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Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.

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Capitel 8.
Mütterchen Tot's Hotel

Tief in den Guiaven versteckt, und etwa nur vier-oder fünfhundert Schritte von den äußersten Häusern von Papetee entfernt, lag eine der gewöhnlichen lang-ovalen niederen Bambushütten dieser Inseln, mit Pandanusblättern gedeckt, und wenig mehr anderem Hausgeräth, als ein paar eisernen Kesseln und einem Dutzend oder mehr niederer, halb ausgehöhlter Schemel, die den Eingeborenen über Tag zum Sitz, und über Nacht zum Kopfkissen dienen.

Die Wände waren übrigens, statt dem Luftzug freien Raum zu gönnen wie in den gewöhnlichen Indianischen Häusern, mit dünnen Bastmatten fast überall verhangen, und der Wärme wegen konnte das nicht gut geschehen sein, denn gerade dieser Platz hätte einer frischen Zugluft eher bedurft, wo das Guiavendickicht wie eine Mauer fast den engen, darin ausgehauenen Hof und Hausraum umschloß; aber der Besitzerin dieses Platzes lag mehr daran ungestört und von neugierigen unberufenen Augen nicht belästigt zu sein, als frische Luft zu haben – obgleich sie deren Wohlthat wohl auch zu schätzen verstand.

Die Wände, wenn man das mit Bast überhangene Gatterwerk überhaupt so nennen darf, waren auch weiter durch Nichts belästigt was etwa einen besonderen Reichthum der Inwohner hätte anzeigen können; an der einen Seite hingen nur ein paar alte Kattun-Ueberwürfe, abgenutzt und geschwärzt durch die Jahre sowohl wie auch vielleicht den Rauch der Hütte, neben diesen aber und unter einer langen Reihe ausgeschliffener Cocosnußschalen, die die Stelle von Trinkbechern versahen, paradierte ein alter, einst weiß gewesener, aber jetzt in jede mögliche, wie unmögliche Form hineingedrückter Filzhut, der in besseren Tagen vielleicht einmal den pomadisirten Kopf eines Dandy im lustigen alten England geziert, jetzt aber verdammt war, seine Tage in Cocosnußölqualm und Guiavenholzrauch in einer Tahitischen Hütte zu verträumen.

So kahl übrigens die Wände dreinschauten, so toll und wild stand alles mögliche Geschirr und Geräth in den Ecken herum. Kalebassen, die auf diesen Inseln den Bewohnern gewöhnlich zu Kommoden, Koffern, Hutschachteln, Arbeitskörben, Speisekammern, Toiletten und Gott weiß was sonst noch dienten, waren in Masse vorhanden, und hie und da eine über die andere geschichtet; dabei lehnte, zwischen ein paar Besen, einer Harpune und einem Ruder, eine alte rostige Flinte mit Feuerschloß, und darüber, aber so versteckt hinter den Matten, daß es nur von einzelnen Theilen der Hütte aus gesehen werden konnte, war ein schmales kleines Bret befestigt, auf dem ein paar Bücher, und oben auf eine dickleibige abgegriffene Bibel lagen.

Interessanter und mannichfaltiger erwiesen sich aber jedenfalls die Bewohner wie gegenwärtigen Insassen dieses abgelegenen Platzes, den viele der Indianer sogar in abergläubischer Furcht mieden, weil sie »Mütterchen Tot«, wie die Eigenthümerin von den Matrosen gewöhnlich nur schlichtweg genannt wurde, in dem Besitz übernatürlicher Kräfte glaubten, und allerdings rechtfertigte ihr Ansehen eine solche Vermuthung, wenn überhaupt auf irgend ein menschliches Wesen anzuwenden, vollkommen.

»Mütterchen Tot« war ein Charakter, und Nie mand betrat ihr Heiligthum zum ersten Mal, ohne eine gewisse Scheu und Ehrfurcht zu empfinden, die selbst den Rohsten beschlich – aber ihr ehrwürdiges Aussehen trug wahrlich nicht die Schuld dabei.

