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Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.

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»Well Jim,« begann dieser würdige Mann, nachdem er sich die Pfeife angebrannt, während die Anderen ihm schweigend, und durch seine Kaltblütigkeit wirklich überrascht, zuschauten – »wie geht's heut' Abend, was stehst Du denn dahinten in der Ecke? – habt Ihr Nichts zu trinken hier?«

»Hol mich dieser und Jener« brummte aber Jim, der jetzt langsam vorkam, und seinen alten Platz wieder einnahm, »wenn das nicht Jack ist von der Jeanne, nun mein Junge, hast Du den Platz hier wirklich aufgefunden, und wo willst Du hin?«

»Freundlicher Empfang das, bei Jingo,« lachte Jack – »hallo Mate da drüben, wenn Du mit der Flasche fertig bist, lang' sie mir einmal herüber.«

Die Anrede galt Murphy, der sich in diesem Augenblick unbeobachtet genug geglaubt, einen heimlichen Angriff auf die erbeutete Flasche wagen zu dürfen, und jetzt erschreckt absetzte und eine fast unwillkürliche Bewegung machte das corpus delicti rasch wieder, und bis zu geeigneterer Zeit zu verbergen, Toatiti war aber indessen auch aufmerksam geworden, und in die Höh springend und mit dem Rufe: »Hallo, weißer Mann – hat meine Flasche,« holte er sich sein Eigenthum wieder, mit dem er jedoch die gefährliche Nachbarschaft des neugekommenen Fremden ebenfalls mied, und sich seinen Platz am anderen Ende der Hütte suchte. Jim reichte Jack indessen eine andere Flasche hinüber.

»Und wer seid Ihr, wenn man fragen darf, mein feiner Herr?« sagte aber jetzt Mütterchen Tot, mit noch immer etwas vorsichtig gedämpfter Stimme, als ob sie nicht recht traue daß nicht vielleicht noch eine andere Gesellschaft draußen an der Hütte stehen könne – »Ihr kommt hier gerade so breitbeinig herein, als ob Ihr mit zum Haus gehörtet, und müßt doch wissen daß ich, den streng gehaltenen Gesetzen der Insel nach, keinen Fremden über Nacht bei mir beherbergen darf, selbst wenn ich ihn kenne, was bei Euch aber nicht einmal der Fall ist.«

»Wer ich bin? – hm, Jim da drüben wird Euch das am besten erzählen können, wenn er sonst Lust dazu hat,« lachte der Matrose, zum ersten Mal wieder absetzend mit der Flasche, und sich das Naß aus dem Bart streichend.

»Aber wo kommst Du noch her so spät in der Nacht,« frug jetzt Jim selber, »und wie in der Welt hast Du den schmalen Pfad durch die Guiaven verfolgen können?«

»Verdammt wenig hab' ich überhaupt von einem Pfad gespürt,« lachte der Seemann, »nein Kamerad, einen nichtswürdigen Kreuzzug habe ich durch das niederträchtige Buschwerk hier gemacht nach allen Strichen und Himmelsgegenden zu, und bin auf und ab lavirt, bis ich mich eben bereit machte die Nacht unter Gottes freiem Himmel zuzubringen, als ich noch zum guten Glück Euer freundliches Licht durch die Büsche schimmern sah, und nun vor dem Wind Cours halten konnte, bis ich das leise Pfeifen des Burschen da hörte, der mich noch immer so verstört und mißtrauisch ansieht, als ob ich ihm alle Augenblicke wieder davon laufen wolle. Hab' keine Angst, mein Junge, der Brandy ist vortrefflich, und hier sucht mich doch kein Teufel, wenigstens nicht bis es Tag wird, und man sich nicht mehr in den stachlichen Orangengebüschen die Fetzen vom Leib, ja die Haut von den Knochen reißt.«

»Du bist desertirt?« frug O'Flannagan rasch.

»Desertirt?« schrie die Alte, von ihrem Sitz aufspringend – »und halt' ich ein Versteck hier, für entlaufene Matrosen? was wollt Ihr da hier? – weshalb seid Ihr hierhergekommen?«

»Pst, pst Alte,« suchte sie Jack aber wieder zu beruhigen, und die Flasche vorher noch einmal gegen das Licht haltend, that er einen zweiten Zug, der eben nicht viel für einen dritten übrig ließ – »nur nicht solchen Lärm einer Kleinigkeit wegen; das haben bessere Männer vor mir gethan – Wetter noch einmal, der Brandy ist famos, und ich wollte die Flasche hier hätte eine Schwester.«

