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Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen.

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Von allen Seiten sprangen indessen wild genug aussehende Kerle, die meisten von ihnen Gewehre in der Hand haltend, aus den Büschen und hinter Bäumen, hinter denen sie bis jetzt versteckt gelegen, vor, während der Bündelmann, ohne sich weiter um die Passagiere zu kümmern, die Stränge der Pferde durchschnitt und die Flucht unmöglich machte.

Der Squatter knirschte mit den Zähnen, aber er wußte sich auch so vollständig in der Gewalt seines jetzt hinter ihm stehenden bewaffneten Feindes, daß ein Widerstand vollkommen nutzlos gewesen wäre und im nächsten Augenblick sein Leben gekostet haben würde.

Die übrigen sämmtlich unbewaffneten Passagiere hielten sich vollkommen ruhig, das Unvermeidliche eben über sich ergehen zu lassen. Nur Bill, der Kutscher, konnte das Zerschneiden seiner Stränge nicht so geduldig mit ansehen.

»Höll' und Teufel, Mate!« schrie er, die Pferde an den Zügeln zurückreißend, vom Bock nieder, »was ruinirt Ihr mir denn das Geschirr? Seht Ihr denn nicht, daß ich doch in dem vermaledeiten Holz bis an die Ohren sitze und weder vor noch rückwärts kann?«

»Ruhig, mein Herz!« rief ihm aber der vermeinliche Bündelmann entgegen, der indessen eine ebenfalls dort versteckt gelegene Muskete aufgegriffen hatte, »bleib Du nur ganz still und geduldig auf Deinem alten Klapperkasten sitzen, bis man Dich ruft. Mit Deinen Pferden wirst Du wohl keine Sorge weiter haben.«

»Meine Herrschaften!« sagte in diesem Augenblick der sogenannte Mr. Bush, ohne jedoch seine drohende Stellung auch nur im Mindesten zu verändern. »Ich muß sie ersuchen, einzeln und langsam vom Wagen abzusteigen. Sie haben für Ihr Leben nichts zu fürchten – nur wer sich widersetzt, ist ein Kind des Todes. Mr. Warrel, Sie haben wohl die Güte, den Anfang zu machen.«

»Mit Vergnügen,« sagte der würdige Herr, der nur an das selbstverrathene Geheimniß seiner unechten Uhr und Kette mit einiger Verlegenheit dachte, indem er dem Befehl jedoch Folge leistete. Zugleich sah er sich unter der Aufsicht Eines der Buschrähndscher, der mit gespannter Muskete neben ihm stehen blieb.

»Nun Ihr da, Freund, ich weiß Euren Namen nicht, wenn's gefällig wäre.«

»Dank' Euch, John,« sagte der Mann, der bei dem ganzen Ueberfall auch nicht eine Miene verzogen oder sich anders benommen hätte, als ob ihnen auch nur das Allergewöhnlichste begegnete.

»Ihr kennt mich?« rief Mr. Bush überrascht aus.

»Sollt' es denken,« meinte der Andere, ohne auch nur die Hände aus seinen Taschen zu nehmen, indem er von seinem Sitz hinunterstieg und langsam zu dem Kaufmann hinüberging, »habe schon früher einmal das Vergnügen gehabt.«

»So?« lachte Gentleman John, der Anführer der Schaar, »nun davon nachher. – Jetzt Ihr da, Kamerad, mit dem traurigen Aussehen und dem geflickten Kittel. Hinunter mit Euch, habt Ihr mich verstanden?

« »Ach, gnädigster Herr Buschrähndscher.« winselte der arme Teufel, indem er wie eine Schlange zwischen dem Kutscher und Squatter hindurch über den Rücksitz des Bocks hinweg und hinten hinunterglitt: »ich habe ja Nichts als mein elendes erbärmliches Leben, und wenn Sie nur so äußerst gnädig sein wollten und mir –«

»Stopf dem Burschen einmal das Maul, Bob, wenn er nicht von selber ruhig ist,« rief Gentleman John ruhig vom Bock nieder, und Mr. Moses sah kaum die furchtbare Muskete auf sich gerichtet, als er auch winselnd und erschreckt in die Knie sank und keinen Laut weiter über die Lippen brachte.

