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Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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»Señor Rigoli, Sie werden mich noch zwingen, ernstere Maßregeln mit Ihnen zu ergreifen.«

»Ach Papperlapapp,« sagte der Italiener verächtlich, »drohen gilt nicht, aber das versichere ich Sie, Señor, wird das Geld herbeigebracht, und der Schwarze nicht freigelassen, dann zettele ich Ihnen hier eine Negerrevolution an, die sich gewaschen hat, und dann wollen wir doch einmal sehen, ob wir die Francosche Wirthschaft nicht auch bei der Gelegenheit auseinanderjagen können.«

»Señor Rigoli!« rief der Alkalde und fuhr aus seiner Hängematte in die Höhe, aber der kleine Italiener nahm keine Notiz mehr von ihm, stülpte seinen Hut auf und verließ ohne Weiteres das Haus.

Drittes Capitel.
Die Canoefahrt

In ängstlicher Furcht hatte indessen das arme Negermädchen unten auf den Erfolg der Unterredung gewartet, und die lauten, ärgerlichen Stimmen oben konnten sie wahrlich nicht dabei beruhigen. – Jetzt endlich kam der weiße Mann zurück – aber er sah erhitzt und ärgerlich aus. Sie wagte nicht einmal ihn zu fragen, welche Hoffnung sie fassen dürfe. Der kleine Italiener ließ sie aber nicht lange in Ungewißheit.

»Nimm Deinen Bruder, Schatz,« sagte er, »und mache daß Du nach Cachavi zurückkommst und Dein Geld holst – ich würde es Dir selber borgen, aber die Lumpen hier zahlen so schlecht, daß man kaum landesübliche Münze genug für Bananen und Chocolade im Haus behält. Hast Du ein Canoe?«

»Noch nicht, Señor,« sagte das Mädchen schüchtern; »aber die Señora Bastiano borgt mir gewiß das ihrige.«

»Gut dann; Du könntest meines kriegen, aber am Bug ist ein Stück herausgebrochen, und muß erst wieder gemacht werden – das soll aber jetzt gleich geschehen, denn ich weiß nicht, wie bald ich es selber brauchen werde. Wann willst Du fort?«

»Gleich, Señor – der Weg ist weit,« sagte das junge Mädchen, »sobald ich nur das Canoe habe.«

»Noch eins – wie viel Geld hast Du denn eigentlich, Schatz?«

»Es werden wohl 46 Dollars sein,« erwiderte zitternd das arme Kind – »glauben Sie, daß es genug ist, um den armen José zu befreien?«

»Genug? sicher!« rief der kleine Italiener, sich vergnügt die Hände reibend – »und sag' dem Alkalden in Cachavi nur, zu welchem Zweck Du es willst, und daß sie hier Deinen Liebsten als Sclaven halten, dem Gesetz zum Trotz. – Und wenn Du zurückkehrst, so komme gleich zu mir, und ich bringe die Sache in Ordnung, darauf kannst Du Dich verlassen. Verstanden?«

»Oh wie soll ich Euch je dafür danken, Señor?«

»Danken? für was?« brummte der kleine Mann vor sich hin – »wenn ich Dir das Geld geben könnte, hättest Du Ursache dafür – so nicht – mach' nur, daß Du fort kommst.«

Eva ließ sich das nicht zweimal sagen, und flog die Straße hinab der Wohnung der »Señora Bastiano«, einer würdigen Negerdame, zu. Allerdings machte diese noch einige Schwierigkeiten, denn sie wollte morgen oder übermorgen selber nach dem Pailon hinüber fahren, um dort einige alte Freunde zu besuchen, da ihr aber das junge Mädchen fest versprach, bis spätestens übermorgen wieder zurück zu sein, ließ sie sich endlich erbitten, und kaum zwei Stunden später, nachdem Eva noch von José Abschied genommen, und seine Seele mit freudiger Hoffnung erfüllt hatte, saßen die beiden Geschwister, Eva und ihr Bruder Tonio, im Canoe, ruderten den Santiago hinab, bis zu der nächsten Landspitze und bogen dann in den Bogota ein, um hier ihre beschwerliche und ermüdende Fahrt gegen die Strömung zu beginnen.

