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Die Ahnen

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»Tut Eure Pflicht gegen den König, wie ich sie im Dienst gegen Euch tue«, antwortete der Hauptmann und entließ ihn mit einem Kopfnicken.

Und wieder kam das Frühjahr, welches an der märkischen Landschaft rings um die Garnison nur wenig zu verändern imstande war, der Kiefernwald färbte sein dunkles Gewand ein wenig heller, die Sandflächen zwischen Feld und Wald wurden ein wenig gelber und auf dem Acker sproß zögernd und spärlich die junge Saat. Die Kompanie aber bewegte sich wieder pünktlich, gleich einem Uhrwerk, zu den Vorübungen im Stabsquartier und von da nach Berlin zur Revue. Diesmal marschierte August fest wie ein alter Soldat über den Rixdorfer Damm nach dem Manöverfelde und erwartete mit Selbstvertrauen die letzte Prüfung der Unteroffiziere im Lustgarten. Er freute sich wie ein geborener Preuße, als des Königs Majestät, der kleine starke Herr, wieder aus der gelben Pforte gewichtig heranschritt. Sobald der König längs der Reihe seine Fragen getan hatte und bis zu August gekommen war, sah er ihn scharf an, und der kecke Unteroffizier August ebenso den König, weil er wußte, daß Seine Majestät dies gern hatte. »Das ist der Sachse,« sagte der Herr wohlgefällig, »seid Ihr dies Jahr bei der Revue schwindlig geworden?«

»Nein, Eure Majestät,« antwortete August, »es ging ganz gut.«

»Wie war seine Aufführung?« fragte der Herr den Markgrafen. »Hat er gut profitiert?«

»Er hat das beste Lob«, versetzte der Oberst.

»Das ist mir lieb«, sagte der König. »Ihr könnt Eurem Vater schreiben: Ich freue mich, daß der Sohn eines so braven Mannes wohl gerät, und es soll den Vater nicht gereuen, daß er Euch in meine Armee getan hat. Fahrt so fort, damit Ihr im Dienst immer fester werdet.«

Dies war in den Augen sämtlicher Anwesenden eine so hohe Gnade, daß August gleich darauf von seinem Chef, von dem guten Major Vogt, und seinen Offizieren Glückwünsche erhielt, und kaum in seinem Quartier angelangt, sich hinsetzte, um dem Vater den ganzen Vorgang zu berichten. Den Tag darauf erhielt er die Nachricht, daß ihn der König zum Gefreiten-Korporal ernannt habe, der den Dienst bei der Fahne hatte und der Nächste zum Oberoffizier war. Und seine Freude kannte keine Grenzen, als sein Hauptmann sich freiwillig erbot, ihm nach der Rückkehr in die Garnison einen mehrmonatlichen Urlaub zu geben.

Als der Freikorporal vor seiner Abreise aus der Garnison beim Hauptmann eintrat, um den Urlaubsschein zu holen, blieb er betroffen an der Tür stehen. Vor dem Vater kniete in Tränen aufgelöst Friederike und er saß über sie gebeugt in so tiefem Gram, daß er den Eintretenden gar nicht beachtete. Das Mädchen fuhr auf, sah den Jüngling schmerzvoll an und verschwand in dem Nebenzimmer, der Vater aber erhob sich, mühsam nach Fassung ringend: »Erfahret, Monsieur König, daß ich von der Kompanie und von dieser Garnison auf längere Zeit scheide. Ich bin zum Werbeoffizier für das Regiment bestimmt und soll nach Ostfriesland abgehen. Mancher hält solches Kommando für eine Gunst, und auch vom Stabe wird gratuliert, weil mir dadurch Gelegenheit geboten sei, den Major zu verdienen; ich aber hatte bis daher geglaubt, daß redlicher Dienst im Regiment mich solcher Ehre würdig machen könne, denn ich weiß, daß ich zum Marchandieren und Beschwindeln nicht passe, und mir ist, als wäre ich zu einer Kugel verurteilt.«

August dachte wohl, daß sein geradliniger Hauptmann guten Grund hatte, das Amt eines Werbeoffiziers zu scheuen. Nur übermütigen Gesellen, die nicht durch große Gewissenhaftigkeit belästigt wurden, war dies Kommando willkommen, es bot Gelegenheit zu flottem Leben in der Fremde und zu allerlei Nebenverdienst; auch Abenteuer fehlten nicht, die zuweilen gefahrvoll wurden. Und in tiefem Mitgefühl fragte der Jüngling, alle Vorsicht vergessend: »Wie aber wird es mit der Demoiselle Tochter werden?« Da ballte sich die Hand des Hauptmanns auf dem Tisch und er sagte in grimmiger Ratlosigkeit: »Das weiß Gott allein.«

