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Die Ahnen

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Der Doktor fuhr aus seinen Träumen auf. Vor der sinkenden Sonne erhob sich eine Wolkenbank, über ihm aber wölbte sich blau und lichtvoll der Abendhimmel, und ein großer Raubvogel, gefolgt von einer Schar Krähen, flog in der Höhe dahin. Und wieder schlug ein plötzlicher Windstoß an seine Wange, riß Blätter und Äste von den Bäumen und trieb sie im Kreise um Pferde und Wagen. »Es ist ein Wirbel,« sagte der Doktor, »er zieht vorüber.« »Das bedeutet was«, rief der Kutscher und peitschte aufs neue die erschreckten Pferde. Sie fuhren im scharfen Trabe durch niedriges Gehölz, das sich zu beiden Seiten des Weges breitete; da schrie eine wilde Stimme: »Halt!« Aus dem Gebüsch sprang in brauner, verschossener Jacke ein Mann, der die Krempe seines Filzhutes tief in die Stirn gedrückt hatte. Der Kutscher hob drohend die Peitsche. »Ist dies der Doktor aus der Kreisstadt?« rief der Fremde.

»Was wollt Ihr?« fragte der Doktor und faßte nach seiner Waffe.

»Kennen Sie mich noch, Herr?« Es war der Flüchtling, welcher einst dem Arzt den Verlust seiner Mütze geklagt hatte. »Eine große Schlacht ist gewesen im Sächsischen, die hiesigen Soldaten sind gelaufen wie eine Schafherde, den Offizieren ist es heimgezahlt; es liegen viele still auf der Erde.«

»Woher wollt Ihr das wissen?«

»Ich fuhr über die Grenze mit einem Marketender, jetzt bin ich zurückgeritten, Pferde ohne Reiter waren genug zu haben. Der Franzose zieht heran, und der Inspektor wird auf das Strohbund gelegt. Sie wollte ich fragen, wie es meinem Mädchen auf dem Schlosse geht.« – »Ich habe sie vor wenig Tagen gesund gesehen.« – »Ich bitte, sagen Sie ihr, der Hans läßt sie grüßen, und sie soll mir treu bleiben. Jetzt wird bessere Zeit, und wenn der Franzose kommt, kann ich mich wieder im Lande sehen lassen.«

»Wie dürft Ihr bessere Zeit hoffen für Euch und Euer Mädchen? Wenn der Franzose bei uns einbricht, dann werden wir alle unglücklich. Versteht Ihr nicht, was feindliche Einquartierung heißt und Mißhandlung durch Fremde? Mit dem Kriege zieht Hunger und Krankheit ins Land, und ich sage Euch, nur ein schlechter Kerl freut sich über das Unglück seiner Heimat.«

»Den andern mag es meinetwegen gehen, wie es will, und Ihnen, Herr, wünsche ich nichts Böses, aber den Grafen und den Inspektor sollen die Franzosen streichen.«

»Doch Ihr seid ein Preuße.«

»Wenn die österreichischen Pascher mich einen Preußen gescholten haben, so habe ich sie geknufft, wie recht war,« versetzte der Mann finster, »aber unter den Franzosen kann man auch leben.«

»Denkt Ihr so, dann geht Eurer Wege, ich will nichts mehr mit Euch zu tun haben«, versetzte der Doktor unwillig.

»Ich wollte Ihnen noch wiederbringen, was Sie mir damals gegeben haben«, sagte der Bursch und legte Geld auf den ledernen Schurz des Wagens. Der Doktor beugte sich vor und schob das Geld weg, daß es auf den Weg fiel. »Fahr zu, Kutscher!« Die Pferde zogen an, und im Windgebraus ging‘s weiter. Nach einer Weile drehte sich der Kutscher um und rief in den Wagen: »Er steht noch am Wege, wo er stand.«

Als der Doktor spät durch das Stadttor fuhr, rannten die Leute in den Straßen hin und her, auf dem Markt sammelten sie sich in Haufen um weinende Soldatenfrauen. Die erste Botschaft von einer verlorenen Schlacht war gekommen, und die Menschen gaben sich in Schreck und Klage dem Eindruck hin, oder suchten sich mit trotzigen Worten dagegen zu wehren.