»Jetzt hierher, zwei von Euch!« rief da der Befehl des Anführers wieder Einige der Schaar zu dem Wagen, auf dem Gentleman John noch immer neben dem Kutscher den bewaffneten Squatter mit der gespannten Pistole bedrohte. »Nehmt dem Herrn hier doch einmal die schweren Waffen ab und bringt sie in Sicherheit. – Laßt geschehen, Freund, was Ihr nicht hindern könnt, denn der geringste Widerstand – halt – bemüht Euch nicht selber – so, Rothkopf, wenn Du genöthigt sein solltest, auf den Herrn zu schießen, so tritt ein wenig bei Seite, daß ich nicht auch einen Theil der Ladung bekomme. Nehmt das Gewehr hinunter, und nun die Pistolen. Auch den Gürtel schnallt ab, an dem das Messer sitzt, eine vortreffliche Waffe, wie es scheint, die ich für mich selber zum Andenken behalten werde. So, meine werthgeschätzten Herren, und nun, Mates, bindet ihm doch einmal die Hände auf den Rücken, daß wir vorläufig keine weiteren Umstände mit ihm haben.«

»Was wollt Ihr noch mehr von mir?« rief der Squatter bei diesen Worten entrüstet, »ich habe alle meine Waffen abgegeben.«

»Nur ruhig, Kamerad, nur ruhig. Das Andere wird sich weiter finden,« sagte Gentleman John mit freundlichem Kopfnicken. »Euch vor allen Dingen müssen wir sicher haben. Die andern Herren sind klug genug, sich auch ohne das unseren Wünschen geduldig zu fügen.«

Der Squatter, von mehreren Seiten dabei durch auf ihn gerichtete Gewehre bedroht, mußte vom Wagen hinunter, wo ihn einige von der Bande in Empfang nahmen, und ihm die Ellbogen auf dem Rücken zusammenschnürten, und Bill, dem Kutscher, wurde dann ebenfalls bedeutet, seinen Bock zu verlassen.

Gentleman John übernahm jetzt, als er sämmtliche Passagiere unter sicherer Aufsicht sah, die Visitation oder vielmehr die Plünderung der Ueberfallenen, und begann dabei mit dem Squatter, dem er eine stark gefüllte Brieftasche und eine wohlgespickte Börse, ohne den Inhalt für jetzt weiter eines Blickes zu würdigen, abnahm.

Nach ihm kam Mr. Moses an die Reihe, der sich unter winselnden Betheuerungen hoch und heilig verschwur, der ärmste Mensch unter der Sonne zu sein, und bereitwillig dabei selber seine Taschen umdrehte, aus denen nur einige Schillinge und etwas Kupfergeld zur Erde fielen.

»Das ist freilich wenig,« sagte mit bedauerlichem Achselzucken sein früherer Reisegefährte, »wer aber so bereitwillig Alles hergiebt, was er hat, verdient auch dafür Belohnung. Hier, Rothkopf, zieht doch einmal dem Kutscher seine Strümpfe und Schuhe und Hosen und Kleider aus. Er mag mit Mr. Moses tauschen.«

»Gott der Gerechte soll mich bewahren, daß ich dem Manne seine warmen Kleider nähme,« rief aber Moses, indem er bleich vor Schreck wurde, »bin ich doch zufrieden mit dem, was ich habe.«

»Nein, nein,« lachte Gentleman John, »wir wissen besser, was sich schickt – heda, helft ihm doch bei seiner Toilette. Zum Teufel auch, Jungen, seid doch ein wenig galant und unterstützt unsere Gäste.«

Moses wollte sich noch länger sträuben, aber es half ihm nichts. Ein paar der Buschrähndscher sprangen zu, und während ihn Einer hielt, zog ihm ein Anderer die Schuhe und Strümpfe aus, aus welchen Letzteren bald verschiedene kleine Päckchen von Banknoten zum Vorschein kamen.

Der arme Teufel schrie und tobte, und verlangte Hülfe von den andern Passagieren, aber es half ihm Niemand. Jede Naht, jede Falte, jedes Stückchen Unterfutter der zerlumpten Kleider wurde unter dem Jubeln der Räuber auf das Sorgfältigste untersucht, und die Beute zeigte sich weit reichlicher, als selbst Gentleman John erwartetet hatte. Moses bekam dann die guten warmen Sachen des Kutschers, während dieser, trotz all seinem Fluchen und Schwören in die Lumpen des Israeliten hinein mußte.

»Nun, mein bester Herr Warrel,« wandte sich jetzt der kecke Buschrähndscher an den seine Zeit in voller Gemüthsruhe erwartenden Kaufmann, »haben wir Beide ein kleines Geschäft mit einander, das wir hoffentlich zu beiderseitiger Zufriedenheit rasch beenden werden.«

»Sie wünschen?« sagte dieser verbindlich, indem er mit einem kaum bemerkbaren Lächeln um die Lippen Miene machte, die Uhr aus der Tasche zu ziehen.

