Berühmte Frauen der Weltgeschichte

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Als die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber sind, schreibt Anna von Gonzaga mit grosser Genugtuung an ihren Schwager Karl Ludwig: «Man hat Liselotte dieselben Ehren zuteil werden lassen, wie sie sonst nur dem Könige selbst zukommen ... Sie hat sich auch in jeder Weise so gut benommen, dass ich nicht daran zweifle, sie wird sich bald das Herz ihres Herrn Gemahls erobern und die Achtung des Königs erringen. Und dazu werde ich mit allen Kräften beitragen; denn das gerade soll ja diese grosse Heirat für Ihre Zwecke und Ihr Haus nützlich machen.»

Und während Liselotte wehmütig und mit Zweifel im Herzen die Strasse nach Paris zieht, verkünden in Heidelberg die Glocken, Trompeten und Pauken die glückliche Vermählung der jungen Kurprinzessin mit dem Herzog Philipp von Orléans als etwas ganz Besonderes für die bedrängte Pfalz.

3. Am Hofe Ludwigs XIV.

In Metz hat Liselotte ihre deutsche Umgebung verabschiedet, und der französische Hofstaat erwartet sie. Es ist eine kleine auserlesene Pariser Gesellschaft, die Ludwig XIV. für seine neue Schwägerin mit Sorgfalt gewählt hat. Die Damen sind nach französischer Mode gekleidet, mit einer Eleganz ohnegleichen, ganz anders als die Damen in Deutschland. Liselotte kommt sich wunderlich genug unter ihnen vor, trotzdem man sie bereits nach französischem Muster herausstaffiert hat.

In dieser neuen Umgebung tritt sie nun die Reise nach Châlons an, wo sie Monsieur, ihr Gemahl, erwartet. Nun ist sie «Madame Royale», Herzogin von Orléans! Eine Welt voll Glanz, Reichtum und Pracht harrt ihrer. Aber Liselottes Herz ist schwer. Sie hat nur Tränen auf dem Weg zu ihrem Gatten, während Philipp sich einzig und allein auf den Eindruck freut, den seine prächtigen und zahlreichen Hochzeitskleider, seine Diamanten, Perlen, Federn und Bänder auf die junge deutsche Prinzessin machen werden, die mit sechs Hemden in ihrem Reisegepäck ihm entgegenfährt.

Philipp von Orléans steht in seinem 31. Lebensjahr, als er sich mit der 19jährigen Liselotte von der Pfalz vermählt. Er ist ein kleiner, dicker, untersetzter Herr, der hohe Stöckelschuhe trägt, um grösser zu erscheinen. Stundenlang kann er vor dem Spiegel stehen, wenn er sich ankleidet; denn er ist eitler und putzsüchtiger wie eine Frau. Wenn er dann parfümiert, geschminkt, über und über mit Edelsteinen behangen, mit bunten Bändern und Federn geschmückt, durch die Prunkgemächer seiner Schlösser schreitet, kommt er wie ein Pfau daher, und in seinen wirklich schönen Augen liest man deutlich die Frage: Bin ich nicht der Schönste im ganzen Land? Wie eine Frau ist Philipp von Orléans unglücklich, wenn ihn jemand in einem unvorteilhaften Morgenrock überrascht oder ungeschminkt und ungeschmückt zu Gesicht bekommt. Und so stolz ist er wegen seiner Schönheit, so eingenommen von sich, dass er sogar über seine erste Gemahlin, die junge und reizende Henriette von England, den Sieg davonzutragen wünschte. Als man ihm nämlich ihr Bild zum erstenmal zeigte, stellte er mit grosser Genugtuung fest, die zukünftige Herzogin von Orléans sei nicht schöner wie er selbst. Das höchste Vergnügen aber bereitet es ihm, wenn er sich bei irgendeiner Gelegenheit als Frau verkleiden und im tiefen Décolleté seinen blendend weissen Hals zeigen kann. Die Unterhaltung gewinnt erst dann für ihn Interesse, wenn sie Putz, Tand und Klatsch zum Gegenstand hat. Jagd, Reiten oder sonstige körperliche Uebungen vermeidet er, um seinem Teint nicht zu schaden, den er mehr pflegt wie eine Kurtisane. Wenn er nicht unbedingt dazu gezwungen ist, besteigt er kein Pferd und greift nie zum Degen. Nur einmal in seinem Leben zeigte sich Philipp als Mann. Das war, als ihn der König mit in den Devolutionskrieg nahm. Und zum nicht geringen Erstaunen des ganzen Hofes und der ganzen Welt, zeichnete sich Philipp, der verweichlichte und verwöhnte Dandy, als junger Held aus, der sogar eine Zeitlang den Ruhm des grossen Königs verdunkelte. Aber diese seltsame Anwandlung von Mannesmut und Mannestugend hielt nicht lange bei ihm an. Als er wieder in das schwelgerische Hofleben zurückkehrt, verfällt er von neuem in die alte Eitelkeit, Genußsucht und weibischen Gewohnheiten. Im Gegensatz zu seinem Bruder, Ludwig XIV., dem es, trotz seiner Vorliebe für Eleganz, Pracht und Vergnügen, ein Bedürfnis war, zu arbeiten und nicht müssig durchs Leben zu gehen, liebte der Herzog von Orléans nichts weniger als die Arbeit. Er war faul und träge. Nur das Spiel flösst ihm Interesse ein. Selbst die Lektüre eines Buches ist ihm zuwider. Dennoch ist er ein angenehmer leichter Plauderer über Nichtigkeiten. Das Schlimmste aber ist, dass er durch den Einfluss einiger seiner gefährlichsten Günstlinge ins Laster geriet und immer mehr darin versank.

