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Die Ahnen

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»Wohl ehre ich deine Macht, König,« versetzte Ingo, »und ich weiß, daß es mir mühselig wäre, über die Brücke zu reiten und über die Heide zu traben, wenn dein Zorn feindlich hinter mir fährt. Dennoch meine ich, daß der König edel handelt, wenn er mir die Treue hält, soweit die Eide reichen. Den Zweikampf hat mir der König angetragen; ruhmvoll war das Erbieten und eines Helden würdig, und vermag er mich nicht zu dulden auf der Männererde, so weiß ich wohl, daß es für mich keine bessere Ehre gibt im Gedächtnis der Menschen, als durch die Waffe des Königs zu fallen, oder wenn ich ihn selbst voraufsenden sollte in die Totenhalle, mit meinen Gefährten vertilgt zu werden durch den Grimm der Thüringe. Dennoch ist es mir unleidlich, gegen dich zu kämpfen, mein Herr und Wirt, denn freundlich warst du gegen mich, Guttat genoß ich an deinem Hofe, ehrenwert ist mir auch dein Gemahl und hier der Knabe, den ich im Arm halte, und Frohes habe ich von deiner Huld für mein Leben gehofft. So kränkt mich‘s, obgleich ich den Schwertgrimm für rühmlich halte, daß ich um meinen Leib feindlich gegen dich ringen soll.«

»Verständig sind deine Worte,« versetzte der König, »auch dein Sinn ist redlich, wie ich vermute, und ungern sinne ich auf dein Verderben, aber mich zwingt die Königsnot, die keiner versteht, außer wer als Wirt über seinem Volke waltet. So wisse denn, friedloser Mann, der Cäsar fordert, daß ich dich ausliefere an seine Boten.«

»Will der große Volkskönig dem Befehl eines neidvollen Römers gehorchen wie ein Besiegter?«

»Die Katten hat er aufgehetzt, sie sind eilig, sich Sklaven und Herden zu holen aus meinem Volke, um deinetwillen sollen die Thüringe den Schlachtgesang singen.«

»Stelle mich in deine Heere, o König,« unterbrach ihn Ingo, »nimmer kehre ich zurück, wenn nicht als Sieger.«

»Meinst du, daß du mir als Sieger willkommener wärest als jetzt, du mit der Erbtochter?« fragte der König finster. »Über die Schlachten der Thüringe waltet der König allein!«

Da legte Ingo die Hände auf das Haupt des Knaben und sprach traurig: »Gleich diesem Kinde wuchs ich fröhlich auf unter der Königskrone, schuldlos wie dein Sohn war ich, da ich aus der Heimat gescheucht wurde. Denke daran, König, daß sich schnell die Geschicke der Männer wandeln, auch du weißt nicht, welches Schicksal deinem Knaben einst bereitet ist. Wie auch die Götter uns die Lose werfen, von uns fordern sie, daß wir treu sind unserem Wort. Sorge auch du, o Herr, damit sie nicht den Eid, den du dem armen Ingo geschworen, einst an dem Haupte deines Sohnes rächen.«

»An den Sohn denke ich, daß ich ihm die Herrschaft sichere, wenn ich mich des Eides gegen dich entledige«, versetzte der König.

»So löse den gastlichen Eid, ohne daß die Götter dir zürnen,« fuhr Ingo flehend fort, »entlaß mich mit meinem Gesinde ungekränkt aus deiner Burg und aus deinem Lande. Mehr fordert dein Volk nicht, und begehrt der Römer Ärgeres von dir, so kränkt er deine Ehre. Hilf mir, Knabe, und bitte bei deinem Vater für mich.«

Hermin kniete nieder und umschlang das Knie des Königs: »Tu dem Vetter kein Leid, mein Vater!«

Der König sah lange auf den Knaben, über welchen Ingo die bewehrte Hand hielt. »Du weißt nicht, was du bittest, Kind«, sagte er endlich. Und mitleidiger zu Ingo aufsehend fuhr er fort: »Willst du, Ingo, mir mit hohem Eide geloben, niemals diese Nacht zu rächen, niemals schädlich zu sein mir und meinem Sohne, und niemals Freundschaft zu suchen im Herrensitz am Walde, so will ich dich entlassen aus meiner Burg, aus meinem Land.«

»Den Eid nehme ich auf mein Leben,« sprach Ingo leise, »wenn auch der König mir geloben will bei dem Haupt dieses Knaben, der Worte zu gedenken, die er vor kurzem zu mir sprach und das Königsauge zu schließen gegen mein Tun, wenn nicht das Volksgeschrei übermächtig zwingt.«

Der König lächelte finster. »Ich will, wenn du mir etwas von deinen Gedanken vertraust.« Ingo neigte beistimmend das Haupt. »Wohlan denn, setze dich zu mir wie einst und künde leise dein Geheimnis.« Die Könige sprachen heimlich, und der Knabe saß zwischen ihnen und umfaßte mit den Händen beider Knie.

