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Madame Bovary

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»Ein hübscher Strauß!« sagte er, als er auf dem Kamin Leos Veilchen bemerkte.

»Ja!« erwiderte sie gleichgültig. »Ich habe ihn einer armen Frau abgekauft.«

Karl nahm die Veilchen und hielt sie wie zur Kühlung vor seine von Tränen geröteten Augen und sog ihren Duft ein. Sie riß sie ihm aus der Hand und stellte sie in ein Wasserglas.

Am andern Morgen traf die alte Frau Bovary ein. Sie und ihr Sohn weinten lange. Emma verschwand unter dem Vorwand, sie habe in der Wirtschaft zu tun.

Am Tage nachher beschäftigten sich die beiden Frauen mit den Trauerkleidern. Sie setzten sich mit ihrem Nähzeug in die Laube hinten im Garten am Bachrande.

Karl dachte an seinen Vater und wunderte sich über seine große Liebe zu diesem Mann, die ihm bis dahin gar nicht weiter zum Bewußtsein gekommen war. Auch Frau Bovary grübelte über den Toten nach. Jetzt fand sie die schlimmen Tage von einst begehrenswert. Ihr Joch war ihr so zur alten Gewohnheit geworden, daß sie nun Sehnsucht darnach empfand. Ab und zu rann eine dicke Träne über ihre Nase und blieb einen Augenblick daran hängen. Dabei nähte sie ununterbrochen weiter.

Emma dachte, daß kaum achtundvierzig Stunden vorüber waren, seit sie und der Geliebte zusammengewesen waren, weltentrückt, ganz trunken und nimmer satt, einander zu sehen. Sie versuchte sich die kleinsten und allerkleinsten Züge dieses entschwundenen Tages ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber die Anwesenheit ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter störte sie. Sie hätte nichts hören und nichts sehn mögen, um nicht in ihren Liebesträumereien gestört zu werden, die gegen ihren Willen unter den äußeren Eindrücken zu verwehen drohten.

Sie trennte das Futter eines Kleides ab, das sie um sich ausgebreitet hatte. Die alte Frau Bovary handhabte Schere und Nadel, ohne die Augen zu erheben. Karl stand, beide Hände in den Taschen, in seinen Tuchpantoffeln und seinem alten braunen Überrock, der ihm als Hausanzug diente, bei ihnen und sprach auch kein Wort. Berta, die ein weißes Schürzchen umhatte, spielte mit ihrer Schaufel im Sande.

Plötzlich sahen sie Lheureux, den Modewarenhändler, kommen.

Er bot in Anbetracht des »betrüblichen Ereignisses« seine Dienste an. Emma erwiderte, sie glaube darauf verzichten zu können, aber der Händler wich nicht so leicht.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung,« sagte er, »aber ich muß Herrn Doktor um eine private Unterredung bitten.« Und flüsternd fügte er hinzu: »Es ist wegen dieser Sache … Sie wissen schon….«

Karl wurde rot bis über die Ohren.

»Gewiß … freilich … natürlich!«

In seiner Verwirrung wandte er sich an seine Frau:

»Könntest du das nicht mal … meine Liebe…?«

Sie verstand ihn offenbar und erhob sich. Karl sagte zu seiner Mutter:

»Es ist nichts weiter! Wahrscheinlich irgend eine Kleinigkeit, die den Haushalt betrifft.«

Er fürchtete ihre Vorwürfe und wollte nicht, daß sie die Vorgeschichte des Wechsels erführe.

Sobald sie allein waren, beglückwünschte Lheureux Emma in ziemlich eindeutigen Worten zur Erbschaft und schwatzte dann von gleichgültigen Dingen, vom Spalierobst, von der Ernte und von seiner Gesundheit, die immer »so lala« sei. Er müßte sich wirklich höllisch anstrengen und, was die Leute auch sagten, ihm fehle doch die Butter zum Brote.

Emma ließ ihn reden. Seit zwei Tagen langweilte sie sich entsetzlich.

»Und sind Sie völlig wiederhergestellt?« fuhr er fort. »Ich sag Ihnen, ich habe Ihren armen Mann in einer schönen Verfassung gesehn! Ja, ja, er ist ein guter Mensch, wenn wir uns auch ordentlich einander in die Haare gefahren sind.«

Sie fragte, was das gewesen sei. Karl hatte ihr nämlich die Streitigkeit wegen der gelieferten Waren verschwiegen.

