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Pfarre und Schule. Erster Band.

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»Herr Pastor« sagte aber Kleinholz, der jetzt wohl merkte, um was es sich handele, »der Gottlieb hat eine kleine Strafe verdient gehabt, und meine Hand ist nicht mehr so schwer, daß sie einem Kinde Schaden zufügen könnte; von Striemen kann da wohl keine Rede sein.«

»Keine Rede sein?« rief der Bauer, »Gottlieb, gleich noch emol mit der Jacke ringer – keene Striemen nich – so? – ei da –«

Der erzürnte Vater legte schon selbst mit Hand an, die geläugnete Thatsache durch das corpus delicti, den geprügelten Körpertheil, zu Tage zu fördern, der Pastor unterbrach ihn aber darin, faßte ihn am Arme, und bat ihn, die Sache ruhen zu lassen, und jetzt still nach Hause zu gehen, er wolle schon mit dem Schulmeister sprechen, »es solle nicht wieder geschehen!«

Der Bauer wollte noch Einiges bemerken, kam aber nicht mehr zu Wort, und verließ bald darauf, den verdrossenen Jungen, wie bei der Ankunft, hinter sich herschleppend, das Zimmer. Draußen aber blieb er stehen, und die Unterredung im Innern wurde, wenigstens von der einen Seite, so laut geführt, daß er deutlich jedes Wort verstehen konnte.

»Schulmeister, Ihr dürft mir die Kinder nicht so mishandeln!« sagte die gereizte Stimme des geistlichen Herrn, »es sind schon mehrfach Klagen eingelaufen, und ich habe denn doch wahrhaftig keine Zeit, mich mit solchen Sachen fortwährend aufzuhalten; die halbe Nacht sitz' ich und arbeite, und muß mich jetzt wegen Euch und Eures unverzeihlichen Betragens wegen, mitten aus meinen Studien herausreißen.«

Es entstand hier eine kleine Pause, und wahrscheinlich erwiederte der Schulmeister etwas, denn der Pastor fiel gleich darauf, und mit fast noch größerer Hitze wieder ein:

»Schulmeister, macht mit Leugnen Euer Vergehen nicht noch schlimmer; ich habe den Rücken des Jungen selbst gesehen, und von drei leichten Streichen kriegt so ein derber Bengel nicht fünf oder sechs Schwielen über die Schultern – schon gut, schon gut, ich habe mehr zu thun, als mich mit Euch hier herum zu streiten – ich bin fest überzeugt, es geschieht mir nicht wieder, oder – ich müßte mich genöthigt sehen, ernstere Maaßregeln zu ergreifen – guten Morgen, Schulmeister, guten Morgen, die Sache ist für heute abgemacht.«

Das Geräusch drinn in der Stube ließ darauf schließen, daß die Unterredung beendet sei, und der Bauer, der doch nicht gern beim Horchen ertappt werden wollte, zog sich rasch nach der Treppe zurück, war aber nicht im Stande sie zu erreichen, ehe Kleinholz heraustrat. Dieser begriff leicht, daß der Mann alles in des Pastors Zimmer Verhandelte, gehört haben mußte, und ein tiefes Roth färbte für einen Augenblick seine Wangen, aber er sagte Nichts, und wollte grüßend an dem Bauer vorüber gehen, Meinhardt gab ihm fast unwillkührlich Raum, als er aber dicht bei ihm war, und er das bleiche abgemagerte Gesicht, und die Schaamröthe auf den fahlen Zügen sah, da fing er selbst an, sich bis in die Seele hinein zu schämen.

Er nahm den Schulmeister, trotz dem daß sich dieser leise dem Griffe zu entziehen suchte, fest bei der Hand, führte ihn die Treppe hinunter, und blieb dort einen Augenblick, wie um einen Anfang verlegen stehen. Endlich, da er das, was ihm eigentlich auf dem Herzen lag, gar nicht recht ausdrücken und zu Tage bringen konnte, ja vielleicht auch fühlte, daß mit Worten, die ihm selten zu Gebote standen, unverhältnißmäßig schwieriger sein würde, als durch die That selber, drehte er sich urplötzlich, und um diesem, ihm fatal werdenden Zustand ein Ende zu machen, nach seinem Jungen um, gab dem auf's Aeußerste Erstaunten links und rechts ein paar tüchtige Ohrfeigen, daß der sich schreiend und zurückprallend mit beiden Händen den mißhandelten Schädel hielt, und rief, indem er noch zum dritten Mal ausholte, was Gottlieb aber gar nicht abzuwarten gedachte, hinter dem jetzt sporenstreichs dem Thor zuspringenden Jungen her:

