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Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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Dadurch war es den Verbündeten freilich unmöglich geworden, die Tochter gehörig vorzubereiten, um am nächsten Morgen nicht zu viel Zeit zu verlieren. Nichtsdestoweniger trafen sie alle nöthigen Vorkehrungen, und kauften besonders mehre Kleidungsstücke ein, denn Louise sollte unter keiner Bedingung auch nur ein Stück der ihr von Wagner geschenkten Kleidungsstücke mitnehmen; selbst ein Bonnet und das Nöthigste, was sie für den Augenblick brauchte, konnten sie leicht in dem 150 Miles entfernten Louisville bekommen, wo sie genug Zeit behielten, Einkäufe zu machen, während das Dampfboot langsam durch die Schleusen des Canals gelassen wurde.

Der von Schwabe in ängstlicher Ungeduld so sehnlichst herbei gewünschte Morgen brach endlich an, und unten an der Landung waren die Feuerleute und Deckhands des Raritan schon emsig beschäftigt, die Kessel zu heizen und die Verdecke mit unzähligen heraufgeholten Eimern Flußwasser zu scheuern und abzuspühlen. Oben in der fünften Straße öffnete der Barkeeper des deutschen Kaffeehauses die Laden, fegte das Schenkzimmer aus und ging dann an seine gewöhnliche Morgenarbeit, das im Hinterhaus versteckt liegende Spielzimmer nach seinem nächtlichen Besuch zu reinigen und zu lüften und zum nächsten vielleicht schon sehr baldigen Besuch wieder herzurichten, mit welchem Geschäft er selten vor neun oder halb zehn Uhr fertig wurde.

Louise war indessen vorn in der Bar beschäftigt, staubte die Flaschen und Tische ab, spülte und wischte die Gläser aus, breitete neue Servietten auf die verschiedenen Kaffeebreter, füllte die kleinen Flacons mit Staunton Bittres und Pfeffermünzessenz, putzte die blind gewordenen Fensterscheiben und that überhaupt Alles, um die Schenkstube in ihrer gewöhnlichen Sauberkeit und Reinlichkeit zu halten und war so emsig dabei beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkte, wie schon ein Mann mehre Minuten lang in der geöffneten Thüre stand und ihrem thätigen Schaffen und Treiben sinnend aber aufmerksam zuschaute.

Dem armen Mädchen gingen aber auch gar viele trübe und ernste Gedanken im Kopf herum – war nicht, wie ihr Mrs. Wagner gesagt, ihr Vater gekommen, und wollte er sie nicht ihrer jetzigen liebgewonnenen Heimath entreißen, um sie einer andern – wie ihre Pflegeeltern sagten – traurigen und freudlosen Existenz entgegen zu führen? war sie gezwungen ihm zu folgen, oder durfte sie bleiben, wenn sie ihm verweigert wurde? – Ja – durfte sie in dem Fall wirklich bleiben, oder zwang sie die kindliche Pflicht, dem zu folgen, der von der Natur das erste heiligste Recht auf sie erhalten hatte? Ach, wer half ihr aus diesen Zweifeln, welcher redliche Freund rieth ihr, was sie thun, was sie meiden sollte? –

»Louise!« sagte da eine leise – zärtliche Stimme – »mein Kind – meine Tochter.« –

Und Louise, als sie die bekannten Laute hörte, fuhr zusammen, daß ein Glas, an welchem sie gerade putzte, ihrer Hand entfiel und auf dem Boden klirrend zerbrach. Blitzesschnell fuhr sie herum, vor ihr aber stand, die Arme freundlich und liebend nach ihr ausgestreckt – ihr Vater. Das arme Kind wurde todtenbleich, zitterte an allen Gliedern und vermochte kein Wort über die Lippen zu bringen; Schwabe aber ergriff ihre Hand, zog die kaum Widerstrebende langsam an sich und flüsterte, indem er ihr liebkosend die Haare aus der Stirn strich:

»Mein Kind – mein liebes, gutes Kind, nicht wahr, jetzt läßt Du mich nicht wieder allein zu Deiner Mutter zurückkehren? der bräche das Herz darüber; nein, jetzt, jetzt verläßt Du mich nicht wieder, jetzt bleiben wir beisammen, und Du, nicht wahr, meine gute Louise, Du gehst mit mir zu Deiner Mutter nach Louisiana?«

»Aber wird mich Missis Wagner fortlassen?« murmelte in Angst und Unentschlossenheit das arme Mädchen – »wird sie –«