Mütterchen Tot war übrigens – ehe ich den Leser mit ihrem äußerlichen Menschen, dem Anzug, bekannt mache – in Europa und zwar in dem Reiche ihrer Großbritannischen Majestät vor langen, langen Jahren geboren, Niemand aber konnte mehr an ihrem Dialekt erkennen ob in dem bevorzugten England selber, dem »bonnie« Schottland oder der »grünen Insel«, wie Irland von seinen poetischen Kindern genannt wird. Sie mischte Alles durcheinander und ihre Sprache hatte dabei, durch den langen Aufenthalt auf den Inseln, fast eben so viel Worte von diesen angenommen, daß, wer nicht Tahitisch oder wenigstens eine der Polynesischen Sprachen verstand, den Schlüssel zu all' den wunderlichen Ausdrücken zu haben, kaum im Stande gewesen wäre Sinn oder Verstand in ihre Rede zu bringen. Die Indianer und Fremden kamen noch am leichtesten darüber hin, die ersteren glaubten sie spräche Englisch, die anderen hielten es für Indianisch.

In ihrer Jugend nun aus ihrem Vaterland, wie die böse Welt behaupten wollte, nach Sydney deportirt, war sie von dort auf einem Englischen Wall fischfänger entwichen, oder eigentlich von dem Capitain desselben, den ihre Reize bestrickt haben mochten (denn Leute die Jahrelang draußen in See herumfahren sind nicht immer wählerisch) entführt worden. Der Capitain riskirte damals Zuchthaus, aber was riskirt die Liebe nicht, und setzte später die junge Dame, als er heimwärts fuhr und in solcher Begleitung doch nicht in einen Englischen Hafen wieder einzulaufen wünschte, auf den Sandwichs-Inseln ab, dort ihr Fortkommen, was ihr auch vollkommen gelang, weiter zu suchen.

Mütterchen Tot's Memoiren würden jedenfalls höchst interessante Daten liefern, könnte sie nur eben veranlaßt werden näher auf sie einzugehn; sie sprach aber nie über ihre Vergangenheit, und das einzige Individuum, das vielleicht noch darüber, wenigstens über einen Theil derselben, Auskunft hätte geben können, und auf das ich gleich nachher zurückkommen werde, durfte nicht.

Soviel ist gewiß, in der Gruppe der Sandwichs-Inseln hatte sie sich lange Zeit aufgehalten, und bald auf Oahu bald auf Hawai, gehaust, war dann mit einem Sandelholzfahrzeug nach den Freundlichen und Navigators-Inseln gegangen, und hatte dort zuerst angefangen eine kleine Wirthschaft zu gründen, in der sie besonders Matrosen beherbergte, und ihnen berau schende Getränke verkaufte, um die sie, wie um manches Andere, bei ihr würfeln konnten. Von dort streifte sie nach Neu-Seeland hinüber, wo sie wieder lange Jahre blieb, sich aber von hier eine »Stütze ihres Alters«, wie sie einen kleinen einäugigen Irischen Schuhflicker nannte, der von jetzt ab bei ihr blieb, mitbrachte.

In Neu-Seeland hatten sie die Missionaire vertrieben und auf ein Schiff gepackt, das sie Beide in der Samoagruppe landete, und hier bewogen die Missionaire ebenfalls wieder einen Capitain das, ihnen keineswegs freundlich gesinnte Wesen an Bord zu nehmen und dießmal, aus ihrem Bereich ganz und gar hinaus, den Gambiers-Inseln zuzuführen, wo sich die Katholiken schon seit längeren Jahren festgesetzt hatten. Ein Typhoon aber, der das Schiff faßte und entmastete, strandete es an Raivavai, und Mütterchen Tot fand wieder mit ihrem getreuen Begleiter den Weg nach Tahiti, das ihr, als Mittelpunkt aller Europäer fast in der Südsee, die besten Geschäfte und durch den Zwiespalt der Protestantischen Missionaire mit den Katholiken, auch jedenfalls eher eine sichere Ruhestätte wie irgend eine andere Insel versprach, wo nur eine oder die andere Sekte allein gehaust, und dann auch geherrscht hätte.

Dem kleinen Irischen Schuster war das Alles gleichgültig; auch er hatte übrigens eine Vergangenheit, die in Sydney ihren Culminationspunkt, den Felsen gefunden, zu dem hingetrieben das Bächlein seines Lebens wild und toll genug gesprudelt hatte, bis es mit dem gewaltigen Sturz in die Tiefe, die ersten Convulsionen nur einmal vorüber, wieder seine völlige Ruhe, wenn auch nicht Klarheit erlangt hatte.

