Erinnerungen aus galanter Zeit

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»Sie hoffen mich durch diese schöne Auseinandersetzung zu dem Geständnisse zu bringen, daß Ihre Hartnäckigkeit vernünftig ist; aber Sie sind in völligem Irrtum, denn ich fühle, daß ich durchaus ruhig bleiben, und daß Ihre Gefälligkeit Ihnen meine Freundschaft erwerben würde.«

»Sie wurden wütend werden, sage ich Ihnen.«

»Bellino, was mich wütend gemacht hat, das ist die Zurschaustellung Ihrer zu wirklichen oder zu trügerischen Reize, deren Wirkung Ihnen gewiß nicht unbekannt sein kann. Damals haben Sie meine verliebte Wut nicht gefürchtet; wie soll ich also glauben, daß Sie sie jetzt fürchten, da ich Sie nur bitte, mich eine Sache berühren zu lassen, die geeignet, mir Ekel einzuflößen.«

»Ach, Ihnen Ekel einzuflößen! Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Hören Sie mich. Wäre ich ein Mädchen, so würde es nicht in meiner Macht stehen, Sie nicht zu lieben, das fühle ich, da ich aber ein Knabe bin, so ist es meine Pflicht, nicht die Gefälligkeit zu haben, welche Sie wünschen.«

Als wir bei finstrer Nacht in Sinigaglia ankamen, stieg ich im besten Gasthofe ab. Nachdem ich mir ein gutes Zimmer gemietet, bestellte ich ein Abendessen. Da in dem Zimmer nur ein Bett war, so fragte ich Bellino mit der ruhigsten Miene, ob er sich in einem andern Zimmer heizen lassen wolle; aber man denke sich mein Erstaunen, als er mir sehr milde antwortete, er trage kein Bedenken, in demselben Bett zu schlafen. Ich bedurfte dieser Antwort, auf welche ich nichts weniger als gefaßt war, um die trübe Laune, welche mich störte, zu zerstreuen. Ich sah, daß ich der Lösung des Knotens entgegenging, aber in der Ungewißheit, ob sie eine günstige oder ungünstige sein würde, hütete ich mich wohl, mir schon Glück zu wünschen; ich empfand aber doch ein wirkliches Vergnügen über meinen Sieg, da ich sicher war, einen vollständigen über mich davonzutragen, wenn meine Sinne und mein Instinkt mich getäuscht haben sollten, das heißt ihn zu achten, wenn er Mann wäre. Im entgegengesetzten Falle glaubte ich die süßesten Gunstbewilligungen erwarten zu dürfen. Wir setzten uns einander gegenüber bei Tische, und während des Essens ließen mich seine Reden, seine Mienen, der Ausdruck seiner schönen Augen, ein süßes und wollüstiges Lächeln ahnen, daß er müde sei, eine Rolle zu spielen, welche ihm ebenso lästig hatte werden müssen, wie mir selbst. Ich fühlte mich von einer großen Last erleichtert und kürzte das Essen soviel wie möglich ab. Sobald wir vom Tisch ausgestanden, ließ mein liebenswürdiger Gefährte eine Nachtlampe bringen, und nachdem er sich entkleidet, legte er sich ins Bett. Ich folgte ihm sogleich, und ein Weib war es, welches sich mir näherte, als ich mich niedergelegt hatte. Wir sprachen nicht, aber unsere Küsse verschmolzen, und ich gelangte auf den Gipfel des Genusses, ehe ich noch Zeit gehabt, ihn zu suchen. Was hätte es auch wohl, nachdem ich den vollständigen Sieg errungen, meinen Augen und meinen Fingern genutzt, Untersuchungen anzustellen, welche mir doch keine größere Gewißheit mehr verschaffen konnten, als ich schon hatte. Ich ließ meine Blicke auf diesem schönen Gesichte schweifen, welches die zärtlichste Liebe mit dem lebhaftesten und natürlichsten Feuer beseelte. Nach einem Augenblicke der Ekstase entzündete ein neues Feuer eine neue Feuersbrunst unsrer Sinne und wir löschten auch diese in einem Meere neuer Entzückungen. Als unsre Sinne der Ruhe bedurften, wir still nebeneinander lagen und ich das reizende Wesen bat, mir doch zu sagen, wodurch sie denn veranlaßt worden, jene schreckliche Mißbildung zu tragen, die ich doch bei ihr gemerkt, vernahm ich eine seltsame Geschichte von Therese, denn dies war ihr richtiger Name. Der berühmte Musiker, der Kastrat Salimberi, hatte sie zu sich genommen, um ihre Stimme, von der er das höchste hoffte, auszubilden. Hatte dieser Mann auch durch seine Verstümmelung lange nicht die Überlegenheit andrer Männer, so entfesselte doch seine Schönheit, sein Geist und sein Benehmen ihre Liebe, daß sie ihm ganz zu Willen war. Nach einiger Zeit starb ihr Vater, und da Salimberi nach Rom mußte, brachte er Therese nach Rimini in dieselbe Pension, in welcher von ihm auch ein Knabe unterhalten wurde, den sein Vater, ein armer Musiklehrer, als er sich dem Tode nahefühlte, zum Kastraten bestimmte, damit er so seine zahlreichen Geschwister ernähren könne. Als Salimberi in diese Pension kam, war der Knabe, Bellino geheißen, gerade gestorben. Da er den Schmerz bedachte, welcher die arme Witwe befallen mußte, kam er auf den Gedanken, sie, Therese, sollte sich als den jungen Kastraten ausgeben, als solchen wolle er sie bei dessen Mutter in Pension bringen, die für das Geld, das sie sich dadurch erwürbe, sicher Schweigen bewahren würde. Wäre sie dann vollends ausgebildet, so würde er sie an das Hoftheater nach Dresden bringen, wo auch er weilte, und dort könnten sie dann ohne Hindernis zusammen leben. Ihr Busen würde ihr, wenn er sich entwickelte, nichts schaden, denn auch Kastraten zeigten öfters einen solchen. Da aber Untersuchungen zu erwarten waren, so hatte er ihr ein Instrument gegeben, welches sie an ihrem Körper befestigen mußte, um äußerlich einen männlichen Eindruck hervorzurufen. Leider starb Salimberi vor einem Jahre, und nun mußte sie ihr Talent nutzbar machen. Ihre sogenannte Mutter riet ihr, sich auch weiterhin als Kastraten auszugeben. Sie tat es wohl, aber sie litt darunter und nicht zum wenigsten durch die Nachstellungen, denen sie ausgesetzt; und in die bittenden Worte brach sie aus: »Nach Salimberi bist du der einzige Mann, den ich gekannt. Aus Mitleiden, mein Engel, sei großmütig, wenn du mich liebst, entziehe mich diesem Zustande der Schmach und Verworfenheit. Nimm mich mit dir. Ich mache keinen Anspruch darauf, deine Frau zu werden, das möchte zu viel Glück sein; laß mich nur deine Freundin sein, wie ich die Salimberis gewesen sein würde: mein Herz ist rein, ich fühle, daß ich gemacht bin, um mein Leben durch Treue gegen meinen Liebhaber zu ehren. Verlaß mich nicht. Die Zärtlichkeit, die du mir eingeflößt, ist eine wahrhafte; die, die ich für Salimberi hegte, war unschuldig und entsprang aus meiner Jugend und Dankbarkeit, und ich halte mich erst für ein Weib, seitdem ich es durch dich geworden bin.«