»Bitte, bemühen Sie sich nicht,« lachte aber Gentleman John, indem er abwehrend die Hand gegen ihn ausstreckte. »Ich kenne den Werth Ihrer Kleinodien zu genau, um Sie derselben zu berauben. Auch das wenige Geld, was Sie bei sich haben, werden Sie zur Fortsetzung Ihrer Reise nothwendig brauchen. Dafür erlauben Sie mir aber, Ihnen einen Wechsel auf fünfhundert Pfund Sterling vorzulegen, den ich Sie bitten werde zu unterzeichnen. Daß er seinen Bestimmungsort erreicht, ehe Sie selber im Stande sind, dorthin Gegenbefehl zu schicken, mag dann meine Sorge sein.«

Mr. Warrel biß sich auf die Lippen, aber er wußte auch recht gut, daß er gezwungen war, zu gehorchen, und erwiderte trocken:

»Es bleibt mir nichts übrig, als Ihnen zu danken, daß Sie nicht eben so viele Tausende verlangen, und ich freue mich, so wohlfeilen Kaufs davon zu kommen. Wahrscheinlich haben Sie doch den Wechsel bei der Hand.«

»Jedenfalls finden wir einen unausgefüllten in Ihrem Taschenbuch,« sagte Gentleman John, in derlei Geschäften viel zu erfahren, irgend einen Mißgriff zu machen, »und an derselben Stelle auch vielleicht Ihre Unterschrift zum Vergleich. Dürfte ich Sie darum ersuchen?«

»Mein Taschenbuch?«

»Fürchten Sie nicht, daß ich Sie Ihrer Papiere berauben werde,« sagte der Mann, »sie hätten für mich nicht den geringsten Werth. Wenn nicht doch vielleicht geheim gehaltene Banknoten –«

»Ueberzeugen Sie sich selber,« sagte der Kaufmann, indem er dem Räuber seine Brieftasche überreichte. Dieser blätterte das Buch flüchtig durch, und nahm, als er wirklich kein Geld darin fand, nur einen unausgefüllten Wechsel heraus. Aus der eigenen Tasche brachte er dann ein Tintenfaß und eine Feder zum Vorschein, benutzte ohne weitere Umstände den Hut des Kutschers zum Tisch, und füllte mit fester und geübter Hand den Wechsel aus.

»So,« sagte er dann, Mr. Warrel die Feder überreichend, und ihm den Hut etwas näher schiebend, »wenn ich Sie jetzt um Ihre Unterschrift ersuchen dürfte.«

Der Kaufmann nahm die Feder; als er aber vorher noch einen flüchtigen Blick über das Geschriebene warf, sah er rasch zu dem Buschrähndscher auf und sagte:

»Sie verlangten nur fünfhundert Pfund, hier stehen aber sechs!«

»Ich glaubte,« erwiderte Gentleman John ruhig, »daß es Ihnen in dieser Weise am bequemsten wäre, zugleich die verlorene Wette zu bezahlen.«

 

»Ach so,« lachte Mr. Warrel, »Sie haben Recht; an die Wette dachte ich gar nicht mehr. Genügt Ihnen das?«

John nahm den ihm dargereichten Wechsel, dessen Unterschrift er genau prüfte und mit einer in dem Taschenbuch gefundenen verglich, faltete das Papier dann zusammen, schob es in die Tasche und sagte:

»Ich danke Ihnen, Mr. Warrel, und hoffe, daß wir später noch bessere Geschäfte mit einander machen mögen.«

»Nun, ich weiß doch nicht, ob ich der Hoffnung gerade beistimmen soll,« meinte der Kaufmann; »aber dürfen wir jetzt unsern Weg fortsetzen? Ich glaube nicht, daß sonst noch etwas –«

»Nur noch einen Augenblick,« unterbrach ihn Gentleman John, »bis ich die Briefbeutel revidirt habe. Gebt mir einmal den Schlüssel zum Kasten, Bill – ja so, der steckt wohl in den Kleidern, die jetzt Mr. Moses gehören. Dürfte ich Sie wohl einmal darum bitten, verehrter Herr?«

Der Schlüssel fand sich übrigens nicht, wenigstens nicht so rasch, als es der Buschrähndscher wünschte, und der Kasten wurde deshalb ohne Weiteres erbrochen, der lederne Briefbeutel aufgeschnitten, und Gentleman John war wohl eine Stunde damit emsig beschäftigt, die verschiedenen Briefe und Packete zu erbrechen und nach Geld zu durchsuchen.

