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Pfarre und Schule. Zweiter Band.

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Siebentes Kapitel.
Wie es in Horneck aussah

Acht Monate waren seit den, im letzten Kapitel berührten Umständen verflossen; in Deutschland hatte es in loderndem Freiheitsmuth gekocht und gegährt, und an allen Orten und Enden waren die züngelnden Flammen vorgebrochen. An allen Orten und Enden standen aber jetzt auch die Fürsten wieder bereit, die für das ganze so morsche, und doch noch nicht zusammengebrochene Staatsgebäude schon kaum mehr gefährliche Feuersbrunst, wo sie sich nur zeigen würde, mit vollen kältenden Wasserfluthen zu empfangen und zu unterdrücken. – Die Gluth, welche, auf einen Punkt concentrirt eine Welt hätte zusammenschmettern müssen, knisterte und knatterte jetzt in nutzlosen Sprühteufeln und Raketen zwischen den Füßen der lächelnd zuschauenden Potentaten herum und die Revolution lag, wie ein verwundeter Leu – furchtbar noch in ihrem Tod und der Erinnerung an die Kraft, die einst diesen jetzt machtlosen Körper belebt, mit ausquellenden Adern sterbend am Boden.

Sterbend? – und tagte nicht noch in Frankfurt am Main das deutsche Parlament? – saßen nicht dort noch die Männer des Volks, die eben aus der Revolution hervorgegangenen Vertreter des deutschen Vaterlandes zusammen, und schmiedeten sie nicht noch rüstig fort an den künftigen deutschen Rechten eines einigen Reiches?

Ja, die Vertreter des Volkes saßen noch zusammen, und der Sturm und Kanonendonner von Wien, und die tausend und tausend blinkenden Bayonette Berlins waren nicht im Stande gewesen einen direkten Einfluß auf den ruhigen Geist einer Versammlung zu üben, die den besten Saft und Mark von Deutschlands treusten Herzen in sich schloß, wo aber war das Volk selber, das einige deutsche Volk, das seine Gesandten nach der alten Reichsstadt geschickt hatte und aus ihren Händen ihr künftiges Heil erwartete? Von ehrgeizigen tollen Hitzköpfen an allen Orten erregt und aufgewühlt, riß es auf der einen Seite nieder, während auf der anderen gebaut wurde. Gewissenlose Menschen, meist in Verhältnissen lebend, in denen sie, bei einem Umsturz alles Bestehenden, nie etwas verlieren und immer nur gewinnen konnten; herumziehende politische Comödianten, die von Stadt zu Stadt reisten und in Volksversammlungen – und Gott weiß es, was Alles unter Volksversammlungen verstanden wird – die Jugend mit ihren tausend und tausendmal wiederholten und wiedergekäuten Phrasen aufreizten, Subjekte, die »im Großen nichts verrichten konnten und es nun im Kleinen anfingen,« machten die so heiß von Deutschland ersehnte und endlich so herrlich realisirte Hoffnung des deutschen Parlamentes zum Kinderspott. Kaum sahen sie ihre aus der Majorität der Wähler hervorgegangenen Gesandten eingesetzt, als sie in machtlosem Ingrimm, nicht selber mit da oben tagen zu können, an dem Gebäude zu rütteln anfingen, das erst eben errichtet worden. Anstatt jetzt wie ein Mann zusammenzustehn und den Beschluß der Männer, die das Wohl des Vaterlandes nach besten Kräften berathen sollten, mit ihren eigenen Leibern zu schützen, wenn etwa die Reaction sich gegen die, schon durch diese Wahl bewiesene Souverainetät des Volkes auflehnen sollte, damit die Vertreter der Nation auch Vertrauen faßten zur deutschen Stärke und Einigkeit, wiegelten sie die rohe ungebildete Masse gegen sie auf, verdächtigten ihre Beschlüsse, oft noch ehe sie ausgesprochen worden, reizten zu Mistrauensadressen, die von Leuten mit unterschrieben wurden, denen es bis jetzt noch nicht einmal klar geworden, was eigentlich die Männer in Frankfurt sollten, riefen, das Werk überstürzend, die Gleichgesinnten zu einem neuen Parlamente auf, säten also Haß und Unfrieden und verlangten Heil und Segen davon zu erndten.