Auf den Stufen lagen getrennt die Vandalen und die Königsknaben hinter ihren Schilden. Über ihnen saßen auf den Schemeln die beiden Schwerthalter Berthar und Hadubald gegeneinander. Da begann Hadubald: »Frieden bereitet, wie ich merke, das Gespräch im Saale unseren Schwurherren. Gefällt dir‘s, Held, so tilgen wir den Groll durch einen Trunk, den einer meiner Genossen schnell zu schaffen weiß, denn kühl weht die Nachtluft.«

»Mordbrenner!« versetzte Berthar grimmig.

»Töricht handelst du, den Diener zu schelten, der getan hat, was seinem Herrn nützt.«

»Nachtschächer!« brummte Berthar wieder, »deine Treue brachst du für des Königs Bier, seitdem ist der Trunk verdorben, den du bietest.«

»Wer hochmütig verschmäht, beim Zapfen Bescheid zu tun, der wahre sich, daß nicht sein Blut gezapft wird auf grüner Heide.«

»Auf grüner Heide und im finsteren Wald, wie hier in der Herberge bist du blutiger Schläge sicher, sobald dich nicht der Königsfrieden schützt; damit begnüge dich, Held!«

Lange währte die Zwiesprache der Herren, endlich rief der König: »Bringe den Becher, Schenk, Minne zu trinken, bevor Held Ingo scheidet.« Willig regten sich die Mannen auf den Stufen, der Schenk lief und trug einen großen Becher Met herzu, die Könige taten über dem Becher und auf dem Haupt des Knaben einander das Gelöbnis. »Und jetzt scheiden wir, Ingo,« sagte der König, »leid tut mir‘s, daß du ein fahrender Held und nicht von meinem Geschlecht bist, und doch, wärst du von meinem Stamme, du wärst mir vielleicht weniger vertraulich.«

»Denke mein im Guten, o Herr«, dankte Ingo, und fröhlich rief er dem Alten zu: »Rüste den Aufbruch, wir reiten.«

»Bei Sonnenlicht kamen wir,« versetzte Berthar, »mein Herr und seine Helden entweichen nicht wie Nachtdiebe. Will der Häuptling, daß wir aufbrechen, bevor der Hahn singt, so flehe ich, König Bisino, daß deine Knaben uns mit den Fackeln leuchten, die sie am Abend sorglich um dieses Haus getragen haben, damit wir bei unserer Abfahrt den hellen Schein nicht missen.«

Der König sah zuerst zornig auf den Kühnen, aber er sprach: »Ich lobe dich, du verstehst für deinen Herrn mit Schlägen und mit Worten zu streiten. Besteigt die Rosse, ihr stolzen Gäste, ihr Mannen aber entzündet die Brände, denn der König selbst gibt das Geleit zum Tor.«

Auf der Brücke schied Ingo von dem König und seinem Sohn, und alle erstaunten, als der König nach dem Abschied noch einmal über die Bretter zu Ingo eilte, ihn mit den Armen umfing und küßte. Lachend sah Berthar auf die finsteren Mienen der leuchtenden Königsknaben. »Reitet im Schritt,« gebot er vor dem Tor den Vandalen, »damit sie nicht wähnen, daß wir ihren Gruß im Rücken fürchten.« Und nach einer Weile rief er: »Nimm die Spitze, Wolf, und laß die Rosse springen, frisch bläst die Nachtluft, und wohl gelang uns die Reise nach der Königsburg.«

Als sich das Tor hinter den Gästen geschlossen hatte, befahl der König seinen Knaben: »Wer etwa morgen oder später von dieser Nacht schwatzt, oder wer noch mit dem Römer beim Trunke raunt, wie heut mancher getan, dem zerschellt die Axt des Königs das Tor seiner Worte.«