Diese Ernte fiel über Erwarten günstig aus. So, als Gentleman John Alles hatte, was er wünschte, stopfte er die mißhandelten Briefe wieder ziemlich rücksichtslos in den zerschnittenen Beutel zurück, hing sich die Doppelflinte des Squattes mit dessen Pulverhorn und Kugeltasche um und sagte:

»Nun, Bill, habe ich Nichts dagegen, wenn Du versuchst, die nächste Station so rasch als möglich zu erreichen. Es wird sich freilich nicht sehr bequem in den nassen Wegen gehen.«

»Aber die Pferde, Sir!«

»Thut mir leid, Mate, die brauche ich selber viel zu nothwendig,« lautete die Antwort des Buschrähndschers, »als daß ich ein so treffliches Paar verschenken könnte. Ihr müßt Euch bis auf die nächste Station schon so behelfen.«

»Wir sollen gehen?« rief Mr. Warrel erschreckt.

»Thut mir wirklich leid, Ihnen die Unbequemlichkeit für die kurze Strecke zu machen,« sagte John, »aber es läßt sich nicht ändern. Sie werden auch wahrscheinlich auf der nächsten Station etwas länger als gewöhnlich auf die Pferde warten müssen, da ich sie ebenfalls für meine Leute nothwendig brauche. – So leben Sie denn wohl, meine Herrschaften, mein Freund hier, unser Squatter, wird die Güte haben, uns noch eine Strecke zu begleiten und unser Gepäck zu tragen – kein Wort der Widerrede, Sir, es wird für Sie das nächste Mal eine Warnung sein, sich mit höchst unnöthigen und gefährlichen Schießwaffen zu versehen. Und Ihr, Bill, ich hoffe, Ihr denkt billig genug, Mr. Moses nicht zu einem abermaligen Tausch zu zwingen.«

»Ich will verdammt sein –«

»Schon gut – daran zweifle ich nicht im Mindesten. Aber bald hätte ich noch etwas vergessen. Mr. Warrel, ich habe noch eine Bitte an Sie!«

»An mich, Sir?«

»Mein Hut ist vom letzten Regen so sehr mitgenommen, während sich der Ihrige, von gutem Filz, vortrefflich conservirt hat. Dürfte ich Sie bitten, mit mir zu tauschen?«

»Mit Vergnügen, Sir, und er soll mir stets ein theures Andenken bleiben.«

»Sie sind gar zu gütig,« lächelte Gentleman John, seinen Hut dem Kaufmann überreichend, während er selber dessen weit bessern entgegen nahm.

Einer von John's Leuten machte diesen jetzt auf die schwere goldene Kette aufmerksam, die Mr. Warrel noch immer trug. Ein paar Worte des Führers beruhigten den Burschen aber vollkommen. Die Pferde wurden dann in den Busch geführt, und dem Squatter, der mit störrischem Gleichmuth Alles über sich ergehen ließ, sein eigener wie der Reisesack des Mr. Warrel aufgeladen, mit dem er den Räubern in den Busch folgen mußte. Der schweigsame Passagier wurde gar nicht belästigt.

Wenige Minuten später waren Alle hinter den grauen Gumbüschen verschwunden und Bill blieb mit dem Reste seiner Passagiere neben dem unbespannten und ausgeplünderten Postkarren mitten auf der Straße zurück.

Allerdings ließ er einen Theil seines Grimmes an dem unglücklichen Mr. Moses aus, den er, trotz dem Abmahnen des Gentleman John, ohne weiteres zwang, ihm seine eigenen Kleider herauszugeben. Ihre Lage wurde aber dadurch um Nichts gebessert, und sie sahen sich endlich Alle gezwungen, Bill, der den zerschnittenen Briefsack auf den Rücken nahm, zu Fuß nach der nächsten, etwa noch zehn englische Meilen entfernten Station zu folgen.

Hier mußten sie einen ganzen Tag verbleiben, um erst von weiter her andere Pferde zu bekommen, denn Gentleman John hatte die Wahrheit gesprochen, als er Mr. Warrel versicherte, daß die dorthin gehörigen Pferde von seinen eigenen Leuten weggetrieben seien, und erst am vierten Tag erreichten sie in einem höchst traurigen Zustande die Hauptstadt Süd-Australiens – Adelaide.

Diese so kecke Beraubung der Post, wie die Wegführung eines der Passagiere, der sich später freilich von Dornen zerfetzt und von den gehabten Anstrengungen zum Tode ermattet, wieder einfand, machte in Adelaide nicht geringes Aufsehen.

