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Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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»Thorheit – Unsinn – kommen Sie da mit einem ganzen Packet voll wenn und aber und – zum Donnerwetter, Herr – lassen Sie mich jetzt mit ihren Lamentationen zufrieden, die Dirne ist verkauft – ich habe den Brief selbst unterzeichnet und damit basta. – Gehen Sie zum Overseer, wenn Ihnen so viel d'ran liegt, mit funfzig Dollar Profit wird er sie wieder ablassen – oder – gehen Sie lieber einmal ins Feld und schicken Sie ihn mir herauf, ich habe etwas mit ihm zu sprechen.«

Der alte Mann schritt ins nächste Zimmer und warf ärgerlich die Thüre hinter sich ins Schloß. Aber nicht mehr auf den jungen Creolen zürnte er, sondern auf sich selbst; zum ersten Mal wurde jetzt der Gedanke in ihm wach, daß er doch wohl zu voreilig gewesen und sich von seinem Jähzorn zu sehr habe hinreißen lassen. Das Geschehene ließ sich freilich nicht mehr ungeschehen machen, aber versuchen wollte er nun, ob er es nicht wenigstens verbessern könne. Er gedachte Saise zu kaufen und dann nachzuforschen, ob wirklich schwarzes Blut in ihren Adern rolle; bis dahin konnte sie ein kleines Haus für sich beziehen, und brauchte mit ihm und seiner Tochter nicht in Berührung zu kommen.

Eine Stunde später stand Duxon mit Pitwell wieder am Ufer des Flusses.

»Pitwell,« sagte der Erstere, »ich glaube doch, es ist besser, wir brechen schon morgen auf; den alten Beaufort scheint die Sache zu wurmen – er wird bedenklich.«

»Sollte er etwas merken?« frug Pitwell ängstlich.

»Ein Wunder wär's nicht,« knirschte Duxon zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »der Laffe war ja wieder hier und hat ihm wahrscheinlich in den Ohren gelegen. Denkt nur, er wollte mir die Dirne wieder abkaufen.«

»Wer? Mr. Beaufort?«

»Ja – Beide – erst der Gelbschnabel und dann, wie ich zum Herrn kam, dieser selbst. – Er hatte, während ich mit ihm sprach, einen Brief in der Hand, und meinen Hals wollt ich verwetten, daß er vom Richter war. Da ich nun hier manche Kleinigkeit an der Kreide habe, so sehe ich gerade nicht ein, weshalb wir noch länger zögern sollten. Als ich ihm die Indianerin nicht verkaufen wollte, lief ihm wieder, wie gewöhnlich, die Galle über die Leber und er sagte, ich möchte in einer Stunde zu ihm kommen und mit ihm abrechnen, die Gelegenheit will ich benutzen; eine so schnelle Abrechnung erspart überhaupt manches Unangenehme. Meine übrigen Angelegenheiten kann ich alle bis morgen früh geordnet haben; bis dahin haltet Ihr Euch auch fertig; in vier Tagen müssen wir in Texas sein.«

»Gut!« sagte Pitwell nachsinnend, »aber, Duxon, wir gehen dann in Gesellschaft – ich – ich habe noch einige Freunde, die mich hinter Fischer's Landung erwarten – Ihr – Ihr macht Euch ja doch wohl nichts daraus, ein wenig schnell zu reisen?«

Duxon sah ihn scharf von der Seite an und frug nach kleiner Pause: »Darf ich dann aber auch wissen warum?«

»Und gebt Ihr mir Euer Ehrenwort, daß Ihr schweigen wollt?« flüsterte Pitwell, sich vorsichtig umschauend.

»Braucht Ihr mein Ehrenwort dafür?« lächelte der Overseer.