Aber Eva kannte keine Ermüdung; der freundliche Italiener hatte die beiden Geschwister auch noch außerdem mit Mundvorrath versehen, daß sie nirgends anzulaufen brauchten. Frisches Wasser quoll ebenfalls um sie her, denn bis hierher reichte die Fluth des Meeres nicht, und rüstig und unverdrossen ruderten sie bis zu der Mündung des Cachavi, wo dann die Strömung des wohl kleineren, aber viel reißenderen Flusses so mächtig wurde, daß sie zu ihren Stangen greifen mußten. Aber unermüdlich arbeiteten sie vorwärts, die ganze Nacht hindurch und noch stand am nächsten Tage die Sonne hoch am Himmel, als sie das kleine Negerstädtchen, wo früher ihre Eltern gewohnt, erreichten.

Eva hatte hier keine Schwierigkeit, das ersparte Geld von dem Alkalden zu bekommen, denn diese Leute speculiren nicht mit den ihnen anvertrauten Capitalien. Das Geld hing wohlverwahrt in einem Beutel von weißem Baumwollenzeug an einer etwas versteckten Stelle unter dem Dach und war rasch herbeigeholt; aber der Alkalde, ein alter greiser Neger, der früher selber Sclave gewesen, und durch das Emancipationsgesetz befreit worden, hatte mehr von der Welt gesehen, als das junge Mädchen, und schien dem unerfahrenen Kinde nur ungern den mühsam genug verdienten und aufgespeicherten Schatz anzuvertrauen.

Er kannte die Leute, die sich caballeros nennen, durch und durch, und wäre am liebsten selber mit nach Concepcion hinab gefahren, um bei dem dortigen Alkalden die Sache in Ordnung zu bringen – aber es ging nicht. Seine Frau war wieder krank und eine Tochter lag am Fieber darnieder, und dann erwarteten sie jetzt auch mit jedem Tage die indianischen Träger von Ibarra, die ihnen eine Menge neuer Waaren bringen sollten, bei deren Verkauf er jedenfalls zugegen sein mußte. Kurz es ging eben nicht an, und er mußte das junge Mädchen ihrem Schicksal überlassen.

Diese wäre am liebsten auch gleich an dem nämlichen Abend wieder aufgebrochen, um auch nicht eine Stunde so werthvoller Zeit zu versäumen, aber ihr überdieß schwächlicher Bruder war durch die ungewohnte Anstrengung so erschöpft, daß er einer Nacht Schlaf nothwendig bedurfte. Der Alkalde selber litt ebenfalls nicht, daß sich das junge Mädchen so übermäßig anstrenge, sie mußte deshalb bei ihm übernachten, aber mit Tagesgrauen war sie wieder auf, röstete für sich und Tonio ein paar Bananen zu Frühstück und Mittagessen, und ging dann selber zu dem Canoe hinab, um dieses, das die Nacht über stets hoch an Land hinaufgezogen werden mußte, da der Fluß oft so plötzlich steigt, flott zu bekommen.

Ihr Bruder packte indessen oben die Bananen ein, und der alte Alkalde war selber mit zum Fluß gekommen, um nachzusehen, daß sie ihr Geld gut verwahre, und ihr Glück auf die Reise zu wünschen.

Dem jungen Mädchen war bei der Arbeit – das Canoe allein über das Geröll in's Wasser zu schieben – warm geworden, und sie hatte ihr leichtes Oberkleid ab und in's Canoe geworfen, der kurze dünne Kattunrock reichte ihr dabei kaum bis über's Knie. Aber ihr Gesicht strahlte vor Freude, denn heute noch – heute, konnte sie den Geliebten befreien, durfte ihn selber aus seinem dumpfen Kerker in die liebe Gottesnatur hinausführen, und das Herz hätte ihr fast zerspringen mögen vor Lust und Seligkeit.

