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Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.

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Solcher Art, und noch mit dem Zusatz eines dicken und schweren Gebetbuchs, das er in die linke und enge Fracktasche hineingezwängt trug, während es ihm in dem schmalen Zipfel fortwährend in die Kniekehlen schlug, war Mitonare aufgeputzt, und es läßt sich denken daß er sich, selbst unter den günstigsten Verhältnissen, an das freie Leben seiner Inseln gewöhnt, nicht hätte leicht und behaglich fühlen können. Aber dem armen kleinen Mann drückten auch noch andere Sorgen.

»Die schöne Zeit ist vorbei« sagte er traurig, »wo nur die Sterne die Augen Gottes waren, und ich hineinschauen konnte, durch die funkelnden Lichter bis tief in sein herrliches Reich. Mitonare ist unglücklich, sein Glaube ist wankend geworden, und nun hat er den Weg verloren und weiß nicht ob er gerade durch über die Berge und durch die Thäler weg steigen und klettern, oder ein Canoe nehmen, und im seichten Binnenwasser der Riffe langsam hinsteuern soll.«

»Armer Mitonare« lächelte Sadie, die noch immer nicht den ernsten Sinn seiner Worte begriff – »aber wer hat Dich nur so herausgeputzt in der fremden Tracht, die Dir nicht paßt und zusagt?«

»Wer?« murmelte Bruder Ezra finster vor sich hin – »wer? – er hat noch andere Sachen gethan. Wir sind arge Sünder und müssen jetzt entsetzlich viel beten und Bibelstellen auswendig lernen, oder wir gehen Alle rettungslos zu Grund – Mitonare kennt das halbe dicke Buch, und die andere Hälfte hat er auch gekannt aber wieder vergessen; nun muß er noch einmal von vorn anfangen und – und sein Vater und Großvater bleibt doch in der – da unten – tief da unten.«

Der kleine, sonst so freundliche Mann schüttelte finster mit dem Kopf und Sadie, seine Hand ergreifend sagte mit leiser unendlich rührender Stimme:

»Es wird schon noch Alles gut gehen, Mi-to-na-re – und Gott ist ja der Allerbarmer, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache, kein Haar von Deinem Haupte fällt – so erzähle mir von Atiu – von meinem Atiu – was sie dort treiben und thun und – ob sie meiner noch manchmal freundlich da gedenken. Ach kein Tag vergeht, wo ich die Wolken nicht neide die da hinüberziehn, und mit meinen Gedanken, meinen Wünschen ihnen doch noch so weit, so weit voraus bin.«

»Atiu« wiederholte der kleine Mann, langsam und freundlich mit dem Kopfe nickend – »mit dem stillen luftigen Haus und der kleinen lieben Kirche – wo die nahuitarava ia mere1 Abends gerad über unserem Dache stehn und ihr mildes Licht auf uns heruntergießen; wo – aber es ist auch manches anders geworden auf Atiu« setzte er sinnend, und fast wie mit sich selber redend, hinzu – »die Leute werden zu klug und zu reich, und dann ist's mit dem Frieden vorbei und dem Glück. – Wie schön war Atiu als es nur seine Palmen hatte und seine Pandangedeckten Hütten.

»Wie schön war Atiu« wiederholte seufzend die junge Frau.

»Und vielen Besuch haben wir drüben gehabt« setzte der kleine Mitonare mit noch fast ernsterer Stimme hinzu – »lauter Leute die es gut mit uns meinten, wie sie sagten, und die gekommen waren unsere Seelen zu retten, und die uns entsetzlich viel versprachen wenn wir nur gerade da hineinspringen wollten, wo die Anderen sagten daß es lichterloh mit Pech und Schwefel brenne.«

»Waren Missionaire von Frankreich auf Atiu?« frug Sadie rasch und fast erschreckt.

»Ich weiß nicht wo sie herkamen,« sagte der kleine Mann traurig, »aber Wi-Wis waren darunter und Andere auch – und – sie haben uns wenigstens das Herz schwer gemacht, mit ihren Versprechungen und drohenden Reden.«

»Und weiß Mr. Rowe daß die Fremden da gewesen?«

Mitonare lächelte fast wieder wie in alter Zeit und sagte schmunzelnd:

»Ob er es weiß; und Mord und Blut hat er vom Himmel heruntergebeten für die – die Götzendiener – und der Himmel blieb blau« setzte er unheimlich lachend hinzu – »und dann kamen die anderen Männer und sprachen vom lieben Gott, den sie ganz genau kennen wollten und der ihr bester Freund sein sollte, und riefen auch wieder einen Feuerregen von Pech und Schwefel nieder auf die Häupter ihrer Gegner – und der Himmel blieb blau!«