»Nun, ich sehe, Ihr versteht mich, Duxon,« fuhr der Yankee leise fort; »ich habe wieder ein kleines Geschäft im Gang, gerade so wie wir es damals betrieben. Ein reicher Pflanzer, vom andern Ufer des Mississippi, will seine Sklaven gern nach Texas schaffen, da sie in Louisiana zu vielen Werth für andere Leute haben, und er bezahlt mir hundert Dollar für den Kopf. Unterhalb Waterloo sind wir gestern morgen übergesetzt, und mit Hülfe zweier Gefährten habe ich sämmtliche Neger, hundert und funfzehn Mann, in den zwischen Fischer's Laden und dem Cutoff liegenden Sumpf gebracht – saht Ihr die drei, die heute Morgen hier vorbeizogen? Das waren die letzten. Sie haben sämmtlich falsche Pässe. Jetzt wißt Ihr Alles und seid Ihr gescheidt, so schließt Ihr Euch nicht allein an uns an, sondern nehmt Euch auch noch ein paar – Begleiter mit. Hat denn Beaufort gar keine Neger, denen das Leben in Louisiana nicht länger gefällt? Ihr könnt ihnen ja sagen, es ginge in ein besseres Klima.«

»Das wohl,« murmelte Duxon, in tiefem Sinnen vor sich hinstarrend; »aber Pitwell, die Sache hat einen andern und zwar sehr bösen Haken. Daß wir glücklich fortkommen, daran zweifle ich keinen Augenblick, für Waffen werdet Ihr auch schon gesorgt haben, doch – wenn sich Texas nun an die Vereinigten Staaten schließt, wie es überall heißt, wie dann? Dann liefert uns die Regierung aus.«

»Du lieber Gott,« lachte Pitwell, »wenn die Regierung darauf eingehen wollte, alle die auszuliefern, die irgend etwas verbrochen haben, wer sollte denn da das Land bebauen, Heerden ziehen oder gegen die Mexikaner und Cumanches fechten? Nein, Duxon, laßt Euch darüber keine grauen Haare wachsen, davor sind wir sicher. Das wissen die wackern Burschen auch recht gut, sonst hätten sie ja nie selbst für einen Anschluß an die Union gestimmt.«

»Ich glaube, Ihr habt Recht,« sagte Duxon, »auf keinen Fall dürfte es schwer halten, weiter westlich zu ziehen, wo uns weder Texas, noch Onkel Sam7 etwas anhaben kann; beistehen wird uns, sollte es so weit kommen, Mancher.«

»Sieben Achtel von Texas,« lachte Pitwell.

»Nun gut denn, es sei; ist dem aber so, dann brechen wir morgen früh lieber vor Tagesgrauen auf, so daß wir etwa um zehn oder elf Uhr Alle beisammen sind. Verfolgung brauchen wir von hier aus nicht zu fürchten, denn Beaufort steht nicht so früh auf und ich werde schon dafür sorgen, daß er die Fehlenden irgendwo beschäftigt glauben soll. Wird aber Saise gutwillig mit uns gehen?«

»Ist das eine Frage von einem Overseer; habt Ihr keine Peitsche?«

Duxon lächelte und sagte höhnisch: »Ihr scheint nicht zu verstehen, wie man mit Damen umgeht; doch – ich habe ein anderes Mittel, ich nehme unsere kleine Gig und fahre. Als Entschuldigung mögen die Zurückbleibenden nachher dem Herrn sagen, natürlich nicht eher, als er darnach frägt, ich hätte meine Sachen an Fischer's Landung geschafft, wo stets Boote anlegen. Aber Pest und Gift, ich wollte doch heute bei meiner kleinen – Frau bleiben und werde nun bis morgen früh zu rennen und zu laufen haben, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Nun beim Teufel, in Texas kann ich's ja nachholen, hahaha, sie wird wohl nicht böse darüber werden.«

»Schwerlich!« sagte Pitwell trocken; »also jetzt an's Werk – habt Ihr Waffen?«

»Zwei Büchsen, ein Bowiemesser und drei paar Pistolen – Ihr wißt, ein Overseer muß immer eine kleine Burg aus seinem Haus machen können.«

»Gut, wenn Ihr einen Wagen nehmt, so mögt Ihr nur das Alles mitbringen – solche Sachen sind immer nützlich; aber dort kommt der junge Laffe die Allee herunter, der sich so gewaltig um die Indianerin anstellt. Die Dame vom Haus ist bei ihm; wie heißt sie?«

»Gabriele, ein prächtiges Mädchen, schade, daß Ihr keinen Kaufbrief auf die fabriciren könnt, die nähme ich auch.«

Der Yankee warf ihm einen warnenden Blick zu und ging, um nicht weiter mit dem Overseer zusammen gesehen zu werden, am Fluß hinauf, während jener sein Pferd satteln ließ und auf's Feld hinausritt, dort eine gewisse Anzahl Neger aussuchte und diesen befahl, ihre Aexte zu nehmen, um an einem etwas entfernteren Theil des Waldes, den er ihnen bezeichnen würde, Holz zu fällen. Bald darauf verschwand er mit ihnen in dem die Plantage begrenzenden Sumpfland.