»Das sind böse Menschen, die Dich Deinen Eltern vorenthalten wollen,« drängte der Vater – »Du bist in dem Hause hier auch nicht gut aufgehoben, der Brauer hat mir Alles erzählt. Doch davon später. Jetzt drängt die Zeit, in wenigen Minuten geht das Dampfboot ab – die Ketten sind schon eingenommen, es hängt nur noch an einem einzigen Tau und wartet auf uns.«

»Jetzt?« rief Louise erschreckt, und suchte ihren Arm frei zu machen – »jetzt soll ich fort – heimlich fliehen?«

»In die Arme Deiner Eltern sollst Du, Louise – zu den Deinigen, die Dich auf den Händen tragen und für Dich sorgen werden, wie sie es sich schon so lange Jahre gewünscht.«

»Und ohne Abschied sollte ich fort von meinen Eltern, fort aus diesem Hause?« bat, immer ängstlicher werdend, die Arme – »Niemand ist hier im Laden – sie haben mich wie ihr Kind behandelt – sie haben mich lieb und ich – ich –«

Ein starkes Klopfen an den Fensterscheiben schreckte sie wieder empor und gleich darauf steckte ein kleiner Negerbursche den Wollkopf in die noch offene Thüre herein und rief mit seiner feinen, piepigen Stimme: »Raritan geht, Massa – haben schon steam 'nausgelassen, soviel – Wagen steht an der Ecke.«

»Siehst Du, mein Kind – es ist alles vorbereitet,« flüsterte der Vater und zog die Tochter der Thüre zu, »in wenigen Minuten können wir auf dem Dampfboote, in fünf Tagen kannst Du in den Armen und an dem Herzen Deiner Mutter sein – komm, komm, Louise!«

»Heiliger Gott! ich kann und darf ja doch nicht wie ein Dieb hier aus dem Hause entfliehen, das mir so lange Jahre Schutz und Nahrung gegeben, – ich möchte schon mit Ihnen gehen, Vater, aber – so – so nicht, so auf keinen Fall.«

»Louise – mein Kind!« bat noch einmal der Vater, und die Heftigkeit seiner Gefühle drohte ihm die Stimme zu ersticken – »Du wirst und darfst mich nicht allein zu Deiner Mutter zurückkehren lassen – Du mußt mit mir gehen – ich befehle es Dir als Dein Vater.«

»Um Gottes willen, Vater, Sie zerdrücken mir den Arm – ich darf wahrhaftig nicht fort.«

»Holla da, wer will Dich zwingen?« rief plötzlich eine rauhe, finstere Stimme, und Wagner, noch im Morgenkostüm, mit verschlafenen Augen und hoch aufsträubenden Haaren, trat in die Thüre, wo er – sobald er sah, daß Schwabe bei seinem Erscheinen den Arm der Tochter fast unwillkürlich losließ und sich rasch nach ihm umwandte, stehen blieb, und mit höhnischem Tone in seiner Rede fortfuhr. »So, Sir – also ordentlich Versteckens wird gespielt, um denen, die uns das eigene Kind lange und schwere Jahre hindurch gepflegt und erzogen, dieses, wenn man nachher anfängt seine Freude daran zu haben, förmlich zu rauben und zu stehlen? – da werde ich wohl am Besten thun, wenn ich gleich auf's Gericht gehe und die saubere Bescheerung anzeige – ich bin Bürger hier und will doch einmal sehen, ob mich das Gesetz nicht in meinem Eigenthum schützen wird.«

»Wagner,« murmelte Schwabe, und hielt noch immer den finsteren Blick auf sein Kind geheftet, das, keiner weiteren Bewegung fähig, jetzt, da sich sein Schicksal entschieden, an dem Schenktisch lehnte und weinte, als ob ihm das Herz brechen wollte – »Wagner, möge Gott Dir verzeihen, daß Du den Eltern das Kind verweigerst – die Summe, die Du verlangst, bin ich aber, das weißt Du recht gut, nicht im Stande zu bezahlen; Du weißt aber auch, daß Du die Summe nicht verdienst, daß mein Kind mehr für Dich gearbeitet, als das Wenige beträgt, was sie verzehrt und womit sie sich gekleidet. Gott nur sieht den Menschen in's Herz, ihm werden auch die Mittel bekannt sein, die Du angewandt, sein junges Blut gegen mich zu kehren. Daß ich mein Kind heimlich mit mir fortnehmen wollte, leugne ich nicht, und hättest Du es verhindert, so würde mich das arg geschmerzt haben, aber – es weigert sich selber mitzugehen – es will von seinen Eltern Nichts mehr wissen, und das ist hart, das hatte ich nicht erwartet, und das – thut auch recht weh, weher, als mir je ein Wort von Dir thun konnte, Wagner. So lebt denn hier Alle recht wohl – ich kehre nun wieder nach Cincinnati zurück, Dir aber, mein Kind, meine Louise« – und die herausquellenden Thränen machten seine Worte fast unverständlich – »Dir wünsch ich, daß Du nie fühlen, nie ahnen mögest, welchen Schmerz Du Deinen armen Eltern bereitet, die, Gott ist mein Zeuge, nur durch ihre Lage gezwungen waren, Dich so lange fremden Händen zu überlassen – lebe wohl, und möge Gott Dich segnen, ich kann nicht böse auf Dich sein. Aber halt, hier, das hat mir Deine Mutter für Dich gegeben, ich hatte einmal geglaubt, ich würde es nicht abzuliefern brauchen – gut so, es hat so sein sollen – Deine arme Mutter.«

