Von Gnomen und Menschen

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Als Onar, Sören und Kulle von dieser 1720 stattgefundenen Reise zurückkehrten, wurden sie vom jungen Vindalf, einem der zukünftigen Weisen Männer, gefragt: „Gut, ich verstehe, dass es Gründe gibt, ihnen kein Eisen zu geben … aber wie sieht’s denn mit Gold, Amethysten und Bergkristallen aus. Daraus können doch keine Waffen hergestellt werden, nur Schmuck und ähnliches, also hübsche Sachen …“



„Wenn’s so einfach wäre,“ erwiderte Kulle traurig, „du hast ja keine Ahnung, wie sie sich beneiden um jede Kette, jeden Ring.“



„Auch wegen hübscher Sachen herrscht Eifersucht und Zwietracht unter ihnen,“ fügte Sören hinzu.



„Nein, ich denke, auch Gold und Edelsteine sollten wir ihnen nicht geben,“ entschied Onar.




1820 machte sich dann Vindalf auf die Reise, zusammen mit Loki und Mats - und das Erste, was sie im Städtchen hörten war, dass es in Frankreich eine folgenschwere Revolution des Volkes gegeben hatte. Jedermann sprach darüber, denn König und Adel waren davongejagt worden und die Armen hofften nun auf bessere Zeiten – zu tief war die Kluft zwischen Arm und Reich geworden, zu groß das Elend des Volkes, während ihre Fürsten in Saus und Braus lebten.



Die Gernot‘sche Familie kleidete sich zu dieser Zeit in Frack und Zylinder, noch immer liebten die Damen Reifröcke, aber ihre Blusen waren hochgeschlossen und die Haare zu schlichten Frisuren gekämmt – alles war einfacher und bescheidener geworden. Man protzte nicht mehr ganz so hemmungslos.




Außer einem Haufen Schafwolle, nicht nur für sich selber, sondern auch für die sie fliegenden Uhus zum Auspolstern ihrer Nester, hatten die Weisen Männer diesmal etwas ganz Besonderes in ihren Rucksäcken: Aus den Ländern jenseits des großen Ozeans, aus der Neuen Welt, wie die Menschen sie nannten, waren bisher unbekannte Pflanzen mitgebracht worden, so z.B. eine Knolle, die unter der Erde wuchs. Im Laufe der Jahre hatte sie ihren Siegeszug durch die Lande gemacht und wurde nun praktisch überall angebaut. Roh war sie ungenießbar, aber gekocht konnte man mit ihr leckere Gerichte zubereiten – und obendrein sollte sie ein sehr gesundes Gemüse sein. Den Weisen Männern schmeckte sie ganz ausgezeichnet und sie suchten einen Sack voll der kleinsten Exemplare und pflanzten sie zuhause acht Zentimeter tief in die Erde, was eine Mordsarbeit war für Leute ihrer Größe. Nach vier Monaten konnten sie die erste Kartoffelernte einbringen und ihre Frauen machten sich sogleich daran, die Rezepte aus den Küchen der Menschenfrauen auszuprobieren.



Die andere Pflanze aus Übersee verschwiegen sie wohlweislich, nicht umsonst waren sie ja ‚weise‘ Männer – schließlich konnte man nicht wissen, ob irgendwer eventuell Geschmack daran finden könnte. Die Menschen steckten die braunen, getrockneten Blätter des Tabakkrauts in Pfeifen, steckten sie in Brand und sofort fing es so an zu stinken und zu qualmen, dass die Weisen Männer würgen und husten mussten und ihnen das Wasser aus den brennenden Augen lief. Warum auf den Gesichtern der rauchenden Menschen ein zufriedenes Wohlbefinden zu erkennen war, kaum dass sie im Sessel saßen und die ersten Züge eingeatmet hatten, blieb ihnen schleierhaft.