St. Clyde und Gabriele schritten neben einander dem Flusse zu.

»Um Gottes willen, Sir!« sagte die Jungfrau, als sie sich der äußeren Einfriedigung näherten, »was ist Ihnen? Sie scheinen in fürchterlicher Aufregung, so habe ich Sie nie gesehen.«

»Ich muß fort,« flüsterte der junge Mann, die bleiche Hand fest gegen die heiße, fieberglühende Stirn gepreßt – »ich muß fort – muß Hülfe haben. Erst seit dieser unglückseligen Katastrophe fühle ich, wie ich –« er schwieg und wandte sich ab –

»Wie Sie Saisen lieben,« flüsterte Gabriele mit leiser, tonloser Stimme und blickte starr zu dem Creolen auf, »nicht wahr, St. Clyde – Sie – Sie lieben die Indianerin.«

»Ja, Miß Beaufort – ja – warum sollt ich es Ihnen auch verschweigen,« sagte da plötzlich St. Clyde, der stehen blieb und fest in die Augen der erbleichenden Jungfrau schaute, »warum sollt ich mich, Ihnen gegenüber, scheuen es zu gestehen. Sie waren der Unglücklichen Freundin, so lange sie unter Ihrem Schutze stand – Sie sind selbst gegen mich, den fremden, heimatlosen, armen Wanderer immer nur gütig und liebevoll gewesen – Ihnen will ich vertrauen und Sie werden mich auch, so weit es in Ihren Kräften steht, unterstützen.«

»Gewiß – gewiß,« sagte mit kaum hörbarer Stimme Gabriele – »aber – aber, wenn nun Saise – doch eine – eine Negerin wäre? Wenn nun – ach Gott – zürnen Sie mir nicht, ich weiß nicht, was ich rede; nein, nein – Saise ist frei – muß frei werden und – glücklich.«

Sie barg ihr Angesicht in den Händen und die hellen, klaren Thränentropfen quollen zwischen den zarten Fingern hindurch.

»O, Miß Beaufort!« rief St. Clyde gerührt, »Sie sind so gütig gegen die Unglückliche, wie werde ich Ihnen das je danken können?«

Gabriele sammelte sich gewaltsam. »Was wollen Sie thun – was ist Ihr Plan?« frug sie schnell; »wie glauben Sie Saise retten zu können, da Sie mir selber sagten, jener Bube habe sie an Duxon verkauft und dieser sich mit meinem Vater überworfen. Was können Sie gegen jene Elenden ausrichten, die die Gesetze auf ihrer Seite haben?«

»Nichts mehr durch die Gesetze,« sagte St. Clyde mit unterdrückter Stimme – »Alles ohne sie. Der Richter hat mir gestern gesagt, daß am Mississippi ein Trupp von Chocktawjägern lagere, die müssen mir beistehen; kann ich sie nicht dadurch gewinnen, daß sie eine Tochter ihrer eigenen Race von Sklaverei retten sollen, sind sie so verderbt, daß selbst das keinen Eindruck mehr auf sie macht, dann steht mir ein anderes, für sie kräftigeres Mittel zu Gebote – der Whiskey. Ein Grenzindianer ist ja durch Whiskey zu jeder Schlechtigkeit zu bewegen, warum nicht auch einmal zu einer guten That – es ist das letzte Mittel.«

 

»Aber die Gefahr, der Sie sich aussetzen?«

»Gefahr? Giebt es denn eine Gefahr, wo ich nur sterben kann? Nein, Miß Beaufort – ohne Saise, wenn ich sie glücklich wüßte, hätte ich vielleicht leben können; mit dem Gefühl aber, daß sie, dem entsetzlichsten Verderben preisgegeben, in schmachvollen Fesseln schmachten, die freie Tochter der Wälder eine Sklavin – nein – nein – Leben wäre da Wahnsinn. – Aber ich muß fort – die kostbare Zeit verfliegt – Duxon hat sich mit Ihrem Vater gezankt und will fort; die ganze Ansiedlung spricht davon, wie er ihn betrogen und sich in den wenigen Jahren, die er hier sei, ein Vermögen gewonnen, er wird deshalb nicht säumen, das in Sicherheit zu bringen, und geht er zu Schiffe, vielleicht nach New-Orleans, dann wäre es unmöglich, den Einzelnen in der ungeheueren Stadt wiederzufinden. Doch jetzt meine Bitte, wollen Sie sich Saisens annehmen?«

