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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika

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Don Guzman mahnte endlich zum Aufbruch – es war Mitternacht schon vorüber, und da die drei Männer ziemlich einen Weg hatten, verließen sie zusammen Mr. Newlands gastliches Dach und wanderten die stille, menschenleere Straße noch lachend und erzählend hinauf, während hinter ihnen die Wächter ihren scharfen Pfiff ertönen ließen18 und die einsamen, stillen Häuserreihen allein den Ausbruch ihrer lauten Fröhlichkeit wiedertönten.

8
Die Entdeckung

»Aber wissen Sie, liebster Don Gaspar,« sagte endlich der Argentiner, als sie an einer der Querstraßen-Ecken, wo dieser von ihnen Abschied nehmen mußte, stehn geblieben waren, das begonnene Gespräch erst zu beenden – »wissen Sie, für was ich Sie heute Abend einmal eine ganze Weile gehalten habe?« —

»Nun, Señor?« lachte der Spanier – »doch nicht etwa für den Bösen selber, der sich in Menschengestalt einen kleinen Spaß mache und nach Seelen angele, doch nicht für den Feind?« —

»Nein,« sagte Don Guzman lachend. —

»Oder für einen spanischen Spion, der vom Mutterlande herüber geschickt wäre, sich der Colonien wieder zu versichern?«

»Auch nicht,« lautete die Antwort, »noch schlimmer« —

»Noch schlimmer als Teufel oder Spion?« lachte Don Gaspar, »das ist schmeichelhaft – und für was sonst noch?«

»Für den entsprungenen Tollen!« rief Don Guzman, und Alles, was er noch weiter sagen wollte, erstarb in dem schallenden, dröhnenden Gelächter des Spaniers, der sich gar nicht wieder zufrieden geben konnte. —

»Aber ich versichere Sie, bester Don Gaspar!« —

»Hahahahaha!« – donnerte das dröhnende Lachen dazwischen.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich« —

»Hahahahaha!« —

Der Argentiner mußte zuletzt selber mit in das Lachen einstimmen, und anstatt dem Spanier den Grund solchen Verdachtes anzugeben, wie er es im Anfang beabsichtigt, jetzt nur auf seine Vertheidigung sinnen und sich entschuldigen, einen solchen Fehlgriff begangen zu haben. Eine kurze Weile plauderten dann die Männer noch mit einander, und wünschten sich dann eine gute Nacht, vorher aber lud Don Guzman die beiden Freunde noch auf das Herzlichste ein, ihn recht bald einmal ebenfalls zu besuchen, was sie ihm auch fest versprachen.

Don Guzman betrat gleich darauf sein Haus und Don Gaspar und Leifeldt wanderten dem ihrigen, beide jetzt still und schweigend, zu.

Leifeldt hatte überhaupt während der ganzen letzten, so laut und munter geführten Unterhaltung, nicht ein Wort gesprochen – es fing ihm an peinlich zu werden, ihre Flucht von Buenos-Ayres erwähnen zu hören, und wenn er auch für sich selber nicht die geringsten bösen Folgen zu fürchten brauchte, hätte er sich hier, in der Stadt zu jenem Fall bekannt, war ihm doch die ganze Sache fatal, und er begriff Don Gaspars Leichtsinn und Fröhlichkeit in dieser Hinsicht nicht. Auch sein falscher Name fing ihm an drückend zu werden und er wußte nur nicht jetzt, wie ihn abzuschütteln, ohne denen, an deren Meinung ihm etwas gelegen, in einem falschen Lichte zu erscheinen.

Zu diesem kam noch der Entschluß, der in seiner Seele kämpfte, Licht und Erklärung selber von dem Freund, die Geliebte betreffend, zu erhalten, ein Entschluß, gegen den er noch immer in seinem Innern ankämpfte, der sich ihm aber mit jeder Minute auch als immer dringender werdende Nothwendigkeit aufdrängte.

So erreichten sie ihre Wohnung, Jeder in seinen Gedanken vertieft und ohne auch nur eine Silbe weiter mit einander zu wechseln, und während Leifeldt mit untergeschlagenen Armen rasch in dem kleinen Gemach auf- und abging, hatte sich Don Gaspar in die eine Ecke des Sophas geworfen und starrte mit zusammengezogenen Brauen vor sich nieder.

