Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.

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„Später erzähle ich Ihnen einmal die ganze Geschichte, /54/ mein bester Hauptmann - jetzt wartet der Onkel und der Wein, und die vertragen alle beide keine Versäumniß."

VI.

Franz Kettenbrock, wie er mit dem wenigstens für jetzt beruhigten Hauptmann durch den Saal schritt, konnte es aber nicht entgehen, daß unter den bis dahin so steifen und förmlichen Gästen ein ganz reges Leben herrsche. Kaum war der Tanz beendet, als sich überall kleine Gruppen sammelten, und die Frau Steuerräthin, der junge Helmerdiek, wie die beiden Fräulein von Losenbrett und Bomershausen fuhren dazwischen hin und her und theilten den verschiedenen Parteien ihre Entrüstung über den Fremden mit, über den sie fest entschlossen waren, von Franz Kettenbrock genügende Auskunft zu verlangen. Die jungen Leute dagegen, die heimlich ihre herzinnige Freude an dem Zorn der älteren Damen hatten, standen ebenfalls in kleinen Trupps kichernd beisammen, und jedenfalls war das Eis gebrochen, das sonst derartige Gesellschaften mit seiner kalten, glatten Fläche überzieht.

Hobelmann, ein so ungeselliger Bursche er an und für sich auch sein mochte, hatte, wenn auch ganz unfreiwillig, die Laune der Anwesenden erweckt, und der alte Regierungsrath, bis dahin ohne die geringste Ahnung von der Ursache dieser freudigen Veränderung, traf mit einem innig vergnügten Gesicht, an der Thür des kleinen Cabinets, mit Franz und dem Hauptmann zusammen, schüttelte Beiden die Hände und versicherte ihnen, er wisse sich der Zeit nicht zu erinnern, wo er eine so lebendig bewegte Gesellschaft bei einander gesehen habe.

„Es geht auch heute in der That ungewöhnlich munter her," sagte der Hauptmann, „ich weiß selber nicht, wann ich's so gesehen hätte. Die jungen Damen kichern und lachen da mit einander, daß es eine wahre Lust ist."

„Was sie nur haben, die lieben Dinger," schmunzelte der /55/ Regierungsrath - „und Adele kenne ich heute gar nicht wieder, sie ist ganz ausgelassen, während Fränzchen ihre sonstige stille Rolle übernommen hat."

„Das arme Fränzchen haben sie mir geneckt," meinte der Hauptmann, „und daran ist Niemand weiter schuld, wie jener vertracte, ungeschickte Bursche, den uns der Franz heute über den Hals gebracht hat."

„Der Fremde?" rief der Regierungsrath erstaunt; „apropos, Junge, wo ist denn Dein Freund? Ich habe Dir doch gesagt, Du solltest ihn mit zum Weine bringen."

„Er läßt sich entschuldigen,, bester Onkel," erwiderte Kettenbrock. „Er kann das lange Aufbleiben nicht leiden und äst heimgegangen."

„Heim? - um elf Uhr schon? wäre nicht übel - und nicht einmal einen Imbiß angenommen. Doch es ist seine eigene Schuld und kein Mensch kann etwas dafür. Jetzt, Kinder, sollt Ihr aber noch vor der Tafel ein Gläschen Hauptwein kosten."

„Soll ich unsern jungen Doctor nicht dazu holen?" unterbrach ihn Franz.

„Den Helmerdiek?" sagte der Regierungsrath und warf seinem Neffen einen eigenthümlichen Blick zu, „ich fürchte beinahe, der hat schon zu viel Feuer im Kopf und der Hochheimer verdreht ihn mir ganz. Aber meinetwegen hol' ihn. Es scheint mir ein ordentlicher Mann zu sein, und ich mag ihn bis jetzt ganz wohl leiden." Der alte Herr war vortrefflichen Humors, und der kostbare Rheinwein diente nicht dazu, seine Laune herabzustimmen. Auch das bald servirte Souper wurde heiter belebt. Hobelmann aber, danach zu urtheilen wie man von ihm sprach, war gerade zur rechten Zeit verschwunden. Am ärgsten wüthete die Steuerräthin gegen den Grafen Hobelmann, und nur die Königin von Birma, durch die unterschriebenen zehn Louisd'or geblendet, nahm einigermaßen seine Partei.

