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Die Ahnen

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Fritz wartete am Schloß, er dachte, daß diese Stunde auch über sein eigenes Leben entscheiden könne, aber er war nach dem Schweren, was er erfahren, in einer so gehobenen Stimmung, daß in ihm kein Bangen aufkam, obgleich die Offiziere der Portalwache ihn nicht aus den Augen ließen und leise miteinander sprachen. Endlich kam der König mit einem großen Gefolge von hohen Offizieren heran und der Diener raunte dem Harrenden einige Namen zu. Der nächste beim Könige war der Fürst von Anhalt-Dessau. In demselben Augenblick trat ein Offizier an den Dessauer und Fritz erkannte den Werber von Thorn; der Fürst blieb im Gespräch mit dem Offizier einige Schritt zurück und beide sahen nach dem Sachsen hin. Als der König den großen Mann am Schloßportale wahrnahm, ging er schnell auf ihn zu, hielt vor der tiefen Verbeugung an und maß ihn höchst wohlgefällig mit den Augen.

»Der Kandidat der Theologie König aus Kursachsen wagt Eurer Majestät in tiefster Ehrfurcht zu nahen, um Urlaub für seinen Bruder zu erbitten, welcher als Freikorporal bei ›Markgraf Albrecht‹ steht.« Der Fürst von Dessau kam heran. »Königliche Majestät, der Mann gehört mir, er hat sich in Polen meinem Werber durch die Flucht entzogen. Der Offizier ist ihm nachgereist, um ihn zur Stelle zu rekognoszieren.«

»Der Offizier spricht die Unwahrheit,« antwortete Fritz mit lauter Stimme, »er hat mich nicht geworben und ich bin nicht vor ihm geflohen, sondern ich habe ihm vor meiner Abreise erklärt, daß ich wegen der hinterlistigen Täuschung, welche er vergebens an mir versucht hatte, seine Reisegesellschaft verschmähe.«

»Habt Ihr von dem Offizier Handgeld genommen?« fragte der König, immer noch in die Betrachtung des großen Mannes vertieft.

»Es konnte zwischen uns von Handgeld nie die Rede sein,« antwortete Fritz, »da er in der Maske eines Hamburger Kaufmanns den Verkehr mit mir suchte.«

»Dann also kommt der Mann dem Offizier Eurer Durchlaucht nicht zu«, entschied der König.

»Es war meine Absicht,« versetzte der Fürst mit verhaltenem Unwillen, »Eurer Majestät diesen Mann für das Potsdamer Regiment vorzustellen.«

»Das ist etwas anderes«, sprach der König. »Er hat mehr als zwölf Zoll, ich schätze ihn auf nahe an dreizehn. Legt ihm ein Gewehr in den Arm, damit wir die Höhe messen.« Schnell wurde ein Gewehr herzugebracht und an den Leib des Sachsen gelegt. »Ich sagte ja, es sind fast dreizehn. Ich bin Eurer Durchlaucht sehr obligiert.« Und der König wandte sich ab, um das Unangenehme, was jetzt kommen mußte, nicht zu sehen und zu hören, ganz ähnlich dem Knaben, welcher nach einem gelungenen Streiche sich der Verantwortung entziehen will.

Da merkte Friedrich, daß er von den Menschen verlassen in großer Gefahr stand und rief laut hinter dem Könige her: »Gerechter Gott, Vater im Himmel, gib nicht zu, daß der König von Preußen in tyrannischem Gelüste dem hohen Amt der Gerechtigkeit untreu wird, gerade in der Zeit, wo tausende bedrängter evangelischer Herzen auf ihn als ihren Erlöser aus den Greueln der Verfolgung hoffen. Wenn der Feldherr, den du gerüstet hast zum Beschirmer des reinen Glaubens und der Gerechtigkeit, selbst zu einem ungerechten Tyrannen wird, welche Hoffnung bleibt dann noch den gequälten Opfern von Thorn?«

Er hob flehend die Arme gen Himmel; das Gewehr, welches sie an ihn gelegt hatten, fiel klirrend zu Boden.