4. Alles verwandelt

August wanderte zu Fuß der Heimat zu. Er hatte die Garnison in heller Freude verlassen, eine Strecke begleitet von dem Sekondeleutnant. Als dieser beim Abschiede traurig sagte: »Du bist glücklich, Bruder, daß du Eltern hast, die sich auf dich freuen. Eine Waise wie ich hat keine andere Heimat als bei der Fahne«, da empfand August mitleidig, wie groß das Unglück des Kameraden war, aber ihm selbst schwand nach diesen Worten plötzlich die frohe Zuversicht. Auch als er weiterzog über die braune Heide, in dürftigem Nadelwald und durch armselige Dörfer, blieb ihm eine Bangigkeit, über die er sich selbst wunderte. Oft hatte ihn der harte Dienst und das knappe Leben bedrückt, jetzt, wo er sich in größerem Wohlstand bei seinen Angehörigen zwanglos tummeln wollte, kam ihm vor, als trenne er sich von Glück und Hoffnung. Sein ehrlicher Hauptmann wollte ihm nicht aus dem Sinn, auch an die arme Friederike mußte er denken, wie sie die Trennung vom Vater ertragen werde, und vergebens mühte er sich, die Gedanken nach vorwärts zu richten und die Freuden des Wiedersehens auszumalen. Als er an einem sonnigen Sommerabend das erste sächsische Dorf erreichte, schallte ihm aus dem Wirtshaus Tanzmusik entgegen. Selbst dieser lustige Gruß, den das Vaterland bot, nahm ihm die Beklemmung nicht von der Brust; er fragte hastig die Wirtin, ob kein Wagen vom Gute der Eltern ihn erwarte. Es war keiner da, und doch wußten sie zu Hause den Tag seiner Ankunft. Die Wirtin sah ihn so seltsam an, als er seinen Namen nannte: »Es ist dort großes Feuer gewesen,« sagte sie, »der Gutshof ist abgebrannt.«

Das also war es, was er ahnend vorausempfunden, und ihm kam vor, als sei dies das Ärgste noch nicht, was er erfahren solle. Nach kurzer Rast brach er auf und ging im Mondenlicht weiter. Er kam in die Gutsflur, er sah die Brandstätte, aus welcher noch weiße Rauchwolken aufstiegen, vor sich. Das alte Wohnhaus wenigstens war erhalten, denn dort bewegten sich Lichter, aber niemand empfing ihn; er schritt durch die leere Wohnstube, riß die nächste Tür auf und sah seine Mutter und den Bruder regungslos an einem Bett sitzen und darauf seinen Vater ausgestreckt, regungslos und tot. Da warf er sich am Lager nieder und merkte in seinem heißen Schmerze nicht, daß die Mutter und der Bruder neben ihm niederknieten und ihn mit ihren Armen umschlangen.

Das Feuer war bei Nacht in den Wirtschaftsgebäuden ausgebrochen, der Hofherr hatte sich übermäßig angestrengt, das Vieh zu retten, den Tag darauf war er, vom Herzschlage getroffen, dahingesunken.

Nach den Tagen dumpfen Schmerzes saßen drei Unglückliche zusammen und fragten, wie sie das Leben fortan ertragen sollten. Der Tod eines guten und kräftigen Mannes, sowie der Verlust, welcher vorausgegangen war, hatten der Familie fast alles unsicher gemacht; der Wohlstand war in geldarmer Zeit tief erschüttert, die Gebäude wieder aufzubauen, den Verlust an Vieh und Gerät zu ersetzen, die Wirtschaft fortzuführen erwies sich als schwer, und obgleich die gute Großmutter in der Stadt bereit war, nach Kräften auszuhelfen, so wurde doch der Beistand eines zuverlässigen Ratgebers unentbehrlich. Auch für die Söhne mußte ein Vormund bestellt, und sein Rat über die Zukunft der Jünglinge eingeholt werden. Nächster Verwandter der Mutter war Herr von Mickau, der in der Nähe ein Rittergut besaß und für einen erfahrenen Geschäftsmann gehalten wurde. Der Mutter galt seine Wahl als selbstverständlich; zwar erhob Fritz bescheiden den Einwand, daß der Vater von der geschäftlichen Umsicht des Herrn Vetters nicht immer eine gute Meinung gehabt habe, aber der Mutter blieb der Gedanke unerträglich, einem anderen Einblick und Verfügung in ihren Angelegenheiten zu gestatten.