War es den in ihren Grundvesten schon erschütterten Thronen da zu verdenken, daß sie, in der Uneinigkeit der Völker die eigene Macht wieder zu befestigen suchten? und wurden ihnen nicht gerade von den blind und wahnsinnig sich überstürzenden Demokraten die schon fast verlorenen Zügel selber, ja ohne nöthigen Versuch einer Reaction, wieder in die Hand gedrückt?

Die wenigen ehrgeizigen gewissenlosen oder auch blinden Menschen, die entweder nicht sehen wollten, daß Deutschland noch nicht reif zur Selbstregierung sei, und daß es an intellektuellen Kräften fehle, das Ruder einer Republik fest und sicher durch den Sturm der bewegten Zeiten zu führen, oder die selbst verblendet genug waren, sich für fähig zu halten, das siegestrunkene, aber unselbstständige Staatsschiff zu leiten, oder die endlich, welche wirklich mit treuem und ehrlichem Herzen für eine große deutsche Republik geschwärmt, und in all ihrem Dichten und Träumen nur nicht bedacht hatten, daß man zu einer Republik auch Republikaner bedürfe, reizten das Volk, das unter Selbstregierung nur Freiheit von Steuern und Gesetzen verstand, zu wilden und durch Worte nicht mehr zu bändigenden Schritten an. In Versammlungen, wo die gewöhnlichen und alltäglichen Phrasen ihnen nicht schmeichelten, sie nicht freie und zu jeder Regierungsform reife Menschen nannten, wurde jedes parlamentarische Gesetz mit Füßen getreten, die Freiheit der Wahlen selbst durch Terrorismus beschränkt, den Abgeordneten der Ständekammern, die frech genug waren nach eigenem besten Gewissen handeln zu wollen, mit allem gedroht, was nur versprach, eine Wirkung auf etwas zaghafte Gemüther auszuüben. Kurz ein so verworrener Zustand trat ein, daß selbst ein großer Theil der früheren Freiheitsschwärmer, wenigstens alle die, welche nur etwas kälteres Blut besaßen, zurückschraken, wenn sie bedachten, daß sie mit diesen Horden einen Weg gehen sollten, und die ungeheuere Zahl der ruhigen Bürger, die bis dahin einem Fortschritt keineswegs abgeneigt gewesen, und sicherlich für eine höchst liberale Vertretung ihrer selbst gestimmt hätten, plötzlich in Todesangst gerade zum Extrem übergingen, um jetzt, da sie glaubten, daß es noch eine Wahl für sie gäbe, lieber den alten, wenn auch faulen Zustand zurückzuführen wünschten, ehe sie solche Menschen an der Spitze einer nicht Regierung, sondern Zerrüttung Deutschlands sähen.

Berlin war in Belagerungszustand erklärt und die Nationalversammlung aufgelöst worden; vom Stephansthurm zu Wien flatterte die schwarzgelbe Fahne und Fürst Windisch-Grätz durfte es wagen, sogar ein Mitglied der für unverletzlich erklärten Nationalversammlung Frankfurt's hinzurichten – bedarf es eines weiteren Commentars, um den Zustand Deutschlands zu schildern?

»Die Reaction hat für den Augenblick gesiegt und der neue Frühling muß uns auch eine neue, aber blutigere Siegespalme bringen« riefen zähneknirschend die Democraten, oder die, die sich Democraten nannten – denn der Name ist leider Gottes in letzter Zeit wahrhaft gemishandelt worden. –

»Der Anarchie sind die Hände gebunden,« schmunzelten auf der anderen Seite die platt gesichtigen schwänzelnden Hofmenschen, die Speichellecker der Fürsten und sogenannten Großen – »ein gesetzlicher Zustand ist zurückgekehrt« – und Adressen reichten sie ein an die Generäle, die das Machtschwert in den Händen hielten, den Belagerungszustand nur noch ja und um Gotteswillen ein wenig zu verlängern, oder wenn es anginge, viel zu verlängern – vielleicht – o süßer Gedanke – ihn ganz fortbestehen zu lassen – o wie wohl sich dieses knechtische Geschmeiß unter dem Schutze der Kanonen fühlte.

