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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band

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»Ich habe eben jemanden getroffen den auch Sie kennen,« sagte Soldegg.

»Herrn von Hopfgarten – nicht wahr? – ja er hat mir heute Morgen seine Visite gemacht, gerade wie er ankam.«

»Er ist erst seit heute Morgen in der Stadt?«

»Etwa seit zehn oder elf Uhr; er trug seinen Reisesack noch unter dem Arm.«

»Dann hab' ich Glück gehabt, daß ich ihm gleich begegnet bin – Sie wissen, nicht wie lange er zu bleiben gedenkt?«

»Oh wohl nur sehr kurze Zeit – «

»Das glaub' ich, nachdem er mich gesehn,« lachte Soldegg.

»Wie so? was haben Sie mit ihm?« rief der Doctor erstaunt.

»Lieber Doctor, das ist eine lange Geschichte Ihnen die weitläufig auseinander zu setzen; ich erzähle Sie Ihnen ausführlicher, wenn wir nachher zusammen fortgehn; für jetzt muß ich Sie um eine große Gefälligkeit bitten. Wollen Sie einmal mit mir zum nächsten Friedensrichter gehn – er wohnt keine zehn Häuser von hier.«

»Mit dem größten Vergnügen, aber weshalb?«

»Nur mich zu legitimiren, um einen Verhaftsbefehl gegen Jemand auszuwirken.«

»Gegen Herrn von Hopfgarten?« rief Hückler erstaunt aus.

»Allerdings,« sagte Henkel ernst, »so leid es mir thut gegen einen früheren Reisegefährten auf solche Art einschreiten zu müssen, und so gern ich einen kleinen Verlust um den Preis lieber verschmerzen würde; aber siebentausend Dollar bin auch ich nicht im Stande so leicht einzubüßen, sehe wenigstens keinen Grund ein, das an einem wildfremden Menschen zu thun.«

»Siebentausend Dollar?« rief Hückler erstaunt – »also darum erschrak der Herr so, als ich ihm sagte, daß Sie hier wären.«

»Er erschrak? – nicht wahr?« frug Henkel rasch, mit einem bedeutungsvollen Blick nach seinem Begleiter hinüber – »ich will es gerne glauben, aber wir haben auch keine Secunde länger zu versäumen, denn ich glaube, zu Mittag geht schon wieder ein Dampfboot nach den nördlichen Seeen ab, das er, wie ich alle Ursache habe zu vermuthen, benutzen will, mir zu entschlüpfen.«

»Oh nicht vor zwei Uhr!« rief Hückler, seinen Hut wieder aufgreifend – »da können Sie sicher sein, es ist das Postboot, und geht auf die Minute; aber ich stehe Ihnen zu Diensten, lieber Herr Henkel, Sie werden übrigens zwei Bürger brauchen, einen Verhaftsbefehl auswirken zu können; wir hatten neulich den nämlichen Fall – der andere Herr wird wohl wahrscheinlich – «

»Nein, Herr Cottonwell ist vollkommen fremd hier – Einer der bedeutendsten Pflanzer Louisianas – entschuldigen Sie, daß ich die Herren noch nicht einander vorgestellt habe. Herr Doctor Hückler – der beste Arzt, den wir in Milwaukie haben.«

»Oh bitte, lieber Herr Henkel, Sie sind zu freundlich; da gehen wir also am Besten gleich bei Einem ihrer Amerikanischen Freunde vor, den abzuholen.«

»Nein, ich habe noch einen besseren;« sagte Henkel. »Herr Lobsich kennt mich auch schon von Deutschland aus, und überdieß muß ich auch dorthin, um die Leute im Haus zu ersuchen, das Gepäck des Fremden nicht verabfolgen zu lassen, bis ich zu meinem Recht gekommen bin. Wir gehn die Wasserstraße zusammen hinunter – Ihre eigene Wohnung liegt ja überdieß in der Richtung zu – und Sie warten einen Augenblick am Hause des Friedensrichters.«

Hückler war die Bereitwilligkeit selber, und wenn er auch unterwegs sein Erstaunen nicht unterdrücken konnte, daß ein Mann, noch dazu von Adel, solche Streiche machen sollte, kam er doch zuletzt zu der Schlußfolgerung, daß er es ihm schon immer angesehn, wie hinter dem eingebildet vornehmen Wesen nicht viel dahinter sei, und der Adel besonders schütze erst recht nicht vor solchen Sachen. Die Leute glaubten gewöhnlich, sie wären etwas Besseres als Bürgerliche, und dürften thun und lassen was sie wollten; er selber aber halte sich für ebensoviel werth, wie der beste Adliche.