Darauf nahm er das schlafende Kind in die Arme und trug es zu seiner eigenen Kammer. Als er beim Turme vorüberkam, blickte er finster nach dem Gemach der Königin. Dort drinnen lag ein trostloses Weib mit dem Haupt an der Fenstermauer und hörte auf den Schall der Stimmen und auf den Hufschlag, welcher in der Ferne verklang. Der König aber dachte: Wenn sie nicht so erlaucht wäre von Geschlecht, wäre es besser für mich und sie. Denn gern möchte ich ihr Schläge geben und sie dann wieder liebhaben. Sie aber wollte das Tuch zerschneiden zwischen sich und mir, und sie hat gerungen gegen mein Schwert; ob sie meint, daß ich ihr das vergesse? – Was aber den Römer betrifft, so ist mir‘s im Herzen lieb, daß ihm nicht sein Wille geschieht, denn nichtswürdig war die Forderung, und herrisch war der Bote. Jetzt will auch ich ihm Silber statt dem Gold bieten, das er sich begehrt. Und am anderen Morgen lud der König den erstaunten Harietto und sprach: »Um des großen Cäsars willen habe ich alles getan und ausgeführt, was die Königsehre mir gestattet und nicht mehr. Dem Gebannten habe ich das Gastrecht aufgekündigt und ihn ohne Geleit entlassen, damit er aus meinem Lande weiche. Und er trabt jetzt wohl schon weit von hier über die Heide.« Als der König wieder in sein Schatzhaus ging und sein Angesicht in der Schüssel betrachtete, da sprach er seufzend zu sich selbst: »Eine Sorge wich, aber eine größere kam; nur eines ist mir lieb, es ist ein ehrliches Gesicht, das ich schaue.«

9. Zur Idisburg

Auch in den jungen Männern der Walddörfer regte sich die Reiselust, als die Reiser der Bäume vom Safte schwollen und das junge Laub aus den Knospen brach. Es war ein heimliches Summen in den Höfen, und frische Gesellen hielten im Waldversteck stillen Rat; denn nicht die Alten und Weisen des Gaues hatten den Auszug geboten, und nicht die heiligen Opfer des Gaues sollten ihn weihen, nur Unzufriedene lösten sich von der lieben Heimat, willkürlich und auf eigene Gefahr, weil ihnen der Sinn nach besseren Landlosen stand. Anfangs waren nur wenige entschlossen, ihr Glück in der Fremde zu suchen, vor ihnen Baldhard und Bruno, Söhne des Bero; bald aber ergriff die Sehnsucht auch andere, jüngere Söhne ehrbarer Wirte, neben ihnen wilde Gesellen und Waldläufer, die sich lieber rauften als bauten, auch manchen Hausvater, dem seine Nachbarn gehässig waren. Manchen hatte auch ein Mädchen, welches ihm lieb war, heimlich gemahnt, vor der Reise warb er um sie, und wo der Töchter mehre im Hause waren, wagte der Vater sein Kind an die ferne Hoffnung. Diesmal war es kein Zug in unbekannte Ferne, auf dem der Mond und die Sterne führen, der wehende Wind oder der fliegende Rabe; denn die neuen Siedelstätten lagen nur wenige Tagereisen von der Gaugrenze, und die Reise ging durch Wälder und Marken von Landgenossen, die in früheren Geschlechtern denselben Weg gezogen waren. Deshalb sorgten die Fahrenden wenig um Waffengefahr auf dem Wege und nicht sehr um Nahrung und Viehfutter. Auch da, wo sie bauen wollten, durften sie freundlichen Gruß hoffen, denn ein kluger Wirt hatte im voraus sorglich um ihre Reise gehandelt und mit dem Volke, dem sie zuzogen, Vertrag geschlossen. Und doch rüsteten die Wanderlustigen ihre Abfahrt noch heimlicher, als sonst Brauch war; denn nicht alle Häupter des Gaues freuten sich der Reise, durch welche die Zahl ihrer jungen Krieger gemindert wurde, nicht Fürst Answald und nicht das Geschlecht des Sintram, und diese suchten dem Drange zu wehren, soweit ihre Macht reichte. Auch den Eifer des Königs hatten die Fahrenden zu fürchten, denn er mochte ihnen die Besiedelung stören, bevor sie auf dem neuen Grunde festgewurzelt waren. Darum hatten sich die Wanderlustigen in nächtlichem Rate zusammengeschworen und die Söhne des Bero zu Führern gewählt, in den letzten Monaten hatten sie für die Fahrt gerüstet, Beisteuer in ihrer Freundschaft erbeten, Wagen und Ackergerät gezimmert und um Vieh gehandelt, soweit sie vermochten. Und sie wollten einzeln und mit wenig Geräusch aufbrechen, um sich jenseit der Gaugrenze zu geordnetem Zuge zu sammeln.