Mit viel geringerem Eifer kam ihr Bruder, von dem Alkalden begleitet, zum Ufer herunter. Ihm wäre es weit lieber gewesen, wenn er hier oben, in seiner Vaterstadt, ein paar Rasttage hätte machen dürfen, und von der übermäßigen Anstrengung gestern thaten ihm außerdem noch die Arme weh.

Eva sah, wie er nur zum Ufer herabkam, seine betrübte Miene und lachte ihn fröhlich an.

»Da, setz' Dich vorn hinein in's Canoe und mach' es Dir bequem, Tonio – ich brauche Dich heute nicht zum Rudern, denn der Fluß trägt uns allein schon rasch zu Thal.«

»Und hier ist Dein Geld, Mädel,« sagte der Alkalde, indem er der jungen Dirne den Beutel reichte, »verwahre es gut und laß es nicht in's Wasser fallen.«

»Ich bin ja doch kein Kind mehr, Señor,« sagte die Jungfrau, indem sich ein leises Erröthen über ihre dunklen Züge stahl, »seht – hier schlag' ich es fest in das Tuch, und wenn ich auch schwimmen müßte, so kann's nicht verloren gehen.«

Damit nahm sie sich ein seidenes, buntes, aber schon lange verblichenes Tuch, das ihr José einmal in früherer Zeit geschenkt, vom Hals, faltete das Geld hinein, verband die beiden Enden dicht mit im Canoe liegenden Bast und schlug es sich dann um die schlanke Hüfte. – »So – und noch einen Knoten, und nun dürft Ihr sicher sein, daß ich es nach Concepcion bringe.«

»Dann mit Gott, mein Kind,« sagte der alte Neger. »Du bist ein rechtschaffenes und braves Mädchen, und verdienst dereinst glücklich zu werden. Hast Du Deinen José aber befreit, dann bleibe nicht in Concepcion zwischen den vielen Weißen – sie hassen uns, wenn sie sich's auch nicht immer merken lassen. – Kommt herauf zu uns nach Cachavi – zu verdienen giebts hier immer, und daß Du an mir einen treuen Freund hast, weißt Du ja.«

»Dank Euch, Señor – Dank Euch recht vom Herzen – ich werde die freundlichen Worte nie vergessen, die Ihr zu der armen Waise gesprochen,« sagte die Jungfrau, – »und Gott nur weiß, wie bald wir Eure Hülfe in Anspruch nehmen müssen. Geht aber Alles gut, und bleibt José und ich gesund, dann hoff' ich, gründen wir uns auch unseren eigenen Heerd, ohne irgend Jemandem zur Last zu fallen. Wir sind Beide jung und kräftig und der Herr da oben wird ja weiter helfen. – Alles in Ordnung, Tonio?«

»Alles, Eva,« sagte der junge Bursch, der sich behaglich vorn in dem Canoe ausstreckte – »stoß ab, daß wir vielleicht in der Hitze ein Bischen in den Schatten fahren können.«

Das Mädchen trat, ohne ein Wort weiter zu sagen, aus dem Canoe hinaus in die klare Fluth, um das schwanke Fahrzeug von den letzten Steinen, auf denen es noch auflag, los zu heben, als ein scharfer, gellender Schrei vom oberen Theil des Stromes niederschallte, und rasch in dem Dorfe selber an mehreren Stellen beantwortet wurde.

»Halt, Mädel! Halt!« rief der alte Alkalde rasch und erschreckt – »die Wasser kommen. Hab' ich es mir doch fast gedacht, denn es donnerte tüchtig gegen Morgen, und oben in den Gebirgen ist ein starker Regen gefallen.«

»Desto rascher kommen wir hinab,« lachte aber das tollkühne Ding, indem sie ihr Canoe mit starker Hand in den Strom hineinstieß, und selber nachsprang.

»Caramba, Eva,« rief ihr Bruder erschreckt, indem er sich mit beiden Armen an dem Rand des Canoe emporrichtete. – »Du willst doch nicht etwa fahren, wenn die Wasser kommen?«

 

»Und warum nicht?«

»Das ist Thorheit, Mädel!« schrie der Alkalde, indem er selber in die Fluth hineinsprang, um das Canoe noch zu erfassen und zurückzuziehen.