»Höre ihn nicht, Herrgott!« rief der Dessauer, zornig den Hut lüftend: »Er hat das Gewehr auf die Steine geschmissen.«

Der König hatte bei der Beschwörung den Schritt gehemmt, er stand abgewandt und sah von der Seite auf den Bittenden. Jetzt kehrte er sich zu ihm und fragte heftig: »Was schreit Er hier von den Gequälten zu Thorn über den Platz?«

»Ich stand in meinem geistlichen Amt auf dem Blutgerüst bei den armen Märtyrern, welche gerichtet wurden, weil sie Deutsche und Evangelische waren, und ich vernahm die Seufzer, mit denen sie für ihre Zugehörigen den Schutz Eurer Majestät anriefen.«

Der König sah ihn ungnädig an, aber der begeisterte Blick, welcher dem seinen begegnete, bändigte den Ausbruch des Zornes, und er gebot dem diensttuenden Offizier: »Behaltet ihn hier, ich will ihn allein sprechen.«

Friedrich hatte nicht nötig, lange am Portal zu warten. Ein Kammerdiener kam heraus, maß mit den Augen die Größe, winkte, ohne ein Wort zu sprechen, und führte durch einen Hof und langen Gang in ein Empfangzimmer. Gleich darauf trat der König ein, den Hut auf dem Haupte, den Stock in der Hand, offenbar nicht in guter Laune. Er trat vor den Bittsteller und stampfte mit dem Stock auf den Boden. »Er hätte auch nicht nötig gehabt, die Arme aufzuheben und den Himmel gegen mich um Hilfe anzurufen. Ich bin kein Tyrann, sondern ein christlicher König, der den Willen hat, vor unserem Herrgott ein ehrlicher Mann zu bleiben; warum hat Er geschrien wie ein Bärenhäuter?« Wieder stieß der König auf den Boden. »Warum graut Ihm davor, meinen Rock zu tragen?«

»Euer Majestät halten zu Gnaden, ich fühlte, daß man ungerecht und gewalttätig gegen mich verfuhr. Und solche Gewalttätigkeit, mit welcher ich in königlicher Gegenwart bedroht wurde, kränkte mich gerade deshalb in tiefster Seele, weil ich Eurer Majestät in wahrhafter Ehrfurcht und herzlichem Vertrauen genaht bin. Denn ich habe in der Stadt Thorn wohl erkannt, daß Eure Majestät die Zuflucht der Deutschen und Evangelischen sind, und die unglücklichen Männer, deren grausames Ende ich anschauen mußte, haben mich beauftragt, ihre letzten flehentlichen Bitten Eurer Majestät vorzutragen.«

Da rief der König: »Es ist eine greuliche und unerhörte Geschichte, und ich habe mir alle Mühe gegeben, den Bürgermeister und die andern zu retten. Das Blut schreit zum Himmel. Aber der polnische König hat nicht mehr Macht als ein Dorfschulze. Es ist Euer eigner Kurfürst«, fuhr er wieder unwillig fort. »Wie sieht es jetzt in der Stadt aus? Liegen noch die polnischen Reiter darin?«

»Die Stadt und Umgegend ist mit Fußvolk angefüllt, die Soldaten sind bei den Evangelischen einquartiert und wirtschaften wie in Feindesland; in der Marienkirche, welche seither evangelisch war, hielten die Jesuiten Hochamt und sangen Jubellieder, daß die Ketzerei gedämpft sei. Auch der Rat wird zur Hälfte polnisch gemacht.«

»Was habt Ihr sonst in Thorn gesehen?« fragte der König. »Erzählt geradeaus und ehrlich.«

Friedrich begann seinen Bericht über die Standhaftigkeit und die letzten Stunden des Konsuls Roesner und der übrigen Gerichteten. Der König setzte sich und hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu, bis der Erzähler mit den Worten schloß: »Königliche Majestät, in diesen schrecklichen Tagen habe ich das Größte erlebt, was einem Diener des heiligen Amtes zuteil werden kann, denn ich sah fromme deutsche Männer, welche mit Gottvertrauen mutig in einen elenden Tod gingen. Jeder von den zehn Gerichteten konnte sich Leben und Freiheit retten, wenn er seinen Glauben abschwor. Aber nur einer von elfen wurde schwach, die anderen zehn blieben treu bis zum Tode.« Da faltete der König die Hände: »Was sagtet Ihr vorhin über eine Hilfe, die sie von mir begehrt haben?«

»Mehrere der Gerichteten hinterlassen Frau und Kinder in bitterer Not, denn ihre Habe ist eingezogen, und die Kinder werden den Müttern entrissen, um in polnischer Weise erzogen zu werden. Da hofften die Sterbenden, daß Eure Majestät sich der armen Witwen und Waisen erbarmen werde, und ich versprach, ihr demütiges Flehen hierherzutragen.«