So scharf und grell stieß er dabei das letzte Wort aus, daß die kleine Sadie, die bis jetzt ruhig und unbeachtet am Boden gespielt, erschreckt in die Höhe fuhr und einen leisen Schrei ausstieß. Bruder Ezra drehte sich rasch danach um und das Kind kaum am Boden erblickend, warf er, mit Mißachtung jedes Unfalls, den Hut von sich auf die Erde, fiel neben dem noch immer furchtsam zu ihm emporschauenden Kinde auf die Knie nieder und rief mit, vor innerer Rührung fast erstickter aber auch jubelnder, jauchzender Stimme:

»Iti iti Pudenia, iti iti aiu, potii.«2

Und die Kleine, die ihn erst staunend betrachtet hatte, streckte die Händchen nach ihm aus und lachte ihm entgegen, und der gute kleine Mitonare griff sie auf, nahm sie auf den Arm und sprang jauchzend mit ihr im Zimmer umher, bis ihn das hinten wie wüthend über solches Betragen schlenkernde Buch zum Einhalten zwang, so sehr sie sich Beide darüber freuten. Jetzt hatte er aber auch, mit dem Kind, Alles vergessen, was ihn bis dahin gedrückt oder weh gethan, und das Mädchen nur herzend, das sich wunderbarer Weise Alles von ihm gefallen ließ, was er mit ihr vornehmen mochte, als ob es gewußt hätte daß ihr von dem Manne sicher nichts Uebeles drohe, plauderte er mit ihr das tollste wildeste Zeug, nannte sie bei allen Schmeichelnamen und fing endlich sogar an mit ihr in seinem gebrochenen Englisch, von dem er aber in den letzten Jahren noch viel mehr vergessen als dazu gelernt hatte, zu schwatzen und lachen und Geschichten zu erzählen aus Bibel und Heidenzeit, von Meer und Land, wie es ihm durch den Sinn zuckte, dem lieben lächelnden Kind gegenüber. Und Sadie stand daneben, die linke Hand auf den Tisch gestützt und mit der rechten in den Locken des Kindes spielend und seinen Scheitel streichend, während die kleine Sadie jauchzte und lachte über den neuen wunderlichen Spielgefährten, ihre Aermchen um seinen Nacken legte und ihn an den steifen Hemdkragen und Halstuchspitzen zupfte. Und Mitonare ließ sich das Alles ruhig gefallen, und hatte tausend und tausend Fragen und Liebkosungen für das Kind.

»Und wie lange bleibst Du auf Tahiti, Mitonare?« sagte da Sadie – »hast Du auch Atiu verlassen, und willst nicht wieder zurückkehren nach dem lieben Land?«

Da wurde der kleine Mann plötzlich ernsthaft, setzte das Kind, das ihn noch gar nicht lassen wollte nieder auf den Boden und sagte, recht herzhaft mit dem Kopfe schüttelnd und einen scheuen Blick nach der Thür werfend:

»Wär' es auf mich angekommen, hätt' ich die Insel nicht verlassen mein Lebelang, außer Dich hier, Pudenia, vielleicht einmal wieder aufzusuchen und – wenn es anging, zurückzuholen zu Deinen alten Lieblingsstellen; aber es ist jetzt eine schlimme Zeit – die Leute sind irre geworden an ihrem Gott und mit Gewalt wollen sie die Liebe bringen, und mit Blut den Glauben begießen, daß er wachse und gedeihe.«

»Aber ich verstehe Dich nicht« sagte Sadie.

»Sie haben was vor hier auf Tahiti!« fuhr der Bruder Ezra leise fort, als ob er sich fürchte irgend ein Geheimniß zu verrathen, »was es ist, weiß ich noch nicht, aber die Bibelstellen die Vater Rowe gepredigt riechen nach Blut. Die Beretanis haben Kriegsschiffe hier, wie ich sehe, aber die Wi-Wis sind auch nicht müßig, und vorgestern waren zwei große Schiffe auf Atiu in Sicht, von denen Raiteo behauptet, daß sie den Feranis gehörten und viel Kanonen an Bord hätten mit Pulver und schweren Kugeln.«

»Und was können unbewaffnete Menschen dagegen thun?« frug Sadie wehmüthig mit dem Kopfe schüttelnd.