»Aber sie haben Dich noch nicht vermißt?« sagte Jim, ihn über das Licht aufmerksam betrachtend, »denn ich will doch nicht hoffen daß Du eben, von den Spürhunden gehetzt, hier nur so zu Bau gekrochen bist.«

»Der Vergleich könnte passen,« schmunzelte Jack, wie mit sich selber zufrieden; »erst mit Dunkelwerden haben sie meine Spur in den Guiaven verloren, und ich kann's ihnen nicht übel nehmen, denn ich wußte selber nicht mehr wo ich war – wie sollten sie's.«

»Da haben wir's!« rief aber die Alte in Zorn und Grimm mit der rechten Faust in ihre linke offene Hand schlagend; »wegen dem fortgelaufenen Lump soll ich mir hier das Dach über dem Kopf niederreißen und mich wieder hinaus in alle Welt jagen lassen? weiter fehlte mir Nichts – hinaus mit Dir mein Bursche, hinaus so schnell Du gekommen bist, oder ich lasse Dich binden und knebeln und selber wieder auf Dein Schiff zurückliefern, wohin Du ge hörst, und das Du im Leben nicht hättest verlassen sollen.

»Herrliche Gastfreundschaft hier auf der Insel,« lachte Jack, ohne aber auch nur die mindeste Bewegung zu machen, als ob er dem Befehl Folge leisten wolle – »patriarchalische Freundschaft das, hol' mich der Böse – sie sagen's Einem doch erst ganz höflich, ehe sie Einen wieder hinauswerfen. Nun Jim, wie ist's? – willst Du mich nicht lieber wieder an Bord zurückschicken lassen? – Du weißt, ich könnte nachher gar keine Geschichte erzählen, Gott bewahre, nicht die mindeste.«

»Unsinn,« knurrte der Ire, »es wäre mir verdammt egal was Du, einmal erst wieder an Bord, erzählen oder erfinden könntest – na, ich weiß schon was Du sagen willst; die Alte hat aber in einer Hinsicht recht, hier kannst Du nicht bleiben, und ich auch nicht, wenn sie Dich wirklich bis an die Guiaven verfolgt haben, denn dann stöbern sie auch, von ein oder dem andern frommen Indianer geführt, die dabei ein gutes Werk zu thun glauben, diese Hütte noch vor Tagesanbruch auf, und könnten uns dabei im besten Schlaf erwischen.«

»Hol sie der Teufel!« rief Jack finster – »sie mögen thun was sie nicht lassen können, aber meiner Mutter Sohn geht heute Nacht nicht wieder allein in die Guiaven hinaus, und wenn ich die ganze Mannschaft der Jeanne d'Arc hinter mir wüßte. – Wenn Ihr mich aus dem Weg haben wollt, versteckt mich hier irgendwo, ich bin müde wie ein gehetzter Wolf und will schlafen; kommen die Monsieurs nachher wirklich noch hierher, was ich aber doch stark bezweifeln möchte, so kann sie die alte würdige Dame da, mit dem allerliebsten Hut auf und dem gewiß höchst modernen Anzug, leicht genug auf eine falsche Fährte bringen – so, jetzt wißt Ihr das Kurze und Lange davon.«

Mütterchen Tot, der vielleicht in ihrer ganzen jahrzehnte langen Praxis ein solches Beispiel von keckem Trotz, ihr gegenüber noch nicht vorgekommen war, stand im ersten Augenblick wirklich starr vor Ueberraschung – jedenfalls sprachlos, dann aber war sie eben im Begriff wie Gottes Zorn über den Unverschämten hereinzubrechen, der ihr hier in ihrer eigenen Hütte zu trotzen, ja sie zu verhöhnen wagte, als Jim dazwischen trat, und sie zurückhaltend den Arm des Matrosen faßte und diesen bei Seite zog.

»Was will der Mensch hier?« kreischte jetzt aber das gereizte Weib mit lauter, gellender Stimme, ziemlich unbekümmert wie es schien, wie viel Specktakel sie mache – »was thut er hier, was sucht er bei mir, daß er – «

»Halt Mütterchen,« rief aber Jim rasch und heftig sie unterbrechend, und den Arm drohend gegen sie aufgehoben – »halt, oder Du schreist Dich selber um den Hals – der hier ist ein alter Kamerad von mir, und ich werde ihn nicht in der Patsche sitzen lassen.«