Die Jahrhunderte vergingen und mit der Zeit ließen nur ein paar alte Namen vermuten, dass die Gnome vor vielen Generationen aus Gegenden hoch im Norden gekommen sein mussten. Und während es bei den Menschen ständig neue Erfindungen, Errungenschaften und neue Moden gab, waren sich die Weisen Männer einig darin, dass sie im Charakter der Menschen kaum Änderungen bzw. Fortschritte hin zum Besseren erkennen konnten. Nach wie vor zankten und stritten sie über jede noch so unbedeutende Kleinigkeit, nach wie vor galt ihnen Reichtum als das Erstrebenswerteste auf Erden, den man deshalb mit jeder List, mit Lug und Betrug, ja mit roher Gewalt erringen oder verteidigen wollte.



„Wer weiß, ob sie sich je ändern,“ waren die Bemerkungen der letzten Reisenden gewesen – man nahm es zur Kenntnis, man hatte nichts anderes erwartet, denn, im Laufe der Zeit war der Gedanke und der Wunsch nach Beziehungen sowieso etwas in den Hintergrund geraten. Die Reisen waren mehr oder weniger zur lieben Gewohnheit geworden, Abenteuer, bei denen man viel Interessantes erlebte. Dass sie einen so selbstlosen, anständigen, zuverlässigen und verschwiegenen Menschen finden würden wie den Schmied ihrer Ahnen, als sie noch im Land der Nordmänner lebten, glaubten sie schon lange nicht mehr ernsthaft.






Die etwas andere Reise im Jahre 1920




Im Jahr 1919 war Alviss der Weise Mann der Bombur-Sippe und 124 Jahre alt. 99 Jahre waren vergangen seit der letzten Reise, an der sein Urgroßvater Vindalf teilgenommen hatte, zusammen mit den Urgroßvätern Nidis II, dem derzeitigen Weisen Mann der Nidi-Sippe, und Hannars, dem derzeitigen Weisen Mann der Durin-Sippe. Es war an der Zeit, die nächste Expedition vorzubereiten. Des Abends, wenn die Familien beim Herdfeuer beieinander saßen, wurde von nichts anderem mehr gesprochen. Alviss wurde nicht müde, von seinem Urgroßvater zu erzählen – er selber war damals 25 Jahre alt gewesen und konnte sich deshalb sehr gut an jede Einzelheit erinnern.



„Wisst ihr, was Vindalf nach seiner Rückkehr sagte: ‚Sie sind tatsächlich so riesig, wie Onar, mein Urgroßvater behauptet hat, ihre Köpfe stoßen fast an die Wolken‘ … na ja, wahrscheinlich hat er etwas übertrieben … Onar war der kleinste Weise Mann, den es jemals gegeben hat. Und wisst ihr, was Vindalf mit eigenen Augen gesehen hat? Wie ein Mann einem anderen mit der Mistgabel in den Schenkel gestochen hat, nur weil er zornig auf diesen war. Vier runde Löcher hatte er, aus denen das Blut nur so herausspritzte. Und geschrien hat er so laut, dass die gesamte Nachbarschaft angelaufen kam. ‚Ich werde nicht schlau aus ihnen,‘ hat Vindalf gesagt, ‚manchmal benehmen sie sich wie Todfeinde, und dann wieder feiern sie Feste miteinander, lachen, tanzen, küssen und umarmen sich.“



„Was ist denn Tanzen,“ fragte Thekla, das jüngste Kind von Alviss‘ Enkel Carl und dessen Frau Mira aus Nidis Sippe.



„Nach allem, was Onar und Vindalf darüber erzählt haben, erinnert es ein wenig an unser Herumgehopse um das Feuer, wenn wir ein Hochzeitsfest feiern oder einfach nur vergnügt sind. 1720 nannten sie ihren Tanz Menuett, 1820 hieß er Walzer. Dazu ziehen sie sich ihre schönsten Kleider an…“



