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Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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Ich sah mein Verderben vor Augen; das Fürchterliche konnte nicht länger verborgen bleiben; nur es noch so lange als möglich zu verzögern, da – Heiland der Welt, da gab es nach, ich fühlte wie es unter mir vorrutschte, die Geschwister sprangen zurück und hielten – wachte ich denn oder träumte ich? – Emiliens wirkliches Taschentuch in der Hand, ein rascher verzweifelter Griff überzeugte mich sogar, daß meine eigene Furcht ganz ungegründet gewesen, ob es aber jene Beiden gemerkt, oder ob sie blos über das eroberte Tuch jubelten, ich weiß es nicht, unter dem mir teuflisch klingenden Hohngelächter schoß ich aus dem Saale, fuhr in toller Eile in zwei falsche Burnusse hinein, bekam endlich den rechten, nebst einem Hute, der mir bis über die Schläfe in's Gesicht sank, warf den in die Ecke, drückte mir das erste beste auf den Kopf was mir passend vorkam und stürmte die Treppe hinunter, aus dem Hause in die schneidend kalte, aber meine brennende Stirn wie Balsam kühlende Nachtluft hinaus.

Ich war frei und hoch hob sich mir die Brust, und eilenden Laufes floh ich, eine Hölle im Herzen, die dunkele zugige Straße hinunter der Schloßgasse zu.

Als ich diese endlich erreichte, konnte ich allerdings nicht gleich das rechte Haus erkennen; sie sahen sich alle ähnlich mit ihren grauen Erkern und düstern Fenstern, glücklicher Weise wußte ich aber die Nummer und fand endlich bei dem matten Scheine einer gegenüber düster flackernden Laterne die ersehnte 15.

»Morgen mit dem Frühzuge brech' ich wieder auf!« murmelte ich dabei, während ich den schweren Schlüssel aus der Tasche holte und in das Schlüsselloch zu stecken versuchte. »Ich bin geheilt – Meier hat recht – verrathen war ich, schändlich, niederträchtig, ver – na, nun schließt dieser vermaledeite Schlüssel auch nicht – weiter fehlte mir gar Nichts als jetzt auch noch eine Stunde hier auf der Straße zu stehen.« – Ich probirte, es ging nicht, ich blies den Schlüssel aus, weil ich glaubte es könnten sich Krumen hineingesetzt haben – es ging immer noch nicht.

»Meier!« rief ich, in der trostlosen Hoffnung, daß dieser schon vor mir den Ball verlassen haben könnte, bekam aber natürlich keine Antwort und versuchte den Schlüssel auf's Neue. Umsonst – vergebens drückte ich zehnmal an die Klinke, vergebens interessirten sich die Nachtwächter und ein Paar vorbeikommende Chaisenträger auf das Lebhafteste für mich; hinein in das Schlüsselloch brachte ich den Verräther, nachher aber blieb er nicht allein regungslos darin stecken, sondern wollte sogar nicht einmal wieder heraus. Ich weiß selbst nicht, wie lange ich frierend und fluchend an dem unglückseligen Schlosse probirte, endlich rieth mir ein Vorbeigehender – denn selbst der Nachtwächter hatte die Sache zuletzt als trost- und hoffnungslos aufgegeben – zu läuten, damit der Hausmann käme und öffne.

