte, auch die Gefahr fuhr mit Windeseile heran, so langsam war ihr Schritt, und endlos dehnte sich die Straße. Die Spitzen der hohen Pappeln färbten sich mit bräunlichem Gold, und auf dem Rasen am Wege konnte man deutlich die grauen Tauperlen erkennen.

Wie würde er erschrecken, wenn er sie sah! Sie schüttelte das Haupt. »Er weiß wohl, daß ich nicht geringer Dinge wegen zu ihm komme; wenn ich eintrete, ahnt er auch, was ich bringe; er ist ein mutiger Mann und sorgt beizeiten für alle Fälle; sein kleiner Mantelsack ist immer gepackt, wie er mir einst geschrieben, damit er sich nicht verweile, wenn er zu einem Schwerkranken über Land gerufen wird. Er rafft schnell seine Papiere zusammen, die geheimen Briefe, in denen von der Rüstung die Rede ist; dann schlägt er den Mantel um, nimmt den Reisesack und geht mit mir aus seiner Wohnung, ohne jemanden zu sagen, wohin. Ich aber weiche nicht von seiner Seite, bis er im Wagen zu einem Tore hinausfährt, welches von den Feinden abliegt. O Vater des Himmels, laß mich diesen Augenblick erleben!«

Sie sah die Strohdächer der Vorstadt im Morgenlicht gerötet und hörte in den Höfen das Gebrumm der Rinder. Kein lebendes Wesen war ihr begegnet, als wollten Nacht und Morgen liebevoll das Geheimnis der Wanderin bewahren. Sie kam an das Stadttor, noch war es verschlossen, und sie lehnte sich einen Augenblick an die Mauer, bevor sie mit dem schweren Klopfer pochte. Schlaftrunken rief der Wächter: »Wer da?« – »Eine Kranke, welche Arzenei begehrt«, die Torflügel drehten sich schwerfällig in ihren Angeln, und sie fragte nach der Wohnung des Arztes. Auch in der Stadt war es still, kein Mensch auf den Straßen, Türen und Fensterläden geschlossen und vom rötlichen Lichte gefärbt. Sie schritt hastig auf den Markt, suchte das Schild des Doktors und faßte nach dem Klingelzug; da wollte ihr die Kraft versagen, betäubt setzte sie sich auf die Schwelle und verhüllte ihr Angesicht im Tuche.

Aber als in der Ferne ein Wagen rasselte, sprang sie auf und riß an der Klingel. Der Doktor war bereits bei der Arbeit und zu sprechen. Sie trat schnell ein und schloß hinter sich die Stubentür. »Retten Sie sich,« rief sie, »die Franzosen sind auf dem Wege, Sie aufzuheben.« Der Doktor sprang auf und erkannte die verhüllte Gestalt; er eilte auf die Wankende zu und umfaßte sie mit seinen Armen. Sie lag an seiner Brust und weinte, aufgelöst in bangem Schmerz, wie ein Kind am Herzen der Mutter.

9. Banges Harren

Am späten Abend fuhr der Wagen des Flüchtigen in den Hof des Grafen. Überrascht erhob sich dieser von seinem Arbeitstisch, als der Doktor eintrat. »Das Neue, was Sie bringen, ist nichts Gutes,« rief er bei der warmen Begrüßung, »ich sehe es Ihnen an.«

»Ich komme leider in persönlichen Angelegenheiten. Napoleon hat Befehl erteilt, mich durch die französische Besatzung von Glogau aufheben zu lassen. Die Warnung ging mir von einer Seite zu, welche keinen Zweifel an dem Plane übrig ließ. Ich eile vor allem zu Ihnen, denn es ist möglich, daß nicht gegen mich allein so unerhörte Gewalttat beabsichtigt wird.«

»Auch ich lebe hier von Spähern umgeben, aber ich bin ein erfahrener Verschwörer und nahe an der Grenze. Haben Sie etwas zurücklassen müssen, was Sie nicht in fremder Hand sehen möchten?«

»Hier ist meine Korrespondenz,« antwortete der Doktor, »ich will sie am liebsten bei Ihnen niederlegen.«

»Vortrefflich!« sagte der Graf. »Ist es leicht, Ihrem Wege hierher nachzuspüren?«

