Erich Glaubmirnix - Kriminalfälle und Abenteuer heute und im Mittelalter

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Nachdem der Bahnkilometer durchgegeben wurde, brauchte der Mehlmann nicht lange zu überlegen: „Das ist ungefähr auf halber Strecke.“

„Okay“, sagte Erich, „da teilen wir uns auf. Du fährst nach Gebra und kommst mir entgegen. Ich laufe von hieraus los.“

„So machen wir das.“

„Efeu 47 für die Efeu 47-20, kommen!“

„Efeu 47 hört.“

„Efeu 47-20 für die Efeu 47! Wir suchen zu Fuß die Strecke ab. Ich gehe von Bleicherode Ost los und der Kollege M. fährt nach Gebra und kommt mir von dort entgegen. Veranlassen Sie die Streckensperrung!“

„Efeu 47-20, die Streckensperrung wird angewiesen. Gebe Bescheid, wenn die Strecke gesperrt ist!“

„Efeu 47-20 bedankt sich und Ende.“

„Du, Mehlmann, solange warte ich nicht. Ich gehe gleich los. Wir sehen uns. Und beeile dich!“

Als der Kollege Müller beim Streifenwagen angekommen war, hatte Erich schon fast zweihundert Meter hinter sich. In dieser Situation ist es nicht einfach, eine Person im Streckenabschnitt zu suchen. Man muss das Gleis im Blick haben und links und rechts die Umgebung absuchen. Nebenbei muss man darauf achten, dass keine Züge kommen. Das ist sehr wichtig. Denn das wäre sonst tödlich. Wenn ein Zug kommen sollte, musste man so schnell wie möglich aus dem Gleis raus. Und wenn man im Gleis zügig vorankommen will, muss man den sogenannten „Streckenläufer-Schritt“ beherrschen. Die Schwellen haben so einen komischen Abstand, dass man mehr oder weniger in Trippelschritt laufen muss und der ist nicht einfach, wenn man es eilig hat. Und manch ein Beobachter, der Eisenbahner oder andere berechtigte Mitarbeiter im Gleisbereich laufen gesehen hat, sagt unter Schmunzeln: „Hier sind Schwellenhopser unterwegs.“

Erich war schon fast fünfhundert Meter vom Bahnhof entfernt, als über Funk die Info kam: „Efeu 47-20 für die Efeu 47! Die Strecke ist gesperrt!“ Somit konnte er sich voll und ganz auf die Suche nach der Frau konzentrieren.

Nachdem er schon eine ganze Weile gelaufen war, sah er in der Ferne eine junge Frau. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Sie saß im Gleis. Sie hatte sich auf einen Schienenkopf gesetzt und hatte ihren Oberkörper zur Gleismitte geneigt. Ihr Kopf war zwischen ihren Beinen versenkt. Obwohl Erich erleichtert war, dass er sie gefunden hatte, war es für ihn ein trauriger Anblick. Nun lief er noch schneller und hoffte, dass er nicht gleich von ihr gesehen würde. Immerhin könnte sie weglaufen und sich irgendwo verstecken. Das würde die Suche ungemein in die Länge ziehen und die Strecke könnte nicht freigegeben werden. Erich hatte Glück, sie blieb im Gleis sitzen. Und er sah, wie sich sein Kumpel von der anderen Seite näherte.

„Efeu 47 für die Efeu 47-20 kommen.“

„Efeu 47 hört?“

„Efeu 47-20 hat gesuchte weibliche Person gefunden. Begebe mich zu ihr und wenn ich mit ihr die Gleise verlassen habe, melde ich mich wieder.“

„Efeu 47 hat verstanden.“

Nachdem Erich bei der jungen Frau angekommen war, sprach er sie an: „Guten Tag, ich bin Polizeihauptmeister Glaubmirnix. Ich möchte Sie bitten, aufzustehen und mitzukommen. Sie können hier nicht sitzen bleiben.“

