Blutiger Spessart

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Aus der Reihe: Mainfranken Krimi #1
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5

Die Pressekonferenz dauerte fast zwei Stunden. Nach den offiziellen Statements verlangten die Journalisten noch persönliche Interviews. Wie erwartet, hatte Kerner der Pressemeute völlig beherrscht Rede und Antwort gestanden. Er war Profi, seine Befindlichkeit war seine private Angelegenheit.

Nur einmal reagierte er etwas irritiert. Eine Journalistin fragte ihn, ob es zutreffend sei, dass er sich an eine andere Justizbehörde versetzen lassen wollte. Innerlich stieß Kerner einen Fluch aus, weil diese Behörde, was die Geheimhaltung von Personalinformationen betraf, offenbar löchrig wie ein Schweizer Käse war. Äußerlich ließ er sich jedoch nichts anmerken und gab eine diplomatische Antwort, die man auslegen konnte, wie man wollte.

Er betrat sein Büro und warf verärgert die Unterlagen aus der Pressekonferenz auf den Besprechungstisch in der Ecke. Eigentlich hatte er jetzt sofort nach Hause fahren wollen, aber auf seinem Schreibtisch lagen einige rote Akten, die alle den Merkzettel »Eilt sehr« trugen. Seufzend ließ er sich in seinen Bürosessel fallen. Eine halbe Stunde würde er wohl noch investieren müssen.

In diesem Augenblick klopfte es an seine Tür. Kerner runzelte die Stirne. Welche Störung gab es jetzt schon wieder? Unwirsch brummte er ein halblautes »Herein«.

Erster Kriminalhauptkommissar Eberhard Brunner steckte den Kopf herein und musterte den Mann hinter dem Schreibtisch.

»Kann ich noch einmal kurz …?« Der Kriminalbeamte war Leiter des Dezernats für das organisierte Verbrechen der Kripo Würzburg und hatte in dieser Eigenschaft an der Pressekonferenz teilgenommen. Der Fall Emolino gehörte schon seit Jahren zum Dauerbrenner seiner Abteilung. Er war nach der Pressekonferenz noch von einigen Journalisten in Beschlag genommen worden und hatte deshalb nicht mehr mit Kerner sprechen können.

»Wird sich wohl nicht verhindern lassen«, erwiderte der Oberstaatsanwalt jetzt gespielt brummig.

Der Kriminalbeamte grinste und schloss die Türe. Ohne Umstände näherte er sich der Sitzgruppe am Besprechungstisch und ließ sich unaufgefordert in einen der Sessel fallen. Brunner und Kerner kannten sich seit dem Tag, an dem Kerner in der Staatsanwaltschaft das Morddezernat übernommen hatte. Die beiden hatten sich im Laufe der Jahre kennen und schätzen gelernt und, das konnte man ohne Übertreibung sagen, dabei eine freundschaftliche Beziehung entwickelt. Die brummige Reaktion des Staatsanwalts beachtete Brunner gar nicht. Die brutale Hinrichtung des Kronzeugen in dem Verfahren gegen Emolino hatte auch den Kriminalisten schwer getroffen. Schließlich war dadurch die Ermittlungsarbeit mehrerer Monate weitgehend nicht einmal mehr das Papier wert, aus dem die Akten bestanden.

Kerner unterschrieb noch schnell einen Antrag auf eine richterliche Durchsuchungsanordnung, dann klappte er die Akten zu und legte sie in den Postauslauf. Ein Mitarbeiter würde sie später abholen. Er legte seinen Füllfederhalter in die Ablageschale und sah Brunner wortlos an.

»Ich hoffe, die Frage lautet: Wie machen wir weiter … und nicht ob? Oder?« Brunner beugte sich nach vorne und musterte Kerner durchdringend. Er war einige Jahre jünger als Kerner. Ebenfalls sportliche Figur, militärisch kurz geschnittene Haare, gekleidet in legerem Denim – damit entsprach er durchaus dem Klischee eines Serienkommissars aus dem Fernsehen. Das war aber auch alles, was er mit diesen Krachbumm-Typen, wie er sie nannte, gemeinsam hatte. Brunner war ein sehr fähiger Ermittler. Ein Kriminalbeamter mit menschlichem Tiefgang, psychologischem Einfühlungsvermögen und hoher Intelligenz.