Er ging auf die Tochter zu, legte ein kleines Paket neben sie auf den Schenktisch, drückte sie dann noch einmal rasch und heftig in die Arme, einen Kuß auf ihre Stirn und verließ, ehe Louise kaum wußte daß er sie losgelassen, das Schenkzimmer, vor dem eben wieder, jetzt aber mit breitem Erstaunen in den dunkeln Zügen, das Gesicht des Negerknaben aufgetaucht war.

Wie er nach Mainstreet und in den dort harrenden Wagen kam, wußte er nicht – in eine Ecke gedrückt, die Hände krampfhaft gegen das Gesicht gepreßt, fühlte er nur, wie die leichte Gig blitzesschnell mit ihm die steile Straße hinunterrasselte, und bald darauf vor dem wild schnaubenden und keuchenden Dampfboot hielt; dort aber kam er erst wieder zur Besinnung als der hier harrende Brauer den Kutschenschlag aufriß und ganz verblüfft stehen blieb, als er den Freund allein zurückkehren sah. Hier war aber nicht lange Zeit mehr zum Besinnen, der ungeduldige Ruf des Capitäns, der nun mit ganz außergewöhnlicher Gefälligkeit bis jetzt gewartet, trieb ihn an Bord –

»Sie wollte nicht mit!« rief der arme Vater nun trauernd dem Freunde zu, riß sich von diesem, der ihn noch zurückhalten wollte, los, sprang an Bord und keuchend und puffend drängte der Dampfer rückwärts in den Strom hinein, und warf die aufgerüttelten Wellen hinauf an das eben verlassene Ufer. In der Mitte des Stromes hielt die Maschine einen Augenblick und das Fahrzeug trieb eine kurze Strecke mit der Strömung hinunter, schwenkte dann nach der Seite hinüber, kehrte den Bug gen Westen und schoß blitzesschnell davon, während das eine mächtige Sternrad schäumende und zischende Wassermassen hinter sich hinaus schleuderte.

 

Und Louise? –

Das arme Mädchen war kaum im Stande, den Tag über ihre Geschäfte zu besorgen; das Hirn brannte ihr fieberhaft, und ihr war es, als ob sie fortwährend in einem Traume wandle, aus dem sie jeden Augenblick erwachen müsse. Ihr Vater? – das war ihr Vater gewesen, der sie hatte mitnehmen, zur Mutter mitnehmen wollen – ihr lebte eine Mutter, aber weit von hier, eine Mutter, die sie vielleicht lieb hatte, die ihrer harrte und sie? O wie dem armen Kind die Pulse flogen, wie seine Augen glühten und schmerzten. Sie konnte sich kaum noch aufrecht erhalten und Wagner, dem ihr verändertes Aussehen auffiel, schickte sie heute schon mit Dunkelwerden auf ihre Kammer.

Hier angelangt, wollte sie sich gleich aufs Bett werfen, da fiel ihr das kleine Paket in die Augen, das ihr der Vater heute beim Abschied gegeben. Sie zündete ihr Lämpchen an und bei dem matten Schein desselben öffnete sie den Faden, der es umschlossen hielt – Ha – ein kleines Bild blitzte ihr entgegen und ein dicht zusammengefaltetes Briefchen glitt heraus und vor ihre Füße nieder. Das Bild? – das, das mußte ihre Mutter sein – ihre Mutter die sie mit den treuen blauen Augen so freundlich anlächelte – und diese Augen – mußten die sich nicht mit Thränen, mit heißen, schmerzlichen Thränen füllen, wenn der Vater, ohne das Kind zurückkehrte, und der Mutter sagte – daß die Tochter – Nichts von ihr wissen wolle – daß sie sich geweigert habe, ihm zu folgen?