 

Im ersten Morgenlicht standen die Wagen mit Saatkorn und Hausrat bepackt. Über dem festen Bohlengefüge spannte sich die Decke von Leder, die gejochten Rinder brüllten, Frauen und Kinder trieben das Herdenvieh hinter dem Wagen zusammen, und große Hunde, die treuen Begleiter der Fahrt, umbellten das Fuhrwerk. Die Geschlechtsgenossen und Nachbarn trugen zum Abschied herzu, was als Reisekost diente oder ein Andenken an die Heimat sein konnte. Durchaus nicht fröhlich war der Abschied, auch dem mutigen Mann bangte heimlich vor der Zukunft. War das neue Land auch nicht endlos weit, fast allen war es unbekannt, und unsicher war, ob die Götter der Heimat auch dort Schutz gewährten und ob nicht schädliche Würmer und Elbe Vieh und Saat zerstören wollten oder feindliche Männer die Höfe abbrennen. Auch die Kinder fühlten das Grauen, sie saßen still auf den Säcken, und die Kleinen weinten, obgleich die Eltern ihnen Haupt und Hals mit heilkräftigem Kraut umkränzt hatten, das den Göttern lieb ist. Mit der aufgehenden Sonne erhoben sich die Fahrenden, der älteste ihres Geschlechts oder eine weise Mutter sprach ihnen den Reisesegen, und alle flehten murmelnd um gutes Glück und bannten durch Zauberspruch die schädlichen Waldtiere und schweifende Räuber. Die anderen Dorfleute aber, welche daheim blieben, blickten scheu auf die Wanderer wie auf verlorene Menschen, unheimlich dünkten ihnen die Frevler, welche sich von dem Segen der Heimat lösten. Denn immer zog es die Landgenossen mächtig nach der Ferne, und doch graute ihnen immer vor einem Leben fern von den Heiligtümern, von Sitte und Recht der Heimat.

Die Wagen bewegten sich knarrend zu den Bergen, von der Höhe sahen die Wanderer noch einmal nach dem Dorf ihrer Väter zurück und neigten sich grüßend gegen die unsichtbaren Gewalten der Flur; mancher unzufriedene Gesell warf auch einen Fluch zurück wider seine Feinde, die ihm die Heimaterde verleidet hatten. Dann nahm alle der Bergwald auf. Mühsam war die Fahrt auf steinigen Wegen, in welche das Schneewasser tiefe Furchen gerissen hatte, oft mußten die Männer von den Rossen steigen und mit Haue und Spaten die Bahn fahrbar machen, wild erscholl Ruf und Peitschenschlag der Treiber, die Knaben sprangen hinter den Wagen und hemmten den Rücklauf durch Steine, und doch zerrten die Zugtiere machtlos, bis ein Gespann dem anderen half oder Männer und Frauen die starken Schultern an die Räder stemmten. War die Reise wegsamer, dann umritten die Männer spähend den Zug mit gehobener Waffe, bereit zum Kampfe gegen Raubtiere oder rechtlose Waldläufer. Als die Wanderer aber nach der ersten Tagfahrt das einsame Waldtal erreichten, welches zur Versammlung bestimmt war, da wurde die Mühe des Tages über der Freude vergessen, Landsleute in der Wildnis vor sich zu sehen; hell jauchzten die Kommenden von der Höhe, und die Lagernden antworteten mit gleichem Ruf, auch solche, die sich sonst wenig gekannt, begrüßten einander wie Brüder. Die Männer traten zuhauf, und Baldhard, ein meßkundiger Mann, bezeichnete den Lagerraum mit Stäben. Dort wurden die Zugtiere abgeschirrt, die Wagen zu einer Burg zusammengestoßen und im Ringe herum die Nachtfeuer auf zusammengetragenen Steinen entzündet. Während die Haustiere weideten, von bewaffneten Jünglingen und von den Hunden gehütet, bereiteten die Frauen die Abendkost; die Männer aber schlugen aus Stangenholz den nächtlichen Pferch für die Herde, verteilten die Wachen und holten aus den Wagen, was sie von kräftigem Trunk mitgebracht hatten; dann lagerten sie und sprachen bedächtig von dem guten Weideland, das sie am Idisbach hofften, und von dem endlosen Wald im Süden der Berge, wie steinig der Baugrund, wie steil die Gelände und wie darum dies Bergland spärlich bewohnt sei. Als das Mahl beendet war, wurden die wertvollsten Rosse und Rinder im Wagenringe gesammelt und die schlaftrunkenen Kinder unter dem Lederdach geborgen. Nach ihnen stiegen die Frauen in das enge Gemach, nur die Männer saßen noch eine Weile beim Trinkhorn gesellt, bis auch ihnen die Augen schwer wurden und die kalte Nachtluft ihre Fröhlichkeit hemmte. Da hüllten sie sich in Pelze und Decken und legten sich an die Feuer oder unter die Wagen. Es wurde stiller, nur der Wind blies von den Bergen, die Wächter umschritten den Wagenring und den Pferch und warfen zuweilen Holzscheite in die lodernden Feuer. Aber unablässig bellten die Hunde, denn aus der Ferne klang heiseres Geheul, und um den Flammenring trabten gleich Schatten im aufsteigenden Nebel die begehrlichen Raubtiere.