»Da, Du Kriate Du, Du bist auch su en nixnutziger Bengel, där seinen Lehrer de Galle in eine furt im Ufruhr hält – kumm mer wieder mit Striamen uf'm Hintern haim, un ich mach' der de Quärstriche driber, daß der der ›Setz Dich druff‹ wie'n Damenbrät aussähn sull.«

Jetzt, wo seiner Ansicht nach der Schulmeister eine glänzende Genugthuung erhalten hatte, wandte er sich noch einmal zu diesem, drückte ihm die Hand und sagte lächelnd:

»Där märkt sich's, Schulmeister – Dunnerwätter! was mer seine Noth mit den Kingern hat.«

Und damit schlug er sich den Hut fest in die Stirn, und verließ mit vieler Selbstzufriedenheit rasch, – wenn auch nicht so rasch wie sein ihm vorangegangener Sohn – die Pfarre.

Viertes Kapitel.
Parterre und erste Etage

In Horneck, und zwar im westlichen Theile des kleinen Fleckens, gerade da, wo Försters Fähre von jenseits landete, und dicht an die malerischen Ufer der toll vorbeisprudelnden Rausche stoßend, stand eine Reihe städtisch aussehender Häuser, die auch größtentheils durch Bewohner der nicht fernen Residenz angelegt worden waren, und den des Stadtlebens Müden im Sommer zum Lieblingsaufenthalt dienten. In diesem Jahre waren sie denn auch wieder, und zwar außergewöhnlich früh, aus der Stadt hier eingetroffen, und hatten die so lang vernachlässigten Wohnungen bezogen; aber nicht das Frühjahr mochte die Ursache sein, obgleich dieses ebenfalls gar ungewöhnlich zeitig seine lieben duftenden Boten gesandt und den Wald mit Grün geschmückt, nicht die warmen Südwinde mochten die Schuld tragen, obgleich sie wie Sommerhauch durch die moosigen Schluchten und Thalgründe strichen, nicht der enteiste Strom schien die Stadtleute hervorgelockt zu haben, aus ihren engen düsteren Straßen, wenn auch er gleich so munter und lebensfroh unter den saftgrünen Weidenruthen und zwischen dem aufkeimenden Wiesensammet, ja von mancher stillen Waldblume geküßt und gegrüßt, vorüber tanzte, sondern die rauhe unruhige Zeit war es, die auf Sturmesfittigen über dem verschlafenen, schlafsüchtigen Deutschland die Lärmglocke erdröhnen machte, daß im Norden und Süden, im Osten und Westen, die Völker zu gleicher Zeit aus dem Traume auffuhren, und nun erstaunt, überrascht erkannten, wie hoch die Sonne stehe, wie lange sie im Schlummer gelegen hätten, und – wie stark, wie furchtbar stark sie selber seien.

Auch in der Residenz hatte nämlich der Schall seinen Wiederklang gefunden, und das sonst so gemüthliche, vergnügungssüchtige Völkchen derselben verließ Bälle und Theater; in unzähligen Vereinen traten donnernde Sprecher auf und hielten stundenlange unverständliche Reden, die so einer endlosen Wüste glichen, daß das Volk, wenn es nur ein einziges Mal zu einer Oase, das heißt, zu einem einigermaßen verständlichen Satz kam, rauschend applaudirte; andere sprangen dann hinter ihnen mit Feuereifer auf die Tribüne, die Schlagwörter des Tages folgten in rascher Reihenfolge, stürmischer Jubelruf begleitete fast jeden einzelnen Satz, das Wort »Freiheit« wurde zu einer Geißel gedreht, mit der man die »Reactionaire« blutig peitschte, das souveraine Volk schrie jeden mißliebigen Redner von dem Rednerstand hinunter, und heitere Katzenmusiken mit obligater Fensterscheibenbegleitung beschlossen dann gewöhnlich die freudig erregten Versammlungen. Um aber auch den ruhigeren oder vielmehr gleichgültigeren Bürgern, die trotz aller Aufmunterungen an solchen Vereinen nicht Theil nehmen wollten, oder gar, was noch weit schlimmer war, anderen, natürlich reactionair gesinnten Vereinen angehörten, eine ihnen höchst zuträgliche Bewegung zu verschaffen, oder auch zu bewirken, daß sie die so wichtigen Tagesfragen ordentlich bedächten, schlug man gewöhnlich, wenn die Männer der Freiheit um 10 Uhr zu Hause gegangen waren, Generalmarsch, und ließ dann die übrigen bis um ½1 Uhr Nachts die Vorgänge des Tages auf dem Marktplatz besprechen.