Aber selbst Herrn Hobelmann vergaß man, als nach der Tafel die Tische bei Seite geschoben wurden und die lockenden Töne der Instrumente das junge Volk zu neuem Tanze riefen. /56/

Die Frau Commerzienräthin allein behielt den „Grafen" auch nach aufgehobener Tafel noch im Gedächtniß, und in der natürlichen Sorge, die gezeichnete Summe baar in ihre Kasse „für die armen Heidenkinder" zu bekommen, bat sie den jungen Kettenbrock um die versprochene Adresse. Franz suchte ihr anfangs auszuweichen, aber sie ließ nicht nach, und um die Sache nicht weiter zu treiben und etwa gar an die Öffentlichkeit zu bringen, was ihm seines Onkels wegen fatal gewesen wäre, gab er ihr endlich einen andern Stadttheil mit irgend einer beliebigen Hausnummer an. Dadurch glaubte er sich vollkommen dagegen gesichert, daß sie den Grafen Hobelmann etwa auffände, und setzte sie ihn später selber über die nicht erfüllte Verbindlichkeit zur Rede, so ließ sich wohl ein Ausweg finden, den Grafen vorläufig zu entschuldigen und die Sache hinauszuschieben. Franz Keltenbrock kannte jedoch, in Allem was ihre „milde und heilige Stiftung" betraf, die Hartnäckigkeit der Frau Commerzienräthin noch nicht.

Herr Hobelmann war indessen von dem ihm beigegebenen Diener durch den Garten aus dem Haus und auf einem kleinen Umweg bis zum Markt geführt worden, wo sich der würdige Mann bald orientirte, seinem Führer ein kleines Trinkgeld gab und, sehr zufrieden mit der Benutzung seines Abends, eben der eigenen Wohnung zugehen wollte. Der Bursche hatte sich aber auf eigene Hand das Vergnügen gemacht, ihn wieder nach vorn, genau vor das Haus zu führen, das er vor einer Viertelstunde etwa durch die Hinterthür verlassen, und die hell erleuchteten Fenster wie die Musik fielen Herrn Hobelmann auf.

„Wer wohnt da, wo die Musik ist?" frug er den Bedienten.

„Der Herr Regierungsrath Kettenbrock, zu dienen."

„Hm - Kettenbrock? - Kettenbrock? - hat auch Ball?" - sagte Herr Hobelmann, dem der Name auffiel.

„Sein Neffe ist nach langer Abwesenheit zurückgekommen, und da wird ein kleines Familienfest gefeiert."

„So? - hm - na gute Nacht," und mit den Worten kehrte sich Herr Hobelmann ab und schlenderte der Richtung /57/ zu, in der er jetzt sein eigenes Quartier wußte. Der Bediente aber blieb noch kurze Zeit vor der hell erleuchteten Etage des Regierungsraths stehen, und erst als der Fremde um die nächste Ecke verschwunden war, nahm er seinen Schlüssel aus der Tasche, öffnete still vor sich hinlachend die Thür und tauchte ebenfalls in das Innere des Hauses ein.

Herr Hobelmann, mit keiner Ahnung übrigens, welchen Zwecken er den Abend gedient haben könnte, schlief die Nacht ganz ausgezeichnet, und erwachte am nächsten Morgen etwas später als sonst für seine Geschäfte. Um neun Uhr brütete er aber doch schon wieder über einem tüchtigen Stoß Acten, und ging erst im Laufe des Nachmittags aus, um eine Stunde lang frische Luft zu schöpfen.

Um Yvenburg ringelte sich eine sehr hübsch arrangirte und gut unterhaltene Promenade, die Vorstädte von der eigentlichen Stadt trennend und den in ihre hohen Häuser eingeengten Städtern Luft, Licht und Schatten gewährend. Schmale Wege zogen sich, hier in einander laufend, dort wieder nach verschiedenen Richtungen auszweigend, neben einander hin und wurden an schönen Abenden von den Bewohnern von Yvenburg auf das Lebhafteste frequentirt.

Hobelmann hatte übrigens andere Dinge im Kopf, als sich viel um die ihm fremden Bewohner von Yvenburg zu bekümmern. Deshalb, die Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf etwas gesenkt, war er schon eine ganze Weile achtlos dahingeschritten, als er plötzlich mit einer ihm gerade entgegenkommenden Dame fast zusammenrannte. Wie er aber den Kopf hob, sah er sich Auge in Auge mit der Frau Steuerräthin, die ihn kaum erkannte, als sie ihm einen majestätischen Blick der Verachtung zuschleuderte und dann vorüberrauschte.

Im ersten Moment, und in dem Gefühl ein bekanntes Gesicht vor sich zu haben, griff Herr Hobelmann nach seinem Hut; im folgenden Augenblick aber, als mit der Erinnerung an gestern Abend die Gestalt der Dame Form und Namen erhielt, erschrak er ordentlich.