Murphy – er wußte selber nicht ob er je noch einen anderen Namen gehabt – war ebenfalls Einer jener wahren Patrioten die »had left their country for their country's good« (zum Besten der Heimath, die Heimath gemieden). Wie er damals seine Freiheit wieder erlangt blieb sein Geheimniß, soviel aber ist gewiß, daß er in dieser Zeit gerade aufhörte ein Katholik zu sein, und das Studium der Bibel mit einem Eifer begann, der ihm die Bewunderung der Protestantischen Geistlichen, in deren Wirkungskreis er kam, hätte sichern müssen, hätten diese nur eben zu ihm gelangen können, Zeuge seiner wirklich angestrengten Thätigkeit zu sein. Wunderbarer Weise benahm er sich aber bei diesem Studium fortwährend als ob er irgend ein entsetzliches Verbrechen beginge, und in steter Furcht und Todesangst lebe dabei ertappt zu werden. Witterte er einen Geistlichen in seiner Nähe (und die frommen Männer machten sich manchmal die Freude ihn und seine Gefährtin auf zusuchen, obgleich sie Beide lieber gehen als kommen sahen, denn sie verzehrten nicht allein Nichts, sondern suchten nur umher, Grund zur Anklage zu finden) so konnte Mütterchen Tot nicht rascher bei der Hand sein eine vereinzelte Branntweinflasche zu verbergen, die sich vielleicht in zu unerlaubter Nähe bei einem Eingeborenen befand, als Murphy auch mit seiner Bibel in die nächste Kalebasse hineinfuhr, und Alles darüber deckte, was ihm gerade unter die Hände kam. Wenn er dabei die ganze Woche nicht an Arbeit gedacht, faßte er jetzt gewiß den ersten besten Schuh auf, der ihm unter die Hände kam, und fing an daran herum zu schneiden und zu stechen und zu nähen, als ob sein Leben an seiner Eile hinge.

Mütterchen Tot behandelte ihn dabei auf das Herabwürdigenste, und kein Schimpfwort gab es auf Englisch, Irisch, Gälisch oder Schottisch, wie in irgend einer der bekannten Polynesischen Sprachen und Dialekte, das sie nicht schon an ihm abgestumpft, kein Geräth in ihrem ganzen Haus, das sie nicht schon, bei irgend einer feierlichen oder unfeierlichen Gelegenheit, nach seinem Kopf geschleudert hätte. Vor allen andern aber war es die heilige Schrift selber auf die sie es in ihrem schlimmsten und gefährlichsten Zorn abgesehen, und die sie dann im Fall eines Streites mit ihrem höchst sanftmüthigen Gatten (wenn ich diesen ungerechtfertigten Namen überhaupt gebrauchen darf) häufig aus der Hand riß und an den Kopf warf. Ja sie hatte schon mehrmals gedroht das ganze heilige Buch bei der nächsten passenden Gelegenheit – und die Gelegenheit war eigentlich immer passend – zu verbrennen; wunderbarer Weise hielt sie aber immer eine eigene Scheu, die sie sich aber nie selber eingestehen mochte, und jedenfalls mehr in einer abergläubischen Furcht wie irgend einem religiösen Sinn wurzelte, davon ab ihre Drohung auszuführen, während Murphy, der ihr doch nicht so recht trauen mochte, seinerseits Alles that ihr das Buch, wenn er ja einmal die Hütte verließ, aus den Augen zu bringen, und Kalebassen und Ecken unaufhörlich damit wechselte. Nur bei vollkommenem Waffenstillstand lag es, wenn nicht gebraucht, auf dem kleinen Bücherbret auf einem Haufen verschiedener Traktätchen von Mäßigkeits- und Bibelverbreitungsvereinen in Tahitischer Sprache, und Murphy hatte seinen Sitz so gestellt, daß er das Buch fortwährend dabei im Auge behielt.

 

Ich sagte vorhin daß Mütterchen Tots Aeußeres gerade nicht dazu dienen konnte besondere Ehrfurcht einzuflößen, und allerdings war sie, was ihre äußere Erscheinung betraf, nichts weniger als eitel. Zwischen 50 und 70 Jahren, denn wunderbarer Weise hielten Schmutz und Runzeln ihre Züge mit einem solchen Schleier überzogen, daß man sie bald dem einen, bald dem andern näher glaubte, hatte sie einen gewöhnlichen pareu von einst grellrothem aber jetzt verblichenen Kattun, mit breiten hochgelben Streifen, um die Hüften geschlagen, und am Tag trug sie ein dem ähnliches Obergewand, das ihre dürre Gestalt in weiten Falten umhing; Abends aber, wenn die kühle Seebrise über die Küste strich, obgleich sie die, von den Guiaven förmlich eingeschlossene Hütte doch nicht erreichen konnte, wurde es dem ein heißes Klima gewöhnten Mütterchen zu kühl, und sie zog einen alten erbsgelben schmutzigen Männer-Oberrock, der früher einmal lange Haare gehabt haben mochte, über ihr Kattunkleid, und knüpfte die zwei Knöpfe, die ihm noch geblieben, fest zu bis unter den Hals. Der Rock ging ihr dabei bis tief über die Knie nieder, und da seine Taschen ebenfalls tief saßen, in deren einer sie den einzigen Genuß aufbewahrte, den sie sich außer dem Brandy gönnte, ihre Schnupftabaksdose, so hatte sie nur mit dieser Unannehmlichkeit zu kämpfen, daß sie so tief nach der ihr unter den Händen fortweichenden Tasche niedertauchen mußte, und sich gewöhnlich endlich gezwungen sah, ihre andere Hand auch noch mit zu Hülfe zu nehmen, das scheue Taschenfutter zurückzuhalten.

