Kostenlos

Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Ich glaubte ich wäre verzweifelt, wenn ich länger hätte dort oben bleiben müssen, und dennoch wußte ich nicht was ich thun, was ich lassen sollte. Da kam zufällig, vor etwa acht Tagen eine Dame von Columbus zu uns, die am nächsten Morgen nach New-Orleans wollte und bei uns übernachtete. Das Dampfboot ging um 10 Uhr ab, und ich mußte ihr eine Hutschachtel und einen Reisesack hinunter tragen: sie hatte sich aber mit dem Anziehn ein wenig verspätet, wir kamen kaum noch zur rechten Zeit – die Planken sollten schon eingezogen werden – ich trug ihr die Sachen in die Cajüte hinauf, lief wieder zurück und wollte an's Land. Da, Mutter, da war es mir plötzlich, als ob eine Stimme, als ob Deine Stimme mich bittend anrief zu bleiben, der Gedanke an Dich, daß mich dieß Boot in wenigen Tagen in Deine Arme führen könne, zuckte mir durchs Herz und zaudernd, unschlüssig stand ich noch und wußte nicht, ob ich vor oder rückwärts sollte, als die Glocke des Bootes zum letzten Mal tönte. In dem nämlichen Moment rissen aber auch die Matrosen die Planken ein, die Maschine fing an zu arbeiten und wenige Secunden später befand ich mich, jetzt mit keinem freien Entschluß mehr von brausenden Wassern umgeben, von meiner bisherigen Heimath fortgerissen, auf dem breiten, gewaltigen Strom.«



»Erlaßt mir die Beschreibung dessen, was ich die ersten Tage unter den fremden Menschen litt und ausstand. Auf dem Boot waren sie unfreundlich mit mir, weil ich die Passage nicht gleich bezahlen konnte, glücklicherweise trug ich aber ein kleines goldenes Kreuz, das ich damals von Missis Wagner bekommen, als ich sie nach dem Nervenfieber so lange gepflegt. Dies verkaufte der Schiffsschreiber in Louisville für mich, bestritt davon meine Passage und gab mir auch noch einen Dollar heraus, wofür ich mir Brod kaufen konnte, unterwegs davon zu leben. – Ich mußte eine recht traurige Zeit verleben, und bin fast in Angst und Sorge vergangen, jetzt aber – jetzt ist Alles gut, ich habe Euch – Dich meine liebe Mutter, meinen Vater wieder und nun – nicht wahr, nun seid Ihr auch nicht mehr böse auf Euer Kind, daß es die fremden Menschen so lange lieber hatte als Euch, und nicht fort wollte von ihnen.«



Was braucht es weiterer Schilderung der glücklichen Familie, eine Stunde entfloh ihnen im Austausch ihrer Mittheilungen und Gefühle mit Zauberschnelle und erst die Meldung, daß der

Eagle of the West

 bei Waterlow sichtbar wurde, mahnte Schwabe an die beabsichtigte Reise. Aber nicht in Cincinnati lag jetzt ihr Ziel, nein in Arkansas, in den fruchtbaren Thälern des noch wilden Staates; nicht bis zur Mündung des Licking, nur bis zu der des Arkansas hinauf wollten sie mit dem Boote gehn. Ohne weiteres Zögern trieb denn auch der Vater zum Aufbruch; ihr Gepäck lag schon am Ufer; nur noch die nöthigen Kleidungsstücke für Louise kauften sie rasch bei einem der deutschen Juden an der Landung ein, bestiegen das gleich darauf heranbrausende Boot, auf dem jetzt Schwabe in aller Freude seines Herzens keineswegs Zwischendeck-, sondern Cajütenpassage für sich und die Seinigen nahm, und erreichten eilf Tage später das kleine Städtchen Ozark, von dem aus sie in kaum vier und zwanzig Stunden ihre neue Heimath betreten konnten.