Sie stützte den Kopf in die Hand und betrachtete lange und sinnend die theueren Züge, zu denen sie als Kind liebend emporgeschaut und den Namen »Mutter« hinaufgelispelt hatte. Ihre Augen füllten sich mit Thränen – da fiel ihr Blick auf das zusammengefaltete Blatt, sie hob es auf und entfaltete es.

»Mein liebes Kind,« lauteten die Zeilen – »ich kann zwar nicht selber schreiben, denn erstens hab' ich's nie gelernt, und dann bin ich jetzt auch recht krank und schwach, aus Sehnsucht Dich zu sehn, unser Barkeeper hat mir aber den Gefallen gethan, und die paar Zeilen aufgesetzt. Hätte ich schreiben gekonnt, ach wie oft hätt' ich an Dich, Du liebes Kind, geschrieben. Doch nun schadet es Nichts mehr – nun kommst Du bald zu uns, und dann soll uns Nichts auf der weiten Welt mehr trennen. Ach Du glaubst gar nicht, wie ich mich nach Dir sehne; ich glaube ich stürbe, wenn ich Dich nicht bald in meine Arme schließen könnte. Ich habe Dich wohl recht lange ohne Nachricht von mir gelassen, aber nicht wahr – Du bist Deiner Mutter nicht böse darüber, ach ich will Dich ja jetzt so lieb dafür haben. Das dabei ist mein Bild – es ist recht ähnlich – ich habe ihm tausend Küsse für Dich gegeben – es mag sie Dir wieder geben, bis ich Dich selbst an's Herz drücken kann. Aber jetzt lebe recht wohl – recht wohl meine liebe Tochter und möge Dich Gott recht bald und recht gesund in meine Arme führen. Es grüßt und küßt Dich viel hundert tausendmal

Deine Mutter.«

Louise saß lange, lange auf ihrem Bett und starrte auf den Brief nieder; – wieder und wieder überflog sie die Zeilen, preßte sich die fieberheiße Stirn zwischen die kleinen kalten Hände und blieb dann auf's Neue in dem Inhalt dieser, mit bitterem Vorwurf an ihr Herz dringenden Worte verloren. Endlich brach sich der nicht länger dammbare Schmerz Bahn – sie ergriff das Bild, preßte es unter einem heißen Thränenstrom an die Lippen und sank dann, mit dem leise und schluchzend hervorgerufenen Wehelaut »zu spät – zu spät, – nun ist Alles vorbei und ich habe die Mutter für ewig verloren!« auf ihr Lager zurück.

Wir wollen einen Zeitraum von fünf Monaten überspringen, und wiederum bitte ich den Leser, mit mir den etwas steilen aber kurzen Berg hinaufzusteigen, der von der äußersten Grenze Bayou Sarahs aus, bis zu den ersten Häusern des kleinen Städtchens Francisville hinaufführt.

Dort, gleich linker Hand, wenn wir hinaufkommen, da, wo das breite starke Reck die hereinkommenden Pflanzer einladet, ihre Pferde zu befestigen und indessen einen kühlen Trunk zu thun, steht noch das freundliche, weiße Haus mit den Jalousien und der breiten Veranda, mit dem niederen Dach und der gastlichen Bank vor der Thür, aber das Schild – wo ist das Schild hin, das mit den großen goldenen Buchstaben den Namen unseres wackeren Landsmannes trug? Wo ist die lange schmale Tafel, die all die Leckerbissen und Delikatessen in güldenen Worten aufzählte? Ach lieber Leser, in dem Hause sieht's jetzt gar bunt und wild aus, die Schilder sind aus ihren eisernen Haken losgerissen, die Wände und Stuben leer und verlassen. Wo sonst das gemüthlich stille Stübchen war, da lag jetzt Stroh, einzelne Stückchen Packleinewand und kurze Bindfaden, während in der unteren Stube und in dem Schenklokale gescheuert und gewaschen wurde, als ob eben erst die eine Familie aus, eine andere eingezogen sei. Und das war auch so, denn traurige Veränderungen hatten in der selbstgegründeten Heimath unseres wackern Deutschen stattgefunden.