»Aber hier in meinem Hause – «

»Ruhig Mütterchen – hier im Haus soll und kann er auch nicht bleiben – Du brauchst Dir deshalb keine Sorge zu machen; und Du, Jack,« wandte sich Jim jetzt gegen diesen, der ziemlich geduldig das Ende der Unterhaltung zu erwarten schien – »Du stehst hier auf gefährlicherem Boden als Du wahrscheinlich vermuthest, und je eher Du aus dem Schein dieses Lichts kommst, desto besser für Dich – vielleicht für uns alle Beide.«

»Aber wie zum Teufel kann ich fort?« rief der Matrose ärgerlich, »das Dickicht draußen ist ordentlich zugewachsen, und mit dem Licht schon in Sicht, habe ich meinen Weg noch gewiß eine halbe Stunde förmlich durcharbeiten müssen, nur den Platz hier zu erreichen.«

»Du sollst auch nicht allein gehen,« unterbrach ihn Jim, »denn wir müssen Dich eine ganze Strecke weit inland bringen, wenn Du es nicht lieber vorziehst in der Nähe vom Strand zu bleiben und mit erster Gelegenheit in einem Canoe nach irgend einer anderen Insel überzusetzen.«

»Nein nein – danke,« sagte Jack nach kurzem Ueberlegen – »draußen in See ist langsames und unsicheres Fortkommen, und der Henker traue den verschiedenen Fregatten die jetzt im Ein- oder Auslaufen sind; sie könnten Einem jeden Augenblick über den Hals kommen, und – neugierig sind sie alle. Nein, ich will's jedenfalls erst einmal eine kurze Zeit hier in den Bergen versuchen – auf Salzwasser komme ich noch immer zeitig genug.«

»Gut, dann soll Dich Toatiti in die Berge bringen,« sagte Jim nach einigem Nachdenken, und zwar in Tahitischer Sprache, mehr zu dem Indianer selber, als zu Jack gewandt.

»Toatiti wird sich hüten,« knurrte aber dieser, seine Stellung beibehaltend und sich nur etwas mehr auf die Seite hinüberdrehend, »Toatiti liegt hier ausgezeichnet und ist sehr durstig.«

»Schwamm!« zischte der Ire zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, aber er wußte auch daß mit den Insulanern, wenn sie einmal keine Lust hatten, Nichts zu machen war, weder in Gutem noch Bösen, und deshalb den anderen jungen Burschen zu sich winkend, flüsterte er ihm etwas in's Ohr – irgend ein Versprechen, seine Faulheit zu beschwören, und mußte ihm dabei so dringend zugeredet haben, daß er wirklich seine Tapa fester um sich her zog, die Haare aus dem Gesicht schüttelte und sich bereit zeigte den Weißen »aus dem Weg« zu führen.

Der Insulaner der Südsee ist eigentlich nicht faul – wir haben wenigstens kein Recht für ihn, dem die Natur Alles gegeben was er braucht, wenn er nur die Hand danach ausstreckt, eine eben solche Thätigkeit zu verlangen, wie sie unser ganzes Klima, unser Boden, unser übervölkerter Staat schon zur Bedingung unserer Existenz gemacht, und uns also auch damit jedes Verdienst genommen hat, sie uns angeeignet zu haben – wir können einmal nicht ohne sie leben, und deshalb auch nicht mit ihr prahlen. Es würde ebenso wenig Einem unserer reichen Leute, unserer Rentiers und Capitalisten einfallen Holz zu hacken oder Straßen zu bauen mit Schaufel und Spitzhacke – »wir brauchen es nicht« sagen sie achselzuckend, »dafür haben wir unsere Leute.« Dasselbe sagt der Insulaner – »ich brauche es nicht«, oder wenn er's nicht sagt liegt es in jeder Muskel seines Gesichts, in jedem Nerv seines Körpers. Der Brodfruchtbaum ernährt ihn, und tausend andere Fruchtbäume schütteln ihm selber das luxuriöseste Mahl auf den Boden nieder; nur die Kleidung wurde früher von den Frauen und Mädchen aus der Rinde gewisser Bäume herausgeschlagen, und dieser einzig nöthigen Beschäftigung widmete wenigstens der weibliche Theil der Bevölkerung einige Zeit; aber selbst das ist jetzt, sehr zum Schaden der Insulaner, durch die erst von den Missionairen und später von anderen Europäern eingeführten Cattune unnöthig gemacht und aufgehoben, und die Missionaire selber verkauften ihnen die Europäischen Stoffe, die ihnen durch ihre bunten Farben gefielen, um einen Tauschartikel zu haben, für den sie ihren eigenen Lebensunterhalt, wie anderes was sie zur Bequemlichkeit ihrer Existenz gebrauchten, bekommen konnten. Den Frauen wurde damit die letzte nützliche Beschäftigung genommen, und Bibellesen, das ihnen dafür Ersatz geben sollte, konnte sie natürlich nur so lange fesseln, als es eben den Reiz der Neuheit für sie hatte. Was kümmerten sie die Sagen eines Volks von dem sie nicht einmal einen Begriff hatten wo und wann es existirt, und jetzt gerade, wo das Glauben an die Wunder ihrer eigenen Götter durch die fremden Männer erschüttert, ja über den Haufen geworfen worden, sollten sie da gleich gläubig und vertrauungsvoll zu noch viel wunderbareren Sachen aufschauen? —