Nun wußte Schwabe, nach all dem Vorhergegangenen wohl gut genug, daß Wagner rechtlicher Weise keine Ansprüche mehr auf irgend eine Vergütung für seiner Tochter dortigen Aufenthalt machen konnte; er wollte es sich aber auch nicht einmal nachsagen lassen, undankbar für etwas gewesen zu sein, das ihm doch wenigstens im Anfang als Wohlthat erschienen. Er schrieb deshalb, und zwar so bald sie auf ihrer neuen Farm eingetroffen waren, einen Brief an Wagner, worin er ihn von seiner Tochter Ankunft in Kenntniß setzte und zugleich aufforderte, offen und ehrlich zu sagen, was er glaubte für die Erhaltung des Mädchens in den ersten Jahren beanspruchen zu können, (denn für die letzten dürfe er schon deßhalb nichts rechnen, weil er sie ja nicht einmal gutwillig habe wieder fortlassen wollen). Er versprach dabei den Forderungen zu genügen, soweit das in seinen Kräften stände und bat ihn auch dem Kinde nicht zu zürnen, das ihn ja nur deshalb verlassen habe, um in die Arme seiner Mutter zu eilen.



Auf diesen Brief erhielt er keine Antwort; ebenfalls nicht auf einen zweiten und dritten und erst im nächsten Jahre erfuhr er von einem neuen Ansiedler, der bis dahin in Cincinnati gelebt und Wagner recht gut gekannt hatte, die Ursache dieses räthselhaften Schweigens.



Die Geschichte der in seinem Hause verübten Mordthat, die auch Louise schon erwähnt, war ruchbar geworden, andere Klagen trafen noch mit dieser zusammen, das Halten einer heimlichen Spielhölle an und für sich unterwarf ihn schon der peinlichsten Strafe der Amerikanischen Gesetze und Wagner entging nur durch die freundliche Warnung eines Deputy Sheriffs, der ebenfalls mit zu dem Spielklubb gehörte, der Verhaftung und vielleicht – dem Zuchthaus. Er verschwand in derselben Nacht aus der Stadt und man hat nie wieder weder von ihm noch seiner Frau etwas gehört – sie blieben Beide spurlos verschwunden.



Am Fuß der Ozarkgebirge blüthe und gedieh aber indessen eine kleine wackere deutsche Colonie. Schwabe hatte sich in jenem herrlichen und noch so wenig gekannten Landstrich des fernen Westen niedergelassen, und üppige Maisfelder schmiegten sich an den Fuß, saftige Weingärten an die Hänge der Berge, zahlreiche Heerden weideten in den nicht fernen Prairien.



Aber ein ganz neuer Geist war auch über den jetzt glücklichen Vater gekommen, der mit unermüdlichem Eifer daran ging nicht mehr für sich allein, nein jetzt auch für sein Kind, für sein liebes, so lange verlorenes Kind eine neue und wohnliche Heimath zu gründen. Hier fand er dazu den vollen Spielraum für seine unermüdete Thätigkeit, für sein Schaffen und Wirken, und deutscher Fleiß, deutsche Mäßigkeit verwandelte bald das in ein Paradies, was noch vor wenigen Jahren öde trostlose Wildniß gewesen.



Schicksale einer Nacht

»Nummero 15 – Schloßgasse!« rief ich dem am Schlage harrenden Kutscher zu, warf meinen Reisesack in die eine, mich selbst in die andere Ecke des kaum gepolsterten Wagens und fort ging's über das schauderhafte Pflaster der Residenz vom Bahnhofe aus in die innere Stadt, wo ich jetzt eigentlich im vollen Ballcostüme – o, der Gedanke allein schon machte mich rasend – beim rauschenden Chor jubelnder Melodien – sie – sie im Arme, in wirbelnder Seligkeit mich, Salon, Erde, Himmel und Weltall hätte vergessen sollen.



