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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band

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Ha, was war das? – unten am Strand – dicht unter der hohen steilen, wohl sechzehn Fuß schroff emporsteigenden Lehmbank, und bis jetzt von dem tief streichenden Nebel verdeckt, der sich, wie sie dem Lande näher kamen, theilte, oder doch durchsichtiger wurde, breitete sich eine Scene vor den erstaunten Blicken der jungen Dame aus, wie sie ihre kühnste, romantische Phantasie nur im Stande gewesen wäre herauf zu beschwören.

»Indianer!« rief sie fast unwillkürlich laut aus, denn das ganze Ufer dort war bedeckt, belebt von einem wilden Schwarm brauner, halbnackter Gestalten, die theils unter niederen ledernen Zelten, theils nur an kleinen Feuern campirt haben mußten. Pferde wieherten und galopirten am Ufer hin, Kinder sprangen und jauchzten in und neben dem Wasser, an dem sie badeten und spielten, Frauen kochten oder trugen Holz herbei, das andere oben von der Uferbank herunter warfen, und die Männer saßen theils still und theilnahmlos an den Feuern, ihre Pfeife rauchend, oder standen am Ufer, die Ankunft des Dampfers zu erwarten.

»Leben hier noch Indianer?« frug Fräulein von Seebald erstaunt einen der neben ihr stehenden Leute, der auf dem das Deck umschließende Lattengitter lehnte, und ebenfalls nach den Eingeborenen hinüber schaute.

»Nein, Madame!« sagte der Mann, ohne seine Stellung zu verändern, »Gott sei Dank, daß wir die Rothfelle los sind; würden uns weiter Nichts als Teufels-Eier in die Nester legen. Hole sie alle mit einander der Böse.«

»Aber was thuen diese hier?«

»Die da? – die wandern aus – das sind Seminolen, die Onkel Sam6 nach dem Territorium schickt, sich dort mit ihren Kameraden, den Creeks und Cherokesen, den Chocktaws und Kickapuhs und wie sie alle heißen, so gut zu vertragen wie sie eben können – oder noch besser, sich einander die Hälse abzuschneiden – das Gescheuteste, was sie auf der Gottes Welt thun könnten.«

»Sie lieben die Indianer nicht.«

»Ich? – nein, da ist der Himmel mein Zeuge – habe auch eben keine Ursache dazu, und weniger Lust – wenn ich etwas wüßte, die ganze Race mit einem Schlag von der Erde zu vertilgen, ich thät's.«

Der Mann richtete sich dabei aus seiner Stellung auf und ging langsam an die andere Seite des Decks, als ob er die rothen Männer nicht einmal anschauen wollte, so lange er's verhindern konnte. Er sah dabei so finster und erbittert aus, daß Fräulein von Seebald froh war, seiner unheimlichen Gesellschaft bald enthoben zu sein.

Das Boot legte indessen an seinen gewöhnlichen Landungsplatze, einem dort befestigten riesigen flachgedeckten Boote, auf das Geschirre und Pferde leicht hinaus oder an Bord gebracht werden konnten, an, und die Indianer, besonders die Kinder, halb scheu, halb neugierig den Platz umdrängend, sammelten sich dort, die fremden weißen Männer und Frauen aussteigen zu sehen. Die Kinder gingen fast sämmtlich nackt, die Erwachsenen aber trugen ein Tuch um die Hüften, und meist ein ledernes oder kattunenes Jagdhemd, die Haare dabei in einen Büschel gebunden, Einzelne mit Zierrathen, zwei mit einer Adlerfeder darin. Nur die Frauen hielten sich schüchtern zurück bei ihren Lagerfeuern, und schauten kaum um nach dem rasch den Dampf auspuffenden Boot, oder den weißen Leuten – sie hatten davon genug gesehen, mehr als ihnen wohl lieb war, und waren von ihnen aus der Heimath vertrieben und einem fremden unbekannten, kalten Lande zugeführt – wie konnten sie sich da an den verhaßten Wesen freuen. Auch die Männer schauten still und finster drein, und wo sie Einer der Weißen anredete, drehten sie sich mürrisch ab von ihnen und schritten ihrem Lager wieder zu.