Das also war der Mann, dem die einfache, unverdorbene Liselotte angetraut wurde! Man kann sich nichts Ungleicheres denken als diese beiden Menschen. Dass beide mit Spannung auf den Augenblick warteten, welchen Eindruck sie gegenseitig aufeinander machen würden, ist leicht vorzustellen. Auch die übrige Pariser Hofgesellschaft war äusserst begierig auf das junge, deutsche Gänschen, das nun den so sieghaft behaupteten Platz der gefeierten Henriette von England einnehmen sollte. Man hatte so viel von Liselottes derber Wesensart gehört, dass man sich die ungeheuerlichste Vorstellung von ihrer Person machte.

Aber siehe da, Liselottes erstes Auftreten mitten unter der verfeinerten französischen Hofgesellschaft ist durchaus nicht lächerlich! Sie gefällt mit ihrer unverfälschten, natürlichen Munterkeit und biederen Offenheit. Ihre Tränen sind versiegt, und ihr frisches Lachen wirkt wohltuend auf alle. Man findet sie hübscher, als man sie sich gedacht hat. Sie ist weder befangen noch linkisch in ihrem Wesen. Sogar Monsieur ist angenehm enttäuscht, als er seine zweite Frau zum erstenmal zu Gesicht bekommt. Man findet auch, dass sie sehr gut Französisch spricht und reizend tanzt. Kurz, der erste Eindruck, den sie hervorruft, ist günstig! Ja, es scheint, als sollte sogar die reizende verstorbene Herzogin von Orléans von der neuen Gattin in den Schatten gestellt werden.

Am 21. November, gleich nach Liselottes Ankunft in Châlons, beginnen die Hochzeitsfeierlichkeiten. Die Zeitgenossen finden nicht Worte genug in ihren Beschreibungen, wie prächtig alles gewesen sei. Aber die junge Pfälzerin lässt sich durch all den Glanz, der da vor ihren Augen so plötzlich entfaltet wird, durchaus nicht blenden. Wohl ist es ein neues Schauspiel, das gewiss nicht ohne Reiz für sie bleibt, aber sie nimmt alles mit so vollkommener Natürlichkeit hin, als wäre sie in diesem Reichtum aufgewachsen und an all die Pracht und Verschwendung seit langem gewöhnt.

Nachdem die Festlichkeiten beendet sind, zieht sich der Herzog von Orléans mit seiner jungen Gemahlin in das reizende, ganz von Wald umgebene Schloss Villers-Cotterets zurück, wo man sie einige Tage allein lässt. Hier gefällt es Liselotte so gut, dass sie am liebsten ihr ganzes Leben dageblieben wäre. Die schmeichelhaftesten Gerüchte über die neunzehnjährige Herzogin von Orléans dringen von Villers-Cotterets nach Paris. Besonders wird ihre Jugendfrische und ausserordentliche Gesundheit gelobt. Man kann sich an dem verzärtelten und eleganten Hofe Ludwigs XIV. nicht genug wundern, dass «Madame» weder von einem Arzt noch von Medikamenten etwas wissen will. Denn die verstorbene Henriette, deren Gesundheit sehr zerrüttet war, hatte immer ein Heer von Aerzten um sich gehabt und ging nie zu Bett, ohne über irgendein Leiden zu klagen. Als man aber Liselotte ihren Leibarzt vorstellt und ihr rät, sie solle sich nur gleich von ihm einen Aderlass vornehmen lassen, antwortet sie, so etwas habe sie nicht nötig, wisse auch gar nicht, was sie mit einem Arzte anfangen solle. Denn wenn sie krank wäre, mache sie sich durch einen zweistündigen Marsch im Freien Bewegung, und dann wäre sie wieder frisch wie ein Fisch im Wasser. Aber in ihrem Leben habe man an ihr noch nie einen Aderlass vorgenommen oder sie veranlasst, irgendwelche Abführmittel einzunehmen.