»Aber Sie wissen doch! Es handelte sich um Ihre Sachen zur Reise….«

Er hatte den Hut tief in die Stirn hereingezogen, die Hände auf den Rücken genommen und sah ihr, lächelnd und leise redend, mit einem unerträglichen Blick ins Gesicht. Vermutete er etwas? Emma verlor sich in allerlei Befürchtungen. Inzwischen fuhr er fort:

»Aber wir haben uns schließlich geeinigt, und ich bin gekommen, ihm ein Arrangement vorzuschlagen….«

Es handelte sich darum, den Wechsel, den Bovary ausgestellt hatte, zu erneuern. Übrigens könne der Herr Doktor die Sache ganz nach seinem Belieben regeln; er brauche sich gar nicht zu ängstigen, noch dazu jetzt, wo er gewiß mit Sorgen überhäuft sei.

»Das beste wäre ja, wenn die Schuld jemand anders übernähme. Sie zum Beispiel. Durch eine Generalvollmacht. Das wäre das Bequemste. Wir könnten dann unsere kleinen Geschäfte miteinander abmachen.«

Sie begriff nicht recht, aber er sagte nichts weiter. Dann kam er auf sein Geschäft zu sprechen und erklärte ihr, sie müsse unbedingt etwas nehmen. Er wolle ihr zwölf Meter Barege schicken, zu einem neuen schwarzen Kleide.

»Das, was Sie da haben, ist gut fürs Haus. Sie brauchen noch noch ein andres für die Besuche. Gleich beim Eintreten habe ich das bemerkt. Ja, ja, ich habe Augen wie ein Amerikaner!«

Er schickte den Stoff nicht, sondern brachte ihn selbst. Dann kam er nochmals, um Maß zu nehmen, und dann unter allen möglichen anderen Vorwänden wieder und wieder, wobei er sich so gefällig und dienstbeflissen wie nur möglich stellte. Er stand »gehorsamst zur Verfügung«, wie Homais zu sagen pflegte. Dabei flüsterte er Emma immer wieder irgendwelche Ratschläge wegen der Generalvollmacht zu. Den Wechsel erwähnte er nicht mehr, und Emma dachte auch nicht daran. Karl hatte wohl kurz nach ihrer Genesung mit ihr darüber gesprochen, aber es war ihr seitdem so viel durch den Kopf gegangen, daß sie das vergessen hatte. Sie hütete sich überhaupt, Geldinteressen an den Tag zu legen. Frau Bovary wunderte sich darüber, aber sie schrieb das der Frömmigkeit zu, die zur Zeit der Krankheit in ihr erstanden sei.

Sobald die alte Frau jedoch abgereist war, setzte Emma ihren Gatten durch ihren Geschäftssinn in Erstaunen. Man müsse Erkundigungen einholen, die Hypotheken prüfen und feststellen, ob nicht vielleicht ein Nachlaßkonkurs nötig sei. Sie gebrauchte auf gut Glück allerhand juristische Ausdrücke, sprach von Ordnung des Nachlasses, Nachlaßverbindlichkeiten, Haftung usw., und übertrieb immerfort die Schwierigkeiten der Erbschaftsregelung. Eines Tages zeigte sie ihm sogar den Entwurf einer Generalvollmacht, die ihr das Recht übertrug, das Vermögen zu verwalten, Darlehen aufzunehmen, Wechsel auszustellen und zu akzeptieren, jederlei Zahlung zu leisten und zu empfangen usw.

Lheureux war ihr Lehrmeister.

Karl fragte sie naiv, wer ihr die Urkunde ausgestellt habe.

»Notar Guillaumin.« Und mit der größten Kaltblütigkeit fügte sie hinzu: »Ich habe nur nicht das rechte Vertrauen zur Sache. Die Notare stehn in so schlechtem Ruf! Vielleicht müßte man noch einen Rechtsanwalt um Rat fragen. Wir kennen aber nur … nein … keinen.«

»Höchstens Leo«, meinte Karl nachdenklich. Aber es sei schwierig, sich brieflich zu verständigen.

Da erbot sich Emma, die Reise zu machen. Er dankte. Sie bot es nochmals an. Keins wollte dem andern an Zuvorkommenheit nachstehen. Schließlich rief sie mit gut gespieltem Eigensinn aus:

»Ich will aber! Ich bitte dich, laß michs machen!«

»Wie gut du bist!« sagte er und küßte sie auf die Stirn.

Am andern Morgen stieg sie in die Post, um nach Rouen zu fahren und Leo zu konsultieren. Sie blieb drei Tage fort.

Kapitel 3

Es waren drei erlebnisvolle, köstliche, wunderbare wahre Flitterwochentage.

Die beiden wohnten im Boulogner Hof am Hafen. Dort hausten sie bei verschlossenen Türen und herabgelassenen Fensterläden, unter überallhin gestreuten Blumen und bei Fruchteis, das man ihnen alle Morgen in der Frühe brachte.