 

Ach was – die Sonne reifte ihre Früchte noch wie je – im Schatten ihrer wundervollen Wälder ruhte sich's so kühl wie sonst, und der Zukunft träumte es sich viel eher, wenigstens viel leichter entgegen, als daß sie die Hand hätten »an den Pflug« legen sollen, wie es die Missionaire fortwährend von ihnen verlangten. Wer etwas von ihnen haben wollte mußte es gut bezahlen – dann thaten sie es vielleicht; aber gezwungen wollten sie noch immer nicht dazu werden.

»Und wo führt er mich hin?« sagte Jack mit einem leisen Anflug von Mißtrauen als er sah, wie sich der Indianer fertig machte ihn zu begleiten, »hab ich weit zu gehen?«

»Zu einem Haus in den Bergen,« erwiederte Jim, ihm die Worte leise zuflüsternd – »selbst Mütterchen Tot braucht den Ort nicht zu wissen, obgleich sie Keinen verrathen würde, von dem sie nicht selber gleichen Liebesdienst fürchten müßte – der Platz liegt kaum eine halbe Meile von hier entfernt, aber sicher versteckt, und ist wenigstens nicht, wie der hier, als heimlicher Schlupfwinkel entlaufener Matrosen in ganz Papetee, ja auf der ganzen Insel, berüchtigt – bist Du fertig?«

»Brauch' ich etwa andere Vorbereitungen,« lachte Jack, »als meine Jacke wieder zuzuknöpfen? – aber die Flasche hier nehme ich mit, es ist immer noch ein Tropfen darin, und der Nebel liegt dicht auf den Bergen. Und nun ade, Mütterchen, und vergelt' Dir Gott die freundliche Bewirthung – bis ich's vielleicht einmal im Stande bin. Und Du, Kamerad?« wandte er sich plötzlich noch gegen den Mann von der Kitty Clover, der die ganze Zeit, seit Jack die Hütte betreten, keine Sylbe gesprochen, und den fremden Gesellen nur manchmal, wenn das unbemerkt geschehen konnte, unter seinem Hutrand vor beobachtet hatte, »hast Du nicht vielleicht Lust einen Abendspatziergang mitzumachen? – s'ist verdammt langweilige Arbeit so allein mit einer Rothhaut draußen in den Büschen herumzukriechen.«

»Danke,« brummte aber der Matrose ohne aufzusehen – »befinde mich g'rade hier wohl wo ich bin.«

»Auch gut,« brummte der Andere finster – »besser keine Gesellschaft wie schlechte,« und mit einem kurzen Gruß nach Jim hinüber, winkte er seinem Führer und verließ rasch und mürrisch das Haus.

Nicht ein Wort wurde gesprochen, als sich die leichte Bambusthür wieder hinter den Beiden schloß, und die Zurückbleibenden horchten viele Minuten lang lautlos und aufmerksam den, bald in der Ferne verhallenden Schritten. Der Mann von der Kitty Clover, Bob mit Namen, brach zuerst das Schweigen wieder, und sich mit finster zusammengezogenen Brauen den Hut aus der Stirn rückend brummte er, mehr mit sich selbst als zu den Anderen redend, und die letzten Worte des wunderlichen Burschen wiederholend, der hier so plötzlich zwischen ihnen aufgetaucht und verschwunden war:

»Besser keine Gesellschaft wie schlechte? – Wetter Kamerad, Du würdest weit in der Welt herumsuchen müssen, wenn Du schlechtere finden wolltest wie Dein eigenes süßes Ich.«

»Kennt Ihr ihn?« frug Jim rasch, sich zugleich nach dem Sprecher umdrehend.

»Vielleicht nicht so gut wie Ihr,« lachte dieser trocken, »aber immer doch gut genug froh zu sein, daß ihm mein Gesicht nicht gerade alte Scenen in's Gedächtniß zurückrief. Wir waren vor gar nicht so langen Jahren Schiffskameraden, ja Vortopgäste zusammen, und er wurde gepeitscht und später in Ketten an Land geschafft, weil er das M. und D. nicht von einander zu unterscheiden wußte.«

»Das M. und D.?« sagte Jim erstaunt.