Als Schwabe damals ohne sein Kind zurückkehrte, und die arme Mutter nach und nach die ganze schreckliche Wahrheit erfuhr, ja erfahren mußte, da warf sie der Schmerz und Gram um das Verlorene auf das Krankenlager und ein schweres Nervenfieber bedrohte ihr Leben. Freilich siegte die sonst kräftige Natur der Frau endlich über den rüttelnden Tod, der frohe Muth war aber dahin, und bleich und abgezehrt wankte sie, einer Leiche ähnlicher als einem lebenden, fühlenden Wesen, im Haus herum. Auch Schwabe wurde immer trauriger, immer niedergeschlagener; er vernachläßigte seine Kunden und sein Geschäft, denn es machte ihm keine Freude mehr, und konnte dagegen stundenlang hinter dem Tisch sitzen, und in ein und dieselbe Ecke stieren.

Ein paar Monate hielt er das so aus; seiner Frau Krankheit beschäftigte ihn auch in der ersten Zeit viel zu sehr, um noch an sich zu denken, endlich aber sah er doch wohl ein, daß er so nicht länger fortbestehen könne.

Hier – ja hier hatte er ein hübsches Besitzthum, das ihn nährte, es ging ihm gut, und nichts fehlte ihm, was er zu körperlichem Wohlbefinden gebrauchte, was aber half ihm dies Alles, wenn trotzdem ein ewiger unvertilgbarer Wurm an seinem Herzen nagen sollte – wenn er die Frau in Sehnsucht nach ihrem Kinde hinsterben sah, und sich selbst am Ende noch Vorwürfe, und gegründete Vorwürfe machen mußte. Denn wie lange, wie viele Jahre hatten sie sich Beide nicht um die Tochter gekümmert, und konnte ihnen das jetzt in ihrem eigenen Gewissen zur Entschuldigung dienen, daß sie das Kind bei den wohlhabenden Leuten besser aufgehoben geglaubt, als es bei ihnen selbst der Fall gewesen? Nein, denn die Ueberzeugung, die Schwabe jetzt und besonders durch des Brauers Worte erhalten, sagte ihm, daß sich sein Mädchen dort vielleicht körperlich, aber keineswegs geistig wohlbefunden haben könne, wo sie blos als Mittel verwandt wurde, eine Haushälterin zu sparen und ihren Erziehern von so großem Nutzen zu sein wie möglich. Und darnach hatte er, der Vater, Jahre lang nicht gesehen, darauf mußten ihn jetzt erst fremde Menschen aufmerksam machen.

Doch, noch war nicht Alles verloren, noch gab es Gott sei Dank! ein Mittel, seinen Fehler zu verbessern und das Mittel, es war der erste freudige Gedanke, der ihn wieder durchzuckte, das Mittel hatte er sich selbst durch seinen eigenen Fleiß erworben und verschafft. Als er hier in Amerika zu arbeiten anfing, besaß er wenig oder gar nichts; selbst die Erfahrung fehlte ihm, die man in den Vereinigten Staaten gewöhnlich so theuer, so ungeheuer theuer erkaufen muß. Jetzt hatte er dagegen lange Jahre hindurch Erfahrung gesammelt, und kannte die Sitten und Gebräuche des Landes – mußte ihm nun nicht, und wenn er auch wirklich noch einmal von vornherein begann, der Anfang um so bedeutend leichter werden? – Gewiß! und sein Entschluß war gefaßt – es handelte sich hier nur um Geld, das er besaß, von dem er sich trennen konnte, und seine, seiner Frau Ruhe, seines Kindes Rückkehr war damit zu erkaufen. Was war es auch weiter, er entsagte ja nur einem errungenen Vortheil, einer nach und nach zum Bedürfniß gewordenen Bequemlichkeit und jetzt, da er sich überwunden, ja dem festen Willen sogar die That augenblicklich folgen ließ und all die hierzu nöthigen und erforderlichen Schritte that, da begriff er kaum noch, wie es möglich gewesen, daß er früher auch nur einen Augenblick gezaudert, und nicht schon lange, ja gleich damals als ihn der erste schmerzliche Schlag traf, Alles geopfert habe, was ja in diesem Falle nicht einmal ein Opfer genannt werden konnte, wo es das Glück seiner ganzen Familie, all der Seinigen betraf.

Er sollte sich auch nicht getäuscht haben, seine Frau schien mit diesem Entschluß des Vaters neue Lebenskraft zu gewinnen, – hier öffnete sich ihr auf einmal die Aussicht, ihr Kind – das schon als todt beweinte – wieder zu gewinnen und fast gewaltsam schüttelte sie von diesem Augenblick Alles ab, was ihren Geist noch niederdrücken, ihre Seele befangen und ängstigen konnte. Die Hoffnung war eingezogen in das treue Mutterherz, und mit ihr wuchs und gedieh auch wieder die Liebe zum Leben, das Vertrauen auf ihres Gottes Schutz und Güte, der sie in der letzten schweren Zeit ach! fast verlassen.