Abends mieteten sie einen überdeckten Kahn und aßen auf einer der Inseln.

Es war die Stunde, da man von den Werften her die Hämmer gegen die Schiffswände schlagen hörte. Der Dampf von siedendem Teer stieg zwischen den Bäumen empor, und auf dem Strome sah man breite ölige, ungleich große Flecken, die im Purpurlichte der Sonne wie schwimmende Platten aus Florenzer Bronze glänzten.

Sie fuhren zwischen den vielen vor Anker liegenden Flußkähnen hindurch, und bisweilen streifte ihre Barke die langen Ankertaue. Das Geräusch der Stadt, das Rasseln der Wagen, das Stimmengewirr, das Bellen der Hunde auf den Schiffen wurde ferner und ferner. Emma knüpfte ihre Hutbänder auf.

Sie landeten an »ihrer Insel«. Sie setzten sich in eine Herberge, vor deren Tür schwarze Netze hingen, und aßen gebackene Fische, Omeletten und Kirschen. Dann lagerten sie sich ins Gras, küßten einander im Schatten der hohen Pappeln und hätten am liebsten wie zwei Robinsons immer auf diesem Erdenwinkel leben mögen, der ihnen in ihrer Glückseligkeit als das schönste Fleckchen der ganzen Welt erschien. Sie sahn die Bäume, den blauen Himmel und das Gras nicht zum ersten Male, sie lauschten nicht zum erstenmal dem Plätschern der Wellen und dem Wind, der durch die Blätter rauschte, aber es war ihnen, als hätten sie das alles niemals so genossen, als wäre die Natur vorher gar nicht dagewesen oder als wäre sie erst schön, seitdem ihr Begehren gestillt war.

Wenn es dunkel ward, kehrten sie heim. Der Kahn fuhr am Gestade von Inseln entlang. Die beiden saßen im Dunkeln auf der Bank unter dem hölzernen Verdeck und sprachen kein Wort. Die vierkantigen Ruder knirschten durch die Stille in ihren eisernen Gabeln, taktmäßig wie ein Uhrwerk. Hinter ihnen rauschte das Wasser leise um das herrenlose Steuer.

Einmal erschien der Mond. Da schwärmten sie natürlich vom stillen Nebelglanz über Busch und Tal und seinen Melodien. Und Emma begann sogar zu singen:

 
»Weißt du, eines Abends
Fuhren wir dahin….«
 

Ihre metallische, aber schwache Stimme verhallte über der Flut, vom Wind entführt. Wie sanfter Flügelschlag streifte der Sang Leos Ohr.

 

Emma saß an die Rückwand der kleinen Kabine gelehnt. Durch eine offene Luke im Dache fiel der Mondenschein herein und in ihr Gesicht. Ihr schwarzes Kleid, dessen faltiger Rock sich wie ein Fächer ausbreitete, ließ sie schlanker und größer erscheinen. Die Hände gefaltet, hob sie den Kopf und schaute zum Himmel empor. Von Zeit zu Zeit verschwand sie im Schatten der Weiden, an denen der Kahn vorüberglitt, und dann tauchte sie plötzlich wieder auf, im Lichte des Mondes, wie eine Geistererscheinung.

Leo, der sich ihr zu Füßen am Boden des Fahrzeuges gelagert hatte, hob ein Band aus roter Seide auf. Der Bootsmann sah es und meinte:

»Das ist von gestern! Da hab ich eine kleine Gesellschaft spazierengefahren, lauter lustige Leute, Herren und Damen. Sie hatten Kuchen und Champagner mit und Waldhörner. Das war ein Rummel! Da war einer dabei, ein großer hübscher Mann mit einem schwarzen Schnurrbärtchen, der war riesig fidel! Sie baten ihn immer: `Du, erzähl uns mal einen Schwank aus deinem Leben, Adolf!' Oder hieß er Rudolf? Ich weiß nicht mehr….«

Emma fuhr zusammen.

»Ist dir nicht wohl?« fragte Leo und legte ihr die Hand um den Nacken.

»Ach nein, es ist nichts! Es ist ein bißchen kühl.«

»Er mochte auch viel Glück bei den Frauen haben«, redete der Bootsmann leise weiter. Er wollte seinem Fahrgaste offenbar eine Schmeichelei sagen. Dann spuckte er sich in die Hände und begann von neuem zu rudern.

Endlich kam die Trennungsstunde. Der Abschied war sehr traurig. Sie verabredeten, Leo solle durch die Adresse der Frau Rollet schreiben. Emma gab ihm genaue Anweisungen. Er solle doppelte Umschläge verwenden. Er wunderte sich über ihre Schlauheit in Liebesdingen.