»Unbewaffnete, Nichts« erwiederte Bruder Ezra rasch, »aber Bewaffnete desto mehr; Bibeln waren nicht in den Kisten, die sie vom Bord desselben Wallfischfängers, der jetzt, wenn mich nicht Alles täuscht, hier im Hafen liegt, in Atiu an Bord und zu sicheren Verstecken in die Berge schafften.«

»Die Missionaire werden nie die Hand reichen zu Gewalt und Blutvergießen« rief Sadie.

»Wenn ich 'was nicht sehen mag, dreh' ich den Kopf weg,« sagte der Mitonare trocken – »es giebt Leute genug überall, die, einen Dollar zu verdienen, leicht ein schlechtes Werk thun, wie viel eher denn nicht ein gutes – ihre Landsleute mit Waffen zu versehen, daß sie sich selbst beschützen können.«

»Du nanntest erst Raiteo, Mitonare?« frug Sadie – »wie geht es ihm und was treibt er jetzt – ist er ein besserer Mensch geworden?« —

»Was er in diesem Augenblicke treibt weiß ich wahrlich nicht«, sagte der kleine Mann finster, »aber als ich kam stand er draußen auf Posten, und ging dann mit dem ehrwürdigen Bruder Rowe in die Stadt zurück; – ist nicht das erste Mal daß sie in einem Joche ziehn.«

»Raiteo hier auf Tahiti?« rief Sadie erstaunt.

»Raiteo Mitonare« erwiederte Bruder Ezra trocken.

»Mitonare? – Raiteo? der seinen Vater verrathen würde um ein Stück Kattun zu verdienen oder ein Stück Geld?«

»Raiteo Mitonare« bestätigte aber auf das Bestimmteste der kleine Mann und setzte, langsam dabei mit dem Kopfe nickend hinzu – »Menschen sind einmal bös, und dann wieder gut – Raiteo hat seine Sünden eingesehen und ist frommer Mann geworden – aber trägt noch keine Hosen« fügte er, trotz aller Unbequemlichkeit, doch mit einem gewissen Grad von Eifersucht hinzu; »hat noch sein Lendentuch und seine nackten Beine und bloßen Kopf – und nur am Sabbath in der Kirche einen Frack – kann nicht gut ohne Frack in die Kirche kommen.«

 

»Raiteo Mitonare« wiederholte aber wiederum Sadie, die sich noch immer nicht von ihrem Erstaunen erholen konnte – »und das auf Atiu – wo sie ihn kennen.«

Bruder Ezra verneinte das aber. Auf Atiu eigentlich nicht, der Wahrheit die Ehre zu geben, denn wenn auch sein frommer christlicher Sinn dort gerade bei ihm zum Durchbruch gekommen, habe doch auch Manches wieder, gerade in der Erinnerung der Bewohner der Insel, gegen ihn gesprochen und Bruder Rowe, der sich von seiner wirklichen Sinnesänderung überzeugt, hätte ihn eben nur mitgenommen, um ihn vielleicht mit bei der, in den nächsten Tagen zu haltenden Versammlung von »Kirchenältesten« zu wissen und dann auf irgend eine der Nachbarinseln, auf denen er nicht gerade persönlich bekannt sei, zu versetzen.

Sadie blickte erstaunt auf den kleinen Mann, denn eine wunderbare Veränderung war jedenfalls in dessen ganzem inneren Wesen vorgegangen. Er, der noch vor wenigen Jahren jedem Wort von den Lippen der Missionaire in frommer, furchtsamer Scheu gelauscht, und weit eher an seiner eigenen Existenz, als an der Wahrheit ihrer Sätze und Glaubensformeln gezweifelt hätte, sprach jetzt, selbst von dem strengsten ihrer Schaar, gleichgültig; ja Sadie konnte sich über den Ausdruck in seinen Zügen und Worten nicht länger täuschen, fast ironisch, und das bittere Lächeln das um seine Lippen spielte mochte der Furcht noch den Platz gönnen, aber strafte die Ehrfurcht Lügen.

Bruder Ezra schaute noch eine Zeit lang gerade vor sich nieder, er fühlte daß Sadiens Blick auf ihm haftete – daß sie die Veränderung entdeckt die in ihm vorgegangen, und scheute sich auch gerade ihr vielleicht das zu gestehen, was in ihm arbeitete – was ihm den Schlaf raubte und den Frieden und ihn manchmal wie eine furchtbare Sünde drückte und doch auch wieder mit jedem Tage, in seiner nächsten Umgebung selbst, die neue Nahrung fand. Als er aber einmal scheu und flüchtig den Blick zu ihr aufschlug, und die zärtliche, liebende Angst sah die aus diesen treuen Augen leuchtete, da mochte es ihm wohl durch das Herz zucken, daß sie – seine Pu-de-ni-a, sein liebes liebes Kind das er gehegt und gepflegt und wie einen Augapfel gewahrt – ja das zu ihm bis jetzt mehr wie zu einem zweiten Vater als einem Freunde aufgesehen, Schlimmes – Schlimmeres von ihm denken könne als er ertragen mochte, und in der Furcht die Hand bittend gegen sie ausstreckend sagte er leise:

»Mitonare ist kein böser Mensch geworden, Pu-de-ni-a; er liebt seinen Gott und – thut auch – thut Alles was in der Bibel steht aber – andere Männer, Männer die auch sagten daß sie der liebe Gott geschickt – sind zu ihm gekommen und haben ihm, wo er in Verzweiflung war, Trost gebracht – wo er weinte, seine Thränen getrocknet, wo er unschlüssig stand, einen neuen Pfad gezeigt und – wenn er sich auch bis jetzt noch nicht getraute den neuen Pfad zu wandeln – hat er doch bis jetzt – «

Er stockte, als ob er sich nicht mehr getraue weiter zu reden, und Sadie fuhr langsam und traurig seine Hand ergreifend fort:

»Den alten Pfad seiner Religion verlassen und nur die äußere Form beibehalten, seinen Gott damit zu täuschen.«

»Aita Pudenia, aita« – rief aber der kleine Mann da rasch und ängstlich vielleicht, weil er die Wahrheit wenigstens eines Theils des Vorwurfs fühlte – »nein Kind, nicht meinethalben bin ich wankend geworden im rechten Pfad, nein die Mitonares selber tragen die Schuld, die einander anfeinden und schimpfen, und Heiden- und Götzenanbeter nennen, während sie Alle allein behaupten, den rechten und auch alleinigen Glauben zu haben, dessen Feinde Gott mit seiner Rache heimsuchen und von der Erde vertilgen müsse. Was mir aber am Herzen nagte, das Schicksal von altem Mann Vater – von der Mutter, die noch gar Nichts von einem anderen Glauben gewußt, ja ihn kaum nennen gehört, und die nun doch rettungslos sollten verloren sein und verdammt, das that mir weh, und als der andere Priester kam und mir die Aussicht stellte, ich könne durch fleißiges Beten und frommen Wandel ihre Seligkeit auch gewinnen, von dem allbarmherzigen Gott, und als Bruder Aue dagegen donnerte mit allen Waffen der heiligen Schrift, da zuckte und zog es mir im Herz, und böse Gedanken stiegen auf in mir, und ließen mich nicht rasten und ruhn, und jetzt weiß ich nicht – hat der Eine recht und sind sie unrettbar verdammt zu ewigem Feuer, oder der Andere und ich begehe eine entsetzliche Sünde, wenn ich mein Leben dann nicht ihrer Rettung weihe wo ich die Mittel dazu vielleicht in Händen habe. Armer Mitonare« setzte er dann traurig hinzu – »ist recht bös daran, soll anderen Kanakas den Glauben bringen und weiß selber nicht – Und wenn der alte Mann nun doch am Ende recht hätte.«

»Was für ein alter Mann, Mitonare?« frug Sadie erstaunt. Bruder Ezra aber hob rasch und erschreckt den Finger an die Lippen und sich scheu umsehend, sagte er langsam und vorsichtig:

»Pst – Pudenia, pst, das war ein wunderbarer, furchtbarer alter Mann und er kam und ging in einem Sturm.«

»Und was that er bei Euch auf Atiu?«

»Wie er sagte kam er von den Inseln zu Leewärts, Handel zu treiben und Cocosöl und Perlmutterschaalen einzukaufen in seinen kleinen Cutter, aber er sprach furchtbare Sachen und mich schauderts wenn ich daran denke – wenn ich darüber nachsinne.«

»Aber was sprach er so Entsetzliches?« drängte die Frau.

»Pu-de-ni-a,« sagte da Mitonare, der Frage jetzt noch ausweichend, oder sie durch eine andere beantwortend – »hast Du schon einmal an einem Abgrund – am äußersten Rand einer schwindelnden Höhe gestanden, und ist Dir da nicht das Gefühl gekommen, als ob Du hinunterspringen möchtest in die Tiefe, daß Du den Platz nur schnell verlassen mußtest in Furcht und Grauen?«

Sadie nickte, noch in der Erinnerung schaudernd.