Die Frechheit der Räuber war doch zu groß gewesen, sie diesmal ungestraft hingehen zu lassen. Die ganze südaustralische Polizei, über die im Augenblick verfügt werden konnte, wurde deshalb aufgeboten, die Buschrähndschers auszuspüren, und auf eine oder die andere Art unschädlich zu machen. Auf den Kopf des Anführers, des berüchtigten Gentleman John, war überdies eine Prämie von hundert Pfund Sterling gesetzt, und dem, der ihn lebendig einbringen würde, sogar eine Belohnung von zweihundert Pfund zugesichert worden.

Gentleman John, wie er von den Sträflingen seines ihnen imponirenden Wesens wegen genannt worden, hatte indessen seine Zeit vortrefflich benutzt, nicht allein seine Wechsel und Papiere in Adelaide, ehe der Raub bekannt wurde, zu verwerthen, sondern auch die andere reiche Beute in Sicherheit zu bringen. Ueberall dort genau bekannt, wie auch mit den einzelnen in jener Gegend heimischen schwarzen Stämmen befreundet, benutzte er diese letzteren besonders zu Spionen, und was er ihnen dafür an wollenen Decken und Lebensmitteln gab, machte sie zu seinen willfährigen und in dem öden, wasserarmen Busch oft höchst nützlichen und brauchbaren Dienern.

Sogar eine der schwarzen Frauen hatte er sich genommen, und alle dabei gebräuchlichen Ceremonien im Stamme durchgemacht, wie auch seinen Schwiegereltern ein reiches und übliches Kaufgeld für die Frau gegeben. Dadurch besonders fühlte sich der Stamm geehrt, und Gentleman John, der ein ebenso wildes, gesetzloses Leben führte, wie sie selber, war ihnen schon deshalb lieb geworden, weil die übrigen Weißen, die ihnen nur Schaden zufügten und sie von einem Platz zum andern trieben, ihn ebenfalls verfolgten. Sahen sie doch in ihm einen Leidensgefährten, dessen wohlbewaffnete Schaar sie gegen weitere Uebergriffe ihrer Feinde schützen und bewahren konnte.

Und Gentleman John selber? – Ei, der benutzte, in wildem und unbegrenztem Uebermuth, jede Hülfe, die sich ihm bot, komme sie von welcher Seite auch immer, jeden günstigen Augenblick, den er erhaschen konnte. Jedenfalls in seiner Jugend zu Besserem erzogen, lag, Verführter oder Verführer, ein dunkles Leben hinter ihm, und mit der neugewonnenen Freiheit schien er entschlossen, diese zu genießen, allen menschlichen Gesetzen zu Trotz und Hohn.

Rücksichtslos dabei Alles unter die Füße tretend, was nicht seinem Zweck gerade diente, wußte er sich bei der Bande, die sich ihm angeschlossen, leicht in Respekt, bei der ganzen Umgegend aber in Furcht zu setzen, und so, mit Kundschaftern an allen Seiten, hatte er schon manchen gegen ihn unternommenen Angriff vor der Ausführung vereitelt, oder mit seiner wohlbewaffneten und sogar nicht einmal schlecht disciplinirten Schaar zurückgeschlagen, und wenig kümmerte er sich jetzt um die Folgen seines kecken Streichs.

Nach allen Seiten hin aber von vortrefflichen Spionen bedient, konnte es ihm auch nicht lange verborgen bleiben, daß sich diesmal doch ein schwereres Unwetter als gewöhnlich über seinem Haupte zusammenzog. Von allen Richtungen kamen die Boten, die ihm Kunde brachten, daß in den verschiedensten Distrikten bewaffnete Mannschaft aufgeboten und ein Schlag vorbereitet würde, der ihn und seine zu gefährlich gewordene Bande mit einem Wurf vernichten sollte. Auch der auf sein Einbringen gesetzte Preis von zweihundert Pfund Sterling, der dem Verräther, wenn es selber ein entflohener Sträfling sei, noch außerdem vollen Pardon sicherte, machte seine Stellung mehr und mehr gefährlich, denn daß er nicht auf die Treue von allen seinen Leuten zählen durfte, wußte er recht gut. Wenige waren in der That unter ihnen, die ihn nicht gerne verrathen hätten, wenn sie nur ihr eigenes Leben nicht zu sehr dabei gefährdet wußten.

Solchem Zustande mußte er ein Ende machen. Außerdem hatte er dies trostlose Leben, die stete Gefahr, das rastlose Umherstreifen in dem öden Wald recht von Herzen satt, und schon den Plan entworfen, Australien so bald als möglich zu verlassen.