Läuten! – ja er hatte gut reden, war denn nicht der Draht gesprungen? doch folgte ich wirklich, eigentlich nur aus Verzweiflung und Grimm dem Rath und riß, als ob ich die Klingel hätte mit der Wurzel aus dem steinernen Gewände reißen wollen. Es that mir wohl irgend etwas Bewegliches zu haben, an dem ich meine Wuth auslassen konnte. Der Zug blieb aber keineswegs so erfolglos, als ich es erst geglaubt; drinn im Hause war plötzlich durch meine etwas gewaltige Kraftanstrengung eine Glocke in Bewegung gesetzt worden, die jetzt ganz urplötzlich nicht allein den merkwürdigsten und entsetzlichsten Spektakel auf eigene Hand vollführte, sondern allem Anscheine nach auch gar nicht beabsichtigte je wieder aufzuhören. Es dauerte denn auch nur kurze Zeit – und die Riesenglocke läutete dabei noch immer fort – bis ein Paar Pantoffeln in größtmöglichster Eile über den steinernen Vorsaal herangeschlappt kamen; der in den Pantoffeln Steckende hustete auf sehr bedenkliche Weise und durch das Schlüsselloch fiel plötzlich ein einzelner Hoffnung erweckender Lichtstrahl. Inwendig wurde ein Schlüssel eingedrückt und herumgedreht, zu meiner Verwunderung aber auch noch ein Riegel zurückgeschoben und die schwere Thüre knarrte in ihren Angeln.

»Herr du mein Gott!« rief dabei der Alte, der bis über die Ohren in einem weißen Schafpelze stak, »wer reißt denn da so fürchterlich an der Glocke?«

»Guten Abend, Alter,« unterbrach ich ihn aber, trat, während ich ihm ein Viergroschenstück in den Schlafrock drückte – denn die Aermel gingen ihm bis weit über die Hände – in's Haus und wollte ohne Weiteres die Treppe hinauf, da ich nach der früheren Hitze und durch das lange Stehen vor der Thüre bis in's innerste Mark hinein durchfroren war. Der Mann hielt mir aber erst seine Laterne unter's Gesicht und sagte, mit einem durch das indessen seitwärts besichtigte Viergroschenstück nur theilweise beruhigten Blicke:

»Wohnen Sie denn hier?«

»Jawohl, oben beim jungen Herrn.«

»Seit wann denn?«

»Seit heute Abend neun Uhr; wir sind zusammen zum Balle gefahren.«

»Ah so!« nickte der Alte, der damit seiner Hauspflicht genügt zu haben glaubte und wandte sich mit einem kurzen »gute Nacht« zum Gehen, mein Blick war aber dadurch und als ich mich nach ihm umdrehete, auf die Hausthüre gefallen und ich sah dort den Riegel, den er eben wieder vorgeschoben hatte.

»Wird denn hier das Haus von innen verriegelt?« fragte ich ihn erstaunt, »das habe ich ja gar nicht gewußt, – da hätte mir ja auch mein Schlüssel nichts geholfen.«

»Ja,« meinte der Alte und bekam wieder den bösen Husten, »seit sie hier – oho oho oho – in der Schloßgasse, die – oho oho oho – die Frau erschlagen haben, oho oho, ist mein Herr ängstlich geworden – oho oho oho.«

»Wie kommt da aber der junge Herr herein?«

»Der klingelt auch!« meinte sehr lakonisch der Brustkranke und zog sich, nicht ohne Grund die nachtheiligen Folgen der Zugluft für sich selbst fürchtend, mit einem wahren Anfalle von Keuchhusten durch die Hofthüre in seine eigenen Apartements zurück.

»Das also ist das Ende meines süßen Traumes!« seufzte ich, als ich die breite steinerne Treppe im Dunkeln hinaufstieg und dabei links das Geländer hielt, um nicht irgendwo anzulaufen; was kümmerte mich in diesem Augenblicke der Riegel? mir gingen andere fürchterlichere Gedanken im Kopfe herum. –

– »Das ist das Resultat meiner Reise –, das der Grundstein meines künftigen Glücks, auf dem ich Riesenbauten aufgeführt hätte. – Fort, fort, selbst mit der Erinnerung an mein Unglück – ich will schlafen und wäre es bis zum letzten Tage. Ach der Tod müßte jetzt eine Wohlthat sein.«

Wie dunkel das aber auf der Treppe war, nicht einmal die Stufen konnte ich erkennen, eine wirklich ägyptische Finsterniß, doch wußte ich ja meinen Weg und fühlte mich, als ich die erste Etage erreichte, links dicht an der Mauer hin. Da stieß meine Hand an irgend etwas und in demselben Moment, in dem ich mir das Knie an einer scharfen Ecke fast zerstieß, klirrte mit fürchterlichem Gepolter irgend ein irdenes Gefäß zu Boden und das plätschernde Geräusch verrieth mir, daß ich jedenfalls einen nicht unbeträchtlichen Wasserkrug heruntergestoßen haben müßte.