Hätte es übrigens noch eines Antriebes bedurft, den einmal gefaßten und beschlossenen Plan auch auszuführen, so kam der nach etwa vier Monaten in der Gestalt eines Briefes, von unserem alten Freund, dem Brauer, der Schwaben noch einmal ernsthaft aufforderte, einen zweiten Versuch zu machen, sein Kind wieder zu bekommen, wenn es nicht in seinen dortigen Verhältnissen an Seel und Leib verderben sollte. Die Spielhölle in Wagners Hause, hatte, seiner Aussage nach, einen so gefährlichen Charakter angenommen, daß er aus guter Hand wisse, der Magistrat warte jetzt nur noch auf eine Gelegenheit, ernsthaft einzuschreiten, und Louise müsse dabei über ihre Kräfte angestrengt werden, denn sie sähe bleich und elend aus und habe, so oft er nun auch hingekommen sei, immer trübe und verweinte Augen.

Es war hier – das sah Schwabe aus dem ganzen Brief – gar keine Zeit mehr zu verlieren, den Verkauf seines Grundstücks betrieb er also so viel als möglich, und sandte zu gleicher Zeit den, indessen zu einem wackeren, braven jungen Mann herangeschossenen Sohn nach dem Westen von Arkansas, wo er sich, als ehrlicher Farmer am Fuße der Ozark-Gebirge anzusiedeln gedachte. Carl sollte dort einen Platz aussuchen und vorher irgend eine kleine Hütte zu ihrem ersten Aufenthalt einrichten, daß sie, so lang die nöthigsten Arbeiten dauerten, doch wenigstens ein Obdach hatten. Das Andere fand sich später von selber, und dort, in einem Lande, wo man keine Ansprüche macht, unnütze Bequemlichkeiten nicht kennt, und sich deshalb gerade mit dem wenigen, was die Natur bietet, glücklich fühlt, wurde es ihnen auch leichter zu vergessen was sie einst besaßen, wenn sie nur das Wenige, was ihnen blieb mitsammen genießen konnten, und sich nicht immer sagen mußten, Eines fehle noch – eines von den Ihren, dessen Glück Gott dereinst von ihnen fordern könne und werde.

Manchmal zwar tauchte auch, selbst in diesen Vorbereitungen, noch das alte Gespenst der Angst und Ungewißheit auf – das Kind mag Nichts von den Eltern wissen – es liebt Die nicht, die es so lange vergessen und unter fremden Menschen gelassen haben – es hat ja nicht einmal mit dem Vater zu Hause gewollt, obgleich der Mutter fast das Herz darüber gebrochen; aber die Mutter selber beschwichtigte alle diese Zweifel.

»Daß sie zu Dir nicht gleich Vertrauen fassen konnte, ist natürlich,« sagte sie unter Thränen lächelnd, »komme ich aber selbst zu ihr hinauf, hat sie nur einmal am Herzen der Mutter gelegen, dann geht sie von Der auch nicht wieder fort, und wenn Du sie gleich dazu zwingen wolltest. Bring Du nur die Geldangelegenheit mit Wagner in Ordnung, befriedige dessen Forderungen, und ich stehe Dir dafür, wir verlassen Cincinnati so froh und glücklich, als ob wir dem Reichthum und Ueberfluß entgegen gingen.«

Man glaubt ja so gerne was man wünscht und Schwabe betrieb die Zurüstung mit allem nur möglichen Eifer; sein Haus hatte er auch bald verkauft, es lag vorzüglich, war noch neu und in gutem Zustand, da fehlte es nicht an Liebhabern. Ein Brief von seinem Sohne meldete ihm ebenfalls, daß in Arkansas, in einer reizenden Gegend und auf gutem trefflichen Lande Alles vorbereitet und des Pflugs gewärtig sei. Das was er an Gepäck mitzunehmen wünschte, stand bereit, und von dem, erst kürzlich eingetroffenen Mail- oder Postboot hatte er ebenfalls gehört, daß noch an diesem Tage der, nach Cincinnati bestimmte »Eagle of the West«, ein rasches wackeres Dampfboot, eintreffen würde. Dieses wollten sie benutzen, ihr Aufenthalt in Ohio sollte nicht lange dauern, und in gar kurzer Zeit konnten sie friedlich – glücklich mitsammen, in den freundlichen Thälern der herrlichen Ozarkgebirge ihre Heimath gegründet haben.