»Und das andre ist doch auch alles in Ordnung, nicht wahr?« fragte sie nach dem letzten Kusse.

»Aber gewiß!«

Als er dann allein durch die Straßen heimging, dachte er bei sich:

»Warum macht sie denn eigentlich so viel Wesens mit ihrer Generalvollmacht?«

Kapitel 4

Leo begann vor seinen Kameraden den Überlegenen zu spielen. Er mied ihre Gesellschaft und vernachlässigte seine Akten. Er wartete nur immer auf Emmas Briefe, las wieder und wieder in ihnen und schrieb ihr alle Tage. Er verweilte in Gedanken und in der Erinnerung immerdar voller Sehnsucht bei ihr. Sein heißes Begehren kühlte sich durch das Getrenntsein nicht ab, im Gegenteil, sein Verlangen, sie wiederzusehen, wuchs dermaßen, daß er an einem Sonnabendvormittag seiner Kanzlei entrann.

Als er von der Höhe herab unten im Tale den Kirchturm mit seiner sich im Winde drehenden blechernen Wetterfahne erblickte, durchschauerte ihn ein sonderbares Gefühl von Eitelkeit und Rührung, wie es vielleicht ein Milliardär empfindet, der sein Heimatdorf wieder aufsucht.

Er ging um Emmas Haus. In der Küche war Licht. Er wartete, ob nicht ihr Schatten hinter den Gardinen sichtbar würde. Es erschien nichts.

Als Mutter Franz ihn gewahrte, stieß sie Freudenschreie aus. Sie fand ihn »größer und schlanker geworden«, während Artemisia im Gegensatze dazu meinte, er sähe »stärker und brauner« aus.

Wie einst nahm er seine Mahlzeit in der kleinen Gaststube ein, aber allein, ohne den Steuereinnehmer. Binet hatte es nämlich »satt bekommen«, immer auf die Post warten zu sollen, und hatte seine Tischzeit ein für allemal auf Punkt fünf Uhr verlegt, was ihn indessen nicht hinderte, darüber zu räsonieren, daß der »alte Klapperkasten egal zu spät« käme.

Endlich faßte Leo Mut und klingelte an der Haustüre des Arztes. Frau Bovary war in ihrem Zimmer. Erst nach einerViertelstunde kam sie herunter. Karl schien sich zu freuen, ihn wiederzusehen; aber weder am Abend noch andern Tags wich er von Emmas Seite. Erst nachts kam sie allein mit Leo zusammen, auf dem Wege hinter dem Garten, an der kleinen Treppe zum Bach, wie einst mit dem andern.

Da ein Gewitterregen niederging, plauderten sie unter einem Regenschirm, bei Donner und Blitz.

Die Trennung war ihnen unerträglich.

»Lieber sterben!« sagte Emma.

Sie entwand sich seinen Armen und weinte.

»Lebwohl! Lebwohl! Wann werd ich dich wiedersehn?«

Sie wandten sich noch einmal um und umarmten sich von neuem. Da versprach ihm Emma, sie wolle demnächst Mittel und Wege finden, damit sie sich wenigstens einmal jede Woche sehen könnten. Emma zweifelte nicht an der Möglichkeit. Sie war überhaupt voller Zuversicht. Lheureux hatte ihr für die nächste Zeit Geld in Aussicht gestellt.

Sie schaffte ein Paar cremefarbige Stores für ihr Zimmer an. Lheureux rühmte ihre Billigkeit. Dann bestellte sie einen Teppich, den der Händler bereitwillig zu besorgen versprach, wobei er versicherte, er werde »die Welt nicht kosten«. Lheureux war ihr unentbehrlich geworden. Zwanzigmal am Tage schickte sie nach ihm, und immer ließ er alles stehen und liegen und kam, ohne auch nur zu murren. Man begriff ferner nicht, warum die alte Frau Rollet täglich zum Frühstück und auch außerdem noch häufig kam.

Gegen Anfang des Winters entwickelte Emma plötzlich einen ungemein regen Eifer im Musizieren.

Eines Abends spielte sie dasselbe Stück viermal hintereinander, ohne über eine bestimmte schwierige Stelle glatt hinwegzukommen. Karl, der ihr zuhörte, bemerkte den Fehler nicht und rief:

»Bravo! Ausgezeichnet! Fehlerlos! Spiele nur weiter!«

»Nein, nein! Ich stümpere. Meine Finger sind zu steif geworden.«

Am andern Tag bat er sie, ihm wieder etwas vorzuspielen.