An einer Biegung des Murray, und hoch genug an dessen Ufer hinauf, wo das Wasser desselben nicht durch die Ebbe und Fluth des Victoria-Sees ungenießbar gemacht war, hatten sie für den Augenblick ihr Lager aufgeschlagen, und die rings umher aufgeschichteten und mit Stücken Rinde gegen das Wetter geschützten Vorräthe schienen dabei auf die Absicht eines längeren Aufenthalts zu deuten. Unfern davon aber und im Schilf versteckt, lag ein tüchtiges Fischerboot, von denen einige den Victoria-See befuhren, und unter der Hand hatte der Buschrähndscher bis jetzt von seinen Leuten mehrere kleine Fässer mit Wasser füllen und einigen Proviant an Bord schaffen lassen.

Allerdings drohte ihnen bei einem Fluchtversuch in offener See noch eine keineswegs unbedeutende Gefahr, denn an der Mündung des Victoria-Sees in die Encounter-Bay wälzt sich eine so furchtbare Brandung dem kühnen Schiffer entgegen, daß die Durchfahrt durch diesen schmalen Meeresarm schon von vielen Seeleuten als ganz unmöglich geschildert wurde. Gefahr aber, ob sie ihm von Menschen oder den Elementen drohte, konnte den verwegenen Räuber nicht schrecken. Durch diese Brandung lag die Bahn zur Freiheit, und durch sie hin war er entschlossen, seinen Weg zu suchen.

Die Einschiffung selber sollte auch schon am nächsten Morgen stattfinden, und nur den Schwarzen hatte er bis jetzt noch den eigentlichen Zweck dieser Flucht verheimlicht, da sich diese wahrscheinlich derselben widersetzt, oder ihn gar im entscheidenden Augenblick verrathen hätten. Ließ er sie doch schutzlos der Rache der Weißen allein zurück.

Der Morgen dämmerte eben. Auf die höchsten Wipfel der hier in der Niederung zu riesiger Höhe wachsenden Gumbäume lagerte sich der erste Schimmer des anbrechenden Tages, und färbte das mattgraue Laub der holzigen Blätter mit einem eigenen fast zauberhaften Duft. Zugleich stand noch der Mond in voller Scheibe am Himmel, und warf sein fahles Licht durch die nur spärlich belaubten Wipfel auf die niederen Rindendächer und halb verglommenen Feuer, um die wunderliche Gruppen fest in ihre Decken eingehüllter menschlicher Gestalten und ganze Schaaren halbverhungerter Hunde gelagert waren.

Die Insassen dieses wilden Bivouaks schienen sich übrigens vollkommen sicher zu fühlen, oder der Wachsamkeit der ausgestellten Posten genugsam zu vertrauen, die nöthige Zeit der Ruhe nicht durch nutzlose Sorge zu unterbrechen oder zu stören. Nur hie und da hob Einer der Schläfer manchmal den Kopf, aus müden Augenlidern nach dem dämmernden Tag emporzuschauen und hüllte sich dann fester in seine Decke, die kalten Morgennebel von sich fern zu halten.

Da glitt eine dunkle, nackte Gestalt, mehr einem Schatten, als menschlichem Wesen gleich, am Ufer des Stromes herauf und durch die dichten Büsche hin dem Lager zu. Die Hunde hoben knurrend den Kopf, und drückten ihn winselnd wieder gegen ihre Weichen, als sie, mit einen Augenblick hochgehaltenen Nasen, den Bekannten gewittert. Dieser aber sprang mitten zwischen ihnen hin, zum nächsten Feuer, schürte die Brände zusammen, bis sie zu heller Glut emporloderten, und wärmte daran die halberstarrten nackten Glieder. Doch nur kurze Rast gönnte er sich an der wohlthuenden Glut. Sein rasch umhergeworfener Blick hatte bald das Rindendach des weißen Häuptlings unter den übrigen heraus gefunden, und zu diesem hinanschleichend, erfaßte er die dort ausgestreckte kräftige Gestalt Gentleman John's, und legte seine Hand auf dessen Schulter.

Im Nu fuhr der Buschrähndscher von seinem Lager empor, und die, in demselben Augenblick auch aufgegriffene und gespannte Pistole bewies deutlich genug, daß er die ganze Nacht doch nur »die Hand am Kolben« geschlafen.

»Bst!« flüsterte aber der Schwarze, den Finger warnend gegen ihn gehoben – »sie kommen!«

 

»Sie kommen? – wer?« rief John, sich wild die Haare aus der Stirn streifend.

»Die Weißen,« lautete die vorsichtige Antwort des Eingebornen. »Müssen die ganze Nacht bei Mondschein marschirt sein – sind oben am Fluß und eben dabei herüber zu kommen.«

»Und wie viele, Bukkul?« rief John, der erst jetzt in dem Alten seinen zum Kundschaften ausgesandten Schwiegervater erkannte.