»Zu spät!« lachte aber Eva, indem sie ihr Ruder schon gegen die Steine gesetzt hatte, und das schlanke Boot mit scharfem Druck in den Strom hinaustrieb. – »Wir können ja auch Beide schwimmen, und schlägt das Canoe gar um, bringen wir's schon wieder in die Höh'. Adios, Señor, adios! Habt keine Sorge um uns. Ich weiß ein Ruder zu führen. Hei, da kommt die Woge! Jetzt, Tonio, liege still und rühre und rege Dich nicht. – Adios, Señor, auf Wiedersehen in Cachavi!«

Vom Strande nieder stürzten eine Masse schwarzer Gestalten nach dem Flußufer, um ihre dort angebundenen Fahrzeuge in Sicherheit zu bringen, denn rasend schnell steigt oft das Wasser in diesem kleinen, den mächtigen Bergen entquellenden Strome. Unten im Thal ist vielleicht das schönste, sonnigste Wetter, und das Wasser des Cachavi selber, so klar wie Krystall, murmelt still dahin in der eingeengten Bahn. Aber weiter oben hat der Sturm seinen Tanz gehalten, und die Wolken haben ihre Sturzfluth über die Hänge entladen, an deren steilen Abdachungen nieder Bach an Bach in die Hauptader hinabspringt. Den Lehm aber wuschen sie mit, und nicht allmählig wächst der Fluß dann an, nein, so gewaltsam und mit einem Guß, wie ihm die Massen zugetheilt wurden, so wälzt er sie in einer hohen, lehmfarbenen Woge die Bahn entlang, und hinter dieser braust und kocht schäumend die Sturmfluth, nicht selten Felsblöcke aus ihrem Bett drängend und mit sich fort führend.

Sie kann auch nicht heimlich nahen. Schon von weitem hört man ihr dumpfes Brausen, und wie sie die Bäume schüttelt und Busch und Strauchwerk tief hineintaucht in ihre kochenden Wogen; wahrhaft unheimlich sieht es aus, wenn die hohe gelbe Welle sich überstürzend in den klaren Strom hineinpeitscht, und wenn sie, darüber hinrollend, die zurückgelassene Fluth in flüssigen Lehm verwandelt.

Der Fluß steigt in einem solchen Falle oft drei bis vier Fuß in wenigen Minuten und führt mit Pfeilesschnelle auf seiner Oberfläche dahin, was er sich losgespült. Indianer und Schwarze aber, die an seinem Ufer wohnen, flüchten, wenn sie sich gerade in ihren Canoes befinden, in wilder ängstlicher Eile an Land und ziehen ihre Fahrzeuge hinter sich her, bis sie dieselben in sicherer Entfernung von den rasenden Wassern wissen.

Nun wußte der alte Alkalde allerdings, daß ein Mensch, wenn er sein Ruder gut gebrauchen konnte, wohl im Stande wäre, die Mitte der Strömung zu halten, und aufkochende Wirbel zeigten immer schon voraus, wo ein vom Wasser kaum bedeckter Felsen ihm hätte Gefahr bringen können. Aber das schwache Mädchen – war sie im Stande, das Canoe zu steuern, und wenn ihr die Kraft gebrach – sie kannte die Gefahr gar nicht, von einer solchen Fluth erfaßt zu werden, gegen die keine Menschenkraft im Stande gewesen wäre anzuschwimmen. Wenn ihr Kopf gegen einen Felsen traf —

Aber zu spät kamen alle Warnungen und Zurufe; das tolle Mädchen wollte nicht hören, und hochaufgerichtet, das Ruder im Wasser haltend, das Antlitz aber der heranstürmenden gelben Woge zugewandt, um ihr mit voller, ungeschwächter Kraft entweichen zu können, stand sie da. Sie wußte, daß die Gefahr schon halb vorüber war, sobald sie nur die erste hohe Welle verhindert hatte ihr die Fluth in das Canoe zu werfen – jetzt kam sie heran – das Ruder setzte sie ein, daß es sich von dem Drucke bog – fort schnellte das Canoe, hinter ihr die gelbe drohende Masse – aber das Wasser, das so vorausdrängte, hob das Hintertheil des leichten Fahrzeugs, jetzt faßte es die Woge und drohte den Bug vorn in den Grund zu bohren, Tonio stieß einen Angstschrei aus, und hielt sich krampfhaft an dem Bootrand fest.