Die junge Frau antwortete: „Lassen Sie mich in Ruhe und gehen Sie! Bitte, gehen Sie ganz weit weg! Ich möchte den nächsten Zug küssen. Das soll der letzte und schönste Kuss in meinem ganzen Leben sein! Also, lassen Sie mich in Ruhe und gehen Sie!“

Erich war schockiert. Denn er wusste genau, was sie damit sagen wollte, und antwortete: „Ich werde nicht gehen und Sie auch nicht in Ruhe lassen. Ich werde nicht eher gehen, bis Sie mit mir mitkommen. Sie sitzen hier im Gleis und ich kann Sie nicht so einfach sitzen lassen. Das geht beim besten Willen nicht.“

„Wenn Sie mich mit Gewalt mitnehmen wollen, werde ich Sie verklagen! Ich werde jedem erzählen, dass Sie mich angefasst haben und dass Sie mich vergewaltigt haben!“

Erich war nach der Ankündigung verunsichert, versuchte dennoch irgendwie mit ihr ins Gespräch zu kommen und fragte: „Darf ich wenigstens Ihren Namen wissen? Da können wir uns besser unterhalten.“

„Nein! Und ich will mich nicht unterhalten!“

Erich gab nicht auf: „Sie werden dennoch mit mir mitkommen müssen! Die Strecke ist so lange wie Sie hier sitzen gesperrt. Das heißt, solange wie Sie hier im Gleis sitzen, wird kein Zug fahren. Sie werden keinen Zug küssen können. Stehen Sie bitte auf und kommen Sie bitte ganz einfach mit.“

„Ich bleibe trotzdem hier sitzen! Und nun hauen Sie ab und lassen Sie mich endlich in Ruhe!“

„Ich will Ihnen mal was sagen: Ich habe schon mal eine junge Frau gegen ihren Willen aus dem Gleis geholt. Hinterher war sie mir dankbar.“

„Na, da hat man Ihnen doch mindestens einen Lebensretterorden gegeben. Oder nicht?“

„Nein, das war eher ein Anschiss. Ich habe nicht so gehandelt, wie es sich der Chef vorgestellt hatte.“

„Wenn das so ist, komme ich mit. Ich will nicht, dass Sie wegen mir noch mal bestraft werden.“

Sie hob den Kopf und als Erich ihr Gesicht sah, wusste er, was ihr Schreckliches widerfahren war. Sie stand auf und war bereit, mit den beiden Beamten mitzugehen.

„Wir gehen langsam zum Auto und fahren zur Dienststelle. Dort wartet eine ganz nette Kollegin auf uns. Sie wird sich weiter um Sie kümmern.“

„Darf ich fragen, wie Sie sich fühlen? Ich will damit fragen, ob Sie eventuell einen Arzt brauchen? Wenn ja, dann bringe ich Sie sofort ins Krankenhaus.“

„Es ist alles gut. Mir ist nichts passiert.“

„Können Sie mir was über die Jugendlichen sagen, die Sie hierher gebracht haben? Und wissen Sie zufällig, wo die sich jetzt aufhalten?“

„Nein, kann ich nicht. Mir ist nichts passiert!“

Mit dieser ablehnenden Antwort hatte Erich nicht gerechnet. Aber diese Antwort sagte ihm etwas über ihren psychischen Zustand. Sie konnte die Erlebnisse immer noch nicht verarbeiten. Sie schämte sich und es war ihr peinlich. Sie wollte einfach nicht darüber sprechen. Vielleicht gab sie sich auch selbst die Schuld. Erich fragte nicht weiter, passte aber genau auf, was sie tat. Denn im Notfall musste er handeln. Am Streifenwagen angekommen, wurde ihr ein Sitzplatz zugewiesen und Erich setzte sich neben sie. Dann wurde vom Mehlmann über Funk die Freigabe der Strecke bestätigt. Somit konnte der Zugverkehr wieder rollen und der Streifenwagen fuhr zur Dienststelle nach Nordhausen.

Als der Streifenwagen angekommen war, stand die Oberkommissarin Ritter schon vor der Tür und nahm sich ihrer an.