»Siehst Du, so war es mir, wenn ich den Worten des alten weißen Mannes lauschte,« flüsterte der kleine Indianer und nickte still vor sich hin. »Er trug einen langen weißen spitzen Bart, und die kleinen blitzenden Augen lagen wie zwei glühende Kohlen unter den buschigen Brauen – Sein ganzes

Gesicht hing dabei in dichten Falten, die kein Alter mehr erkennen ließen auf der Haut, und er mußte sehr alt sein, denn er hatte die Welt gesehn von dem Theil wo das Wasser zu Stein wird in grimmiger Kälte, bis zu wo die Sonne Abends in ihr Lager sinkt, und er sprach von Gott und den Sternen als ob er da oben zu Hause gehöre und zwischen den Sternen gewandelt hätte wie in einem Garten.«

»Aber er glaubte an Gott?« frug Sadie leise und scheu.

»Er hatte denselben Namen dafür wie wir – Jehovah,« sagte der kleine Mitonare, »aber er verleugnete« – setzte er leise, fast flüsternd hinzu – »er verleugnete den Heiland.«

»Gütiger Gott!«

»Er leugnete Jesus Christus« bestätigte da Mitonare »und mir lief's wie Fieberfrost durch die Adern, als ich mit ihm allein in dem stillen Haus saß und der Weststurm um das Dach heulte, daß die flackernden Oelflammen hoch aufschlugen in rother Gluth, und der magere alte bärtige Mann mir von dem Heiland erzählte der nur ein Mensch gewesen sei wie wir Alle – aber ein guter Mensch, und von seinen Neidern und den reichen Leuten, die fürchteten daß er durch seine Reden das Volk gegen sie aufwiegeln würde, an das Kreuz geschlagen wurde, da elendiglich umzukommen.«

»Er verleugnete Gottes Sohn,« sagte Sadie schaudernd.

»Ja, und er trieb Spott über Alles, was selbst die Wi-Wis für heilig halten« nickte der Kleine »und doch, doch lauschte ich ihm gern, denn sein Gott war ein Gott der Liebe und der Gnade, und alle Menschen waren seine Kinder, alle, alle nahm er auf zu sich, Kanakas und Weiße, Beretanis und Feranis, wenn sie gut und redlich lebten und seinem Worte folgten; und mein Vater und meine Mutter – ach Pudenia es war wohl recht sündhaft daß ich seinen Worten so gerne horchte – aber mein Vater und meine Mutter waren auch eingegangen zu seiner Herrlichkeit, wenn sie nicht sonst recht schlechte und böse Menschen gewesen. Seit der Zeit nun sind meine Gedanken nicht mehr mein eigen« fuhr der kleine Mann trübselig fort; »seit der Zeit härm' ich mich und gräm' ich mich und mache mir Sorge und Kummer, und Nachts kommt der Böse und lockt mich mit seinen Schmeicheltönen, und am Tag seh ich, wo ich auch bin, den Alten neben mir, wie er sich den Bart streicht und mit den scharfen abgestoßenen Worten mir doch Trost und Hoffnung in die Seele gießt. Seit dem Tag ist der kleine Mitonare ein anderer verzweifelter Mensch geworden, der mit dem dicken Gebetbuch in der Tasche herumläuft, und nicht den Muth hat hineinzusehen, dem das Blut in den Adern gerinnt wenn er an den zornigen Gott denkt, wie ihn die weißen Mitonares lehren, und der demselben Gott doch immer wieder, und trotz allen Schilderungen zu Füßen fallen, und ihn Vater, Jehovah nennen möchte, wie ein Kind seinen eigenen Vater ruft, den es nicht fürchtet, aber von Herzen, recht von Herzen liebt.«

»Du armer, armer Mitonare« sagte da Sadie mit ihrer weichen Stimme, mitleidig des alten kleinen Mannes Hand ergreifend, und sie leise streichelnd; »bete Du armes geprüftes Herz, bete recht aus tiefster Seele zu Deinem Heiland daß er Dich führen und schützen möge auf Deiner Bahn, und den rechten Pfad durch Nacht zum Licht – bete daß er Dir die Wahrheit zeige zu Seinem Preis, und Dich eingehn läßt zu Seiner Herrlichkeit. Aber verzage nicht, fürchte Dich nicht, denn gerade in der tiefsten Noth ist er Dir ja auch am nächsten und hört die Stimme Seines Kindes die zu ihm ruft, und die Hand ausstreckt nach ihm, um Schutz und Hülfe.«

»Was ist das?« sagte da plötzlich der Mitonare, dessen Blick in tiefem schmerzlichem Sinnen hinausschweifte über die See, und der jetzt das Boot eines Kriegsschiffes, von acht Matrosen gerudert, um die nächste Landspitze kommen und gerade auf das Haus zu halten sah. Hinten am Heck wehte die französische Flagge.