Es waren edle, kräftige Gestalten unter ihnen, Manche mit schweren, kaum geheilten Wunden auf der breiten braunen Brust, und wacker schlugen sich auch diese Krieger in ihrem Vaterland, jeden Fußbreit Boden den weißen Eindringlingen mit Tomahawk und Büchse streitig machend; ja noch Jahre lang würden die Bleichgesichter, die sie oft mit blutigen Köpfen heimgeschickt und in deren Lager selbst sie so manche Nacht den Schlachtschrei getragen und die nackte Brust keck und todtesmuthig den Bayonetten entgegenwarfen, ihre Truppen vergebens gegen sie geführt haben, hätten sie dem Verrath so gut begegnen können wie der blanken Waffe. Aber ihr Häuptling fiel – der wackere Osceola, von den Amerikanern gegen Krieg und Menschenrecht verrätherisch gefangen genommen, wo er dem Wort des weißen Mann's vertraut, starb elend im Gefängniß – andere Häuptlinge wurden übergekauft, und das Banner der Staaten fügte einen blutigen Stern zu seinen weißen.

»Nun Madame, wenn Sie jetzt aufsteigen wollen,« unterbrach da der Wagenführer, der sein Geschirr glücklich von Bord und über das Flatboot weg auf festen Grund und Boden gebracht hatte, die Betrachtungen seiner Reisegefährtin – »die Pferde sind ausgeruht und können's schon ziehen, und hier hinauf geht sich's doch schlecht für so zarte Füße.«

Fräulein von Seebald wäre gern noch länger hier geblieben, das Leben und Treiben der Indianer mehr zu beobachten und sich vielleicht gar in ein Gespräch mit ihnen einzulassen; gebrochen Englisch wenigstens sollten doch Viele von ihnen sprechen. Aber allein ging das auch nicht an, und dann schien auch der Wagenführer, der noch einen weiten Weg vor sich hatte, keine große Lust zu haben länger zu warten. Sie mußte sich deshalb wirklich nicht allein entschließen, den Platz zu verlassen, der ihr zum ersten Mal in ihrem Leben eine Scene ächt wilder Romantik bot, sondern auch auf höchst unromantische Weise, und noch dazu im Beisein einer Masse fremder Menschen, die gewiß dabei ihren Spott über sie hatten, auf einen ganz gewöhnlichen Rüstwagen hinaufklettern, und sich dort in raschelnden Maishülsen, zu denen ihr ganzer Anzug auch nicht im mindesten paßte, vergraben. Es kostete ihr der Entschluß in der That eine Überwindung; aber trotz ihrem oft übertriebenen Hang zur Schwärmerei hatte Amalie von Seebald, wie sie auch schon durch ihre ganze Reise bewiesen, doch viel Charakterstärke, die, mit dem Abenteuerlichen ihrer Situation, sie bald bewog sich über alles Andere hinwegzusetzen.

Der Amerikaner brachte indessen, wie überhaupt keine Nation aufmerksamer gegen Damen sein kann als diese, aus der nächsten grocery einen Stuhl heraus, daß sie bequemer auf den Wagen kommen konnte; lachend und verschämt nahm dabei die Dame ihre Kleider zusammen, stieg auf den Stuhl und schwang sich, von der breiten Hand des Wagenführers dabei unterstützt, auf das Rad und von da in den Wagen, ein junger Bursche trug den benutzten Stuhl in die grocery zurück, der Amerikaner klatschte mit der Peitsche, die Pferde zogen an, und neben hergehend, bis sie die obere Bank erreicht hatten, fuhr das ziemlich schwerfällige Geschirr, von den kräftigen Thieren gezogen, verhältnißmäßig rasch den steilen Weg, der auf das obere Ufer führte, hinan. Die Indianer stießen dabei einen gellenden Schrei aus, die Kinder jubelten, die Hunde bellten und der Wagen rasselte, während der Mann selber im Fahren aufsprang und sich neben die Dame in die Maishülsen setzte, den etwas holperigen ausgefahrenen Weg rasch entlang.

Das kleine Nest von Wirthshäusern ließen sie dabei gleich zurück, Lichtungen am Weg zeigten aber noch junge Farmen; sie fuhren eine Strecke lang zwischen Fenzen hin, die erst kürzlich urbar gemachtes Land umschlossen – auch diese hörten endlich auf; hie und da lagen noch dicht am Weg gefällte und zu Fenzstangen zerspaltete Stämme, dort waren junge Bäume zu Feuerholz abgeschlagen, und jetzt zog sich die, wohl breit ausgehauene, aber sonst sehr verwilderte und nur allein durch die Axt hergestellte Straße, durch den finsteren dichten Urwald hin, der sie in all seiner großartigen Majestät umfing.