Jene ungarische Gräfin, die sich für eine Steuerräthin hielt, auf offener Straße? - Jedenfalls hatte sie also gestern Abend eine unbewachte Gelegenheit wahrgenommen und war /58/ entsprungen - in dem Kleiderstaat, den sie auch heute trug, konnte sie recht gut gerade vom Balle kommen - und Herr Hobelmann blieb im ersten Augenblick, vollkommen unschlüssig über das, was er thun solle, stehen und sah ihr nach. Sein Gefühl für bürgerliche Sicherheit und Gerichte ließ ihn aber nicht lange in Zweifel, und die Frau Steuerräthin, die es sich nicht versagen konnte zurückzuschauen, ob der „freche Graf" durch den ihm zugeschleuderten Blick auch wirklich vernichtet sei, bemerkte zu ihrem unbegrenzten Erstaunen, daß er umdrehe und ihr folge. - Wollte er sie anreden? - ha, er sollte nur kommen, - sie fühlte sich gerade in der Stimmung, ihm mit kalten, dürren Worten zu sagen, wie sehr sie ihn geringschätze.

Obgleich sie sehr langsam ging, überholte sie aber der vermeintliche Graf doch nicht, sondern blieb in gleicher Entfernung hinter ihr, und als sie eine an ihr vorbeigehende Dame benutzte, den Kopf zurückzuwenden, sah sie sogar, daß der Unverschämte mit einem gerade dort stehenden Polizeidiener sprach und auf sie deutete.

Der liebe Gott nur weiß, weshalb sie dabei so erschrak, aber sie wurde leichenblaß, und war sie früher langsam gegangen, so verdoppelte sie jetzt ihre Schritte, dem verhaßten Menschen zu entkommen. Der Polizeidiener blieb aber nicht allein hinter ihr, sondern überholte sie sogar, und als er an ihr vorüberging, als ob er irgend ein anderes Ziel verfolge, drehte er sich nach ihr um und sah ihr in's Gesicht - dann ging er wieder langsamer, ließ sie vorbei und hielt sich nur in ihrer Nähe.

Herr Hobelmann dagegen, der jetzt glaubte seiner Pflicht genügt zu haben, indem er die Polizei auf ein der Gesellschaft gefährliches Individuum aufmerksam gemacht, zugleich aber auch mit der Sache weiter nichts zu thun haben mochte, drehte wieder um, um seinen vorhin begonnenen und durch die Steuerräthin unterbrochenen Weg fortzusetzen. Er hatte die Dame auch in der That schon beinahe vergessen, als er auf eine so eigenthümliche als wirksame Art auf's Neue an sie erinnert wurde.

 

„Ach, mein lieber Herr Graf," redete ihn eine ältliche /59/ Dame in einem mit großen Blumen besäeten Hut und in größte Toilette gekleidet an, indem sie auf ihn zutrat und, als er an ihr vorbeischlüpfen wollte, seinen Arm berührte, „das ist ja ein sehr glücklicher Zufall, der mich Sie hier finden läßt. Mein Mädchen ist heute Morgen nach dreistündigem Umherlaufen nach der mir von Franz gegebenen Adresse nicht im Stande gewesen, Sie aufzufinden. - Auch auf der Polizei war es nicht möglich, den Herrn Grafen zu erfragen, und ich wollte mir eben noch einmal Ihre richtige Adresse geben lassen."

„Die Königin von Birma!" dachte Hobelmann erschreckt. „Gleichfalls ausgekniffen? Die beiden Frauenzimmer müssen zusammen davongelaufen sein - das ist wirklich eine schöne Aufsicht in der Anstalt."

„Sie kennen mich am Ende gar nicht mehr?" lächelte die Frau Commerzienräthin, als sie sein bestürztes Gesicht bemerkte.

„Oh, ja wohl, Majestät," sagte Herr Hobelmann, noch unschlüssig ob er die Unglückliche sofort in Person festhalten und um Hülfe rufen, oder sie ebenfalls - wie vorhin die ungarische Gräfin - ungesehen verfolgen und dem ersten ihm begegnenden Polizeidiener anempfehlen solle. Natürlich mußte er nur jetzt noch, so lange sie in Freiheit war, auf ihre vermeintlichen Ideen eingehen. „Ich werde so leicht die Ehre nicht vergessen, bei Ihnen Audienz erhalten zu haben."

„Ja - um's Himmels willen," sagte die Frau Commerzienräthin erschreckt, „für wen - für wen halten Sie mich denn?"

„Majestät können, wenn Sie nicht erkannt sein wollen," sagte Herr Hobelmann, der das Erstaunen ganz falsch verstanden, „auf meine volle Discretion rechnen."