»Ein Boot der Feranis« sagte Sadie ruhig, »das wahrscheinlich nach Papara hinunter will und sich dicht an der Küste, des ruhigen Wassers wegen hält – sie kommen oft hier vorüber.«

»Dann hätten sie die Korallenspitze vermeiden müssen, die jetzt zwischen ihnen und dem Fahrwasser der Binnenriffe liegt« sagte der Mitonare, der mit einem Blick den Charakter der Bai überschaut hatte, und jetzt aufmerksamer als vorher hinüberblickte. »Sie können nur hierherwollen, wie auch ihr Bug zeigt, oder sie müßten die ganze Strecke wieder zurück. Hinten neben dem steuernden Mann sitzen zwei Officiere der Wi-Wis und neben ihnen – «

»Heiliger Gott – neben ihnen liegt Jemand auf der Bank« rief aber auch in diesem Augenblick Sadie in Todesangst, der die böse Ahnung, die ihr den ganzen Morgen die Brust erfüllt, mit mächtiger Kraft zurück zum Herzen drängte – »René!«

»René?« rief Bruder Ezra erschreckt – »was hat der tollköpfige Wi-Wi wieder angestellt, daß ihn die eigenen Landsleute gefangen haben sollten? – aber das Boot dreht doch vielleicht ab von hier – «

Sadie antwortete ihm nicht – in sprachloser Angst und Erwartung hing ihr Blick an dem rasch näher kommenden Fahrzeug, das von den elastischen Rudern getrieben rauschend durch die Wellen schäumte – schon glaubte sie die Züge des Officiers zu erkennen, der hinten lehnte und auch sie war jetzt von den im Boote Befindlichen erkannt worden. Die auf dem Sitz liegende Gestalt richtete sich halb empor und winkte herüber, und mit lautem Aufschrei flog sie hinaus an den Strand, flog, ihre Europäischen Kleider vergessend, hinein in die klare Fluth dem Boot entgegen, denn darin lag, bleich und blutend, wenn er auch freundlich jetzt herüberwinkte – ihr Gatte – lag René.

Im nächsten Moment schoß das Boot heran, die Matrosen der Backbordseite warfen ihre Riemen mit einem Schlag empor und Bertrands Hand streckte sich dem armen Weib entgegen, dessen stierer und entsetzter Blick nur an dem bleichen Antlitz des Verwundeten hing. In demselben Moment fast berührte das Boot den Strand, und ein Theil der Matrosen sprang über Bord ihn an Land zu tragen.

»Aber Sadie« flüsterte René halb vorwurfsvoll, halb verlegen der jungen Frau die Hand hinüberreichend – »was machst Du für tolle Streiche, wildes Mädchen?«

»Du bist verwundet« war Alles was die Frau in fast athemloser Angst über die Lippen bringen konnte.

»Unsinn« lachte aber dieser, »eben nur die Haut geritzt, und hergehn hätt' ich können, hätte nicht Bertrand hier in übergroßer Besorgniß darauf bestanden mich her zu fahren.«

»Die Wunde ist unbedeutend, Madame« bestätigte aber auch jetzt der junge Officier, der an Land gesprungen war und eine fast unwillkürliche Bewegung machte die junge Frau hinauf und zum Haus zurückzuführen, wohin jetzt vier kräftige Matrosen auf einer der Boot Doften den Verwundeten trugen. Sadie aber ließ des Gatten Hand nicht los und während sie sich ängstlich an ihn schmiegte, fuhr der junge Officier fort: »Ich fürchtete nur eine mögliche Entzündung, wenn er den langen Weg in der Sonnenhitze hätte zu Fuß zurücklegen sollen; wenige Tage werden ihn wieder hergestellt haben.«

 

»Aber was ist geschehn, um des Heilands Willen« bat Sadie.

Bertrand biß sich auf die Lippen und René sagte finster:

»Nichts von Bedeutung Kind; ein doppelter Aderlaß einer neckischen Göttin zum Opfer gebracht – das Fleisch heilt bald – aber – wer ist das da drüben? – Mi-to-na-re? – bei Allem was da lebt – in Hosen und Strümpfen – Mitonare« und dem kleinen, auf ihn zueilenden Mann die Hand entgegenreichend schüttelte er sie fest und herzlich und – wandte den Kopf zur Seite, denn gerade in diesem Augenblick traf ihn die Erinnerung an Atiu wie ein Stich in's Leben, und trieb ihm das Wasser hinauf in die Augen, das er den Seeleuten bergen wollte.