„Haben ihre Frauen denn mehr als zwei Kittel?“



„Kittel? Ach Thekla, nur die Allerärmsten unter ihnen laufen in Kitteln herum. Die meisten haben Schränke und Truhen voller Kleider, nicht nur die Frauen, auch ihre Männer und ihre Kinder. Morgens, mittags, abends und sogar nachts tragen sie andere Kleider. Zum Reiten, zum Krieg führen, für jede Gelegenheit … immerzu ziehen sie sich um. Warte, ich zeige dir was.“



Alviss zog aus seiner Tasche einen zusammengerollten und daher etwas zerknautschten Damenhandschuh hervor. Ein Raunen ging durch die Reihen der jüngeren Zuhörer, die weder dieses noch andere Mitbringsel je gesehen, noch von ihnen gehört hatten, waren die Menschen doch nur eine gewisse Zeit vor und nach den Reisen ein ausführliches Gesprächsthema unter den Gnomen.



„Hat Vindalf … äh … mitgehen lassen,“ sagte Alviss augenzwinkernd. „Schade, dass ich keine dieser weißgepuderten Perücken habe, die sie zu Onars Zeiten trugen, zusammen mit aufgebauschten rosa Röcken, die immer so aussahen, als wenn der Wind unter sie gefahren wäre.“



Ein etwas zerknittertes rosa Seidenschleifchen kam zum Vorschein.



Thekla riss die Augen auf – ein so feines Gewebe hatte sie noch niemals zuvor gesehen.



„So dünne Fäden können sie spinnen?“ fragte sie fassungslos.



„Nein, nein,“ antwortete Alviss, „diesen Faden spinnt eine Raupe. Ihr kennt doch alle die Netze der Spinnen und habt ihnen dabei zugesehen, wie sie die Fäden aus ihrem Körper ziehen. So ähnlich machen es die Seidenraupen, nur weben sie keine Netze, sondern wickeln die Fäden zu einem Kokon auf. Die Menschen wickeln sie wieder ab und weben daraus Seidenstoffe. Rosa ist eine sehr beliebte Farbe, vor allem bei den Damen.“




„Sie sollen sogar rosa Schweine haben,“ meldete sich nun mit spöttischem Lächeln Alviss‘ erstgeborener Urenkel Bruno, Sohn von Ginnar und Sif. „Und warum auch nicht,“ fuhr er fort und sein Ton wurde trotzig. „Perücken mit Locken und weiß gepudert mit Mehl … warum nicht? Walzer, Ringe, Schränke voller Kleider, Steinhäuser, Maschinen … die Frage ist, warum

wir

 das nicht alles haben?“



Herausfordernd blickte Bruno in die Runde. Alviss schaute seinen Nachfolger in genau 88 Jahren nachdenklich an. Bruno machte ihm Sorgen, schon seit langem. Er war klug, klüger als andere Zwölfjährige – aber seine Klugheit schlug oftmals um in Schläue. Er war auch mutiger als die meisten, aber sein Mut übersteigerte sich gelegentlich in Tollkühnheit und Leichtsinn. Er schaute verächtlich auf seine Geschwister, Cousins und Cousinen, ging seine eigenen Wege, niemand wusste genau, was er trieb, wenn er alleine im Wald verschwand. Keinem vertraute er an, was er dachte und plante, und manchmal hatten sie ein ungutes Gefühl in seiner Gegenwart, ohne die Gründe dafür genau benennen zu können. Er war anders als sie alle, das stand fest, und deshalb dachten sie mit einer gewissen Sorge an die Zukunft, wenn er dereinst ihr Weiser Mann, ihr Oberhaupt sein würde. Auch Alviss war sich nicht sicher, ob es ihm gelingen würde, ihn zu verstehen. Dass Bruno an den Menschen interessiert war, war an sich nichts Ungewöhnliches oder gar Schlechtes. Er war es schließlich, der in ferner Zukunft, im Jahr 2020 zu ihnen gehen würde. Alviss nahm sich vor, ihn zur Rede zu stellen. Eine Gelegenheit dazu ergab sich gleich am nächsten Tag.



„Was hast du damit gemeint gestern,“ fragte er ihn.

 



„Womit,“ fragte Bruno patzig zurück.