Aber nein, da rasselte ich noch in diesem Marterkasten zwischen düstern fremdglotzenden Häusermassen hin, denn gerade heute, als ob mir selbst die Locomotiven nicht einmal den Gefallen thun könnten schneller als Lohnkutscher zu fahren, waren wir erstlich wie die Schnecken über die glattbeeisten Schienen hingekrochen, an jeder Station ewig lange haltend, und zuletzt gar, um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, in einer Schneewehe eine volle Glockenstunde lang stecken geblieben. Deshalb trafen wir denn aber auch anstatt um sieben, um halb neun Uhr an Ort und Stelle ein, und es ließ sich wohl entschuldigen, daß ich in peinlicher Ungeduld zehn Mal unterwegs an die Fenster klopfte und dem Kutscher bald Flüche in die Ohren donnerte, bald Trinkgelder bot, bis dieser endlich in voller Verzweiflung auf sein darüber zum Höchsten erstauntes Pferd loshieb und wir nun, wie ein böhmisches Ungewitter durch die Straßen rollend, »daß Kies und Funken stoben,« bald darauf vor dem bezeichneten Hause anhielten.



»Ich habe gar nicht mehr geglaubt, daß Du kämst!« rief mein Freund, der erst heute Morgen meinen Brief erhalten hatte und mich jetzt, als er die Droschke herantoben hörte, in der Thüre erwartete, »wo hast Du nur so lange gesteckt?«



Zu Erklärungen war es aber keine Zeit mehr, rasch faßte ich meinen Reisesack, drückte dem Kutscher das schon in Bereitschaft gehaltene Geld in die Hand und flog mehr als ich ging die Treppe hinauf und in das von Meier bezeichnete Zimmer. Hier warf ich meinen Hut ab und erzählte und klagte dem Freunde – während dem ich den kleinen Reisesackschlüssel in allen Taschen mit immer größerer Hast zwei Mal suchte und zuletzt in der, in welcher ich angefangen hatte, fand – wie mich das Unglück verfolgt, ja wie ich überhaupt ein solcher Unglücksvogel sei, daß ich die Welt förmlich als Pechreisender durchziehen und die glänzendsten Geschäfte machen könne.



Es stand ja aber auch heute gerade mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele – heute sollte ich, nach zweijähriger Trennung die wieder sehen, ohne die ich mir die Welt nur als eine öde trostlose Wildniß denken konnte – heute Abend durfte ich ja hoffen von ihren Lippen das süße Geständniß ihrer Liebe zu hören oder wenigstens doch in ihren Augen Leben oder Tod für mich zu lesen. Mit ihr, Leben in seiner sonnigsten Lust, im Freudenrausche wonnetaumelnder Sphären, ohne sie –



»Was zum Teufel hast Du denn da eigentlich in Deinem Reisesacke?« rief Meier und ich, der ich, während Himmel und Hölle in meinem Herzen mit Hoffnung und banger Todesfurcht rangen, das kleine Schloß des messingenen Bügels geöffnet und eben hineingegriffen hatte meine »Unaussprechlichen« herauszuziehen – den Frack trug ich nämlich, um ihn vor dem Zerdrücken zu bewahren, schon unter dem Burnus – ich denke mich rührt der Schlag, als ich gleich obenauf einen Schnürleib, ein Paar Schachteln, ein Schminkbüchschen und in immer wachsender Verzweiflung und Wuth eine ganze Unmasse solchen Plunders herausziehe und um mich her auf Boden und Stühle streue.



Meiers dämonisches Lachen brachte mich erst wieder zur Besinnung.



»Hahahaha!« schrie er und die Thränen liefen ihm in ununterdrückbarem Jubel über das breite, rothgeschwollene Gesicht – ich hätte ihn erwürgen können, »hahaha – hast einen falschen Reisesack erwischt – das ist göttlich – das ist unbezahlbar.«



»Da!« rief ich und schleuderte den geleerten nichtswürdigen Reisebeutel mit wildem Wurfe hinter den Ofen, »da lieg und verdirb. – Was fang ich an? Ich kann doch wahrhaftig nicht in meinen blau- und graucarrirten den Ballsaal betreten? – Heilige Dreifaltigkeit, habe ich denn nicht recht, wenn ich mich für das unglückseligste Geschöpf halte, das zweibeinig zwischen Himmel und Erde herumläuft? Jetzt sitze ich hier; Emilie wartet indessen mit ihrer Engelsgeduld stundenlang auf mich, den Treulosgeglaubten, kann aber endlich den dringenden Bitten nicht länger widerstehen und muß sich zuletzt auf den ganzen Abend engagiren.«