»Ich will versuchen, ihnen zu helfen«, antwortete Friedrich Wilhelm. »Sie sollen nach Preußen kommen. In meinem Lande befehle ich, und die Leute gehorchen, aber selbst in meinem Lande vermag ich nicht immer zu tun, was ich will, denn auch hier muß ich mancherlei Rücksicht nehmen; und vollends dort draußen, wo alles widerhaarig und feindselig ist. Ihr sagtet etwas von den letzten Worten des seligen Roesner. Was meinte er, als er klagte: Der Bürgermeister büßt für sein eigenes Unrecht und für die Sünden der Vorfahren? War das richtiger evangelischer Glaube?«

»Sich selbst klagte Herr Konsul Roesner darum an, weil er früher der polnischen Krone zu treu gedient und den Übergriffen der Polen nicht immer Widerpart gehalten habe«, antwortete der Kandidat. »Wenn der Verstorbene aber die Sünden der Vorfahren beklagte, so dachte er wohl an frühere Schicksale seiner Stadt. In alter Zeit wollte die Mehrzahl der Bürger von Thorn lieber zu Polen gehören als zu dem Ordensland Preußen. Damals hat die polnische Partei in der deutschen Stadt viele Mitbürger, weil sie zu Preußen hielten, in Bruderhaß auf dem Schafott hingerichtet und die Stadt unter die Krone Polen gebracht. Jetzt haben die Polen den Nachkommen jener Alten dasselbe getan, denn sie haben durch Hinrichtungen den Enkeln vergolten, daß die Ahnen einst ihre Köpfe der Krone Polen untergestellt hatten. Und in Thorn gibt es Leute, welche ausrechnen, daß es seit jener alten Hinrichtung der preußischen Partei jetzt gerade das siebente Glied ist, an welchem die Strafe vollzogen wird nach den Worten der Schrift. Solches Gericht des Herrn ist uns Menschen furchtbar und entsetzlich.«

»Es wird auch an den Jesuitern und Niepozwalums heimgesucht werden bis ins siebente Glied«, rief der König, seinen Stock schüttelnd. »Woher wißt Ihr aber, daß die Hingerichteten gerade Nachkommen jener alten Übeltäter sind? Der Schuster Wunsch war ein geborener Brandenburger, wie kommt er dazu? Das riecht nach Prädestination.«

»Der Tod traf die Armen nur, weil sie in der Stadt lebten, über welcher der Fluch hing«, antwortete Friedrich traurig. »Gerade das, was Eure Majestät sagen, macht uns solch göttliches Strafgericht allzu hoch und schwer, und uns bleibt nichts übrig, als demütig zu rufen: Des Herrn Wege sind nicht unsere Wege. Als die Angst über diese Strenge mir im Herzen riß, hat mich der Gedanke getröstet, daß unser Vater im Himmel dadurch die Menschen an die Pflicht mahnen will, altes Unrecht ihrer Vorfahren wiedergutzumachen, und daß er nur zuweilen an den einzelnen schwere Vergeltung übt, um die Menge der Irrenden und Verstockten auf den rechten Weg zu weisen. Darum vertraue ich, er wird noch die Herzen der Könige lenken und wird das unglückliche Thorn, welches ihn jetzt in der Not anruft, nicht gänzlich den wilden Polen überlassen, sondern ihm die Rettung bereiten.«

 

Während der Theologe in seiner Begeisterung sprach, ging eine Tür auf. Zwei halbwüchsige Knaben in Soldatenröcken traten ein und stellten sich militärisch auf. Der König schritt in großer Bewegung auf und ab, musterte aber doch im Vorübergehen die Knaben und gebot dem einen, indem er mit dem Stock seinen Rücken berührte: »Gerade stehen!« Dann wandte er sich zu dem Fremden und begann in gütigem Ton: »Hast du dich um die Thorner gegrämt, so habe auch ich ihretwegen schlaflose Nächte gehabt und Gott angerufen, daß er da helfen möge, wo unser guter Wille nichts vermag.« Er trat wieder dicht vor den Jüngling, sah an ihm hinauf und fragte, ihm einen Knopf am Rocke drehend, vertraulich: »Warum willst du meinen blauen Rock nicht tragen?«

»Eure Majestät, ich bin Theologe, und mein Amt ist nicht der Krieg, sondern Verkündigung der Lehre, welche gegeben ward, um Frieden auf die Erde zu bringen.«

»Ich soll Euch also ziehen lassen?« fragte der König wieder unzufrieden. »Und was wollt Ihr noch?«

»Ich flehe Eure Majestät an, meinem Bruder Urlaub zu geben. Der Vater ist gestorben, die Mutter ist krank.«