So beengt und unbehaglich sich übrigens Fräulein von Seebald noch bei dem ersten Besteigen des Wagens, und so lange sie die vielen fremden Menschen um sich her wußte, gefühlt hatte, so wohl, so frei wurde ihr es jetzt. Das Herz ging ihr auf, und wie die letzten Fenzen hinter ihr verschwunden waren, wie jene mächtigen riesigen Bäume, die gerade zu ihrer gewaltigsten Höhe in diesen Niederungen aufsteigen, ihre Stämme wie gigantische Säulen um sie her emporreckten, und die prachtvollen Wipfel schüttelten und mit ihnen rauschten und flüsterten, als ob der Wald Leben gewonnen hätte; als sie die wunderlich geflochtenen und verschlungenen Lianen in weiten Festons den Weg überhängen, und von den höchsten Ästen der Bäume niederschaukeln sah, und ihre Phantasie dabei diese dunklen Waldesschatten mit all dem Wild und Raubzeug des weiten Landes dicht belebte, da wußte sie sich vor Glück und Seligkeit kaum zu fassen; die Thränen traten ihr in die Augen, und sie hätte laut aufjubeln mögen vor Lust und Wonne.

Ihr Ziel war jetzt erreicht, wonach sie Jahre lang gestrebt und sich gesehnt; derselbe Wald umfing sie schon, der ihrer Schwester eine Heimath, ein Paradies geschaffen, und nur ein Herz fehlte ihr jetzt, mit dem sie ihre Seligkeit theilen, dem sie das Alles zujauchzen konnte, was ihre Brust in diesem Augenblick erfüllte und erhob.

Mit dem Mann an ihrer Seite, der trocken und gleichgültig auf seinem Platz saß und nur manchmal, wenn der Weg eine kurze Strecke glatt fortging, die Pferde zu rascherem Lauf antrieb, ließ sich aber freilich nicht reden; auch war sie des Englischen kaum mächtig genug, gerade den Gefühlen Worte zu geben, die es sie trieb und drängte auszusprechen. So fuhren sie eine Zeitlang schweigend mit einander hin, wobei der Weg indeß, je weiter sie in das Land hinein kamen, schlechter und sumpfiger wurde, und die ganze Aufmerksamkeit des Wagenführers erforderte. Der großartige, wirklich herrliche Wald dieser Niederungen blieb dabei unverändert, unverkümmert, aber die Bewohner und Besitzer desselben, die Mosquitos, meldeten sich ebenfalls, und wenn sie auch gerade nicht häufig waren und durch die Bewegung des Fahrens schon abgehalten wurden, ließen sie sich doch, wenn der Wagen manchmal auf einen Augenblick hielt und der Fuhrmann absteigen mußte, irgend einen niedergebrochenen Ast aus dem Weg zu räumen, oder die Thiere um eine stehengebliebene Wurzel herumzuführen, hören und fühlen, während die zarte Haut der jungen Dame leicht unter dem scharfen Stich der kleinen scharfsäftigen Thiere anschwoll.

 

Dadurch wurde übrigens ihr Geist auch wieder in etwas mehr dem Irdischen zugewandt und Fräulein von Seebald begann den Wagenführer nach ihrem Weg, der Länge desselben, den verschiedenen Ansiedlungen oder »Plantagen« (wie sie es nannte, was er aber im Anfang nicht verstand) zu fragen.

Der Bursche war ein einfach schlichtes »Kind des Waldes«, wie Fräulein von Seebald bald genug fand; er wußte auch in der That nicht viel mehr, als was im Bereich seines Waldes und der Landung von Little Rock lag. Allerdings kannte er den Weg genau, jeden Stumpf und Stamm, jede »Clearing«, jedes »improvement« wie die allerersten Niederlassungen genannt werden; war dabei im Stande genau anzugeben, wie viel jeder »Nachbar« den Tag über »Fenzriegel« spalten könne, wie viel Hirsche Johnny Bligh in der letzten »season« erlegt, und wie viel coons7 sie in ihrem letzten crop (Erndte) im Maisfelde mit den Hunden gefangen oder geschossen hätten. Auch die Pferde und Rinder der Nachbarn kannte er persönlich, wußte jeden Flecken an ihnen, jeden Brand anzugeben, zeigte ihr auch den Platz, als sie daran vorbeifuhren, wo im vorigen Jahr der Panther ein junges Füllen erwürgt und beinah auch noch gefressen hätte, wäre er nicht glücklicher Weise (freilich zu spät es vor dem Erwürgen zu bewahren) dazu gekommen, und ging dann speciell in seiner Unterhaltung auf die deutschen Einwanderer über, von denen, wie er meinte, ein »heap« die letzten Jahre herüber gekommen sein müßten, denn am cashriver hätte er zwei gesehen, und nach Little Rock wäre eine ganze Familie gekommen, der Mann, die Frau und drei oder vier Kinder. In Little Rock wären überhaupt eine Masse Deutscher, es wimmelte ordentlich davon – er allein kannte sechs oder sieben, und Charley Fischer sei der fidelste von Allen, und »a monstrous smart hand too!« – ungeheuer schlau und pfiffig – und hätte ihm neulich einmal (vor drei Jahren) einen ganz faulen Western Reserve-Käse aufgehangen – was er ihm aber nicht besonders übel zu nehmen, sondern sich eher darüber zu freuen schien, daß er das fertig gebracht.