Den Hals trug sie blos, und auf dem Kopf einen alten Strohhut, wie er in ihrer Jugend wahrscheinlich einmal das Ziel ihrer Wünsche gewesen – das Alter hatte sich daran festgeklammert, und unter den breiten, wunderlich geformten und mit ein paar künstlichen, aber selbst in der Kunst verblichenen und zerdrückten Blumen geschmückten Seitenwänden desselben hingen die grauen langen Haare wirr hervor.

Der Hut diente ihr gegen Sonnenbrand und Zugluft, am Tag wie Abends, bis sie ihr Mattenlager in einem Winkel der Hütte suchte, über das sie jedoch ein weites und gut in Stand gehaltenes Mosquitonetz gespannt ließ; der Rock jedoch war unstreitig nicht ihr Eigenthum, oder wenn doch, jedenfalls nur getheiltes, und Murphy, der wahrscheinlich frühere Besitzer schien seine Ansprüche daran keineswegs aufgegeben zu haben. Abends oder in Zeit der Kühle, bei Regenwetter oder sonstigen Witterungsfällen, wo überhaupt das Tragen eines solchen Rocks unter dieser Breite eine Entschuldigung fand, und nur den geringsten Grad von Befriedigung gewähren konnte, hatte sich freilich Mütterchen Tot darin eingeknöpft, und wollte Murphy dem Rechte des Besitzes nicht ganz entsagen, so mußte er den Sonnenschein benutzen – und das that er auch. – Jeden Tag wenigstens einmal, machte er den verzweifelten Versuch in den Rock einzufahren, und darin auszuhalten, und blieb darin zum Erstaunen aller, etwa in der Zeit eintreffenden Gäste, bis ihm das Wasser am ganzen Körper herunter lief, und er das nutzlose Kleidungsstück von den Schultern riß, aufpackte, zusammenrollte und versuchte in eine Kalebasse zu zwingen, was er nach einer Weile ebenfalls wieder aufgab, und sich dann seufzend an seine Bibel setzte – und der Rock blieb in der Ecke so lange liegen bis es Abends kühl wurde und ihn Mütterchen Tot wieder brauchte.

Außerdem trug Murphy ein paar sehr abgenutzte Sommerhosen, von irgend einem farblosen dünnen Stoff, ein baumwollenes Hemd, eine gelbgestreifte Weste, statt der fehlenden Knöpfe an den betreffenden Stellen mit Bast zugebunden, und eine durch den Jahrelangen Gebrauch schon total schwarz gebrannte Thonpfeife, die aber gewissermaßen mit zu seinem Anzug gehörte, und ohne die er eben so leicht erschienen wäre, wie ohne die Hosen oder die Weste. Nur der alte Filzhut schien zum Staat an der Bambuswand zu hängen, und obgleich er ihn regelmäßig abwischte, den Staub davon zu entfernen, erinnerte sich noch Niemand ihn je darunter gesehen zu haben. Bei Murphy waren die Kleidungsstücke alle in der Mitte, an Kopf und Beinen ging er barfuß.