„Das weißt du sehr wohl,“ entgegnete Alviss und sah ihn fest an.



Bruno kratzte mit dem Fuß über den Boden, offensichtlich kämpfte er mit sich selbst, was er nun tun sollte, ausweichend oder ausführlich antworten. Aber gestern hatte er einen Fehler begangen und sich verplappert, also konnte er jetzt ebenso gut mit der ganzen Wahrheit rausrücken. Je länger Bruno redete, desto entsetzter hörte ihm Alviss zu. Es war lange her, dass ein Gnom ernsthaft an Beziehungen gedacht, und es war das erste Mal, dass ein Gnom solche Wünsche, wie sie Bruno nun hervorsprudelte, geäußert hatte.



„Warum sollte es uns stören, wenn sie sich mit unseren Edelsteinen vollhängen, meinetwegen können sie sie in die Ohren oder in den Bauchnabel stecken,“ sagte er. „Was kümmert es uns, wenn sie sich die Köpfe einschlagen. Alles, was uns interessieren sollte ist, wie wir viel Geld verdienen können durch sie.“



„Geld? Was willst du denn damit?“



„Häuser bauen wie sie, Straßen, Möbel, ordentliche Kleider tragen … nicht so elende braune Kittel wie diese hier,“ erwiderte Bruno heftig und zog an seinem Hemd, „nicht in solchen Erdlöchern hausen. Warum gehen wir nicht zu ihnen und sagen, baut mit euren großen Maschinen eine Straße zu uns quer durch den Wald und wir bezahlen euch mit Eisen, Gold und Edelsteinen. Zeigt uns, wie man eine Stadt baut, oder Kleider näht und Seide webt und vieles mehr. Ich will leben wie sie, ich will so sein wie sie!“



„Sie sind anders als wir und wir können nicht so werden wie sie,“ antwortete zitternd vor Erregung sein Urgroßvater, „ich glaube nicht daran, dass wir je Partner werden können so wie du es dir vorstellst. Natürlich werden sie eine Straße bauen, wenn sie von den Schätzen im Wald hören … aber nicht für uns, sondern für sich selber. Sie würden uns nichts abkaufen, sondern sich nehmen, was sie wollen … und uns fortjagen. Möglicherweise schlimmeres mit uns anstellen … du weißt, was sie sich untereinander antun.“



„Dann müssen wir uns eben bewaffnen.“



„Ach Bruno,“ Alviss hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen in schierer Verzweiflung, „du hörst nicht richtig zu … sie sind mehr als zehn mal so groß wie wir. Wie kannst du nur glauben, dass wir ihnen gewachsen sind … oder dass einer von uns Krieg führen könnte … oder wollte.“



„Ich will,“ stieß Bruno hervor und Alviss sah die Entschlossenheit in Brunos Augen. In diesem Moment war er froh, dass es noch viele Jahre dauern würde, bis Bruno das Oberhaupt der Sippe würde - und es noch 101 Jahre brauchte, bis er seine Reise zu den Menschen antreten würde. In weniger als einem Jahr stand erstmal sein eigener Besuch, zusammen mit Nidi und Hannar bevor – und es gab noch soviel vorzubereiten.



„Gleich nach meiner Rückkehr werde ich ernsthaft mit seiner Bekehrung beginnen,“ dachte Alviss und seufzte tief, „wird ein schönes Stück Arbeit.“




Doch dieses unerfreuliche Gespräch ließ ihn nicht mehr los. Immer öfter kamen ihm Zweifel an Brunos Tauglichkeit zum Weisen Mann. Eines Tages beschloss er, sich einem nicht ganz ungefährlichen Ritual zu unterziehen. Mit Hilfe von Pflanzenextrakten und allerlei anderen geheimnisvollen Zutaten, deren Zusammensetzung auf das Genaueste befolgt werden musste um nicht grimmige Bauchschmerzen hervorzurufen, versetzte er sich in einen Trancezustand. Er beschwor die Geister seiner Ahnen, ihm einen Blick in die Zukunft zu gestatten, in Brunos und in die der Sippe.