Nur von dem »Grafen Olnitzki« wußte er wenig oder gar Nichts zu erzählen; seine »old lady«8 kannte er gar nicht, hatte sie nie gesehn und glaubte auch nicht, daß sie viel aus der range (eigentlich Weideplatz, aber auch von Ansiedlungen gebraucht) herauskäme. Old Nitzky wie er ihn unverdrossen nannte, sollte übrigens a powerful hand (sehr geschickt) mit der Büchse sein, und viele Hirsche und auch schon einige Bären geschossen haben. Jetzt war er lange nicht »in die Ansiedlungen« gekommen, aber er konnte sich noch recht gut auf ihn besinnen, denn er war ein großer starker Mann und trug »das ganze Gesicht voller Haare.«

Wenn aber der Führer ihr auch keine nähern Nachrichten über die geben konnte, deren Schicksal ihr so sehr am Herzen lag, und die es sie so glücklich machte, nach so langer Trennung wieder zu sehen, so war er doch in so mancher anderen Art praktisch und unendlich gutmüthig. Er brach ihr einen Sassafrasbusch ab, sich damit der dann und wann zu ihnen kommenden Mosquitos zu erwehren, und hielt einige Male besonders an, ihr einen Hut voll saftiger, zuckersüßer Persimonen, die dort in Masse wuchsen, zu suchen und zu bringen, oder wilde Weintrauben zu pflücken, die von manchen Bäumen in schweren blauen Massen niederhingen. Auch die Muscadinebeeren, vor deren häufigen Genuß er sie des kalten Fiebers wegen warnte, mußte sie kosten, und die lange, fast widerlich süße Papaofrucht. Wie sie dann weiter in den Wald hinein und von den dem Fluß zunächst liegenden Ansiedlungen abkamen, zeigte er der Fremden hie und da die rasch erspähte Gestalt eines flüchtigen Hirsches, der stutzte, als er das Knarren der Räder hörte, und den schönen Kopf mit dem wunderlich gebogenen Geweih zurückwerfend flüchtig über die Büsche hinweg in das Dickicht setzte; oder das häßliche aber komische Opossum, das Amerikanische Beutelthier, das eigentlich, nach Australien gehörig, nur aus Versehn hier von der Natur geschaffen scheint, wie es scheu über den Weg lief, oder rasch an niederhängenden Weinreben emporklomm, einer vermutheten Gefahr zu entgehen. Manchmal hielt er sogar an, um ihr auf der Straße selber Bären-, Wolf- und Pantherfährten zu zeigen, die sie hier auf ihren nächtlichen Wanderungen in den weichen Boden eingedrückt, und that überhaupt Alles was in seinen Kräften stand, der jungen Dame den langen, etwas monotonen Waldpfad so viel als möglich zu verkürzen.

So zogen sie den ganzen langen Weg dahin; die Straße war breit ausgehauen, auf einer wie auf der andern Stelle, zeigte aber nur wenig Gleise, mehr Hufspuren und fast noch mehr die Fährten wilder Thiere. Dann und wann passirten sie eine große Ansiedlung, und gegen Mittag hielten sie sogar an einem Ort, deren drei oder vier Blockhütten den stolzen Namen einer Stadt beanspruchten. Die Leute dort, ein einziger Farmer mit seinem Bruder, der einen kleinen Laden hielt, waren aber nicht stolz auf diese Bevorzugung vor den Nachbar clearings, bestellten ihr Land noch selber und machten neues urbar, nicht etwa Häuser darauf zu bauen, sondern Mais hineinzupflanzen.