»Ich habe den Wagen mehreremal gewechselt.«

»Sie haben also jedenfalls Zeit, bis morgen bei mir auszuruhen. Der Sturm erhebt sich auch von unserer Seite gegen den Kaiser, wir stehen am Kriege. Die Gewalttat, welche er gegen Sie versucht hat, ist ein so auffälliger Angriff gegen die Ehre und Selbständigkeit einer Regierung, daß er dergleichen nicht oft wiederholen kann, ohne starkes Geschrei auch bei anderen Nationen gegen sich aufzuregen. Und da ihm hier die Sache mißlungen ist, so bin ich überzeugt, daß er gegen Sie den tückischen Sprung nicht zum zweiten Male macht; man sagt, daß die Bestien vom Katzengeschlecht beschämt davongehen, wenn ihnen der Ansprung auf die gehoffte Beute mißglückt. Erklären wir ihm, was ich immer noch hoffe, in letzter Stunde den Krieg, so hat er um anderes zu sorgen, und bewahren wir in unserer Schwäche den Frieden, so fällt für ihn der Grund weg, eine solche Razzia gegen einen einzelnen Fremden zu befehlen. Dennoch sollen Sie sich vorsehen. Unterdes werde ich persönlich dem schlechten Manne dafür zu Dank verpflichtet, daß er Sie in meine Arme geführt hat.«

»Mir ist doch nicht verständlich,« sagte der Doktor nach Besprechung ihrer gemeinsamen Tätigkeit, »wie gerade ich, ein einfacher Privatmann am kleineren Ort, in bescheidenen Verhältnissen, zu der Ehre komme, von den Franzosen in so auffälliger Weise heimgesucht zu werden.«

»Weil Sie zufällig am leichtesten erreichbar waren,« versetzte der Graf, »Sie dürfen annehmen, daß der Kaiser im ganzen weiß, was wir treiben. Er wollte an einem von uns, gleichviel an wem, ein Exempel statuieren, um unserer Regierung seinen Argwohn und seine Verachtung zu zeigen, und um die Schwachen unter uns zu schrecken. Freilich weiß er auch, daß er gegen die Bewegung in den Gemütern nichts ausrichten kann. Er kannte die Stimmung schon, als er uns im Frieden eine halbe Selbständigkeit bewilligte; seitdem hat, was in Spanien geschieht, seine Sorge vor einer Volkserhebung unter uns so gesteigert, daß diese Sorge ihn wie ein Gespenst verfolgt.«

»Kannte er uns, so war er ein Tor, daß er unseren Staat nicht vernichtete«, rief der Doktor.

»Wie gern hätte er es getan! Aber die Vernichtung Preußens hätte die Habgier der großen Nachbarn erregt. Für ihn allein war die Mahlzeit zu groß, und dem Bären und zweiköpfigen Adler einen Teil zu überlassen, verbot ihm die Klugheit, deshalb ertrug die Tigerkatze knurrend, daß das gepackte Wild halbtot den Krallen entkam. Jetzt vertraut er darauf, daß unserer Regierung die Kraft zu einem Entschluß fehlen wird, denn er, der Mann von stahlhartem und schnellem Willen, mißachtet gründlich unseren Herrn und hält die große Bedenklichkeit desselben für seinen besten Verbündeten. Er weiß wohl, daß er auf unserer Seite der Elbe nichts zu erwarten hat als Feindseligkeit. Im übrigen Deutschland ist das anders. Dort streichelt er mit Samtpfoten die Dichter von Weimar, weil er annimmt, daß sie großen Anhang unter den Gebildeten haben, denen solche Behandlung ihrer Größen wohltun wird. Die deutsche Poesie ist ihm so gleichgültig, wie Geschrei der Frösche im Sumpf, und während er den Herren dort Artiges über ihre Mannhaftigkeit sagt, ist ihm die Mannhaftigkeit eines Doktor König, welcher in seinem Kreise zweihundert Gewehre gegen ihn erheben kann, viel wichtiger als aller Verskram, für den er sich eine halbe Stunde vor den Audienzen vorbereitet hat. Da ihm die brutale Gewalt gegen Sie mißlungen ist, so wird er vielleicht auf etwas anderes sinnen, was uns wehe tut. Die Bestie in ihm ist älter geworden und die Geschmeidigkeit vermindert.« Und als die beiden spät in der Nacht sich trennten, sagte der Graf: »Ihr Zimmer ist bereit. Morgen lasse ich Sie über die Berge nach Böhmen fahren. Der Herzog von Braunschweig hat dort seine Rüstungen schneller beendigt als wir und ist bereits im Marsche gegen die Sachsen. Zu ihm sende ich Sie, ich habe übernommen, unsere Landsleute, die von den schlesischen Besitzungen des Herzogs kommen, an ihn abzugeben, und Sie werden dabei zu tun finden.«