Und der jungen Freiheit wurden indessen die Flügel beschnitten, Presse und Vereinsrecht beschränkt und die wenigen Errungenschaften des Frühlings verkümmert und gekürzt; das Volk aber wüthete indessen gegen sich selbst und brach seine Kraft in unnützem schimpflichen Streit und Unfrieden.

So stand es in Deutschland – aber auch in Horneck, der kleinen, in mancher Hinsicht für sich abgeschlossenen Welt, hatte sich Vieles verändert. »Was seine äußere politische Gestaltung nämlich betraf, so war auch Horneck,« wie der Pastor nämlich mit wohlwollendem Lächeln meinte, »in höchst merkwürdiger Weise mit der Zeit fortgeschritten,« und diese »würdige Weise« bestand denn auch allerdings in einer »Errungenschaft« – die sie aber gern schon wieder los gewesen wären und diversen anderen »Versprochenschaften«, nach einem neueren, durch die Zeit gebornen Ausdruck.

Die Errungenschaft war der Communalgardendienst, denn nach den verschiedenen tumultuarischen Auftritten vor dem Schlosse, ja besonders der gewaltsamen Befreiung des Gefangenen wegen, hatte Herr von Gaulitz der Gemeinde angezeigt, daß er, »zum Schutz des Eigenthums« Militair requiriren werde. Dagegen war aber Doctor Levi mit aller Kraft seiner lispelnden Beredtsamkeit aufgetreten – der Schrei »Volksbewaffnung« ging damals durch das Land, und »Volksbewaffnung« mußte auch den Bewohnern von Horneck werden – es war das ein Recht, was sie zu fodern, keine Gunst, die sie zu erbitten hatten, und Militair – verweigerte das Dorf.

Die Rede gefiel den Bauern ungemein, denen an der Einquartierung aus mehr als einem Grunde gar nichts gelegen war, sie foderten Volksbewaffnung und erhielten sie mit der Vorausbedingung, »daß sie dann auch für die Ruhe des Ortes haften müßten«, was, wie die Bauern meinten, sich von selbst verstände.

Doctor Levi meinte aber gerade das Gegentheil, für die Ruhe eines Ortes könne keine Gemeinde haften, denn man wisse gar nicht, was jeder Tag für neue Ereignisse gebären möge, die gerade Unruhe im wahren Sinne des Wortes verlangten, und da sei ein solch' gegebenes Versprechen nachher etwas sehr Unpolitisches. So schön er aber auch diese seine Ansicht motivirte, so blieb er doch damit in einer höchst bedeutenden Minorität und die Bürgerwehr wurde in Horneck, dem Grundsatze nach, daß alle Bürger im Staate einander gleich, also auch gleich berechtigt seien zum Besten und Schutz ihres Vaterlandes Waffen zu tragen, organisirt. Um übrigens wahrscheinlich den Grundsatz der Gleichheit besser ausführen zu können, theilte sich die kleine Gemeinde, die ohnedies kaum eine ordentliche und vollzählige Compagnie stellen konnte, in zwei, weil die Bauern und Häusler (solche, die kein Bauerngut haben, sondern nur, gewöhnlich vom Gut gepachtet, ein Haus bewohnen) doch unmöglich Seite an Seite in Reih und Glied stehen konnten. Es machte sich dabei wie zufällig, daß die Bauern, die »mit vieren fuhren«, den ersten, die hingegen, die nur mit zwei Pferden fahren konnten, den zweiten Zug bildeten, die Offiziersstellen bekamen natürlich solche anvertraut, die, wenn sie das Commando auch noch nicht verstanden, doch angesehene Leute im Dorfe waren, und ihrer Compagnie keine Schande machten. Sie hätten wohl einen unter sich gehabt, der sich zum Hauptmann ganz vortrefflich geeignet hätte, es war das ein alter gedienter Soldat, der die Feldzüge von Dreizehn als Corporal mitgemacht, und das Commando aus dem Grunde verstand, das war aber leider ein ganz armer Schlucker, der keine Hufe Landes besaß, und deshalb mußte allerdings von ihm abgesehen werden.