Sehr Vielen behagte eine solche abwechselnde und gewiß interessante Lebensweise, Andere aber sehnten sich auch wieder nach thatenloser Ruhe, nahmen es übel, daß sie, wenn sie sich kaum um zehn Uhr Abends niedergelegt, gleich wieder von einem Höllenlärm begrüßt wurden, von dem sie nie wußten, ob er ihnen, oder dem Nachbar galt (was sich übrigens auch gleich blieb, da immer Einer wie der Andere denselben Antheil empfing) und verließen, sobald die warme Frühlingsluft Blumen und Gräser aus der starren Erde lockte, die Stadt mit ihrem regen, ruhelosen Treiben.

Dieser Theil nun von Horneck, der sich sowohl an Eleganz der Wohnungen, als auch an Reinlichkeit vor dem übrigen Dorfe sehr vortheilhaft auszeichnete, wurde übrigens nicht von allen Bewohnern mit günstigen Augen angesehen, obgleich gerade die Besitzer desselben viel dazu beigetragen hatten, den Wohlstand des kleinen Ortes zu verbessern. Die »Stadtleute«, wie dessen Insassen in Horneck hießen, galten für entsetzlich »stolz« und die Dorfmädchen steckten immer die Köpfe zusammen und kicherten nach Herzenslust, wenn die »Stadtmamsells« in vollem Glanze durch die Kirchgasse strichen und mit den »Schleppen« den Fußweg »sauber fegten«.

Die Stadtleute kümmerten sich aber ihrerseits wenig um die »guten Bauern«, mit welchem Namen sie alle Landbewohner, trotz des gewaltigen Unterschiedes, den dieselben in solcher Benennung machen, belegten; erfreuten sich an der reizenden Umgegend, an der Lage des ganzen kleinen Ortes, an dem düstern Nadelholze und dem rauschenden Strome, an den wellenförmigen Feldern und »weichen Grasplätzen«, wie sie die Wiesen nannten, an den blökenden Heerden und dem melodischen Getön der Schafglocken, am Springen der Ziegen und dem komischen Gange und Schritten der bedeutenden Gänseheerden, kurz, von Allem was sie umgab, betrachteten sie nur die »Bauern« eben als eine nothwendige Zugabe zu diesem allen, um die landwirthschaftlichen »lebenden Bilder« in Gang zu halten, und verkehrten nicht weiter mit ihnen, als sie nothgedrungen mußten.

Unter den verschiedenen Familien, die ebenfalls und zwar schon Ende März ihre Sommerwohnungen in Horneck bezogen, befand sich auch eine alte Kommerzienräthin Schütte mit ihrer Tochter, die besonders freundlichen Umgang mit Pastors gesucht und gefunden hatte. Anna Schütte, ihre etwa vierundzwanzigjährige Tochter, war besonders die Liebenswürdigkeit selber; der Frau Pastorin hielt sie das Garn und half ihr mit nach den Kühen sehen, setzte sich zu ihr, und erzählte ihr tausend und tausend Geschichten, alle natürlich auf den Buchstaben wahr, aus dem Residenzleben (und wer hätte das nicht besser gekannt, als Anna Schütte, deren ganzes Leben in der Residenz eine ununterbrochene Kaffeevisite bildete) lobte ihre vortreffliche Butter und den delikaten Käse, versicherte selbst, in Itzingen keinen so guten Kaffee getrunken zu haben, und die Kinder – nein die Kinder, so 'was Herziges existirte auf der weiten Gotteswelt nicht mehr, mein himmlisches Louischen, meine Göttermimmi, mein Götterkind, mein Seelenplätzchen, mein Engelsgesichtchen – und wie gelehrig die »lieben herzigen Dinger« waren. Lieder lernten sie singen, merkwürdig schnell brachte sie die Melodie zum »Graf von Luxemburg« dem fünfjährigen Mädchen in drei gewöhnlichen Unterrichtsstunden bei, und zu Gesichterschneiden u. s. w. zeigten die lieben Dinger eine für ihr Alter ungewöhnliche Geschicklichkeit. Besonders in einer Sache wußte sie die »herzigen Kinder« zu wirklicher Vollkommenheit zu bringen, und diese war, daß sie den Namen irgend einer Person über die Straße hinüber, oder Etagen herauf oder hinunter, mit unverwüstlicher Geduld anriefen. Stand z. B. ihr Vater über dem Weg drüben und sprach mit Jemandem, so mußten die Kleinen rufen Va–ter, und die letzte Sylbe immer eine Quinte höher als die erste – Va–ter – Va–ter, bis der Vater, oder wer es nur war, der zu solchem Anruf als Opfer ausersehen worden, in voller Verzweiflung, denn seinem Schicksal entging er nicht, Folge leistete.