Ihre rührenden Worte, die mit Überzeugung von ihren Lippen strömten, waren wie ein Zauber und ließen mich Tränen zärtlicher Teilnahme vergießen. Ich vermischte sie mit denen, die ihren schönen Augen entflossen, und, lebhaft ergriffen, versprach ich ihr aufrichtig, sie nicht zu verlassen. Nachdem ich midi überzeugt, daß ich wirklich in Ankona ihre wahrhafte Neigung wachgerufen, daß sie qualvoll gelitten unter den Beleidigungen, die ich ihrem Herzen durch mein Verhältnis zu ihren Schwestern zufügen mußte, faßte ich den Entschluß, sie mit meinem Schicksale zu verknüpfen, wie dieses sich auch gestalten mochte, oder mich mit dem ihrigen, denn unsere Lage war so ziemlich dieselbe, dieser Verbindung aber auch die Weihe der Gesetze und der Religion zu geben, sie förmlich zu heiraten; denn nach meinen damaligen Ideen konnte eine Heirat unsere Zärtlichkeit nur inniger machen, unsere gegenseitige Achtung nur vermehren. Da ich mir aber sagte, daß es bei meinen damaligen Verhältnissen dahin kommen könnte, daß ihr Talent mich ernähren müsse, und sie mir dann die größten Demütigungen zufügen könnte, beschloß ich, sie zu prüfen. Ich gestand ihr, nachdem ich sie gehörig auf meine Wahrhaftigkeit vorbereitet, ein, daß ich nicht reich, daß ich, wenn meine Börse geleert, nichts mehr mein eigen nennen könne, daß ich nicht von Adel, sondern von gleicher Geburt wie sie; daß kein einträgliches Talent und keine Stellung mir sichere Existenz gäbe, kurz, daß meine ganze Habe bestehe aus: Jugend, Gesundheit, Mut, etwas Geist, Ehr- und Rechtlichkeitsgefühl, und in einiger Kenntnis der guten Literatur. Außerdem sei ich der Verschwendung sehr zugeneigt. Sie antwortete darauf, daß sie mir buchstäblich glauben müsse, denn eine Ahnung habe ihr das schon vorhergesagt. Aber sie freue sich, denn nun könne sie gewiß sein, daß ich ihr Geschenk annehmen würde.