Das fehlte mir noch – ich watete jetzt förmlich; wie aber kam der Krug hierher und wo hatte er –? wahrhaftig da stand auch ein Tisch; der mußte dorthin gestellt sein seit wir fortgegangen und meine linke Kniescheibe trug jetzt die Folgen. Doch hier half weiter kein Besinnen, im Dunkeln konnte ich überdies nichts wieder gut machen und beschloß nur Meier, wenn ich ihn zu Hause kommen hörte, aus dem Fenster hinaus zu warnen, daß er nicht etwa über das indessen die Treppe hinabgeströmte und gefrorene Wasser stürze.

Ich tappte jetzt an der linken Wand hin. – Nun? – Da sollte doch die Thüre sein. – Ich konnte nichts fühlen als die nackte kalte Mauer; auf jeden Fall mußte ich sie gleich im Anfange übergangen haben und suchte meinen Weg noch einmal zurück bis zur Treppe, aber keine Thüre war zu sehen und ich wußte doch so genau, daß sie sich auf der Seite befand. Wieder begann ich meine Wanderung, und die Zähne klapperten mir vor Frost und wieder mit nicht besserem Erfolge als zuerst, nur kam ich, als ich mich immer weiter hinarbeitete, zu einem Fenster, das in irgend einen dunkeln Hof hinausführte. – Wo war ich jetzt? Was sollte ich thun, was beginnen? Ich konnte doch wahrlich nicht die ganze Nacht auf der Treppe bleiben, wäre ja auch in meinem dünnen Ballanzuge erfroren. Und sollte ich Lärm hier im fremden Hause machen? – mit was für einem Gesichte durfte ich mich dann morgen – ei zum Henker, Noth bricht Eisen, erfrieren konnte ich auch nicht. Uebrigens mußte ja doch auch irgendwo eine Thür sein, und traf ich nicht die rechte, so weckte ich wenigstens Menschen, die mir das richtige Zimmer öffneten.

Rasch entschlossen ging ich an's Werk und kam glücklicher Weise endlich an eine Klinke, die ich zu öffnen versuchte; doch umsonst, sie widerstand allen meinen Bemühungen und auf mein mehrmaliges Anpochen erhielt ich ebenfalls keine Antwort. Ich ging jetzt weiter, stolperte nochmals über einen Stuhl, stieß an einen kleinen Tisch, über dem ich einen Spiegel fühlte, und erreichte zuletzt eine zweite Thüre.

Obgleich auch diese mir den Eintritt versagte, so glaubte ich doch ein Geräusch wie das eines Schnarchenden zu vernehmen. Ich klopfte herzhaft an und horchte – da regte sich etwas – eine Bettstelle knarrte, als ob sich Jemand darin umdrehe, dann war alles wieder still. – Ich wiederholte mein Pochen, da rief plötzlich eine allem Anscheine nach auf's Aeußerste erstaunte Stimme:

»Was zum Henker giebt's denn da draußen? Wer klopft? Johann, bist Du das?«

»Ich bin's, Herr Meier!« erwiederte ich ihm mit schüchterner, aber nichts desto weniger lauter Stimme, denn ich mußte natürlich in ihm den Vater meines Freundes vermuthen. – »Adolph Müller ist's, der Freund Ihres Sohnes; ich kann meine oder vielmehr seine Stube nicht finden.«