Herr von Mickau, ein kleiner gewandter Mann von höflichem und aufgewecktem Wesen, hatte früher sorglos gelebt und dem Hofe als Kammerjunker seine Dienste gewidmet, sich aber zu rechter Zeit, bevor sein väterliches Erbe vertan war, auf das Gut zurückgezogen; er hatte am Hofe noch immer gute Verbindungen, und war Vertreter des benachbarten Landadels bei Staatsaktionen und feierlichen Anreden. Der Herr erklärte sich bereit, die Vormundschaft zu übernehmen und gab verständigen Rat in so einnehmender Weise, daß auch Fritz nichts dagegen einzuwenden wußte. Es wurde beschlossen, daß der ältere Sohn nach Leipzig zurückkehren solle, seine Studien zu beenden, der jüngere aber während des Urlaubs als Beistand der Mutter zurückbleiben. Beim Abschiede sagte Fritz dem Bruder: »Wir sind im Wohlstande aufgewachsen und vielleicht in manchem verwöhnt. Mir ahnt, daß wir beide einmal in die Lage kommen werden, auf das angewiesen zu sein, was wir selbst verdienen. Laß uns immer daran denken.«

Für Madame König war in ihrer Trauer der einzige Trost, daß sie sich auf ihren Liebling stützen konnte, und daß dieser im Hofe und unter den Bauleuten mit einer Umsicht und Sicherheit gebot, welche weit über seine Jahre gingen. Als aber der Urlaub dem Ende nahte, bestand die Mutter leidenschaftlich darauf, daß August seine Entlassung aus dem preußischen Dienst fordere, weil er ihr unentbehrlich sei. Der Sohn widersprach ehrerbietig, doch auch der Vormund stellte sich auf Seite der Mutter und riet: »Dem schriftlichen Gesuch an die Kompanie muß der Form wegen ein ärztliches Zeugnis beigelegt werden, welches den Gesundheitszustand meines Neffen als ungenügend darstellt, denn auf die Änderung der Familienverhältnisse würde bei einem Ausländer keine Rücksicht genommen werden.« Das Zeugnis eines gefälligen Arztes wurde leicht beschafft und ging mit dem Abschiedsgesuch an den neuen Hauptmann der Kompanie. Gleich nach dem Tode des Vaters hatte August dem Major Vogt geschrieben, aber er hatte auf diesen Brief keine Antwort erhalten und später zufällig erfahren, daß der Major gar nicht mehr beim Regiment stehe, sondern weit hinaus an die holländische Grenze kommandiert sei.

Auf die Eingabe erfolgte in kürzester Zeit eine höfliche Antwort des früheren Premierleutnants von Klotzing, welcher jetzt die Kompanie als Hauptmann führte, daß die Aushändigung des Entlassungsscheins nur erfolgen könne, wenn Monsieur König sie persönlich in Empfang nehme; es sei deshalb eine Rückkehr in die Garnison und vielleicht eine Reise ins Stabsquartier notwendig.

 

Mit schwerem Herzen machte sich August auf den Weg. Widerwillig hatte er den Tränen der Mutter und dem Drängen des Vormundes nachgegeben, jetzt erschien ihm die Sache nicht so leicht, als der Vetter sie dargestellt, und bei seiner Ankunft in der Garnison war ihm zumute wie einem Verbrecher, der vor seinen Richter treten soll.