»Dies Geschenk besteht in mir, wie ich bin und mit allen meinen Fähigkeiten. Ich gebe mich dir ohne jede Bedingung hin; ich gehöre dir und werde für dich sorgen. Denke in Zukunft nur daran, mich zu lieben, aber liebe mich allein. Von diesem Augenblicke bin ich nicht mehr Bellino. Gehen wir nach Venedig, wo mein Talent uns beide ernähren wird, oder wohin du willst.«

»Ich muß nach Konstantinopel reisen.«

»Gehen wir dorthin. Wenn du mich durch Unbeständigkeit zu verlieren fürchtest, so heirate mich, und deine Anrechte an mich werden durch die Gesetze befestigt. Ich werde dich darum nicht zärtlicher lieben; aber der Name deiner Gattin wird mir angenehm sein.«

»Ich habe diese Absicht und freue mich, daß du meine Ansicht teilst. Übermorgen, und keinen Tag später, sollst du mein Gelübde in Bologna am Fuße des Altars empfangen, wie ich es hier in den Armen der Liebe ablege. Ich will, daß du mein seiest und daß wir beide durch alle nur erdenkbaren Bande vereinigt werden.«

Wir waren auf dem Gipfel des Glücks. Am folgenden Tage machten wir uns auf den Weg, und blieben zum Frühstück in Pesaro. Als wir im Begriff sind, in den Wagen zu steigen, erscheint ein Unteroffizier mit zwei Füsilieren und fragt uns nach unsern Namen und unsern Pässen. Bellino gibt den seinigen, aber ich suche vergeblich den meinigen, ich finde ihn nicht. Der Korporal befiehlt dem Postillon zu warten und stattet seinen Bericht ab. Eine Stunde darauf kehrt er mit dem Passe Bellinos und der Meldung zurück, er könne Weiterreisen, während ich zum Kommandanten geführt wurde, wo ich mich auswies, soweit ich konnte, aber zugestehen mußte, daß mein Paß verloren gegangen sei. Ich wurde nun festgehalten, bis ein Paß aus Rom wieder für mich ankäme. Ich war untröstlich, besonders Theresens wegen, welche weiterreisen mußte, und es blieb uns nur die Hoffnung, daß wir uns in zehn Tagen wiedersehn würden, um uns nicht mehr zu verlassen. Das Schicksal hat es anders gewollt. Ich war auf Sankt Maria untergebracht, wo ich bald bekannt war und frei herumspazieren konnte. Da begegnete mir eines Tags der sonderbarste Zufall meines Lebens. Es war sechs Uhr morgens. Ich ging etwa hundert Schritt von der Schildwache spazieren, als ein Offizier in meiner Nähe vom Pferde stieg, ihm den Zügel über den Hals warf und sich entfernte, um ein Bedürfnis zu verrichten. Ich bewundere die Gelehrigkeit des Pferdes, welches wie ein getreuer Diener, dem sein Herr zu warten befohlen, dastand, nähere mich ihm, ergreife ohne alle Absicht die Zügel, setze den Fuß in den Bügel und sitze nun im Sattel. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich ein Pferd bestiegen. Ich weiß nicht, ob ich es mit meinem Stocke oder meinem Absatze berührte, plötzlich geht das Tier mit mir durch; ich drücke es mit meinen Absätzen, und nachdem mein rechter Fuß den Steigbügel verloren und da das Pferd sich fortwährend gedrückt fühlt, so läuft es immer schneller und schneller. Der letzte vorgeschobene Posten ruft mir Halt zu; ich kann dem Befehle nicht willfahren, da das Pferd immer schneller läuft: ich höre Kugeln um mich herum pfeifen, welche meinem unfreiwilligen Gehorsam nachgeschickt werden. Endlich beim ersten vorgeschobenen Posten der Österreicher hält man mein Pferd an, und ich danke Gott, daß ich absteigen darf. Ein Husarenoffizier fragt mich, wo ich so schnell hin will, und mein Wort, welches meinen Gedanken voranläuft, antwortet ohne mein Wissen, daß ich es nur dem Fürsten Lobkowitz sagen könne, welcher die Armee befehligte und dessen Hauptquartier in Rimini war. Nachdem ich dies gesagt, befiehlt der Offizier zwei Husaren, zu Pferde zu steigen, und nachdem man mich auf ein drittes gesetzt, führt man mich im Galopp nach Rimini, wo der wachthabende Offizier mich sogleich zum Fürsten bringen läßt. Ich fand Seine Hoheit allein und erzählte ihm einfach, was mir begegnet. Meine Erzählung brachte ihn zum Lachen, doch äußerte er, daß sie nicht glaublich wäre. Aber er gab den Auftrag, mich vor das Tor nach Cesena zu bringen, von wo ich mich überall hin wenden könnte, nur dürfte ich mich nicht wieder ohne Paß unter seiner Armee zeigen. Ein Offizier begleitete mich; auf dem Wege begegnete uns Petron, dem ich befahl, so zu tun, als kenne er