Befragungen

Erleichtert wurde das Auto in die Garage gefahren und abgestellt. Erich und der Mehlmann hatten sich eine kurze Pause verdient. Danach sollte der Sachverhalt niedergeschrieben werden. Beide hofften, dass im Moment nichts weiter dazwischen kommt. Es sei denn, die Täter werden gesichtet.

Bei der Tasse Kaffee stellte Mehlmann eine Frage: „Du, Erich, hast du dir mal das Mädchen angeguckt?“

„Ja, das hab ich. Die wurde auf brutalste Weise vergewaltigt.“

„Und die verfluchten Täter rennen noch da draußen rum!“ Mit diesem Satz vollendete der Mehlmann Erichs Gedanken.

„Ob sie je wieder einen Mann lieben kann?“

„Ich will es für sie hoffen.“

Nach circa einer Stunde kam Peggy aus ihrem Büro und teilte mit, dass sie mit der jungen Frau ins Krankenhaus fährt. Erich wollte sich als Kraftfahrer zur Verfügung stellen, aber die Oberkommissarin lehnte dankend ab. „Schreibt erstmal euren Sachverhalt. Moto fährt uns. Ach, eins noch: Ich habe ihre Eltern verständigt. Sollten die in der Zwischenzeit kommen, so mögen sie noch einen Moment warten, bis wir wieder da sind.“

„Ich biete ihnen eine Tasse Kaffee an.“

„… und schreibt euch bitte ihre Personalien auf. Die brauche ich noch. Danke.“

Beim Verlassen der Dienststelle, schaute Erich noch mal die junge Frau an und schüttelte mit dem Kopf. Sie tat ihm leid. Das was er sah, konnte oder wollte er nicht beschreiben. Eigentlich sollte ein Polizeibeamter immer über solchen Ereignissen stehen. Er sollte immer cool bleiben und auf keinen Fall solche Schicksale an sich heranlassen. Erich konnte es nicht. Er litt genauso wie die Opfer, durfte es aber nicht zeigen und immer hart zu sich selbst bleiben. Und so eine Tasse Kaffee konnte schon einiges dazu tun, dass man sich ein wenig besser fühlt. Peggy drehte sich noch mal kurz um und gab ihnen den Namen der jungen Frau und die Namen ihrer Eltern.

Und während sich die zwei Beamten an den Computer setzten, um gemeinsam den Sachverhalt niederzuschreiben, klingelte es an der Tür. Erich ging hin und sah ein aufgeregtes Ehepaar. Es konnten nur die Eltern sein.

„Guten Tag, wenn ich richtig liege, sind Sie Herr und Frau Kranhold?“

Die Frau nickte zustimmend. Daraufhin bat Erich sie herein und wies ihnen einen Sitzplatz zu. Dann bat er um die Personalausweise und bot ihnen eine Tasse Kaffee an. Der Kaffee wurde abgelehnt. Aber die Personalausweise wurden ihm wie selbstverständlich ausgehändigt. Während Erich die Personalien aufschrieb, beobachtete er nebenbei die Mutter und den Vater. Die Mutter kämpfte mit den Tränen und der Vater schien wütend zu sein. Beide rissen sich aber zusammen. Nach circa fünf Minuten fragte der Vater nach seiner Tochter und Erich antwortete: „Ihrer Tochter geht es den Umständen entsprechend gut. Sie ist zurzeit mit Frau Ritter im Krankenhaus und sie kommen so schnell wie möglich zurück. Haben Sie bitte noch ein wenig Geduld.“

Der Vater hatte die gewünschte Geduld verloren und schrie los: „Ihr seid doch für die Sicherheit auf der Eisenbahn zuständig? Wo wart ihr, als meine Tochter hier im Bahnhof war? Wo wart ihr, als sie in den Zug gestiegen ist? Wo wart ihr, als Julia aus dem Zug gerissen wurde? Ich kann es euch sagen! Ihr wart nicht da! Anstatt auf dem Bahnsteig zu stehen, habt ihr euch auf der Dienststelle herumgetrieben und habt euch einen Fetten gemacht!“

 