„Heiliger Strohsack,“ entfuhr es ihm, als er einzelne Fetzen davon an seinem inneren Auge vorbeihuschen sah. „Was hat das alles zu bedeuten?“



Alviss versuchte, Ordnung in die wirre Bilderflut zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Alles was blieb, war die Gewissheit, dass eine Katastrophe bevorstand – und Bruno war darin verwickelt. Von da an fand er kaum noch Ruhe vor all den quälenden Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen: Sollte er mit der Tradition brechen und einen seiner anderen Urenkel zum Nachfolger bestimmen? Sollte er weiterhin unbekümmert von den Menschen erzählen? Würde er damit bei Bruno und, wer weiß, vielleicht auch bei anderen falsche Ideen hervorrufen? Sollte er Bruno auch in Zukunft in der speziellen Kräuterkunde für Weise Männer unterrichten, ihn die geheimen Beschwörungsformeln lehren? Ein schrecklicher Gedanke befiel ihn: War es gar am Ende schon zu spät? Schon lange hatte er das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, wenn er in seine Hütte im Wald mit der unterirdischen Geheimkammer ging, dass seine Töpfe und Schalen an anderen Stellen standen als sie sollten, dass das eine oder andere fehlte. Anfangs beschuldigte er sich selber der Unkonzentriertheit und schalt sich selber schmunzelnd einen alten Mann. Doch es waren zu viel der Ungereimtheiten und die Frage nagte an ihm: Konnte es sein, dass Bruno hinter seinem Rücken hier eindrang und ihn belauschte, ihn bestahl, gar Experimente machte?




Die Zeit verging zwischen Erzählungen über Vindalf, Reisevorbereitungen und seinen Befürchtungen um die Zukunft. Dann waren es plötzlich nur noch drei Tage bis zum Abflug und Alviss machte sich auf den Weg zu einer Stelle im Wald, wo uralte Baumriesen standen, voller Löcher und Höhlen in ihren knorrigen Stämmen. Kaum angekommen, stieß er einen langgezogenen, hellklingenden Ton aus. Es dauerte nicht lange, da hörte er das bekannte Auf- und Niederschlagen von mächtigen Flügeln, spürte den Luftzug und sah im nächsten Augenblick rundgebogene, scharfe Krallen sich ins Erdreich bohren. Er trat ein paar Schritte zurück, um dem dunkelgefiederten Uhu in die orangefarbenen Augen blicken zu können.



„Es ist soweit,“ sagte er schlicht.



„Wir sind bereit,“ antwortete Mona knapp. Sie war nicht besonders erfreut darüber, neben ihrer Schwester Karu, ihrem Bruder Bilo und ihren Cousinen Waga und Sila für den Transport der Gnome ausgewählt worden zu sein. Sie hatte einen Verehrer, mit dem sie sich in diesem Jahr vermählen wollte – damit würde es nun leider nichts.



„Hast du viel Gepäck,“ fragte sie barsch.



„Nur einen Kittel zum Wechseln und einen Beutel … äh … für Proben.“



„Ich verstehe, Vindalf und alle vor ihm haben auch ‚Proben‘ gesammelt. Meinetwegen klau ihnen, soviel zu willst, geht mich nichts an … Bilo und Sila schleppen die vollen Säcke. Hast du übrigens schon gehört, dass kürzlich wieder einer von den Menschen besonders mutig sein wollte? So ein junger Naseweis, kam im Dämmerlicht in den Wald. Na, ich kann dir sagen, dem haben sie’s so richtig gegeben. Sind um ihn herumgeflattert und gehüpft, haben ihm mit den Krallen an den Ärmeln gezupft, sind in seine Hosenbeine, in den Nacken und in die Ohren gekrabbelt und haben ihm mit dem Schnabel in den Allerwertesten gehackt. Dazu haben die Käuzchen die ganze Zeit mit den Augen geklimpert und Huuuuhuuuuuh geschrien … muss ein Mordsspaß gewesen sein.“



Alviss lachte laut: „Und? Weg war er, oder?“



„Das kannst du glauben. Er ist um sein Leben gerannt, der kommt so schnell nicht wieder.“



„Gut gemacht, also dann, wir sehen uns in genau drei Tagen bei Sonnenuntergang.“



„In drei Tagen, Bilo und ich werden hier sein, Waga und Sila bei Hannar und Karu bei Nidi … wie besprochen,“ sagte das Uhu-Weibchen und breitete seine Flügel aus.