mich nicht. Vor dem Tor verließ mich der Offizier. Da es regnete, stellte ich mich unter einen Torweg, und um nicht als Abbé erkannt zu werden, kehrte ich meinen Überrock um. Während ich so warte, kommt eine Maultierherde vorbei, mechanisch lege ich die Hand auf den Hals eines der Tiere und folge dem langsamen Schritte der Herde, und so kehre ich nach Rimini zurück, ohne daß der Treiber noch sonst jemand etwas von mir merkte. Ich gelangte bis zur Wohnung Theresens, wo ich die ganze Familie versammelt fand. Als Therese von meinem Abenteuer hörte, riet sie mir dringend, nach Bologna zurückzukehren, um mir einen Paß zu beschaffen. Von einem Offizier, dem Baron Vais, der zufällig derselbe war, welcher mich vor das Tor gebracht hatte und der schon von ihr mein Mißgeschick kannte, hatte sie gehört, wie gefährlich mein Aufenthalt ohne diesen sein würde. Sie selbst hatte sich dem Direktor des Theaters als Mädchen vorgestellt, und da in Rimini Frauen auftreten dürfen, stand nichts ihrem Engagement entgegen. Ihr Gastspiel daure nur bis Mai, dann wolle sie mich aufsuchen, wo ich es bestimme. Den ganzen Tag blieb ich in der Gesellschaft meiner Geliebten und entdeckte immer neue Reize in ihr. Gegen Abend kam der Baron Vais; sie ließ mich allein im Dunkeln, aber so, daß ich alles sehen konnte. Mit vollendeter Grazie empfing sie jenen, hörte seinen Bericht über mich an, blieb auch ruhig, als er erwähnte, daß er mir geraten, mir meinen Paß in Bologna zu verschaffen. Er blieb eine Stunde bei ihr, und Theresens Benehmen gab mir nicht den geringsten Grund zur Eifersucht. Durch Petron erfuhr ich die Gelegenheit, daß ich am andern Morgen als Maultiertreiber mit einer Herde aus der Stadt gelangen könnte. In der Frühe nahm ich herzlichen Abschied und gelangte auf die angegebene Weise aus der Stadt. Sobald es möglich, nahm ich Post nach Bologna. Als ich dort ankam und bedachte, daß ich mir wohl neue Kleider machen lassen müßte, entschloß ich mich nach einer reiflichen Überlegung, deren Ende war, daß der geistliche Beruf nichts für mich, das Kleid eines Abbés auszuziehen und das eines Offiziers anzulegen. Ich ließ mir also eine Fantasieuniform machen und gab mich als Offizier aus, der augenblicklich ohne Dienst. Ein Zufall wollte es, daß in derselben Zeit die Zeitung von Pesaro meldete: Herr Casanova, Offizier im Regiment der Königin, sei desertiert, nachdem er seinen Hauptmann im Duell getötet. Fragern gegenüber schwieg ich und nährte somit die Idee, daß ich dieser Offizier sei. Da ich hoffte, daraufhin in Venedig mit Ehren empfangen zu werden, außerdem auch dort meine Therese bequemer erwarten könne, wollte ich mich nach meiner Vaterstadt begeben. Vor meiner Abreise erhielt ich einen dicken Brief von Therese, welche mir in den zärtlichsten Ausdrücken mitteilte, sie habe ein Anerbieten nach Neapel mit tausend Unzen jährlicher Bezahlung und Erstattung der Reisekosten. Sie legte einen Vertragsentwurf bei, den sie nur unterschreibe, wenn ich damit einverstanden; außerdem sandte sie mir noch eine förmliche Verpflichtung, ihr ganzes Leben lang in meinen Diensten zu bleiben. Wenn ich mit nach dieser Stadt wollte; würde sie mich überall abholen; hegte ich aber Abneigung gegen Neapel, so werde sie sich ganz meinen Wünschen fügen. Es war das erstemal, daß ich nachdenken mußte, ernstlich: Eigenliebe und Liebe zu Therese hielten sich die Wagschale. Wie sollte ich jetzt als der Mann einer Sängerin in Neapel auftreten, in einer Gesellschaft, von der ich mich erst vor einigen Monaten mit allen Ehrenbezeigungen getrennt hatte? Und dann sollte ich auf das glänzende Los verzichten, für das ich mich geboren glaubte? Wäre Theresens Brief eine Woche früher gekommen: sie wäre nicht nach Neapel gegangen, jetzt aber mußte mein Verstand über das Herz siegen: auch in der Liebe ist die Zeit eine mächtige Herrin. Ich schrieb also Therese, sie möchte annehmen; wenn ich von Konstantinopel zurückkäme, würde ich sie sofort aufsuchen. Es war eine Ausflucht. Nach einigen Tagen schrieb sie mir: sie habe eine Kammerfrau genommen und werde im Mai nach Neapel reisen, um dort so lange auf mich zu warten, bis ich ihr anzeige, daß ich sie nicht mehr liebe. Erst nach Jahren sollte ich dies liebe Wesen wiedersehn.