Plötzlich blieb der junge Schwede vor dem Spanier stehen und sagte mit leiser, aber fester und entschiedener Stimme:

»Gaspar, ich habe etwas auf dem Herzen, das ich nicht länger mehr allein zu ertragen vermag, und es ist nöthig, daß wir uns darüber verständigen, oder ich gehe in der steten Aufreibung meiner Kräfte und Gedanken völlig zu Grunde.«

Don Gaspar erwiederte kein Wort, sondern schlug nur die großen dunklen Augen staunend und erwartungsvoll zu ihm auf und blieb ruhig und regungslos in seiner Stellung.

»Wie stehst Du zu Miß Newland?« fuhr da der Schwede noch leiser fast fort, und man sah, es hatte ihm schwere Überwindung gekostet, den Namen endlich auszusprechen.

»Miß Newland?« sagte aber Don Gaspar erstaunt, und ein eigenthümliches Lächeln zuckte und blitzte über seine, heute Abend ungewöhnlich bleichen Züge – »wie soll ich zu Miß Newland stehn? – höchst freundschaftlich, hoff' ich doch.«

»Eine Umgehung meiner Frage hilft Dir nichts mehr,« rief aber Leifeldt, durch die, wie er glaubte, angenommene und verstellte Gleichgültigkeit des Freundes mehr gereizt und in seinem Entschluß bestärkt, »Du kannst mich nicht glauben machen, daß Dir das schöne Mädchen gleichgültig sei – es ist nicht möglich, daß Du blind gegen die Neigung wärest, die sie für Dich empfindet.«

»Neigung für mich?« rief aber jetzt der Spanier mit wirklichem Erstaunen und richtete sich auf seinem Sitz empor, »wie kommst Du zu dem tollen, abenteuerlichen Gedanken? – Wie kann das Mädchen eine Neigung für mich empfinden – was kann sie mir sein?« —

»Was sie Dir sein kann, Mensch?« – rief aber der Schwede jetzt durch die fast wegwerfenden Worte auf das tiefste erschüttert und empört, »was sie Dir sein kann? – Heiliger Gott im Himmel, mir hat es Herz und Seele zerrissen, nur den Gedanken zu fassen, sie aufzugeben, und doch würfe ich meiner Seele Heil selbst freudig in die Schaale, sie nur glücklich zu wissen, und Du, Du könntest sie darum an Dich gezogen haben, nur um sie gleichgültig wieder wie ein Spielwerk, das dem Kinde genügt, wie eine welke Blume bei Seite zu werfen, ja ohne vielleicht einmal Freude, ohne eine einzige Regung des Herzens bei der »Tändelei« gefühlt zu haben?« —

»Aber Federigo, Du faselst,« sagte der Spanier, und ein eignes eigenthümliches Lächeln zuckte plötzlich über seine Züge, – »oder ich verstehe Dich auch falsch – Du meinst doch nicht, daß mich das Mädchen liebt, und daß ich sie heirathen soll?« —

»Allerdings mein' ich das,« erwiederte der junge Schwede mit ernster, fast tonloser Stimme.

»Und soll ich mich hier hängen oder in's Zuchthaus sperren lassen?« frug Don Gaspar laut auflachend.

»Wie soll ich das verstehn? – weshalb?« —

»Aus sehr einfachem Grunde – wie viel Frauen kann ein Mann in diesen Südamerikanischen Republiken nehmen?« frug Don Gaspar und stellte sich, die Arme auf der Brust in einander geschlagen, den Kopf auf die linke Seite geneigt, mit einem komischen Spotte in den Zügen vor dem Schweden hin.

»Wie viel Frauen? – natürlich nur eine – bist Du denn aber schon verheirathet?« rief der Schwede in unverhehltem Erstaunen.

Eine wunderbare Veränderung ging bei dieser Frage in den Zügen des Spaniers vor – zuerst schoß ihm das Blut in Wange und Stirn, als ob es die Adern zu durchbrechen drohte, und im nächsten Augenblick ließ es ihm das Antlitz so weiß und kalt, daß die schwarzen großen Augen unheimlich und wild unter der todtenbleichen Stirn hervorglühten; dann strich er sich ein paar Mal mit der flachen Hand über die Stirn, und es war fast, als ob er gegen ein in ihm erwachendes, aufdrängendes Gefühl stark und gewaltsam anzukämpfen suchte, – er schien auch des Freundes Frage ganz überhört zu haben, gab wenigstens keine Antwort, und erst, als dieser dieselbe wiederholte, lachte er plötzlich still vor sich hin und sagte, die Hand auf des Arztes Schulter legend, leise und zutraulich —

»Versteht sich, Freundchen, versteht sich – aber – man spricht nicht gern davon. Eine Frau ist ein liebenswürdiger Gegenstand zu Hause, doch höchst unbequem auf der Reise, und – man läßt sie deshalb lieber, wo sie am liebsten ist.«