Dort wurde ein frugales Mittagmahl eingenommen, da fast sämmtliche Farmer in den westlichen Wäldern, wenigstens Alle die an einer Haupt- oder countystraße wohnen, darauf eingerichtet sind Fremde zu beherbergen und zu speisen. Wirths- und Gasthäuser giebt es dort nur sehr wenige; baar Geld haben die Leute auch sehr wenig in ihrem gegenseitigen Verkehr, da wird dann das Fremdebewirthen gewissermaßen zu einer Erwerbsquelle, der sie sich um so lieber widmen, als sie wenig mehr Auslagen dabei haben, wie ein paar Betten mit Matratzen und wollenen Decken herzustellen. Die alte westliche Gastfreundschaft, wie sie in früheren Zeiten Sitte war, geht dabei freilich verloren; eine Mahlzeit kostet einen Viertel Dollar, ein Pferd zu beherbergen von einem Viertel bis halben Dollar, je nach der Gegend, das Bett für den Gast einen »Bit« bis ein Viertel Dollar, oder Nachtlager mit Abendbrod und Frühstück für einen Reiter gewöhnlich einen Dollar. Daß sie Jemanden umsonst beherbergen könnten fällt ihnen nicht ein; hat aber ein armer Teufel wirklich kein Geld, und sagt er ihnen das gleich von vorn herein, ehe er etwas verzehrt und genossen hat, so wird ihm selten ein Amerikaner alles das versagen, was er ihm sonst gegen Zahlung nur gegeben hätte.

Im Wald selbst, das heißt ab von der Straße, wohin kein ausgehauener, von Geschäftsreisenden betretener Weg führt, und wohin sich nur der Jäger dann und wann verliert, ist das ganz etwas anderes. Der Wanderer theilt da Tisch und Bett mit seinem Wirth und am Morgen, fragte er wirklich was er dafür schuldig sei, lautet die Antwort: »das Wiederkommen, Fremder, für das was Ihr gehabt, war't Ihr willkommen; lieber Gott, es war wenig genug, was wir Euch bieten konnten,« setzt die Frau auch wohl hinzu.

So wenig neugierig die Leute auch gewöhnlich dabei sind, was der Reisende treibt, woher er kommt, wohin er geht, wenn sie ihn auch manchmal im Laufe des Gesprächs danach fragen, so erstaunt waren hier die Waldbewohner, eine »lady« im wahren Sinne des Worts in seidenem Kleid und Hut mit Handschuhen an den Händen und Ringen an den Fingern, mit einem Schleier vor, und anderen »fixin's« wie sie's nannten, allein im Wald zu sehn, und wenn sie es auch nicht wagten, die Dame selbst nach alle dem zu fragen, was sie gern von ihr wissen mochten, und was ihnen fast das Herz abdrückte vor Neugierde, so stahlen sie sich doch einzeln hinaus, wo Billy Jones's Mann die Pferde versorgte, von diesem herauszubekommen was die fremde Dame vermocht haben konnte, eine so abenteuerliche Fahrt allein zu unternehmen.

Billy Jones's Mann wußte aber auch nicht mehr, als daß die Dame mit einem Dampfer nach Little Rock gekommen sei – das verstand sich ohnedieß von selbst – und nach Old Nitzkis Farm irgendwo im Busch drin, Nord-Ost von der Oakland grove, hinüber wollte; es müßte wohl eine Verwandte von Old Nitzki oder seiner Frau sein.

Die Damen hätten sich übrigens die Mühe ersparen können, denn Fräulein von Seebald kam ihnen bei Tisch auf halbem Wege entgegen, erzählte ihnen, daß sie ihre Schwester aufsuchen wolle, die sie in zehn Jahren nicht gesehen, und die hier, unfern von Oakland Grove an den Grafen Olnitzki verheirathet sei, und frug jetzt selber, ob keine der Frauen sie vielleicht kürzlich gesehen habe, und wie es ihr gehe.