Wie empörte Meereswogen durch den gebrochenen Damm über das schutzlose Land dahinfluten, so folgten jetzt die Unglücksbotschaften mit reißender Schnelle aufeinander. Das Heer geschlagen und wieder geschlagen, zur Kapitulation gezwungen und gefangen, der König geflüchtet bis in den entferntesten Osten des Staates, die Residenz in der Hand des feindlichen Siegers. Schrecklicher noch wurde dies gehäufte Unglück, das die Zeitungen verkündeten und das jeder vernahm, durch zahllose Berichte von einzelnen, welche selbst einen Teil der Schrecken erlebt hatten. Bald kamen Soldaten der Garnison zurück, einzeln oder in kleinen Haufen, die sich der Gefangenschaft durch die Flucht entzogen hatten; sie kamen ohne Waffen, zerlumpt, verhungert, klagten das Greuliche, das sie erlebt, und fluchten über die Offiziere, welche sie geführt. Der Feind zog näher heran, auch die Provinz hatte seinen Einbruch zu erwarten, die Festungen allein vermochten ihn durch ihre Gegenwehr aufzuhalten. Seit einem Menschenalter hatten die Bürger der Stadt keinen Krieg gesehen, nur ältere Leute wußten aus ihrer Jugend von den Feldzügen Friedrichs II. zu erzählen. In gesetzlicher Ordnung hatten die Lebenden Gedeihen und Glück gefunden. Jetzt auf einmal sollten sie herrenlos und rechtlos dem Gelüst eines übermütigen Siegers preisgegeben sein. Da war kein Wunder, daß der Kleinmut in die Herzen drang und daß mancher an Flucht dachte.

Der Stadtdirektor kam aus der großen Stadt zurück, ging mit gesenktem Haupt umher und vertraute endlich kummervoll seinen Getreuen, daß der mächtige Minister, welcher an des Königs Statt die Provinz regierte, in Gegenwart vieler Räte mit gerungenen Händen geklagt hatte, alles sei verloren. Der Einnehmer machte eine Dienstreise nach der nächsten Festung. Nach der Rückkehr saß er bei seinem Glase stiller als sonst und antwortete auf die Fragen, was er vernommen habe, bärbeißig: »Nichts; nur einen Anschlag hoher Obrigkeit habe ich in der Festung gelesen. Wir alle sollen den feindlichen Truppen mit Bereitwilligkeit und Höflichkeit entgegenkommen und nach Kräften ihre Forderungen befriedigen. Ich hoffe, Männer und Frauen werden sich das gesagt sein lassen. Da wir sie in den nächsten Wochen erwarten dürfen, so mag jeder die Zeit benutzen, neue Gardinen aufzustecken und sein Silberzeug für die Franzosen zu putzen; denn, wie man hört, picken diese gleich den Dohlen nach allem, was glänzt.« Das ließen sich die Städter gesagt sein, und in den Häusern begann heimliches Pochen, Graben und Mauern.

»Sie sind bekümmert, Herr Hutzel«, begrüßte der Doktor im Vorübergehen einen wohlhabenden Hausbesitzer, der in dem Ruf stand, sich selbst alles Gute zu gönnen, anderen aber wenig. »Nehmen Sie sich in acht, wer so ängstlich aussieht wie Sie, dem trauen die Feinde zu, daß er viel zu verlieren hat.« Der Mann wurde noch bleicher, als er vorher war. »Ich ersuche Sie, sich nur einen Augenblick hereinzubemühen.« Er führte durch den Hof in den Garten und sah sich argwöhnisch um. »Ich habe zu Ihnen ein Vertrauen, wie sonst zu keinem Menschen,« sagte er; »ich bin jetzt der Verzweiflung nahe und bitte Sie flehentlich um einen Rat.« Der Arzt erwartete Mitteilungen über eine ernste Krankheit, aber Hutzel fragte: »Wohin soll ich verstecken?«