»Meinetwegen! Wenn es dir Spaß macht.«

Karl gab zu, daß sie ein wenig aus der Übung sei. Sie griff daneben, blieb stecken, und plötzlich hörte sie auf zu spielen.

»Ach, es geht nicht, ich müßte wieder Stunden nehmen, aber….« Sie biß sich in die Lippen und fügte hinzu: »Zwanzig Franken für die Stunde, das ist zu teuer.«

»Allerdings … ja….«, sagte Karl und lächelte einfältig, »aber es gibt doch auch unbekannte Künstler, die billiger und manchmal besser sind als die Berühmtheiten.«

»Such mir einen!« sagte Emma.

Am andern Tag, als er heimkam, sah er sie mit pfiffiger Miene an und sagte schließlich:

»Was du dir so manchmal in den Kopf setzt! Ich war heute in Barfeuchères, und da hat mir Frau Liégeard erzählt, daß ihre drei Töchter für zwölf Groschen die Stunde bei einer ganz vortrefflichen Lehrerin Klavierunterricht haben.«

Emma zuckte mit den Achseln und öffnete fortan nicht mehr das Klavier. Aber wenn sie in Karls Gegenwart daran vorbeiging, seufzte sie allemal:

»Ach, mein armes Klavier!«

Wenn Besuch da war, erzählte sie jedermann, daß sie die Musik aufgegeben und höheren Rücksichten geopfert habe. Dann beklagte man sie. Es sei schade. Sie hätte soviel Talent. Man machte ihrem Manne geradezu Vorwürfe, und der Apotheker sagte ihm eines Tages:

»Es ist nicht recht von Ihnen. Man darf die Gaben, die einem die Natur verliehen, nicht brachliegen lassen. Außerdem sparen Sie, wenn Sie Ihre Frau jetzt Stunden nehmen lassen, später bei der musikalischen Erziehung Ihrer Tochter. Ich finde, die Mütter sollten ihre Kinder immer selbst unterrichten. Das hat schon Rousseau gesagt, so neu uns diese Forderung auch anmutet. Aber das wird dermaleinst doch Sitte, genau wie die Ernährung der Säuglinge durch die eigenen Mütter und wie die Schutzpockenimpfung! Davon bin ich überzeugt!«

Infolgedessen kam Karl noch einmal gesprächsweise auf diese Angelegenheit zurück. Emma erwiderte ärgerlich, daß es besser wäre, das Instrument zu verkaufen. Dagegen verwahrte sich Bovary. Das kam ihm wie die Preisgabe eines Stückes von sich selbst vor. Das brave Klavier hatte ihm so oft Vergnügen bereitet und ihn einst so stolz und eitel gemacht!

»Wie wäre es denn,« schlug er vor, »wenn du hin und wieder eine Stunde nähmst? Das wird uns wohl nicht gleich ruinieren!«

»Unterricht hat nur Zweck, wenn er regelmäßig erfolgt«, entgegnete sie.

Und so kam es schließlich dahin, daß sie von ihrem Gatten die Erlaubnis erhielt, jede Woche einmal in die Stadt zu fahren, um den Geliebten zu besuchen. Schon nach vier Wochen fand man, sie habe bedeutende Fortschritte gemacht.

Kapitel 5

An jedem Donnerstag stand Emma zeitig auf und zog sich geräuschlos an, um Karl nicht aufzuwecken, der ihr Vorwürfe wegen ihres zu frühen Aufstehens gemacht hätte. Dann lief sie in ihrem Zimmer herum, stellte sich ans Fenster und sah auf den Marktplatz hinaus. Das Morgengrauen huschte um die Pfeiler der Hallen und um die Apotheke, deren Fensterläden noch geschlossen waren. Die großen Buchstaben des Ladenschildes ließen sich durch das fahle Dämmerlicht erkennen.

Wenn die Stutzuhr ein viertel acht Uhr zeigte, ging Emma nach dem Goldnen Löwen. Artemisia öffnete ihr gähnend die Tür und fachte der gnädigen Frau wegen im Herde die glühenden Kohlen an. Ganz allein saß Emma dann in der Küche.

Von Zeit zu Zeit ging sie hinaus. Hivert spannte höchst gemächlich die Postkutsche an, wobei er der Witwe Franz zuhörte, die in der Nachthaube oben zu ihrem Schlafstubenfenster heraussah und ihm tausend Aufträge und Verhaltungsmaßregeln erteilte, die jeden andern Kutscher verrückt gemacht hätten. Die Absätze von Emmas Stiefeletten klapperten laut auf dem Pflaster des Hofes.

Nachdem Hivert seine Morgensuppe eingenommen, sich den Mantel angezogen, die Tabakspfeife angezündet und die Peitsche in die Hand genommen hatte, kletterte er saumselig auf seinen Bock.