In solcher Weise zogen die Wanderer drei Tage langsam durch den Bergwald, der Regen rann auf sie nieder, und der Wind trocknete ihnen die durchnäßten Kleider. Zuweilen hielten sie in den Tälern an Höfen ihrer Landsleute, dort trafen sie entweder wilde Gesellen, die durch den Kampf mit dem Walde gehärtet waren, oder ärmliche Siedler, welche über den rauhen Ackerboden klagten und auch den Reisenden das Herz schwer machten. Am vierten Morgen zogen sie bei dem hölzernen Turmgerüst vorüber, welches an der Landesmark der Thüringe gezimmert war; erstaunt sah der Wächter, der im Hofe daneben wohnte und sonst wenig um reisende Haufen zu sorgen hatte, auf die Fahrenden; diese aber riefen ihm laute Grüße zu, denn er war, obgleich nur ein einsamer Waldmann, der letzte ihres Volkes. Von da durchfuhren sie eine Stunde die Grenzwildnis; unfruchtbare Kieshöhen mit knorrigen Kiefern, wo niemals ein Siedler einen Hof gebaut hatte und selten der Schlag einer Axt erklungen war, denn unheimlich lag der Strich, und schädliche Geister fuhren, wie man sagte, die Grenze entlang, weil sie ausgeschlossen waren von dem Boden, den gute Volksgötter für die seßhaften Männer behüteten. Aber jenseit des Kieferwaldes sahen die Siedler von der Höhe freudig in ein weites Tal, das mit ansehnlichen Hügeln und dichtem Laubwald eingefaßt war. Dort zog sich in gewundenem Lauf der Idisbach durch die Wiesen, und am Fuß der Anhöhen lagen Höfe und geteiltes Ackerland. Lustig schien die Sonne über das helle Grün und das sprossende Laub, die Rosse schnoben, als sie die frische Talluft witterten, und die Rinder brüllten der Weide entgegen, die Wanderer aber hoben die Arme flehend zu der Göttin auf, welche über dem Tal waltete und die Leben der Männer wohl zu behüten vermochte, wenn sie ihr lieb wurden.

Ein reisiger Mann sprengte den Wanderern entgegen und wirbelte schon von weitem grüßend seinen Speer in der Luft, ihm jauchzten die Ansiedler zu, da sie ihren Landgenossen Wolf erkannten; auch die Frauen drängten sich an sein Roß, und die Kinder streckten die kleinen Hände aus den Wagen. »Heil sei euch, liebe Landsleute,« rief Wolf, »vollbracht ist die Fahrt. Lagert an den Höfen, denn auf jenem Hügel harren die Weisen des Gaues am Opferstein, den Bund festzumachen, damit ihr rechtlich werdet im Volke und eure Landlose gewinnet.« Da rührten sich alle mit neuem Eifer und zogen auf trockenem Rasenweg zu Tale.

Und Baldhard begann vertraulich zu Wolf, der neben ihm ritt: »Von der Königsburg der Thüringe fuhrt ihr bei Nacht und Nebel an unserem Hofe vorüber wie unmenschliche Gestalten der Finsternis. Damals war kaum Zeit, dir die Hand zu drücken und die Tage unserer Reise zu bereden. Seitdem haben wir nichts von euch gehört und gesehen, ich hatte große Sorge um euer Geschick und mußte doch vor den anderen meine Zweifel verbergen.«