Einige Tage nach der Flucht saß Henriette zwischen Bärbels Bett und der Wiege, aus welcher ein kleiner Kerl, das Abbild der Mutter, in die fremde Welt guckte. »Es war schon recht, daß du selbst gegangen bist, wenn‘s nur nicht bei Nacht gewesen wäre.«

»Wie durfte ich warten?« sagte Henriette.

»Ich hätte sehen mögen, wie sich der Doktor anstellte«, fragte neugierig die Freundin.

»Gut,« antwortete Henriette mit einem glücklichen Lächeln, »und gerade so, wie ich gedacht hatte. Er nahm seine Sachen in die Hand und ging mit mir auf die Gasse. Dort waren erst wenige Menschen; wir kamen zu einem Bekannten von ihm, einem Fleischermeister, als die Leute eben aufstanden. Die Frau war sehr freundlich gegen mich und weckte ein Fräulein, ein liebes Mädchen, das in demselben Hause wohnt; diese kam sogleich herunter, ihr empfahl mich der Doktor. Du hättest hören sollen, wie herzlich er das tat. Während der Fleischer ihm den Wagen bespannte, hatte er noch eine schnelle Unterredung mit seinem Vetter, dem jungen Arzte. Ich stand am Wagen, als er abfuhr, und er hielt meine Hand, als die Pferde schon anzogen. Der Meister begleitete ihn bis zum Stadtwald und kam mit gutem Bescheid zu uns zurück. Vom Walde aus fuhr er meilenweit auf Nebenwegen, wo kein Fremder seine Spur finden konnte. Unterdes holte der junge Herr für mich ein Fuhrwerk, das mich zur Liesel bringen sollte. Das Fräulein bestand darauf, mich bis dahin zu begleiten. Wir waren etwa eine Stunde gefahren, bis zu einer Wegscheide, da wies der Kutscher auf den anderen Weg: ›Dort kommen französische Soldaten.‹ Wir wandten uns um und sahen einen Kutschwagen mit einer Anzahl bewaffneter Reiter in schnellem Trabe der Kreisstadt zu fahren. Fräulein Minchen hielt meine Hand fest, doch keines von uns vermochte zu reden. Nicht lange, und ein einzelner Reiter sprengte bei uns vorüber, wendete das Pferd und sah in den Wagen. Ich hatte mir das Gesicht verhüllt und tat, als ob ich schliefe. Der Mann rief dem Kutscher zu: ›Woher und wohin?‹ und als dieser den Namen des Marktfleckens sagte, rief er: ›Gut!‹ und ritt zurück. Wir berechneten in großer Angst den Vorsprung, den der Doktor hatte; er war doch schon einige Meilen voraus. Heut erhielt ich durch Liesel einen Brief von ihm, daß er glücklich beim Grafen angekommen ist. – Als ich mit Krause zu dir kam, lag dein Kleiner bereits in der Wiege. Du wirst mich für eine untreue Freundin gehalten haben, Bärbel.«

»Ich wußte, es mußte ein großes Hindernis sein.«

»Und was mir lieb ist,« fuhr Henriette fort, »zu Hause haben sie nichts von dem nächtlichen Gange gemerkt, die Mutter wunderte sich nur, daß ich so sehr ermüdet aussah, und meinte, ich hätte mich um dich geängstigt. Liebes Bärbel, diesmal um einen andern.«

»Jetzt sind sie beide fort,« klagte Bärbel, »und niemand kann sagen, wenn einer von ihnen wieder sichtbar werden wird. Das ist ein schlechter Zustand für dich, du hast solches Schicksal nicht verdient.«