Niemand kannte sie – ein Mann wohnte allerdings dort oben im Wald, der so hieß, er war auch verheirathet, aber noch nie hierher zu ihnen gekommen, hatte wenigstens nie an ihrem Hause angehalten. Es sollte übrigens vortreffliches Land sein, wo er wohnte – nur ein wenig sumpfig. —

»Und wie weit war es noch bis dorthin?«

»Ih nun, nicht mehr so weit; in ganz gerader Richtung hätte es kaum vielleicht mehr als zwölf Englische Meilen sein können, aber es führte, eines dazwischen liegenden Sumpfes wegen, kein Weg direkt dorthin, nur die Jäger kamen manchmal dahinein; es war ausgezeichneter Jagdgrund. Wer sonst hinüber wollte, mußte über Rosemores Farm; von da führte ein ziemlich betretener Pfad hinüber nach der Richtung, wie der alte Mann, dem das Haus hier gehörte, meinte, und er glaubte auch gehört zu haben, daß ein Pole da drüben ein »improvement« habe.«

Fräulein von Seebald begriff gar nicht daß Graf Olnitzki, der doch von seiner Farm aus einen lebhaften Verkehr mit Little Rock, der Hauptstadt, unterhalten mußte, hier so wenig gekannt sei; oder gab es vielleicht einen andern Punkt im Innern, wohin er seine Produkte absetzte?

»Ih nun ja es sei möglich,« lautete die Antwort, »daß es ihm bequemer oder ebenso bequem nach Batesville am Whiteriver wäre, wo hinauf auch kleine Dampfer liefen.«

So mußte es auch sein; wahrscheinlich verkehrte er mit Batesville, jedenfalls auch eine bedeutende Stadt, wenn sie Dampfbootverbindung hatte. Viel Zeit zu weiteren Erkundigungen blieb ihr aber auch nicht mehr, denn »Billy Jones's« Mann hatte wieder eingespannt, Rosemores Platz noch vor Dunkelwerden zu erreichen; Fräulein von Seebald erfragte und zahlte deshalb ihre Zeche, und wenige Minuten später rasselte der Wagen wieder, jetzt auf etwas besserem Wege, durch den Wald weiter und weiter nach Norden hinauf, seinem Bestimmungsorte zu.

»Dort liegt Oakland grove!« sagte der Fuhrmann da plötzlich, als sie einen kleinen sandigen Hügel hinaufgefahren waren, und in der Ferne durch den Wald ein paar helle Fenzen herüberschimmern sahen.

»Haben wir von hier noch weit bis zu der Stadt?«

»Stadt? – was für eine Stadt?«

»Oakland grove.«

»Ist keine Stadt; unsere Farm und der Wald hier heißt so.«

»Und wo liegt die nächste Stadt?«

»Das ist Batesville; aber noch ein hübsch Stückchen Weg bis man dahin kommt.«

Bald darauf erblickten sie in der Ferne, an einer langen, ziemlich gut gehaltenen Fenz hinfahrend, zwei durch eine offene Verandah mit einander verbundene, aus gut beschlagenen Balken errichtete Blockhütten, deren ganzes Aussehn wie Umgebung einen gewissen Wohlstand verrieth. Eine Menge kleiner, dicht daran errichteter Gebäude dienten zu Ställen, Maisscheuern und Futterböden, und Hühner und Gänse um das Haus herum, wie eine Meute kleffender wohlgenährter Hunde gaben dem Platze etwas Lebendiges, Wohnliches, hier mitten in dem stillen Wald.

 

Dasselbe Behäbige bot auch das Innere des Hauses, und als Fräulein von Seebald, noch in der Thür, von einer würdigen Matrone, deren ganzes Äußers schon einen unendlich wohlthätigen Eindruck auf sie machte, nach kurzen einführenden Worten des Fuhrmanns, begrüßt wurde, und im Hause selbst noch zwei reizende junge Mädchen fand, die zwar sehr einfach in selbst gewebte Stoffe, aber nichts destoweniger höchst geschmackvoll gekleidet waren, und als diese auch alles Mögliche thaten es der Fremden bei sich recht wohnlich und bequem zu machen, fühlte sie sich zum ersten Male wieder frei von jenem drückenden Gefühl, das ihr den ganzen Nachmittag, sie wußte sich eigentlich selber keine Rechenschaft zu geben weshalb, auf dem Herzen gelegen. Die Häuser, die sie bis jetzt hier überall getroffen, hatten gar so ärmlich und dürftig ausgesehen, die Menschen so kränklich und das Nothwendigste selbst entbehrend, was man doch zu einem wenigstens menschlichen Leben bedurfte. Hier war das anders, und der kleine Platz wirklich nicht allein praktisch, sondern auch mit Geschmack angelegt, mit schattigen Bäumen und Sitzen vor der Thür, und, was sie bis jetzt noch bei allen übrigen Blockhütten schmerzlich vermißt, einem kleinen Gärtchen dicht daneben. Also das war doch möglich – die Wildniß bedingte nicht ein fast Indianisches Leben, die Leute konnten es sich, wenn sie den Trieb und die Lust dazu hatten, wohnlich und bequem machen, und mehr noch durfte sie das jetzt bei Olnitzkis erwarten, die sogar das Bedürfniß dazu vom alten Vaterland mit herüber gebracht.