»Gewonnen!« jubelte da die wilde Schifferin, indem sie den linken Arm emporwarf, aber keine Zeit blieb ihr jetzt weitere Zeichen zu geben, denn ihre ganze Gewandtheit erforderte die Regierung des Bootes, das sie mit kundiger Hand inmitten der furchtbaren Strömung zu lenken wußte.

Und es war ein wunderbar schönes, wenn auch wildes Bild.

Hochaufgerichtet im Canoe, den schlanken, üppigen und rabenschwarzen Oberkörper nackt bis zum Gürtel, mit jeder Muskel in voller Thätigkeit, stand die Jungfrau. Das wollige, in kleine Zöpfe geflochtene Haar flatterte im Wind, die dunklen, seelenvollen Augen glühten im Triumph über ihr gewonnenes Wagestück, die vollen rothen Lippen hatte sie trotzig aufgeworfen, daß zwei Reihen perlengleicher Zähne sichtbar wurden, und das lange Ruder mit voller Sicherheit, und dadurch auch mit Ruhe führend, glitt sie wie eine schwarze Najade über die schäumende Fluth.

Die zum Strome hinabgesprungenen jungen Männer hatten ihr anfangs erschreckt und sprachlos nachgesehen, denn keiner von allen zweifelte daran, daß die erste und schwerste Sturzfluth auch ihr Schicksal besiegeln und das Canoe rettungslos senken und füllen müßte. Wie es sich aber hob und sank und wieder hob, und die schlanke Gestalt des Mädchens fest und unerschüttert in ihrem Nachen stehen blieb, da donnerte ein lauter Jubelruf der Bewunderung und des Beifalls hinter ihr her, und ein leichtes Lächeln flog über ihre schönen Züge, als er ihr Ohr erreichte. – Aber schon hatte sie die nächste Biegung des Stromes erreicht – wie ein Pfeil glitt der Kahn, von der stürzenden Fluth getragen, dahin – ihr Ruder begegnete der Kraft, die sie an das jenseitige Ufer zu werfen drohte – sie hielt die Mitte des Stromes, und wenige Secunden später war auch der Schrei schon in weiter Ferne verhallt, und hoher, mächtiger Urwald umgab sie an allen Seiten.

Tonio, der kleine schwarzbraune Bursche, dem aber der Muth der Schwester vollständig gebrach, hatte mit Entsetzen sich zum Theilhaber eines Wagestücks machen sehen, das ihm die krause Wolle zu Berge trieb. Mit beiden Händen fest an den Rand des Canoes geklammert, erwartete er auch nichts Geringeres, als dieses sinken und umdrehen zu sehen, wobei sie selber dann, wenn sie an's Ufer schwimmen wollten, gegen die noch immer hier und da aus der gährenden Fluth vorragenden Felsböcke geschleudert und elend zerschellt werden würden. Er war sich auch in dem Augenblick wirklich noch nicht einmal recht klar, ob die Schwester ihr Fahrzeug muthwillig in den Strom hinausgestoßen, oder ob die Sturzfluth sie in ihrem wilden Ansturm vom Ufer losgerissen habe, und das Canoe jetzt, grimmig spielend, seinem Verderben entgegen wirbelte. – Aber es behielt seine Richtung – es schwankte wohl unter den nachpressenden Wellen und tanzte auf und ab, aber der schlanke Bug vermied sorgfältig jede Gefahr, die ihm durch Felsen oder treibendes Holz drohen konnte und hoch und aufgerichtet, mit den blitzenden Augen jeden gefährlichen Punkt bewachend und ihm ausweichend, stand Eva im Rücktheil des Bootes.