 

Doctor Levi hatte übrigens später Horneck verlassen, um dem Demokratencongreß in Berlin beizuwohnen, war aber vorher noch nach Wien gegangen, und dort im Belagerungszustand verschollen, wenigstens drang keine Kunde von ihm nach Horneck.

Den Verlust hätten die Hornecker nun allerdings verschmerzen können, ein weit schmerzlicherer stand ihnen aber in der Versetzung ihres Diaconus bevor, dem Pastor Scheidler, aus »Wohlwollen für den Diaconus«, wie er selber sagte, eigentlich aber wohl aus einem anderen Grunde, eine kleine Pfarre in einem ganz abgelegenen Winkel des Rauschenthales verschafft hatte. Der Diaconus war nämlich, um die Sache gleich beim rechten Ende anzufassen, für die Bauern in Horneck ein klein bischen zu gescheut, und – denn das allein wäre kein Fehler gewesen, wenn er es nur gut zu benutzen verstand – als Hauptmißgriff zu offen mit den Leuten. »Denken Sie sich nur, Herr von Gaulitz,« hatte der durch solche Unvorsichtigkeit auf's Höchste bestürzte Geistliche einst zum Gutsbesitzer gesagt, »der Mensch (er meinte den Diaconus) kommt neulich mit einigen Bauern zusammen, die fragen ihn, nach ihrer albernen Weise ›auf's Gewissen‹, was es mit der Trennung der Schule von der Kirche für eine Bewandtniß habe, und ob es wahr sei, daß die Kinder dann gar keinen Religionsunterricht mehr kriegten und »so« aufwüchsen, und der Leichtsinnige redet ihnen das nicht allein gänzlich aus, sondern vertheidigt auch noch die Trennung – ja was sage ich Trennung – das Auseinanderreißen der beiden so innig verbundenen Institute – ja Herr von Gaulitz, versichert den holzköpfigen Bauern gar, daß ihre Kinder dann eine bessere Erziehung bekommen würden, weil der Mann, der sie lehrte, frei seinem eigenen Plane folgen könne, von den Kindern, wenn er sich Achtung und Liebe zu verschaffen wüßte, auch wirklich geachtet und geliebt würde, und nicht der untergeordnete Diener des Geistlichen, wie das jetzt für den ganzen Stand eine wahre Schmach gewesen, mehr sei. – Der Mensch ist wahnsinnig, denn er wüthet gegen das eigene Fleisch und Blut.«

Der Herr von Gaulitz lächelte jedoch damals und erwiederte nur ruhig:

»Mein lieber Pastor, derlei Sachen kennen wir besser; der Diaconus ist jetzt noch ein sehr freisinniger, vielleicht ein für seinen Stand etwas zu freisinniger Mann, aber das giebt sich, Herr Pastor, das giebt sich – nur ein halbes Jahr Pastor und die Saiten haben einen ganz anderen Klang.«