Auch Schminke, Puder und Schönheitspflästerchen kennt Liselotte nicht. Alles ist bei ihr unverfälschte Natur, worüber man sich in Frankreich ebenfalls nicht genug wundern konnte. Nie trägt sie eine Maske bei Kälte oder rauhem Wetter, wie die französischen Damen des 17. Jahrhunderts zur Schonung ihrer Haut taten. Liselotte fürchtet nichts für ihren Teint, der etwas gerötet und von der Heidelberger Sonne schon stark gebräunt war. Sie lässt sich gern «die frische Luft um die Nase wehen», wie sie sich ausdrückt. In allem ist sie eben Natur, auch, oder besser, besonders in ihrer Ausdrucksweise. Aber niemand nimmt es ihr übel. Sogar die stolze, formensichere Winterkönigin, ihre Grossmutter, ist seinerzeit von des Kindes Urwüchsigkeit entzückt gewesen.

Fünf Tage lässt man die Jungvermählten in Villers-Cotterets allein. Dann stattet Ludwig XIV. seiner neuen Schwägerin einen Besuch ab, eine ganz besondere Ehre für Liselotte. Obwohl Ludwig XIV. auf sie einen unauslöschlichen Eindruck macht, vermag doch auch seine blendende Erscheinung sie nicht einzuschüchtern. Mit herzerquickendem Freimut empfängt sie den Herrscher, den Sonnenkönig, dem die halbe Welt in Bewunderung zu Füssen liegt. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, ist Ludwig wirklich ein vollendet schöner Mann. Seine Augen sind feurig und passen gut zu der kühnen Adlernase. In langen Locken fällt ihm das Haar der Perücke über die Schultern. Seine wohlgebildete Gestalt erregt Bewunderung. Er ist wunderbar gewachsen und hat die schönsten Beine am ganzen Hofe. Er kleidet sich mit höchster Eleganz und ausgesuchtestem Geschmack. Nichts ist überladen an ihm wie an Monsieur. Seine Manieren sind die eines Weltmannes, sein bezaubernd liebenswürdiges Wesen erobert alle Herzen im Sturme. Stets benimmt er sich vornehm, würdevoll, achtunggebietend und doch niemals hochmütig. Obgleich alle ihm schmeicheln und huldigen, wirkt er doch nie durch Eitelkeit lächerlich. Auch er schmückt sich gern mit prächtigen Gewändern, aber er ist in allem der feinfühlende Künstler. Er liebt kostbare Stoffe, herrliche Kostüme, namentlich Perlen und Edelsteine auf dunklen Sammetröcken, die seiner schönen Gestalt die Vollendung geben. Auch er ist verschwenderisch, aber dabei ein wirklicher Geniesser, ein Kenner wahren Geschmacks und feiner Lebensart. Pracht und Ueberfluss umstrahlen ihn wie einen wahrhaften Sonnenkönig.

 

Liselotte, die Junge, ganz Unerfahrene, fasst sofort Vertrauen zu seinem gütigen Wesen. Ihr Urteil über ihn drückt sie mit den schlichten Worten an die Tante Sophie aus: «Es ist wahrhaft ein braver, guter Herr, ich habe ihn recht lieb.» Ludwig XIV. wiederum kehrt begeistert aus Villers-Cotterets nach Paris zurück und nennt die junge Herzogin von Orléans «diejenige Frau, die den meisten Verstand und das angenehmste Wesen der Welt habe». Die natürliche Ungezwungenheit, mit der sie auch dem grossen König alles sagte, was sie dachte, wirkte so befreiend auf Ludwig XIV., der an seinem Hofe gewiss nicht oft die Wahrheit zu hören bekam, dass er ihr vom ersten Tage ihres Begegnens an seine Zuneigung schenkte.