»Donnerwetter, Herr, stören Sie die Menschen nicht im Schlafe!« rief aber der vermeintliche Vater mit keineswegs freundlicher Stimme, »ich habe gar keinen Sohn – gehen Sie zum Teufel und lassen Sie mich in Ruhe –«

 

»Aber bester Herr,« bat ich ihn, »ich stehe hier draußen in der grimmigsten Kälte und kann den Tod davon haben; wenn ich nur wenigstens ein Licht hätte, daß ich meine Stube finden könnte. In welchem Zimmer wohnt denn nur Herr Meier?«

»Ich kenne gar keinen Meier, Herr!« rief die Stimme mit einer fürchterlichen Bestimmtheit, »hier im ganzen Gebäude existirt kein Meier. – Gute Nacht, schlafen Sie wohl –«

Und ich hörte, wie sich der Unmensch mit aller Gewalt auf die andere Seite warf, seine Worte aber waren wie ein Donnerschlag für mich – kein Meier im ganzen Hause! Das konnte ja gar nicht sein – hatte ich denn nicht die Nummer mit eigenen Augen gelesen? – Doch das Innere des Hauses selbst, die ganze Einrichtung war mir in der That fremd – sollte er recht haben? Doch nein, auf jeden Fall wohnte mein Meier hier; der Droschkenkutscher hatte mich ja auch gleich vor die richtige Thüre gefahren, ein Beweis, daß ich doch damals die Nummer gewußt; an mir lag es daher einen zweiten Versuch zu machen um mein Bett zu finden.

Ich schritt, immer weiter rechts, langsam an der Wand hin und erreichte endlich einen von außen durch einen Wollbeschlag verwahrten Eingang, der auf jeden Fall zu einer Wohn- oder Schlafstube führte; hier mußte übrigens die Klinke auf der verkehrten Seite sein, denn ich fühlte erst vergebens ringsherum und fand sie endlich in der Mitte. Kaum hatte ich sie jedoch berührt und darauf gedrückt, als von innen heraus ein so fürchterlicher markdurchschneidender Schrei erscholl, daß ich entsetzt zurückfuhr.

»Herr Meier,« rief ich aber gleich darauf rasch gesammelt und klopfte dabei scharf an die Thüre; »mein guter Herr Meier!«

»Mörder – Diebe – Spitzbuben! Feuer! Feuer!« gellte als Antwort die Stimme und nach dem Hofe zu wurde eine Klingel, die auf jeden Fall mit dieser Stube in Verbindung stand, aus Leibeskräften gerissen.

»Aber bester Herr Meier,« bat ich und suchte dadurch den Sturm zu beschwichtigen.

»Hülfe – Hülfe – Feuer – Diebe!« tobte das Echo und überall im Hause klappten Thüren und wurden ängstliche Stimmen gehört. Wieder, aber dies Mal noch in viel ängstlicherer Hast, schlurrten die Pantoffeln des Hustenden herbei und ich wußte für den Augenblick wirklich nichts Besseres zu thun, als mich diesem auf Gnade und Ungnade zu ergeben.

Ich fühlte meinen Weg, so schnell das gehen wollte, an die Treppe zurück und das Geländer hinunter, wo ich mit Freuden das eben wieder in die Hofthüre hereinblitzende Licht des Hustenden begrüßte. Dieser aber gewahrte kaum meine, wie er nach allem dem Hülfeschreien wahrscheinlich glauben mochte, in höchst böswilliger Absicht auf ihn zueilende Gestalt, als er blitzschnell, wie die Figur in irgend einer künstlichen Uhr, zurückschnellte, die Thüre in's Schloß warf und den Zeter von einer Treppe hoch mit

»Faß ihn, Türk, halt ihn fest, Packan, hu hetz hetz, Nero, hu hetz hetz!« accompagnirte.