»Sie haben ja ein eigenes Haus, geschlossenen Hof und dazu diesen Garten.«

»Alles unsicher«, klagte der Mann. »Verschlagen und vermauern ist unmöglich, weil ich dazu einen Handwerker brauche. Ich ließ vermauern. Als ich den Arbeiter bezahlte, lachte er so auf eine gewisse Weise, und mir fiel auf das Herz, daß ich ganz in seiner Gewalt war, denn wer steht mir dafür, daß er nicht schwatzt, oder gar dem Feinde sagt: Halbpart, und ich verrate euch was. Ich brach also mit diesen meinen Händen die Steine wieder auseinander und hob die Kiste heraus. Jetzt wollte ich im Hofe das Pflaster aufreißen und ein Loch machen; auch das war nicht zu bewirken, ohne daß der Knecht oder die Magd etwas davon merkten, und ich war wieder in der Macht dieser Leute. Ich ging bei Nacht mit Grabscheit und Laterne in den Garten und vergrub die Kiste. Auf einmal höre ich von der andern Seite des Zauns die Stimme meines Nachbars, des Tischlers, der mir ohnedies aufsätzig ist: ›Sie sind es, Herr Hutzel? Meine Frau sah das Licht und dachte, es wären Spitzbuben.‹ Und ich war wieder in fremden Händen und mußte wieder forttragen.«

»So vergraben Sie in dem Stadtwald.«

»So weit aus meinen Augen?« wehklagte der Mann.

»Dann also lassen Sie es darauf ankommen und verstecken Sie gar nicht.«

Aber die kopflose Sorge wich in dem Volke bald männlicheren Gedanken; einige der Edelleute, welche in der Friedenszeit mit alten Rechten und ererbtem Ansehen stolz über dem Volke gestanden hatten, bewährten sich jetzt als beherzte Männer, welche wohl wußten, daß ihnen ihre Vorrechte große Pflichten auferlegten. War auch das alte Heer geschlagen, sie waren bereit, ein neues zu rüsten, mehrere tausend Förster und Jäger in der Provinz trugen die Büchse, groß war die Zahl der heimgekehrten Soldaten, und nach Hunderttausenden zählten die Männer, die den Gutsbesitzern untertänig dienten; in Herrenhöfen und Bauerndörfern stand ein guter Schlag Pferde. In wenig Wochen vermochten sie ein neues Heer aufzustellen. So dachten die Besten vom Adel, aber auch in den Städten und auf dem Lande arbeitete derselbe Gedanke.

Der Doktor kam bei dem Hause des Fleischers vorüber, wo der Hauptmann gewohnt hatte, er sah die Schwester des Offiziers vor der Tür sitzen, die Hände im Schoß gefaltet und das Haupt geneigt; ein Bild demütiger Trauer. Er grüßte und wollte vorübergehen, da er dem kleinen Fräulein wenig bekannt war; sie aber stand auf und sagte, zu ihm tretend, mit tränenden Augen: »Auch mein Bruder ist verwundet und gefangen«; und als der Doktor ehrliche Teilnahme aussprach, trocknete sie die Tränen: »Es ist nicht der Bruder allein, was mich weinen macht. Wäre ich ein Mann, so würde ich nicht weichmütig hier sitzen, sondern mir ein Gewehr schaffen.« Der Fleischer, ein hünenhafter Mann, trat hemdärmelig in die Tür. »Meiner ist auch wieder da« – er meinte seinen Soldaten —, »er hat dem Fräulein die schlimme Nachricht gebracht; jetzt sitzt der arme Kerl in seiner Kammer und fragt mich, was aus ihm werden soll. Er schämt sich, in seiner Montur auszugehen, und die Obrigkeit weiß nichts mit ihm anzufangen.« Der Meister schlug die Arme übereinander. »Ich habe mir‘s überlegt, Herr Doktor, wie man mit diesem Napoleon fertig werden kann.« Der Doktor blickte ihn fragend an. »Man muß ihn hinausschmeißen«, sagte der Fleischer entschlossen.

 

»Das ist es ja eben, was unsere Soldaten nicht vermochten.«

»Die hatten zu schlechte Kost; da konnte nichts Gutes herauskommen, ich hab‘s immer gesagt. Wir selbst müssen es tun. Es sind mehr als dreihundert handfeste Männer von guter Kraft in der Stadt, wir haben es ausgezählt. Mein Sohn geht auf der Stelle mit, im Notfalle fasse ich auch den Kuhfuß.«

»Wo aber sollen die Anführer herkommen?«

»Daran liegt‘s«, sagte der Fleischer bedenklich. »Wissen Sie, zu wem ich Vertrauen hätte? Das ist unser Herr Einnehmer, Sie gehen als Doktor mit; ich denke, wenn‘s zum Einhauen käme, würden Sie auch nicht hinten bleiben.« Als der Doktor dem Freunde von dem guten Zutrauen des Zunftmeisters berichtete, antwortete dieser ernsthaft: »Ich habe mein lebelang nur einmal ein Gewehr abgefeuert, und ich fürchte, ich habe einer Ente den Kopf zerschossen, weil sie gar zu nahe vor mir saß. Dennoch bin ich dem Fleischer für die Meinung dankbar; denn in solcher Zeit erkennt man, daß man von den andern für einen ehrlichen Mann gehalten wird. Dieser Sturmwind fegt bei uns viel Spreu von der Tenne.«

Und die Feinde kamen.