»Wie kann ich es?« erwiederte mit ängstlich gefalteten Händen Gabriele – »Sie ist Duxon's Eigenthum.«

»Ich weiß es, aber Sie haben vielen Einfluß auf Ihren Vater, selbst auf jenen Buben; es ist die Gewalt, die stets die Tugend über das Laster übt, die Scheu, die der Böse dem Guten gegenüber nicht überwinden kann. Dringen Sie darauf, daß Saise ihm heute noch nicht ausgeliefert werde, oder daß sie, wenn Sie das nicht verhindern können, diese Nacht noch bei Ihnen, oder wenigstens unter dem Schutze jener alten Negerin zubringe.«

»Sie wollen sie entführen?« frug Gabriele bestürzt.

»Nein,« sagte St. Clyde düster, »ihr Kaufbrief würde in den Händen jenes Buben, Saise aber in dem Gedanken daran stets elend bleiben; nein – ich muß den Brief in meine Gewalt bekommen; die Gesetze wollen mir nicht beistehen, so mag Gott es thun. Versprechen Sie Saisen so lange zu beschützen?«

»Ja,« flüsterte Gabriele und reichte ihm mit abgewandtem Antlitz ihre Hand – »und Sie wollen?«

»Saise retten oder – sterben,« erwiederte fest der junge Creole.

»Und dann – wenn Sie – wenn Saise die Ihrige ist? –«

»Such ich ein fernes Land, wo nicht Menschen wie Thiere verkauft und mißhandelt werden; ich stamme aus Frankreich – meine Familie soll zu den edelsten des Landes gehören; dorthin kehre ich zurück.«

»Mit Saise?«

»Mit meinem Weibe.«

»So leben Sie wohl, St. Clyde, leben Sie wohl; möge Gott Sie schützen und schirmen!«

Sie rief's und eilte schnellen Schrittes zum Hause zurück. Auf der Stelle aber, wo sie gestanden, lag die weiße Rose, die noch eben an ihrer Brust geruht. St. Clyde hob sie auf, küßte sie, barg sie an seinem Herzen, eilte dann zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und sprengte in schnellem Galopp die Straße am Strom hinauf. Dort aber angelangt, hielt er sich nicht länger auf, als nöthig war die gewöhnliche Flatbootfähre in Stand zu setzen, um ihn und sein Roß ans andere Ufer zu bringen, und bald schwamm das kleine Boot, von vier rüstigen Armen getrieben, auf der breiten Fläche des gewaltigen Stromes dem östlichen Ufer zu.

»Sind gestern Indianer auf dieser Fähre übergesetzt?« frug er nach einer Weile den älteren der Beiden, der der Eigenthümer des Fahrzeugs zu sein schien.

Dieser sah ihn an und lachte.

»Nein,« sagte er, »habt Ihr schon einmal davon gehört, daß sich ein Indianer auf einer Fähre übersetzen läßt? ich nicht; das Geld können sie besser gebrauchen; dafür giebt's Whiskey, und wo das rothe Volk für den Zweck einen Cent ersparen kann, da quält es sich lieber tagelang auf seine eigene Art – das heißt nicht etwa mit Arbeit.«

»Also sie sind nicht hier herüber?« frug St. Clyde erschreckt.