 

Schwabes Frau schien aber mit der neuen freudigen Hoffnung, ihr Kind nun bald, recht bald wieder zu sehen, auch ein neues und freudiges Leben eingesogen zu haben; ordentlich verjüngt arbeitete sie nach Herzenslust, die noch etwa nöthigen kleinen Geschäfte zu besorgen und solche Vorbereitungen zu treffen, die ihnen den Aufenthalt im Zwischendeck eines Dampfbootes erleichtern konnten. Da hörten sie plötzlich unten vom Mississippi aus, eine Glocke und erschraken nicht wenig. Wenn dieß schon der Eagle of the West war, wie kämen sie dann noch, mit allem dem was sie mitzunehmen wünschten, zeitig genug herunter und an seinen Bord, denn die Capitäne solcher Boote warten selten lange, selbst auf Cajütenpassagiere, vielweniger denn auf »People«, das im unteren Deck für wenige Dollar mitfahren will.

Schwabe faßte seinen Hut auf, gab rasch einem jungen Deutschen, einem Karrenführer, der mit seiner Dray gerade in der Nähe hielt, die nöthigen Anweisungen, Frau und Koffer, so schnell ihm das irgend möglich sei, nachzuschaffen und eilte dann selber mit flüchtigen Schritten voran, um, wenn er das irgend vermöge, das Boot aufzuhalten und noch mit fortzukommen. Kaum erreichte er aber den äußersten Stand des steilen Hügels, auf welchem St. Francisville steht, und von dem aus er das dicht am Mississippi liegende Bayou Sarah wie den ganzen Strom überschauen konnte, als er den weiß aufsteigenden Dampf des unten gelandeten Bootes bemerkte, der eben wieder durch die 'scape pipe auspuffte – gleich darauf wandte sich der Bug vom Lande ab, schwenkte nieder, und ging – den Strom hinunter.

»Gott sei Dank« murmelte Schwabe leise vor sich hin und wandte sich langsam gegen sein Haus zurück, »ich glaubte schon, wir hätten das rechte versäumt, und müßten noch ein paar Tage länger warten.«

Die Sachen schickte er übrigens ohne weiteres an die Landung, denn um keinen Tag mehr zu versäumen, wollte er gar nicht wieder nach Louisiana zurückkehren, sondern gleich von Cincinnati aus, ein für den Arkansas bestimmtes Boot benutzen.

Die Dray war um die Biegung der Straße und den Berg hinunter, verschwunden, Schwabes aber gingen noch einmal in's Haus zurück; theils um zu sehn, ob sie in dem ersten eiligen Aufbruch Nichts vergessen hätten, und dann auch, um ruhigeren Abschied von dem Ort zu nehmen, der bis jetzt ihre Heimath gewesen und den sie nun für immer, auf nimmer Wiederkehren, verlassen sollten. Den armen Leuten zuckte es dabei recht durchs Herz – erst beim Scheiden findet man ja nur zu oft, wie lieb man, bis dahin vielleicht nur gleichgültig betrachtete Räume und Gegenstände gehabt hat – der Gedanke aber an ihr Kind, das sie sich mit diesem Opfer zurückerkauften, nahm aber solchem Gefühl alles Bittere – sie sprachen kein Wort, sie standen nur lange und schweigend neben einander und drückten sich endlich, als Schwabe leise zum Aufbruch mahnte, still und herzlich die Hände.

»So komm denn, mein liebes Weib,« bat der Deutsche und zog sie sanft der Thüre zu, »komm und mache Dir nicht gar zum Abschied noch trüben Sinn; denke, daß wir das Alles ja nur zurücklassen, um mit unserem Kind wieder vereint zu leben.«

»Trüben Sinn,« lächelte die Frau unter Thränen, »glaube das ja nicht, Schwabe, kein trüber Sinn ist's, der mir das Wasser in die Augen treibt, nein, in der Seele wohl thut's mir, daß ich gerade so ruhig und freudig von dem Ort fortgehn kann, den ich schon bis an mein einstiges Ende zu behalten geglaubt, stolz bin ich darauf, wenn ich –« sie horchte einem Geräusch das unten im Hause laut wurde –

»Es ist Nichts – wahrscheinlich die Packer, die ihr Geräthe mitnehmen,« sagte Schwabe.