Der König ging einige Schritte und sah sich den Bittsteller wieder an. »Wieviel Kinder hat Euer Vater hinterlassen?«

»Nur meinen Bruder und mich.«

»Hat Eure Mutter einen Sohn in meinem Dienste, so will ich ihr den zweiten nicht nehmen«, entschied der König mit Selbstüberwindung. »Du sollst nicht von mir gehen und zu den Wolken schreien, daß ich ein Tyrann bin. Dein Bruder kann Urlaub haben, aber unter einer Bedingung: Du bürgst mir dafür, daß er in meinen Dienst zurückkehrt, und du bürgst mir mit deinem eigenen Leben. Kommt er nicht, so kommst du und trittst für ihn ein. Willst du mir das versprechen, so sollst du ihn haben.«

Friedrich stand betroffen; er wußte, daß die Mutter daran dachte, den Sohn in ihrer Nähe zu bewahren, und er fürchtete auch, stille Hoffnungen des Bruders durch sein Gelöbnis zu kreuzen.

»Kurz und gut,« fuhr der König fort, »keine Bedingung und Ausrede; willst du als ein ehrlicher Mann versprechen: er oder du?«

»Ja«, antwortete Friedrich leise.

Der König maß ihn noch einmal mit den Augen, öffnete schnell die Tür des Vorzimmers und rief dem Offizier zu: »Der Freikorporal König von Markgraf Albrecht hat von morgen Urlaub nach der Heimat; sorge dafür, daß dieser hier einen sichern Paß bekommt, seinen Bruder zu begleiten.«

6. Bei den Sachsen

Als Friedrich mit dem Urlaub in das Quartier des Bruders trat, fiel August ihm gerührt um den Hals. »Du hast mir deine brüderliche Liebe erwiesen, wie der Vater wollte; wird auch für mich eine Gelegenheit kommen, dir dafür zu danken?« »Vielleicht kommt die Zeit, wo einem von uns ein weit größeres Opfer zugemutet wird«, antwortete Fritz, welcher an Dorchen dachte. Es wurde eine frohe Heimfahrt für beide. Die als Knaben geschieden waren, fanden einander in männlichem Jugendmut wieder, und jeder freute sich über die Tüchtigkeit des anderen. Auch die Mutter genoß, als die Brüder Hand in Hand vor ihr standen, zum ersten Male seit dem Tode des Gatten ein großes Glück. Aber nur wenige Tage durfte Fritz bei der Mutter weilen, die Reise hatte seine Ferienzeit völlig in Anspruch genommen, er mußte aufbrechen, um seinen neuen Zögling in Empfang zu nehmen und nach England zu geleiten. Als er schied, war Dorothee noch nicht aus Berlin angekommen und Fritz sagte sich vergebens zum Troste, daß ihm dies lieb sein müsse.

In der zärtlichen Pflege der Mutter suchte August sich die Gedanken an das freudenlose Leben der Zukunft fernzuhalten. Aber bald wurde er durch Gerüchte und durch die Zeitungen daran ermahnt. Die Ereignisse zu Thorn und der tiefe Unwille Friedrich Wilhelms hatten zwischen dem preußischen und polnischen Hofe so große Feindseligkeit aufgeregt, daß ein kriegerischer Zusammenstoß zu erwarten war. Die sächsischen Truppen wurden eilig vermehrt, der Verkehr an der Grenze stockte, die Behörden der beiden Länder verweigerten einander bereits die gewöhnliche Aushilfe und Unterstützung. August wurde von den sächsischen Offizieren, die er zufällig traf, mit kalter Nichtachtung behandelt, und erkannte mit Schrecken, daß die Frage an ihn herantrat, ob er gegen sein Vaterland in das Feld ziehen dürfe. Er schrieb, ohne der Mutter von seiner inneren Unsicherheit etwas zu sagen, deshalb an den Bruder nach London. Doch bevor die Antwort einlief, kam sein Vormund angefahren, und mit ihm ein Hauptmann von Wölfert aus einer nahen sächsischen Garnison. Der Vormund erklärte, es sei unmöglich, daß in solcher Zeit sein Mündel in preußischen Dienst zurückkehre, und der Hauptmann setzte hinzu: Er habe den Fall seinem Obersten vorgetragen, Monsieur König könne sogleich in dem sächsischen Regiment als Fähnrich eintreten, um nach einem Jahr Leutnant zu werden. August weigerte sich standhaft, obgleich die Mutter die Hände rang und ihm zurief, es werde ihr Tod sein, wenn er wieder in die ägyptische Dienstbarkeit ziehe. Endlich entschied der Vormund: »Wenn mein Herr Neffe sich durch ein Versprechen, welches sein Bruder unter ganz anderen Verhältnissen gegeben hat, verpflichtet hält, in dem Dienst einer feindseligen Macht zu beharren, so würde als letztes Mittel übrig bleiben, ein allerhöchstes Verbot gegen die Rückkehr zu veranlassen. Doch bevor dies Äußerste unternommen wird, ist der nächste Weg der beste, daß mein Herr Neffe unter Angabe der patriotischen Gründe um seine Entlassung aus dem preußischen Dienst einkomme. Ist diese früher verweigert worden, so ist jetzt die Lage der Sache eine ganz andere, auch den Herren Preußen kann nichts daran liegen, einen Sachsen wider seinen Willen bei der Fahne festzuhalten.«