Und so war auch der Empfang, der ihm zuteil wurde. Der Hauptmann begrüßte seinen Freikorporal mit den Worten: »Es ist mir lieb, Monsieur, daß ich Euch hier habe«, holte von dem Aktenbrett das ärztliche Zeugnis, welches dem Gesuch beigelegt war, zerriß das Papier und warf es vor Augusts Füße. »Wie konntet Ihr Euch unterstehen, mir mit solchen elenden Flausen zu kommen? Ihr habt Euch mit Worten vor des Königs Majestät und durch Revers gegen das Regiment verpflichtet, im preußischen Dienste zu bleiben und seid deshalb zur Fahne avanciert. Wenn Ihr meint, daß es noch in Eurem Belieben steht, zu bleiben oder zu gehen, so will ich Euch lehren, Euer gegebenes Wort zu halten. Geht zur Stelle in Euer Quartier und tretet morgen bei der Kompanie an.« Und als August Vorstellungen erheben wollte, rief er mit einem Fluche: »Hinaus! Ich werde Euch Eure sächsischen Mucken vertreiben.« Der Korporal trat, bleich von mühsam bekämpftem Zorn, auf die Straße, als ein Gefangener, der in seinen Kerker geschickt wird. Leider war der erwähnte Revers vorhanden; der junge Korporal hatte ihn nach der ersten gnädigen Anrede des Königs unterschrieben, als eine bloße Förmlichkeit, die bei jedem Fremden, der in die preußische Armee trat, gebräuchlich war. Jetzt wurde die Unterschrift zu einem furchtbaren Gebot für die Tage seiner Zukunft. Als er in sein Quartier kam, vernahm er noch in Betäubung den warmen Gruß und die tröstende Zusprache seiner alten Unteroffiziere. Den ganzen Tag saß er wie erstarrt. Er mußte unaufhörlich an das Leid der Mutter denken, und was ihn am tiefsten demütigte, er war mit sich selbst unzufrieden, denn er hatte dem Hauptmann ein Recht gegeben, ihn rauh zu behandeln. Aber er war auch lange genug Soldat gewesen, um sich einem übermächtigen Zwange zu fügen. Deshalb trat er nach einer schlaflosen Nacht am nächsten Tage vor den Hauptmann und begann ehrerbietig: »Ich bitte den Herrn Kapitän, mein Versprechen anzunehmen, daß ich mir im Dienst redlich Mühe geben und Seiner Majestät als honetter Soldat meine Treue erweisen werde, solange höchster Wille mich an der Fahne festhält. Vielleicht gewährt der Herr Kapitän späterhin einem Gesuch um den Abschied sein geneigtes Fürwort, wenn derselbe im Laufe der Zeit die Überzeugung gewinnen sollte, daß ich seiner Teilnahme nicht unwürdig bin.« Der Hauptmann aber versetzte darauf mit finsterer Miene: »Wer mit dem Gedanken umgeht, den Dienst zu verlassen, der ist in der Kompanie wenig nütze, und ich sage Euch deshalb geradeheraus, daß ich weder jetzt, noch in der nächsten Zukunft Eure Entlassung favorisieren werde. Erweist Ihr Euch als widerspenstig und unbrauchbar, so soll Euch hier bei uns der Teufel holen; und seid Ihr eifrig, wie Ihr mir versprochen habt, so kann Euch die Kompanie jetzt weniger entbehren als früher, da Ihr die Leute und die Umgegend kennt.«

Unter so trüben Aussichten begann August wieder den täglichen Dienst. Von den Offizieren war sein Freund Brösicke als Premierleutnant zu einer andern Kompanie versetzt, mit den neuen Leutnants, welche ihn kalt und abgeneigt betrachteten, kam er in kein gutes Verhältnis. Er erfuhr, daß Major Vogt vom Könige geadelt worden, wie bei höheren Offizieren Brauch war, und daß er immer noch auf Kommando abwesend sei.

Was den Korporal ein wenig mit seinem Schicksal versöhnte, war die französische Stunde. Mit zierlichen Worten und mit aufrichtiger Freude hatte ihn Monsieur Roncourt begrüßt, und bald plauderte der Alte wieder von dem früheren Kapitän und von seiner lieben Demoiselle. Das Mädchen lebte noch eingezogener als sonst, und wie der Franzose versicherte, waren er selbst und der Stieglitz die einzigen männlichen Charaktere, mit denen sie verkehrte. Es dauerte lange, ehe der Jüngling ihr begegnete, obgleich er immer bei ihrer Wohnung vorüberging, sooft er die Wache visitierte. Als er sie endlich einmal auf der anderen Seite der Straße erblickte, eilte er mit beflügeltem Schritt auf sie zu, und erst als er ihr nahegekommen war, fiel ihm sein Versprechen ein, errötend hielt er mitten auf der Gasse an und nahm den Hut ab, wie vor einer Dame vom höchsten Stande. Mit Erröten und tiefer Verneigung dankte auch sie, und der teilnehmende Ernst, mit welchem sie auf ihn sah, gab ihm die Überzeugung, daß sie an seinem Schicksal Anteil nehme. Dabei blieb es freilich zwischen beiden, er grüßte, sie dankte, und Monsieur Roncourt trug, ohne es zu wissen, Botschaft hin und her.