Erich schluckte und versuchte ruhig zu bleiben. Er hatte es gelernt mit solchen Situationen umzugehen. Der Vater ließ aber nicht locker: „Ich hab euch eine Frage gestellt und erwarte umgehend eine Antwort!“

Erich stand auf und ging auf den Mann zu und sagte: „Ich verstehe Sie. Ich glaube, wenn man das meiner Tochter angetan hätte, wäre ich ebenso wütend wie Sie.“ Erich dachte in dem Moment an seine Tochter Kerstin. Das ließ er sich aber nicht anmerken und redete weiter: „Dennoch müssen Sie sich beruhigen. Wir werden alles Erdenkliche tun, um die Täter zu fassen. Die sollen auf keinen Fall ungeschoren davonkommen.“

Der Mehlmann, der im Nebenzimmer am Computer saß, hatte den Krach mitbekommen und kam ins Zimmer: „Was ist denn hier los?“

Erich beruhigte: „Es ist alles gut. Setz dich bitte wieder hin und schreibe weiter.“

Die Mutter stand auf, umarmte ihren Mann und flüsterte: „Tommi, bleib ruhig. Die Polizisten können nichts dafür. Die sind hier, um uns zu helfen.“ Dieser Satz schien zu wirken. Der Vater beruhigte sich und flüsterte kaum hörbar in den Raum: „Ich bitte um Entschuldigung“, und die Situation war gerettet.

Kurz darauf stand eine Kundenbetreuerin der DB vor der Tür und klingelte. Mehlmann ging hin und machte auf. „Ich sollte mich bei euch melden.“

„Konni, komm rein und setz dich. Es dauert noch ein kleines Weilchen. Dann sind wir für dich da.“ Es war die Kundenbetreuerin, welche im entsprechenden Zug tätig war.

„Ihr wisst schon, dass ich Feierabend habe und dass die Kinder auf mich warten?“

„Ja, jetzt wissen wir das.“

Der Satz war noch nicht richtig ausgesprochen, als der Ermittlungsdienst mit der jungen Frau aus dem Krankenhaus zurückkam. Die Oberkommissarin begrüßte die Eltern recht freundlich und bat sie zusammen mit ihrer Tochter ins Büro. Als die Mutter ihre Tochter sah, schnappte sie sich ihre Julia und umarmte sie. Es sah so aus, als wollte sie ihre Tochter nie wieder loslassen. Selbst dem Vater, der eben noch wütend war, standen die Tränen in den Augen.

Nun hatte Erich Zeit, die Kundenbetreuerin zu befragen, und die berichtete über alles, was sie gesehen und erlebt hatte.

„Wo soll ich anfangen? Ach ja, ich war zuerst beim Lokführer und nachdem wir von Nordhausen abgefahren waren, habe ich angefangen, die Fahrscheine zu kontrollieren. Es waren nicht viele Fahrgäste im Zug und ich hoffte, dass ich schnell fertig werde. Das ging solange gut, bis ich in den hinteren Teil des Zuges kam. Ich machte die letzte Abteiltür auf, ging rein, um die Fahrkarten zu kontrollieren. Da sah ich, wie etliche junge Männer ein Mädchen bedrängten. Ich sah sofort, dass das Mädchen Angst hatte und die Männer amüsierten sich darüber. Als mich das Mädchen gesehen hatte, bat sie gleich darum, dass ich ihr helfen soll. Und das wollte ich auch. Das wollten die Männer aber nicht zulassen. Sie stellten sich mir in den Weg und beleidigten mich auf das Übelste. Da fielen Wörter wie Nutte und Schlampe. Und die wollten mich dann auch noch angreifen und mich niedermachen. Der Erste stellte sich vor mich und wollte mich anfassen. Da hab ich ihm die Zange ins Gesicht geschlagen. Und das mit voller Wucht! Das hat dem ganz schön wehgetan. Das hoffe ich wenigstens. Und der hat danach auch ganz schön geblutet und ich hoffe, dass der die Narbe sein Leben lang behält. Die soll ihn immer wieder daran erinnern, dass man mit Frauen nicht so umgeht. Dann kam der Zweite. Den hab ich auch abgewehrt. Ich trat ihn ganz einfach in die Eier! Danach bekam ich einen Schlag ins Kreuz, fiel hin und wurde bewusstlos. Ich bin erst in Leinefelde wieder zu mir gekommen. Da war keiner von denen mehr im Zug. Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen. Die haben sich darüber abgesprochen, wie sie mich am besten vergewaltigen können. Kannst du dir das vorstellen? Der eine sollte mich vögeln und ein anderer das arme Mädchen. Und danach sollte gewechselt werden. Das konnte ich doch nicht zulassen!“