»Nun das Mein und Dein,« lachte der Wallfischfänger, »aber noch schlimmere Sachen wurden ihm zur Last gelegt, und ein halbes Wunder nur rettete ihn damals von der Raanocke – verdient hatte er sie schon zehnmal.«

»Aufgepaßt!« flüsterte da die Stimme der Alten rasch und vorsichtig dazwischen – »aufgepaßt, draußen sind wieder Schritte die da nicht hingehören – und der faule Gauch von einem Schuster kauert da wahrhaftig wieder hinter seiner dickleibigen Bibel und schmiert die Seiten voll Cocosöl – hinaus mit Dir, Menschenkind, wohin Du gehörst, und daß doch der Böse mit Dir und dem Buch davonflöge.«

Murphy schien allerdings vollständig ausgeschlafen zu haben, und hatte sich, da ihm die Flasche wieder abhanden gekommen, seinen allnächtlichen Tröster, die Bibel, vom Gesims geholt, über der er bei dem matten Licht der unsteten Flamme brütete. Mütterchen Tot's Zornrede störte ihn nun allerdings etwas in dieser löblichen Beschäftigung, aber theils ärgerlich gemacht durch den Verlust des Brandy, theils durch die unermüdlichen Angriffe der Mosquiten, derer er sich heute Abend kaum erwehren konnte, war ein sonst an ihm kaum denkbarer Geist, der Geist des Widerspruchs, in ihn gefahren, und mürrisch über das Buch und das Licht wegsehend rief er mit seiner feinen, jetzt ärgerlich erregten Stimme:

»Ach zum Henker, ich habe draußen Nichts zu suchen, und wenn man Einen wie einen Menschen behandelte, könnte man auch wie ein Mensch existiren. Laß die aufpassen die sich vor was zu fürchten haben; Murphy hat ein gutes Gewissen und sitzt hier lange gut.«

»Nun das hat mir noch gefehlt!« schrie Müt terchen Tot, von ihrem Sitz empor und auf den Rebellen zufahrend, der nur eben Zeit genug behielt das Gestell mit der Lampe zwischen sich und die Megäre zu bringen. Mütterchen Tot schien aber seine Taktik schon zu kennen, und mit einem Griff ihrer langen Arme um die Flamme herumgreifend erwischte sie das Buch, hob es mit beiden Armen auf und schleuderte es blitzesschnell und mit einem ingrimmigen Fluch nach dem Kopf des kleinen Schusters, der nur durch rasches Untertauchen dem nicht unbeträchtlichen Gewicht des Bandes entgehen konnte. »Da,« schrie sie dabei, kirschroth vor Wuth – »da Du Lump, da nimm das und studier's, und nun hinaus mit Dir, oder so wahr da oben der Mond am Himmel steht, ich gieße Dir das heiße Cocosöl über den Leib, und brühe Dich wie ein unreines Schwein das Du bist – Du – Du Lederstecher Du.«

»Zum Teufel noch einmal, Mütterchen,« rief aber Jim jetzt dazwischen, der sich indessen ebenfalls zum Fortgehen bereit gemacht, und seine Jacke zugeknöpft, seinen Hut aufgesetzt hatte – »laßt den Lärm hier, Ihr macht ja einen Skandal, daß die Hunde am Strand an zu bellen fangen. Mir wird's unheimlich hier drin, und ich suche mir lieber ein stilleres Quartier. Komm Kamerad, ich will Dich noch in gute Gesellschaft bringen, heut' Abend, und morgen früh dann – Teufel!« unterbrach er sich aber rasch und erschreckt, denn draußen rasselten plötzlich, wie auf ein gegebenes Kommando, eine Anzahl Gewehrkolben auf den Boden, dicht an dem Eingang der Hütte nieder, und die Stimme eines Befehlenden in Französischer Sprache wurde laut:

»Zwei von Euch um das Haus herum, ob es noch einen anderen Eingang hat, und Ihr hier bleibt an der Thür; was mit Gewalt hindurch will den stoßt Ihr nieder – Feuer auf jeden Flüchtling.«

»Alle Wetter,« brummte Bob, jetzt ebenfalls aufspringend, und seine Segeltuch-Hosen nach Art der Seeleute in die Höhe zerrend – »Jack ist ihnen zur rechten Zeit aus den Klauen gerutscht.«

Es blieb ihm keine Zeit zu weiteren Bemerkungen, denn die Thür wurde in diesem Augenblick aufgerissen, und sich bückend trat ein Französischer See-Officier ein, dem eine Anzahl Marinesoldaten mit aufgepflanztem Bajonett folgten, und somit ein Verlassen der Hütte, die keine Fenster hatte, unmöglich machte.