„Der Graf ist verrückt geworden; er ist rein übergeschnappt," dachte die bestürzte Dame und wollte sich schon mit einer Verbeugung zurückziehen - aber die zehn Louisd'or konnte sie doch nicht im Stiche lassen, und mit nur etwas ängstlicher Stimme sagte sie:

„Sie erinnern sich doch, daß Sie gestern Abend so freund-/60/lich waren, eine kleine Summe zum Besten der heidnischen Waisen zu unterschreiben?"

„Allerdings," erwiderte Herr Hobelmann ohne den mindesten Rückhalt, denn ein Widerspruch hätte ihm hier auf der Straße eine heftige Scene bereiten können - „mit dem Wunsche, daß das Geld segensreiche Früchte tragen möge."

„Er ist doch am Ende nicht verrückt," sagte sich die Frau Commerzienräthin. „Um Ihre werthe Adresse dürfte ich Sie dann wohl bitten," fügte sie laut hinzu, „wenn Sie das Geld nicht gerade bei sich haben sollten."

„Hm," dachte Herr Hobelmann - „so viel Verstand besitzt sie doch, daß sie das nicht vergessen hat. Geld kann sie aber nicht bekommen, lieber halt' ich sie mit der Adresse hin."

„Majestät," sprach er also, „Geld habe ich im Augenblick in der That nicht bei mir, die Adresse steht Ihnen aber mit Freuden zu Befehl, und es wird mir eine Ehre sein, dieselbe von Ihnen einzulösen."

„Er ist doch verrückt," dachte die Commerzienräthin - „wenn ich nur erst meine zehn Louisd'or von ihm hätte." Dabei nahm sie die ihr gereichte Karte, dankte Herrn Hobelmann und suchte so rasch als möglich aus der ihr unheimlich werdenden Nähe des Mannes zu kommen. Kaum war sie aber ein paar Schritte von ihm entfernt, als sie auch einen verstohlenen Blick auf die Karte warf, und zu ihrem Erstaunen dort keinen Grafentitel, sondern nur die einfachen Worte las:

G. Hobelmann,

Advocat und Notar,

und darunter war mit Bleistift geschrieben:

Nr. 17, Ecke der Kreuzgasse und Neuen Straße.

Wie hing das zusammen? - Aber es ließ sich auch erklären: das G. vorn bedeutete den Grafen, verschwieg aber den Rang, weil sich derselbe nicht wohl mit der Beschäftigung eines Advocaten vertrug. Was aber hatte ihn so zurückgebracht, daß er sich sein Brod mit einer seinem Rang so wenig entsprechenden Berufsart verdienen mußte? Und war er zurückgekommen, wie konnte er da, ächt gräflich, zehn Louisd'or für einen wohlthätigen Zweck unterschreiben? - Sie warf einen noch immer zweifelhaften Blick über ihre Schulter /61/ nach dem räthselhaften Grafen zurück und sah jetzt, daß er stehen geblieben war und ihr nachschaute. Aber wenn er kein Geld bei sich hatte, konnte ihr auch seine Person nichts nützen. Sie besaß ja nun seine richtige Adresse und er war ihr gewiß.

Hobelmann übrigens folgte ihr, wie sie sich abdrehte, gerade so wie der Steuerräthin, um sie ebenfalls sicheren Händen zu überliefern, als er plötzlich durch eine neue Erscheinung zurückgehalten wurde. Auf dem andern Gang nämlich kam eine ganze Gesellschaft lachend und scherzend heraus, und als er einen flüchtigen Blick hinüberwarf, wollte er seinen eigenen Augen nicht mehr trauen. Vor sich nämlich sah' er die beiden hübschen jungen Mädchen von gestern Abend - mit der Einen hatte er selber getanzt - sah er außerdem jenes Fräulein von Losenbrett, die ihnen die entsetzlichen Gedichte vorgelesen, und noch eine andere Dame, auf deren Namen er sich nicht gleich besinnen konnte. Daß sie aber mit in die Anstalt gehöre, hätte er beschwören können, und zum Ueberfluß ging der junge unbändige Mensch, vor dem ihn sein Führer besonders gewarnt hatte, mit ihnen. Dieser Irrsinnige lachte und erzählte und that gar nicht, als ob er jeden Augenblick beim Kragen genommen und wieder zurück unter Schloß und Riegel geschafft werden könne.

Aber war denn das ganze Irrenhaus heute ausgebrochen? Denn daß man solchen Leuten gestattete frei umher zu gehen und ihre Mitmenschen zu gefährden, ließ sich doch nicht denken. Fast unwillkürlich nahm er auch den Hut vor der Gesellschaft ab, die ihn ebenfalls erkannte, und schritt rasch vorüber. - Die Königin von Birma hatte er ganz vergessen.