Wenige Tage darauf erhielt August die Antwort des Bruders: »Da der Wille unserer lieben Mutter und Dein Pflichtgefühl für die sächsische Heimat auf der einen Seite stehen, auf der anderen das Versprechen Deiner Rückkehr, so darfst Du durch die Bitte um Entlassung allerdings versuchen, des preußischen Dienstes ledig zu werden. Wird Dir der Abschied verweigert, so müßte einer von uns beiden sich zur Verfügung des Königs Friedrich Wilhelm stellen.« Dies entschied. Der Korporal sandte zum zweitenmal sein Abschiedsgesuch an die Kompanie, und schrieb zu gleicher Zeit einen beweglichen Brief an seinen Gönner, den Major Vogt. Er selbst erwartete wenig von diesem Versuche und bereitete sich zur Abreise. Und als er nach mehreren Wochen die Antwort aus dem Stabsquartier erhielt, pochte ihm das Herz. Aber glückselig las er den Inhalt, denn der Major schrieb, daß sein hoher Chef, der Markgraf, die Berechtigung dieses Abschiedsgesuches anerkannt und die Entlassung verfügt habe. Der Entlassungsschein sei bereits ausgefertigt, nach Berlin zur höchsten Kenntnisnahme gesandt und werde dem Bittsteller demnächst zugehen. Darauf wünschte ihm der Major höflich Glück zur Lösung seines Dienstverhältnisses und sprach den Wunsch aus, daß er in seiner Heimat sich als braver Offizier bewähren möge.

Befreit von der Last, die ihn lange bedrückt, atmete August auf. Er fuhr mit dem Schreiben in die Garnison des Herrn von Wölfert, empfing Glückwünsche und wurde sogleich zum Obersten geführt. Auch dieser nahm ihn zuvorkommend auf und sagte: »Auf Grund dieses Briefes, dessen Handschrift und Schreiber mir wohlbekannt sind, können Sie zur Stelle in mein Regiment eintreten.«

»Doch habe ich den Entlassungsschein noch nicht in Händen«, wandte August ein.

»Der Brief genügt«, versetzte der Oberst. »Übrigens darf es nicht von dem Belieben eines fremden Monarchen abhängen, ob ein Sachse in das Heer seines Vaterlandes eintreten soll oder nicht. Und ich rate Ihnen, nicht zu zögern, denn unsere Augmentation wird in kurzem beendigt sein, und der Aufschub könnte Ihnen die Stelle unsicher machen, die Zusendung des Entlassungsscheins erfolgt bei den gegenwärtigen gespannten Verhältnissen vielleicht erst nach langer Zeit.«

So wurde August Fähnrich in einer Kompanie des Leibregiments. Die beglückte Mutter rühmte jetzt, daß ihre Verwandten dies für ihn durchgesetzt hatten, und erzählte, wie Tanten und Bäschen deshalb beim Stabe und in Dresden hin- und hergelaufen waren, er vernahm auch, daß Herr von Mickau mit der Mutter vertraulich einige artige Geschenke besprach: seidene Roben und einen Satz von dem neuen Meißner Porzellan, welche an Gönnerinnen in der Hauptstadt als Rekompens gesendet wurden. In seiner Freude sorgte er wenig darum. Sein Dienst wurde ihm leicht, er war durch die preußische Schule fest geworden und fand sich schnell in das Abweichende des Kommandos und der militärischen Einrichtungen. Die Mehrzahl seiner Kameraden hatte nicht mehr Schulweisheit zur Fahne gebracht als die preußischen, aber sie waren bequemer im Verkehr. Er stand jetzt in größerer Garnison und hatte Gelegenheit, auch im Gespräch mit unterrichteten Zivilisten seine Bildung zu erweisen und gescheite Urteile zu hören. Der Familie wegen empfing er Freundlichkeit selbst von Unbekannten, und wenn er seinen gegenwärtigen Zustand mit der Öde und Verlassenheit der preußischen Garnison verglich, so kam er sich vor wie in einer besseren Welt.