Auch das Innere des Hauses war weit verschieden von dem der letzten Farm, wo sie Mittag gegessen. Statt der zerbrochenen Rohrstühle und umgedrehten Fässer, die dort als Sitze dienen mußten, fand sie hier ordentliche Meublen; sogar einen Secretair und ein kleines dicht besetztes Bücherbret. Große reinlich überzogene und mit bunten Decken und jetzt aufgeschlagenem Mosquitos-Netz versehene Betten füllten den hinteren Raum aus, große eiserne Holzstützen mit blankgescheuerten Messingknöpfen lagen im Kamin, neben dem, ebenfalls von Messing, Schaufel und Zange hingen; Fenster mit reinlichen Gardinen daran waren sogar in die mächtigen Stämme, welche die Wände bildeten, eingeschnitten, und der bald darauf mit dem weißesten Linnen bedeckte Tisch zeigte eine Menge von delikaten Speisen.

Der ganze Platz, mit dem freundlichen Benehmen seiner Bewohnerinnen, die ordentlich herzlich gegen sie wurden als sie erst erfuhren weshalb und wie weit sie hierher gekommen, heimelte sie an; das war, wenn auch mit sehr bescheidenen Ansprüchen, eine Waldwohnung, wie sie sich solche früher wohl gedacht und ausgemalt – hier in der stillen Einsamkeit des Forst's, unter dem leisen Rauschen der Waldwipfel, von keinen äußeren Stürmen getroffen und berührt, lebte ein einfach glückliches Volk – glücklich in seiner Ruhe und Freiheit, und der Traum einer solchen Existenz, von kalten egoistischen Menschen im alten Vaterlande oft verlacht und verspottet, war endlich Wahrheit geworden und lag in Wirklichkeit hier um sie her. Mit dem seligen Gefühl wuchs aber auch die Sehnsucht nach der Schwester, und sie konnte den Morgen schon kaum erwarten, der ihr wieder auf ihren Weg leuchten sollte, in die Arme der Geliebten zu eilen.

Auch die Entfernung war nicht mehr so groß; nur noch zehn englische Meilen etwa von hier – ein flüchtiges Pferd hätte solche Strecke in einer Stunde durchlaufen können, lag Olnitzkis Farm (das Wort Plantage hatte sie endlich fallen lassen) oder Olnitzkis »improvement« wie es die Leute auch hier nannten; wenn sie bei Zeiten aufbrachen, konnten sie den Platz recht gut um Mittag erreichen und dann. – Wie ihr das Herz so ungeduldig – so freudig und doch auch wieder so ängstlich pochte; lieber Gott, zehn Jahre sind eine lange Zeit – zehn Jahre hatte sie die Schwester nicht gesehen, in den letzten Jahren sogar nicht einmal etwas von ihr gehört, wie manches Schmerzliche ihr dabei mitzutheilen aus der Heimath, die jene, ein Kind noch fast und von dem Glück der ersten Liebe wie berauscht, verlassen. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und wenn auch Sidonie die Trauerbotschaft bekommen, blieb das erste Begegnen der Geschwister nach dem Verlust doch immer schmerzlich, und mußte ja die Freude des Wiedersehens trüben. Aber fort mit solch traurigen Gedanken jetzt, wo sie so viel des Freudigen auch dabei brachte – ihr Bruder war von seinem Hofe ehrenvoll ausgezeichnet und angestellt worden, ihre jüngste Schwester die Braut eines geliebten Mannes, ihr Vater noch immer rüstig und gesund, stand seinen Berufsgeschäften wie jemals vor, nur mit dem einen Verlangen, sein Kind, sein liebes Kind, das er damals so ungern von sich gelassen, noch einmal wieder zu sehen. Wie hatte er sich in jener Zeit gesträubt seine Einwilligung zu einem Bündniß zu geben, das er allein der tollen Schwärmerei des Augenblicks zugeschrieben, und in das er nur endlich willigte, sein Kind durch eine Weigerung nicht noch vielleicht unglücklicher zu machen, als es, wie er fürchtete, durch die Verbindung werden würde. Jetzt lag die Zeit in weiter Ferne hinter ihnen. Sidonie war glücklich geworden, wie alle ihre Briefe ja bezeugten, und wenn sich auch die Schwärmerei der ersten Jugendliebe in ein ruhigeres und stilleres Gleis die Bahn geöffnet, so hatte sie doch auch mit keiner Zeile ja erwähnt, daß sie sich fortsehne aus dem neuen, selbst gewählten Leben, daß sie bereue den Schritt gethan zu haben, der sie aus den Armen ihrer Familie, der sie aus dem Vaterlande riß.