 



»Aber wie war das nur möglich?« fragte Meier, nachdem er sich von seinem bestialischen Lachkrampf in etwas erholt. »Jedermann behält doch unterwegs seinen Reisesack bei sich und da begreife ich gar nicht –«



»Begreifen – begreifen,« knurrte ich ärgerlich und lief dabei händeringend in der Stube auf und ab, – ich war damals zwanzig Jahr alt und der Ball mir zur Lebensfrage geworden, – »ich begreife es recht gut. Auf der letzten Station, wo man im Wagen schon keine Hand mehr vor den Augen sehen konnte, stieg noch eine Dame in unser Coupée und drückte sich, da in der Ecke gegenüber ein dickbepelzter vermaledeiter polnischer Jude saß und gar nicht daran dachte der Neuhinzukommenden Raum zu machen, dicht neben mich. – Ich bin von diesem Augenblicke an mit Leib und Seele gegen die Emancipation. – Daß sie auch einen Reisesack bei sich hatte, wußte ich natürlich gar nicht und als der Zug hielt, sprang ich, in Eile wie ich war und jetzt auch noch in der Angst vielleicht nicht einmal eine Droschke zu bekommen, rasch und ohne mich weiter um die Dame und ihr Gepäck zu bekümmern, aus dem Coupée und dem Droschkenplatze zu. Ich muß dabei wahrscheinlich ihren Reisesack erfaßt haben und sie hat dafür den meinigen. Meier, es wird bei Gott zu spät. – Wo bekomme ich andere Ballhosen her? wenn ich noch länger zögere ist Emilie auf den ganzen Abend versagt und ich kann nachher ihre dicke Tante im Saale herumschleppen.«



»Nun, wenn es weiter nichts ist,« meinte Jener gutmüthig, »da kann vielleicht noch Rath werden –, hier mache nur schnell Toilette und ich will unterdessen hinausgehen und sehen ob ich Dir nicht aus meiner Garderobe ein Paar zur Aushülfe herausfinden kann – wir sind ja ungefähr von einer Größe.«



Guter Mensch, der Meier! ich drückte ihm herzlich die Hand und während er hinausging besorgte ich meinen übrigen Anzug, brachte meine etwas in Verwirrung gerathenen Haare in Ordnung und war wenige Minuten später bereit in jedes Paar Beinkleider hineinzufahren, das sich mir bieten würde. Meier kam aber nicht so schnell wieder und ich unterhielt mich indessen damit, die Thüre jede halbe Minute zwei Mal auf- und zuzumachen, oder die Schachteln und Büchsen zu untersuchen, die mir ein tückisches Schicksal in den Weg geschleudert.



Damenplunder, Schminke, Puder, ein Paar falsche Locken, getragene Handschuhe und Strümpfe.



»Bah!« rief ich und warf den Kram wieder von mir, »ist es denn möglich, daß es Esel auf der Welt giebt, die sich durch solche Mittel bethören lassen? Ich bin erst zwanzig Jahre, aber so viel weiß ich, würde –«



»Herr Gott, wie riecht das hier verbrannt!« rief Meier, der in diesem Augenblicke die Thüre aufriß und mit dem ersehnten Kleidungsstücke hereintrat. »Hier muß etwas versengt sein.«



Mir war der Geruch auch schon aufgefallen, doch hatte ich in all' meiner Ungeduld nicht darauf geachtet; Meier dagegen zog gleich darauf den verhängnißvollen Reisesack hinter dem Ofen vor. Die eine Seite desselben – weißer Grund mit rothen Rosen – ich kann mich noch so deutlich darauf besinnen als wenn es gestern gewesen wäre – war gelbbraun gesengt und zu meiner Schande muß ich's gestehen, daß ich eine ordentliche Schadenfreude darüber empfand. Was kümmerte mich aber jetzt der Reisesack, ich fuhr nur – während Meier alle die diversen umhergestreuten Gegenstände wieder ohne große Vorsicht und Ordnung in den Beutel zurückwarf, mit dem Knie, da nicht alles bequem hinein wollte, ein Bischen nachdrängte und dann das Ganze unter das Bett schob – mit wahrer Todesverachtung in die Unaussprechlichen. – Herr der Welt, wenn sie nicht gepaßt hätten – aber nein.