Die ersten Wellen hatten dabei wohl ihre Spritzkämme an Bord gesandt und eine Menge Wasser hineingeworfen, das gleich anfangs keine Zeit blieb zu beseitigen. Jetzt aber war die erste Gefahr überwunden, und sich völlig bewußt der weiteren Fahrt auch ruhig begegnen zu können, wandte sie ihre Aufmerksamkeit auch wieder dem Boote zu.

»Komm, Tonio,« sagte sie lachend, »rutsch ein Stückchen weiter zurück zu mir, daß ich das Wasser im Canoe unter die Füße bekomme. Was fürchtest Du Dich, Muchacho, Du weißt ja doch, daß ich ein Canoe zu führen verstehe.«

»Ja, aber Eva,« klagte der Knabe, indem er jedoch dem Befehl Folge leistete, »was fiel Dir denn auch ein, in den Strom hinauszustoßen, wo die Fluth kam. Wenn ich das vorher gewußt hätte, wär' ich gewiß nicht mit Dir gefahren.«

»Du bist gar nicht wie ein Junge, Tonio,« sagte das junge Mädchen lachend, indem sie den rechten Fuß im Canoe feststellte, und dann mit dem linken das im Canoe stehende Wasser faßte, und es so gegen ihr rechtes Bein schnellte, daß es hoch aufspritzend über Bord flog. Mit sechs, acht Streichen hatte sie das kleine Fahrzeug vom Wasser klar, und das bischen Nässe, das zurückblieb – bah, was schadete das den bloßen Füßen der Maid; ja, es kühlte sie eher, indem es darüber hinwusch.

Aber jetzt erforderte der Fluß auch wieder ihre volle Aufmerksamkeit, denn noch war er nicht hoch genug gestiegen, um die darin liegenden Stromschnellen völlig auszugleichen, und vor ihr lag eine Stelle, in der die gelbe Fluth gurgelte und zischte, und überall verrätherische, unter dem Wasser lauernde Felsen kündete.

»Setz' Dich, Eva,« bat Tonio, »wenn das Canoe einen Stein streift, fliegst Du hinaus und kannst Dir Schaden thun.«

»Wenn ich sitze, seh' ich die Felsen nicht,« entgegnete aber die wackere Bootführerin, »hab' keine Angst, Herz, ich führe Dich sicher hindurch. Ist es denn das erste Mal, daß ich durch solches Wasser steuere?«

Im nächsten Moment brodelte und schäumte die Fluth um den Bug und wie es die Wellen faßten, rieb der flache Boden ein paar Mal auf den glatten Steinen. Aber Eva hatte nicht zu viel versprochen, wenn sie dem Bruder versicherte, sie führe durch, was sie begonnen. Jetzt lag das Ruder zwischen ihren Füßen und mit einer leichten, aber zähen Stange, die sie aufgegriffen, lenkte sie den Lauf des Canoes so geschickt, daß es auch nicht ein einzig Mal die Seite den gefährlichen Stellen bot. Blitzesschnell aber schoß das leichte Fahrzeug in den aufgeregten Wassern seine Bahn dahin, und Secunden brauchten sie dazu, um Stellen zu passiren, gegen die sie gestern noch, mit Anspannung aller ihrer Kräfte halbe Stunden lang anarbeiten mußten.

Erst aber nur einmal eine einzige Legua zurückgelegt, und die Gefahr war vorüber; das Wasser fing an sich wieder zu beruhigen – es stieg wohl noch, aber nur langsam, und mit unermüdeter Kraft trieb Eva ihren Nachen weiter.

Nur ein einziges Mal landeten sie auch unterwegs, und zwar an einer Stelle, wo ein alter Neger, ein Freund ihres verstorbenen Vaters, den Urwald gelichtet und einen Platanar angelegt hatte, und der Alte ließ sie nicht fort, ehe sie nicht einen Becher Chokolade bei ihm getrunken hatten. Aber dann ging es auch weiter, und Tonio mußte jetzt ebenfalls sein Ruder nehmen, um noch rascher das Ziel zu erreichen.