Es war ein finsterer Dezembertag, als der erste feindliche Reiter, die Pistole in der Hand, durch das Stadttor ritt, hinter ihm ein Offizier und vier Mann. In deutscher Sprache fragte der Offizier am Tore die Bürger, die aus den Häusern gelaufen waren, und als er erfuhr, daß keine Soldaten in der Stadt standen, sprengte er auf den Ring und stieg vor dem Gasthofe ab, ein junger, blühender Mann mit gebräuntem Antlitz. In der Torfahrt verhörte er wieder den Wirt, der ihm zögernd Bescheid gab, und nachdem er sich versichert hatte, daß in der Nähe nichts von den preußischen Truppen gesehen worden war, quartierte er sich gemütlich ein und forderte ein Frühstück und den Arzt. Dem eintretenden Doktor stellte er sich vor: »Kapitän Dessalle. Es ist nur ein Ritz in das Fleisch, für den ich Ihre Hilfe erbitte«, sagte er höflich in französischer Sprache, zog seine Uniform aus und wies eine tiefe Wunde am Arm. Der Doktor verband schweigend. »Wir kommen als ungebetene Gäste«, sagte der Fremde lachend. »Sie werden sich an uns gewöhnen müssen, mit Ihrem Könige und seinem Heer geht es zu Ende.«

»Das wird der Himmel verhüten«, versetzte der Arzt.

»Der Himmel ist denen günstig, die sich selbst zu helfen wissen, das versteht unser großer Kaiser am besten. Ist Ihnen gefällig, mit mir zu frühstücken?« Der Doktor dankte.

Am Abend war die Wirtsstube mit Gästen gefüllt, denn die Bürger eilten neugierig zum Trunk, um den jungen Feind zu betrachten, der sich so ungezwungen unter den Würdenträgern der Stadt niederließ, als gehöre er dorthin. Während die Leute leise darüber stritten, ob er ein Franzose war, da doch seine Mannschaft aus Schwaben stammte, zog er die kleine Tochter der Wirtin an sich und fuhr ihr durch die blonden Locken. »Meine Puppe kann ich dir nicht zeigen,« sagte die Kleine zutraulich, »die habe ich vor den Franzosen versteckt. Dort unter dem Schenktisch liegt sie und schläft, wo der Vater das Geld und die silbernen Löffel vergraben hat.«

Die Leute lachten. »Ach, du Unglückskind«, rief die entsetzte Wirtin. Der Fremde aber holte ein Geldstück aus der Tasche. »Hier hast du einen französischen Groschen, bitte deine Mutter, daß sie dir dafür einen hübschen Husaren kauft.«

Und als er sich, artig grüßend, in seine Stube zurückgezogen hatte, rühmte ihn die Wirtin: »Der ist von ganz anderem Schlage, als unsere hochnäsigen Offiziere.«

Es ergab sich, daß die Feinde herangeritten waren, um eine Anzahl Pferde in Empfang zu nehmen, welche der Kreis dem Feinde zu liefern hatte, und der stolze Stadtdirektor verhandelte demütig mit dem Offizier, der sich so sicher und überlegen zu gebaren wußte, als sei er schon lange Regent der Landschaft. Am andern Tage wurden die Pferde, zumeist aus den königlichen Ämtern, auf den Ring geführt. Der Tag verging unter Hufgeklapper und trübseligen Verhandlungen, bis endlich die Gäule im Gasthofe und einigen nahen Ställen untergebracht wurden. Die wenigen Reiter, welche den Franzosen begleitet hatten, schliefen in den Ställen.