»Simon, du hast mir ja anvertraut, dass du einen beruflichen Karriereschritt anstrebst. Ich hoffe aber, dass das mit den Ereignissen des heutigen Tages hinfällig ist. Wir können und müssen diesem verdammten Verbrecher und seiner sogenannten Familie das Handwerk legen! Früher oder später macht er einen Fehler und dann …«

Er machte eine bezeichnende Handbewegung mit seiner flachen Hand an seinem Kehlkopf vorbei. »Je dichter wir ihm aufs Fell rücken, desto eher wird das passieren. Die angrenzenden Dons in Bayern und Hessen sind massiv beunruhigt, wie ich aus Kollegenkreisen erfahren habe. Durch unsere intensiven Ermittlungen gegen Emolino bleibt das Interesse der Behörden auch an ihren Aktivitäten für sie unerfreulich wach. Das ist schlecht fürs Geschäft. Wenn Emolino so weitermacht, bekommen wir möglicherweise sogar Tipps aus dem Milieu. Er dürfte einigen Herren unangenehm aufstoßen. Also, Simon, kneifen gilt nicht!«

Kerner rieb sich mit der Hand über das Gesicht. »Eberhard, das hat nichts mit Kneifen zu tun, das weißt du. Im Prinzip hast du natürlich recht. Nimm es mir aber bitte nicht übel, wenn ich darüber noch ein paar Tage nachdenke. So eine Entscheidung kann man nicht übers Knie brechen.« Er wechselte das Thema. »Was willst du jetzt als nächsten Schritt unternehmen?«

»Auf jeden Fall den ganzen Klan weiter observieren. Wir sind im Augenblick noch in der glücklichen Lage, in der Sonderkommission ausreichend Beamte zu haben, sodass wir uns das leisten können. Allerdings brauchen wir schnelle Erfolge, andernfalls wird man uns die Männer abziehen. Diese Bande darf meiner Meinung nach keine Zeit haben, Luft zu holen!«

Kerner nickte. »Was machen eigentlich die parallelen Ermittlungen der Steuerfahnder? Wegen des Prozesses habe ich mich in den letzten Tagen nicht mehr darum kümmern können. Wir benötigen möglichst schnell wieder einen Grund für einen Haftbefehl, wenn Emolino jetzt freikommt. Ich befürchte, dass er sich sonst ins Ausland absetzt. Die nötigen Verbindungen zur amerikanischen Mafia hat er ja, wie wir wissen.«

Brunner erhob sich und schlenderte zum Fenster, von dem man einen guten Blick auf die angrenzenden Grünanlagen hatte.

»Die haben bei der letzten Durchsuchung von Emolinos Büro, als der Kerl in Untersuchungshaft saß, kistenweise Beweismaterial mitgenommen. Akten, Computer und dieses ganze Zeug. Das dauert Wochen, bis sie alles gesichtet haben. Wenn das mit Mallepieri geklappt hätte, wäre das alles überflüssig gewesen. Jetzt müssen die Jungs wieder ran.«

Der Oberstaatsanwalt nickte zufrieden, dann stand auch er auf und stellte sich neben Brunner. »Bleiben wir an diesem Dreckskerl dran, wie du gesagt hast. Vielleicht kriegen wir ihn auf der Schiene Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Bei Al Capone hat es damals ja auch so geklappt. Observiert ihn weiter und sorgt dafür, dass er die Überwachung auch mitbekommt. Irgendwann verliert er vielleicht die Geduld, dreht durch und macht einen Fehler! Der Bursche ist es nicht gewohnt, dass man ihm auf die Pelle rückt. Das ist Majestätsbeleidigung, das schwächt sein Ansehen in der eigenen Familie und die Beziehung zu den anderen Mafiafamilien. Man darf nicht vergessen, auch die Tatsache, dass sich einer seiner Männer uns als Zeuge gegen ihn zur Verfügung gestellt hat, ist eine große Blamage. Don Emolino, das Alphatier, ist angeschlagen.«

»Du kannst dich darauf verlassen«, gab Brunner zurück. »Meine Männer sind vor Ort und lassen ihn nicht aus den Augen. Sobald er das Haus verlässt, kleben wir an ihm wie die Kletten. – Was machst du jetzt?«

»Ich fahre nach Hause und schlafe mich erst mal aus. Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich fertig. Dieser Mist geht ziemlich an die Substanz.«

Der Kommissar nickte verständnisvoll. Er kannte den Zustand sehr gut, wenn man mit aller Energie in einem Fall ermittelt hatte und einem dann der Verbrecher um Haaresbreite durch die Maschen schlüpfte.