Als er einst mit solchen Gedanken auf der Straße ging, sah er an einer Haustür einen kleinen Mann stehen im Schlafrock, mit rötlicher Nase und gescheiter Miene. Der Kleine betrachtete ihn mit unverhohlener Bewunderung: »Welche Freude, Herr Fähnrich, daß ich Sie hier wiederfinde.« Das Gesicht des Fähnrichs zog sich drohend zusammen, er erkannte denselben Magister, der früher als Pasquillant der Familie schwere Tage bereitet hatte, und wollte mit kaltem Dank vorübergehen. Aber der Kleine vertrat ihm flehend den Weg. »Obwohl mir bewußt ist, daß Sie mich ohne Vorliebe regardieren wegen eines alten unbegründeten Verdachtes, so muß ich Ihnen doch sagen, da ich Sie jetzt als Herrn Offizier vor mir sehe, daß auch ich mit großer Bekümmernis den Verlust Ihres hochverehrten Vaters vernommen habe; er war ein Mann ganz nach dem Herzen aller Edlen, und ich sehe und vernehme mit Freuden, daß sein Herr Sohn ihm nachgeartet ist.«

»Ich danke Ihnen, Herr Magister«, antwortete August von oben herab.

»Gehen Sie nicht so stolz vorüber, verehrter Herr Landsmann,« bat der Kleine, »erweisen Sie mir nur auf einen Augenblick die Ehre, einzutreten, damit ich des schmerzlichen Gefühls enthoben werde, daß dieselben ungünstig von mir denken; denn ich habe Sie bereits gekannt, als Sie Ihr erstes rotes Röckchen trugen. Denken Sie noch daran, wie ich Sie damals in aufrichtiger Schätzung Ihrer Familie mit einer Tüte Pfeffernüsse regalierte? Heute bitte ich um die Erlaubnis, Ihnen mit einem Glase eigenen Wachstums aufzuwarten.« – »Ich kann mich nicht aufhalten, Herr Magister.«

»Nur im Stehen«, bat der Magister.

Der Fähnrich blieb in dem Flur, der Magister brachte ihm mit Verbeugungen eine Kanne Landwein zugetragen und erzählte, während der Gast das Glas in der Hand hielt, daß seine Frau in dieser Stadt einen sehr reichen Onkel beerbt habe und daß er jetzt als wohlhabender Hausbesitzer die Ernte des eigenen Weinbergs an gute Freunde ausschenke. »Doch,« fügte er mit einem trüben Blick nach dem Innern des Hauses hinzu, »nicht alle Götter lächeln dem Sterblichen freundlich zu; wer von Minerva und den Musen Gunst erfährt, wird vielleicht von Venus und Juno kurz gehalten.« Eine scharfe Frauenstimme aus der Tiefe des Kellers rief seinen Namen und fügte einige Scheltworte hinzu. »Mehr Juno als Venus«, sagte er wehmütig und wies mit dem Daumen nach der Tiefe.

Seit dieser Begegnung hatte August zuweilen Mühe, sich der Verehrung des Magisters zu entziehen, zumal wenn er des Nachmittags beim Hause vorbeikam, wo der Kleine durch die Gunst solcher Götter, mit denen er auf gutem Fuße stand, in einen gehobenen und redseligen Zustand versetzt war. Es ergab sich bald, daß der Magister eine besondere Vorliebe für kriegerisches Wesen hatte. Sooft die Trommler durch die Straßen schritten und die Wache aufzog, stand er an der Tür. »Cäsar hatte wenig Haupthaar,« sagte er zu dem Fähnrich, seine eigene Perücke hin- und herziehend, »und Prinz Eugen ist nicht hoch von Wuchs; auch ich habe seit meiner Jugend zu nichts so große Neigung gehabt, als zum Amt eines Obersten oder Generals. Glauben Sie, hochverehrter Herr Fähnrich, es gibt für einen Mann keine größere Lust, als zu kommandieren: Schießt mir dorthin oder jagt mir den aus der Stadt, Himmeldonnerwetter! Puff! und nieder mit ihnen! Das war mein Beruf, und, vertraulich zu reden, ich habe noch Stunden, wo ich meiner Juno einen Possen spielen und mich unter die Fahnen des Kriegsgottes stellen möchte.«