»Doch, allerdings,« entgegnete ihm der Jüngere, »nur nicht auf der Fähre – sie saßen Alle in zwei kleinen Canoes, die sie mit von drüben herübergebracht, und ließen ihre Pferde am Zügel oder Stricken hinterherschwimmen.«

»Und glaubt Ihr, daß ich sie finden werde?«

»Ich sollte nicht denken, daß es schwer halten wird. Sie hatten, wie mir Ben sagte, der von oben herunterkam, eine große Menge Whiskeyflaschen bei sich, und da sind sie heute wahrhaftig nicht mehr auf die Jagd gegangen. Ein kleines Stückchen weiter oben landeten sie, und wenn Ihr Euch nur zu dem Haus dort, was Ihr da durch die Weiden und Baumwollenholzbäume schimmern seht, bemühen wollt, so denk ich, werden sie Euch da wohl auf die rechte Spur bringen.«

Das Boot legte sich in diesem Augenblick am Ufer an, St. Clyde führte sein, vorsichtig mit den Hufen nach festem Grund suchendes Pferd hinaus, drückte dem Jüngeren, der ebenfalls ans Land gesprungen war, um mit dem Tau die Fähre zu halten, das Ueberfahrtsgeld in die Hand, schwang sich in den Sattel und trabte rasch dem nicht fernen niederen Wohngebäude zu, das, dicht am Fluß errichtet, für den Augenblick noch von hohem üppigen Waldwuchs umgeben war, aus welchem aber der neue Ansiedler gerade die künftigen Mittel seiner Existenz – Klafterholz für Dampfboote heraushauen wollte.

Der Backwoodsman stand in der Thür.

»Guten Tag, Sir,« rief ihm St. Clyde entgegen, »habt Ihr Nichts von den Indianern gesehen, die gestern, unfern von hier, übersetzten?«

Jener horchte, ohne ein Wort auf die Frage zu erwiedern, in den Wald hinein und verharrte in dieser Stellung wohl mehre Minuten. St. Clyde jedoch, der glauben mochte, daß er seine Frage ganz überhört habe, wiederholte dieselbe und bat um Antwort. Wie aus Stein gehauen blieb aber der Amerikaner stehen, bis der junge Mann endlich ein ungeduldiges »aber Sir« nicht länger zu unterdrücken vermochte.

»Könnt Ihr einen Mann finden, wenn er im Walde sitzt und schreit, was aus der Kehle will?« kam jetzt die Gegenfrage, das ziemlich sichere Zeichen des Neuengländers.

»Wenn ich nahe genug bin, es zu hören, warum nicht?« rief der Creole unmuthig; »aber ich frug Euch, ob Ihr die Indianer –«

»Dort, drin im Walde schreien sie,« sagte der Amerikaner trocken und deutete mit seiner kurzen, aus Schilf geschnitzten Tabackspfeife einen schmalen Kuhpfad entlang, der gerade in das Dickicht hineinlief.

»Die Indianer?« frug St. Clyde erstaunt.

»Ahem!« nickte jener und fuhr dann, ohne des Fremden weiter zu achten, mit Rauchen fort. Der Creole aber, der jetzt einen Augenblick in den stillen Wald hineingelauscht hatte, glaubte ebenfalls wild verworrene Töne zu hören, rief dem Manne einen kurzen Dank zu und sprengte, so schnell es ihm das ziemlich dichte Unterholz gestattete, auf das Toben zu, das immer lauter und deutlicher zu ihm herüberschallte. Nach kurzem Ritt erreichte er eine Waldblöße, dicht am Rande eines kleinen seeartigen Sumpfes, der durch die Ueberschwemmung des Mississippi zurückgeblieben und noch nicht ganz wieder ausgetrocknet war, und sah hier ein so pittoreskes als eigenthümliches Schauspiel vor sich.

Auf dem üppigen Grasboden ausgestreckt, von einem Halbkreis glimmender, qualmender Feuer umgeben, deren Rauch über sie hinzog und dazu dienen sollte, die unzähligen auf sie einstürmenden Musquitos abzuhalten, Manche mit, Andere ohne ihre Jagdhemden, jeder aber eine ziemlich geleerte Whiskeyflasche in der Hand, lagen jubelnd und schreiend, alte Schlacht- und Kriegslieder und neu gelernte französische und englische Melodien mehr brüllend als singend, sieben rothhäutige Jäger unter den riesenhaften, himmelanstrebenden Baumwollenholzbäumen der Niederung und der Eine, der der Führer der Bande und noch am nüchternsten zu sein schien, hatte zum Tactstock sein spitzes Scalpirmesser genommen, und stach damit fortwährend in ziemlich regelmäßigen Zwischenräumen in den grünen Rasen, auf dem er, das Antlitz den luftigen Wipfeln zugekehrt, lag, während ihn die Uebrigen nicht allein mit ihren Stimmen, sondern auch, ziemlich Alle in derselben Stellung oder Lage, mit Hacken und Faust accompagnirten; jeder natürlich seiner eigenen ohrenzerreißenden Melodie dabei folgend.