Durch den Wald schallte ein langgezogener, hellklingender Ton, wie ihn die Uhus den Gnomen beigebracht hatten, um sie herbeizurufen. Mona, die erst seit wenigen Minuten wieder in ihrer Höhle hoch oben im Baumstamm saß, öffnete erstaunt die Augen. Alviss musste was vergessen haben, sehr ungewöhnlich. Als sie tief unter sich den vertrauten Wuschelkopf mit dem braunen Kittel sah, machte sie sich zum Sinkflug bereit.



„Jetzt bin ich aber gespannt, was … wer bist denn du? Ist mit Alviss was passiert … ihm ist doch nichts zugestoßen?“



„Nein, alles in Ordnung … ich bin Bruno, Alviss erstgeborener Urenkel,“ sagte der Knirps da vor ihr sehr forsch, wohlwissend, dass Mona sich über seine zukünftige Stellung als Weiser Mann im Klaren war.



„Aha,“ sagte Mona abwartend, „ du bist das … und?“



„Ich wollte Bilo sprechen. Weißt du, wo er ist?“



Mona schaute ihn aufmerksam an - was könnten die beiden wohl miteinander zu besprechen haben? Bilo war in ihrer Familie, was Bruno unter den Gnomen war – etwas anders geraten. Ach was, es ging sie nichts an.



„Warte hier, ich seh mal nach,“ sagte sie und flog bis über die Baumwipfel. Bruno hörte ihren Schrei und kurz darauf rauschten Blätter, Flügel schwappten auf und nieder, dann stand Bilo vor ihm.



„Du bist Alviss‘ Urenkel? Was willst du von mir,“ fragte er ohne Umschweife.



Bruno schaute sich um, ob sie vielleicht einen Zuhörer hätten. Als er niemanden entdecken konnte, antwortete er ebenso direkt: „Nimm mich mit!“



„Wohin?“



„In die Stadt, zu den Menschen, in drei Tagen.“



„Was??? Du willst mit Alviss …?“ Bilo blickte nach oben, aber Mona saß schon wieder mit geschlossenen Augen dösend in ihrem Nest.



„Jein … zur gleichen Zeit schon, aber heimlich, ohne dass Alviss was merkt.“



„Kommt nicht infrage … wie stellst du dir denn das vor?“



„Ganz einfach, du nimmst mich unter deinen Flügel, oder unter deine Brustfedern, wo mich niemand sieht.“



„Ich werde weder das eine noch das andere tun … wie kommst du nur auf sowas? Und was glaubst du, was Alviss sagen würde, wenn er wüsste …“



„Soll er ja gar nicht, hab ich doch schon gesagt. Außerdem ist es dunkel, er wird mich nicht bemerken.“



„Und warum sollte ich?“



Bruno holte tief Luft, nun würde er seinen Trumpf ausspielen und hoffte, dass er Bilo richtig eingeschätzt hatte: „Weil ich dann dafür sorgen werde, dass kein Uhu mehr in Zukunft diese Reise unternehmen muss, dass deine Familie für immer von dem Versprechen befreit wird, das man euch einst abpresste.“



Bilo riss seine ohnehin schon kugelrunden, großen Augen auf. „Das ist ein Argument … und ich habe weiter nichts zu tun, als dich hinzufliegen in die Stadt?“



„Und wieder zurück natürlich.“



„Natürlich! Und wer trägt dann den schweren Sack mit all den Reiseandenken deines Urgroßvaters?“