 

»Ich kann‘s nicht raten, Herr Magister«, antwortete August. »Bevor Sie soweit kommen, daß die Liktoren mit den Rutenbündeln vor Ihnen herschreiten, müssen Sie sich erst der Gefahr unterziehen, selbst Spießruten zu laufen.« – »Das schreckt mich nicht,« versetzte der Gelehrte geheimnisvoll, »auch in Bürgerhäusern gibt es Besen, welche widerwärtig streichen.«

Als August eines Abends in sein Quartier kam, fand er auf der Hausschwelle eine kleine Gestalt sitzen, welche sich mit dem Taschentuch schneuzte und dann die Hände zum Himmel hob.

»Was tun Sie hier, Herr Magister?« fragte er verwundert. Der kleine Mann fuhr in die Höhe und sprach schluchzend: »Ich melde mich!« – »Wozu, Herr Magister?« Der Kleine griff wieder nach seinem Taschentuch. »Ich halte es nicht länger aus. Die öfter erwähnte Juno verdient es nicht besser. Ich melde mich als Rekrut bei Ihrer Kompanie!«

August lachte. »Beschlafen Sie‘s, Herr Magister.« Aber der unzufriedene Gatte faßte ihn am Ärmel und erklärte heftig, er wisse wohl, was er sage, er wolle jetzt werden, was ihm immer im Sinne gelegen, denn zu Hause halte er es nicht aus, und er wolle in die Kompanie zu Herrn König treten. – August sagte, um ihn zu beruhigen: »In der Finsternis kann Ihre Annahme nicht stattfinden, machen Sie mir morgen früh die Freude, auf ein Schälchen Tee mein Gast zu sein.« Am andern Morgen lud August den Premierleutnant zu sich und beide harrten des Magisters. Dieser stellte sich pünktlich ein, setzte sich ernsthaft zu seiner Tasse nieder, und als August die Verhandlung mit der Frage einleitete: »Wissen Sie auch, Herr Magister, daß Sie sich gestern bei mir zum Rekruten gemeldet haben?« Da erklärte der Verzweifelte nüchtern und bestimmt, daß er das sehr wohl wisse und daß er auf seinem Willen bestehe. August hielt ihm vor, wie wunderlich es sei, daß er Frau und Hausstand aufgebe, der Magister aber sprach sich über alles zivile Leben, ja sogar über das Glück der Ehe verächtlich aus und behauptete, wenn der Herr Fähnrich, für den er besondere Affektion empfinde, ihn nicht annehme, so gehe er von hier sofort zu einer andern Kompanie. Die Offiziere sahen einander an. »Wohlan,« sprach der Fähnrich aufstehend, »wenn Sie es so haben wollen, so muß ich Ihr Verlangen erfüllen und Sie bei meinem Kapitän melden.« – Gerade das wollte der Magister. »Habe ich Sie aber gemeldet, so werden Sie erfahren, daß wir keine lustigen Zechbrüder sind, welche mit sich spielen lassen.« Auch das wußte der Gelehrte, und er bat den Fähnrich und den Leutnant sogleich sein Versprechen in ihre Hand zu empfangen, damit die Sache endlich die erforderliche Festigkeit erhalte. August meldete dem Kapitän den Handel, und dieser gab erfreut den Befehl, am nächsten Morgen den Rekruten zu ihm zu führen.

Den Tag darauf ging August in das Haus des Magisters, und da dieser noch schlief, trat er auf die Schwelle des Schlafzimmers und gebot: »Der Rekrut Magister Blasius soll aufstehen und zum Kapitän kommen!«