Nach diesem Vorfalle versteht es sich übrigens von selbst, daß der Pastor Scheidler aus allen Kräften dahin wirkte, den Diaconus, der ihm auch die Zeitungen viel zu radical, ja nach seiner Meinung sich selbst zum Republikanismus hinneigend, auslegte, aus Horneck fortzubringen. Die geheimen Conduitenlisten, die er mehr als regelmäßig an das hohe Consistorium einsandte, gaben ihm dazu die beste Gelegenheit. In der aufgeregten Zeit, wo gerade das hohe Consistorium überhaupt, von jeder Seite her den ersten Schlag erwartete, und fortwährend auf dem Sprunge stand, sich in seine ursprünglichen Bestandtheile aufzulösen, gehörte eben auch nur ein Wink, eine Andeutung dazu, um dessen guten Willen und Hülfe im höchsten Grade zu erwerben, und der Diaconus fand sich bald, allerdings als selbstständiger Pfarrer, aber auf einem so ärmlichen, traurigen Winkelchen der Erde, daß es selbst seinen, gewiß bescheidenen Erwartungen nicht entsprach und er einer geraumen Zeit bedurfte, sich nur nothdürftig daran zu gewöhnen.

Eine andere in Horneck vorgefallene Aenderung aber, eine höchst traurige, hatte in der Schule selbst stattgefunden, und zwar nicht für die Schule, sondern für den armen, in ihrem Dienst ergrauten Lehrer derselben, den alten Papa Kleinholz. Der Geist hätte in dem alten Manne vielleicht noch mit den unbedeutenden Beschäftigungen, die ihm oblagen, wie Buchstabiren und Lesen Schritt gehalten, aber der Körper, durch Mangel und Noth geschwächt, von den dürftigen Kleidern nicht einmal warm gehalten, und in der dunstigen Schulstube, die ihm zum steten Aufenthalte dienen mußte, endlich ganz untergraben, hielt nicht mehr aus.

Er wurde bettlägerig und so krank, daß durch die stete Transpiration des Leidenden der Aufenthalt unten in der Schulstube selbst für die Kinder unangenehm, ja sogar schädlich werden mußte, und Hennig sah endlich kein anderes Mittel, als daß er selbst dem alten Manne sein kleines Dachkämmerchen einräumte und hinunter in die dunstige Schulstube zog. Zwar erholte sich Papa Kleinholz, wohl am meisten durch Lieschens aufopfernde und unermüdliche Sorgfalt und Pflege, nach einiger Zeit in etwas, so daß sein Zustand wenigstens nicht mehr als lebensgefährlich gelten konnte, aber an Schulehalten war nicht zu denken – der böse Husten ließ ihn keine zehn Worte hinter einander sprechen; anstrengen oder ärgern durfte er sich nun gar nicht – und Schulmeister sein und sich nicht ärgern, zwei unmöglich von einander zu trennende Sachen!

Eine Weile ließ das der Pastor geschehen, und Hennig nahm sich mit so warmem Eifer der Schule an, daß die Eltern nicht über Vernachlässigung ihrer Kinder klagen durften, da die Arbeiten jetzt ganz auf eines Lehrers Schultern ruhten, wo früher, wenn auch nur dem Namen nach, zwei gewaltet und gelehrt hatten; nach einem halben Jahre aber durfte der Geistliche, wie er meinte, dem hohen Consistorium nicht länger verheimlichen, daß Vater Kleinholz unfähig geworden sei, dem schweren Amt eines Schullehrers mit Erfolg vorzustehen, und deshalb – o wie dem alten armen Lehrer das Herz zuckte, als er das so lange gefürchtete Schreckenswort ausgesprochen hörte – emeritirt werden müßte. – Emeritirt, mit einem Dritttheil seines Gehalts und – sieben Kindern – acht Personen, unter denen sieben kräftig und gesund waren, und Tag für Tag ihre richtigen Portionen Essen verlangten, wenn sie eben nicht geradezu hungern sollten, von fünfzig Thalern jährlich zu ernähren – der Gedanke kam ihm furchtbar vor, und er barg das bleiche Haupt in den spärlichen Kissen, und schluchzte wie ein kleines unglückseliges Kind.