„Das ist eine wunderliche Geschichte," brummte er in sich hinein. „Kein Gefangenwärter, kein Polizeidiener in der Nähe, und hier auf öffentlicher Promenade ein ganzer Trupp von Wahnsinnigen, - Aber was kümmert es eigentlich mich? Wenn sich Die, die es angeht, nicht daran kehren, brauch' ich mir auch keine Sorge weiter deshalb zu machen. Der alte Medicinalrath mag aber eine schöne Nase bekommen, wenn die Sache ruchbar wird."

In solchen Gedanken und ganz mit den eben gesehenen /62/ Leuten beschäftigt, blieb er endlich stehen, als diese an ihm vorbeigegangen waren, und wußte jetzt wirklich nicht, was er thun solle: nach Hause gehen und sich weiter gar nicht um das Geschehene kümmern, oder die Flucht der Wahnsinnigen anzeigen. Gerade aber war er mit sich im Reinen, das erstere zu befolgen, als ein langer, breitschultriger Herr mit einem großen Schnurrbart auf ihn zukam und sagte:

„Apropos, mein Herr, Sie treffe ich hier zur guten Stunde."

„Ich weiß nicht, daß ich das Vergnügen hätte, Ihre werthe Bekanntschaft -" stammelte Herr Hobelmann, von der rauhen Anrede verblüfft.

„Wir waren gestern Abend zusammen in Gesellschaft beim Regierungsrath Kettenbrock," unterbrach ihn aber der mit dem Schnurrbart, „und dort hatten Sie die Unverschämtheit, mir, als Sie gingen, nachdem Sie fast alle Damen der Gesellschaft beleidigt, einen Thalerschein in die Hand zu drücken. Herr, für wen halten Sie mich?"

Bei diesen Worten nahm der Ergrimmte das sorgfältig aufbewahrte Papier aus der Tasche und hielt es dem bestürzten Herrn Hobelmann unter die Nase.

Herr Hobelmann wollte eben dagegen protestiren, daß er je in einer Gesellschaft bei einem Herrn Kettenbrock gewesen wäre, als er die Persönlichkeit, den langen Mann mit dem großen Schnurrbart, wieder erkannte. Vor der trotzigen Anrede und dem finstern Blick übrigens einen Schritt zurückweichend, sagte er freundlich:

„Sehr verehrter Herr, es ist mir außerordentlich beruhigend, daß ich Sie gerade jetzt, und jener Gesellschaft folgend, treffe. Was übrigens den Kassenschein betrifft, so hatte ich nicht die entfernteste Absicht, Sie zu beleidigen, sondern wollte Ihnen nur, als dem Krankenwärter der Anstalt, ein Trinkgeld geben. Heute scheinen indessen alle Ihre Kranken -"

„Herr, sind Sie verrückt?" unterbrach der Hauptmann den Andern, indem er ganz bleich vor Wuth wurde. „Aber diesen Schimpf sollen Sie mit Ihrem Blute bezahlen. Ich ein Krankenwärter? - Tod und Teufel Wo ist Ihre Wohnung. Herr?"

„Aber ich begreife Sie nicht -" /63/

„Wo ist Ihre Wohnung, Herr - geben Sie mir Ihre Karte, oder Sie reizen mich, etwas zu thun, das ich später vielleicht bereuen würde," flüsterte der Hauptmann, und Herr Hobelmann bemerkte zu seinem Schrecken, wie der Fremde vor verhaltener Wuth förmlich blau im Gesicht geworden war. Von einem so entsetzlich aufgeregten Menschen ließ sich das Schlimmste erwarten, und um nicht auf offener Promenade angefallen zu werden, gab er ihm rasch die verlangte Karte. Damit hatte er aber auch jeder Anforderung, die der Beleidigte in diesem Augenblick an ihn stellen konnte, genügt, und der Hauptmann sagte, indem er ihm verächtlich den Rücken wandte:

„Sie werden heut Abend von mir hören, da - nehmen Sie!" - und mit den Worten, indem er dem bestürzten Herrn Hobelmann seine eigene Karte und den Papierthaler in die Hand drückte, schritt er, ohne den verdutzten Advocaten weiter eines Blickes zu würdigen, die Promenade eilig hinab. Herr Hobelmann aber sprach bestürzt vor sich hin:

„Wenn der nicht toller ist, wie irgend Einer der seiner Zucht anvertrauten Patienten, so will ich selber dort eingesperrt werden. Jetzt aber habe ich die Geschichte satt, und bis die ganze Bande nicht wieder eingefangen ist, setze ich keinen Fuß mehr vor die Thür."