Murphy war Schuhmacher, aber natürlich nur für Europäer, denen er altes Schuhwerk ausbesserte oder, wenn sie ihm das Leder dazu lieferten, auch Neues fertigte, und wenn die Missionaire ihn und seine Begleiterin schon gewiß lange, des unerlaubten Verkaufs spirituoser Getränke wegen, weiter geschickt, es wenigstens nicht so unter ihren Augen geduldet hätten, so erwies sich der kleine einäugige Irländer doch auch wieder so nützlich, ja manchmal sogar unentbehrlich in dieser Hinsicht, daß sie das andere Auge zudrückten und ihn lieber duldeten als sich in den Fall gesetzt sehen wollten ihre Kundschaft einem dort kürzlich hingezogenen katholischen Schuhmacher zuzuwenden. Murphy fühlte auch eine gewisse Verehrung für diese Männer, die ihm, weniger vielleicht durch ihr sonstiges Wesen und ihre Predigten, als durch ihre fabelhafte Kenntniß der Bibel imponirten, und bediente sie stets auf das prompteste. Da aber geschah es – wie überhaupt bei vielen anderen Gelegenheiten – wo er mit Mütterchen Tot auf das bösartigste zusammenkam, denn wenn sie irgend etwas haßte auf der Welt, so war es, ihren eigenen Worten nach, ein »schwarzröckiger Missionair«. Oeffentlich durfte sie aber freilich Nichts gegen sie unternehmen, als höchstens schimpfen wenn sie sich unter ihren Freunden befand, aber heimlich ließ sie auch dafür keine Gelegenheit verstreichen ihnen irgend einen Schabernak zu spielen, und die zerbrochenen Brandyflaschen welche die frommen Männer nicht selten Morgens in ihrem Garten fanden, waren Kleinigkeit gegen die scharfen Zwecken die sie ihnen sicher irgendwo in die Sohlen trieb, wenn Murphy nur die Augen von einem fertigen Schuh verwandte. Nur der alleinige Mangel an Concurrenz war im Stande gewesen, dem kleinen Iren die Kundschaft bis jetzt zu erhalten.

Mütterchen Tot's Hauptgeschäft war eigentlich der verbotene Brandyverkauf an die Indianer, den sie, trotz Consuln und Missionairen, trotz Spioniren und Wachen der »Kirchenvorstände« in vollem ununterbrochenen Gang zu halten wußte, und dabei eine Menge Geld verdiente, von dem kein Mensch wußte wohin es kam, und dessen Versteck aufzufinden selbst Murphys Scharfsinn bis jetzt entgangen war. Von den Indianern bekam sie nur theilweise baar Geld, das jene von den Europäern für Produkte gelöst, aber sie nahm auch alles Andere, Cocosnüsse und Früchte, süße Kartoffeln, Hühner, Ferkel, Matten, Tapa, Cocosöl, Perlmutterschaalen, Perlen; was ihr gebracht wurde, es war einerlei, und sie wußte es wieder zu den höchsten Preisen an die Schiffe, von denen sie ihre Spirituosen bezog, abzusetzen. Auch zu dem Schmuggeln derselben hatte sie wieder ihre besonderen Leute, großentheils unter den Europäern, und diese gerade waren wiederum mit ihre beste Kundschaft. Doch wir finden noch eine hübsche Gesellschaft in »Mütterchen Tot's Hotel«, wie die Bambushütte von ihren Gästen sowohl wie ganz Papetee genannt wurde, versammelt, und die alte Dame selber in bester Laune, denn gerade heute war ihr wieder ein guter Wurf gelungen, und eine ganze Parthie neu eingeführten Rum und Brandys glücklich in ihrem »Versteck« geborgen worden, was sie auch wohl mit der klug benutzten politischen Aufregung zu danken hatte, die beide Partheien zu viel beschäftigte ihre Aufmerksamkeit so vollkommen dem sonst scharf genug bewachten Strande zuzuwenden.

In der Mitte des Hauses stand auf einem leichten Bambusgestell eine ziemlich tiefe kleine eiserne Pfanne in der, aus dem flüssigen Cocosnußöl heraus, ein riesiger Docht flammte; auf dem nackten Boden aber umher waren verschiedene kleine Feuer angemacht und mit faulem Holz oder feuchtem Laub beworfen, nur um Qualm zu erzeugen und die Abends ziemlich lästigen Mosquitos fern zu halten. In diesem Rauch, und bei dem ungewissen Licht des flackernden Dochts saßen, oder kauerten vielmehr auf den niederen Sesseln, zehn oder zwölf Männer, Weiße und Indianer, mit drei oder vier Indianischen Mäd chen zwischen sich, in buntem Gemisch zusammen, während im Kreis zwischen ihnen eine noch halb volle Flasche herumging, aus der sich Jeder, wenn er Bedarf fühlte, die vor ihm stehende Cocosschale füllte und die Flasche dann weiter schickte. Mrs. Tot saß unfern davon, wieder in Murphys weißen Rock eingeknöpft, auf einem ordentlichen Rohrstuhl, der sie den ganzen Kreis bequem überschauen ließ, und Murphy selber lehnte in seinem gewöhnlichen Winkel, wo er ein besonderes Licht in einer Cocosnußschale brennen hatte, drückte den Kopf an die Wand und schlief – in wiefern das Schlaf genannt werden konnte, wenn sich Jemand mit geschlossenen Augen, nur blindlings, aber ununterbrochen, der auf ihn einstürmenden Mosquitos zu erwehren suchte.