»Tausend,« erwiderte dieser, mit dem Zahlwort, das in der Sprache der australischen Wilden eine unbestimmte, aber sehr große Anzahl bedeutet – »Tausend. Haben Pferde und Gewehre und viele rothe Jacken und blaue Jacken und lange Messer.«

»Alle Teufel!« brummte John leise vor sich hin, »das ist um vierundzwanzig Stunden zu früh, läßt sich aber jetzt nicht ändern. Die Burschen sollen uns wenigstens nicht unvorbereitet finden. Wecke die Deinen, Bukkul!«

Ein scharfer Pfiff, den er zugleich ausstieß, schallte gellend durch den stillen Wald und brachte im Nu die schlafenden Buschrähndscher auf die Füße. War es doch das Alarmzeichen ihrer Schaar, und die Bande sich der Gefahr, in der sie fortwährend schwebte, viel zu gut bewußt, die Warnung auch nur für einen Moment unbeachtet zu lassen.

Im Nu fuhren sie von ihren harten Lagern empor, und, ihre Taschen umgehängt, die Gewehre in ihren Händen, sammelten sie sich um ihren Führer, der indessen schon einige der jungen Leute von den Eingebornen ausgeschickt hatte, das Vorrücken der Feinde zu beobachten.

Gentleman John übrigens, so viel persönlichen Muth er auch selber besaß, fühlte doch viel zu gut das Mißliche seiner Lage, und war keineswegs blind genug, sich über das Gefährliche derselben auch nur einen Augenblick zu täuschen. Andere Kundschafter waren noch angekommen, deren Berichten nach sich die wider ihn ausgesandte Macht auf nahe an hundert Mann belief, und wenn er denen gegenüber leicht eine gleiche Zahl in's Feld stellen konnte, wußte er doch recht gut, daß er sich nicht einmal ganz fest auf seine weißen Cameraden verlassen durfte, während die Schwarzen bei der ersten Salve davon liefen, oder doch den sichern Busch zur Deckung suchten.

Außerdem konnte, von dem Versprechen freien Pardons und der goldenen Belohnung verblendet, selbst während des Kampfes leicht Einer der Seinigen sein Verräther werden, und ihrer aller Untergang wäre dann gewiß gewesen. Das ja ist das Unglück des Verbrechers, daß er Niemandem, selbst seinen Helfershelfern nicht mehr trauen darf, und in der ganzen Menschheit seinen Feind nur sieht. Auf einen gleichen Kampf mit der Polizei hätte er es deßhalb auch gern und rasch gewagt; die Verzweiflung stählt den Arm des Kämpfenden, und Verzweifelte waren es hier, denen selbst der Sieg nur eine Galgenfrist bieten konnte. Jetzt aber, wo er die Uebermacht auf Seiten seiner Feinde wußte, und der Arm eines einzigen Verräthers ihn leicht in ihre Hände, in die Hände des Henkers liefern konnte, mußte er sich den Rücken decken.

Rasch gab er deßhalb seine Befehle, einen kleinen Theil der Vorräthe in das versteckte Boot zu schaffen, während er die Schaar, auf die er sich am sichersten glaubte verlassen zu können, in die Nähe desselben, hinter eine rasch von herunter gebrochenen Zweigen und herzugewälzten Stämmen aufgeworfene Barricade postirte. Seine ganze Mannschaft theilte er dann in drei Trupps, die das Terrain nach besten Kräften benutzen und einander mit ihren Gewehren decken sollten. Solcher Art hoffte er den Ueberfall, der jeden Augenblick stattfinden konnte, wenigstens so lange aufzuhalten, bis er sein Boot flott und segelfertig hatte, und der breite, hier ziemlich rasch strömende Fluß mochte ihn dann der Freiheit entgegen führen.

Rasch und willig führten die Buschrähndscher selber die ihnen gegebenen Befehle aus, denn auch ihnen lag weit mehr daran, ihre Haut in Sicherheit zu bringen, als einen langen und ernsthaften Kampf mit den disciplinirten Gegnern zu bestehen. Mit mißtrauischen Blicken betrachteten dagegen die Schwarzen das eilige Instandsetzen des Bootes; denn rasch genug begriffen sie, daß ihre weißen Bundesgenossen dasselbe zur Flucht benutzen wollten. Das kleine Fahrzeug konnte aber, schwerbeladen wie es war, kaum diese alle aufnehmen, und was sollte da aus ihnen werden. Der weiße Häuptling, ihrem Stamm durch eine ihrer Töchter verwandt, durfte sie nicht verlassen, und doch traf er dazu jetzt alle Vorbereitungen.