»Du hörst wieder von mir.« Er winkte knapp, dann drehte er sich um und verließ das Dienstzimmer.

Kerner blieb noch einen Augenblick stehen und betrachtete das intensive Grün der Bäume, die nur wenige Meter von seinem Fenster entfernt wuchsen. Er konnte nur hoffen, dass die Männer im Transporter nichts mehr mitbekommen hatten. Da schloss er Mallepieri nicht aus. So einen Tod wünschte man niemandem.

Schließlich gab er sich einen Ruck und vertrieb die grüblerischen Gedanken. Er zog sein Anzugjackett an und verließ das Dienstzimmer. An der bewachten Pforte vorbei verließ er das Haus. Der diensthabende Justizwachtmeister nickte ihm freundlich zu.

Wenig später saß er in seinem schwarzen Land Rover Defender. Wie immer hatte er ihn auf der Straße geparkt, da er mit dem hohen, sperrigen Geländefahrzeug in der Tiefgarage Platzprobleme hatte. Die Stellplätze waren alle für Normalmaße ausgelegt. Dadurch befand er sich jetzt in der glücklichen Lage, über seinen Wagen verfügen zu können. Andere Justizbedienstete, die in der Tiefgarage geparkt hatten, konnten wegen des durch die Explosion verbogenen Tores mit ihren Fahrzeugen nicht das Haus verlassen. Der Eingang zur Tiefgarage musste erst wieder provisorisch gerichtet werden.

Von seinen Kollegen wurde er häufig belächelt, weil er mit einem derart unbequemen Fahrzeug fuhr, aber das störte ihn nicht. Simon Kerner war passionierter Jäger. Eine Leidenschaft, die ihn unter anderem dazu veranlasst hatte, seinen Wohnsitz mehr als fünfzig Kilometer von Würzburg entfernt zu wählen. Am Rande des Spessartdorfes Parten-stein hatte er sich ein Einfamilienhaus gemietet. So hatte er mit dem Wagen nur fünf Minuten in das von ihm angepachtete Hochwildrevier, wo er, wann immer ihm Zeit blieb, seiner Jagdleidenschaft frönte.

Zehn Minuten später war er auf der B 27 in Richtung Gemünden unterwegs und gab Gas. Der flotte Turbodiesel röhrte auf, und einhundertsechzig Pferdestärken trieben den schweren Geländewagen mühelos voran.

6

 

Francesco Edoardo Emolino saß in Gemünden am Main im Hinterzimmer des Eiscafés Gelati, das ihm, wenn er nicht in seiner Villa war, als Büro diente, und schaufelte einen Berg Pasta in sich hinein. Um den Hals hatte er sich eine großzügig bemessene Stoffserviette gebunden, die verhindern sollte, dass er sich die ölige Tomatensoße auf sein Hemd tropfte. Emolino genoss das heimische Essen nach dem seiner Meinung ungenießbaren Fraß in der Justizvollzugsanstalt sichtlich.

Ihm gegenüber saß sein neuer Consigliere Michelangelo Trospanini, der nach dem Verrat Mallepieris in der Rangordnung der Familie aufgestiegen war.

Trospanini stammte aus Neapel und war ein nichteheliches Kind. Seine Mutter kam kurz nach seiner Geburt zu Verwandten nach Deutschland. Nachdem sie wenig später einen Deutschen heiratete, bekamen sie und ihr Kind die deutsche Staatsbürgerschaft. Michelangelo Trospanini war aber im Herzen immer Italiener geblieben. Seine absolute Loyalität gehörte Don Emolino.