»Triumph!« rief ich und that mit beiden Füßen zugleich einen Luftsprung, »die Intelligenz siegt!«



Sie saßen wie angegossen – nur ein klein wenig zu eng, doch that das nichts – der Schnitt war vorzüglich und ich freute mich – auf mein Bein habe ich mir von jeher etwas eingebildet – wie ein Kind darüber. Kaum nahm ich mir jedoch nur zu einer flüchtigen Spiegelpromenade Zeit, denn unten knallte schon der von dem Dienstmädchen indeß herbeigeholte Droschkenkutscher, warf rasch den Burnus über, ergriff meine Handschuhe, drückte meinen Hut auf und wollte fort.



»Halt,« sagte da Meier und faßte meinen Arm, »wann wirst Du denn wohl wieder zu Hause sein?«



»Wer? ich? Nun nicht zu spät; wenn meine Dame nach Hause fährt, tanz' ich keinen Schritt mehr; auf jeden Fall bin ich um ein oder zwei Uhr spätestens wieder hier.«



»Gut, dann nimm den Hausschlüssel,« erwiederte mir Meier; »ich komme schwerlich so früh heim, denn wir spielen nachher immer noch ein Paar Rubber Whist. – Schläfst Du fest?«



»Nicht außergewöhnlich.«



»So werde ich gerade unter dem Fenster hier, wo Dein Bett steht, in die Hände klatschen – Du magst dann den Hausschlüssel in Dein Taschentuch binden, oder in den Tabaksbeutel dort stecken und herunterwerfen.«



»Habt Ihr denn keinen Hausmann, der auf die Klingel kommt?«



»Der Draht ist heute gerissen und noch nicht wieder gemacht – Du wirst mich schon hören.«



»Aber der verwünscht schwere Schlüssel –«



»Laß ihn im Burnus, da genirt er Dich nicht – und noch eins – merke Dir die Thüre hier. Wenn Du im Dunkeln die Treppe heraufkommst, so fühle Dich nur links gleich an der Wand hin, Du kannst gar nicht fehlen; die erste Thüre.«



»Genug – genug!« Wir sprangen die Treppe hinunter in den Wagen und fort ging's, dem Hôtel de Russie zu, wo uns schon von weitem die blendend erleuchteten Saalfenster das Fest als begonnen verkündigten.



Wie mir das Herz pochte, als ich die breite teppichbelegte Treppe hinaufstieg! war mir's nicht, als ob ich plötzlich Blei in den Füßen habe und die Glieder nicht mehr bewegen und heben könne – mit Gewalt mußte ich mich zusammenraffen und wurde erst durch einen der betreßten Lakaien, der mir ein Stück Pappe in die Hand drückte und im nächsten Augenblicke mit meinem Burnus verschwunden war, zu mir selbst gebracht.



Wir traten ein; aus der geöffneten Saalthüre tönten uns aber schon die wilden Töne eines Gallopps entgegen. Ich hatte es mir doch gedacht, drei Tänze waren schon vorüber, die Polonaise und zwei Walzer und Emilie mußte sich ja auf den ganzen Abend versagt haben – oder durfte ich etwa vernünftiger Weise etwas anderes erwarten?