Dieser erste günstige Eindruck Liselottes wird ein wenig getrübt, als sie zwei Tage nach dem Besuch des Königs selbst am Versailler Hof ihren Einzug hielt. Man hat sie zu diesem Zweck ganz besonders festlich geschmückt und hergerichtet. Dadurch ging gerade ihr grösster Reiz, die Schlichtheit und Natürlichkeit ihrer Jugend verloren. Ihr Haar, das sie am Hochzeitstage offen getragen hatte, war jetzt nach französischer Mode aufgesteckt. Da sie aber weder Puder auf ihr Gesicht getan, noch während der Fahrt durch die kalte Winterluft eine Maske getragen hatte, war ihre Haut noch stärker gerötet als sonst und ein wenig spröde. Und so bildet Liselotte einen starken Kontrast zu den zarten Gesichtern der Französinnen. Zum Ueberfluss hat sie auf der Reise Granatäpfel gegessen und davon ganz blaurote Lippen bekommen. Jedenfalls findet man, dass die Herzogin nicht den Erwartungen entspricht, die sich die Pariser von ihr nach all den Lobsprüchen des Königs und Monsieurs gemacht haben. Auch der Herzog selbst ist sichtlich enttäuscht, als er seine Frau in Versailles sieht. Sie war ihm in Châlons und Villers-Cotterets angenehmer und schöner erschienen. An dem eleganten Hofe Ludwigs XIV. nimmt sich die derbe Pfälzerin weniger gut aus. Schon empfindet man nicht geringe Lust, über Liselottes Kleidung, ihr Benehmen, ihre Art zu spotten. Plötzlich aber gewahrt man, dass der König sie mit ganz besonderer Auszeichnung behandelt, und siehe da, alles ist gut und schön an Liselotte! Ihre Stellung ist gesichert! Sie ist von diesem Augenblick an der Mittelpunkt des Hofes. Bald findet man heraus, dass sie ein zu allem Guten empfängliches Herz hat und bereit ist, allen, die es verdienten, ihre Freundschaft und ihr Wohlwollen zu schenken. Man hofft von ihrem Einfluss auf den König Nutzen zu ziehen und sucht sich sogleich in ihre Gunst zu setzen.

Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, Liselotte sei von Anfang ihres Aufenthaltes in Frankreich an das unglücklichste Geschöpf der Welt gewesen. Sie hat Gutes und Schlechtes am französischen Hofe erlebt, aber die ersten Jahre ihrer Ehe waren durchaus keine unglücklichen. Das beweisen auch ihre zahlreichen Briefe. Es gibt für sie so viel des Neuen und Wechselvollen, dass sie kaum Zeit findet, sich mit ihrem persönlichen Glück oder Unglück zu beschäftigen. Bis auf manche äussere Gewohnheiten, die ihrer Wesensart fremd sind, gefällt es ihr gut in Frankreich. Die Fehler des Hofes Ludwigs XIV. gewahrt sie erst viel später, als sie selbst begreifen lernt, was das Leben ist. Das Leben ihres Mannes versteht sie anfangs so wenig, dass sie sich selbst die grösste Mühe gibt, seine Günstlinge, den Marquis d'Effait und den Chevalier de Lorraine, zu ihren Freunden zu machen. Philipp weiss nicht, was er von diesem rätselhaften Verhalten seiner Frau denken soll. Er bringt ihr in dieser Beziehung stets das grösste Misstrauen entgegen; denn er hält Liselottes Bemühungen nur für schlaue List. Seine erste Gemahlin nämlich, die mehr von dem galanten Leben und den Intrigen der Höfe verstand, hatte gerade das Gegenteil getan und alle Hebel beim König in Bewegung gesetzt, dass er die ihr verhassten Kreaturen aus der Nähe seines Bruders entferne.

Als Liselotte in Frankreich erschien, waren allerdings einige der gefährlichsten Männer und Frauen für einige Zeit aus der Umgebung Monsieurs verschwunden. Sie gewannen indes sehr bald wieder den alten Einfluss auf sein Leben. Gegenüber solchen Frauen, wie den beiden schönen und genußsüchtigen Töchtern des Marschalls de Grancey, ist Liselotte natürlich machtlos. Sie gibt sich auch keine Mühe, ihren Einfluss auf ihren Gatten in dieser Beziehung geltend zu machen; es wäre zwecklos gewesen. Die Frauen an Monsieurs Hofe sind gleichsam nur für den äusseren Glanz, als Staffage da. Sie kosten ihn viel Geld. Philipps Gelage mit seinen Günstlingen sind stets mit hohem Spiel verbunden. Es werden sowohl im Palais Royal als auch in Saint-Cloud in einer Nacht oft Hunderttausende verspielt und vergeudet. Die kostbarsten Juwelen werden zu Geld gemacht, wenn das Geld selbst fehlt. Immer wieder werden neue Summen herbeigeschafft, um der Verschwendungssucht und den Phantasien des Herzogs von Orléans Genüge zu tun. Im Spiel, im Geniessen kennt er keine Grenzen und kein Beschränken. Nur in der eigenen Familie hat er das Prinzip des Sparens. Liselotte muss darunter leiden; denn sie selbst wird von Philipp äusserst knapp gehalten. Nicht nur einmal klagt sie in ihren Briefen darüber, dass Monsieur mit seiner Umgebung die höchsten Summen vergeudet und sie selbst nicht einmal das Nötigste für ihre persönlichen Ausgaben zur Verfügung habe. Und die waren gewiss nicht gross, denn Liselotte hatte schon früh im Elternhause sparen gelernt und war nicht kokett.