Henkel überließ es gleich darauf Herrn Goodly, seinen Freund ein paar Minuten angenehm zu unterhalten, und ging rasch dem rothen Drachen zu, in dessen Schenkstube, wie er recht gut wußte, Herr Lobsich regelmäßig zu finden war, so lange seine Gäste oben bei Tisch waren, und der Wirth benutzte die Gelegenheit dann nicht selten, seine eigenen Getränke, damit aus keiner Flasche zu viel fehle, der Reihe nach durch zu probiren.

Wie er es gehofft, zeigte es sich; Lobsich war eben wieder eifrig beschäftigt, sich, trotz dem Versprechen, das er heute Morgen seiner Frau gegeben, in seinem eigenen Schenkstand zu traktiren, und fuhr, als die Thüre geöffnet wurde, mit dem eben geleerten Glase rasch unter den Tisch in das dort zum Abspühlen stehende Wasser.

»Ah mein guter Herr Lobsich, so fleißig – der Mann ist doch immer beschäftigt, wenn man zu ihm kommt,« rief ihm Henkel freundlich entgegen.

»Ah mein guter Herr Henkel!« entgegnete der Wirth mit unverkennbar schwerer Zunge – »ungeheuer erfreut, Sie zu sehn – meine Alte hat schon – hat schon gefürchtet, daß Sie – «

»Lieber Herr Lobsich,« unterbrach ihn aber Henkel, dem Nichts daran lag, sich mit dem Mann in ein längeres Gespräch einzulassen – »Sie haben einen neuen Gast heute bekommen, nicht wahr?«

»Ja wohl, lieber Herr Henkel, ja wohl – sehr charmanter Mann,« sagte Lobsich, um den Schenktisch herumkommend.

»Dieser sehr charmante Mann, mein lieber Lobsich,« flüsterte ihm Henkel, seinen Arm dabei ergreifend zu, »ist ein Erzgauner, der, wie ich alle Ursache zu fürchten habe, mir mit 7000 Dollar durchbrennen will – wie gefällt Ihnen das?«

»Ist mir doch was Unbedeutendes!« rief Lobsich, in unbegrenztem Erstaunen.

»Ich bin eben im Begriff einen Verhaftsbefehl gegen ihn auszunehmen,« fuhr Henkel aber indessen fort, »und habe deshalb eine Doppelbitte an Sie. Vor allen Dingen muß ich Sie ersuchen, mit mir zum nächsten Friedensrichter zu gehn und meine Person zu bescheinigen – die Leute kennen mich hier nicht, und Doktor Hückler wartet schon oben in der Straße auf uns zu demselben Zweck; und zweitens möchte ich Sie dringend ersuchen, Ihren Leuten bestimmten Auftrag zu geben, diesen Herrn von Hopfgarten, sobald er zu Hause kommen sollte, nicht wieder fortzulassen, und mir augenblicklich – «

»Zu Hause kommen?« sagte Lobsich vergnügt – »er ist zu Hause – «

»Er ist zu Hause?« rief Henkel überrascht – »beim Essen oben?« —

»Nein, nicht beim Essen,« sagte Lobsich, seufzend nach seiner Flasche hinübersehend, der auf's Neue zuzusprechen ihn jetzt der gerade verkehrt Gekommene verhinderte – »er hatte es furchtbar eilig und ging in sein Zimmer hinauf, ich glaube, einige Papiere zu holen.«

»Wahrscheinlich seinen Reisesack zu packen,« rief Henkel rasch und unruhig, denn Hopfgarten konnte da jeden Augenblick wieder herunterkommen – »ich muß Sie also dringend bitten, mein guter Herr Lobsich, Ihren Leuten ganz bestimmten Auftrag zu geben, diesen Herrn, sobald er vor der Zeit suchen sollte zu entwischen, nicht aus dem Haus zu lassen, bis der Constable hier gewesen ist.«

»Aber erst trinken wir einen, mein guter Herr Henkel – was nehmen Sie?«

»Jetzt nicht, mein lieber Lobsich – nachher so viel Sie wollen – rufen Sie jetzt nur so rasch als möglich Ihren Barkeeper herunter, daß wir keine Zeit versäumen.«

»Der kommt zeitig genug,« sagte Lobsich, nichtsdestoweniger an einer kleinen Klingel ziehend, die dicht an der Thür angebracht war, und sich dann selber wieder vor allen Dingen einschenkend – »also was trinken Sie?«

»Nichts – nichts, ich danke Ihnen herzlich – ich habe keinen Durst,« sagte Henkel, mit raschen ungeduldigen Schritten im Zimmer auf- und abgehend.