Der Officier, dessen Blick den inneren Raum, soweit das nämlich das ungewisse Licht der Cocosflamme erlaubte, überflog, haftete zuerst auf Murphy selber der, sich wenig um die Patrouille oder Haussuchung kümmernd, an die er durch eine lange Reihe von Jahren auch wohl schon gewöhnt sein mochte, nur rasch und bestürzt seine Bibel aufgegriffen hatte, und mit dem dicken Buch jetzt gar nicht schnell genug in seine Hülfskalebasse hineinfahren konnte.

»Hallo Sir – was habt Ihr da so Kostbares zu verstecken he?« rief er in Englischer Sprache, und ging langsam auf den kleinen Mann zu, der fast instinktartig das erst halb hineingezwängte Buch bei Seite und in den Schatten drückte, und nach einem angefangenen Schuh griff, als ob er mitten in der Nacht seine mit Dunkelwerden aufgegebene Arbeit wieder beginnen wolle.

»Und seid Ihr hierhergekommen, Sirrah, unsere Taschen zu visitiren?« knurrte aber unwirsch der kleine Ire, der schon einen tückischen Seitenblick nach der ihm verhaßten Uniform warf, und seinen ganzen trotzköpfigen Muth oder eher Widerspruchsgeist zurückbekommen hatte, als er fand daß der nächtliche Besuch nur Soldaten und keine Missionaire waren, »wenn's mir Vergnügen macht, kann ich meine Kalebassen und Taschen so voll stopfen wie und mit was ich will – was geht's Euch an?«

»Langsam mein Bursche, langsam,« lachte der Officier, unser alter Bekannter Bertrand, durch die mürrische Antwort keineswegs böse gemacht – »wenn ich nachher neugierig werden sollte, wirst Du mir's doch noch zeigen müssen, jetzt aber vor allen Dingen wollen wir Deine Wohnung einmal etwas genauer besehen, ob wir nicht einen alten Freund und Schiffskameraden darin entdecken können, der sich wahrscheinlich von Bord verlaufen hat, und in der dunklen Nacht nicht wieder dorthin zurückfinden kann. Die Guiaven stehen gar zu dicht um Euer Haus – Ihr solltet sie ein wenig lichten.«

»Wie ich merke stehen sie doch noch immer nicht dicht genug;« brummte Murphy halblaut vor sich hin, Mütterchen Tot nahm aber für ihn die Unterhaltung auf, und mit ihrer schrillen Stimme kreischte sie dem Officier entgegen:

»Deine Wohnung, Deine Wohnung? wessen Wohnung habt Ihr hier anders als meine? und glaubt Ihr daß der schmutzige Schuster da eine Wohnung für sich selber hat? – Ist das auch eine Manier einer armen alleinstehenden Frau bei Nacht und Nebel in's Haus zu fallen, und sie zu erschrecken, daß sie den Tod davon haben könnte? was wollt Ihr? wer seid Ihr? wen sucht Ihr? nun, habt Ihr die Sprache verloren daß Ihr dasteht wie von Gott verlassen?«

»Alle Wetter,« lachte Bertrand, der sich erst jetzt von seinem Staunen über die wunderbare, vor ihm aufsteigende und von der Flamme phantastisch genug beschienene Gestalt erholen konnte – »das ist eine Dame; bei Allem was da schwimmt, ich hatte keine Ahnung daß sich das schöne Geschlecht auch in solch alte Ueberröcke zurückziehen könnte.«

»Ach was schöne Geschlecht – Dame,« knurrte die Megäre, »was wollt Ihr, wen sucht Ihr? und ein Bischen rasch, denn es ist Schlafenszeit, und ich möchte meine Ruhe haben wie ich's verlangen kann.«

Der Officier hörte schon kaum mehr auf sie, sondern näher zum Licht tretend, und seine Augen mit der linken ausgestreckten Hand dagegen schützend suchte er vor allen Dingen herauszubekommen, ob außer den, neben der Lampe sitzenden Individuen noch Andere vielleicht in der Hütte befindlich, oder gar versteckt wären, einer eben nur oberflächlichen Untersuchung auf bequeme Art auszuweichen.