Auf dem Stuhl daneben saß Ricardo, Emolinos Sohn. Ricardo, 26 Jahre alt, arbeitete seit zwei Jahren pro forma in der Eisdiele als Geschäftsführer. De facto war er ein Lebemann, der ständig zu viel Geld ausgab. Er war zwar mittlerweile bis zu einem gewissen Grad in die Geschäfte seines Vaters eingeweiht, hatte aber noch keine Vollmachten. Jeder Versuch Emolinos, den Jungen in seinem Sinn zu erziehen, war bisher an dessen Dickköpfigkeit gescheitert. Dabei hatte der Junge durchaus Potenzial. Um seine Eignung zu prüfen, hatte Emolino ihm schon verschiedene Aufträge erteilt.

Vor vier Wochen hatte er beispielsweise in Frankfurt einem Letten, der für die Russenmafia arbeitete und Emolino im Wege stand, eiskalt zwei Kugeln in den Kopf geschossen. Emolino empfand dabei innere Befriedigung, weil sich sein Sprössling dabei wie ein Profi verhielt und keine Spuren hinterließ.

Ansonsten aber war der Junge nach Meinung seines Vaters noch zu leichtsinnig und in seiner persönlichen Entwicklung nicht ausgereift. Ein typischer Beweis für diese Unreife war für Emolino die Tatsache, dass Ricardo gerne sehr teure italienische Sportwagen fuhr, ständig wechselnde Frauenbekanntschaften pflegte und jede Menge Geld für teure Kleidung ausgab. Für einen Mann mit italienischen Wurzeln zeigte er wenig Familiensinn und ließ sich viel zu sehr treiben. Nur an seinem Rauhaardackel Fredo, den er ständig mit sich herumschleppte, hatte er auf infantile Weise einen Narren gefressen.

Irgendwann war Don Emolino der Kragen geplatzt und er hatte ihm den Geldhahn zugedreht. Jetzt musste Ricardo mit seinem nicht allzu üppigen Geschäftsführergehalt auskommen. Ein Umstand, weswegen er im Augenblick nicht besonders gut auf seinen Vater zu sprechen war. Das war Don Emolino allerdings ziemlich gleichgültig.

Ricardo war sich darüber im klaren, dass er irgendwann Nachfolger seines Vaters werden würde. Wenn sich der Alte weiterhin so vehement mit der Polizei anlegte, würde seine Zeit vielleicht viel schneller kommen, als er dachte. Bis dahin galt auch für ihn: Der alte Don war der Chef, und er hatte sich zu beugen.

Die beiden Männer sahen zu, wie es sich der Chef des Familienklans schmecken ließ. Sie wagten es nicht, ihn dabei zu stören.

»Habt ihr mal rausgesehen?«, quetschte er schließlich undeutlich hervor, weil er mit vollem Mund sprach. Mit den Zinken der Gabel wies er zum Fenster. »Diese verdammten Bullen. Seit ich aus dem Gefängnis bin, steht ständig eine Zivilstreife vor der Tür. Seht euch doch nur mal diese beiden Figuren darin an. Denen sieht man doch den Schnüffler schon von weitem an. Seit Stunden steht der Wagen auf der anderen Seite des Platzes und rührt sich nicht von der Stelle. Denken die vielleicht, ich sehe sie nicht?«

Trospanini ließ sich vom Zorn seines Paten nicht anstecken. »Das konnte man doch erwarten, Don Francesco. Sie werden es nicht so einfach hinnehmen, dass das Verfahren gegen dich wegen dieses … Unfalls nicht fortgesetzt werden konnte. Vermutlich wollen sie uns absichtlich provozieren.«

Emolino stieß ein fettes Lachen aus, wobei einige Brocken aus seinem Mund auf die Tischdecke fielen. »Ich habe wirklich keine Lust, mir die gute Laune verderben zu lassen. Sollen die sich doch die Ärsche breitsitzen.

Ich hätte gar zu gerne mal das Gesicht dieses Oberstaatsanwalts gesehen, als man ihm in seinem Büro mitteilte, dass sich sein großartiger Kronzeuge im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst hat.« Die Vorstellung daran ließ seinen Ärger verfliegen.