»Aber wie ist mir denn, in des Himmels Namen,« rief der junge Arzt verstört, »hast Du mir denn nicht früher gesagt – ?«

»Pst, Freund,« flüsterte der Spanier und lauschte nach dem Nachbarzimmer hinüber, als ob er fürchte, von dort behorcht zu werden, »ich will Dir die ganze Geschichte mit wenigen Worten erzählen, – es ist freilich schon spät, aber wir sind Beide jetzt zu aufgeregt, schlafen zu können und – heute ist so gut eine Zeit dafür, wie jede andere.« – Und seine Hand ergreifend, führte er ihn zum Sopha und begann, sich an seiner Seite niederlassend, auch rasch und ohne weitere Vorrede dem staunenden Freund sein bisher so sorgfältig verschlossen gehaltenes Innere zu öffnen.

»Wenn ich nicht irre,« sagte er, und strich sich dabei sinnend mit der linken Hand die Stirn, – »habe ich schon früher einmal angefangen, Dir einen Theil meiner Lebensgeschichte zu erzählen – wir wurden damals unterbrochen, ich habe vergessen durch was, – Du weißt jedenfalls, daß mein Bruder damals statt meiner von Rosas Henkern ermordet oder gerichtet wurde.« —

»Dein Bruder? – also doch?« – rief der Arzt schaudernd.

»Also doch?« wiederholte Don Gaspar, »allerdings; Du hättest dabei sein sollen,« fuhr er plötzlich lebhafter fort, und die Hand deutete, dem stieren Blick folgend, in die Ecke des Zimmers – »Du hättest dabei sein sollen, wie sie den Mantel zurückschlugen, unter dem die Leiche lag, und ich in den starren, blutigen Zügen den Bruder erkannte, den ich seit meinem zwölften Jahre nicht gesehen, und jetzt so – so – für mich geschlachtet, wiederfinden sollte. – Du hättest dabei sein sollen, wie sie aufschrieen, als sie dasselbe Gesicht lebend zwischen sich sahen, das entstellt, entseelt vor ihnen im Schmutz der Straße lag – hahahaha, ich müßte jetzt noch lachen, wenn mir nicht eben das Blut in den Adern erstarrte.« —

 

Er schwieg erschöpft still, stützte die Stirn viele Minuten lang in beide Hände, und fuhr dann, während ihn Leifeldt mit ernstem, mitleidigem Blick betrachtete, leiser noch und langsamer fort:

»So lag ich – ich weiß nicht wie lange, auf der Straße, unter dem blutigen Tuch, und erst gegen Abend trugen sie mich hinaus und begruben mich – ich glaube aus besonderer Rücksicht – unter einem alten Ombubaum an der Boka.« —

»Dich?« rief Leifeldt überrascht – »Deinen Bruder!«

»Mein Bruder? – ja ich weiß nicht, was mit dem gleich wurde – ich hatte damals zu viel für mich selbst zu denken,« murmelte der Unglückliche mit halblauter Stimme und fast nur wie mit sich selber redend – »aber da ich die beiden Argentiner ermordet hatte (und wir Beiden uns so entsetzlich ähnlich sahen), doch aber nun leider einmal todt war, so begruben sie mich auch eben, und das Einzige, was ich mir bis jetzt noch immer nicht so recht erklären kann,« fuhr er, den Finger wie überlegend an die Nase bringend, fort – »ist, daß ich nachher – aber ich weiß nicht mehr wie lange – Trauer anlegte in der Stadt und zu meinen Schwiegereltern ging, ihnen die schmerzliche Nachricht von dem Tod meines Bruders, der sich thörichter Weise in ein Duell mit zwei Argentinern eingeladen, mitzutheilen. Ich erinnere mich noch« – setzte er unheimlich lächelnd hinzu, – »wie toll sich meine Frau damals gebehrdete – wie sie mich von sich stieß und ein alter Mann mir den Eingang verwehren wollte – ich warf den alten Mann damals aus dem Fenster und ich glaube, er hat den Hals gebrochen, ich habe ihn wenigstens niemals wiedergesehn, aber auch einen Fremden fand ich bei ihr im Hause – wahrhaftig, einen der Burschen, die ich auf der Straße todtgestochen – und die Teufel schrien mir zu, das sei ihr Mann. – Ich wollte ihm um den Hals fallen – hahahahaha – aber sie litten es nicht – eine Menge Menschen kamen dazwischen, und ich glaube – ich glaube, ich ging wieder nachher hinaus unter den Ombubaum, aber das Alles liegt mir jetzt nur noch, einem Chaos gleich, im Gedächtniß.«