Im Morgengrau des nächsten Tages pochte es an das geschlossene Stadttor. Als der Torwächter öffnete, sah er den wohlbekannten Reiterleutnant aus der nächsten Garnison, hinter ihm den Junker, einen Unteroffizier und dreißig Gemeine der Schwadron. »Wo liegt der Feind, und wieviel sind ihrer?« fragte der Leutnant. Sobald er den Bescheid erhalten, rückte das Kommando in die Stadt. Die hinteren Ausfahrten der Häuser, in denen die Einquartierung lag, wurden auf den Rat des Unteroffiziers besetzt, die Reiter drangen ein und fingen zwei Gemeine, welche gerade die Pferde putzten. Doch ging der Überfall nicht ohne Lärm ab, und dem feindlichen Unteroffizier gelang es, sich mit zwei Mann nach dem Gasthofe zu schleichen. Da befahl der Leutnant seinem Kommando, vor dem Gasthofe aufzureiten.

Ein Fenster öffnete sich, der Fremde sah heraus und fragte in französischer Sprache: »Guten Morgen, meine Herren, was steht Ihnen zu Diensten?« Als Antwort fiel ein Schuß, den einer der Reiter ohne Kommando abgab. Der Franzose dankte im nächsten Augenblick in gleicher Weise, und der Reiter stürzte verwundet auf das Steinpflaster. »Ihr alle habt denselben Willkommen zu erwarten, wenn ihr euch nicht fortmacht«, rief der Fremde. Zur Stelle saßen einige Mann ab, drangen in den Gasthof und auf die enge Treppe, aber der Franzose trat mit seinen Pistolen in die Stubentür und rief ihnen zu: »Wer von euch sich untersteht, heraufzukommen, den schieße ich nieder, wie euren Kameraden.« Da hinter dem Zornigen drei Karabiner im Anschlag lagen, und die Stürmenden keinen Befehl erhielten, die Treppe und Stube mit Gewalt zu nehmen, so wichen sie abwärts, und hinter ihnen wurde das Haus von vorn und hinten verschlossen. Das Kommando zog sich zurück und machte in achtungsvoller Entfernung auf dem Ringe halt. Unterdes hatte sich der Platz mit Neugierigen gefüllt, der Baron ritt unter die Bürger und rief: »Herr Beblow und Meister Schilling, ich ersuche Sie, in den Gasthof zu gehen und dem Feinde vorzustellen, daß er sich gutwillig ergebe, er muß ja die Unmöglichkeit einsehen, sich zu befreien.« »Das ist nicht unsere Sache«, antwortete Schuster Schilling mit Kopfschütteln.

»Ich versichere euch auf meine Ehre,« ermutigte der Leutnant, »ihr werdet nicht erschossen, nur ich habe das zu befürchten, wenn ich mich nähere.«

Die Bürger traten schweigend zurück. Der Doktor, welcher herangekommen war, sah, wie der alte Unteroffizier errötete und unwillkürlich die Faust ballte. Das Kommando hielt unschlüssig, der Leutnant ritt vor demselben hin und her. Auch der Doktor fühlte, daß ihm die Wange heiß wurde, und rief: »So dürfen die Leute nicht stehen bleiben, ich bin bereit, mit dem fremden Offizier zu verhandeln.«

»Ich lasse Sie nicht allein gehen«, sagte der Einnehmer. »Wenn wir aber als Abgesandte zu diesem gallischen Helden eindringen, so ist Vorsicht nötig; ich verlange einen Trompeter.«

Ein junger Reiter ritt freiwillig vor. »Bleibt Ihr nur zurück, mein wackrer Junge, ich wünsche zivile Musik. Holt Eure Trompete, Turmwächter Steinmetz, und marschiert vor uns her, Ihr seid, solange Ihr blast, sicher wie in Abrahams Schoß.«

»Mir ist unbekannt,« sagte Steinmetz bekümmert, »was bei dergleichen Handlungen gebräuchlich ist.«

»Es wird heut nicht so genau genommen«, tröstete der Einnehmer.

Die Trompete wurde geholt. Steinmetz, der Türmer, schritt in Parade vor. Da sein Gemüt schwer belastet war, so geriet er auf das Signal, welches er oft in ähnlicher Gemütsstimmung vernommen hatte, und blies das Stück, welches gebräuchlich war, wenn ein Husar Spießruten lief.