 

Daß das unartig oder unschicklich sei, konnte man den Kindern ebenfalls nicht gut sagen, denn Fräulein Schütte hatte es sie ja gelehrt, und die kleinen Dinger trugen ihr jedes Wort zu, was gesprochen wurde.

Fräulein Schütte hatte aber noch eine andere Eigenschaft – sie sang, und zwar fast stets – auch bei nicht außergewöhnlichen Gelegenheiten – fortissimo, als ob sie auf einer sehr großen Bühne stände und contractlich verpflichtet wäre, bis in die entferntesten Räume der Galerien verständlich hineinzuschreien. Allerdings klang ihre Stimme, bei leisem Gesange, keineswegs unangenehm, bei solchen Kraftanstrengungen wurden die Töne aber scharf und – etwas Entsetzliches bei jedem Gesange – unrein.

In diesem Frühjahr war auch ein junger Mann aus der Residenz ganz allein hier in Horneck eingetroffen, den man früher dort noch nicht gesehen. Es war ein »Schriftsteller«, wie er sich selber nannte, und ein »sunderbares Gestell!« wie ihn die Landleute titulirten. Was er eigentlich in Horneck wolle oder treibe, wußte man nicht, seiner Aussage nach, wünschte er »eine Arbeit zu beenden«, die Bauern schüttelten aber dazu den Kopf und sagten, »wenn der eine Arbeit fertig machen wolle, so müsse er auch erst dazu anfangen, jetzt sei er aber schon vierzehn Tage im Orte, und habe nicht d'ran gegedacht, zu arbeiten, sondern nur in einem fort geschrieben.«

Dieser Literat, Strohwisch mit Namen, wohnte in demselben Hause mit der Commerzienräthin Schütte, und zwar unten Parterre. Anstatt aber mit denen, die gleich ihm hier an »ferne Küste« verschlagen worden, in recht freundschaftlichem Verhältnisse zu stehen, schien er wunderbarer Weise und ohne etwa vorhergegangenen Streit, auf sehr gespanntem Fuße mit den Damen zu leben, ja selber eine Art Ingrimm gegen sie im Herzen zu tragen. Konnte das verschmähte Liebe sein? »Pastors Sophie«, ein liebenswürdiges junges Mädchen von 19 Jahren, hatte ihn deshalb im Anfang stark im Verdacht – heißt das ihn – denn wenn auch Anna die Kinderschuhe schon lange ausgetreten haben mochte, wäre sie doch noch immer zu hübsch für den wirklich häßlichen Fremden gewesen.

Um aber auch unseren jungen Schriftsteller mit wenigen Worten bei dem Leser einzuführen, wird es vielleicht gut sein, ihn kurz und oberflächlich, das heißt sein eigenes liebenswürdiges Aeußeres, zu schildern und abzuconterfeien.