Der Führer der Bande entdeckte, wie es schien, den Fremden zuerst; ohne sich aber weiter zu regen, als nöthig war, ihn mit einem flüchtigen Blick von oben bis unten zu messen, hielt er ihm, während ein mattes, trunkenes Lächeln seine Züge überflog, die Flasche entgegen und stammelte:

»Hier – Fremder – hier – trin – trinkt einmal!«

»Großer Gott!« stöhnte St. Clyde, erschüttert auf die halbbewußtlosen Gestalten der Wilden blickend, »großer allmächtiger Gott – sind das die Menschen, von denen ich mir Hülfe versprach? – Verloren – verloren – Alles – Alles verloren!«

Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und saß mehre Secunden lang in stillem, sprachlosem Schmerz versunken.

»Trinkt – dam it,« rief der Führer noch einmal – »denkt Euch zu gut mit Indian aus einer Flasche zu trinken, mit armen Indian, eh? Armer Indian ist großer Häuptlings Sohn – go to Hell!« Er sank wieder zurück an die Wurzel des Baumes und begann seinen Gesang von Neuem.

Der Creole sprang vom Pferde und schritt mit untergeschlagenen Armen und fest auf den Boden gehefteten Blicken neben den trunkenen Jägern auf und ab, während der wilde Führer mit gläsernen stieren Augen zu dem grünen Waldesdom emporblickte und die Verse eines indianischen Schlacht- oder Siegesliedes sang:

 
Ich erschlug den Häuptling der Muskokee;
Sein Weib – dort am Stamme verbrannt' ich sie,
Und bei den Hinterbeinen darauf
Hing ich den Lieblingshund ihm auf.
 Huh – huh – huh, vom Muskokee
 Wah, wah, wah, den Scalp hier sieh!
 

Bei dem Namen der Muskokee blieb St. Clyde lauschend stehen – er wußte, daß die Riccarees, selbst noch in letzterer Zeit, manche blutige Schlacht mit diesem Stamme geschlagen hatten; aber auch die Chocktaws und Muskokees bekämpften sich – das Kriegslied mußte von diesen sein; dennoch wandte er sich an den jungen Häuptling und sagte:

»Welchem Stamm gehörst Du an, bist Du ein Chocktaw?«

Der Indianer sang, ohne die Frage zu beachten, weiter –

 
Ich streift' ihm den Schädel ganz nackt und baar,
Und hier ist sein Scalp, mit der Scalplockehaar,
Sein Fleisch ist in des Panthers Magen,
Seine blutigen Knochen die Wölfe nagen,
 Huh, huh, huh, vom Muskokee,
 Wah, wah, wah, den Scalp hier sieh!
 

»Bist Du ein Chocktaw, Indianer?« frug der Creole jetzt dringender, indem er sich zu ihm niederbog und die Hand auf seine Schulter legte; »rede – bist Du ein Chocktaw?«

Der Wilde murmelte einen nur halbverständlichen Fluch und fuhr fort:

 
Seine Sehnen brauch ich zur Bogenschnur,
Wenn ich folge der einzelnen Feinde Spur,
Und es zittert der weibische Muskokee,
Wie ein Rohr im Orkan, vor dem Riccaree
 Huh, huh, huh, vom Musko –
 

»Was beim Teufel habt Ihr?« unterbrach er sich da plötzlich selbst, als St. Clyde, bei der Nennung jenes Stammes überrascht, mit dem Ausruf freudigen Erstaunens: »Ha! Riccaree! – Ihr seid ein Riccaree!« emporzuckte.

»Ihr seid ein Riccaree?« wiederholte er dann nach kurzer Pause noch einmal.

»Nun gut – was soll's?« war die kurze Antwort des Indianers, der sich indeß bestrebte, die durch die Unterbrechung verlorene Melodie wiederzufinden, während er gedankenlos dazu mit den Füßen auf dem Grasboden trommelte.