»Siehst Du,« murmelte ich, die Hand krampfhaft auf dem Herzen geballt, in Meiers Ohr, »das ist mein Schicksal, das mich rettungslos verfolgt – vierundzwanzig Meilen habe ich jetzt in grimmigster Kälte zurückgelegt – riesengroße Schwierigkeiten überwunden und besiegt und jetzt? – zu spät – der Fluch, der mir mein ganzes Leben untergraben hat – Emilie ist für mich verloren und ich bin elend – elend auf ewig.«



»Adolph,« flüsterte mir Meier zu und bog sich zu mir herüber, »Du weißt was ich Dir schon tausend Mal gesagt habe, schlag Dir, wenn Du gescheidt bist, das Mädchen aus dem Kopfe, Emilie ist älter als Du selbst, über die besten Jahre hinaus.« –



»Geh zum Henker!« rief ich unwillig, »Mensch, willst Du mich denn jetzt auch noch, wo ich überdies dem Verzweifeln nahe bin, wahnsinnig machen? Du weißt, daß ich –«



»Schon gut, die alte Noth, Du willst nicht hören, so gehe denn ruhig Deinen Weg. Aber da drüben kommt Emiliens jüngerer Bruder gerade auf uns zu, von dem wirst Du augenblicklich erfahren können, wo Du die Göttliche zu suchen hast.«



Ich wandte mich unwillig von ihm ab, dem Bruder der Geliebten zu; wer aber beschreibt mein Erstaunen, ja mein Entzücken, als ich höre, daß Emilie, ebenfalls durch eigenthümliche Hindernisse aufgehalten, noch gar nicht erschienen ist, aber jeden Augenblick erwartet wird. Ich hätte dem liebenswürdigen jungen Manne, einem etwas hochaufgeschossenen Secundaner, auf offenem Ballsaale um den Hals fallen können. Daß ich mich jetzt dicht an der Saalthüre postirte versteht sich von selbst; allerdings begrüßte ich hier in meinem Eifer wohl zehn Mal fremde Damen, hatte mich mehrere Male zu entschuldigen und fand endlich, daß Emilie zu einer Nebenthüre eingetreten sei, doch was schadete das? durch ihren Bruder geführt, suchte sie selbst mich auf und ich vergaß in dem Augenblicke Fahrt, Reisesack, Täuschung und langes Harren – ich vergaß die Welt und lebte, athmete nur in ihr.



Eine Stunde entschwand mir so im Wonnetaumel; was ich getanzt, was ich mit ihr gesprochen, wie sollte ich es wissen, ich sah auch nicht, was uns im wirbelnden jubelnden Festesdrang umgab, nur in ihre Augen schaute ich und in diesen blühte ein Paradies für mich auf, Emilie war nie so freundlich mit mir gewesen und ich hätte in diesem Augenblicke mit keinem Gott getauscht.



Erst in einer der Pausen gewann ich Zeit mich etwas ruhiger mit ihr zu unterhalten; Arm in Arm wanderten wir im Saale auf und ab und ihre kleinen rosigen Lippen flüsterten und plapperten mir die süßesten Schmeichelworte in die Ohren.



Wir hatten indessen eine der kleinen, an den Seiten angebrachten rothgepolsterten Bänke erreicht und ließen uns nieder; Emilie aber entschuldigte sich jetzt, daß sie so bleich und angegriffen aussähe. Guter Gott, das hatte ich ja noch gar nicht bemerkt, sie sah wirklich bedeutend blässer aus als gewöhnlich – auch in der That etwas verändert – was war ihr geschehen?



»Ach bester Freund,« flüsterte sie auf meine theilnehmenden Fragen, »es war gerade nichts von Bedeutung und doch etwas, das mich bald gezwungen hätte, dem Vergnügen des Tanzes heute ganz zu entsagen.«



Das Blut strömte mir kalt zum Herzen, als ich nur an die Möglichkeit dachte. –



»Aber wie war das möglich? – Doch nicht etwa Krankheit? Ihre Wangen sind heute Abend wirklich auffallend bleich –.«



»Ich war ein Kind,« lächelte sie, »Angst und auch – Aerger, wenn ich denn aufrichtig sein will, sind die eigentlich thörichten Ursachen gewesen.«



»Aerger?«



»Um eine Kleinigkeit – ich habe jetzt einige Tage bei einer kranken Muhme im nächsten Städtchen zugebracht – mehrere Bekannte hatten dort ebenfalls einen kleinen Ball arrangirt; heute Abend kehrte ich erst von dort zurück und – Sie werden mich auslachen, verwechselte im Coupée meinen Reisesack. Nun, was erschrecken Sie denn? das ist doch nichts so Fürchterliches,« lachte sie, als ich an ihrem Arme zusammenfuhr.