„Konni, du hast richtig gehandelt. Mach dir dahingehend keine Sorgen. Ich hab nur noch ’ne Frage zu der Wunde, die du dem Kerl zugefügt hast: Wo hast du den genau hingetroffen? Erinnere dich bitte. Das ist sehr wichtig. Das brauchen wir zu unserer Fahndung.“

„Das kann ich dir ganz genau sagen. Das war direkt unter dem linken Auge. Ich glaube, die Nase hat auch was abbekommen. Denn die hat ganz schön geblutet.“

Erich hatte noch etliche Fragen zur Personenbeschreibung, zum scheinbaren Alter und zu deren Anzahl. Die Kundenbetreuerin Kornelia Große beantwortete jede Frage und Erich war mit dem Ergebnis zufrieden.

Und weil man sich schon über einen längeren Zeitraum kannte, gab Konni noch zu, dass sie immer noch Schmerzen hat und sie sich, wenn die Schmerzen nicht nachlassen, krank meldet.

„Konni, wenn du jetzt noch Schmerzen hast, musst du unbedingt zum Arzt. Ich schreibe das mit in die Anzeige rein. Als Beweis brauche ich noch ein medizinisches Gutachten. Das musst du dir noch geben lassen. Immerhin bist du eine Geschädigte und hast Ansprüche.“

Die Kundenbetreuerin sagte zu und verabschiedete sich. Immerhin warteten zu Hause ihre Kinder auf sie.

Erich schrieb die letzten Zeilen auf, als die Tür vom Büro der Oberkommissarin aufging. Peggy kam raus und mit ihr die Familie Kranhold. Zusammen verließen sie die Dienststelle. Vor der Tür wurden sie höflich verabschiedet. Dabei sprach Peggy der jungen Frau noch mal Mut zu. Als sie zurückkam, fragte Mehlmann nach den Ergebnissen der Befragung. Er wollte noch wichtige Fakten zur Fahndung nach den Tätern wissen. Die Oberkommissarin antwortete: „Ich habe sehr lange gebraucht, um überhaupt ein Wort aus ihr rauszubekommen. Sie hatte komplett zugemacht. Ich kann nur sagen, dass es für sie der blanke Horror war. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Im Krankenhaus wurden Sperma- und DNA-Proben sichergestellt. Die werden jetzt im Labor analysiert. Ich denke, dass wir früher oder später die Täter schnappen. Ich hab auch die Personenbeschreibungen. Die könnt ihr euch gleich mal durchlesen.“

„Wir haben auch etliche Personenbeschreibungen. Da können wir abgleichen und ergänzen. Danach gehen wir mal über den Bahnhof. Kann ja sein, dass sie sich dort schon wieder treffen.“

In dieser Schicht tat sich natürlich nichts mehr. Auch in den nächsten Schichten tat sich nichts. Die Tatverdächtigen wurden offiziell zur Fahndung ausgeschrieben. Selbst nach dem entwendeten Handy wurde über GPS gesucht. Es war leider ausgeschaltet.