„Sei nicht so phantasielos … du verlierst einfach das Meiste … du kannst schließlich nichts dafür, wenn Alviss den Sack nicht richtig zubindet, kapiert?“



„Hab ich, ja … aber eines verstehe ich nicht … wie willst du selber eines Tages, wenn du der Weise Mann bist, ohne unsere Hilfe in die Stadt kommen? Und was hast du überhaupt dort zu tun?“



„Das wirst du irgendwann erfahren, im Moment vertrau mir einfach.“



Bilo überlegte, von diesem Wicht hatte er schon allerlei gehört, zum Beispiel dass er undurchschaubar, eigenartig sei. Was sollte er von den Versprechungen und mysteriösen Andeutungen eines 13-jährigen halten? Waren sie ernst zu nehmen? Schlimmstenfalls hätte er ihn reingelegt, günstigstenfalls wäre seine Familie tatsächlich die lästige Verpflichtung den Gnomen gegenüber los – man wäre ihm sicher sehr dankbar dafür. Im Geiste sah er sich umjubelt von lauter Bewunderern.



„Na gut,“ sagte er schließlich, „du klammerst dich unter meinem Bauch fest, wenn du runterfällst … dein Pech … du weißt, was dir dann blüht.“



„Reg dich ab, ich pass schon auf,“ antwortete Bruno und lächelte im Innern, hatte er doch so einiges über Bilos Draufgängertum gehört und sich eine gute Chance ausgerechnet, ihn zu diesem Unternehmen überreden zu können.



„Und noch was, sieh zu, dass dich auch Hannar und Nidi nicht sehen.“



„Das brauchst du mir nicht extra zu sagen … dann sind wir uns einig?“



„Soweit schon,“ sagte Bilo und sah ihn listig an, „es kostet dich aber noch etwas, schließlich gehe ich ein großes Risiko ein … und außerdem werden erst meine Ururenkel was davon haben, nicht mehr für euch fliegen zu müssen. Deshalb … gib mir einen Durchsichtigen, einen Lila und einen Gelben.“



„Du meinst einen Bergkristall, einen Amethyst und einen Goldklumpen? Was willst du damit?“



„Meine Höhle ausschmücken … ich will bald heiraten.“



„Deine Zukünftige sieht die Steine in der dunklen Höhle doch gar nicht.“



„Wenn du dich da mal nicht irrst. Du müsstest doch eigentlich wissen, dass wir im Dunkeln besser sehen als im Hellen.“



„Schon gut … meinetwegen. Den Bergkristall gebe ich dir vor dem Abflug, damit du ihn nicht mitschleppen musst, den Amethyst stecke ich ein und gebe ihn dir, wenn du mich heil und ungesehen in der Stadt abgesetzt hast, den Goldklumpen bekommst du, wenn wir zurück sind.“



„Wir sehn uns,“ erwiderte Bilo und flog davon.

 



„In drei Tagen, ich werde zeitig da sein.“



Bruno lief durch den Wald zu Alviss‘ unterirdischer Schatzkammer. Noch nie war ein Uhu auf die Idee gekommen, sein Nest mit Edelsteinen und Gold zu schmücken. „Nun, wenn er unbedingt damit seiner Braut imponieren will,“ dachte er, „Alviss hat genug davon, er wird es nicht bemerken, wenn drei Klunkerchen fehlen.“





Der Tag der Abreise kam. Bruno hatte sich als einer der Ersten von Alviss verabschiedet, was nicht weiter auffiel. Später konnte sich niemand daran erinnern, wann man ihn das letzte Mal gesehen hatte. Unauffällig lief er in den Wald, fand Bilo bereits wartend und verkroch sich unter den dunklen Brustfedern.



Als Alviss kam und auf Monas Rücken kletterte, schrie sie auf und ihre gelben Augen funkelten: „He, he, he … nicht so grob, du reißt mir noch die Federn aus.“



„Tschuldigung, war nicht so gemeint,“ beschwichtigte Alviss sie eiligst.