»So müßt Ihr mit mir kommen und ein Kind Eures Stammes retten, das sich in dringender Gefahr befindet.«

»Mein Stamm ist in Missouri,« murmelte der rothe Sohn der Wälder und summte dann wieder leise vor sich hin:

 
Seine Sehnen brauch ich zur Bogenschnur,
Wenn ich folge der flüchtigen Feinde Spur –
 

»Aber sie haben es geraubt!« rief St. Clyde in Verzweiflung. »Mensch, hat denn dieser teuflische Whiskey Deine ganzen Sinne verbrannt, daß Du kein Mitleiden, kein Gefühl mehr hast?«

»Keinen Whiskey mehr hast?« wiederholte mit lallender Zunge der Jäger – »nein – nichts mehr, nur ein bischen – gebt welchen.«

»Ha,« sagte der Creole, von einem glücklichen Gedanken ergriffen, »Du sollst Whiskey haben, ein ganzes Faß voll, aber komm jetzt mit mir und stehe mir bei.«

»Faß voll Whiskey?« murmelte der Indianer, sich halb aufrichtend – »ganz Faß voll?« Der Gedanke war zu großartig für ihn, er vermochte nicht ihn auf einmal zu fassen. Das Chor der Gefährten brach zuletzt wieder in einen so brüllenden Schlachtschrei aus, wobei sie mit den Armen wild in der Luft herumfochten, daß ein alter Alligator, der sich kaum hundert Schritte von ihnen entfernt auf einem im Wasser schwimmenden Stamme sonnte, erschreckt emporsah und dann geräuschlos in das ruhigere Element zurückglitt.

 

»Faß voll Whiskey?« wiederholte der Indianer nach langer Pause. »Viel Whiskey das – kommt!« und er versuchte sich, wenn auch vergebens, emporzurichten.

Der Creole unterstützte ihn nun zwar und brachte ihn mit genauer Noth dahin, daß er aufrecht stehen blieb; was aber half ihm das? Was sollte er mit dieser bewußtlosen Masse von Gier und roher Sinnlichkeit beginnen? War das der Mann, der ihm helfen konnte die Geliebte zu befreien? Er ließ ihn los und der junge Häuptling taumelte, mit auf die Brust gesenkter Unterkinnlade, an den nächsten Baum an.

»Arme Saise!« seufzte St. Clyde.

»Ais?« stammelte der Indianer mit schwerer Zunge – »Ais? Wer spricht von Nedaunis-Ais? Sie ist todt – Whiskey will ich – Whiskey!«

»Whiskey!« jubelte die Bande, die das letzte laut ausgestoßene Wort vernommen – »Whiskey, hupih!«

»Nedaunis-Ais? Du kennst sie?« rief der Creole und sprang auf den Taumelnden zu.

»Laßt mich oder ich stoße Euch Eisen in Leib,« knurrte der Wilde – »dam you

»Nedaunis-Ais lebt,« donnerte aber Jener, die Drohung nicht achtend, fort – »sie lebt und Du sollst mir helfen, sie zu retten –«

»Lebt? retten? wo?« rief der Trunkene, jetzt augenscheinlich bemüht, den klaren Sinn der Worte zu fassen, während seine starren Augen fest auf dem Fremden hafteten.

Mit kurzen Worten erzählte nun St. Clyde dem aufmerksam Lauschenden die Geschichte der Indianerin, während dieser mit fest gegen die Schläfe gepreßten Händen dastand und jede Sylbe von seinen Lippen sog. Endlich aber, als er anfing zu begreifen, um was es sich handele, und als das Schicksal der Unglücklichen in klareren, entschiedneren Farben vor ihm auftauchte, da faßte er, von Grimm und Wuth entbrannt, die Flasche, die, noch immer ein Drittheil gefüllt, neben ihm lag und schmetterte sie mit wildem Wurf gegen den nächsten Stamm.

»Gift – Gift – Gift!« schrie er dabei – »die Schwester verkauft und ich trunken – Gift – Gift, der Weißen Feuerwasser – Gift – Whiskey!«

»Whiskey! hupih!« jubelten die von der Schaar, die noch Besinnung genug übrig behalten hatten, die letzten Worte zu verstehen.