Der Gastwirt ließ eine kurze Leiter durch das untere Fenster herab. Die Herren stiegen, von dem fremden Unteroffizier geleitet, die Treppe hinan und richteten dem Franzosen ihren Auftrag aus. Dieser aber wies auf die Pistolen, welche auf dem Tische lagen, und antwortete: »Ihr Offizier soll heraufkommen, mich zu holen, wenn er es vermag; lebendig bin ich nicht zu haben, und jede weitere Verhandlung ist unnütz.« Mit diesem Bescheide verließen die Gesandten den Gasthof. Als sie zu dem Kommando zurückkehrten und die Antwort überbrachten, ritt der Unteroffizier heran und rief in grimmiger Bewegung: »Herr Leutnant, ich bitte um Erlaubnis, mit einem Beritt abzusitzen und den Feind gefangenzunehmen.«

»Nein,« antwortete der aufgeregte Leutnant, »es ist Befehl, Verlust an Mannschaft zu vermeiden, mag der Franzose bleiben, wo er ist, wir reiten hinten herum und holen die Pferde aus den Ställen.« So geschah es. Das Kommando schwenkte in eine Nebengasse ein und zog mit einem Teil der Pferde, welche der Franzose requiriert hatte, wieder zum Tore hinaus. Die Leute verliefen sich, der Markt wurde leer. Als der Doktor einige Stunden später in den Gasthof gerufen wurde, fand er den Offizier zum Aufbruch bereit. »Ihr Kommando ist artig gewesen,« rief der Fremde lachend dem Eintretenden zu, »es hat mir die Hälfte der Pferde zurückgelassen. Sind das die Husaren Friedrichs des Großen? Sie verstehen, in den Hintergassen herumzureiten.«

»Sie werden nicht immer so vorsichtig geführt werden«, versetzte der Doktor finster.

»Sie selbst hätten mich gern gefangengenommen«, sagte der Franzose mit spöttischem Lächeln. »Sie heißen König, mein Herr, wenn ich recht vernahm. Stammen Sie hier aus der Gegend?«

»Ich bin in Schlesien geboren.«

»Der Name ist häufig unter den Deutschen, bei uns in Frankreich würde er lange Zeit dem Besitzer eine schlechte Empfehlung gewesen sein.«

»Dafür ist Ihr Kaiser jetzt um so mehr beflissen, die Welt mit Königen zu versehen.«

»Diese sind gut genug für die Fremden«, sagte der Offizier hochmütig. »In Frankreich gibt es nur einen Herrn, und das ist unser Stolz. Doch Verzeihung, ich wollte Sie nicht verletzen.« Er hielt die Hand auf den Tisch. Der Doktor bemerkte an dem Mittelgliede des kleinen Fingers einen dünnen Goldreif mit einem Vergißmeinnicht, wie er ihn sonst wohl schon gesehen hatte; er dachte sich, daß der Ring von einem Mädchenfinger herkomme, und als er die stattliche, elastische Gestalt des jungen Kriegers betrachtete, mußte er zugeben, daß es diesem auch bei Frauen wohl geglückt sein müsse. Trotz der patriotischen Abneigung freute ihn, daß der kräftige Mann eine Stelle in seinem Herzen hatte, die anderen Gewalten als seinem Kaiser gehörte.

Nachdem der Verband erneuert war, legte der Fremde ein Goldstück auf den Tisch. »Ich bin Ihnen Dank schuldig.«

»Sie haben mir nur Gelegenheit gegeben, meinen Beruf zu üben«, antwortete der Doktor höflich. »Es ist meine Pflicht, jedermann hilfreich zu sein. Von einem Feinde nehme ich kein Honorar.«

Der Fremde sah ihn scharf an, aber er nickte beistimmend: »Vielleicht treffen wir uns einmal wieder, und nicht als Feinde, denn der Kaiser pflegt festzuhalten, was er erobert hat, und dies ist die Zeit, wo alte Throne in den Trödelladen kommen.«

»Dafür wurde auch Ihrem schwäbischen Landesherrn ein neuer gezimmert«, versetzte der Doktor.

»Ich bin kein Schwabe«, antwortete der Fremde stolz, »und nur durch einen Zufall zu diesem Kommando gekommen. Meine Leute sind unbändig, aber ich denke, sie werden mit der Zeit zu guten Soldaten.«

Kurz darauf trabte der Franzose mit seinen Reitern und den Pferden aus dem Tor.

»Der Baron ist entlarvt,« sagte der Einnehmer, dem Fremden nachsehend, »und doch wäre mir lieb, wenn das Pferdegetrappel von heut früh nicht zu meinem Alten mit dem Krückstock heraufgeschallt hätte.« Er wies auf das Bild des Königs, an dem ein Trauerflor befestigt war.