Bukkul, Einer der Burkas oder Stammältesten, der Vater von Lloko, Gentleman John's Frau, wurde denn auch von seinem Stamm abgesandt, des Weißen Plan zu erfahren, und die erste Frage nur, die er an den schlauen Räuber richtete, warnte diesen vor der neuen auftauchenden Gefahr.

»Das Boot, Bukkul?« sagte John, »sollen wir das etwa den Rothjacken überlassen? und eben so all' das Brod und Fleisch, und den Brandy, der hier aufgehäuft liegt? – Wenn wir zurück müssen in den Busch, können wir doch nicht Alles auf unseren Schultern tragen, und wenn wir wieder hierher kommen, wollen wir wieder essen und trinken.«

»Und wohin will Johnny mit dem Boote gehen?« fragte der Alte.

»Wohin? – nirgendshin – nur den Fluß ein Stück hinab, bis dahin, wo uns die Rothjacken nicht im Sumpf und Schilf folgen können.«

»Und Du selbst gehst mit hinein?«

»Kann ich in's Boot?« rief der Buschrähndscher, »wo ich uns Alle hier vertheidigen muß?«

»Gut,« sagte Bukkul, »dann laß die Frauen und Kinder darin den Strom hinabschwimmen, wo sie die Kugeln der weißen Teufel8 nicht erreichen können. Lloko mag mit ihnen gehen und Bukkul wird dafür sorgen, daß das große Canoe gesichert bleibt.«

»Wenn ich Dich entbehren könnte, Bukkul,« erwiderte ausweichend John, »aber Du allein hast Ansehen bei deinem Stamm, und wenn Du fort bist, laufen Deine jungen Männer auch in den Busch, und lassen Johnny allein hier zurück, das Lager zu vertheidigen.«

»Und sollen die Frauen und Kinder in das große Canoe?« frug der Wilde.

»Nein,« sagte John nach einigem Zögern. »Sie sind sicherer im Busch. Wenn sie darin springen und schaukeln, drehen sie das Canoe um, und Alles was wir darin haben, wäre verloren.«

»Es ist gut,« sagte Bukkul finster, und schritt langsam zu den Feuern der Seinen zurück.

John sah ihm mit fest auf einander gebissenen Lippen nach, aber auf anderer Seite war seine Gegenwart zu nöthig, ihm lange Zeit zum Ueberlegen zu lassen.

Unter den Buschrähndschern selbst hatte sich nämlich ein Streit entsponnen, da ein Theil die ihm zugewiesenen Plätze nicht behaupten, und lieber mit den Uebrigen in der Nähe des Bootes bleiben wollte. Wer bürgte ihnen dafür, daß die Andern sie nicht im Stiche ließen; wußten sie doch recht gut, daß sie an deren Stelle das Nämliche gethan.

John war aber kaum unter sie getreten, den Streit zu schlichten, als gar nicht weit von dem Lager entfernt ein Schuß fiel, und gleich darauf Einer der Eingebornen seinen Speer schwingend zum Lager stürzte.

»Wahnsinnige!« schrie da John, den Augenblick benutzend. »Jetzt, wo der Feind im Begriff ist, uns von allen Seiten anzugreifen, streitet Ihr Euch wie Kinder um Eueren Platz im Kampf. An Euere Posten, oder beim Teufel, der Erste, der noch ein Wort der Gegenrede über seine Lippen bringt, stirbt von meiner Hand. Fort, Ihr da – hinüber hinter das Verhau – seht Ihr dort hinten die Rothjacken durch die Bäume schimmern? – Die sind ein treffliches Ziel und an denen laßt Eueren Grimm aus, so viel Ihr wollt.«

John hatte Recht. Schon konnten sie zwischen den schlanken und hohen Stämmen der Niederung hin die rothe Uniform ihrer Feinde hie und da vorschimmern sehen, und da die Buschrähndscher recht gut wußten, daß sie wenigstens den ersten Anprall der Gegner zurückweisen mußten, um freie Hand zu ihrer Flucht zu bekommen, folgten sie jetzt dem Befehl des Obern, der ihnen mit seinem Beispiel voranging. An den Kampf im Busch gewöhnt, und besonders hier mit jedem Vortheil, den ihnen der Boden gewährte, bekannt, hatten sie auch bald die erste mehr zum Recognosciren als zum wirklichen Angriff ausgesandte Abtheilung des Militärs in der Flanke gefaßt, und ihre Kugeln trafen und überraschten den Feind von allen Seiten.

8Der Name toh bedeutet in der Sprache einiger der Murraystämme zugleich Teufel und weißer Mann.