»Nein, in der That nicht,« stotterte ich und sah mich dabei im Saale um, ob nicht etwa die Decke niederschlagen wollte, mich zu begraben, »verwechselten – verwechselten Ihren Reisesack – hahaha – das ist wirklich zu komisch, das ist göttlich – hahahaha – das ist kostbar.«



»Aber ich bitte Sie um Gotteswillen, Adolph!« rief Emilie erschreckt, »Sie lenken ja die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft auf uns, was fehlt Ihnen denn?«



»Bitte tausend Mal um Verzeihung!« stotterte ich ganz verstört, denn ich wußte in diesem Augenblick wahrhaftig nicht, stand ich auf dem Kopfe oder auf den Füßen. Schminke, Puder, Locken – heilige Mutter Gottes! Ich drehte mich schnell nach ihr um, sie trug beim ewigen Himmel ihre gewöhnlichen kastanienbraunen Locken nicht, von denen ich einst mit verrätherischer Scheere ein süßes, theures, tausend und tausend Mal geküßtes Andenken geraubt. Pest und Cholera – ich hatte jetzt die übrigen zu Hause in der Schachtel. Aber was nun thun? sollte ich ihr gestehen, daß gerade ich jener Unglückliche sei, der – nein das ging beim Himmel nicht, jetzt nicht. Und war denn auch der Reisesack nicht versengt, ruinirt, lag er nicht, ich durfte gar nicht daran denken, wo und neben wem; meine Sinne fingen überhaupt an sich zu verwirren und Brandflecken, Locken, schwarze Beinkleider, Schminke, Puder, das Alles drehte sich mir wie ein feuriges Räderwerk in tausend tollen bunten, immer neu gestalteten Bildern im Kopfe herum.



»Ich begreife Sie gar nicht,« flüsterte Emilie endlich und warf mir einen vorwurfsvollen aber doch zärtlichen Blick zu, »was haben Sie nur?«



»Ach, mein Fräulein,« erwiederte ich ihr in aller Verlegenheit und muß in dem Augenblicke so roth wie ein gesottener Krebs ausgesehen haben – »Sie glauben gar nicht, wie leid mir Ihr Unfall thut, wenn man nur – wenn man nur herausbekommen könnte wer der unglückselige Vertauscher –«



»Auf jeden Fall ein Herr!« sagte sie rasch, »ich fand gleich oben auf –« sie stockte plötzlich und biß sich auf die Lippen.



»Sie haben den fremden Reisesack geöffnet?«

 



»Ja, allerdings, aus Versehen natürlich, die kleinen Schlösser sind sich ja alle gleich und ich sah nicht eher, daß ich mich geirrt, bis ich – bis ich –«



Ich wußte was jetzt kam, was jetzt kommen mußte, sie hatten ja gleich obenauf gelegen. –



»Ein kleines Buch fand, einige geheftete Bogen heißt das, mit – Gedichten. Ach Adolph, wenn Sie die Gedichte gelesen hätten« –



Ueberrascht sah ich zu ihr auf; die verdammten Gedichte hatte ich ganz vergessen, doch sie gefielen ihr, Emilie schwärmte dafür.