Er schob sich eine weitere Gabel Spaghetti in den Mund und nuschelte im Kauen: »In der Verhandlung jedenfalls hat er bei seinem Plädoyer, als er die Einstellung des Verfahrens beantragen musste, geguckt, als hätte er in eine Zitrone gebissen.«

Unvermutet erschien eine steile Falte zwischen seinen buschigen Augenbrauen, und seine stechenden Augen bekamen einen bösartigen Schimmer.

»Dieser Verräter Mallepieri ist einen viel zu leichten Tod gestorben. Wenn er mir in die Hände gefallen wäre …«

Trospanini und Ricardo mussten nicht lange überlegen, was er damit meinte.

Francesco Emolino betrieb das Gelati am Marktplatz von Gemünden seit mehr als fünfzehn Jahren. Auch nach der Übertragung der Geschäftsführung auf seinen Sohn änderte sich nichts an der Tatsache, dass er der Boss im Hintergrund blieb. Von Gemünden aus hatte er im Laufe der vielen Jahre ein dichtes Netz von Geschäftsverbindungen über den gesamten unterfränkischen Raum gespannt, das unter seiner Kontrolle stand.

Bis die Ermittler der Sonderkommission Spessartblues offiziell auftraten und Durchsuchungen der Geschäftsräume und der Wohnung von Emolino durchführten, ahnte kein Mensch in der Region, dass dieser eher kleine, nach außen stets freundliche, unscheinbare Mann einer der einflussreichsten Mafiosi in Deutschland war. Hier, in seiner Heimatstadt Gemünden, hatte außer dem inneren Zirkel der Familie niemand von den fragwürdigen Geschäften des freundlichen Sizilianers Kenntnis. Schon seit mehr als dreißig Jahren besaß er die deutsche Staatsbürgerschaft und war in der Gemeinde ein durchaus angesehener Bürger.

Als Francesco Emolino vor einigen Wochen aufgrund der unerwarteten Aussage seines Consigliere Mallepieri verhaftet wurde, schlug diese Nachricht in Gemünden wie eine Bombe ein. Unter der Bevölkerung gab es einen Aufschrei der Empörung. Das Lohrer Echo, das führende Presseorgan der Region, erging sich einige Zeit in Lobgesängen über den armen Mann, der offenbar Opfer einer Rufmordkampagne geworden war. Keiner wusste, dass der Don dem Chefredakteur des Blattes vor zwei Jahren mit einem größeren zinslosen Darlehen aus einer üblen Patsche geholfen hatte. Ein Gefallen, der nun zur Rückzahlung anstand.

Als Emolino vor dem Schwurgericht angeklagt wurde und die Schuldvorwürfe allmählich ans Tageslicht kamen, verstummten die Unterstützer nach und nach.

Der Freispruch von Francesco Emolino wurde von den Bürgern in der Spessartregion mit unterschiedlicher Resonanz aufgenommen. Dann drang die Kunde von der Ermordung des Kronzeugen bis in den Spessart, und einige Menschen in der Gegend wurden sehr nachdenklich. Noch dazu, als sich die überregionale Presse auf den Fall stürzte und Stück für Stück das Geflecht der Beziehungen und Seilschaften publik wurde. Ein Einfluss, der bis in die höchsten politischen Kreise der Europäischen Union reichte. Jetzt wurde vielen klar, dass der Alte in seinem Eissalon wie eine Spinne im Netz saß und an den Fäden zog.

Don Emolino, wie er von seiner Familie stets respektvoll genannt wurde, war in der Wahl der Mittel, was die Durchsetzung seiner Wünsche und Ansprüche betraf, keineswegs zimperlich. Mallepieris Aussagen gingen hier bis ins Detail. Die Staatsanwaltschaft wusste von ihm, dass zahlreiche Auftragsmorde auf Emolinos Konto gingen. Sie wären aber nur durch die persönliche Aussage des Kronzeugen zu beweisen gewesen. Hinzu kamen Straftaten wie Erpressung und Bestechung, die Mallepieri ebenfalls bezeugt hätte. Nicht allein durch Mallepieri wusste man, dass sich das Imperium des Don Emolino auf Rauschgifthandel, Wucherkreditgeschäfte und Prostitution stützte. Nur hatte man ihm bisher nichts nachweisen können. Alles lief über Scheinfirmen und Geldwäsche im großen Stil. Mit Bestechung und Korruption erreichte er, dass die an diesen Geschäften Beteiligten eisern schwiegen. Zu groß war außerdem die Furcht, dass sich sonst ihre Lebenserwartung drastisch reduzieren könnte.