Feodor Strohwisch war ein Mann nahe an sechs Fuß hoch, mit starkem grobknochigen Gestell, sehr hervorstehenden Backenknochen und etwas stumpfer Nase, die Stirne dabei niedrig und eher eingedrückt als vorstehend, die Lippen aufgeworfen, der Teint braun, das Haar struppig braun und ganz kurz, à la malcontent, abgeschnitten, die Augen groß und stier, auch die Gehörsorgane sehr »ausgearbeitet«, einen schmalen dunklen Schnurrbart von der Mitte des Nasenknorpels hoch an der Oberlippe bis zu den Mundwinkeln niederlaufend, kurz ein Gesicht, wie es Jedermann, wenn es ihm in New-Orleans oder Rio de Janeiro begegnete, für einem Mulatten gehörig, oder doch von Negerrace abstammend, halten würde. Dennoch wäre diese merkwürdige Menschengestalt in der gewöhnlich schlichten Modetracht vielleicht unbemerkt vorübergegangen; aber nein, daran lag dem Eigenthümer des Angesichts nichts; er wollte gesehen, und mit dem Sehen auch – bewundert sein. Ein fast weißer, roth gefütterter Burnus floß, afrikanisch gearbeitet, um seine Glieder, großcarrirte Unflüsterbare deckten die langen Unflüsterbaren, an den Stiefeln klirrten ein paar mächtige Sporen, und die Hand trug malerisch eine fischbeinerne Reitgerte mit elfenbeinernem Griff, der einen Fuß und ein zartgebogenes Mädchenknie bildete, was er auf der Straße stets sinnend und schwärmerisch an die dicken Lippen drückte. Papageigrüne Glacéhandschuh vollendeten die Toilette des »Gelehrten«. Feodor Strohwisch war auch musikalisch, spielte gar nicht übel Pianoforte, und schwärmte oft bis tief in die Nacht hinein, wenn – ihn Anna Schütte nicht daran verhinderte – doch davon später.

Feodor saß unten im Parterre in seinem Zimmerchen und schrieb; er mußte augenscheinlich Gedichte machen, denn er kaute sehr viel dabei an den Federn herum, sah manchmal ganz vergnügt vor sich hin, schrieb vier Zeilen, strich drei davon wieder aus, und fing dann mit denselben Experimenten von vorne an. Das Singen aber schien ihn auch nicht zu stören, es hatte wenigstens keinen äußerlichen Einfluß auf seine Bewegungen, und seine Arbeit hatte ihren Fortgang, nur wenn ein falscher Ton kam, fuhr er wie Einer in die Höhe, der plötzlich und unerwartet mit einer Stecknadel gestochen wird, schüttelte dann mit dem Kopfe, biß wie verzweifelt in die Feder hinein, daß die hätte laut aufschreien mögen, und fuhr wieder in seiner Beschäftigung fort.

Anders war es mit dem über die Straße Rufen des Fräuleins – das brachte ihn in der That oft der Verzweiflung nahe, und wenn die hohe Quinte auf der letzten Sylbe manchmal unverdrossen zehn, zwanzig Mal hintereinander durch das Haus schallte, begann er nicht selten die wunderbarsten Experimente, um seinem inneren Grimme Luft zu machen. Wie das aber geschah, werden wir im weiteren Fortgange der Erzählung sehen.

Da glitt plötzlich eine schlanke Mädchengestalt dicht an seinem Fenster vorüber, blitzesschnell fuhr er mit dem Kopfe nach und hinaus, doch – schon zu spät, die Gestalt war in das Haus geschlüpft und Feodor Strohwisch zog sein tief gerunzeltes Haupt wieder unverrichteter Sache zurück. Wenige Minuten später aber klopfte es oben bei Schütte's an und Anna flog mit einem lautschmetternden »Sie ist's – sie ist's, die Flagge der Liebe soll wehen!« das den Dichter unten um so mehr zur Verzweiflung brachte, da er nicht einmal wußte, wer es war, der Freundin, »Pastors Sophiechen«, entgegen.

»Ei du holder süßer Engel, das ist ja prächtig, daß Du mich heute besuchst,« rief sie nach der ersten Begrüßung, »ich habe schon gar nicht gewußt, womit ich den verzweifelt langen Nachmittag heute hinbringen würde; nun bleibst Du ein bischen bei mir und da plaudern –«

»Nein, liebe Anna,« fiel ihr hier lächelnd Fräulein Scheidler in die Rede, »der Nachmittag ist so herrlich, daß wir, so gut es mir bei Euch gefällt, unmöglich hier im engen Stübchen bleiben dürfen; deshalb komm' ich, Dich zu einem kleinen Spaziergang abzuholen.«

»Aber wohin, Soph'chen,« frug Anna, und ließ schon im Geist ihre Garderobe an sich vorbei defiliren, um die »Eingeborenen« wieder mit einer neuen Toilette in staunende Bewunderung zu versetzen; »wohin, unten am Fluß hin und her? Da wohnt ja Niemand, wie drüben über der Rausche etwa Försters.«