»Keinen Durst?« lachte Lobsich – »ist mir doch was Unbedeutendes – gerade wie meine Frau – die hat auch immer keinen Durst – gebe Ihnen mein Ehrenwort, Herr Henkel, die Frau hat nie Durst.«

»Da kommt Ihr Barkeeper,« rief aber Henkel, der einen scheuen Blick nach der sich öffnenden Thür geworfen – »bitte instruiren Sie ihn – es ist die höchste Zeit.«

»Ah ja wohl, Herr Henkel mit dem größten Vergnügen. Sie Schmidt,« wandte er sich an diesen, indem er seinen Hut vom Nagel nahm – »wenn ich fort bin und es – und es sollte Jemand nach mir fragen, so – so sagen Sie ihm nur – daß ich nicht zu Hause wäre.«

»Ja woll Herr Lobsich,« sagte der Barkeeper.

Henkel warf den Kopf ungeduldig hin und her.

»Aber weshalb gehn wir denn fort?« frug er ihn leise.

»Ja, Sie haben auch recht,« sagte Lobsich, der das ganz falsch verstand, gutmüthig, indem er seinen Hut wieder abnahm, »wir können ja auch hier bleiben, und noch ein Glas trinken – ich denke ich nehme dießmal – «

»Was wollten Sie denn Ihrem Barkeeper wegen dem Fremden, der heute angekommen ist, sagen?« frug Henkel ungeduldig werdend.

»Alle Wetter, das hätt' ich ja beinah vergessen,« rief der Wirth, seinen Hut wieder aufgreifend – »Sie Schmidt – verstehn Sie mich, Schmidt?«

»Ja woll, Herr Lobsich – «

»Nun gut, wenn der Fremde herunterkommt, der heute Morgen angekommen ist – «

»Der mit dem Reisesack?«

»Das Maul sollen Sie halten, Schmidt – wenn der Fremde herunterkommt, der heute Morgen gekommen ist – «

»Der mit dem – «

»Das Maul sollen Sie halten, sag' ich – versteht sich, der mit dem Reisesack, der das Zimmer allein bestellt hat – wenn der herunterkommt und durchbrennen will, dann halten Sie ihn fest.«

»Erst soll er bezahlen?« frug Schmidt.

»Sie sind ein Schaafskopf,« bedeutete ihn Lobsich, »als ob Einer nicht erst bezahlen, und dann doch durchbrennen könnte.«

»Ja, aber wenn er bezahlt hat, brennt er doch nicht mehr durch,« meinte der Barkeeper.

»Ja, da hat der nun wieder recht,« lachte Lobsich gutmüthig nach Herrn Henkel hinüber. Diesem aber brannte der Boden unter den Füßen, die Zeit verstrich, und der, wenn auch nicht trunkene, doch vom Wein redselig gemachte Mann war nicht von der Stelle zu bringen.

»Wenn aber Jemand, außer seiner Zeche noch tausende schuldig ist, kann er doch wohl noch durchbrennen, nicht wahr?« sagte er, soviel als möglich vermeidend, in Gegenwart des Barkeepers irgend einen direkten Wunsch auszusprechen.

 

»Donnerwetter ja – Sie haben ja recht,« rief aber auch jetzt Lobsich, der sich endlich des vorher Besprochenen wieder erinnerte, »wenn also der Mosje herunterkommen sollte und zur Thür hinauswollte – bums, Thüre zu – Nichts da, bis wir wieder mit dem Constable zurückkommen, verstanden?«

»Ich soll den Fremden nicht fortlassen?« sagte der Barkeeper, dem derartige Aufträge wohl schon öfter gekommen waren, ruhig.

»Justement die Sache,« versicherte Lobsich.

»Wenn er aber nun mit Gewalt – «

»Zu Boden schlagen,« sagte Lobsich, mit einer entsprechenden Bewegung, und sich den Hut fester in die Stirn drückend, nahm er Henkel unter den Arm, und verließ mit diesem rasch das Haus.