Langsam fuhr die Post endlich ab. Anfangs machte sie allerorts Halt, um Reisende aufzunehmen, die an der Straße vor den Hoftoren standen und warteten. Leute, die sich Plätze vorbestellt hatten, ließen meist auf sich warten; ja es kam vor, daß sie noch in ihren Betten lagen. Dann rief, schrie und fluchte Hivert, stieg von seinem Sitz herunter und pochte mit den Fäusten laut gegen die Fensterläden. Inzwischen pfiff der Wind durch die schlecht schließenden Wagenfenster.

Allmählich füllten sich die vier Bänke. Der Wagen rollte jetzt schneller hin. Die Apfelbäume an den Straßenrändern folgten sich rascher. Aber zwischen den beiden mit gelblichem Wasser gefüllten Gräben dehnte sich die Chaussee noch endlos hin bis in den Horizont.

Emma kannte jede Einzelheit des Weges. Sie wußte genau, wann eine Wiese oder eine Wegsäule kam oder eine Ulme, eine Scheune, das Häuschen eines Straßenwärters. Manchmal schloß sie die Augen eine Weile, um sich überraschen zu lassen. Aber sie verlor niemals das Gefühl für Zeit und Ort.

Endlich erschienen die ersten Backsteinhäuser. Der Boden dröhnte unter den Rädern, rechts und links lagen Gärten, durch deren Gitter man Bildsäulen, Lauben, beschnittene Taxushecken und Schaukeln erblickte. Dann, mit einemmal, tauchte die Stadt auf.

Sie lag vor Emma wie ein Amphitheater in der von leichtem Dunst erfüllten Tiefe. Jenseits der Brücken verlief das Häusermeer in undeutlichen Grenzen. Dahinter dehnte sich flaches Land in eintönigen Linien, bis es weit in der Ferne im fahlen Grau des Himmels verschwamm. So aus der Vogelschau sah die ganze Landschaft leblos wie ein Gemälde aus. Die vor Anker liegenden Zillen drängten sich in einem Winkel zusammen. Der Strom wand sich im Bogen um grüne Hügel, und die länglichen Inseln in seinen Fluten glichen großen schwarzen, tot daliegenden Fischen. Aus den hohen Fabrikessen quollen dichte braune Rauchwolken, die sich oben in der Luft auflösten. In das Dröhnen der Dampfhämmer mischte sich das helle Glockengeläut der Kirchen, die aus dem Dunste hervorragten. Die blätterlosen Bäume auf den Boulevards wuchsen aus den Häusermassen heraus wie violette Gewächse, und die vom Regen nassen Dächer glitzerten stärker oder schwächer, je nach der höheren oder tieferen Lage der Stadtteile. Bisweilen trieb ein frischer Windstoß das dunstige Gewölk nach der Sankt Katharinen-Höhe hin, an deren steilen Hängen sich die luftige Flut geräuschlos brach.

Emma empfand jedesmal eine Art Schwindel, wenn sie die Stadt, diese Ansammlung von Existenzen, so vor sich sah. Das Blut stürmte ihr heftiger durch die Adern, als ob ihr die hundertundzwanzigtausend Herzen, die da unten schlugen, den Brodem der Leidenschaften, die in ihnen lodern mochten, in einem einzigen Hauche entgegensandten. Vor der Gewalt dieses Anblicks wuchs ihre eigene Liebe, und das dumpfe Rauschen des Straßenlärms, das zu ihr heraufdrang, hob ihre Stimmung. Die Plätze, die Straßen, die Promenaden erweiterten und vergrößerten sich vor ihr, und die alte Normannenstadt ward ihr zur Kosmopolis, zu einem zweiten Babylon, in das sie Einzug hielt.

Sie lehnte sich aus dem Wagenfenster hinaus und sog die frische Luft ein. Die drei Pferde liefen schneller, die Steine der schmutzigen Landstraße knirschten, der Wagen schwankte. Hivert rief die Fuhrwerke und Karren an, die vor ihm fuhren. Die Bürger, die aus ihren Landhäusern im Wilhelmswalde zurückkehrten, wo sie die Nacht über geblieben waren, wichen mit ihren Familienkutschen gemächlich aus.

 

Am Eingang der Stadt hielt die Post. Emma entledigte sich ihrer Überschuhe, zog andre Handschuhe an, zupfte ihren Schal zurecht und stieg aus.