Aber auch über dieses Verhältnis warf das Schicksal einen Trauerflor. Als Roncourt einst bei seinem Schüler eintrat, zog er sein Taschentuch und begann feierlich: »Monsieur König, ich kann heut nicht das Vergnügen Ihrer Konversation genießen, weil mir das Gemüt zu sehr bewegt ist. Ich habe soeben die Verzweiflung der Demoiselle Friederike angesehen; ihr Vater ist in Friesland bei seinem Werbegeschäft von einem rachsüchtigen Deserteur, der ihn hinter der Verkleidung entdeckte, erschossen worden.«

Auch dem Jüngling brachen die Tränen aus den Augen, ihm fiel die letzte Stunde ein, in der er seinen alten Hauptmann gesprochen hatte, und daß dieser Tod dem Mädchen alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zerstörte. Die beiden Vertrauten saßen kummervoll einander gegenüber, bis der Jüngere rief: »Was wird die Demoiselle jetzt beginnen?«

»Das ist mein größter Gram,« antwortete Roncourt, wieder nach dem Tuche greifend, »sie kann sich hier nicht allein erhalten, obwohl sie im Nähen geschickt ist und von den Kaufmannsfrauen zuweilen Arbeit erhält. Bis jetzt hat ihr der Vater jeden Monat einen Teil seines Soldes auszahlen lassen. Ach, Monsieur, es wäre mir eine Freude und Ehre, könnte ich ihr einiges von meinem Stundengelde, das ich nebenbei verdiene, zugehen lassen. Aber sie würde es in keinem Falle annehmen, und wenn sie verhungern sollte, denn darin hat sie den Stolz ihres Vaters.«

»Man müßte etwas erfinden, was ihr die Annahme möglich macht«, rief August.

»Das wäre gut,« sagte der Franzose, »aber was?«

Der Jüngling überlegte: »Wollen Sie versprechen, mich niemals zu verraten, so würde auch ich unserem guten Hauptmann zuliebe gern etwas beitragen. Sie wissen, daß ich seiner Güte viel verdanke und daß ich von Hause weit größeren Zuschuß habe, als ich bedarf.« Das letzte war eine fromme Lüge.

Roncourt schüttelte den Kopf: »Wenn ich als alter Knabe eine Wenigkeit für das Kind meines seligen Kapitäns abgebe, so ist das in der Ordnung; Sie aber sind ein junger Herr, und ich weiß nicht, ob ich im Interesse der Demoiselle Ihr gutherziges Erbieten annehmen darf.«

»Machen Sie sich das nicht schwer,« überredete August, »ich gebe nicht dem fremden Mädchen das Geld, sondern, wenn Sie erlauben, Ihnen. Das Honorar, welches Sie seither von mir anzunehmen die Güte hatten, war viel zu niedrig. Sie gestatten mir, daß ich es erhöhe. Wie Sie es verwenden, ist Ihre Sache und geht mich nichts an.«

»Das ist ein Vorschlag«, sagte der Franzose, immer noch bedenklich. Doch August fuhr eifrig fort: »Gegen das Fräulein geben Sie vor, daß ein alter Kamerad des Vaters brieflich bei Ihnen angefragt habe, an wen er von jetzt die monatlichen Abzahlungen einer alten Ehrenschuld, die er seither dem Hauptmann zugesandt, adressieren solle.«

»So kann es gehen,« stimmte der Alte bei, »erfinden Sie noch den Namen und den Ort.«

»Beides will der Schuldner geheimhalten und sich nur Ihnen anvertrauen«, belehrte der begeisterte Dichter. »Vielleicht hatte der Schuldner einen Kassendefekt begangen und ist durch die Hilfe des Hauptmanns vor der Verzweiflung gerettet worden.«

»Sie sind ein Diplomat und voll von Einfällen«, antwortete Roncourt mit Bewunderung. Auf diese Verabredung gaben die beiden einander die Hand.