Wohl sprang ich jetzt an die Hausthüre und schob den Riegel zurück, denn es wurde mir nun doch klar, daß ich durch das unseligste Mißverständniß in ein falsches Gebäude gerathen sei, die verwünschte Thüre ließ mich gegenwärtig aber ebensowenig hinaus, als sie mich vorhin hereingelassen hatte und zu der Aufregung, in der ich mich überhaupt befand, kam auch noch die Furcht, daß der schwindsüchtige Barbar am Ende gar zu guter Letzt eine Meute Kettenhunde auf mich losließe, wo ich dann in der engen Hausflur eine Scene aus den altheidnischen Thiergefechten hätte aufführen können. Glücklicher Weise mußte aber kein Hund auf dem ganzen Hof sein und die drohenden Laute sollten wohl blos dazu dienen die vermeintlichen frechen Diebe zurückzuschrecken. Ehe ich jedoch im Stande war einen festen Entschluß zu fassen und einmal schon wirklich im Begriffe die jetzt ebenfalls verschlossene Hofthüre zu sprengen, um mir wenigstens Bahn in des Hausmanns warme Stube zu brechen, flog das Thor plötzlich auf und drei entsetzte Gestalten mit Heugabeln, Schaufeln und einem großen Küchenmesser bewehrt, rückten in verzweifelter Tapferkeit heran und forderten mich mit grimmer Stimme zum Niederlegen der Waffen auf.

Es dauerte nun allerdings geraume Zeit, ehe ich im Stande war ihnen meine gänzliche Harmlosigkeit darzuthun, noch dazu da die früher gehörte Stimme von oben herunter ununterbrochene Drohungen von Galgen, Rad, Zuchthaus und Galeeren niederrief, und dadurch das Trifolium natürlich in dem Glauben erhielt, es sei Fürchterliches geschehen. Endlich mochte sie mein Ballcostüm, in dem ich mich producirte, beruhigen; es war wenigstens nicht wahrscheinlich, daß irgend ein vernünftiger Mensch bei solcher Kälte in schwarzem Fracke, weißen Glacéhandschuhen und Schuh und Strümpfen versuchen solle einzubrechen. Mein Freund im Schafspelze erkannte mich auch wieder, wollte sich aber, obgleich ich mich endlich mit den Leuten in soweit verständigte, daß sie mich für keinen Raubmörder hielten, in keinerlei Weise weiter mit mir einlassen, versicherte, daß er keinen Menschen Namens Meier kenne und in seinem Leben gekannt habe, schloß, dabei immer noch mit mißtrauischem Seitenblicke, die Hausthüre so schnell als möglich wieder auf und ich fand mich wenige Secunden später – und noch froh nicht etwa gar als fremder Ruhestörer irgend einem freundlichen Nachtposten überliefert zu sein – gerade vor derselben Pforte, vor der ich kurze Zeit früher Gott weiß was darum gegeben hätte, um nur gleich und schnell hineinzukommen.

Allerdings suchte ich mich jetzt augenblicklich und während innen noch der unausbleibliche Riegel mit größter Sorgfalt wieder vorgeschoben wurde, von der Identität der Hausnummer zu überzeugen; die letzte Laterne war jedoch indeß verlöscht, die Straße menschenleer und der Schnee fiel in großen kältenden Flocken nieder; ich selbst aber zitterte vor Frost an allen Gliedern und fürchtete wohl nicht ohne Grund eine bösartige Erkältung, wenn ich, so leicht bekleidet, auch nur eine Minute länger auf freier Straße blieb, als ich nothgedrungen mußte. Unter diesen Umständen blieb mir denn also nichts weiter übrig als den Versuch, in solcher Dunkelheit und Kälte das rechte Haus zu finden, aufzugeben, und ich lief rasch die Straße hinab, das erste Hôtel oder Gasthaus zu benutzen, was sich mir bieten würde.