»Die Bilder davon schwimmen zusammen, steigen oft zu riesigen Bergmassen auf, daß ich fürchten muß, sie würden mich unter ihrer Last zusammenpressen, und schwinden dann wieder zusammen, daß das Auge den winzigen, blitzschnell kreisenden, schwingenden Dingen kaum zu folgen vermag.«

Er schwieg einen Augenblick und die Stirn in den, auf den Tisch gestützten Arm werfend, lehnte er wohl eine halbe Minute regungslos da und schien die wild heraufbeschworenen Bilder seiner Phantasie zurückdrängen zu wollen in ihr altes, ruhiges Bett. Leifeldt aber saß mit sträubendem Haar und peinvoll schlagendem Herzen neben dem Freund – das Blut schien seine Adern, das Leben seine Glieder verlassen zu haben, und nur den stieren Blick auf die zusammengebrochene Gestalt des Unglücklichen gebannt, hellte sich zum ersten Mal seinem Auge der wirkliche Zustand des Mannes, den er selber wieder in das Leben eingeführt, und die furchtbare Gewißheit, einem Wahnsinnigen gegenüber zu stehen, trieb ihm das Blut in rasenden Schlägen zum schreckerfüllten Herz zurück.

Don Gaspar sah aber nicht den auf ihm haftenden Blick des Entsetzens, ja er schien die Nähe einer anderen Person fast ganz vergessen zu haben und fuhr nur, wie zu sich selber sprechend, leise fort:

»Es war nicht hübsch von Constancia – ein falscher – falscher Name – es war nicht hübsch von ihr, mich so bald zu vergessen, aber wart Bursche, wart – Du hast ihr trügerische Geschichten in's Ohr geraunt, meine Briefe unterschlagen, meine Existenz verleugnet – hast sie fortgeschleppt in die Fremde und mich selber in Ketten und Banden geworfen und Dein alter Name, Don Luis de Gomez schützte Dich in der Zeit in Deiner Verrätherei, aber jetzt – hahahaha – bin ich frei, frei, frei« – und er sprang empor bei den Worten und seine Augen blitzten und funkelten in wildem wahnsinnigen Feuer – »frei wie der Tiger, der in dem dunklen Waldesschatten seiner Beute geduldig, aber mit wilder Gier entgegenharrt – frei wie der« – er schwieg plötzlich, denn sein Blick fiel in dem Moment auf das stiere, blaue Auge des jungen Schweden, das ihn fest und entsetzt fixirte, und als ob der Blick eine förmlich magische Gewalt über ihn ausgeübt habe, sank er still wieder in sich selbst zusammen und schaute erst vor sich nieder und dann empor und umher, wie ein Mann, der plötzlich aus einem schweren Traum erwacht, und sich wachend müht, die eben geschauten Bilder zu halten und dem lebendig gewordenen Auge zu bewahren.

»Ich darf keinen Wein mehr Abends trinken,« sagte er plötzlich aufstehend, und mit beiden Händen gegen seine Schläfe gepreßt, im Zimmer auf- und abgehend – »er bekommt mir nicht, und macht mir das Blut schwer und unbändig – nicht wahr, es ist spät, Federigo?« —

Er hatte diese Worte gesprochen, ohne dem Blick des Freundes auch nur in einem Moment wieder zu begegnen, und das Auge des Arztes war ihm in stummen Staunen durch den Raum auf und ab gefolgt; aber zu plötzlich, zu unerwartet kam diese Änderung des eben noch so furchtbaren Zustandes – der Übergang fehlte zwischen den beiden Extremen und Leifeldt, sich selber kaum bewußt, was er sagte, flüsterte nur halblaut:

»Constancia!«

Der Name wirkte mit Blitzesschnelle auf den Spanier – er blieb stehn, sah den Freund rasch und forschend an, und sagte dann lächelnd:

»Constancia? – wie kommst Du auf den Namen?«

»Und nanntest Du ihn nicht selber?« frug der Schwede.

»Ich?« – rief Don Gaspar, jedenfalls mehr erschreckt als erstaunt, »ich hätte den Namen genannt? – und doch, ja – es ist möglich; – das sind ja die alten wunderlichen Ideen, die sie mir in Buenos-Ayres andichten wollten, und so lange haben sie mir den Unsinn vorerzählt, bis ich beinah dazu getrieben gewesen wäre, jene Wahnsinn herausfordernden Gedanken auch selber zu glauben. – Aber es ist spät, Federigo, wir wollen morgen wieder früh aufstehn, und da taugt das lange Schwärmen nichts gute Nacht, Federigo, gute Nacht,« – und das eine Licht, das noch unangezündet auf dem Tische stand, an dem anderen entzündend, reichte er dem Freunde, wie er das alle Abend that, die Hand, und verließ dann langsam das Zimmer – aber er vermied seinen Blick – er wandte den Kopf nicht wieder um, als er ging.