Ein bitteres Ende

So vergingen anderthalb Wochen und ausgerechnet in der Schicht, in der unser Erich, heute mal mit Jutta, im Dienst war, kam ein Funkspruch von der Leitstelle: „Efeu 47-20 für die Efeu 47, kommen!“

Jutta war als erste am Funk und antwortete: „Efeu 47-20 hört.“

„Begeben Sie sich sofort zum Haltepunkt Werther. Dort wurde eine Person vom Güterzug 89426 erfasst und tödlich verletzt. Notarzt, Feuerwehr und Landespolizei sind verständigt. Die Strecke ist gesperrt.“

„Efeu 47-20 hat verstanden und sind in zwei Minuten unterwegs.“

„Eeeerich! Mach das Auto fertig, wir müssen sofort nach Werther. Dort wurde eine Person überfahren.“

Und innerhalb kürzester Zeit war der Streifenwagen mit den zwei Beamten im „Blaulichtmodus“ unterwegs. Am Haltepunkt Werther angekommen, sahen sie den Güterzug. Er hatte eine Länge von schätzungsweisen dreihundert Metern und der Zugschluss stand am Bahnsteigende. Also hieß es dreihundert Meter laufen. Unterwegs sahen sie, dass die Landespolizei auch eingetroffen war. Sie kamen mit dem Notarzt hinterher. Auf halber Strecke stand der Lokführer und wartete auf die herbeieilenden Beamten. Er sah bei ihrer Ankunft ziemlich gefasst aus und versuchte mit wenigen Worten das Erlebte zu erzählen.

„Da stand ein junges Mädchen mitten im Gleis. Sie hat die Arme breit gemacht und mir in die Augen geschaut. Da vorne unter der Lok …“ Der Lokführer konnte nicht weiter reden.

„Erich, es ist besser, wenn du die fotografische Dokumentation übernimmst. Mir ist heute nicht danach. Mir wird gerade übel.“

„Nun gib schon her. Du musst dich nicht rechtfertigen. Es gibt Tage, da geht es mir auch nicht anders.“

Wie soll man solch eine Situation für Außenstehende beschreiben? Es geht irgendwie nicht. Denn diese Arbeit ist für keine Einsatzkraft einfach. Auch für unsere zwei Beamten nicht. Da gibt es einen alten Spruch, der da lautet: Dort wo sich der Bürger umdreht und wegschaut, fängt die Arbeit der Polizeibeamten an. Dieser Spruch hatte auch heute seine Gültigkeit. Und in dem Moment, in dem man vor Ort ist, muss man seine Arbeit machen. Ob man will oder nicht. Da führt kein Weg dran vorbei.

Also, Erich schnappte sich den Fotoapparat und legte los. Er fotografierte alles, was für ihn wichtig war. Jutta notierte sich die Streckenkilometer und stellte fest, dass der Bremsweg zirka zweihundertfünfzig Meter lang war. Der Lokführer sagte dazu, dass der Zug bei dem Zusammenprall eine Geschwindigkeit von achtzig Kilometer pro Stunde drauf hatte. Die spätere Auslesung des Fahrtenschreibers bestätigte die Aussage. Bei der weiteren Absuche fand Jutta zwischen den Gleisen ein Portemonnaie mit Personalausweis. Sie hätte es beinahe übersehen. Sie schaute sich den Personalausweis an und zeigte ihn Erich und der wurde kreidebleich als er den Namen Kranhold, Julia las. Beide wussten sofort, um wen es sich handelt. Es war jene junge Frau, die von den acht Männern missbraucht wurde. Beide waren schockiert und Erich sagte zu sich: „Jetzt hat sie doch noch ihre Lok geküsst.“

Jutta, die das eigentlich nicht hören sollte und dennoch alles mitbekam, fragte: „Was faselst du da gerade?“

„Nichts! Ich fasele nichts! Ich sagte nur: Wir müssen unbedingt diese Kerle schnappen!“

Jutta nickte zustimmend und sagte: „Ja, das müssen wir.“

Nachdem die Arbeiten vor Ort beendet waren, fuhren sie zurück zur Dienststelle, um den Sachverhalt aufzuschreiben und zum Feierabend wollte Erich so schnell wie möglich nach Hause. Er wollte abschalten und das Erlebte beiseite drängen. Wenigstens für die Zeit, die er mit seiner Familie zusammen war. Als er zu Hause ankam, hatte Heidi schon Kaffee gekocht und den stellte sie unserem Erich hin und fragte: „Hast du die Zeitung schon gelesen? Ist ein interessanter Artikel drin. Den wirst du bestimmt lesen wollen.“

Der Ahnungslose nahm die Zeitung und blätterte darin rum.