Endlich hatte er eine bequeme Lage gefunden, schmiegte sich eng an ihren Körper und rief: „Kann losgehen!“



Mona breitete ihre Flügel aus, deren Spannweite fast so weit war wie die Menschen hoch sind. Nach einigen kräftigen Schlägen schwebten sie in der Luft. Sie umkurvte geschickt Baumstämme, stieg immer höher, bis der Wald unter ihnen lag und sie in einen Gleitflug überging. Bilo war etwas früher aufgestiegen und flog nun neben seiner Schwester.



„Meine Güte, du eierst ganz schön rum … du kippst gleich nach vorne!“ Sie sah ihn mit einem skeptischen Blick an. „Was ist denn los mit dir?“



Bilo, der sich erst an die Last unter seinen Brustfedern gewöhnen musste, antwortete so leichthin wie möglich: „ Oh, nichts weiter, hab nur kein Auge zu gemacht vor lauter Aufregung.“



„Oho,“ lachte Mona lauthals, „mein Bruder und aufgeregt … ich glaub es nicht!“



„Wenn du wüsstest,“ dachte Bilo und kämpfte um mehr Balance.



„Sieh mal, wir bekommen Gesellschaft.“ Sie stieß einen schrillen Schrei aus und Alviss erkannte in der Dämmerung die gelb leuchtenden Augen der drei anderen Uhus – Karu mit Nidi auf dem Rücken, Waga mit Hannar und Sila ohne jede Last.



„Hallo Nidi, hallo Hannar,“ schrie er, „wie geht’s?“



„Gut, gut,“ hörte er ihre gepressten Stimmen und grinste.




Schweigend flogen sie weiter durch die immer undurchdringlichere Schwärze der Nacht, bis die ersten Sterne funkelten und ein voller Mond sein silbriges Licht verbreitete. Nur das schwappende Geräusch schlagender Flügel war zu hören. Mehrmals machten sie eine kleine Rast auf einem Baumwipfel, die Vögel steckten ihre Köpfe ins Gefieder und schliefen für eine Weile, um frische Kräfte zu sammeln. Während des Fluges wagten Alviss, Hannar und Nidi es nicht, ein Auge zuzutun aus Angst, dass sich ihr Griff lockern und sie herunterfallen könnten. Nach kurzer Zeit schon taten ihnen alle Knochen weh und sie sehnten sich nach festem Boden unter den Füßen und einem warmen, weichen Platz zum Schlafen. Bruno döste vor sich hin, durch die gleichmäßigen Bewegungen Bilos eingelullt. Und so wäre er tatsächlich um ein Haar, beziehungsweise eine Feder, abgestürzt. Plötzlich hellwach, fand er sich in der Luft baumelnd. Instinktiv schnappten seine Hände zu, die eine griff nur Luft, die andere erwischte das Ende einer Feder. Verzweifelt kämpfte er darum, festen Halt zu finden und hätte Bilo nicht den Kopf gesenkt und mit seinem Schnabel nachgeholfen, wäre es vermutlich um ihn geschehen gewesen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und er blieb hellwach bis zum Ende der Reise.



„Was ist,“ schrien Bilos Nachbarinnen, als sie den Tumult vor seiner Brust bemerkten und seinen Schlingerkurs.



„Oh, keine Angst … nur ein verirrter Käfer, so ein richtig dicker Brummer, hab ihn erwischt, schon in Ordnung,“ rief er schlagfertig zurück und war froh, dass Bruno sich wieder ruhig verhielt.




Sie flogen zwei Nächte lang, kein Unwetter hielt sie auf und ein günstiger Wind trieb sie voran. Etwas brenzlig wurde es am ersten Morgen, als sie im hellen Licht landeten um den Tag über zu ruhen, weil Bilo sich was einfallen lassen musste, wie er Bruno unauffällig loswerden konnte, ohne dass die anderen es bemerkten. Er setzte etwas abseits auf und als sie verwundert nach ihm Ausschau hielten, sagte er: „Hab e

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