 

6
In Konstantinopel und auf Corfu

Als ich in der Uniform vor Herrn Grimani, meinem Vormund, erschien, schrie er vor Verwunderung auf, nicht weniger erstaunten meine andern Bekannten, unter denen ich besonders Madame Orio begrüßte, welche die Freundlichkeit hatte, mir ein Zimmer für die Zeit meines Aufenthalts zu vermieten; da dies neben dem ihrer Nichten lag, so kann man sich denken, welch köstliche Nächte das Trio verbrachte. Alle Zweifel, die sich an meine Existenz als Offizier doch wohl anhängen konnten, schlug ich mit eins nieder: durch ein forsches Betragen einem Herrn gegenüber, welcher meine Auskunft unwahr nannte, daß ich, ohne Quarantäne zu halten, über die Grenze gekommen sei. Ein Freund bestimmte mich, Dienste bei dem Heer der Republik zu nehmen, und so trat ich denn als Fähnrich ein ins Regiment Bala auf Korfu, wohin ich am fünften Mai eingeschifft wurde. Außerdem hatte ich mich bemüht, mit dem Bailo bei der ottomanischen Pforte, welcher in spätestens zwei Monaten abgehen sollte, die Fahrt nach Konstantinopel machen zu dürfen, was mir auch zugestanden wurde. Auf der Fahrt nach Korfu machten wir in Orsera Station, wo ich auch bei meiner Fahrt nach Ankona an Land gegangen war. Ich spazierte auch diesmal am Lande, als mich ein Mensch von gutem Aussehen ansprach: es konnte kein Gläubiger sein, so ließ ich mich in ein Gespräch mit ihm ein. Da er mich aber fragte, ob ich nicht vor einiger Zeit in geistlichem Gewand hier gewesen, wurde ich ungehalten, worauf er um Verzeihung bat, aber er sei mir zum größten Dank verpflichtet. Verwundert fragte ich, wieso? Und mußte nun erfahren, er sei Chirurgus, und hätte er früher mit Schröpfen und Schrammenverbinden gerade seinen Lebensunterhalt erworben, so sei er jetzt so weit, daß er sein Geld anlegen könne und nur dadurch sei er zur Wohlhabenheit gelangt, daß ich der Haushälterin des Don Hieronymus bei meinem Aufenthalt ein verliebtes Andenken hinterlassen, welches diese einem Freunde mitteilte, der es schleunigst seiner Frau übertrug. Diese, um nicht zurückzubleiben, gab es einem Wüstling, welcher so damit hauste, daß der Chirurgus in einem Monat fünfzig Kunden mehr zählen konnte.