Erich bezog die Thüringer Allgemeine und auf Seite 4 der Ausgabe vom 15. März 2019 stand der besagte Artikel. Er las die Überschrift: Schattenseiten der Kriminalitätsstatistik.

Gleich darunter stand geschrieben: Sexualdelikte und Raubtaten nehmen zu. Fast 1000 Messerangriffe im vergangenen Jahr.

Danach folgte die Kriminalitätsentwicklung in Thüringen von 2014 bis 2018. Also 2014 hatte man 142.060 erfasste Fälle und davon wurden 90.060 aufgeklärt und 2018 waren es schon 143.158 erfasste Fälle wovon 94.688 Fälle aufgeklärt wurden.

Darunter befanden sich zwei grafische Darstellungen. Die Erste beschäftigte sich mit der Gewaltkriminalität und wurde nach Deliktart aufgeschlüsselt.

Danach gab es 2018:

- 14 x Mord

- 29 x Totschlag, Tötung auf verlangen

- 718 x Raub, räuberische Erpressung

- 5 x Körperverletzung mit Todesfolge

- 230 x Vergewaltigung/sexuelle Nötigung

- 2 x erpresserischer Menschenraub

- 3502 x gefährliche Körperverletzung.

Die Zweite beschäftigte sich mit den Diebstählen und wurde ebenfalls nach Deliktart aufgeschlüsselt.

Danach gab es 2018:

- 2130 x Diebstahl in/aus Wohnungen

- 7407 x Ladendiebstahl

- 1462 x Diebstahl in/aus Wochenend- und Gartenhäusern

- 4231 x Fahrraddiebstahl

- 497 x Diebstahl von Mopeds und Krafträdern

- 3460 x Diebstahl an/aus Kraftfahrzeugen

- 665 x Diebstahl von Kraftwagen

- 17.971 x andere Diebstähle zusammengefasst

Das sind aber nur die bekannt gewordenen Fälle.

Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales.

Der Thüringer Innenminister sagte dazu: „Thüringen ist ein sicheres Bundesland und 2018 noch sicherer geworden.“

Erich war nur noch wütend, zerknitterte die Zeitung und schmiss sie in die Ecke. Der Tag war für ihn gelaufen.

Die Wochen vergingen und Erich kam langsam wieder zur Ruhe. Dennoch ließ ihn der Fall nicht los. Nur, seine Bemühungen, die er und seine Kollegen jeden Tag an den Tag legten, blieben ergebnislos bis der Tag kam, an dem die Oberkommissarin Ritter aus ihrem Büro kam und rief: „Jungs, wir haben die Täter. Die Kollegen in Halle haben sie aufgegriffen. Einer der Täter hat das Handy der armen Julia Kranhold aktiviert und es konnte sofort geortet werden. Das war gestern Abend in der Vorhalle vom Bahnhof Halle (Saale) Hbf. Die Kollegen haben gleich die ersten Befragungen durchgeführt und ihr könnt euch nicht vorstellen, was die gesagt haben. Da ist mir fast der Kragen geplatzt. Ich fahre jetzt nach Halle und nehme Hauptmeister Moto mit. Mal sehen, was wir noch alles rauskriegen.“

 

„Peggy, du wolltest uns noch erzählen, was die gesagt haben?“, Erich war nicht neugierig. Nein, er war wissbegierig und Peggy antwortete: „Wir haben der doch nichts getan. Wir wollten nur ein bisschen Spaß mit ihr haben!“, und: „Da können wir doch nichts dafür, wenn die keinn Spaß versteht?“

Erich antwortete: „Peggy, gib dein Bestes. Die sollen so lange wie möglich weggesperrt bleiben.“

Nach der Antwort schaute Peggy Erich noch mal an und sagte: „Versuch mal wieder ein wenig runterzukommen. Ich glaube, du bist urlaubsreif.“

„Ja, das glaube ich auch. Nächste Woche geht es los. Eine Kreuzfahrt über die Ostsee.“

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