»Beklage mich nicht«, rief Henriette. »Wünsche mir Glück, daß es so gekommen ist, denn die Unsicherheit, in der ich lebte, ist jetzt zu Ende. Da ich allein durch Nacht und Nebel ging, schwand die Wolke von meiner Seele, die mir bisher den Trübsinn gemacht hat; ich weiß jetzt, was ich zu tun habe. Es wird mir schwer, dies allein zu vollbringen, ohne den Beistand des treuen Mannes, aber es muß geschehen, und wenn er glücklich heimkehrt, soll er erfahren, daß ich redlich gegen ihn gehandelt habe.«

»So ist es recht«, lobte Bärbel. »Aber wie willst du den andern fortschicken, er ist ja gar nicht vorhanden, und kein Mensch kann sagen, wo er verweilt. Das Land Spanien ist unermeßlich weit und alles voll von grausamem Kriege. Auch der Postbote wird ihn nicht auffinden.«

»Ist es auch schwer,« entgegnete Henriette, »ich suche mir einen Weg.«

Aber Bärbel fuhr fort, Unheil vorauszusagen: »Seinen Ring mußt du ihm zuschicken.« Henriette nickte. »Wie kannst du hoffen, daß dieser durch die wilden Länder zu ihm dringt? Sie werden unterwegs den Ring herausnehmen und den Brief zerreißen. Ich an deiner Stelle würde mich kurz entschließen und den Hiesigen heiraten. Wer weiß, ob der andere überhaupt kommt. Käme er, so müßte man ihm sagen: »Warum sind Sie so lange ausgeblieben? Jetzt ist es zu spät.«

 

»Auch er trägt meinen Ring am Finger.«

»Er hat ihn ja selbst genommen.«

»Und ihm hat niemand widersprochen«, antwortete die Jungfrau traurig.

Aber das Weib, welches danach rang, unerträgliche Fesseln zu lösen, die Männer, welche zum Kampf gegen den Feind rüsteten, alle Völker eines Weltteils, die sich gegen die Tyrannei einer verhaßten Nation empörten, sollten noch einmal vergebens hoffen, sich winden und an ihrer Kette zerren. Nur um so tiefer schnitten die Bande in ihr Leben, auch der Widerstand der Verzweiflung war vergeblich gewesen. Hütet euch, deutsche Herzen, daß der Mut nicht schwinde und die grünende Saat eurer Liebe nicht niedergetreten werde unter dem gepanzerten Tritt kalter, harter, tückischer Selbstsucht, die eine fremde Nation und ihr gottverfluchter Meister gegen euch verüben.

Der Doktor erreichte an der sächsischen Grenze das kleine Heer des Herzogs von Braunschweig; dort war er bei Aufnahme seiner Landsleute tätig, die von den schlesischen Besitzungen des Herzogs eintrafen. Er begleitete ihn bis nach Dresden und ritt beim Einzuge des Tapferen in die feindliche Residenz unter seinem Gefolge. Von dort kehrte er nach Böhmen zurück und weilte als vertrauter Agent seines Freundes in Prag, wo sich eine große Zahl patriotischer Preußen gesammelt hatte.

Da kam wie ein Wetterschlag die Botschaft, daß Österreich seinen Frieden mit Kaiser Napoleon geschlossen habe. Ein Brief des Grafen, welcher dies mitteilte, rief ihn wieder nach dem Gute desselben.

Der kranke Graf streckte ihm von seinem Bett die Hand entgegen. »Hier liege ich, mein Freund; Sie wissen, daß meine Krankheit getäuschte Erwartung heißt.« Mit geheimer Trauer erkannte der Arzt die Fortschritte, welche das Leiden des Kranken in den letzten Jahren gemacht hatte: »Ich verlasse Sie nicht, wenn Sie mich in Ihrer Nähe dulden wollen, bis Sie sich vom Lager erheben. Der Sorge um Gewehre und Patrontaschen sind wir ledig und Sie werden endlich Zeit gewinnen, an sich selbst zu denken. Wir hatten uns in der Jahrzahl verrechnet, nicht in unserer Hoffnung.«

»Es freut mich, daß Sie so mutig wiederkehren, nachdem Sie überall Vereitlung wackerer Pläne erlebt haben«, sagte der Graf traurig.