 

Jim hatte erst wirklich, und wie er das erste Niederstoßen der Gewehrkolben hörte, eine Bewegung gemacht, als ob er sich in den hinteren und dunkleren Theil der Hütte zurückziehen wolle, als aber sein scharfes Ohr auch dort draußen Schritte hörte, blieb er ruhig stehen und ließ sich dann sogar, als eben der Officier die Hütte betrat, wieder auf seinen alten Platz nieder, wo er, den Kopf in die Hände gestützt, und den breiträndigen Wachstuchhut nur etwas tiefer in die Augen gezogen, ruhig sitzen blieb, und das Ganze mit vollkommen gutem Gewissen schien abwarten zu wollen. Nur der mißtrauische und finstere Blick, den er heimlich, unter dem Schatten seiner Hutkrempe vor, nach dem Officier hinüberschoß, wie die fest zusammengebissenen Zähne hätten können ahnen lassen, daß doch nicht Alles mit ihm so gut und richtig sei, und er vielleicht gegenwärtig lieber den von Mosquitos am meisten heimgesuchten Guiavensumpf, als gerade diesen behaglichen Platz auf dem er sich befand, inne haben möchte.

»Was oder wen ich suche, Madame?« wiederholte Bertrand langsam und fast wie mit sich selber redend – »hm, Jack scheint sich richtig aus dem Staub gemacht oder doch einen sichereren Platz aufgefunden zu haben. Ihr, da, zwei von Euch« wandte er sich dann in französischer Sprache an die Soldaten, »sucht einmal an der Wand hin, ob Ihr nicht irgendwo noch Jemand entdeckt, und wenn so, bringt ihn her zum Licht; vielleicht können mir indessen diese beiden Burschen, die da so schweigsam sitzen, etwas nähere Auskunft über den Gesuchten geben. Heda Gentlemen,« wandte er sich jetzt an die beiden Leute, von denen Bob nicht als Matrose zu verkennen war, während selbst Jim einen ziemlich seemännischen Anstrich hatte, und hier auf Tahiti, wo man kaum Leute anderen Berufs vermuthen konnte, recht gut für zu Salzwasser gehörig gelten konnte – »ich suche einen entsprungenen Mann von der Jeanne d'Arc, der auf den Namen Jack hört, und sonst ein so durchtriebener nichtsnutziger Schuft ist, wie nur je Einer Schuhleder zertreten oder das Deck eines Schiffes gewaschen hat. Kann mich Einer von Euch auf die Spur bringen?«

»Spur bringen?« brummte aber Bob dagegen – »wenn's auf See wäre, aber hier an Land bin ich immer froh wenn ich das Ufer selber wiederfinde, mich nicht zwischen den verdammten Bäumen zu verlaufen – da müßt Ihr Euch schon einen Anderen suchen.«

»Aber hast Du den Burschen nicht irgendwo gesichtet, Kamerad?« frug der Officier wieder, der aus dem ganzen Wesen der Alten etwas Aehnliches fast vermuthen wollte. »Er heißt Jack.«

»So heißen wir ziemlich Alle,« knurrte der Seemann – »wenn man Eines Namen nicht weiß auf Englischen Schiffen, nennt man ihn Jack – jeder Matrose ist eigentlich ein geborener Jack, und kriegt den anderen Namen, wie das Frauensvolk bei der Heirath, mit dem ersten Salzwasser-Grog ohne Zucker und Rum, den sie ihm über den Schädel gießen.«

Bertrand hatte, während Bob sprach, zuerst Jim oberflächlich betrachtet, und sich dann wieder in der Hütte umgesehen, in seiner Erinnerung wurden aber andere Bilder wach, und wieder und wieder kehrte sein Blick zu den halbbeschatteten Zügen des Mannes zurück, der am Feuer mit zusammengezogenen Brauen saß und jetzt anfing in seiner Tasche nach Tabak zu suchen, sich eine Pfeife zu stopfen.

»Hallo Kamerad,« sagte er endlich, als die beiden Soldaten zurückgekommen waren und gemeldet hatten daß sich Niemand weiter in der Hütte befinde, »wo haben wir Beide denn schon einmal unser Fahrwasser gekreuzt? – Du bist ein Engländer?«

»Wenigstens nicht weit davon,« brummte Jim, sich noch mehr in seine Pfeife vertiefend, und jetzt halb vom Lichte abgewandt – »habe aber nicht die Ehre – Menschen gleichen sich wie Blätter und Eier – tragen Alle die Nase mitten im Gesichte.«

Bertrand barg einen Augenblick die Augen in der Hand, wie um durch keine äußeren Eindrücke sein Gedächtniß zu beirren – ein thatenreiches Leben flog ihm in wirren Bildern vor dem inneren Geist vorüber; aber zu viel der Scenen, zu viel der Gestalten wechselten und schwammen da durcheinander, als ihm so rasch zu gestatten daß er sich den einen, verlangten herausgriffe aus der Masse, und nur den Kopf schüttelnd, schritt er mit verschränkten Armen ein paar Mal auf und ab in der Hütte, ohne, wie es schien, auf die Inwohner viel zu achten, ja fast vergessend, weshalb er eigentlich hierhergekommen.