»Todt hätten Sie sich gelacht über das Zeug,« fuhr die junge Dame, die sich wieder ganz gesammelt hatte, fort, »manches unsinnige Gedicht habe ich schon gelesen, aber solch übernächtigen Mondenschein und Liebesjammer, solche Selbstmordphantasie und überschwengliche Winselei noch nie im Leben. – Ich – wurde etwas aufgehalten und las einige davon, sie waren zu komisch.«



»Aber mein Fräulein,« stotterte ich und verbarg mein Gesicht für einen Augenblick in mein Taschentuch, mir war es als ob das aus dem Herzen herausschießende Blut die Stirnadern zersprengen müßte, »ich weiß doch nicht – fremde Schriften –«



»Eines Kaufmannslehrlings,« unterbrach sie mich lachend, »das hat keine Gefahr, die geschnörkelte Handschrift verräth den Dichter,« – es hatte mich einen Thaler fünfundzwanzig Neugroschen gekostet, sie sauber abschreiben zu lassen. – »Sie müssen uns morgen besuchen,« fuhr sie fort, »da können Sie den Unsinn selber lesen; ich will den Reisesack später zu einer Bekannten schicken, wohin ich die Zeitungsannonce zu richten gedenke.«



Das war zu viel, meine Pulse flogen fieberhaft, meine Stirn brannte, das Wort lag mir auf der Zunge, mit dem ich sie zu Boden schmettern wollte; mit solcher Heftigkeit ergriff ich dabei ihren Arm, daß sie einen leisen Schrei ausstieß und erschreckt zu mir aufsah. Da wirbelten die Pauken, da dröhnten die Trompeten ihre Jubelfanfare drein, der innere Kreis lichtete sich und die Paare flogen zum Antritt an ihre Plätze, ich sprang auf und starrte wild umher.



»Kommen Sie, Adolph,« flüsterte da Emilie und drückte leise meine Hand, »der Tanz beginnt wieder, wir fehlen sonst in der Française.«



Fast willenlos zog sie mich dem Kreise der jubelnden Schaar zu, mich, den Verzweifelnden, mit der Hölle im Herzen; da zuckte es auf in mir, in langverhaltenem Grimme; ich riß mich los von der Entsetzlichen, that einen Sprung zurück und rief: Nein, – kein Wort kam über meine Lippen, auch der kleinste Laut erstarb mir auf der Zunge, aber ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Heiliger Gott, ich hatte die fremden, engen Beinkleider vergessen, eine Naht war bei meiner allzufreien Bewegung geplatzt, soviel fühlte ich, und fürchtete jetzt das Entsetzlichste. Aller Augen richteten sich dabei, wie es mir wenigstens vorkam, auf mich und mir war es, als wenn ich vor Schaam hätte in die Erde sinken sollen.



Wenn sie es merkten, wenn ich unter dem höhnischen Lachen dieser Elenden den Saal verlassen mußte; doch nein, noch konnten sie den ganzen Umfang meines Jammers nicht begriffen haben, noch war es vielleicht möglich, mich unbeachtet zu entfernen. Das einzige Mittel blieb ein urplötzliches Nasenbluten; ich riß das Taschentuch heraus, hielt es mir vor das Gesicht und überflog mit einem schnellen Blicke das Terrain. Aber der ganze Platz zwischen uns und der Thüre war von Menschen frei – nur einzelne Damen standen hier und da und unzählige Lichter verliehen ihm Tageshelle; wagte ich mich jetzt darüber hin, so setzte ich mich tollkühn selbst einer Entdeckung aus; ich mußte einen günstigem Zeitpunkt abwarten.



Ein zweiter Blick überzeugte mich, daß der Platz, auf dem ich vor wenigen Minuten mit Emilien gesessen, noch frei sei und auch ziemlich von einer neben ihm herunterhängenden Gardine verdeckt und dadurch unbeachtet liege. War ich im Stande mich dorthin unerrathen zurückzuziehen, so konnte ich nachher meine Zeit abpassen und bei günstiger Gelegenheit die Thüre gewinnen.



Daß ich unter diesen Umständen nicht wagen durfte, der Gesellschaft den Rücken zu drehen, läßt sich denken; obgleich mir aber Emilie voll Erstaunen nachsah, da selbst das vorgehaltene Taschentuch eine solche retrograde Bewegung nicht vollkommen entschuldigte, so gelang es doch endlich durch äußerst geschicktes Manöveriren und die Deckung eines hochlehnigen Stuhles, den Sitz wieder zu erreichen, um von hieraus meine völlige Flucht