»Ich habe noch einige Kunden, aber in einem Monate werde ich keinen mehr haben, denn die Krankheit ist nicht mehr vorhanden. Sie können sich jetzt denken, welche Freude ich gehabt, als ich Ihnen begegnet. Diese Begegnung ist mir als eine gute Vorbedeutung erschienen. Darf ich mir schmeicheln, daß Sie wenige Tage hierbleiben werden, um die Quelle meines Glückes wieder aufzufrischen?«

Ich lachte, aber ihn betrübte ich, als ich ihm sagte, ich befände mich äußerst wohl. Er gab mir zum Abschied noch einige gute Mahnungen, denn das Land, wohin ich ginge, sei voll verdorbener Ware. – Nach einer stürmischen Fahrt kamen wir nach Korfu, wo ich während der Zeit, in welcher ich den Bailo erwartete, mich nur im Kaffeehaus herumtrieb; dort saß ich so oft an der Pharaobank, daß ich all mein Geld verlor und die Ankunft des Bailo freudig begrüßte. Ich wurde als Adjutant des Bailo, eines Ritters Venier, mit einem halbjährigen Urlaub versehen und dem glänzenden Gefolge eingereiht. Gleich nach unsrer Ankunft in Konstantinopel meldete ich mich beim Pascha von Karamanien, der früher Graf Bonnival hieß, eines Abenteurers, der am Türkischen Hofe sein Glück gemacht hatte. Mit aller Zuvorkommenheit wurde ich von ihm aufgenommen. Das Bedeutungsvollste meines Aufenthaltes war aber die Bekanntschaft mit Jussuf-Ali, einem Manne von sechzig Jahren, den ich bald regelmäßig in seinem Hause besuchte, wobei wir die tiefsten philosophischen Gespräche führten, welche meist von Religion handelten, bis wir eines Tages auf die Liebe kamen. Gegen Ende dieses Gesprächs machte mir Jussuf folgenden Vorschlag: »Ich habe«, sagte er, »eine Tochter, welche nach meinem Tode alles, was ich besitze, erhalten wird, und ich bin auch imstande, das Glück desjenigen, der sie heiratet, bei meinen Lebzeiten zu begründen. Vor fünf Jahren habe ich ein junges Weib genommen, aber sie hat mir keine Nachkommenschaft gegeben, und ich bin sicher, daß sie mir keine geben wird. Zelmi, meine Tochter, ist fünfzehn Jahre alt; sie ist schön, hat schwarze und glänzende Augen, die schönsten schwarzen Haare, eine Alabasterhaut, ist groß, schön gewachsen und von sanftem Charakter; ich habe ihr eine Erziehung gegeben, welche sie würdig machen würde, das Herz unsers Herrn zu besitzen. Sie spricht geläufig Griechisch und Italienisch; sie singt entzückend und begleitet sich mit der Harfe; sie zeichnet, stickt und lebt immer in heiterster Laune. Es gibt keinen Menschen, der sich rühmen könnte, je ihre Figur gesehen zu haben, und sie liebt mich so sehr, daß sie keinen andern Willen als den meinigen hat. Dieses Mädchen ist ein Schatz, und ich biete sie dir an, wenn du ein Jahr bei einem meiner Verwandten wohnen willst, um unsre Sprache, Religion und Sitten zu lernen. Nach Verlauf eines Jahres kommst du wieder, und sobald du dich als Muselmann erklärt, wird meine Tochter deine Frau. Du wirst ein eingerichtetes Haus und Sklaven, deren Herr du sein wirst, sowie eine Rente, vermittels welcher du im Überflusse leben kannst, erhalten. So ist die Sache. Du brauchst mir nicht heute oder morgen oder an einem bestimmten Tage zu antworten. Du sollst mir antworten, wenn dein Geist dich dazu treibt, und deine Antwort wird die Annahme meines Anerbietens sein; denn wenn du es nicht annimmst, brauchen wir nicht weiter davon zu sprechen. Denk auch nicht daran, denn von dem Augenblicke an, wo ich den Samen in deine Seele gestreut, wird es nicht mehr in deiner Macht stehen, die Erfüllung zu wollen oder dich ihr zu widersetzen. Ohne dich zu übereilen, ohne zu zögern, ohne dich zu beunruhigen, wirst du nur den Willen Gottes tun, nur dem unwiderruflichen Beschlusse seiner Vorsehung folgen. Wie ich dich kenne, brauchst du nur die Gesellschaft Zelmis, um glücklich zu werden, und ich sehe voraus, daß du eine Säule des Türkischen Reiches werden wirst.«