9
Entschlüsse und Pläne

Der junge Arzt stand wie in den Boden gewurzelt, den stieren Blick noch immer auf die Thür geheftet, als schon jener das Zimmer lange, lange verlassen, und es bedurfte einer geraumen Zeit, ehe er sich nur selbst genug zu fassen wußte, alles das zu begreifen, was in der letzten Stunde mit ihm vorgegangen; erst dann aber war es, daß er das ganze Entsetzliche seiner Lage begriff, und sich, vernichtet, in einen Stuhl werfend, barg er das Antlitz in den Händen und schluchzte laut.

Was ihm, ein dunkler, furchtbarer Verdacht, nur manchmal wie das kalte Wetterleuchten einer Schneenacht durch die Seele gezuckt – was ihm selbst dann, wo er den Gedanken von sich warf in wilder Hast, in den wenigen Momenten das Herz mit Furcht und Entsetzen erfüllte – es war Wahrheit geworden, und mit flammenden Buchstaben stand es vor seinem inneren Auge, was er mit leichtgläubigem, thörichtem Herzen gethan.

Einem Wahnsinnigen hatte er zur Flucht aus dem Krankenhaus geholfen – einen Wahnsinnigen eingeführt in den stillen Familienkreis der Freunde, und Jenny – heiliger Gott und Erbarmer – Jenny war elend geworden durch ihn, durch ihn, der sein Leben mit Freuden hinausgeworfen hätte, ihr eines Jahres Glück dafür zu kaufen.

Er verbrachte die ganze Nacht damit, im Zimmer auf und ab zu gehen und Pläne zu ersinnen, all dem Unheil vorzubeugen, das er selber muthwillig heraufbeschworen – Pläne, die er wieder verwarf, wie sie kaum in ihm aufgestiegen und er fürchtete selbst den anbrechenden Tag, der vielleicht schon die Entwickelung des Entsetzlichen mit sich bringen konnte.

Was sollte er thun, wie dem tödtlichen Pfeile wehren, der, einmal der Sehne entflogen, in wilder Flucht seinem Ziele entgegenstrebte? – Sich selber den Gerichten entdecken? bekennen, was er mitleidigen und selbst getäuschten Herzens gethan und den Wahnsinnigen wieder in die Gewalt einer Anstalt liefern? es war das Einzige, was ihm, so viel er sinnen mochte, vernünftiger Weise zu thun übrig blieb, und doch sträubte sich immer und immer wieder sein Herz gegen solche Maaßregel der Gewalt, die den Unglücklichen, mit dem er nun einmal Freud und Leid so lange Monate getheilt, auf's Neue in die Mauern eines Kerkers, vielleicht in die alten Räume zurückwerfen mußte, und hatte er da nicht die Gewißheit, das endlich im furchtbarsten Maaße zu werden, was jetzt doch noch möglicher Weise durch treue Freundeshand geheilt, oder wenigstens gemildert werden konnte? —

Und Jenny – mußte ihr nicht das Herz brechen, wenn sie den Geliebten – Geliebten? einen Wahnsinnigen – arme, arme Jenny.

Er wollte fliehen, aber war nicht gerade jetzt seine Gegenwart es allein, die noch vielleicht Unglück und Verderben von bedrohten, lieben Häusern abwehren konnte? er wollte hin zu Newlands, und sie von dem Schrecklichen in Kenntniß setzen, und fürchtete doch auch wieder den Augenblick, wo er dem Mädchen gegenüber die Schreckensworte aussprechen sollte.

Ihm schwindelte zuletzt von all den Gedanken; die ihm Hirn und Seele folterten, und zum Tode erschöpft, warf er sich endlich auf sein Lager – seine Angst, sein Weh fortzuträumen in tollen Bildern.

Als er am nächsten Morgen erwachte, stand Don Gaspar an seinem Bett, und noch ehe er sich die Vorgänge des letzten Abends ins Gedächtniß zurückrufen konnte – und nur die dunkle Erinnerung daran lag noch, eine Last, auf seiner Seele – bat ihn der Spanier mit vollkommen unbefangener, ruhiger Stimme, aufzustehen und sich anzuziehen – das Wetter sei wundervoll und sie wollten einen Spatziergang mitsammen machen. Fast mechanisch gehorchte er, so oft er aber auch versuchte dem Blick des Unglücklichen zu begegnen, so oft mißlang ihm das, und Don Gaspar trat zuletzt an das Fenster, und schaute, an den Scheiben trommelnd, hinaus, bis jener seine Toilette beendet hatte und ihm auf die Straße folgen konnte.