»Ich war besser daran als Sie«, versetzte der Doktor. »Sie wurden täglich gequält durch die Nachrichten über wechselnde Stimmungen an den Höfen und in den Kabinetten. Ich habe daheim und jetzt in der Fremde im Volke gelebt, da stellt sich unsere Lage anders dar. Das glimmende Feuer des Hasses vermag der Franzose nicht mehr auszutilgen; ein frischer Luftzug, und die Flamme lodert zum Himmel!«

»Und wenn der starke Luftzug in der rechten Stunde fehlt?« fragte der Graf.

»Es ist ein alter Bauernglaube, daß jeder Hausbrand sich zuletzt selbst einen Wind erregt, der ihm die Flamme schürt. So wird es auch bei dem Feuer sein, zu dem Sie die Scheite getragen haben. Wie fand der Kampf mit dem Fremden uns vor drei Jahren und wie jetzt? Damals ein friedliches Volk, hilflos gegenüber dem Widerwärtigen, auch in den Besseren Unsicherheit und Mangel an Entschluß. In drei Jahren hat der Kaiser uns gegen seinen Willen zu Männern gemacht, und wenn wieder drei Jahre über das Land gezogen sind, so bereiten wir ihm das Verderben.«

»Sagen Sie mir das alle Tage,« bat der Kranke, »denn dieser Glaube allein kann mir zur Genesung helfen. – Der König ist gegen mich gnädig gewesen,« fuhr er abbrechend fort, »er hat mich zum Chef des Husarenregiments ernannt, bei welchem Ihre liebsten Bekannten stehen. Helwig führt eine Schwadron; und Ihr getreuer Hans ist Stabstrompeter.«

»Dann werde auch ich in neuer Weise Ihr Untergebener,« sagte der Doktor, »denn ich habe mit dem Rittmeister besprochen, daß ich im nächsten Kriege bei seiner Schwadron als Freiwilliger eintrete.«

Der Kriegslärm war verstummt, der Friede, wie der Senior gewünscht hatte, dem Lande erhalten, da saß der würdige Herr am Schreibtisch und neben ihm die Tochter, und er schrieb zwei Briefe, die ihm beide schwer wurden. Den ersten an den französischen Major. Darin versicherte er in warmen Worten lebenslänglichen Dank und bekannte darauf, daß die Rücksicht auf das Glück seiner Tochter ihn nötige, jene schnelle Verlobung rückgängig zu machen, er sende den aufgesteckten Ring zurück und bitte um Wiedergabe des Reifes, den sein Kind am Finger getragen. In den Brief schloß er den Ring des Fremden ein. Den zweiten Brief aber schrieb er auf Henriettens Wunsch an Graf Götzen, erzählte darin kurz, was dieser bereits wußte, und bat inständig, da ihm der Weg in das Feldlager der Franzosen unbekannt sei, daß der Graf bei der französischen Gesandtschaft Beförderung des inliegenden Schreibens an den Major befürworten möge.

Als kurze Zeit darauf eine freundliche Antwort des Grafen einlief mit der Anzeige, daß er das Seine getan und den Brief so sicher als möglich befördert habe, fiel Henriette dem Vater um den Hals, und zum erstenmal seit mehreren Jahren setzte sie sich an das Klavier und sang die Lieblingslieder des Hauses. In der nächsten Woche aber erbat sie Erlaubnis, das Liesel zu besuchen. Denn der Doktor war wieder in der Heimat und hatte für diesen Tag bei Krause seinen Besuch angekündigt.

Draußen fuhr der Tauwind um die laublosen Bäume und raufte das Stroh am Scheunendach, auch in dem Gemüt der Menschen bargen schwarze Wolken den fröhlichen Sonnenschein. Aber als Henriette dem Freunde gegenüberstand, brach ihr die helle Freude in Tränen aus den Augen. Jetzt erst gehörte er ihr, und sie hatte ihn vor dem Verderben errettet.

Der Hauswirt wies seinen Gästen vergnügt einen Quell, den er in seinen Hof geleitet hatte; das Wasser, welches bis dahin heimlich in der Erde geflossen war, rann lustig in den neuen Steinbehälter, um fortan im Sonnenlicht zu fließen, solange tätige Menschen im Hofe lebten. Die Liebenden standen am Brunnen und zwischen ihnen plätscherte leise das Wasser, da erzählte Henriette von dem Briefe, den sie durch den Vater an den Franzosen gerichtet, und daß sie den Ring von sich abgetan; und ihre Gestalt hob sich in stolzer Freude, als sie die Seligkeit in seinem Antlitz sah.