Als Jussuf geendet, drückte er mich gegen sein Herz, und um mir nicht Zeit zur Antwort zu lassen, ging er weg. Als ich mich entfernte, war mein Geist von allem, was ich gehört, so sehr eingenommen, daß ich nach Hause kam, ohne es gewahr zu werden. Die Bailis fanden mich nachdenkend und fragten mich um den Grund; aber man kann sich wohl denken, daß ich ihre Neugier nicht befriedigte. Ich fand, was Jussuf mir gesagt, nur zu wahr; die Sache war von so großer Wichtigkeit, daß ich sie nicht nur niemand mitteilen, sondern auch selbst nicht daran denken durfte, bis ich ruhig genug geworden, um sicher zu sein, daß kein fremder Einfluß sich in die Wagschale legte, in welcher mein Entschluß abgewogen werden sollte. Alle meine Leidenschaften mußten schweigen; die Befangenheiten, Vorurteile, die Liebe und selbst das persönliche Interesse mußte in der Ruhe der vollständigsten Untätigkeit bleiben. Am folgenden Tage, nachdem ich erwacht und oberflächlich an die Sache gedacht, sah ich wohl, daß nichts meinem Entschlusse mehr hinderlich werden könne als das Denken daran, und daß der Entschluß in dieser Sache mir wie durch Eingebung und ohne Nachdenken kommen müsse. Ich war in der Lage, das sequere Deum der Stoiker auf mich anzuwenden. Ich brachte vier Tage hin, ohne Jussuf zu besuchen, und als ich am fünften zu ihm kam, plauderten wir heiter, ohne von der Sache zu sprechen, obschon wir unmöglich nicht daran denken konnten. So lebten wir vierzehn Tage, ohne über das, was uns am meisten beschäftigte, eine Silbe verlauten zu lassen; aber da unser Schweigen nicht aus Verstellung oder einem der Achtung und Freundschaft entgegengesetzten Gefühle entsprang, sagte er eines Tages zu mir, er glaube, daß ich einem Weisen seinen Vorschlag mitgeteilt, um mich mit einem guten Rate auszurüsten. Ich versicherte ihm das Gegenteil, indem ich zu ihm sagte, ich glaube in einer so zarten Sache dem Rate keines Fremden folgen zu dürfen.

 

»Ich habe mich Gott übergeben, mein teurer Jussuf, und da ich zu diesem volles Vertrauen habe, so bin ich sicher, einen guten Entschluß zu fassen, sei es, daß ich mich entschließe, dein Sohn zu werden, oder daß ich bleibe, was ich bin.«

Unterdes beschäftigt der Gedanke an diese Sache meine Seele morgens und abends, in den Augenblicken, wo ich mir gegenüber ruhig bin und sie still und gesammelt ist.

»Wenn ich mich entschlossen, werde ich dir, dir allein die Nachricht bringen, und von diesem Augenblicke an wirst du über mich die Gewalt eines Vaters haben.«

Bei diesen Worten legte der tugendhafte Jussuf, dem die Tränen in den Augen standen, seine linke Hand auf mein Haupt und die beiden ersten Finger der rechten Hand auf meine Stirn und sprach: »Fahre so fort, mein teurer Sohn, und sei überzeugt, daß du dich nicht täuschen wirst.«

»Aber«, sagte ich, »könnte es nicht der Fall sein, daß Zelmi mich nicht nach ihrem Sinn fände?«

»Beruhige dich darüber. Meine Tochter liebt dich, sie hat dich gesehen; sie, sowie meine Frau und ihre Gouvernante sehen dich, so oft wir zusammen sprechen, und sie hört dir mit Vergnügen zu.«

»Aber sie weiß nicht, daß du sie mir zur Frau geben willst?«

»Sie weiß, daß ich wünsche, du möchtest ein Gläubiger werden, damit du dein Geschick mit dem ihrigen vereinigst.«

»Ich freue mich, daß du sie mir nicht zeigen darfst, denn sie könnte mich blenden, und dann würde die Leidenschaft den Ausschlag geben; ich dürfte mir nicht mehr schmeicheln, mich aus reiner Seele entschieden zu haben.«