Auch dort waren sie schon eine lange Strecke neben einander hingeschritten, ehe Einer von ihnen auch nur ein Wort gesprochen hätte – sie schienen sich Beide vor einem Beginn zu fürchten, und so stutzig Leifeldt im Anfang über das vollkommen gefaßte, stille Benehmen des Mannes gewesen sein mochte, bei dem er die Raserei wieder voll ausgebrochen glaubte, so blieb es doch auch keinem Zweifel unterworfen, daß der Spanier sich dessen, was er gestern getrieben, wenigstens halb bewußt sein mußte. Sein ganzes, scheues Benehmen sprach ihn schuldig und Leifeldt wußte nur nicht, ob ihm der ganze vergangene Abend klar im Gedächtniß liege, mit all den Einzelheiten dessen, was er gethan und gesprochen, oder ob nur eine wilde, unbestimmte Ahnung begonnenen Unheils in ihm gähre und arbeite, und er jetzt darauf hoffe, durch den Freund von selbst und ohne weiter darauf einzugehen, die nöthige Aufklärung und Beruhigung; oder – Bestätigung des unbestimmt Gefürchteten – zu bekommen.

Leifeldt schwieg aber ebenfalls; er konnte sich nicht dazu zwingen, jetzt, mit all dem Vergangenen noch frisch, als sei es vor wenigen Minuten geschehen, im Gedächtniß, eine gleichgültige Unterhaltung zu beginnen, und er fürchtete den offenen Schaden zu berühren, der im Bereiche seiner Hand lag.

Don Gaspar konnte endlich dies peinlich werdende Schweigen nicht länger ertragen und sagte, ohne jedoch zu seinem Begleiter aufzuschauen, mit leiser, kaum hörbarer Stimme:

»Ich darf keinen Wein mehr Abends trinken, Federigo – er bekommt mir jedesmal schlecht, und ich fühle mich aufgeregt und erhitzt nach dem Genuß.«

»Hast Du gestern so viel Wein getrunken?« frug Leifeldt rasch zu ihm aufschauend – eine neue Hoffnung öffnete ihm hier die Bahn – hätte der Wein allein die Schuld getragen, und war es möglich, daß wirklich das starke, ungewohnte Getränk eine solche Aufregung hervorgerufen?

»Viel gerade nicht,« entgegnete der Spanier unruhig, »aber der Wein, den diese Engländer trinken, ist schwer und feurig, er wird in den Adern zu glühender Lava, und treibt das Blut kochend in das Hirn hinauf – ich darf keinen Wein wieder trinken.«

»Er hat Dich sehr angegriffen,« sagte Leifeldt.

Don Gaspar warf ihm einen scheuen Seitenblick zu, und erwiederte mit einem verlegenen Lächeln:

 

»Es ist das mein alter Fehler, und diente einst zum Vorwand für meine Argentinischen Feinde, mich in Banden zu legen; aber die ganze spanische Nation ist mäßig – Du wirst selten, oder nie einen Betrunkenen unter ihnen sehen, und kleine Quantitäten bewirken dann auch oft bei dem sonst Nüchternen, was zehnfache Massen nicht bei mehr abgehärteten Naturen zu Stande brächten.«

»Und weißt Du, was Du gestern Abend gesprochen und getrieben?« sagte Leifeldt, stehen bleibend und ihn aufmerksam betrachtend.

»Unsinn, wahrscheinlich,« lächelte der Spanier, indem er langsam weiter schritt – »blanken Unsinn, wie ich es oft und oft in fieberhafter Aufregung gethan; ein Wunder wär's nicht, wenn ich zuletzt die tollen Märchen selber glaubte, die sie mir wieder und immer wieder vorerzählt, und mich haben zwingen wollen, dem beizustimmen – mit einiger Ausdauer könnte man, glaub ich, dem besten Menschen zuletzt einreden, er habe seine eigene Mutter erschlagen – was habe ich denn gesprochen?«

Die letzten Worte klangen wieder so leise und lauernd, daß Leifeldt auf's Neue stutzig wurde, und den Freund mißtrauisch betrachtete, es lag mehr wie eine unschuldig hingeworfene Erkundigung in der Frage, und er konnte sich nicht helfen, der Verdacht hatte einmal Wurzel geschlagen, er war nicht mehr im Stande ihn so rasch wieder aus dem Herzen zu reißen. Den Kranken deshalb nicht noch mehr zu beunruhigen, oder gar mißtrauisch zu machen, ehe er sich wirklich von dem Gegründetsein seines Verdachtes überzeugt habe, sagte er gleichgültig – und er mußte sich gar gewaltsam zusammen nehmen, seine Fassung zu behaupten: —