Die Unterhaltung war indessen lebendig genug geführt worden, hatte aber meist gleichgültigen Gegenständen gegolten, in die die Mädchen hinein lachten und tollten, den Männern die Flasche wegnahmen und sie versteckten, und sogar Murphy in seiner Ecke mit einer Feder unter der Nase kitzelten, was ihn zwang entsetzliche Gesichter zu schneiden und mit den Händen, zu ihrem unbeschreiblichen Ergötzen, rasch und heftig nach dem angegriffenen Theil zu fahren. Sie blieben dabei immer »zu windwärts von ihm«, wie sie's in ihrer Sprache nannten, d. h. an seiner blinden Seite, an der sie am wenigsten eine rasche Entdeckung zu fürchten hatten, und trieben es so arg mit ihm, bis er zuletzt, ohne jedoch seine listigen wie boshaften Quälerinnen zu entdecken, munter wurde, sich die Augen (selbst das blinde dieser Operation unterwerfend) ausrieb, und mit einem halblaut gemurmelten Fluch auf die Mosquitos seine Lampe wieder ein wenig auffrischte, daß sie heller brannte.

»Und Ihr, O'Flannagan, mein Juwel,« mischte sich jetzt die Alte hinein, die auf dem Stuhl zusammengekauert, die Füße halb heraufgezogen und die zusammengeschlagenen Arme gegen die Knie gelehnt, dem Gespräch theils behaglich zugehört, theils das Kreisen der Flasche beobachtet, auch wohl einmal aufmerksam über den Lärm hinübergehorcht hatte, ob sie draußen kein verdächtiges Geräusch vernehme – »Ihr wollt jetzt wieder eine Zeitlang auf der süßen Insel bleiben? – segne Euere Augen Kind, Ihr hättet zu keiner gelegneren Zeit herüber kommen können, im ganzen gebenedeiten Kalenderjahr – laßt mir jetzt den Narren da drüben zufrieden, Ihr Dirnen, oder ich hetze ihn über Euch, g'rad wenn er aufwacht – Wespenzeug.«

»Hallo Mutter Tot ist heute Abend böser Laune,« rief Eine der Mädchen trotzig – »sollen wohl ruhig hier sitzen im qualmigen Nest – ehrbar wie in der Predigt? Kommt Waihines, draußen im Freien ist's besser, laßt sich die Schildkröte am Feuer räuchern.« Und lachend, die Melodie ihres Tanzes trällernd, zu dem sie mit den Füßen den Takt schlug, sprang sie, von den übrigen begleitet, denen der größte Theil der Matrosen ebenfalls, theils fluchend theils lachend folgte, hinaus in's Freie.

»Das glaub' ich, Mütterchen;« brummte indeß unser alter Bekannter vom Strande, ohne sich weiter um den Lärm der Fortspringenden zu kehren, »natürlich, um gleich wieder die paar kaum verdienten Schillinge, und wer weiß was sonst noch, zu riskiren, Dir Deinen Wintervorrath an »Bergthau« einzulegen?«

»Bah, Mann, es war keine Kunst den Branntwein an Land zu schaffen,« brummte aber die Alte kopfschüttelnd, »und das Geld dießmal mit Sünden verdient – kein Mensch schaute danach, und ich hätte ihn selber wollen im Canoe an Land und hier herauf bringen, wenn der Narr von einem Schuster da in der Ecke nur für irgend was anderes noch, als auseinandergegangenes Leder zu flicken, gut wäre.«

Murphy, der munter genug geworden war die letzten Worte wie ihre schmerzhafte Anspielung zu verstehen, knurrte nur etwas in den Bart, erwiederte aber Nichts, und fing sich an seine Pfeife zu stopfen, mit der er von da an langsam aber sicher der Nähe der Flasche zu arbeitete, vor allen Dingen einmal in Armes Länge von ihr zu kommen, und das Weitere dann seinem guten Glück zu überlassen, denn die Alte gönnte ihm keinen Tropfen ihres Getränks, daß sie als ihre Privatspeculation betrachtete, wenn er nicht eben so gut wie jeder Andere dafür bezahlte.