»Das also ist Dein Lohn, Du armer alter Mann – seit sieben und vierzig Jahren hast Du Dich nach besten Kräften und Gewissen für die Kinder abgearbeitet und gemüht – bist Du nicht im Stande gewesen, das zu leisten, was man von einem Manne, der die Jugend zu wackeren selbstbewußten Staatsbürgern heranziehen sollte, vielleicht berechtigt sein durfte zu erwarten, so kann nicht Dir die Schuld dafür beigemessen werden, sondern denen, in deren Interesse es in früherer Zeit gelegen, das Volk in Unwissenheit und Knechtschaft aufwachsen zu lassen, Du thatest Dein Möglichstes, Du hast Dir Nichts, Nichts auf der weiten Gotteswelt vorzuwerfen, Du hast Kummer und Noth die langen langen Jahre hindurch, immer wachsend mit jedem neugeborenen Kind, und zu größter Höhe anschwellend bei der Mutter Tod, ohne Murren, ohne ein einziges hartes beschuldigendes Wort gegen die, welche den Gehalt der Lehrer unter den eines Ackerknechtes stellten, ertragen und nur jetzt, jetzt, da Deinem bleichen vom Kummer durchfurchteten Antlitz auch noch die scharfe Dornenkrone des letzten Entsetzlichen in die Stirn gedrückt wird, da bricht Dir der Schmerz das arme gequälte und zum Zerspringen volle Herz und Du klagst nicht das Schicksal – nicht die Tyrannei der Menschen an, nein Du beklagst nur Dein und der Deinen Loos und bist unsäglich elend.«

Hennig, der in des alten Mannes Stelle eingetreten war, that allerdings was nur in seinen Kräften stand, um dessen Lage zu erleichtern, ja überließ sogar dem alten Manne einen großen Theil dessen, was er selbst mehr bekam, so wenig das auch immer sein mußte; er selbst hatte jetzt aber auch mehr Auslagen, denn seine Kleider, die bis dahin ausgereicht, wurden alt, und er mußte sich neue schaffen, da ihm der Pastor schon mehr als einmal zu verstehen gegeben hatte, der Bauer halte etwas darauf, daß sein Schulmeister einen anständigen Rock trage und seinem Dorf keine Schande mache. Allerdings erwiederte er darauf, »wenn der Bauer das will, weshalb giebt er denn auch nicht dem, der seine Kinder zu ordentlichen rechtlichen Menschen heranbilden soll, so viel, daß es ihm möglich ist, den Magen auch nur einen Tag über dem Rücken zu vergessen?« Er änderte damit aber Nichts, und da ihm selber daran lag, nicht gerade abgerissen in der Pfarre zu erscheinen, mußte er endlich wohl in den saueren Apfel beißen, und sich in die für seine Casse erschöpfende Auslage fügen. Nichts destoweniger ließ er den alten greisen Schullehrer nicht hungern, das Verhältniß zwischen ihnen bestand nach wie vor, und wären die theuren Medicinen nicht gewesen, so hätte Hennig der wirklich Sohnesstelle am kranken Kleinholz vertrat, diesen selbst durch die schwere Winterszeit glücklich durchgeschleppt, so aber reichten selbst die vereinigten Kräfte Beider nicht aus – des alten Mannes karges Stückchen Gnadenbrod war schon auf ein Vierteljahr vorher verzehrt, selbst Hennig einige Thaler in Schulden hineingerathen, und der emeritirte Lehrer sah sich endlich, so ungern er das auch that, dazu gezwungen, um eine Unterstützung, d. h. um eine Erhöhung seiner sogenannten Pension einzukommen, wenn er nicht in Noth und Elend vergehen wollte.

Er baute dabei seine feste unerschütterte Hoffnung auf den »Herrn Pastor Scheidler« – der hatte ihn ja früher oft und oft versichert, er werde wenn er, der Schulmeister, später einmal nicht mehr so recht fort könne, schon Alles thun was in seinen, des Herrn Pastors Scheidler, Kräften läge, ihn zu unterstützen, und die Zeit war jetzt wirklich und in vollem Maaße gekommen. Er konnte nicht allein nicht mehr recht fort, sondern lag sogar ganz und gar, und gab es jemals eine Periode, wo er der Unterstützung von Seiten des Geistlichen bedurfte, so schien das die jetzige.