Glücklicher Weise brauchte ich nicht lange zu suchen; wenige hundert Schritte weiter unten erkannte ich die goldglänzenden Riesenbuchstaben eines Schildes, die Hausglocke saß an der richtigen Stelle und ich fand – wirklich kaum noch im Stande mich auf den Füßen zu erhalten – ein eiskaltes Zimmer, aber ein warmes Bett, in dem ich mich von dem Elend und Leid dieser Nacht erholen konnte. Zum Tode erschöpft schlief ich natürlich augenblicklich ein und erwachte erst wieder, als mir das helle Tageslicht in die Fenster schien und der Kellner mit dem um acht Uhr bestellten Kaffee in die Thüre trat.

Wie ein düsteres Traumgebilde lag die Erinnerung der vergangenen Nacht auf meinen Nerven, der Kaffee übte jedoch seinen wohlthätigen Einfluß auch auf mich aus; ich schüttelte alle bösen Gedanken ab und mit dem festen Entschlusse Emilien auf immer zu meiden – ich bin bis jetzt noch nicht recht mit mir im Klaren, ob mich damals die falschen Locken oder die bedauernswerthe Ansicht über meine Gedichte am meisten dazu bestimmte – zog ich meinen Burnus wieder über, setzte den Hut, den mir das tückische Spiel des gestrigen Abends bescheert, auf, bezahlte die kleine Rechnung und öffnete meine Thüre, die auf einen schmalen Gang hinausführte.

»Nun, da hätte ich mir allerdings bis heute Morgen die Hände vor meinem Fenster wund klatschen können,« sagte in diesem Augenblicke eine Stimme dicht neben mir und aus der benachbarten Thüre trat ebenfalls mit Hut und Mantel, wer anders als Meier selbst heraus.

»Meier!« rief ich und stand ganz verdutzt über solche wunderbare Begegnung, »jetzt bitte ich Dich um Gotteswillen –«

»Weshalb liefst Du denn auf einmal gestern vom Balle fort?« brummte aber dieser. »Emilie hat tausend Mal nach Dir gefragt.«

»Emilie!« – der Name gab mir meine ganze Kraft und Energie wieder. –

»Meier,« sagte ich, griff ihm unter den Arm und führte ihn mit mir die Treppe hinab. »Meier, glaubst Du an ein böses Geschick?«

»Ich fange an zu glauben, daß Du eine eigene Fertigkeit besitzest Alles, was Du angreifst, verkehrt zu machen,« lautete die mürrische Antwort. »Weshalb bist Du denn nicht wie ein anderer vernünftiger Mensch nach Hause gegangen, anstatt mit dem einzigen Hausschlüssel in der Tasche in's Wirthshaus zu laufen und mich selbst dabei auszuschließen, daß ich nicht einmal in mein eigenes Zimmer konnte?«

»Glaubst Du an ein böses Geschick, Meier?«

»Ach laß den Unsinn – wo hast Du denn eigentlich meinen Schlüssel, und – hahaha, wessen Hut trägst Du denn?«

Ich nahm den Hut ab und sah jetzt zum ersten Male, daß eine kleine Cocarde mit silbernen Schnüren an der Seite saß; ich hatte gestern Abend in aller Eile den Hut irgend eines Bedienten aufgegriffen.

»Meier,« sagte ich und blickte, dadurch nur noch mehr in meinem Entschlusse bestärkt, auf den Hut nieder, »weißt Du wem der fremde Reisesack gehört?«

»Einer Dame auf jeden Fall, die sich über die verbrannte Rosenguirlande ungemein freuen wird – wahrscheinlich einer Schauspielerin, weil sie Schminke und Perrücken bei sich führt.«

»Hm,« sagte ich und schritt, immer noch den Hut in der Hand, an seiner Seite die Straße hinauf seinem Hause zu; da erkannte ich plötzlich die Thüre, an der ich gestern Abend gestanden, die Klingel – ich hatte den dicken runden Knopf noch nicht vergessen – an der ich so fabelhaft geläutet und – Pest und Gift! – von dem weißen runden Schildchen lächelte mir höhnisch eine 13 entgegen, die ich in Nacht und Dunkelheit jeden Falls für meine 15 gehalten. Das Maaß meines Ingrimms war gefüllt.