»Böser Wi-Wi!« rief aber auch jetzt der kleine Missionair wieder in seinem tollsten Englischen Kauderwelsch, das er mit dem Europäer glaubte sprechen zu müssen, »aita maitai – macht ole manni viel Sorge – leichtsinniger Kopf der in dicken Bambus fährt und durchwill – läßt kleine Pu-de-ni-a zu Haus und kommt nachher angefahren, blutig und blaß und jagt ihr den Todesschreck in die Glieder, daß sie auch krank wird und stirbt.«

»Pu-de-ni-a!« sagte leise René und drückte die Hand des treuen Weibes, die in der seinen ruhte, »und Du lieber wackerer Freund,« wandte er sich dann plötzlich im reinsten Tahitisch zu dem, darüber aufs Aeußerste erstaunten Mitonare »wo kommst Du her, was treibst Du, wie geht es Dir? – und willst Du bei uns bleiben jetzt auf Tahiti?«

Ehe aber der Mitonare die rasch hintereinander an ihn gerichteten Fragen beantworten konnte, verbot der mitgekommene Schiffsarzt jede weitere Aufregung, bis er die, allerdings nicht gefährliche aber in einem heißen Klima doch immer zu beachtende Wunde erst nochmals untersucht und wieder verbunden hätte. Vor allen Dingen müsse der Verwundete in ein kühles Zimmer geschafft werden, dort die nöthige Pflege zu finden.

Sadie besorgte das Alles mit zitternder Hast, häufte Matte auf Matte, ihm ein kühles und weiches Lager zu bieten, und wechselte erst ihre eigenen, durchnäßten Kleider, als sie den Gatten mit allem versorgt, was ihre liebende Hand für ihn bereiten konnte. Die Wunde war allerdings nicht gefährlich, ja nicht einmal bedeutend, und die Kugel ihm eben nur durch den oberen Theil des Armes dicht an der Schulter durchgegangen, ohne den Knochen weiter zu verletzen, Blutverlust und Ermattung hatten ihn aber doch erschöpft und als der zweite Verband mit Sadiens Hülfe angelegt war, fiel der Leidende in einen sanften aber festen Schlaf, in dem ihn der Arzt nicht gestört haben wollte, und selbst Sadie bat das Zimmer zu verlassen. Nur Mataoti mußte bei ihm zurückbleiben, um zu rufen sobald er wieder erwachen würde.

Am Strande lag unterdessen das Boot schon wieder zur Abfahrt gerüstet, und Bertrand wollte eben Abschied nehmen von Sadie, an Bord zurückzukehren, als diese seinen Arm ergriff und ihn mit leiser, aber dringender Stimme bat, ihr die Ursache der Verwundung anzugeben, die sie mit peinlicher Angst, sie wisse selber eigentlich nicht recht, warum? erfülle. Der junge Mann zögerte erst verlegen mit der Antwort, aber er fühlte auch, wie er ihr dieselbe eigentlich nicht verweigern durfte, und erzählte ihr jetzt mit so kurzen und schonenden Worten als möglich, wie jener Officier, nach den gestrigen Vorgängen, nicht umhin gekonnt habe, Europäischen Begriffen von Ehre nach, René zu fordern, und wie sie sich heut Morgen, unfern der Stadt mit ihren Secundanten getroffen und geschossen hätten. Rodolphe, sein Gegner, habe zuerst gefehlt und eine leichte Streifwunde bekommen, aber dann hartnäckig darauf bestanden den zweiten Schuß zu thun. Die Secundanten konnten ihm den nicht weigern und von beiden, ziemlich zugleich gefeuerten Kugeln sei René in die Schulter, Rodolphe durch die Brust getroffen. Der Gegner lebe zwar noch, aber die Wunde sei ziemlich gefährlich; René habe übrigens für seine Sicherheit nicht das Mindeste zu befürchten, setzte er rasch hinzu, denn selbst im unglücklichsten Fall stehe er gerechtfertigt da. Er hatte nichts Anderes gethan als sich vertheidigt.

Sadie wurde todtenbleich – ihr Gatte verwundet, vielleicht ein Mörder – ihrethalben, mit dieser Last auf seiner Seele, und zugleich der irdischen Gerechtigkeit für blutige That verfallen, denn mit Entsetzen dachte sie daran, wie gerade jetzt die englischen Schiffe die Obermacht im Hafen hätten und kaum einen Fall vorübergehn lassen würden, einen aus dem ihnen feindlichen Stamm zu Rechenschaft zu ziehen vor ihr Gericht. Bertrand schüttelte aber bei der laut gewordenen Besorgniß lachend mit dem Kopf.