Aber selbst die Erkenntnis dieser Dinge kommt ihr erst in viel späterer Zeit. Vorläufig sieht sie nur Gutes und empfängt nur Gutes. Der König erfüllt ihr jeden Wunsch und sucht immer neue Gelegenheiten, um ihr gefällig zu sein. Zur «Unterhaltung des Hauses der Frau Herzogin von Orléans» hat er am Tage ihres Einzuges im Palais-Royal seinem Bruder 250 000 Franken jährlich bewilligt, die aus dem königlichen Schatz entnommen werden sollen. Und als Hochzeitsgeschenk überreichte er Liselotte drei Kassetten mit 30 000 Pistolen «für ihre kleinen Bedürfnisse». Die Königin aber schenkt ihr eine Diamantenrose im Werte von 40 000 Talern. Solche Geschenke sind für die einfache Liselotte geradezu verblüffend.

Von Tag zu Tag befestigt sich die Freundschaft zwischen Ludwig XIV. und seiner jungen Schwägerin. Immer mehr fühlt sich der König zu diesem frischen Naturkind hingezogen, das keine Verstellung, kein Falsch kannte, das sich gibt, wie es ist, ohne Künstelei und ohne Berechnung. Und doch ist es nicht zu verkennen, dass die Macht und der Glanz des grossen Königs, in dem sich viele Schmeichler sonnten, auch ihre Wirkung auf die einfache Liselotte nicht verfehlten. Sie schaut zu ihm auf wie zu einem Gott und zeigt ihre wahrhafte Verehrung für den grossen Mann so unverhohlen, dass man anfängt, in der Hofgesellschaft darüber zu lächeln und Witze zu reissen. Am liebsten hätte sie jede Sekunde ihres Lebens mit ihm geteilt. Nichts macht ihr grösseres Vergnügen, als wenn sie den König in Wind und Wetter auf seinen Jagden begleiten darf. Nie hat Ludwig unter den Damen seines Hofes eine unermüdlichere Reiterin gefunden als die Herzogin von Orléans. Und doch lernte Liselotte erst in Frankreich reiten. Aber für sie bedurfte es keines besseren Lehrmeisters als gerade des Königs selbst. Mit ihm scheut sie keine Gefahr, keine Anstrengungen, keine Strapazen. Von morgens bis abends kann sie an seiner Seite im Sattel sitzen, ohne die geringste Müdigkeit zu spüren. Sie fürchtet weder für ihre Toilette noch für ihre Schönheit. Auch ein gelegentlicher Sturz vom Pferde bringt sie nicht aus der Fassung. Um so mehr aber den König. Bleich und geängstigt um ihr Leben, eilt er, wenn Liselotte strauchelt oder stürzt, im rasenden Galopp herbei, um ihr selbst die erste Hilfe zuteil werden zu lassen. Wenn er sie dann aber trotz allem in voller Frische aufspringen sieht und sie sich lachend den Schmutz von den Kleidern schüttelt, um im nächsten Augenblick wieder frisch wie ein Jäger aufs Pferd zu steigen, da kann Ludwig sich nicht genug freuen über die urwüchsige gesunde Kraft, die bei den Damen seines Hofes nicht zu finden war.

Meist ist Liselotte bei den Jagdausflügen so gekleidet, dass sie eher einem männlichen als einem weiblichen Wesen ähnlich sieht. Am wenigsten Eindruck macht auf sie die Mode am französischen Hofe. Die Jagdkleider, die die Damen tragen, sind Prunkgewänder, aber keine praktischen Sportanzüge, in denen man springen, laufen und reiten kann, wie man Lust hat. «So jung als ich gewesen, hatte ich doch nie die Fantasie, so unsere ehrliche Teutsche haben, die französischen Moden zu folgen, begreifen können, denn mich deucht, dass nichts raisonnableres war, als dass sich ein jeder kleiden mögte, wie es ihm am bequemsten und gemächlichsten ist.» Und trotz allen Respektes vor ihrem grossen Freund, dem König, besass sie für die Hofcouren doch nur ein einziges Hofkleid. Putzen wollte sie sich nie. An die Schminke, die fast Befehl war, konnte sie sich nicht gewöhnen. Heiss und rot wie ein Krebs, den Hut schief auf dem Kopfe und das Haar verwirrt, kommt sie oft von der Jagd heim.