»Meier,« sagte ich, und winkte einer gerade vorbeifahrenden Droschke zu, »es giebt Dinge in der Welt, die sich nicht gut mündlich verhandeln lassen, ich will Dir meine Geschichte lieber schreiben. Es ist jetzt aber gerade ein Viertel auf Zehn; um halb zehn geht der Frühzug ab, sei doch so gut und schicke mir mit nächster Gelegenheit mein Gepäck nach. Deine Beinkleider kannst Du mir so lange borgen, ich würde sonst, was ich um keinen Preis der Welt möchte, den nächsten Zug versäumen.«

»Was? Jetzt willst Du auf einmal wieder fort?« rief Meier nicht wenig erstaunt aus, »das geht ja gar nicht, was würde auch Emilie dazu sagen?«

»Die – grüße schönstens,« murmelte ich mit einem halbverbissenen boshaften Lächeln, »grüße sie und – bitte sie, mir doch gefälligst den Reisesack umzutauschen. Halt – noch eins – thue mir doch auch die Liebe und sieh zu, daß Du den Eigenthümer dieses Hutes wiederfindest, der dafür wahrscheinlich den meinigen zurückbehalten hat.«

»Wache ich denn oder träume ich,« rief Meier, »Emilien gehörten jene Apparate? – Aber Adolph, Du kannst doch wahrhaftig nicht im bloßen Kopfe reisen –«

»Nein,« erwiederte ich ihm, »auf keinen Fall – Kutscher – schlesischer Bahnhof – sind wir in zehn Minuten und noch vor der Abfahrt dort, so bekommst Du einen Thaler Trinkgeld – also adieu Meier – sei nicht böse, daß ich Dir so viele Umstände gemacht, übermorgen spätestens hast Du einen Brief von mir.« Damit drückte ich ihm einen herzlichen Kuß auf den Mund, nahm ihm den eigenen Hut vom Kopfe und schlug ihn mir selber in die Stirn, sprang in den Wagen und im nächsten Augenblicke rasselten wir, ehe Meier durch das Schnelle des auf ihn Einstürmenden vielleicht nur eine Ahnung dessen hatte, was ich beabsichtigte, in lebensgefährlicher Schnelle über das holperige Pflaster dem fernen Bahnhofe zu.

Wir kamen eben noch zur rechten Zeit – die letzte Glocke läutete als wir vor die Thüre des Bureaus klapperten; rasch löste ich mein Billet und wenige Secunden später setzte sich der Zug mit schrillem markdurchschneidendem Pfeifen in Bewegung. Dann aber erst, als ich in die Ecke des warmen Coupées gedrückt, den Schauplatz dieser Nacht mit flüchtiger Schnelle verließ, als Feld und Flur und Berg und Wald an mir vorbeischwirrten und Meile nach Meile den Raum vergrößerte, da erst fand ich mich selbst und meine Ruhe wieder.

An Emilien schrieb ich noch an demselben Abend und von zu Hause aus ein Paar Zeilen, gestand ihr meine Unwürdigkeit sie zu besitzen und bat um ihre Freundschaft. Meier aber machte ich ebenfalls und versprochener Maßen ausführlich mit dem ganzen Umfange meiner damaligen Abenteuer bekannt und erhielt drei Tage später durch seine Vermittlung meinen Reisesack mit all' meinen früher an Emilien geschriebenen Briefen zurück. –

Nur eines fehlte – meine Gedichte; ich hatte das Weib gereizt und sollte ihre Rache fühlen. – Drei Wochen später standen sie unter meinem eigenen Namen in der Didascalia.