»O, nichts Besonderes – die alte Geschichte, nur mit so furchtbarer Wahrheit erzählt, daß dem Hörer das Mark in den Röhren schauderte – Gaspar, Du wärest im Stande, Einen selbst zum Wahnsinn zu treiben.«

Don Gaspar seufzte hoch auf und meinte lächelnd, während er des Freundes Arm ergriff und mit ihm nach dem Inneren der Stadt zurückdrehte: —

»Tolle Geschichten – tolle Geschichten, und Gott sei Dank, daß ich wieder des Himmels freie Luft athme, hier hat das keine Gefahr, daß solche Gedanken überhand nehmen und uns verderben, aber in dem engen Gemäuer fallen sie wie Tropfen häßlichen Giftes ins Ohr und tödten unsere Gedanken im Keime – freie Luft – freie Luft!«

Mit einem inneren Schauder kämpfend, der ihn wohl in der Erinnerung an das Ertragene beschleichen mochte, schritt er rasch neben dem Freunde her, und erst in der Stadt selber schien sich die Wolke zu verziehen, die vor seiner Seele gelagert. Er wurde gesprächiger, heiterer, und ehe eine halbe Stunde vergangen, lachte und erzählte er wieder wie früher.

Anders war es mit dem jungen Schweden. Im Anfang – von den Gräuelthaten umgeben, die Rosas wirklich verübte oder deren er wenigstens beschuldigt wurde – durch sein gutes Herz getäuscht, konnte er in dem angekündigten Kranken, in dem er selber nie auffallende Zeichen wirklicher Geisteszerrüttung beobachtet, wohl einen unschuldig Eingekerkerten glauben, und einmal auf diese Spur gebracht, ist es erklärlich, daß er trotz den oft wilden excentrischen Streichen des Freundes so wenig daran dachte, in ihm einen Tollen zu sehen, als wir bei den Menschen, mit denen wir täglich verkehren, sie mögen sich so wunderlich betragen wie sie wollen, gleich so Entsetzliches vermuthen. Einmal aber solcher Art der Verdacht geweckt, und jede Bewegung des jetzt sorgfältig, wenn auch heimlich Beobachteten, gab Stoff zu neuen Bestätigungen.

So sehr er sich aber nun auch fürchtete, Newlands die furchtbare Nachricht zu bringen, so wußte er doch nur zu gut, daß sie von der Gefahr benachrichtigt werden mußten; nur er selber wollte der Überbringer solcher Botschaft nicht sein, und nach einigem Zögern entschloß er sich, den Argentinischen Konsul aufzusuchen, und diesem die ganze Thatsache, unbeschönigt, unverändert mitzutheilen. Er war sich keiner unedlen Handlung dabei bewußt, und besser jetzt aufrichtig den Fehler gestanden, und den Rath eines erfahrenen Mannes dabei zur Seite gehabt, als dann die furchtbaren Folgen thörichten Schweigens zu spät zu bereuen.

Unter dem Vorwand, einige Patienten besuchen zu müssen, machte er sich von Don Gaspar los, und ging langsam die Almendral hinauf. Der Kopf war ihm wüst, das Herz schwer – er fühlte sich recht, recht unglücklich. Manchmal zwar tauchte auch der Gedanke in ihm auf, jetzt ja den Nebenbuhler zu verlieren, und der kleine Teufel, der in unser Aller Seelen wohnt und wühlt und arbeitet, und dem Herzen des Menschen die Ruhe nimmt, wollte ihm lockende Bilder vormalen, daß ihm nun bald kein Hinderniß mehr im Wege stehen, ja daß Jenny ihm den Frieden ihres Lebens danken würde, wenn er sie von der furchtbaren Gefahr befreie, der sie fast als Opfer gefallen. Aber solche Träume dauerten nicht lange, der Versucher wich, die kalte Vernunft errang sich nur zu bald wieder den Sieg, und er fühlte dann, daß er Jenny wohl vor der Gefahr warnen und bewahren, ihr Herz aber ihm nie und nimmer zuwenden könne – diese Entdeckung vermochte nie ihn glücklich, aber Jenny wohl recht bald elend zu machen.