In der Stadt wurde es lebendig. Die Lehrjungen putzten die Schaufenster der Läden. Marktweiber mit Körben schrien an den Straßenecken ihre Waren aus. Emma drückte sich mit niedergeschlagenen Augen an den Häusermauern entlang. Unter ihrem herabgezogenen schwarzen Schleier lächelte sie vergnügt. Um nicht beobachtet zu werden, machte sie Umwege. Durch düstre Gassen hindurch gelangte sie endlich ganz erhitzt zu dem Brunnen am Ende der Rue Nationale. Wegen der Nähe des Theaters gibt es dort die meisten Kneipen. Es wimmelt von Frauenzimmern. Ein paarmal fuhren Karren mit Bühnendekorationen an Emma vorüber. Beschürzte Kellner streuten Sand auf das Trottoir, zwischen Kästen mit grünen Gewächsen. Es roch nach Absinth, Zigarren und Austern.

Emma bog in die verabredete Straße ein. Da stand Leo. Sie erkannte ihn schon von weitem an dem welligen Haar, das sich unter seinem Hute zeigte. Er ging ruhig weiter. Sie folgte ihm nach dem Boulogner Hof. Er stieg vor ihr die Treppe hinauf, öffnete die Tür und trat ein….

Eine leidenschaftliche Umarmung! Liebesworte und Küsse ohne Ende! Sie erzählten sich vom Leid der vergangenen Woche, von ihrem Hangen und Bangen, von ihrem Warten auf die Briefe. Aber dann war das alles vergessen. Sie sahen sich von Auge zu Auge, unter dem Lächeln der Wollust und unter dem Geflüster der Zärtlichkeit.

Das Bett war aus Mahagoni und sehr groß. Zu beiden Seiten des Kopfkissens hingen rotseidne weitbauschige Vorhänge herab. Wenn sich Emmas braunes Haar und ihre weiße Haut von diesem Purpurrot abhoben, wenn sie ihre beiden nackten Arme verschämt hob und ihr Gesicht in den Händen verbarg: was hätte Leo Schönres schauen können?

Das warme Zimmer mit seinem weichen Teppich, seiner netten Einrichtung und seinem traulichen Lichte war wie geschaffen zu einer heimlichen Liebe. Wenn die Sonne hereinschien, funkelte alles, was blank im Gemache war, hell auf: die Messingbeschläge an der Tür, an den Gardinenhaltern und am Kamin.

Sie liebten diesen Raum, wenn seine Herrlichkeit auch ein wenig verblichen war. Jedesmal, wenn sie kamen, fanden sie alles so vor, wie sie es verlassen. Mitunter lagen sogar die Haarnadeln noch auf dem Sockel der Standuhr, wo Emma sie am Donnerstag vorher liegen gelassen hatte.

Das Frühstück pflegten sie am Kamin an einem kleinen eingelegten Tisch aus Polisanderholz einzunehmen. Emma machte alles zurecht und legte Leo jeden Bissen einzeln auf den Teller, unter tausend süßen Torheiten. Wenn der Sekt ihr über den Rand des dünnen Kelches auf die Finger perlte, lachte sie lustig auf. Sie waren beide in den gegenseitigen Genuß versunken und vergaßen völlig, daß sie in einer Mietwohnung hausten. Es war Ihnen, als wären sie Jungvermählte und hätten ein gemeinsames Heim, das sie nie wieder zu verlassen brauchten. Sie sagten »unser Zimmer, unser Teppich, unsre Stühle,« wie sie »unsre Pantoffeln« sagten, wobei sie die meinten, die Leo Emma geschenkt hatte: Pantoffeln aus rosa Atlas mit Schwanflaumbesatz. Emma trug sie über den nackten Füßen. Wenn sie sich Leo auf die Knie setzte, pendelte sie mir ihren Beinen und balancierte die zierlichen Schuhe mit den großen Zehen.

Zum ersten Male in seinem Leben genoß er den unbeschreiblichen Reiz einer mondänen Liebschaft. Alles war ihm neu: diese entzückende Art zu plaudern, dieses verschämte Sichentblößen, dieses schmachtende Girren. Er bewunderte ihre verzückte Sinnlichkeit und zugleich die Spitzen ihres Unterrockes. Er hatte eine schicke Dame der Gesellschaft zur Geliebten, eine verheiratete Frau…. Was hätte er mehr haben wollen?

Durch den fortwährenden Wechsel in ihren Launen, die sie bald tiefsinnig, bald ausgelassen machten, bald redselig, bald schweigsam, bald überschwenglich, bald blasiert, rief und reizte Emma in ihm tausend Lüste, Gefühle und Reminiszenzen. Die Heldinnen aller Romane, die er je gelesen, aller Dramen, die er je gesehen, erstanden in ihr wieder. Ihr galten alle Gedichte der Welt. Ihre Schultern hatten den Bernsteinteint der »Badenden Odaliske«, ihr schlanker Leib gemahnte ihn an die edlen Vrouwen der Minnesänger, und ihr blasses Gesicht glich denen, die spanische Meister verewigt hatten. Sie war ihm mehr als alles das: sie war sein »Engel«.