4. Die Ehe

Ihre Ehe mit dem Herzog bedrückt sie anfangs sehr wenig. Mit Illusionen von Liebe und Treue ist Liselotte ja nicht nach Frankreich gekommen. So kann sie auch in dieser Hinsicht keine Enttäuschung erleben. Sie weiss, dass ihr Gemahl sie nicht aus Liebe oder Neigung geheiratet hat und auch mit der Zeit keine grosse Liebe oder Leidenschaft für sie empfinden wird. Sie weiss, dass Prinzessinnen-Ehen meist nur klug berechnete politische Pakte sind, und dass sie selbst von der Natur nichts mitbekommen hat, was einen Mann bezaubern kann. In ihren Briefen an den Geheimrat von Harling ist sie so offen, dass sie sogar den Herzog von Orléans in der ersten Zeit ihrer Vereinigung wegen seiner sichtbaren Kälte entschuldigt. Um Liebe oder auch nur Leidenschaft in einem Manne zu erwecken, dazu haben ihr, wie sie behauptet, alle weiblichen Reize des Gesichtes und auch des Körpers gefehlt. «Bin gar ein hässlich Schätzchen», schreibt sie einmal an die Tante Sophie; «bin eine wüste, hässliche Figur, habe aber das Glück, gar nicht danach zu fragen; denn ich begehre nicht, dass jemand verliebt vor mir sein solle.» – Aber was tut's? Ob sie nun hübsch oder hässlich ist, ihren guten Humor hat sie immer. Sie nimmt das Leben, wie es sich ihr bietet.

Ebenso wie die Kindespflicht ihren Eltern gegenüber ist ihr die Pflicht gegen den Gatten Hauptbedingung. Die Ehe ist etwas Heiliges für sie, an dem man nicht rütteln darf. Und da sie nun Katholikin um ihres Mannes willen wurde, ist sie es auch in ihren Pflichten, ohne dass sie jedoch ihre schönen protestantischen Sprüche, Lieder und Lehren ganz vergisst. Tante Sophie und Ernst August höhnen sie oft in ihren Briefen, dass sie so gut katholisch geworden sei, aber Liselotte lässt sich nicht beirren und antwortet prompt: «Dass Euer Liebden und Onkel über mich lachen, dass ich so gut katholisch bin und so viel vom Sacrament der Ehe halte, so schlägt mir aber solches Sacrament gut an, um zu wünschen, dass es ewig währen möge und man kein Mittel finden möge, selbiges zu scheiden. Denn wer mich von Monsieur scheiden wollte, täte mir keinen Gefallen ...»