Emolino leerte seinen Teller, wischte mit einem Stück Brot die übrige Soße zusammen und schob sich den letzten Bissen in den Mund. Mit einem kräftigen Schluck Montepulciano spülte er den Rest hinunter. Dann stieß er genüsslich auf, zog die Serviette vom Hals und holte einen Kugelschreiber aus der Jackentasche. Mit großen Buchstaben schrieb er darauf: »Ist der Raum sauber?« Fragend sah er die anderen an.

Trospanini nickte. »Wir haben ihn erst heute kontrolliert. Keine Abhörgeräte feststellbar.«

Emolino nickte zufrieden. »Gut, Michelangelo, dann will ich erst einmal wissen, wie es um die Geschäfte bestellt ist.«

Trospanini hob einen Laptop auf den Tisch und schaltete ihn ein. Dann schloss der Buchhalter des Paten eine externe Festplatte am Rechner an. Emolino hatte angeordnet, alle brisanten Daten auf externen Datenspeichern zu archivieren. Auf den Rechnern des Unternehmens befanden sich nur völlig harmlose Daten. Die Steuerfahnder, die vor dem Prozess die Rechner mit den Festplatten beschlagnahmt hatten, würden mit ihren Ermittlungen total ins Leere laufen.

Trospanini war bisher nach Mallepieri der zweite Mann gewesen. Nach dem Verrat Mallepieris war der Buchhalter zum Consigliere aufgestiegen. Konzentriert begann er mit seinem Bericht. Emolinos Gesicht wurde im Laufe des Berichts immer ausgeglichener. Ein Beweis dafür, dass er mit der Geschäftsentwicklung hoch zufrieden war. Sein Zwangsaufenthalt im Knast hatte sich nicht negativ auf seine Konten ausgewirkt. Trospanini hatte die Sache gut im Griff. Er würde ihm, obwohl er ihn zum Consigliere befördert hatte, weiterhin die Buchhaltung überlassen.

Als Trospanini mit seinem Bericht am Ende war, warf er dem Paten einen fragenden Blick zu. Nachdem der zufrieden nickte, löste die Verbindung zum externen Datenspeicher.

Emolino trat langsam ans Fenster und starrte hinaus. »Es sieht so aus, als würde dieser Oberstaatsanwalt keine Ruhe geben. Wir werden Mittel und Wege finden müssen, ihm seine Grenzen aufzuzeigen.«

Den beiden Männern am Tisch war klar, wen der Pate meinte. Simon Kerner gehörte schon lange zu den größten Feinden der Familie.

»Papa, kann ich das nicht machen?« Der junge Emolino sah den Paten forschend an. Er musste einen Weg finden, dass ihm der Alte wieder mehr Geld zur Verfügung stellte.

»Ricardo, das ist wirklich noch eine Nummer zu groß für dich«, wehrte der Alte kopfschüttelnd ab. Er sah seinen Consigliere fragend an.

Der überlegte kurz, dann wiegte er den Kopf. »Man muss das Risiko abwägen. Mit dem Kronzeugen sind auch einige Polizisten gestorben. In der Zeitung stand, dass sie Familie hatten. Man kann sich ausrechnen, dass die Ermittlungsbehörden vor Wut schäumen. Wenn jetzt auch noch der Oberstaatsanwalt….«, er zögerte kurz, dann fuhr er fort: »… überraschend von uns geht, werden sie alles aufbieten, um uns zu kriegen. Dann gibt es einen totalen Krieg! Das wäre schlecht fürs Geschäft.«

Don Emolino sah seinen Consigliere nachdenklich an, dann nickte er langsam beipflichtend mit dem Kopf. »Da hast du sicher recht. Wir müssen zuerst immer an die Geschäfte denken. Wenn dann einige Zeit ins Land gegangen und Gras über die Sache gewachsen ist, kann es ja zu einem bedauerlichen Unfall kommen.«

Trospanini lächelte verhalten.