Jussufs Freude, als er mich so reden hörte, war außerordentlich, und ich war wirklich aufrichtig. Die bloße Idee, Zelmi zu sehen, erfüllte mich mit Schauer. Ich fühlte, daß wenn ich mich in sie verliebte, ich Muselmann werden würde, um sie zu besitzen, und ich würde das gewiß bereut haben. Ich gab etwas auf die Achtung der angesehenen Personen, welchen ich bekannt war, und ich wollte mich ihrer nicht unwürdig machen. Übrigens war ich auch von dem Wunsche beseelt, mich unter den gebildeten Nationen berühmt zu machen, entweder in den schönen Künsten oder in der Literatur, oder in jeder andern ehrenvollen Laufbahn, und ich konnte mich nicht entschließen, andern die Triumphe zu überlassen, welche mir vorbehalten sein konnten. Was mich vorzüglich zurückschreckte, war die Idee, ein Jahr in Adrianopel leben zu müssen, um eine barbarische Sprache zu lernen, gegen welche ich eine Abneigung fühlte, und welche ich also schlecht gelernt haben würde. Wie sollte ich in meinem Alter auf das der Eigenliebe so schmeichelhafte Vorrecht, ein guter Redner zu sein, verzichten! Und überall, wo man mich kannte, hatte ich diesen Ruf. Wenige Tage nachher frühstückte ich mit Bonneval bei Ismail, zu dem ich nicht mehr allein ging, da er mir einmal allzu zärtliche Beweise seiner Freundschaft geben wollte, welche dem Türken nicht schändlich, mir aber wider den Geschmack gehen. Wir sahen eine Pantomime von neapolitanischen Sklaven aufgeführt, wodurch das Gespräch auf die Forlana, einen venetianischen Tanz, kam, den Ismail brennend gern sehen wollte. Ich spielte auf einer Violine die Melodie, aber ich konnte nicht zugleich tanzen. Ismail stand plötzlich auf, sprach mit einem Eunuchen, welcher hinausging, zu mir aber sagte er, eine Tänzerin sei gefunden, worauf ich erwiderte, man könne einen Violinspieler sicher aus dem venetianischen Palast erhalten. Es wurde hingeschickt, und bald darauf kam ein tüchtiger Violinspieler. Kaum hatte der mit dem Tanz begonnen, öffnet sich eine Tür und eine schöne Frau, deren Gesicht mit einer schwarzen Maske, in Venedig moretta geheißen, bedeckt war, erscheint. Die ganzen Gesellschaft war entzückt, denn es war unmöglich, sich vollkommenere Formen vorzustellen, sowohl an Schönheit dessen, was man von ihrer Figur sehen konnte, wie an Eleganz der Formen, an Liebreiz ihres Wuchses, an wollüstiger Weichheit der Umrisse und an ausgezeichnetem Geschmack des Anzugs. Die Nymphe stellt sich auf, ich folge ihr, und wir tanzen sechs Tänze hintereinander. Ich war ganz Feuer und völlig außer Atem, denn es gibt keinen ungestümeren Nationaltanz; aber die Schöne hielt stand, sie kein Zeichen der Ermüdung sehen und schien mich herauszufordern. Bei der Balletronde, welche das Schwierigste ist, schien sie zu schweben. Ich war außer mir vor Erstaunen, denn ich erinnerte mich nicht, diesen Tanz selbst in Venedig so gut tanzen gesehen zu haben. Nach einigen Minuten der Ruhe trat ich einigermaßen beschämt über meine Ermattung an sie heran und sagte: Ancora sei, e poi basta, se non volete vedermi a morir (Noch sechs und dann genug, wenn Sie mich nicht sterben sehen wollen). Sie würde geantwortet haben, aber sie trug eine jener grausamen Masken, mit welcher man kein einziges Wort sprechen kann. In Ermangelung des Worts ließ mich ein Händedruck, den niemand gewahr werden konnte, alles erraten. Sobald die sechs Forlanen zu Ende waren, öffnete ein Eunuche die Tür, und meine schöne Partnerin verschwand. Ismail erschöpfte sich in Danksagungen, und doch war ich ihm Dank schuldig, denn dies war das einzige wahre Vergnügen, welches ich in Konstantinopel hatte. Ich fragte ihn, ob die Dame Venetianerin wäre, er aber antwortete mir mit einem bedeutungsvollen Lächeln. Wir trennten uns gegen Abend.

»Dieser brave Mann«, sagte Bonneval als wir uns entfernten, »ist das Opfer seiner Prachtliebe geworden, und ich bin sicher, daß er das, was er getan, schon bereut: seine schöne Sklavin mit Ihnen tanzen zu lassen. Nach dem Vorurteile des Landes schadet er dadurch seinem Rufe; denn es ist unmöglich, daß Sie dies arme Mädchen nicht entflammt haben sollten. Ich rate Ihnen, mißtrauisch und auf Ihrer Hut zu sein; denn sie wird eine Intrige mit Ihnen anzuknüpfen suchen, und infolge der Sitten dieses Landes sind diese Intrigen immer gefährlich.«

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