Also muss sie damals nicht so überaus unglücklich gewesen sein, wie es fast alle Biographien bis jetzt dargestellt haben. Da der Herzog von Orléans nun einmal ihr Gatte ist, liebt sie ihn auf ihre Weise. Ja, manchmal sogar beweist sie, die trotz allem ein sehr weiches, liebebedürftiges Herz hat, ihm ihre Zuneigung so zärtlich, dass Monsieur, dem im Gegenteil alle Beweise weiblicher Gunst lästig sind, ihr sagen muss, sie möge ihm weniger zeigen, wie lieb sie ihn habe. «Monsieur seelig», schrieb sie später nach seinem Tod, «war so importuniert, dass ich J. L. so lieb hatte und gern bei ihm sein wollte, dass er mich um Gotteswillen bat, ihn weniger zu lieben, dass es ihm gar zu importun wäre.» Weit mehr als seine Kälte betrübt Liselotte, dass er kaum lesen und schreiben kann, während sie selbst so viel schreibt und liest und nie genug bekommt. Immerhin tröstet sie sich damit, dass ja auch der grosse König, Ludwig XIV., ihr Idol, nicht besonders in diesen Dingen bewandert ist. Was übrigens die Herzogin von Orléans anfangs am meisten in Frankreich kritisiert, sind nicht die Ausschweifungen ihres Gatten, auch nicht die Sitten im allgemeinen am Hofe Ludwigs XIV. Damals begreift sie noch vieles nicht, worüber ihr später die Augen geöffnet werden, und wovon sie als reifere Frau in ihren Briefen so überaus genau unterrichtet ist. Die Beschwerden der jungen Liselotte beschränken sich im Anfang ihres Aufenthaltes in Paris hauptsächlich auf rein materielle Dinge, wie zum Beispiel das Essen. Die raffinierte französische Küche mit ihren tausenderlei Hors-d'œuvres, Entremets, Ragouts, Pastetchen, Saucen und Konfitüren sagt ihrem pfälzischen Gaumen nicht zu. Sie liebt derbere, kompaktere Kost, wovon man ihrer Meinung nach, «etwas hat». Ein Gericht Sauerkraut mit Pfälzer Würstchen, ein recht saftiger Schinken, ein Speck- oder Krautsalat, eine kräftige Biersuppe waren ihr tausendmal lieber als alle raffinierten Speisen, mit denen die Tafel Ludwigs täglich so reich besetzt war. «Ich habe mein teutsches Maul noch so auf die teutschen Speisen verleckert», schrieb sie an Frau von Harling, «dass ich kein einziges französisches Ragout leiden noch essen kann. Ich esse nur Rindfleisch, Kalbsbraten und Hammelschlegel, gebratenes Huhn, selten Feldhühner und nie Fasanen.» Und schliesslich setzt sie es durch, dass auch auf der Tafel des Königs ihre deutschen Gerichte erscheinen, die nach ihren eigenen Angaben von den Hofköchen zubereitet werden. Da Ludwig kein Kostverächter und ein starker Esser war, machte es ihm Vergnügen, auch die fremden Speisen, die ihm seine Schwägerin aus der Heimat vorsetzte, kennenzulernen. Aber kein Koch macht es Liselotte in dieser Beziehung recht. Die französischen Köche können eben doch nicht so gut kochen, wie zum Beispiel die in Heidelberg, meint sie. Am schlimmsten von allem erscheinen ihr die furchtbaren Getränke, die in Frankreich serviert werden, wie Schokolade, Kaffee, Tee! Von all diesem hatte sie bisher in Heidelberg keine Ahnung gehabt, und als man ihr in Paris diese Getränke vorsetzt, findet sie sie geradezu schauderhaft. Schokolade ist ihr viel zu weichlich, vom Kaffee behauptet sie, er röche wie stinkender Atem. Und da sie immer schnell mit drastisch vergleichenden Bildern zur Hand war, meint sie, der Erzbischof von Paris habe diesen Geruch aus dem Munde gehabt. Es sei ihr immer schlecht geworden, wenn er mit ihr gesprochen habe. Dasselbe geschehe ihr auch bei dem blossen Geruch des Kaffees. Den Tee aber verglich sie mit Heu und Mist.

 

Das alles waren kleine Sorgen und kleine Beschwerden, die Liselotte vorzubringen hatte. Die grossen harrten ihrer noch, denn bald sollte auch sie in die Intrigen mit hineingezogen werden, die an einem so galanten Hofe nicht ausbleiben können.

In einer Umgebung, wo schöne, aber auch intrigante Frauen die Hauptrolle spielen, wo Giftmischerprozesse und Wunderkuren an der Tagesordnung sind, vermag die einfache Liselotte nicht lange im Vordergrund zu stehen. Zur Zeit, als sie an den Hof Ludwigs XIV. kam, war Madame de Montespan Gebieterin des königlichen Herzens und die sanfte Louise de La Vallière bereits im Kloster, um die Vergebung ihrer Sünden zu erlangen. Madame de Montespan war eine stolze, prachtliebende Schönheit. Ganz im Gegenteil zu ihrer bescheidenen Vorgängerin liebte sie es, sich mit Glanz und Reichtum zu umgeben und die Huldigungen einer wahren Königin zu empfangen. Noch mehr aber lobte man den Geist der Montespan. Immer wusste sie angenehm zu plaudern und mit einer Liebenswürdigkeit und Anmut sich zu geben, die ihren sonstigen Hochmut vergessen liessen.

Madame de Montespan war eine sieghafte Schönheit, die alle zur Bewunderung hinriss. Ihr Einfluss war ungeheuer, nicht nur auf den König, sondern auch auf die stille Königin. Sie war die Hoffnung und zugleich der Schrecken der Minister, Höflinge und Generale. Ihr Ehrgeiz kannte keine Grenzen. Er ging soweit, dass sie den König zwang, die sieben Kinder, die sie ihm schenkte, zu legitimieren und als «Kinder von Frankreich» wie die rechtmässigen Prinzen und Prinzessinnen seines Hofes erziehen zu lassen. Liselotte sagt von dieser stolzen Königsmätresse, sie sei viel ehrgeiziger als ausschweifend gewesen. Und damit hat sie recht. Louise de La Vallière hatte den König wie eine Geliebte geliebt, Frau von Maintenon liebte ihn wie eine Gouvernante, Frau von Montespan aber wie eine wahre Herrscherin!

Und doch kam für diese kluge, hochmütige und selbstbewusste Frau auch eine Zeit, in der sie kleingläubig in Hinsicht auf die Liebe des Königs wurde. Nicht selten nahm sie dann ihre Zuflucht zu Zauberinnen, Wahrsagerinnen und Giftmischerinnen, an deren Wundertaten sie mit aller Inbrunst als Kind ihrer Zeit glaubte; denn sie war abergläubisch und unwissend.