»Die englische Herrschaft ist vorbei« rief er, trotzig den Kopf emporwerfend; »Großbritannien erkennt das Französische Protectorat an, und zieht seine Schiffe zurück – ja noch mehr, in der Nähe einer der Nachbar-Inseln sind schon zwei Französische Kriegsschiffe – jedenfalls Du Petit Thouars mit seiner Flotte im Aufkreuzen gesehen worden, und die Tricolore herrscht von jetzt an auf Tahiti.«

»Zwei französische Schiffe sind gesehen worden? – und von wem habt Ihr die Nachricht?« frug Sadie rasch, und ein Gedanke an Raiteo durchblitzte ihr Hirn.

»Kleine Fahrzeuge kreuzen herüber und hinüber« antwortete der Officier – »wir haben überall unsere Wächter; aber sehn Sie Madame daß ich recht hatte? – dort über den Riffen draußen segelt der Talbot vor dem Wind, diese Küsten zu verlassen, und ha – dort kommt auch der Vindictive, schwerfällig seine weiten Segel entfaltend. Halt meine Burschen – Ruhe bis wir draußen in See sind,« unterbrach er sich rasch, dem eben ausgebrochenen Jubelruf seiner Leute zu wehren – »der Kranke schläft und Ihr dürft ihn nicht wecken durch Euer Hurrah. Doch jetzt auch nach Papetee zurück, denn wir werden dort alle Hände voll zu thun bekommen, und heute Abend, wenn es geht, komm' ich einen Sprung herüber, mich nach dem Befinden unseres lieben Kranken zu erkundigen. So Adieu Madame, auf ein froheres Wiedersehen«, und sich freundlich gegen sie neigend sprang er auf den Rand des hinangezogenen Bootes und hinein, wo der Arzt schon seinen Sitz wieder eingenommen hatte, die Leute liefen damit hinaus in tieferes Wasser, folgend, sobald sie das schwanke, scharfgebaute Fahrzeug flott fühlten, und wenige Minuten später zischte und preßte der Bug wieder gegen die crystallene Fluth an, sie in leichten Kräuselwellen zur Seite werfend, der nächsten Landspitze zu, um die es bald darauf verschwand.

»Was sagte der Wi-Wi von den Schiffen da draußen?« frug aber jetzt der Mitonare, der dem ihm unverständlichen Gespräch besonders so erstaunt gelauscht, weil seine kleine Pudenia die fremde ihm unbegreifliche Sprache so geläufig sprach, und dem dabei die zwei großen Schiffe die jetzt erst in Sicht gekommen und augenscheinlich von der Insel fortsegelten, ebenfalls aufgefallen waren.

»Es sind die Englischen Kriegsschiffe, die den Hafen verlassen« sagte Sadie.

»Den Hafen verlassen?« wiederholte erstaunt der kleine Mann – »und Bruder Aue hat uns davon ganz andere Geschichten erzählt – puh, puh, und die Wi-Wis kommen mit großen Schiffen angesegelt – böse Sachen, böse Sachen – wo bleibt da unser Gott?«

Sadie hörte gar nicht was er sprach – vor ihrem inneren Auge lag der verwundete Gatte, lag sein blutendes Opfer, und während die hellen Thränen ihr still und schwer die Wangen niederträuften, murmelte sie mit leiser, schmerzerfüllter Stimme:

»Verloren – verloren – Glück und Frieden dahin – oh armer armer Vater Osborne, wie gut daß Du still und ruhig in der kühlen Erde liegst – wenn nicht der frühere Gram – der Tag hätte Dein treues Herz gebrochen.«

»Ja, Vater O-no-so-no,« seufzte der kleine Mann, seinen Hut wieder ergreifend und aufsetzend, unter dem das breite, dunkle, gutmüthige Gesicht gar so komisch und widernatürlich aussah – »Vater O-no-so-no war ein guter Mann, und wären sie alle so gewesen wie er – Aber ich muß in die Stadt hinüber,« unterbrach er sich selbst, »denn die Versammlung soll heut' Morgen sein und Mitonare Ezra und Mitonare Raiteo sind von Atiu geschickt und sollen keine Wi-Wis haben wollen. Gu-bei Pudenia, gu-bei – Nach der Versammlung kommt Mitonare wieder hierher zurück und bleibt bei tollen Wi-Wi, bis er gesund ist und bei kleine Pudenia iti iti – «

1Nahuitarava ia mere, das Gestirn des Orion.
2Kleine kleine Pudenia, kleines, kleines Herzchen, mein kleines Mädchen.