Jim war dabei diese höchst unnöthige Aufmerksamkeit, die der Officier, den er selber recht gut wiedererkannte, auf ihn wandte, nichts weniger als angenehm, und er fing an sich eben nicht mehr so sicher auf seinem Platz zu fühlen. Er stand langsam auf und zog sich dem Hintergrund der Hütte zu.

Bertrand stampfte ungeduldig mit dem Fuß.

»Weiß der Teufel,« murmelte er dabei leise vor sich hin, »wo mir die Galgenphysionomie schon einmal vorgekommen, aber nichts Unbedeutendes war's das ist sicher – nun vielleicht fällt's mir wieder ein – ha – « sagte er, emporsehend, als er den Seemann nicht mehr auf seinem Sitz erblickte – »ah, der Herr schläft wohl hier, und will sich sein Lager zurechtmachen? – habt Ihr Erlaubniß an Lande zu bleiben, und auf welches Schiff gehört Ihr?«

»Ich gehöre auf gar kein's,« entgegnete Jim finster aus dem Halbdunkel der Hütte vor – »die Insel hier ist meine Heimath, und ich werde d'rauf schlafen können, denk' ich.«

»Und Du, mein Bursche, auf welches Schiff gehörst Du?« wandte er sich jetzt zu Bob – »oder rechnest Du Dich etwa auch zu den Eingeborenen, mit Deiner Furcht vor den Bäumen?«

»Verdamm es, nein,« brummte der Seemann, »ich gehöre zur Kitty Clover.«

»Dem Wallfischfänger?«

»Ja.«

»Und weshalb bist Du da nicht an Bord, Sirrah?« frug der Officier scharf – »die Kitty Clover steht überhaupt in dem Verdacht andere Ladung als Thran an Bord zu führen, und wenn ich nicht irre haben die Missionaire schon Klage eingereicht, daß Ihr den ganzen Ort mit Brandy überschwemmt.«

»Die Missionaire können zu Grase gehen,« erwiederte Bob gleichgültig, »die schwatzen viel wenn der Tag lang ist. Was übrigens die Kitty Clover thut geht mich nichts an – die Kitty Clover ist ein ganz selbstständiges Frauenzimmer.«

Bertrand lachte. »Doch apropos,« rief er plötzlich, sich zu Murphy wendend, der noch immer auf seinem niederen Schemel saß, und den in der Eile aufgegriffenen Schuh wie mißtrauisch betrachtete, »was war's denn was der Bursche da vorhin versteckte? seh doch einmal Einer von Euch nach – in der Kalebasse da drüben muß es sein, vielleicht daß uns das auf Jacks Spur bringt.«

»Und was habt Ihr Euch um anderer Leute Kalebassen zu bekümmern?« rief aber die Frau jetzt, zum ersten Mal des Schusters Parthei ergreifend, der nur mit finster trotzigem Blick vor sein Eigenthum trat, und nicht übel Willens schien es zum Aeußersten zu vertheidigen – »hab ich Euch nicht gesagt daß ich Nichts von Euerem ganzen Gesindel weiß, und mir noch weniger daraus mache, und überhaupt wünsche die gottvergessenen Wi-Wis in meinem ganzen Leben nicht gesehen zu haben? – ist das jetzt Zeit, mitten in der Nacht bei einer armen alten Frau einzubrechen, das Unterste zu oberst zu kehren, und unschuldige Leute mit geladenen Gewehren und Bajonetten zu erschrecken? Fort mit Euch wohin Ihr selber gehört, was wollt Ihr von uns? – was steht Ihr noch da?«

»Komm hier Mütterchen,« lachte aber der eine Soldat, ein riesiger Bursche, sie und Murphy zu gleicher Zeit aber sanft bei Seite schiebend, während der Andere, unter Murphys Armen fort, die fragliche Kalebasse mit dem Bajonnet anspießte und nach vorn zog, wo das allerdings höchst unverdächtige Buch zu Lichte rollte.