Der Barkeeper, der indessen vor allen Dingen die Zeit benutzte, in der er allein war, und sich aus einer, der eigentlich nur zur Verzierung auf dem Schenkstand stehenden und ganz extrafeine Liqueure enthaltenden Porcellain-Flaschen ein tüchtiges Glas vollgeschenkt hatte, trank dieses in langsamen Zügen und mit augenscheinlichem Behagen aus, wischte sich dann den Mund sauber mit der Zunge rein, und wollte sich eben wieder, nach Barkeeper Art, die gefallenen Hände vor sich auf den Knieen, sehr behaglich und selbstzufrieden auf den Schenkstand setzen, das Weitere seines Auftrags ruhig abzuwarten, als rasche Schritte auf der Treppe laut wurden, der ihm überwiesene Fremde die Thüre schnell öffnete und zum Schenktisch trat.

»Bitte geben Sie mir ein Glas Genevre,« sagte er, ein Paket Papiere dabei in seine Rocktasche schiebend – »mir ist nicht recht wohl – ein wenig rasch, wenn ich bitten darf.«

»Hm,« murmelte Schmidt, der schon sprungfertig gesessen hatte, irgend eine Bewegung des Fremden nach der Thür hin zu vereiteln, leise vor sich hin, »dagegen ist keine Ordre eingegangen,« und schickte sich dabei langsam an, dem Wunsch des Mannes zu willfahren.

»Machen Sie ein wenig rascher,« drängte Hopfgarten, »ich bin in größter Eile.«

»So?« sagte Schmidt, ihn über die Achsel, während er mit dem linken Auge zwickte, betrachtend – »ja, kann ich mir etwa denken, haben aber reichlich Zeit.«

»Zeit? ich? – was wissen Sie davon, ob ich Zeit habe oder nicht,« sagte Hopfgarten, der sich über das ungenirte Benehmen des Burschen doch ein wenig an zu ärgern fing – »kommen Sie, geben Sie mir den Genevre herunter.«

»Angenehm sein – länger Vergnügen haben – wegen warten müssen – « brummte Schmidt in den Bart, indem er Flasche und Glas auf den Tisch setzte. Hopfgarten nahm aber weiter keine Notiz von ihm, trank, zog sein Taschentuch aus der Tasche sich den Mund zu wischen, und sagte dann zu dem Barkeeper, der indessen rasch um den Schenktisch herum und der Thüre zugeschritten war:

»Schreiben Sie mir das Glas auf, ich habe jetzt kein kleines Geld bei mir, und auch keine Zeit zum Wechseln – geht Ihre Uhr da richtig?«

»Auf den Punkt.«

»Gut; wollten Sie wohl die Güte haben mir zu erlauben vorbeizugehn, Herr – Schmidt heißen Sie ja wohl.«

»Ja wohl, Julius Thiodolph Schmidt.«

»Thiodolph, schöner Name – Sie haben übrigens wohl nicht verstanden, um was ich Sie gebeten – ich möchte auf die Straße hinaus.«

»Ja, das soll ungefähr der Wunsch von allen denen sein, die nicht mehr hinaus können,« sagte Schmidt mit unzerstörbarer Ruhe, ohne auch nur eines Zolles Breite zu weichen.

»Nicht mehr hinauskönnen? ich glaube Sie sind verrückt, oder haben zu viel getrunken,« rief Hopfgarten, jetzt wirklich ärgerlich. »Treten Sie aus dem Weg, oder ich bringe Sie hinaus; glauben Sie, daß ich Lust und Zeit habe, mich mit einem solchen Holzkopf lange einzulassen?«

»Lust? – weiß ich nicht – Zeit? ganzen Arm voll,« sagte Schmidt wieder mit derselben Ruhe. Nur erst als Hopfgarten, dem die Geduld endlich riß, und der nicht Lust hatte, sich mit dem Burschen in einen Wortstreit einzulassen, ihn am Arm ergriff und auf die Seite schieben wollte, stemmte er sich mit Gewalt gegen, klammerte sich mit beiden Händen an die eisernen Haspen an, durch die Abends ein Querstock gesteckt wurde, und begann aus Leibeskräften zu schreien.