»Sie müssen oben sein« berichtete die Stimme eines Nachbars, die Schwabe kannte, irgend jemand Fremden, »ich habe sie erst vor kaum einer Viertelstunde hinaufgehn sehn, und sie sind noch nicht wieder herunter gekommen.«

Ein leiser Dank wurde erwiedert, und gleich darauf knarrte die hölzerne Stiege; Schwabe wandte sich der Thür zu, die sich in demselben Augenblick öffnete. Ein junges Mädchen trat herein. –

»Heiliger Gott!« schrie der Deutsche und fuhr erschreckt empor – »Louise!« –

»Louise?« stöhnte kaum hörbar die Frau – »unser Kind?«

»Mutter – Mutter« rief aber in diesem Augenblick die Tochter und flog in die ihr noch halb zweifelnd entgegengestreckten Arme – »Mutter – o mein Gott!«

Schmerz wie Freude wirken gleich stark, das Uebermaß der Gefühle macht das Blut stocken und lähmt die Thätigkeit der Nerven. Aber die Freude tödtet nicht so leicht, in ihr selbst liegt schon wieder die Heilung des ersten vielleicht zu mächtigen Schlages und der Augenblick des Erwachens ist auch der Augenblick der Rettung. Louisens Mutter war, von dem Uebermaß des Glückes ohnmächtig zu Boden gesunken, jetzt aber, unter den vereinten Bemühungen des Gatten und Kindes, die lachend und weinend die Schläfe der Bewußtlosen rieben und alle möglichen anderen Belebungsversuche anwandten, kam sie bald wieder zu sich und hielt nun, kaum im Stande ihr Glück zu begreifen, ja nur zu glauben, das lang entbehrte und ach, so geliebte Kind fest, fest umschlossen, als ob sie es nie im Leben wieder von sich thun und lassen wolle.

Doch welche Feder vermöchte die Gefühle der Mutter – die Empfindungen dieser drei Glücklichen zu beschreiben; lange Zeit fanden sie gar keine Worte und hielten sich nur still und selig umfaßt. Endlich aber, nach dem ersten Sturm der Grüße und Küsse frug Schwabe, was sie denn eigentlich hier herunter nach Louisiana gebracht, und wie es gekommen sei, daß sie Wagner überhaupt frei gegeben habe? Der Eltern Erstaunen läßt sich denken, als sie erfuhren, daß ihr Kind allein den ganzen weiten Weg die beiden mächtigen Ströme hinunter, allein auf dem großen Dampfboot, zwischen lauter fremden Leuten, zwischen dem rohen Volk des Zwischendecks hierher gekommen sei. Aber wir wollen sie selber reden und ihre Flucht erzählen lassen.

»Ach Vater« sagte sie, »wie weh mir um's Herz war, als Sie mich an jenem Morgen verließen –«

»Laß den Morgen Kind,« unterbrach sie hier lächelnd der Vater, »laß das Vergangene sein, wir haben Dich ja jetzt und alle Noth ist vorüber – aber noch eines – nicht mit dem kalten höflichen Sie mußt Du uns anreden, wie bei vornehmen Leuten Sitte sein mag, ich bin Dein Vater, das ist Deine Mutter und Du bist unser Kind; da gehört sich weiter Nichts als Du und Du, so haben wir's von je gehalten, und so soll's bleiben.« Die Tochter drückte den Eltern mit einem thränengefüllten Blick die Hand und fuhr leise fort:

»Ich muß doch wohl den Morgen noch einmal erwähnen, lieber Vater, denn in dem Augenblick, wo ich Dich so erschüttert davoneilen sah und Zeuge sein mußte, wie häßlich und unfreundlich Dich Herr Wagner behandelte, da war es, als ob ich zum ersten Male fühle, wie unrecht ich gethan hatte, nicht mit Dir, zu Euch, zur Mutter zu gehen. Und als ich nun endlich gar Dein Bild, liebe Mutter, und Deinen herzlichen Brief fand, und als ich mir sagen mußte, wie Du Dich grämen würdest, wenn ich nicht mit dem Vater heim käme, da habe ich die Nacht, und die folgende und alle Nächte geweint und geweint und wußte mir keines Rathes und hatte Niemand, mit dem ich mich aussprechen, gegen den ich mein ganzes Herz ausschütten konnte. Dabei mag ich wohl manchmal meine Pflicht versäumt haben, denn es war mir zu weh um's Herz und ich dachte an Nichts weiter als an Euch – und Missis Wagner schalt mich und Herr Wagner wurde auch unfreundlich, denn er meinte, die Gäste in der Hinterstube würden sich kein Glas mehr von mir einschenken lassen, wenn ich immer feuerrothe, verweinte Augen hätte. Unter jenen Gästen waren aber auch recht böse Menschen, die ein paar Mal sogar mit Messern nach einander stachen, ja einmal trugen sie sogar Einen todt fort, und Herr Wagner stieß fürchterliche Drohungen gegen mich aus, wenn ich auch nur eine Sylbe darüber redete.«