»Du närrisches Kind,« lachte das holde Mädchen, »wenn wir blos spazieren gehen wollen, kann es uns auch einerlein sein, ob da Jemand wohnt oder nicht; doch am Flusse sind wir schon so oft gewesen, und ich dächte deshalb, wir wollten heute einmal auf der Straße nach Sockwitz zu durch den Fichtenwald gehen. Du sollst nur einmal dort die herrlichen wunderschönen Bäume sehen, es ist ein reizender Spaziergang. Nur das einzige Unangenehme hat es, daß wir, von hier aus, hin und zurück durch das ganze Dorf der Länge nach durchmüssen, sonst –«

Anna's Zweifel schwanden mit einem Male.

»Das schadet Nichts,« sagte sie rasch, »es ist jetzt trocken und am Sonnabend Nachmittag besonders werden auch nicht die vielen fatalen Düngerwagen hinaus auf's Feld gefahren; ist Dir's also recht, so brechen wir gleich auf, und an mir soll es dann auch nicht liegen, wenn wir lange aufgehalten werden; – ich will mir nur ein anderes Kleid überwerfen.« –

»Ein anderes Kleid?« frug Sophie erstaunt, »aber warum denn das, um draußen im Wald spazieren zu gehen? Liebes Kind, Du bist für das Dorf viel zu hübsch angezogen, das Kleid, versichere ich Dich, ist vollkommen gut genug!«

»Ach bewahre,« lachte Anna naiv, »sieh nur, hier unten hat es ja gar einen kleinen Riß, wo ich neulich einmal an einem von den häßlichen Dingern mit Holzzacken, die an den Häusern aufgerichtet sind, hängen geblieben bin – laß mich nur, ich bin den Augenblick fertig – Friederi–keh – Friederi–keh!« Die hohe Quinte lag wieder auf der letzten Sylbe und der Ton schallte durch das ganze Haus.

»Was soll denn das Mädchen?« frug Sophie, »ich kann Dir ja wohl helfen das Kleid anziehen, wenn es denn einmal sein muß – was hast Du denn?«

»Laß mich nur,« sagte Fräulein Schütte, »weiß der liebe Himmel, wo das Mädchen wieder steckt, immer ist sie nicht da, wenn sie gebraucht wird, und schwatzen thut das Geschöpf, ich sage Dir, Sophie, das ist zum Verzweifeln; der Mund steht ihr nicht einen Augenblick stille. Nein, was man für eine Noth mit den Dienstleuten hat.« Sie trat an's offene Fenster und sah hinaus.

»Ja,« lachte Sophie, »das läßt sich nun nicht ändern und muß ertragen werden; uns ist es kaum besser gegangen, auch wir haben erst heute unser Mädchen abziehen lassen, und wissen nun noch nicht einmal, wie die einschlägt, die heute bei uns angezogen.«

»Das bleibt sich Alles gleich,« sagte Fräulein Schütte, »einen Satan schickt man fort und einen andern kriegt man wieder. Aber ich sehe unsere Friederike auch gar nicht auf der Straße, die muß dort um die Ecke gegangen sein – Friederi–keh! – Friederi–keh!«

Feodor Strohwisch unten that einen herzhaften Biß in die Feder, sprang von seinem Stuhle auf und lief wie ein Besessener in dem engen Zimmer auf und ab. Wunderbare Gesticulationen machte er dabei, und Einer, der ihn nicht näher kannte, wäre, wenn er das hätte unbemerkt beobachten können, sicher auf die sonderbarsten Gedanken gekommen.

In seinem Arbeitszimmer nämlich, und dicht neben dem Ofen, auf einem niederen braunlackirten Eckschranke, stand ein, wahrscheinlich der Wirthin gehörender alter hölzerner Haubenkopf, mit sehr roth gemalten Wangen und sehr dicht anliegenden Locken; einem ganz von Stecknadeln durchlöcherten Scheitel, ein paar dünnen, fest zusammengekniffenen ziegelfarbigen Lippen und sehr großen stieren blauen Augen, denen ein paar hochgestrichene rabenschwarze Brauen einen ganz eigenthümlichen Ausdruck gaben. Es sah fortwährend so aus, als ob der obere Theil des Gesichts ununterbrochen über irgend etwas auf das Aeußerste erstaunt wäre, und der untere Theil sich das unter keiner Bedingung wolle merken lassen.