Überall giebt es müssige Menschen, denen Nichts lieber auf der Welt ist, als eine Prügelei oder irgend einen Skandal mit anzusehn, sobald sie nur nicht selber dabei betheiligt sind. So kamen denn nicht allein, wie nur Thiodolph Schmidts erster Hülferuf erschallte, eine Anzahl Leute von der Straße heran, zu sehn, was es gäbe, sondern die »Boarder« selber, d. h. die Gäste, die an der Mittagstafel Theil genommen und größtentheils jetzt auch fertig geworden waren, sprangen, als sie den Lärm unten hörten, rasch die Treppe hinunter. Schmidt bekam dadurch natürlich Hülfe, und Herr von Hopfgarten, der jetzt empört über solche Behandlung den Barkeeper am Kragen gefaßt hatte, und allein auch wohl bald mit ihm fertig geworden wäre, sah sich plötzlich von einigen zwanzig anderen Leuten umgeben, die, des Barkeepers Hülferuf unterstützend, die Thüre sperrten, und Thiodolph von den Eisengriffen des kleinen Mannes befreiten.

Hopfgarten, außer sich über eine solche Behandlung, schrie nach einem Constable, und wollte hinaus auf die Straße, Schmidt aber rief den Anderen zu, den Mann da um Gottes Willen nicht fortzulassen, sein Herr sei eben fortgelaufen, eine Gerichtsperson zu holen. Hopfgarten fand sich deshalb auch bald von einem Dutzend Menschen umstellt und angestarrt, gegen die anzukämpfen unmöglich gewesen wäre, und die sich jetzt auch noch auf seine Kosten lustig machten.

»O je, wie er strampelte;« lachte Einer – »no you don't mein Herzchen,« ein Anderer – »Zeit war's aber, daß wir dazu kamen, ein paar Secunden später und er wäre draußen gewesen. Toddy könnte jedenfalls dafür traktiren.«

Thiodolph, dessen Name solcher Art und zugleich mit einer Anspielung auf seinen Beruf, in Toddy5 von den Amerikanern gemishandelt wurde, fand das selber in der Ordnung und ging, die Sorge um den Gefangenen den Leuten überlassend, hinter den Schenktisch, denen, die am thätigsten bei der Sache gewesen waren, irgend ein Glas Brandy oder Whiskey, was sie gerade verlangten, einzuschenken.

»Was hat er denn gestohlen?« frug indessen Einer der Leute; aber selbst Thiodolph konnte darüber keine Auskunft geben, und alles Protestiren Hopfgartens, daß er eben selber im Begriff gewesen sei, zum Staatsanwalt zu gehn, ja einige der Leute aufforderte, ihn dahin zu begleiten, wenn sie ihm denn absolut nicht trauten, blieben erfolglos.

»Nicht wahr Herzchen,« lachte ihn Einer der Trinkenden, sein Glas in der Hand haltend über die Schulter an, »daß Du uns an der nächsten Ecke durchgingst, und wir das leere Nachsehn hätten? o ja, so dumm sind wir aber nicht.«

»Nur nicht so ungeduldig, mein Schatz,« rief ihm ein rothköpfiger Ire zu, »wenn Du Dich so nach den Gerichten sehnst; die kommen schon zu Dir, segne ihre Augen, die werden sich das Vergnügen nicht lange versagen, Deine werthe Bekanntschaft zu machen.«

Hopfgarten lief, in Ungeduld fast vergehend, mit auf dem Rücken gekreuzten Händen auf und ab, hatte aber auch keine Ahnung über die wahre Ursache seines Festgehaltenwerdens, und schrieb dieselbe natürlich einem sich augenblicklich aufklärenden Misverständniß zu. Zu jeder anderen Zeit würde er auch darüber gelacht haben, jetzt aber kam ihm das freilich gerade so ungelegen, wie nur irgend möglich.

»Na, da kommt ja ein Constable, mein Herzchen,« rief plötzlich Einer der am Fenster Stehenden aus, »nun sind wir ja außer aller Noth.«

»Gott sei Dank,« sagte Hopfgarten, diesem rasch entgegentretend, als sich auch schon die Thür öffnete, und der Constable, von einem ganzen Schwarm Menschen gefolgt, das Zimmer betrat. Lobsich, ungemein lustig und guter Laune, war mitten zwischen ihnen.

»Mein Herr,« rief jetzt Hopfgarten dem Constable entgegen, »hier muß ein Misverständniß obwalten, und ich ersuche Sie, mich ungesäumt zum Staatsanwalt zu führen.«

»Heißen Sie Hopfgarten?« sagte der Constable, ruhig zu ihm tretend.

»Ja wohl – und bin – «

»Sie sind mein Gefangener,« sagte der Constable, seine rechte Hand auf des Deutschen Achsel legend.