Wenn Leifeldt übrigens glaubte, den Kranken durch seinen Vorwand, Patienten besuchen zu müssen, getäuscht zu haben, so hatte er sich weit geirrt. Mißtrauisch, wie alle derartige Kranke sind, und mit einer gewissen Schlauheit, die überhaupt den Zustand des Spaniers charakterisirte, hatte Don Gaspar schon an dem Morgen, durch das ganze Betragen Leifeldts nur noch mehr und mehr darin bestärkt, Verdacht geschöpft, der Arzt ahne seinen wirklichen Zustand, und mit dem Verdacht wuchs natürlich auch die Furcht, daß er ihn verrathen, und an seine Feinde wieder ausliefern würde – eine Furcht, die zur Gewißheit wurde, als er den Schweden seine Richtung gerade zu nach der Wohnung des Argentinischen Konsuls nehmen sah, wohin er ihm vorsichtig in der Entfernung gefolgt war.

Das Herz schlug ihm wild und stürmisch in der Brust, und unter seinem Poncho das Heft des Messers ergreifend, das er heute zum ersten Mal wieder zu sich gesteckt, schien der erste in ihm aufsteigende Gedanke, dem er auch augenblicklich nachgab, der zu sein, dem Verräther zu folgen und beide Mitwissende seines furchtbaren Geheimnisses unschädlich zu machen. —

Die Hausthür fand er noch angelehnt, und statt zu pochen, wie es in den südlichen Ländern, selbst an den offenen Thüren Sitte ist, trat er rasch hinein und wollte eben die Treppe hinauf springen, als er von oben nieder fremde Stimmen hörte, und dem ersten Impuls folgend in ein offen stehendes Seitenzimmer, dessen Thür er rasch hinter sich anzog, hineinglitt.

Die Unterhaltung der Heruntersteigenden wurde laut geführt und Don Gaspar schien ungeduldig ihre Entfernung zu erwarten, als plötzlich ein Name draußen wie ein jäher Schlag durch seine Glieder zuckte, und er in gespanntester Aufmerksamkeit, alles Andere um sich her vergessend, an der Thüre lauschte, kein Wort von dem draußen gesprochenen zu verlieren.

»Don Luis de Gomez,« sagte die eine Stimme, die einem älteren Manne anzugehören schien, »hat sonst weiter keine Befehle hinterlassen, Amigo?«

»Keine daß ich wüßte,« entgegnete die andere – »sorgt nur dafür, daß seine Zimmer in Guillota bereit sind, denn ich glaube kaum, daß er sich länger als zwei Tage in Valparaiso aufhalten wird.«

Die beiden Männer standen jetzt unten vor der Thür, hinter welcher der Spanier, sein Ohr gegen das dünne Holz gepreßt, lauerte, und der erstere meinte wieder: —

»Die Señora wird wohl nicht so rasch wieder fort wollen – Reisen greift an und ein paar Rasttage sind manchmal nöthig.«

»Das weiß ich nicht und geht mich nichts an,« brummte der Andere – »Weiberlaunen sind wunderliche Dinge und wenn's ihr in den Kopf kommt, bleibt sie vielleicht den ganzen Sommer hier, mag Don Gomez dagegen sagen was er will. – Wer war denn der junge Mann, der eben zu Don Guzman ging? – Den habe ich doch noch nicht hier gesehen.«

»Ein deutscher Doktor, glaub' ich, der sich hier aufhält,« lautete die Antwort – »aber ich wollte, wir könnten gehen, weßhalb mögen wir denn hier noch warten sollen?«

»Blitz noch einmal, wie der Señor erschrak, als er Don Luis Namen hörte,« sagte der Jüngere wieder, »und hast Du nicht bemerkt, wie er meinem Herrn etwas ins Ohr flüsterte? – ich glaube wahrhaftig, es ist deßhalb, daß wir warten müssen, denn da wird schon wieder geklingelt oben – bleibe einen Augenblick, Compañero, ich bin gleich wieder bei Dir« – und mit flüchtigen Sätzen sprang er die Treppe hinauf, dem Ruf Folge zu leisten, während der Alte, die Hände auf dem Rücken unter seinem kurzen blauen Poncho gekreuzt, auf- und abging und ungeduldig die Rückkehr des Kameraden zu erwarten schien.

18Die Nachtwächter Valparaisos geben einen gellenden Pfiff, wenn Nachts irgend ein Mann an ihnen vorübergeht; dadurch wird der nächste Nachtwächter darauf aufmerksam gemacht, daß noch Jemand auf ist, der eigentlich ins Bett gehörte, erwartet den Wandernden und giebt dasselbe Zeichen, wenn er an ihm vorüber gegangen ist.