Er reichte deshalb sein Bittgesuch bei diesem ein, kroch selber, mehr als er ging, auf die Pfarre hinüber, um die Bevorwortung desselben dem Herrn Pastor noch einmal recht dringend an's Herz zu legen, und sank an dem Abend, zwar erschöpfter als je, aber auch nicht wenig beruhigt von dem gütigen Empfang und Wort seines Vorgesetzten, zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit fast freudiger Hoffnung auf sein Lager nieder.

Was Hennig selbst betraf, so hatte er sich, besonders in letzterer Zeit ungemein eifrig mit der neuen Gestaltung der Schule beschäftigt, und Lieschen, die doch recht gut wußte, wie er Pastors Sophiechen so recht aus innerster Seele liebe, konnte sich gar nicht genug darüber wundern, daß der Schulmeister, wie Hennig jetzt, als in diese Würde eingetreten, schlichtweg hieß, nur allem Anschein nach darauf los arbeitete, sich den Vater seiner Liebsten zum ingrimmigsten Feind zu machen. Das war, das allerwenigste gesagt, nicht im mindesten politisch von ihm, und er hätte das seiner Liebsten schon nicht zu Leide thun dürfen.

In der That hatte Lieschen, von ihrem Standpunkt aus, vollkommen recht und Hennig selber fühlte, wie er sich dadurch ein späteres Hinderniß mit eigenen Händen aufbaue, ein anderes, weit gewaltigeres mußte aber erst hinweggeräumt werden, und dann hoffte er auch dieses, als das viel unbedeutendere mit fröhlichem Herzen zu beseitigen. Wie die Verhältnisse jetzt nämlich standen, blieb es sich, in Bezug auf seine Aussicht, Pastors liebliches Töchterlein je als sein liebes Weib nicht in diese Schulwohnung, aber doch wohl in eine bessere Stellung einzuführen, ganz gleich, ob ihm der Vater gewogen war oder nicht, denn an eine Verbindung seiner Tochter mit nur einem Schulmeister dachte dieser so wenig wie das Mädchen wahrscheinlich selbst, das, wenn es den jungen Mann auch wirklich gern sah, doch viel zu genau die ärmlichen, drückenden, abhängigen Verhältnisse kannte, in denen ein deutscher Schullehrer zu leben gezwungen sei, um irgend eine Neigung zu spüren, eine solche Existenz je mit ihm zu theilen. Ja, Hennig hätte ihr das, wäre sie selbst dazu geneigt gewesen, nicht einmal zumuthen, es nicht einmal dulden mögen, und seinem schönen Ziel, der Schule eine unabhängige Gestalt zu gewinnen und den Lehrerstand zu heben, lag jetzt noch ein neuer, ihn zu voller Aufopferung treibender Beweggrund unter, da er mit diesem auch vielleicht die Hoffnung seines eigenen Herzens erreichen konnte. Stand er erst einmal als unabhängiger Lehrer, mit liberalem und zum Leben genügenden Gehalt nicht mehr unter, sondern neben dem Geistlichen, – war ihm die Jungfrau selber dann nur nicht abgeneigt – (und grüßte sie ihn nicht gerade immer so freundlich wie keinen weiter im ganzen Orte?), so vergaß der Pastor auch bald den Unwillen, den er jetzt nur über das Streben des Lehrers fühlte, und sicherlich nicht auf das Errungene ausgedehnt hätte.

 

Daß Sophie einen Fremden, ja gar den Flüchtling liebe, aus dessen Händen er sie einst selber befreit, konnte er dabei natürlich nicht ahnen, still und unberührt stand der Stern noch für ihn am Himmel seines Glücks, und jeder Abend, der ihn träumend auf seinem Lager fand, schloß ihm die müden Lider mit dem leisen, hoffenden Gebet – Sophie!