Wolf lachte. »Die Vandalen verstehen die Kunst, sich unsichtbar zu machen, und ich meine, vor allen anderen stammt Berthar, der Held, von dem Geschlecht der Waldelbe, denn er tummelt sich unter dem wilden Farnkraut so heimisch wie wir im Dorfe, auch wenn er als ein Fremder durchreitet. Sogar ihre Rosse legen sich im Waldversteck nieder wie lauernde Hündlein. Wir sind ganz ungesehen über die Grenze gestoben und in dies Land gedrungen. Hier fanden wir guten Empfang, dein Vater hatte vorsorglich alles bereitet. Mein Herr Ingo waltet jetzt hier als Häuptling, und die Bauern der Marvinge werden, wie ich merke, seiner froh. Die Leute hier aber wirst du als altväterisch und ehrbar erkennen. Sie trinken ihr Bier noch aus dicken Näpfen von Eichenholz, welche wahrhaftig schwer zu heben sind, doch der Trank ist rühmlich. Wir aber haben seither wenig Muße gehabt, ein Teil von uns schanzt mit Hammer und Axt auf den Bergen, und andere sind dem Herrn nach Süden über den Main gefolgt zu den Burgunden. Heut kommt ihr zu guter Stunde, denn der Häuptling, dem ihr euch geloben wollt, ist gerade jetzt zurückgekehrt. Fürst Ingo erwartet euch beim Volksopfer.«

»Siehst du den Helden Berthar,« versetzte Baldhard, »so gib ihm dies von Frida, meiner Schwester, sie befahl mir‘s ernstlich, es sei für ihn im Herrenhofe gewunden.« Und er legte einen Knäuel in die Hand des anderen.

Von der Lagerstatt schritten die Thüringe einem Berge zu, der sein rundes Haupt über die anderen Höhen erhob. Vor dem letzten Anstieg hielt Ingo mit seinem Gefolge zu Roß, die Vandalen sprangen ab, als die Siedler nahten, und riefen ihnen frohen Gruß zu. Auch die Thüringe wurden mutig, da sie den Helden vor sich sahen, dem sie einst in ihrer Heimat Gastrecht gegeben hatten und der ihnen jetzt ein guter Führer in der Gefahr und ein gerechter Richter sein konnte. Ingo führte die Scharen den Berg hinauf zum Opferstein, wo die Männer des Tales dichtgedrängt standen, vor ihnen Marvalk, der Greis, ihr Opfermann. In drei Haufen sonderten sich die Opferer am Stein, dreimal drei Stiere wurden den guten Göttern an den Stein geführt, drei für jedes Volk. Über den Opferkessel banden sich die Männer zu einem Bunde und gelobten, den Helden Ingo als Häuptling zu ehren. Darauf wurde im Baumschatten das Opfermahl gerüstet, und allen erschien als ein gutes Angebinde, als der Häuptling sich erhob und seinem Volk verkündete, daß der alte Streit um die Landesmark mit den Burgunden verglichen sei.

Von dem Opfermahl ritt Ingo mit Berthar talab einer anderen Höhe zu, auf welcher die Vandalen ihr Heimwesen schanzten. Auf dem Wege sprach er fröhlich: »So haben wir uns mit zwei Königen vertragen und mögen hier wohl gedeihen, wenn die Götter uns gnädig bleiben. Deinem Kriegszug mit den Burgunden danke ich, daß es mir bei König Gundomar gelang; er grollt jetzt dem Übermut der Römer und wird, wie ich hoffe, in der nächsten Zeit Frieden halten.«

»Unterdes bauen wir uns hier fest zwischen den Steinen,« lachte Berthar, »und nach wenig Jahren soll es auch einem großen Volkskönig schwer werden, uns die neuen Sitze zu brechen. Sieh dort, mein König, die Stätte deines eigenen Hofes.«