Hinter der Gardine bewegte sich‘s, der Magister steckte den Kopf heraus: »Hören Sie, Herr Fähnrich, ich habe nicht geglaubt, daß es so eilen würde. Entschuldigen Sie gütigst, ich kann heute nicht kommen.« Zugleich erhob eine weibliche Stimme sehr heftige Beschwörung mit vielen Scheltworten. Der Fähnrich behauptete seinen Ernst, fragte den Magister, ob er gesonnen sei, gutwillig mitzugehen oder nicht, und als der Magister erklärte: »Heut kann ich wirklich nicht«, schickte August nach der Wache. Im Hause entstand Geschrei und Wehklagen, eilig wurde der vornehme Bruder, Doktor der Rechte und angesehener Beamter, zu Hilfe geholt. Dieser kam zugleich mit der Wache und wollte den Fähnrich über die Nichtigkeit seiner Ansprüche verständigen, August aber wies ihn kurz ab: »Ich bitte, daß Sie mir in meinem Beruf keine Kollegien lesen; verfahre ich unrecht, so wissen Sie, wo ich zu belangen bin.« Da zog sich der Doktor schleunig zurück, der Magister aber stand im Nachtkleide, festgehalten durch die Arme seiner Gattin, welche ihn in heller Verzweiflung vor der Kriegsmacht schützen wollte. Erst das Geklirr der eintretenden Wache befreite den kleinen Herrn, der sich jetzt gutwillig zum Abgang rüstete, unterwegs seinen Soldatenmut wiederfand und auf die zornige Frage des Fähnrichs, ob er das Regiment zum Narren habe, versicherte, daß ihm das kräftige Verfahren gerade recht sei, seine Frau brauche nicht zu wissen, daß er aus eigener Neigung Militär werden wolle. So wurde er zum Hauptmann geführt, legte dort bereitwillig den Eid der Treue ab, schrieb eigenhändig seinen Namen in die Stammliste und erhielt sogleich Urlaub und das Recht, bis auf weitere Order zu der Gattin und seinem Hauswesen zurückzukehren.

Während aber August ganz mit sich zufrieden war, flüsterte und summte es durch die ganze Stadt, und nach der Residenz liefen bogenlange Beschwerden. Der Bruder des Magisters erklärte laut, er werde den Schimpf, welcher der Familie angetan sei, nicht ruhig ertragen und wenn es ihn das halbe Vermögen kosten solle. Seine Klagen und, wie die Offiziere behaupteten, wohlangebrachten Geschenke hatten auch Erfolg, denn ein geheimer Kriegsrat fuhr als Musterkommissar des Regiments mit einer Kommission von Offizieren und Beamten in die Garnison ein.

Als der Fähnrich vor die Kommission gefordert wurde, wollte der Vorsitzende zuerst von ihm wissen, aus welchem Grunde der Hauptmann den kleinen, alten, offenbar unbrauchbaren Magister angenommen habe. August fühlte sich durch den Verdacht, welcher der Frage zugrunde lag, in der Seele seines Vorgesetzten bitter gekränkt und entgegnete: »Ich muß einer hohen Kommission die Antwort auf diese Frage verweigern, weil die Frage ganz unmilitärisch ist, denn dem Soldaten steht es durchaus nicht zu, einen Vorgesetzten nach dem Beweggrund seiner Handlungen zu fragen.« Und als der Rat aufs neue drängte: »Sie sollen nur Ihre Meinung zu Protokoll geben, die Sie sich jedenfalls gebildet haben«, da versetzte der Fähnrich: »Meine Meinung zu sagen wäre ich vollends nicht verpflichtet. Doch bin ich bereit zu erklären, was ich selbst in ähnlicher Lage tun würde. Wenn eine Person wie der Herr Magister sich bei mir, als dem Hauptmann, freiwillig meldet, so werde ich sie annehmen zum Nutzen des Regiments und des königlichen Dienstes, auch wenn ich sie für völlig unbrauchbar halte. Denn da ich weiß, daß dem Eingeschriebenen selbst sein Wunsch bald verleidet wird und daß seine Anverwandten ihn in keinem Fall beim Regiment lassen, so bin ich sicher, als Ersatz für ihn einen brauchbaren Mann zu empfangen. Jeder Kapitän aber ist durch seinen Eid verbunden, die Kompanie für des Königs Majestät vollzählig und in gutem Stande zu erhalten.«

Dagegen wußte der Vorsitzende nichts einzuwenden, aber er bedräute jetzt den Fähnrich selbst: »Wie durften Sie sich unterstehen, einen verheirateten Mann von Kondition aus dem Bette zu holen? Ist Ihnen nicht bewußt, daß der Magister als graduierter Gelehrter einen höheren Rang hat als Sie selbst?« Auf solche Fragen verlor August die Geduld: »Wenn ein graduierter Mann sich durch Handgelöbnis verbunden hat, als Soldat einzutreten, so hole ich ihn, sobald mein Hauptmann es befiehlt, zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht, aus dem Bett oder aus der Kirche, ohne zu fragen, wie vornehm er ist. Und wenn es der Herr Geheime Kriegsrat selbst wäre, ich würde Sie holen und im Fall des Widerstandes arretieren. Und ich bitte, meine Rede Wort für Wort ins Protokoll zu schreiben.«