Oft, wenn er sie anblickte, war es ihm, als ergösse sich seine Seele über sie und fließe wie eine Welle über ihr Antlitz und von da herab wie ein Strom auf ihre weiße Brust. Er sank ihr zu Füßen auf den Teppich, schlang beide Arme um ihre Knie, sah zu ihr empor und schaute sie lächelnd an. Und sie neigte sich zu ihm herab und flüsterte wie im Rausche:

»O rühr dich nicht! Sprich nicht! Sieh mich an! Es ist etwas Liebes, Süßes in deinen Augen, das ich so gern habe!«

Sie nannte ihn »mein Junge«.

»Mein Junge, liebst du mich?«

Er bestürmte sie mit Küssen. Eine andre Antwort begehrte sie nicht.

Auf der Stutzuhr spreizte sich ein kleiner kecker Amor aus Bronze, der in seinen erhobenen Armen eine vergoldete Girlande trug. Er machte ihnen viel Spaß. Nur wenn die Trennungsstunde schlug, kam ihnen alles ernsthaft vor.

Unbeweglich standen sie einander gegenüber, und immer wiederholten sie:

»Auf Wiedersehn! Nächsten Donnerstag!«

Plötzlich nahm sie seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände, küßte ihn rasch auf die Stirn, und mit einem »Adieu!« stürmte sie die Treppe hinunter.

Zunächst ging sie jedesmal zum Friseur in der Theaterstraße und ließ sich ihr Haar in Ordnung bringen. Es war schon spät. Im Laden brannten bereits die Gasflammen. Sie hörte das Klingeln drüben im Theater, das dem Personal den Beginn der Vorstellung anzeigte. Durch die Scheiben sah sie, wie Männer mit bleichen Gesichtern und Frauen in abgetragenen Kleidern im hinteren Eingang des Theatergebäudes verschwanden.

Der sehr niedrige Raum war überheizt. Mitten unter den Perücken und Pomaden prasselte ein Ofen. Der Geruch der heißen Brennscheren und der fettigen Hände, die sich mit ihrem Haar zu schaffen machten, betäubte sie beinahe. Es fehlte nicht viel, so wäre sie unter ihrem Frisiermantel eingeschlafen.

Wiederholt bot ihr der Friseur Billette zum Maskenball an.

Dann ging sie fort, die Straßen wieder hinan, zurück ins »Rote Kreuz«. Sie suchte ihre Überschuhe hervor, die sie am Vormittag unter einem Sitz der Postkutsche versteckt hatte, und nahm ihren Platz ein, unter den bereits ungeduldigen Mitfahrenden. Wo die steile Strecke begann, stiegen alle aus. Emma blieb allein im Wagen zurück.

Von Serpentine zu Serpentine sah sie in der Tiefe, unten in der Stadt, immer mehr Lichter. Sie bildeten zusammen ein weites Lichtermeer, in dem die Häuser verschwanden. Auf dem Sitzpolster kniend, tauchte sie ihre Blicke in diesen Glanz. Schluchzend flüsterte sie den Namen Leos vor sich hin, küßte ihn in Gedanken und rief ihm leise Koseworte nach, die der Wind verschlang.

Oben auf der Höhe trieb sich ein Bettler herum, der die Postwagen ablauerte. Er war in Lumpen gehüllt, und ein alter verwetterter Filzhut, rund wie ein Becken, verdeckte sein Gesicht. Wenn er ihn abnahm, sah man in seinen Augenhöhlen zwei blutige Augäpfel mit Löchern an Stelle der Pupillen. Das Fleisch schälte sich in roten Fetzen ab, und eine grünliche Flüssigkeit lief heraus, die an der Nase gerann, deren schwarze Flügel nervös zuckten. Wenn man ihn ansprach, grinste er einen blöd an. Dann rollten seine bläulichen Augäpfel fortwährend in ihrem wunden Lager.

Er sang ein Lied, in dem folgende Stelle vorkam:

»Wenns Sommer worden weit und breit,

Wird heiß das Herze mancher Maid…«

Manchmal erschien der Unglückliche ohne Hut ganz plötzlich hinter Emmas Sitz. Sie wandte sich mit einem Aufschrei weg.

Hivert pflegte den Bettler zu verhöhnen. Er riet ihm, sich auf dem nächsten Jahrmarkt in einer Bude sehen zu lassen, oder er fragte ihn, wie es seiner Liebsten ginge.