Von einer waldbewachsenen Bergleite ragte ein steiler Felsenhügel wie eine Bergnase über das Tal des Idisbaches, von der Höhe dahinter durch eine Einbuchtung geschieden. Der Berg hob sich stolz aus dem grünen Tal, auf seinem Gipfel trug er alte Eichbäume als den einzigen Laubschmuck. Denn an den Seiten des Berges waren die Stämme gefällt und über der halben Höhe mit Felsgestein und Erde zu dichtem Verhau geschichtet, davor ein Graben gezogen, der so weit von dem Gipfel entfernt war, daß keine Wurfwaffe zur Höhe hinaufreichte. Klug hatte der Alte die Rinnsale des Wassers und kleine Schluchten benutzt, um gesicherte Wege von dem Gipfel zum Ringwall zu führen, damit am Tage des Kampfes die Belagerten auf und ab eilen konnten, ohne daß der Feind aus der Tiefe sie traf; den verschanzten Abhang aber hatte er so geböscht, daß von dem beherrschenden Gipfel Steine und Wurfspeere freie Bahn niederwärts fanden. Da, wo der Burghügel sich an die Bergleite schloß, war der Graben tiefer, der Wall höher. Auf dieser Seite sprang ein starker Quell unter einem Felshaupt hervor, innerhalb des äußeren Walls, nicht sehr weit vom Gipfel des Berges. Dort hatten die zimmernden Männer den Baumschatten bewahrt, damit der Zugang zum Quell schattig und sicher sei. Aber auch der Gipfel des Hügels war geebnet und längs seinem Rande ein zweiter Wall aus Steinen und Stammholz geschichtet. Er umschloß die Eichen und einen Raum, der groß genug war, um in der Not Herdenvieh, Weiber und Kinder der Siedler einzufassen. Da, wo der steile Reitweg vom Tale durch den Ringwall zur Burg führte, sperrte ein Tor und ein Holzturm für den Wächter den Zugang. Auf der höchsten Stelle des Gipfels inmitten zwischen den Bäumen zimmerten die Mannen Ingos aus großen Balken die Halle des Königs; daneben bezeichneten Stäbe im Boden die Stellen, wo die Wohnung der Mannen, der Stall für Rosse und Rinder und die Vorratsräume erbaut werden sollten. Damit aber dem König in der Bauzeit das Gemach nicht fehle, war ihm in dem Wipfel der höchsten Eiche ein Baumhaus errichtet. Zwischen die starken Äste hatten die Knaben wagerechte Balken gefügt, darüber Dielen genagelt, die inneren Eichenzweige abgehauen oder nach außen gezogen, den freien Raum im Laube mit Bohlen so umschlagen, daß zwei Stockwerke übereinander im Wipfel standen. Am Stamm lief die schmale Treppe hinauf, jedes der beiden Gemächer war nach unten durch eine Falltür geschlossen.

 

Freudig sah Ingo auf die getane Arbeit. Noch freudiger führte ihn der alte Werkmeister von Stelle zu Stelle. »Vogelfrei kamen wir in dies Land,« sprach er lachend, »unter den Vögeln soll mein König hausen, bis Herdsitz und Halle bereitet ist. Und sieh, dort unten am Bach der Schicksalsfrau richten die Knaben der Thüringe bereits die Wagenburg an der Stätte, wo sie ihr Dorf bauen werden. Zu ihnen stellte ich deinen Kämmerer Wolf, denn kundig ist er ihres Landbrauchs. Sieh weiter hinab in den Grund, dort ist ein wonniges Land für Rinderherden, und aus dem Walde dahinter schreit der Hirsch und brüllt der wilde Ochs. In der Ferne aber nach Süden, wo der Idisbach in den Main rinnt, schaust du die grauen Wälder der Burgunden und die Hügel, auf denen sie sich ihre Grenzburgen geschichtet haben.«

»Das Bauer ist gezimmert,« antwortete Ingo, dem Treuen die Hand reichend, »aber die Waldsängerin, die ich darin bergen will, klagt jenseit der Berge. Das Größte ist noch zurück. Freudenlos fahre ich umher, und die Angst um das Schicksal der anderen drückt mir den Atem.«

»Nimm dazu meine Botschaft. Dies sandte Beros Tochter aus dem Herrenhofe«, antwortete Berthar und zog eine Schnur gereihter Haselnüsse hervor. »Merke, mein König, sinnvoll hat das Mädchen dir die Frist gesteckt. Die erste Frucht, halb weiß, halb schwarz, meint die Zeit der Nachtgleiche, jede andere einen folgenden Tag, auf jede siebente ist das Bild des wechselnden Mondes geritzt, die letzte Nuß ist schwarz, und eine Eisennadel steckt darin, diese bedeutet, wie ich verstehe, den Tag, welcher zur Vermählung bestimmt ist. Jetzt zähle, Herr. Kurz ist die Frist, die dir bleibt; zum letztenmal hat der Mond gewechselt.«

Da rief Ingo: »Wähle mir, Vater, die Blutgenossen für verwegene Tat und rüste nach dem Brauch unserer Heimat die Männer und Rosse für den Vandalenritt in der Schwärze. Du aber flehe mit uns zu den Nachtgeistern um Sturm und Finsternis.«