Nicht lange, nachdem die neue Herzogin von Orléans an den Hof Ludwigs gekommen war, etwa im Jahre 1676, begann Frau von Montespans Stern durch die Erzieherin ihrer Kinder zu verdunkeln. Sie fühlte, wie die Liebe des Königs zu ihr immer mehr erkaltete.

Alles stimmte übrigens überein, den König in den Strudel eines üppigen Lebens mit fortzureissen: der grosse Reichtum und Glanz seines verschwenderischen Hofes, die wunderbar schönen Frauen, die ihn in Menge umgaben und umschwärmten, die körperliche Gesundheit und Schönheit des Königs selbst, seine zwar gutmütige, aber reizlose Gemahlin, die ganze vergnügenheischende Lebensart von Paris, die raffinierten Intrigen der Frauen, die bewirkten, dass eine Hofdame nach der anderen sich die Gunst des jungen Königs zu erringen suchte. Auch die grosse Bereitwilligkeit der Priester und der Mütter junger Töchter, Ludwig XIV. für eine Pfründe oder ein königliches Geschenk eine neue junge Schönheit in die Arme zu führen, trug dazu bei, ihn in ein Leben voll Vergnügen und Sinnlichkeit zu stürzen.

Seine Prachtliebe überschritt alles, was man in Frankreich bisher gesehen hatte. Die königlichen Gastmähler übertrafen an Eleganz, Schönheit und fürstlichem Pomp alles, was die Geschichte aus alten Zeiten von dergleichen Verschwendungen an anderen Höfen aufgezeichnet hat. Obgleich der ruhige Bürger des Staates über einen Aufwand seufzte, der dem Reiche nicht anders als verderblich werden konnte, bewunderte er doch des Königs guten Geschmack und war geschmeichelt davon. Die Säle von Versailles und Saint-Cloud waren mit den herrlichsten Kostbarkeiten angefüllt. Alles, Spiegel, Kronleuchter, Kunstgegenstände, seidene und goldene Stoffe an den Wänden und über den Möbeln waren von einer Pracht, die an die Schätze des Orients erinnerte. In diesen kostbaren Räumen bewegte sich der König mit einer Liebenswürdigkeit und Leutseligkeit, die alle bezauberte. Man liebte auch an ihm die unverstellte Offenheit und Geradheit seines Charakters, die besonders Liselotte zu schätzen wusste. Nie erniedrigte sich Ludwig zu einer hinterlistigen Handlung oder einer Intrige, wie sie leider in seiner Umgebung alltäglich waren. Seine Mätressen und Günstlinge missbrauchten diese Herzensgüte oft schändlich und wandten sie zum Verderben des Staates an.

Liselotte öffnet weit die Augen vor diesem Leben, das für sie neu und doch nicht reizlos ist. Nie hat sie nur annähernd Aehnliches gesehen oder erlebt. Mit der Verfeinerung und künstlichen Politur französischer Umgangsformen ist sie nicht vertraut. Es scheint ihr alles unecht, und deshalb bleibt sie scheu im Hintergrunde stehen. Von allen Intrigen hält sie sich fern. Sie ist jederzeit fest entschlossen, sich in nichts zu mischen, was ihre Augen auch sehen und ihre Ohren auch hören mögen. Und dieser Grundsatz hat sich schon sehr früh in ihrem biederen Herzen eingeprägt. So vermag man sie auch nie zu irgendeiner Intrige zu bewegen, obwohl sie dadurch am Hofe des von Frauen beherrschten Königs die einflussreichste Stellung hätte einnehmen können. Die kluge Frau von Montespan, mit der Liselotte sich oft über die Hofkabalen unterhält, wirft ihr mehr als einmal vor, sie besitze nicht den geringsten Ehrgeiz, denn sie kümmere sich um nichts, was am Hofe und in den Regierungskreisen vorginge. Aber gerade sie würde sich dadurch die grössten Ehren verschaffen können, da der König sie ja sichtlich auszeichne. Liselotte lächelt und sagt, nein, sie wolle mit solchen Dingen nichts zu tun haben, und es sei ihr vom Grunde ihres Herzens aus verhasst, auf dem Wege der Intrige etwas zu erreichen. – «Nun», antwortet Frau von Montespan, «Sie sind eben eigensinnig.» – «Nein, Madame», erwidert schlicht die Herzogin, «aber ich liebe meine Ruhe und halte allen Ihren Ehrgeiz für reine Eitelkeit!» –