»Haha Mütterchen,« lachte aber sein Landsmann, ohne sich die Mühe zu nehmen nach dem bezeichneten Individuum umzuschauen – »nun die Arbeit gethan ist wollt Ihr sie herunter setzen, ich sage Euch aber daß Ihr Euch bald die Zeit wieder herbeiwünschen werdet wo sie Euch aufpassen bis unter Euer Mosquitonetz, denn wenn die Franzosen hier doch noch die Ueberhand kriegen, wird der Branntwein so billig wie der Limonensaft, und der Kanaka kann ihn am Strand trinken, im offenen Tageslicht.«

 

»Wenn die Wi-Wis nur der Henker holen wollte,« knurrte die Alte, die heimlich diese Besorgniß schon lange theilte, »aber die Englischen »Eisenseiten« halten ihnen den Daumen auf's Auge, und ich werde ja den Tag noch erleben, wo wir sie hinaustreiben sehen aus der Bai, wie eine Schaar räudiger Hunde.«

»Puh,« lachte Einer der schon halb angetrunkenen Indianer, indem er von seinem Sitz hinunterrutschte, und sich, den Schemel unter den Kopf schie bend, lang ausstreckte und dehnte zwischen die Trinker – »puh, die Beretanis nehmen den Mund voll – sie sind lauter Worte und kein Brandy – morgen früh kein Schießcanoe mehr im Hafen.«

»Unsinn, Du Saufaus,« schimpfte aber die Alte, einen mürrischen Blick nach ihm hinüberwerfend, »was weißt Du von den Schießcanoes, daß Du Deine Zunge mit hineinhängst wenn vernünftige Leute reden.«

»Was ich von den Schießcanoes weiß?« lallte aber der Insulaner – »bin d'ran vorbeigefahren heut Abend – Toatiti ist nicht blind.«

»Der Bursche hat am Ende nicht so ganz Unrecht,« meinte O'Flannagan kopfschüttelnd – »der ehrwürdige Mr. Pritchard muß gar nicht so vortreffliche Nachrichten mitgebracht haben, sonst hätten seine Kameraden hier, schon einen ganz anderen Lärm geschlagen, und bestätigt sich jetzt das, daß die Engländer segeln, dann haben wir auch in acht Tagen die Franzosen wieder über dem Hals. Ich weiß nur jetzt nicht recht was man sich wünschen soll.«

»Daß sie Beide der Teufel hole!« knurrte die Alte mürrisch in ihrem wunderlichen Dialekt, »Einer ist so sehr darauf versessen einer armen alten Frau das Bischen Lebensunterhalt zu entziehen, wie der Andere, und wo die Einen Alles verbieten, erlauben die Andern Alles – sie geben sich ordentlich die größte Mühe die Inseln nur so schnell wie möglich zu ruiniren. Aber hab' ich die Wahl, will ich doch noch lieber die Franzosen als Herren wissen, denn Handel treiben die Missionaire auch, und wer von ihnen ungeschoren bleiben will, muß ihnen dann ihre Kattune und Bibeln abkaufen für gutes Cocosnußöl und Perlmutterschaale; anstatt solch Eigenthum hier ansässigen Leuten zu gönnen, klappert's in ihren eigenen Geldsäcken weiter.«

»Oh laßt Euer nichtsnutziges Indianisches Gewäsch, und redet daß es ein anderer ordentlicher Mensch auch verstehen kann,« rief aber hier Einer der Englischen Matrosen, der Zimmermann der Kitty Clover dazwischen, der mit der größten Aufmerksamkeit Mütterchen Tots Rede gefolgt war, und um's Leben nicht herausbekommen konnte was sie eigentlich gesprochen – »wer ist todt und wo brennt's?«

»Laßt's gut sein, Mütterchen,« beschwichtigte diese O'Flannagan, des Engländers Einrede jedoch soweit beachtend, daß er in seiner Muttersprache die Unterhaltung weiter führte, »durch ihr Verbot des Brandy wiegen sie das Alles wieder auf, und Ihr bleibt noch immer in ihrer Schuld. – Wie viel rechnet Ihr etwa, daß Ihr jährlich an heimlichem Grogverkauf verdient?«

»Zählt einer armen Wittwe die Bissen die sie in den Mund steckt, heh?« fuhr ihn aber die Alte an – »daß ich zu leben habe an Brodfrucht und Cocoswasser ist's eben genug, gönnt Ihr mir das etwa auch nicht? – Ihr verdient in einer Nacht mehr durch mich, wie ich durch Euch das ganze Jahr.«