Über den Waldlauben zogen die schwarzen Wolken dahin, die Schatten dehnten sich und glitten wieder zusammen, bald fuhr es beim Mond vorüber wie Manneshaupt, bald wie goldschimmernder Fuß eines Rosses. Von den Bergeshäuptern wälzte sich dichter Nebel herab, bleigrau wand er sich um die Höhen, floß in die Täler und hüllte in gräulichen Dämmer, was auf der Erde ragte, Fels und Laub und den schreitenden Mann. Der Wind heulte über die Berge langhallenden Klageruf und schüttelte die Wipfel der Bäume, daß sie ihre Äste tief gegen das Tal neigten; hier und dort dröhnte es im Walde von schwerem Fall, alte Urstämme, vom Moder gehöhlt, brachen zusammen, Baum stürzte auf Baum und riß die belasteten, welche unter ihm krachten, tief hinunter in das enge Tal. Schreiend fuhr das Volk der Raben auseinander und wirbelte abwärts in die Kluft, wo die gescheuchten mit Schnabel und Fängen sich festklammerten. Unten aber rauschte zornig die Schaumflut des Baches, sie schwoll gegen die Baumsperre und hob sich von Fels zu Fels, in tollem Wirbel kreisten darin die Äste und Stämme, und der Wasserschwall schlug an die Berge.

Über das Waldgebirge breitete sich ein fahler Lichtschein, vielleicht kam er aus dem Boden, vielleicht aus den Wolken des Himmels, undeutlich sah man die Berge über die schwarze Nacht der Talgründe ragen. Plötzlich flammte ein Blitzstrahl. Und wilder als Brausen des Waldes und Gekrach der Bäume klang der Herrenruf des Donnergottes.

Ingo stand hoch über dem Gießbach, mit der Faust hielt er sich fest an einer Wurzel, die seitwärts aus dem Boden ragte, und ehrfurchtsvoll neigte er sein Haupt zu Strahl und Donnerton. »Unter den Nachtgöttern, die ich mir zur Hilfe beschwor, nahst auch du,« murmelte er, »starker Gebieter, was kündet dem flehenden Mann die Himmelsflamme, in der du daherfährst? Mahnst du mich hinweg von der Menschenerde in die Lichthallen, und soll ich zerbrechen, wie die Waldwipfel im Sturme, oder willst du mir vergönnen, daß ich der Frucht gleich, die von deinem Baume fällt, festhafte in den Tälern, wo Menschen wohnen? Hast du ein Zeichen für mich, so laß mich vernehmen, ob die Tat, die ich wagen will, mir zum Heile gelingt.« Da fuhr ein Feuerstrahl aus der Wolke in den Felsen unter ihm, und aus dem Fels flammte blaues Licht dem Blitzschlag entgegen, der Donner krachte, das Felshaupt löste sich und sank in Sprüngen hinab von der Höhe in das Tal, immer wilder die Sätze und schneller der Sprung, es brach durch den Wald und splitterte den Stein, bis es in den Gießbach schlug, daß der Gischt hoch gegen den Himmel sprühte. Aber dem Schlag und Getöse folgte Stille, und aus der Ferne klang mahnend ein Nachtruf von Männerstimmen. Da rief Ingo in wilder Freude: »Die Hochzeitsknaben höre ich, sie laden zum Brautlauf; segne unser Werk, großer Gebieter«, und die Waffe schwingend sprang er durch Wetterwolken und schwarze Nacht dem Tale zu.

Der Mond war hinter den Bergen geschwunden, schwarze Nacht deckte die Waldlauben, mit Getöse fuhren die Sturmriesen um die Häuser des Herrenhofes, sie schlugen den eisigen Regen auf die Dächer, schleuderten die Bretter vom First der Halle und stießen brüllend gegen die geschlossenen Tore. Wer von den Männern im Toben der Nachtgewalten erwachte, der barg scheu das Haupt in seinem Pfühl, selbst die Hofhunde lagen winselnd in den Hütten und unter der Treppe. Im Gemach der Jungfrau flackerte das Licht der Lampe in der scharfen Zugluft, die durch Tür und Wände drang. Irmgard saß an ihrem Lager, vor ihr kniete auf dem Boden Frida, hielt mit ihren Armen den Leib der Gespielin umfaßt und horchte ängstlich auf das Geheul der Nachtgeister.

»Die Windsbraut fährt dahin über die Höfe,« klagte Irmgard, »gejagt von den Riesen; wer es wagt, sein Messer in den Wirbel zu werfen, der verwundet, so sagen sie, das flüchtige Weib. Auch mich hat der Vater mit dem Messer bedroht, weil ich auf meinen Knien flehte, mir morgen das Gelübde an den argen Mann zu erlassen. Dahinfahren will ich wie die Riesenbraut, bevor ich dem Verhaßten die heiligen Worte sage.«