Am Cachavi selber trafen sie überhaupt wenig gelichtete Punkte – das tiefer gelegene Land war fruchtbarer, und als sie den ruhigern Bogota erreichten, schien es ordentlich, als ob sie die Wildniß hinter sich gelassen hätten. Noch mußten sie allerdings weite Strecken Wald passiren, aber dann lichtete sich dieser plötzlich, und die breitblätterigen Bananen schüttelten ihre edel geformten Wipfel bis dicht über die, steil unter ihnen abfallende Uferbank. Hochstämmige Cocospalmen ragten mit ihren gefiederten Kronen über die darunter versteckten Wohngebäude der Menschen, und Cacao- und Baumwollenpflanzungen bewiesen, daß auch der freie Neger, wo ihm zu seiner Entwicklung nur Raum gegeben wird, dem Boden mehr abzuringen weiß, als er zu seinem eigenen Bedarfe braucht.

Aber wenig genug beachtete das junge Mädchen diese Anfänge der Civilisation, diese Zeichen regen Fleißes, und nur dann und wann haftete ihr Blick hier und da auf einer freundlicher gelegenen Hütte, aus deren Schattenbäumen vielleicht eine Fülle goldiger Orangen hervorleuchtete, während zahmes Vieh am Ufer des Flusses weidete, denn so hatte sie sich ihre eigene Heimath oft und oft in stillen Stunden ausgemalt, und ein schwerer Seufzer hob dann wohl ihre Brust, wenn sie daran dachte, wie lange sie Beide – sie und ihr José, wohl noch hart und bitter arbeiten müßten, ehe sie das ersehnte Ziel erreicht. – Aber der Arm ruhte dabei auch keinen Augenblick – je näher sie der Mündung des Bogota in den Santiago kamen, desto schärfer griff sie aus, denn jede Viertelstunde, die sie hier versäumte, verlängerte ja auch die Kerkerhaft des Geliebten.

Endlich sah sie das breite, klare Wasser des schönen Stromes vor sich – um die Landzunge bog der Bug ihres Canoes, und dort voraus schimmerten wieder die weißen Häuser von Concepcion im Sonnenlicht.

Oh wie bog sich ihr Ruder gegen die Strömung des Santiago jetzt an, um die kurze Strecke dort hinüber zurückzulegen, und wie trieb sie den Bruder an, den sie bis jetzt so viel als möglich geschont, um sie in dieser letzten kurzen Fahrt zu unterstützen. Er theilte ihre Eile gar nicht, denn dort wartete nur wieder die Werkstatt des kleinen Italieners auf ihn, der er gar so gern noch eine kurze Zeit entgangen wäre – aber die Schwester ließ ihn nicht. Aus allen Kräften mußte er sich in's Ruder legen, und kaum berührte ihr Canoe den Sand, unterhalb der Stadt, als sie auch schon mit flüchtigem Satz an's Land sprang, Tonio die Sorge um das Canoe überlassend.

Kaum nahm sie sich dabei Zeit, ihr Oberkleid wieder umzuwerfen, so drängte es sie, dem Geliebten die Kunde seiner baldigen Freiheit zu bringen, und rasch hatte sie auch das Gefängniß erreicht, aber – ein eisiges Gefühl ergriff ihr Herz, als sie das niedere, unheimliche Gebäude schon von weitem erblickte, denn – die Thür stand offen. – Hatten ihn die Weißen frei gelassen, oder war er —

 

Ueber den Plan schlenderte der Schließer des Gebäudes, ein alter mürrischer Neger mit einem, von den Blattern ganz zerrissenen Gesicht. – Sie kannte ihn.

»Oh Pedro!« rief sie ihn mit zitternder Stimme an – »wo – wohin habt Ihr José gethan?«

»José?« antwortete der Alte mürrisch – »sein Herr ist mit ihm heute Morgen den Strom hinab gefahren. – Was weiß ich, wohin.«