Für den Jüngling begann eine Zeit unerhörter Wirtschaftlichkeit. Der kleine Zuschuß, welchen er seit dem Tode des Vaters noch erhielt, wurde von jetzt jeden Monat dem Franzosen gezahlt, und der Freikorporal sah sich auf seinen Sold beschränkt. Es war eine schwere Zumutung, die er sich gestellt hatte, aber er setzte seinen Willen siegreich durch, strich unbarmherzig jede Ausgabe, die er irgend vermeiden konnte, und erfocht in der Stille viele kleine Triumphe über die eigene Begehrlichkeit. Als Knabe hatte er gut verstanden, sich Genüsse zu erschmeicheln, jetzt zwang ihn ein wunderliches Verhältnis, sich unablässig Entbehrungen aufzulegen. Doch die größte Entbehrung entstand ihm dadurch, daß er sich selbst eine neue Schranke errichtet hatte, welche ihn von näherer Bekanntschaft mit dem Mädchen schied. Denn er mußte jetzt nicht nur den Willen eines Verstorbenen ehren, sondern auch sein eigenes gutes Werk. Eins freilich war durchaus nicht zu vermeiden. Er sah die Demoiselle fortan öfter, wenn auch nur von weitem. Denn sooft er der Versuchung entgehen wollte, mit seinen Kameraden einige Groschen im Wirtshaus auszugeben, brachte er die Zeit damit zu, daß er spazieren ging. Auf solchen Gängen kam er an ihrem Hause vorüber. Als er sie zum erstenmal nach dem Tode ihres Vaters in Trauerkleidern am Fenster sitzen sah, blieb er stehen, sie aber öffnete das Fenster. Da reichte er ihr seine Hand hinein, sie hielt die Hand fest und weinte, und er sagte: »Auch ich habe meinen Vater verloren.« Das war alles, und dagegen hätte auch der Hauptmann nichts einwenden können. Wenn der Jüngling seitdem um diese Stunde vorüberkam, fand er das Mädchen fast immer hinter den Scheiben bei der Nähterei sitzen. War das Wetter leidlich, dann hing der Vogel im Bauer vor dem Fenster, so daß August zuletzt mutmaßte, sie habe ihn als Geber erkannt. Am Sonntag aber fand er sie regelmäßig in der Kirche, denn auch diese ehrwürdige Stätte besuchte er jetzt fleißiger als sonst. Sie mußte bei ihm vorüber, wenn sie eintrat und hinausging, und er beobachtete während des Gottesdienstes scharf ihre Andacht, nicht gerade zum Vorteil der seinen. Ja, zu der Neigung des stillen Liebhabers kam ihm etwas von der zärtlichen Sorgfalt eines Vaters. Er fing an, sich um ihre Kleidung zu kümmern, und wie er merkte, daß ihr ein warmer Wintermantel fehle, hatte er an jedem kalten Tage bitteren Verdruß. Als ihm gegen Weihnacht der Fuhrmann von Frankfurt an der Oder die Kiste heranfuhr, welche die Mutter gefüllt hatte, da lud er am Abend vor dem Fest den alten Franzosen zu Gaste und widmete diesem das gesamte anmutige Beiwerk: ein Marzipanherz, Äpfel und Nüsse. Und Roncourt empfing die Sachen so vergnügt, daß August nicht im Zweifel blieb, wohin der Alte sie tragen würde.

Für die Armee kam ein unruhiges Jahr; der König hatte geboten, alle Landeskinder in Dorf und Stadt, welche nach Stand und Beschäftigung dienstpflichtig waren, aufzuzeichnen. Jeder von diesen erhielt eine rote Halsbinde, die er fortan zu tragen hatte, und jedem Regiment wurde eine Anzahl dieser Aufgezeichneten überwiesen, in der Regel die Leute aus der Umgegend seiner Garnisonen. Da nun die Bezirke nicht sofort abgegrenzt wurden, gab es Eifersucht zwischen den Regimentern, Streit mit den Ortsbehörden und Kampf gegen die Widersetzlichkeit der einzelnen Leute, und darum, was den Kompanien am lästigsten war, eine endlose Schreiberei. Niemals zu irgendeiner Friedenszeit war das Heer in solcher Schreibertätigkeit gewesen, und niemals hatten die Hauptleute so zornig mit Redensarten um sich geworfen, die in der Bibel nicht zu finden sind.

Auch der Korporal hielt in diesem Jahr weniger die Fahne in der Hand als die Feder, und er büßte für seine kursächsische Bildung dadurch, daß er in seiner Kompanie einen großen Teil der Schreiberei besorgen mußte.

So verging der Winter und das Frühjahr, das Regiment wurde diesmal nicht zur Revue gezogen, und August fand keine Gelegenheit, seine Entlassung zu betreiben. Er selbst war in dem Einerlei des Dienstes still und ernst geworden, ein fester Soldat, der gelernt hatte, harter Pflicht zu gehorchen, und er fühlte die Öde seines Daseins fast nur an den Tagen, wo er einen Brief der Mutter erhielt oder einen des Bruders, der in seiner glücklichen Freiheit ihm jetzt oft schrieb und zu geduldigem Ausharren mahnte. Ach, die Nachrichten aus der Heimat machten das Herz nicht leichter, die Mutter oft krank, dazu Geldsorgen und Gutsärger; auch von Dorchen vernahm man wenig, sie aß auf ihren Silbertellern in der Einsamkeit, die Cousine war immer noch leidend, und was am meisten zu denken gab, Frau von Borsdorf sah bekümmert aus und hatte nur einmal verlauten lassen, daß Jesuiten in dem Schlosse aus- und eingingen.