»Ihr Gefangener? – auf wessen Klage?«

»Geht mich eigentlich Nichts an,« meinte der Constable; »werden das wahrscheinlich besser wissen wie ich; wenn Sie's aber noch einmal hören wollen, auf eines Herren Henkel Klage, der einen Verhaftsbefehl gegen Sie erwirkt hat.«

»Henkel?« rief Hopfgarten, erschreckt emporfahrend, denn jetzt durchschaute er leicht genug die List des Buben – »das ist nicht übel – um Gottes Willen lassen Sie dann nur nicht diesen Henkel außer Augen – ich will gern mitgehen und verlange Nichts mehr – wo ist der aber?«

»Weiß ich nicht, geht mich auch Nichts an – « sagte der Constable, »wir können nicht die ganze Stadt arretiren – ich habe Nichts zu thun, als Sie zum Friedensrichter Oppel zu bringen, der das Weitere dann bestimmt.«

»Und dort werde ich Ihnen beweisen,« rief Hopfgarten rasch, »daß dieser Henkel der abgefeimteste Schurke ist, der auf Gottes Erde wandelt, und wenn er mir jetzt durch Ihre Schuld entwischt, mache ich das Gericht dafür verantwortlich.«

»Ist mir doch was Unbedeutendes.« rief Lobsich im höchsten Erstaunen aus; »was der Bursche noch für eine Frechheit hat. Hm, hm, hm, werden ihn aber schon zahm kriegen da oben, werden ihn schon zahm kriegen.«

Hopfgarten wollte sich ärgerlich nach dem Wirth umdrehen, besann sich aber eines Besseren und folgte dem Constable, von einigen zwanzig Neugierigen begleitet, zu dem Friedensrichter.

Diesen fanden sie jedoch schon gar nicht mehr in seiner Office – er war, wie Hopfgarten zu seinem Erstaunen erfuhr, mit den Herren Henkel und Dr. Hückler zum Essen gegangen, und wurde erst in einer Stunde zurückerwartet. Vergebens machte jetzt der Deutsche dem Constable die dringendsten Vorstellungen, sich den wirklichen Verbrecher – und die Beweise sei er jeden Augenblick bereit zu bringen, nicht entwischen zu lassen, während er selber hier festgehalten wurde; der Mann hatte weiter keine Befehle erhalten, sich auch gar nicht darum zu kümmern, welche Aussage eingebrachte Gefangene machten. Das Alles würde der justice of the peace, wenn er nachher zurückkam, schon untersuchen.

Hopfgarten gab jetzt, in seiner Verzweiflung und Ungeduld, einem der dort in der Nähe befindlichen Leute einen Dollar, in die Wohnung des Doktor Hückler zu laufen und diesen aufzusuchen. Er war der einzige Mensch, der ihn in Milwaukie kannte, eine volle Stunde verging aber, und weder Bote noch Doktor kam. Auch zu dem Staatsanwalt hatte der Gefangene seine Karte geschickt, und ihn dringend ersuchen lassen, augenblicklich zu ihm zu kommen, da die Sache von höchster Wichtigkeit sei. Es geht das nicht selten so in der Welt, wenn die Policey einmal wirklich nothwendig gebraucht wird, ist sie nirgends zu finden, und Hopfgartens größte Angst war jetzt, daß der schlaue Verbrecher seine Zeit benutzen, und sich aus dem Staube machen würde.

Darin hatte er sich nicht geirrt; als bald nach zwei Uhr der Friedensrichter zurückkam, fehlte der Kläger noch, der, seiner Aussage nach nur fortgegangen war, die nöthigen Papiere zum Beweis seiner Klage zu holen. Erst als Hopfgarten jetzt ernstlich darauf drang, den Staatsanwalt zu sprechen, und dabei erklärte, daß dieser sogenannte Henkel ein alias Soldegg, alias Holwich und Gott weiß was sonst noch sei, und das Gericht sogar wohl thun würde, auch die Leute zu vernehmen, mit denen er in intimer Verbindung gestanden, wurde der Richter doch stutzig und schickte vor allen Dingen einen Constabler nach dem Postdampfschiff, das zu untersuchen, ob jener Henkel nicht etwa an Bord sei, in dem Fall aber ihn ungesäumt hierher zu bringen.

Das Postdampfschiff war vor etwa einer Viertel Stunde abgefahren.

5Toddy eine Art kalten Grogs.