Dieser Kopf nun war der Gegenstand, mit dem Feodor Strohwisch bei solchen Gelegenheiten, und zwar auf das lebhafteste verkehrte. Zuerst warf er dem Kopfe nur ein paar wüthende Blicke zu, die dieser auf das erstaunteste erwiederte, schoß dann noch einmal durch's Zimmer, und als die Friederi–keh von oben noch immer nicht kam, und der entsetzliche Ruf mit einer fabelhaften Geduld und Ausdauer hernieder schallte, da blieb er endlich vor dem Kopfe stehen, streckte ihm die eine geballte Faust entgegen und sagte mit dumpfer drohender Stimme:

»Fräulein Schütte, ich bin auch nur ein sterblicher sündhafter Mensch, und meine Geduld ist, wenn auch von Gummi elasticum, doch deshalb nichtsdestoweniger zerreißbar; ich hoffe, daß Sie jetzt –«

»Friederi–keh!«

 

Feodor sah in grimmer Wuth zu dem Kopfe auf; es war fast, als ob er eine Gewaltthat beabsichtige, so dunkel und drohend glühten seine Augen.

»Fräulein Schütte,« begann er noch einmal, »wenn Sie glauben, daß ich bei solchem Lärm, der Einem wie glühende Schwerter durch Leib und Seele dringt, humoristische Gedichte machen kann, so erlauben Sie mir nur, ihnen die Bemerkung zu Füßen zu legen, daß das eine reine Unmöglichkeit ist: ich kann viel ertragen, ich habe schon viel ertragen, Fräulein Schütte, aber ich verbitte mir von jetzt an alle dergleichen Barbarismen. Schon das Friederike, mit ihrer lauten gellenden Stimme gerufen, ist grausam, das keh aber hinten dran, mit der hohen Quinte, ist kannibalisch. Ich sage Ihnen –«

»Friederi–keh! Friederi–keh!«

Das war zu viel, Feodor Strohwisch schoß, wie aus einer Pistole geschossen, auf den Kopf los, ergriff ihn mit der Linken an dem langen dünnen Halse, und legte ihm die breite Rechte fest und entschlossen auf den Mund. Der Ausdruck des Gesichts, dessen untere Parthien so zugehalten wurden, daß nur der vollständig erstaunte obere Theil desselben sichtbar blieb, nahm einen wahrhaft beunruhigenden Charakter an, der Gereizte blieb aber unerbittlich und sagte nun nach wohl minutenlanger Pause, in der übrigens der Ruf nicht wiederholt wurde:

»Sehen Sie, mein Fräulein, sehen Sie? – Sie haben es nicht anders haben wollen, Sie haben mich förmlich zu Zwangsmaßregeln genöthigt; ich bitte Sie inständigst, ich bitte Sie um ihrer selbst willen, uns Beiden das nächste Mal solche unangenehme Auftritte zu ersparen.«

Und damit schob er den Kopf auf seine Stelle zurück, ging wieder an sein Schreibpult und war bald auf's Neue vollkommen in sein Sinnen und Grübeln vertieft. Aber auch Fräulein Schütte hatte die Genugthuung, daß ihre Friederikeh endlich, nach so unermüdlicher Anstrengung der Lungen, erschien, das gewünschte Kleid wurde gebracht und angezogen, saß ausgezeichnet, und Arm in Arm wandelten die beiden Freundinnen bald darauf den Berg hinauf, an der Pfarre und Schenke, die Sonnabends und Sonntags besonders stark besucht war, vorüber, folgten dabei immer nur dem ziemlich breiten und mit gelbem Kies beworfenen Fuhrweg, der bis zu den letzten Häusern des Dorfes sich erstreckte, und betraten nicht lange nachher den herrlichen grünen Wald, in welchem sich die Straße, allerdings immer schmäler werdend, hinschlängelte, bis sie zuletzt zu einem gewöhnlichen Holzfuhrweg wurde, der durch lange schmale Streifen Gras und alte, lange nicht aufgefrischte Wagenspuren verrieth, wie selten er befahren, wie wenig er überhaupt benutzt wurde, indem der Hauptweg nach Sockwitz schon früher rechts abzweigte, und in die große, im zweiten Kapitel erwähnte Chaussee auslief.