»Ich hatte, während ich als Bote zu Ihnen ging, mir überlegt, daß ich dies tun müßte. Jetzt habe ich dadurch den inneren Frieden wiedergefunden, den ich lange entbehrt.«

»Geliebtes Mädchen!« rief der Mann.

»Still, mein Freund«, sagte sie feierlich. »Was Sie mir einst geschrieben von Schweigen und Entsagung, das gilt noch immer für uns beide.« Sie hielt ihren Finger, an dem einst ihr Ring gesteckt, in den Quell. »Kein Wasser wäscht von dem Finger, daß der andere ihn für sich genommen, und nicht mein Wille allein vermag mich zu befreien.«

»Ich werde Ihr Gefühl ehren, wenn es mir noch so schwer wird; aber ist denn nötig, daß ich noch immer Ihrem Hause fernbleibe? Diese Entbehrung ist allzu groß.«

»Sie ist nötig,« sagte Henriette bittend, »und nicht nur um der Leute willen« – sie hob ihre Hand – »wenn der ersehnte Tag kommt, wo ich wieder habe, was mir genommen ward, dann, mein Freund, fegt Susanne das Haus und ich trage Blumen hinein, Sie zu empfangen.«

Armes Mädchen! Das war keine Zeit, Gutes zu hoffen.

Es ist wieder einmal Sommer, der Tambour der Bürgerschützen trommelt durch die Straßen und ladet zum Feste, aber die Stadt ist diesmal nicht bereitwillig, sich zu freuen. Es ist vieles nicht in der Ordnung. Die ganze Stadt sieht heruntergekommen aus, die Hauswände sind lange nicht neu getüncht, neue Häuser sind gar nicht gebaut und die schlechten Giebel der alten kaum notdürftig gebessert. Die Menschen gehen ernst und mißvergnügt einher und die Zahl der fadenscheinigen Röcke, welche der Steuereinnehmer genau kennt, ist größer geworden. Die Schützen ziehen aus mit ihrer Musik, und der Zieler trägt die Scheibe; diesmal ist nichts darauf als ein Hirsch, an welchem die grimmigen Hunde heraufspringen. Das edle Tier hat den tödlichen Schuß empfangen, sinkt auf die Knie und das Blut strömt aus der Wunde. Es war die alte Geschichte, aber der Künstler wußte nichts Besseres und hatte sie neu gemalt. Der Bürgerschützen sind weniger geworden, denn manchem kommt das ganze Vergnügen zu teuer. Und wo ist die Freikompanie geblieben? Nur einzelne davon treten in den Stand und schießen mit, weil sie sich einmal dazu verpflichtet haben. Unser Freund, der Doktor, hält sein Gewehr, wie vor Jahren, aber er hat nicht nötig, sich leise mit den Bekannten zu bereden. Auch die Gesellschaft, welche unter den Linden Kaffee trinkt, scheint nach allem nicht so glänzend wie früher, viele Honoratioren fehlen, und Minchen Buskow fehlt, sie ist zum Besuch auf das Land gegangen, da ihre Schule Ferien hat. Sogar die Zahl der Buden ist vermindert, aus zweien ist eine geworden, denn nur die Frau mit dem Pfefferkuchen hat ausgelegt, dem Glasmann lohnt sich‘s nicht mehr, die Leute wollen ihre Groschen im Würfelspiel nicht dranwagen. Die Kinder allein schwärmen in heller Freude umher wie immer, und zu den früheren sind, gottlob, einige neue gekommen, kleine Wutzel, welche neben ihren Müttern auf dem Grunde kauern und mit Kienäpfeln spielen. Dort erscheint endlich unser Einnehmer, der schlaue Herr, er zieht eine Tüte aus der Tasche und spricht strafend zum Kaffeewirt: »Ich fordere besonderen Aufguß für diese gebrannten Möhren, denn die Mischung von Zichorie und Eichel, die Sie in die Töpfe schütten, ist für meinen Magen unerträglich; der ganze Platz riecht danach, ich wollte, Bonaparte würde zur Strafe für seine Sünden täglich einige Stunden mit Zichorie geräuchert.«