Damit bog er seitwärts der Stadt zu und in eine kleine Seitenstraße ein, und eilte so rasch er konnte seiner Wohnung zu.

VII.

Dort angekommen, suchte er aber unverzüglich seinen Wirth, den Geheimrath von Pottlitz, aus, um diesem die Begebnisse des letzten Abends und heutigen Tages zu erzählen und ihn um seinen Rath zu fragen, wie er sich dabei zu verhalten habe. Der alte Herr hörte ihm aufmerksam zu, schüttelte dabei erst langsam, dann jedoch immer bedenklicher mit dem /64/ Kopfe, und sagte endlich, als Herr Hobelmann fertig war und ihn erwartungsvoll ansah:

„Hören Sie, mein guter Herr Hobelmann, das ist eine höchst wunderliche Geschichte, die Sie mir da erzählen. Vor allen Dingen möchte ich Ihnen aber Eins bemerken. Wir haben hier allerdings ein Irrenhaus, eine Privatanstalt, aber eine gute Stunde von der Stadt entfernt und weit außerhalb des Droschkenbezirks. Sind Sie gestern Abend dort gewesen?"

„Gott bewahre," sagte Herr Hobelmann, „die Anstalt muß in der unmittelbaren Nähe der Stadt liegen, oder vielmehr in der Vorstadt da drüben. Wir sind keine zehn Minuten gefahren, und ich bin den Weg dann in nicht ganz einer Viertelstunde zurückgegangen."

„Und bei wem sagte Ihr vermeintlicher Krankenwärter, daß sie einander gestern Abend in Gesellschaft begegnet wären?"

„Der faselte von einem Regierungsrath Kettenbork oder Kettenbrock."

„Und wer hat Sie in jene Anstalt eingeführt?"

„Ein junger Mann, ein gewisser Doctor Franz, ein Neffe des alten Obermedicinalraths. Er nannte ihn auch Onkel."

„Und die ganze Gesellschaft haben Sie heut Abend auf der Promenade getroffen?"

„Die ganze Gesellschaft allerdings nicht, aber wenigstens sechs oder sieben Personen davon."

„Soll ich Ihnen jetzt meine Meinung sagen?"

„Ich bitte Sie darum."

„Gut. Jener Herr Doctor Franz hat sich einen, allerdings ziemlich derben Spaß mit Ihnen erlaubt und Sie in eine ganz vernünftige, gewöhnliche Abendgesellschaft gebracht, unter dem Vorwände Sie in ein Irrenhaus zu führen."

„Aber das ist nicht möglich!" rief Herr Hobelmann entrüstet aus. „Die Königin von Birma -"

„Erlauben Sie mir," unterbrach ihn der alte Geheimrath. „Wir haben hier in der Stadt eine mit Kettenbrocks sehr befreundete und, wenn ich nicht irre, auch verwandte /65/

Dame, eine Commerzienräthin Brummer, die in der ganzen Stadt herumläuft und für die Heidenkinder in Birma Collecten sammelt. Ihre ganze Beschreibung paßt auf die Dame ausgezeichnet."

„Aber das ist ja gar nicht möglich!" rief Herr Hobelmann.

„Ebenso findet sich eine Frau Steuerräthin Fischbach, die dort aus- und eingeht und verwandt mit Kettenbrocks ist."

„Bei voller Vernunft?"

„Ich möchte Ihnen wenigstens nicht rathen, sie ahnen zu lassen, daß Sie das Gegentheil vermuthen."

„Aber meine Steuerräthin soll eine ungarische Gräfin sein?"

„Unsinn! Ihr „Doctor Franz" hat Ihnen das mit dem Uebrigen aufgebunden. Wenn Sie am Ende wirklich gestern Abend unter solchen Auspicien bei Kettenbrocks in Gesellschaft gewesen wären, so erführ' es heute die ganze Stadt und Sie würden zum Gespött der Leute."

 

„Kettenbrocks - unmöglich!" sagte Herr Hobelmann; „wie wir auf den Markt kamen, sah ich eine erleuchtete Etage und hörte Musik und frug den Diener, der mich geführt hatte, wer da wohne, und der sagte mir, wie ich mich jetzt recht genau entsinne, daß ein Ball bei Kettenbrocks sei."

„Dann begreif' ich nicht, wo Sie gewesen sein können," erwiderte kopfschüttelnd der Geheimrath. „So viel aber ist sicher, in einer Irrenanstalt waren Sie nicht, sondern bei ganz vernünftigen Leuten. Auch wer Sie zur Zielscheibe seines Witzes gemacht haben kann, ist mir ein Räthsel, denn so viel ich weiß, kennen Sie ja noch keine Seele in der Stadt."