 

August wußte, daß der Hauptmann ihn nicht leiden mochte und fortwährend mit Mißtrauen betrachtete, obgleich seine Hilfe in dieser Zeit wertvoll war; deshalb erwartete er auch nichts Gutes, als er an einem Morgen mit ungewöhnlicher Höflichkeit angeredet wurde: »Monsieur König, Ihr sollt mir und der Kompanie einen Dienst leisten und für einige Wochen auf Kommando gehen. Ihr habt unsere Ersatzleute, welche hie und da in der Neumark wohnen, aufzusuchen und mit Pässen zu versehen, neue Burschen einzuschreiben und Euch nach verlorenen Leuten zu erkundigen. Betrachtet dies Kommando als einen Beweis meines Vertrauens; bin ich in dieser Sache mit Euch zufrieden, so will ich sehen, wieweit ich Euren Wünschen entgegenkommen kann.« Seit lange war unter den Offizieren von diesem lästigen Auftrage die Rede gewesen, der nicht dem Fahnenkorporal zukam, sondern dem Premierleutnant. Da der Korporal schweigend in straffer Haltung stand, fragte der Vorgesetzte: »Nun, habt Ihr etwas zu bemerken?«

»Ich stehe zu Befehl.«

»Ihr nehmt einen unserer Leute mit, der zuverlässig und in der Gegend gut bekannt ist, Ihr mögt ihn auswählen.«

»Ich bitte den Herrn Kapitän, selbst den Mann zu bestimmen«, versetzte der Korporal.

Das war dem Hauptmann unlieb, weil er die Verantwortung für den Mann gern dem Untergebenen zugeschoben hätte, doch sagte er nach einigem Nachdenken: »Nehmt den Böttcher. Er soll nur das Seitengewehr tragen, damit er vor den Leuten für einen Beurlaubten gelten kann. Ihr geht noch heut ab.«

Böttcher war ein Landeskind aus der Neumark, er hatte sich nach abenteuerlichem Leben vor mehreren Jahren freiwillig anwerben lassen und stand als verwegener Gesell und Spaßmacher der Kompanie bei dem Hauptmann in Gunst, obwohl sein Rücken mehr als einmal mit den Spießruten Bekanntschaft gemacht hatte. August fand bald Grund, sich zu der Wahl Glück zu wünschen, denn Böttcher erwies sich als ein Schlaukopf, welcher den unangenehmen Teil des Geschäftes mit Behagen auf sich nahm.