»Haha Mütterchen,« lachte aber der Ire – »Ihr lernt das Prahlen wohl von den Franzosen, und dabei riskirt Ihr ohnedieß auch nicht Euere Haut, und sitzt wohl und sicher hier in Euerem behaglichen Haus, während sie unsereinem, wenn sie ihn faßten, vielleicht kurzen Proceß machten, statt aller Weitläufigkeit.«

»Bah, was riskirt Ihr,« brummte die Alte verächtlich – »daß sie Euch einstecken für ein paar Wochen, oder von der Insel verweisen dann schifft Ihr Euch in Papetee ein, und steigt in Papara wieder an Land – es ist ordentlich erstaunlich, daß Ihr es unter den Umständen wirklich wagt, einmal nach Dunkelwerden noch eine halbe Stunde für funfzig schwere silberne Dollar zu arbeiten.«

»Ihr redet wie Ihr's versteht,« brummte Jim finster in den Bart – »und ich habe auch gerade keine besondere Lust Euch das Ganze hier weitläufig aus einander zu setzen; soviel aber kann ich Euch versichern, ich wollte lieber zehntausendmal mit Eueren glattrasirten Methodisten zusammenrennen, wie mit den großmäuligen Burschen, den Franzosen, und – habe dazu meine ganz absonderlichen Gründe, die eben Niemand weiter etwas angehen, wie mich selber. Wenn das übrigens wahr wird, was Taotiti da vermuthet, und die Engländer hier wieder klar Fahrwasser machen, in das die Franzmänner nachher mit fliegenden Fahnen einziehen, dann weiß meiner Mutter Sohn was er zu thun hat, und jede andere Insel ist dann für mich bequemer wie Tahiti – Ihr könnt mir vielleicht eine Empfehlung nach Neu-Seeland mitgeben Mütterchen, wie?«

Murphy verzog bei diesen Worten das Gesicht zu einem breiten Grinsen, Mütterchen Tot wurde aber böse, und begann eben mit einer vollen Ladung Schimpfwörter gegen den heimlichen, aber desto boshafteren Angriff des Iren, als draußen ein leises Pfeifen gehört wurde, und Mrs. Tot sowohl, wie Jim alles Andere in dem einen Gefühl größter Wachsamkeit vergaßen.

»Hallo was ist das,« sagte Jim, stand auf von seinem Sitz, und zog sich langsam nach einem entlegeneren Theil der Hütte hin, während Toatiti die gerade vor ihm stehende Flasche zustöpselte, und unter sich schob, von wo sie Murphy, der jetzt recht gut den passendsten Zeitpunkt wußte, eben so rasch wieder entfernte, und damit auf seinen Platz zurückglitt – »da kommt Jemand.«

»Das war To-to's Zeichen,« flüsterte die Alte, vorsichtig die Hand vor die Flamme haltend, darüber hinwegschauen und den gleich erkennen zu können der ihre Hütte noch zu dieser späten Stunde betreten würde – »Toatiti, wahr' Deine Flasche.«

»Wahr meine Flasche?« knurrte der Indianer, auf dem Platz herumfühlend wo er sie verborgen – »das haben Andere gethan – Oro's Zorn über sie.«

In diesem Augenblick öffnete sich aber die niedere Bambusthür, und von dem auf Wacht draußen postirten Insulaner dicht gefolgt, betrat, den Hut tief in die Augen gedrückt, ein Matrose den inneren Raum, blieb in der Thüre stehen, sich erst zu orientiren in was für Gesellschaft er eigentlich kam, und schritt dann, wie mit einem Blick um sich her vollkommen zufriedengestellt, zur Flamme. Hier warf er den Hut ab, setzte sich auf einen der leeren Schemel nieder, und fing an seine Thonpfeife so ruhig zu stopfen, als ob er von klein auf hierher gehört hätte, und gar nicht beabsichtigte je wieder einen so angenehmen Platz zu verlassen.

Niemand in der Hütte war übrigens mit größerem Erstaunen diesen Bewegungen des Besuchs – der für ihn kein fremder schien – gefolgt, als Mr. O'Flannagan, der in dem späten Wanderer mit einer keineswegs freudigen Ueberraschung seinen früheren alten Spießgesellen, Jack, von der Jeanne d'Arc, erkannte, und sich dabei recht gut bewußt war, daß er ihn halb und halb selber eingeladen, an Land zu kommen.