„Es ist ein Bedienter draußen, der den Herrn Hobelmann zu sprechen wünscht!" meldete in diesem Augenblick das Dienstmädchen, das den Kopf zur Thür hereinsteckte.

„Mich?" sagte Herr Hobelmann erschreckt.

„Ja, ich weiß es nicht," versetzte das Mädchen - „er trug nach einem Herrn Grafen Hobelmann und zeigte mir die Karte hier." /66/

„Das ist von der verrückten Gesellschaft," rief der Advocat bestürzt. „Sie nannten mich dort Graf."

„Dann lassen Sie den Diener hereinkommen," sagte der Geheimrath. „Wahrscheinlich erfahren wir jetzt, woran wir mit der ganzen Sache sind."

Der Bursche trat ein und überreichte dem die Hand danach ausstreckenden Geheimrath ein Papier - die Herrn Hobelmann nur zu gut bekannte Subscriptionsliste vom gestrigen Ball - auf der dessen Autograph unleugbar mit zehn Louisd'or verzeichnet stand.

„Haben Sie das geschrieben?" fragte ihn der Geheimrath.

„Allerdings," sagte Herr Hobelmann, - „aber -"

„Erlauben Sie einmal," unterbrach ihn jedoch der Geheimrath - sich dabei an den Diener wendend, der indessen einen Bleistift aus der Tasche genommen hatte, um augenblicklich nach empfangener Zahlung das Dedit-Zeichen an die Liste zu machen - „wo war die Frau Commerzienräthin gestern Abend in Gesellschaft, mein Freund?"

„Beim Regierungsrath Kettenbrock," sagte der Mann.

„Es war große Gesellschaft dort?"

„Ja - wurde auch getanzt - der junge Herr Franz, der Neffe des alten Herrn, ist vor ein paar Tagen von Amerika zurückgekommen, und da -"

„Franz?" unterbrach ihn rasch Herr Hobelmann - „ein junger Mann mit einem leichten Schnurrbart und etwas brauner Gesichtsfarbe?"

„Gewiß," sagte der Bediente, der mit bei Kettenbrocks aufgewartet hatte, „Sie kennen ihn ganz gut, Herr Graf - Sie sind ja gestern den ganzen Abend mit ihm im Saal herumgegangen."

Herr Hobelmann wäre fast auf seinen Stuhl zurückgesunken, von Pottlitz aber sagte:

„Der alte Regierungsrath ist sein Onkel - und dieses Haus gehörte früher ihm. Erst vor einem halben Jahre etwa habe ich es ihm abgekauft und bin hierher gezogen."

„Und der Neffe ist vor zwei oder drei Tagen Morgens ganz früh eingetroffen?"

„Ja wohl," sagte der Bediente - „er hatte den alten /67/ Herrn überraschen wollen, und war erst in ein falsches Haus gekommen. Die Frau Commerzienräthin erzählte die Geschichte."

„Hm," sagte Herr Hobelmann, ganz in Gedanken, indem er eine Visitenkarte aus seiner Westentasche nahm und dem Bedienten vorhielt, „können Sie mir dann auch vielleicht sagen, wer der Herr ist, dessen Name darauf steht?"

„Sehr gern," erwiderte der gesprächige Bursche - „der Herr Hauptmann von Stimbeck - sein Bruder hat eine Schwester des Herrn Regierungsraths geheirathet, und die Herrschaften leben in Berlin."

„Danke Ihnen," sagte Herr Hobelmann, indem er die Karte wieder einsteckte und die Subscriptionsliste zusammenfaltete. „Wollen Sie einen Augenblick warten? - ich werde Ihnen ein paar Zeilen für die Frau Commerzienräthin mitgeben."

„Was wollen Sie thun?" frug der Geheimrath erstaunt.

„Ich bin gleich wieder bei Ihnen," sagte aber Herr Hobelmann und verließ das Zimmer. Nach einigen Minuten schon kehrte er jedoch mit einem kleinen Brief zurück, den der Bediente aber noch unschlüssig in der Hand behielt, denn er hatte den festen Auftrag bekommen, nicht ohne das unterschriebene Geld zurückzukehren.

„Die Anweisung liegt in dem Briefe," sagte der Advocat ruhig - „meine schönste Empfehlung an die Frau Commerzienräthin."

„Sie haben das Geld geschickt?" fragte Herr von Pottlitz, als der Bediente das Zimmer verlassen hatte, um zu seiner Herrin zurückzukehren.