Viel Unglück hatte sie trotzdem gehabt – der älteste Knabe war ihr im vierten Jahr gestorben, und in dem letzten Brief, den sie zu Haus geschrieben – schon zwei Jahr her, schien ihr auch das jüngste Kind, ein Mädchen, schwer erkrankt. Aber seit dem, und nach dem Tod der Mutter, hatte kein Brief von ihr die Heimath mehr erreicht, und nur ein einziges Mal war mündlich Nachricht von ihnen durch einen Fremden hinübergedrungen, der den Grafen Olnitzki zufällig in Little Rock gesprochen, und von diesem erfahren hatte, daß sich die Frau vollkommen wohl befinde und in ihrem, allerdings etwas einsamen Aufenthalt von Herzen glücklich fühle.

Wunderbarer Weise behaupteten aber auch Rosemores nicht im Stande zu sein ihr genügende oder nähere Auskunft über die, doch nur kurze Strecke von ihnen entfernt wohnenden Leute zu geben. Olnitzki allerdings kam manchmal herüber zu ihnen, ja hatte sogar früher schon einige Mal in ihrem Hause übernachtet, die Frau dagegen sich noch nie bei ihnen blicken lassen.

»Aber sie hatte doch andere Nachbarn in ihrer Nähe?«

»Allerdings, Jack Owen wohnte kaum tausend Schritt von ihrem Hause entfernt an der bearlick ridge, und Sam Houston, ein anderer Farmer hatte sich, etwa eine Meile oberhalb des »postoak hollow« niedergelassen. – Beide waren verheirathet, und verkehrten gewiß mit einander, und besonders Jack Owens junge Frau war ein liebes braves Weibchen. Wunderbarer Weise wußten diese »Nachbarn« nicht einmal ob Olnitzkis Kinder hatten, und wie viel – ein oder zwei waren ihnen gestorben, aber auch das nur als Gerücht zu ihnen gedrungen, denn dort hinein führte kein bestimmter Weg, zu ihnen heraus kamen die Leute auch nicht, so bildete sich denn jeder seinen Wirkungskreis in der eigenen Umgebung, den Nachbar entbehrend und sich wenig um ihn kümmernd.«

Aber was bedurfte Amalie von Seebald auch jetzt noch weitläufiger Berichte, wo sie sich ja morgen schon – in wenigen Stunden – selber von Allem mit eigenen Augen überzeugen konnte. Nur wie sie hinüber kommen sollte beunruhigte sie noch; die Frauen vertrösteten sie aber auf die Ankunft der Männer, die jedenfalls zum Abendbrod daheim sein und schon Mittel und Wege finden würden sie mit ihrem Gepäck hinüber zu schaffen. Lieber Gott, das sei nicht mehr als ihre Schuldigkeit, dafür zu sorgen daß eine einzelne Frau, die so vertrauungsvoll hier herüber zu ihnen gekommen war, auch nicht ohne Hülfe und Beistand gelassen würde, und Billy Jones, der Schwiegersohn des alten Rosemore, oder Mr. Rosemore selber fänden da schon Rath.

Hundegebell und Pferdegestampfe kündigte die Erwarteten, die irgendwo im Walde gewesen waren nach ein paar ausgebliebenen Kühen zu sehn, auch schon vor Dunkelwerden an, und drei Reiter hielten gleich darauf vor Rosemores Thür, sprangen aus den Sätteln, die sie mit dem Zaum den Thieren abnahmen, ihre weitere Versorgung einem herbeispringenden Negerknaben überlassend, und betraten bald darauf die innere Fenz, zum Hause kommend.

»Das trifft sich glücklich!« rief da Sarah, Mr. Rosemores jüngste Tochter, die in die Thür getreten war den Vater zu begrüßen, »da ist Mr. Owen von bearlick ridge selber, mit Vater und Bill; der weiß Rath und geht gewiß morgen früh ebenfalls nach seinem Haus zurück.«

6Vereinigten Staaten.
7racoon, der Waschbär.
8old man und old woman werden fast alle verheirateten Leute in den westlichen Wäldern genannt, sie mögen so jung sein wie sie wollen.