»Herr Freikorporal,« sagte er auf dem Wege, »die Bauern und auch die Schulzen sind wegen der roten Halsbinden ängstlich und widerbellig und werden Ihnen die Leute vertuschen. Verraten Sie nichts von unserem Kommando, wenn wir an einen Ort kommen; ich werde tun, als ob ich auf Urlaub gehe und nur zufällig mit Ihnen zusammengetroffen bin, und ich werde vorher spionieren.« Das tat der Schelm, in jeder Dorfschenke erzählte er den Anwesenden Schnurren, gab vor, daß er aus der Umgegend stamme, und erkundigte sich mit erlogener Teilnahme nach seinen alten Bekannten, den jungen Burschen, deren Namen in der Liste standen oder die er im Nachbardorfe erkundet hatte. Waren die Leute ermittelt, so führte er seinen Korporal zu ihnen, damit dieser den Paß einhändige, durch welchen sie für Zugehörige der Kompanie erklärt wurden. Dabei verlief kein Tag ohne ärgerliche Abenteuer. Gleich im Anfange, als sie das Haus eines Tagelöhners betraten, welcher drei Söhne hatte, verweigerten der Vater und die Söhne trotzig, die Pässe anzunehmen, und als endlich ernste Vorstellungen und Drohungen die Familie erschreckt hatten, begann ein herzzerreißendes Wehklagen und Schluchzen, und die Braut des ältesten Sohnes umklammerte die Füße des Korporals, so daß dieser Mühe hatte, die Fassung zu bewahren und tröstend versprach, wie er sich bemühen wolle, dem Bräutigam eine Heiratsbewilligung vom Hauptmann auszuwirken und auf Grund derselben Befreiung vom Dienste. Ein anderer Bursch wies den Paß zurück, weil er bereits bei einem benachbarten Regiment eingeschrieben sei, und August stieß feindlich mit einem Major dieses Regiments zusammen, welcher ihn heftig bedräute, weil er einen Mann seiner Rolle wegnehmen wolle und ihm selbst in Aussicht stellte, daß er ihn geschlossen zu seinem Regiment zurückschicken werde. Aber der Korporal ließ sich nicht beirren und drohte wieder: »Wenn der Herr Oberstwachtmeister glauben, hierzu berechtigt zu sein, so muß ich es mir gefallen lassen; ich weiß aber, daß mich Seine Hoheit der Markgraf kräftig verteidigen wird, da ich nur nach der Order meiner Vorgesetzten gehandelt habe.« Darauf wurde der Major sanftmütiger und verglich sich zuletzt mit dem Korporal, daß der Fall höchster Entscheidung vorgelegt werden solle. Wieder ein anderer Eingeschriebener hatte durch den Offizier eines anderen Regiments bereits die Erlaubnis zur Verheiratung erhalten, und der Korporal mußte bei dem Ortspfarrer im Namen seines Regiments gegen die Heirat Einspruch tun. Auch der alte, würdige Geistliche weigerte sich, diesen Protest anzunehmen, bis August ihm erklärte: »Ich stehe hier, um dem Befehl des Königs Gehorsam zu verschaffen; wollen Euer Ehrwürden diesem Befehl widerstehen, so tun Sie es auf Ihre Gefahr, ich aber verlasse Ihr Haus nicht, bis Sie mir einen Empfangsschein über den eingelegten Protest gegeben haben.« Da klagte der Pfarrer bekümmert: »Solange ich lebe, ist mir keine solche Zumutung von einem Unteroffizier gestellt worden«, aber er schrieb den Schein. Auch die verlorenen Leute des Regiments machten Mühe; der eine war vom Urlaub nicht zurückgekehrt, sondern hatte, um Handgeld zu erhalten, sich bei einem Garnisonbataillon anwerben lassen und mußte nach langem Hin- und Herreden aus dem Gliede herausgeholt werden; ein anderer hütete in der Montur eines benachbarten Regiments die Schafe und gab sich für einen Beurlaubten aus, es erwies sich aber, daß er den Rock nur gekauft hatte, um sich dem Dienste der Kompanie zu entziehen.

In dieser ungemütlichen Beschäftigung durchzog der Korporal mit seinem Begleiter mehrere Wochen die Landschaft. Sein Auftrag war beinahe zu Ende geführt, und er saß müde in der Schenke eines Grenzorts an der Warthe, da meldete Böttcher: »Es ist ein Flüchtling aus Polen draußen, ein Deutscher, dort hinten von der Weichsel her, er ist groß und hat leere Taschen. Wollen Sie ihn freihalten, so werbe ich ihn an.«

»Bring ihn her«, gebot August.

Ein kräftiger Gesell mit gescheitem Gesichte trat ein, grüßte höflich und wurde auf freundliche Einladung zu Speise und Trank bald zutraulich. Als Böttcher ihm mit Trinken zusetzte, ohne sich dabei selbst zu vergessen, lachte der Flüchtling: »Ein williger Gaul bedarf nicht der Peitsche; ich merke, die Herren gehen darauf aus, mich anzuwerben.«

»Nur wenn Ihr bei nüchternem Mute selbst wollt«, antwortete August; »ich bin nicht hier, Fremde zu verlocken, und bot Euch an, unser Gast zu werden, weil ich hörte daß Ihr ein Deutscher und ein armer Flüchtling seid. Trinkt ruhig, ich verspreche, es soll Euch zu nichts verpflichten.«

Der Fremde sah ihn dankbar an: »Wenn mir auf dem Wege der Zorn über die Polacken in den Kopf stieg, habe ich zuweilen daran gedacht, bei den Preußen in des Königs Rock zu fahren; es wäre mir eine Freude, die drüben einmal auszuhauen. Und ich habe als Gerbergeselle sonst hier wenig Aussicht, weil das Thorner Handwerk mit den deutschen Zünften nicht in Bruderschaft steht.«

Mit einem neuen Interesse fragte August: »Wenn Ihr in Thorn zünftiger Gesell wart, was hat Euch fortgetrieben? Erzählt, wenn Ihr keinen Grund habt, es geheimzuhalten.«

»Es wird laut genug, die Steine schreien davon«, versetzte der Thorner mit zornigem Blick. »Ihr habt gehört, daß wir Bürgersöhne mit den polnischen Studenten Krakeel hatten.«