„Ist mir nicht eingefallen," erwiderte Herr Hobelmann.

„Die Frau Commerzienräthin wird Ihnen kaum Ruhe lassen."

„Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Geheimrath," nahm jetzt mit fast feierlicher Stimme Herr Hobelmann das Wort. „Unsere Geschäfte find so weit abgewickelt, daß wir das Uebrige recht gut schriftlich erledigen können."

„Sie wollen fort?"

„In einer Stunde geht der Schnellzug nach Berlin, und /68/ den gedenke ich zu benutzen," erwiderte auf das Entschiedenste Herr Hobelmann.

„Aber was um Gottes willen -"

„Erlauben Sie mir," unterbrach ihn Herr Hobelmann, „ich durchschaue die ganze Sache und bin keinesfalls gewillt, der Gesellschaft hier zum Gespött zu dienen. Diesen Herrn Franz Kettenbrock kaufe ich mir vielleicht ein ander Mal, denn er ist derselbe Bursche, der mir aus Versehen neulich Morgens früh in's Zimmer gebrochen -"

„Sie glauben?"

„Ich weiß es gewiß, und der aus Aerger, daß ich ihn so hart abgefertigt, mir diesen Streich gespielt hat. Das aber ganz abgerechnet, daß ich eine höchst unangenehme Rolle dort gespielt, käme ich, bliebe ich hier, nicht allein in die Verlegenheit die zehn Louisd'or zu bezahlen, sondern könnte mich auch noch zum Ueberfluß mit Herrn Hauptmann von Stimbeck schlagen, der die größte Lust zu haben scheint, mir an den Kragen zu kommen."

„Aber was in aller Welt haben Sie mit dem gehabt?"

„Nur eine Kleinigkeit, die ich Ihnen aber jetzt nicht mehr auseinandersetzen kann, denn ich muß meinen Koffer packen."

„Und der Brief an die Frau Commerzienräthin?"

„Enthielt eine Anweisung an Herrn Franz Kettenbrock vom „Grafen Hobelmann", wie er so freundlich war mich in jener Gesellschaft einzuführen, jene zehn Louisd'or für die heidnischen Unterröcke und Strümpfe auszuzahlen. Ich bin nicht solch ein Esel, mein gutes Geld an derlei Unsinn wegzuwerfen."

„Er wird sich weigern."

„Dann mag er es mit der Frau Commerzienräthin ausfechten. Ueberdies war die Sache ein Betrug, und ich könnte ihn dafür gerichtlich belangen."

„Mein bester Herr Hobelmann -"

„Fürchten Sie nicht, daß ich solch ein Thor bin," sagte aber der Advocat, „Herr Kettenbrock würde die Lacher aus seiner Seite haben. Uebrigens mag er für den Spaß jetzt zehn Louisd'or bezahlen, denn wie ich die Frau Commerzienräthin kennen gelernt habe, glaube ich nicht, daß sie nachgiebt, /69/ bis sie das Geld in Händen hat. Ich wollte nur, ich hätte zwanzig unterschrieben."

Der Geheimrath lachte; Herr Hobelmann war aber in keiner Stimmung, sich einer gleichen Fröhlichkeit hinzugeben, sondern verließ rasch das Zimmer, um sein Gepäck in Ordnung zu bringen, und eine halbe Stunde später - zum unbegrenzten Erstaunen des Dienstmädchens über die so plötzliche Abreise, das Haus. Er war auch nicht um viel Minuten zu früh gegangen, denn gleich nachher kam der Bediente der Frau Commerzienräthin noch einmal, und am spätern Abend erschien ein fremder, militärisch aussehender Herr, der ebenfalls nach Herrn Advocat Hobelmann fragte, aber jetzt, der Anordnung nach, bedeutet werden mußte, daß der Herr - auf unbestimmte Zeit verreist sei.

VIII.

„Hör' einmal, Franz," sagte der Regierungsrath Kettenbrock am nächsten Tag zu seinem Neffen, als er mit ihm und seinen beiden Nichten bei Tische saß, „was ist denn das für eine Geschichte mit Deinem Grafen Hobelmann oder Herrn Hobelmann? - Ich werde aus dem Allen nicht klug, und die Frau Steuerräthin und Fräulein von Losenbrett, der Hauptmann, Dein Freund, der Doctor, und jetzt sogar auch noch die Frau Commerzienräthin laufen mir das Haus ein, um sich theils über den Menschen zu beklagen, theils sich nach ihm zu erkundigen. Die Frau Commerzienräthin war sogar vor einer Stunde hier und wollte von Dir zehn Louisd'or für ihn haben."