»Aber, halt – halt!« rief der junge Indianer plötzlich, indem er sich die langen, schwarzen Haare aus der Stirn strich, »noch ist nicht zu spät – noch ist Zeit« – und sein Jagdhemd und seine Leggins abwerfend, sprang er mit einem Satz von dem, an dieser Stelle mehre Fuß hohen Ufer in das Wasser hinab, tauchte mehrmals unter und kam dann ans Land geschwommen. Hier lief er, ohne sich die Mühe zu nehmen, seine Sachen erst wieder anzuziehen, in den Wald hinein, aus dem er nach kaum einer Viertelstunde auf dem Rücken eines kleinen schnaubenden Poneys zurückkehrte. Seine Kleider und Waffen waren bald zusammengerafft und fast eher noch, als der Creole sein Pferd besteigen konnte, winkte er ihm schon zu folgen.

»Aber Deine Kameraden,« sagte St. Clyde jetzt, »was können wir zwei allein ausrichten!«

»Komm,« sagte der Sohn der Wälder, »komm; willst Du bis morgen bleiben, um sie mit lallender Zunge sprechen zu hören – mehr Whiskey – mehr Whiskey? Es sind Chocktaws – ich muß fort – Du kommst mit – wir zwei genug –«

Er wartete gar keine weitere Antwort seines Begleiters ab, sondern sprengte mit verhängten Zügeln dem Mississippi zu, warf sich hier noch einmal in die Flut, die Wirkung des Feuertranks zu vernichten, und holte dann, nachdem er seine wenigen Kleidungsstücke wiederangelegt, ein verborgen gehaltenes Canoe aus dem Gebüsch. St. Clyde mußte sich in die Mitte desselben setzen, und an beiden Seiten eines der Pferde mit dem Zügel unterstützen, während er selbst das Boot schnell und geschickt über den breiten reißenden Strom ruderte.

So lange aber war St. Clyde, zuerst von dem Indianer und dann durch das Ueberfahren aufgehalten worden, daß die Sonne schon unterging, als sie eben das westliche Ufer erreichten, und der Creole mußte nun die Leitung übernehmen, und führte den so zufällig gefundenen Bruder Saisens zu dem Richter. Unterwegs erzählte ihm dabei Wetako, der Name des Riccaree, daß er damals seine entführte Schwester verfolgt und den schändlichen Räuber auch eingeholt und erschlagen habe, vergebens aber war sein Monate langes Umherstreifen gewesen, eine Spur der Geraubten selbst zu finden, die durch die teuflische List jenes Buben seinem rettenden Arm entzogen worden. In Verzweiflung darüber hatte er sich endlich einer Schaar von Chocktaws angeschlossen, die in den Wäldern Louisianas jagten und das erlegte Wild in die benachbarten kleinen Städte schafften. Durch Lebensüberdruß und Schmerz aber gleichgültig gegen Alles gemacht, was er sonst hoch und theuer hielt, ergab er sich dem Trunk und folgte dabei nur dem Beispiel seines ganzen unglücklichen Stammes.

Das doppelte Bad und der jähe Schreck der theils freudigen, theils schlimmen Nachricht von dem Leben und der Noth seiner Schwester hatte aber jede Spur von Rausch verdrängt; der Indianer, der kalte, besonnene Wilde war wieder in ihm erwacht, und mit schnellem Blick übersah er die Gefahren, die das Wesen, das er auf Erden am meisten liebte, bedrohten. Zwar kannte er nicht die Gesetze der Weißen, aber er wußte, wie schwer, ja wie für einen Indianer fast unmöglich es sei, etwas zurückzuerhalten, auf das sie erst einmal ihre Hand gelegt, und schien auch von vorn herein gar keinen andern Gedanken gehabt zu haben, als Saise durch List oder Gewalt zu retten; beides galt ihm gleich, so es nur zum Ziele führte.

Dunkele Nacht war's, als sie das Haus des Richters endlich erreichten; wichtige Veränderungen schienen aber in den wenigen Stunden vorgegangen. Von den Grenzen des nördlich liegenden Mississippistaates herüber hatten sich einzelne Constabel eingefunden, die einen Pflanzer wie seinen Helfershelfer verfolgten. Bis nach Waterloo mußten die Flüchtigen auch zusammengeblieben sein, von da an schienen sie sich aber getrennt zu haben, und zwei der Nachgesandten jagten am Ufer des Flusses hinab, dort alle Anstalten zu treffen, ihre weitere Flucht aufzuhalten, während die Uebrigen der allerdings stärkeren Spur stromauf folgten, um die Entflohenen wo möglich daran zu verhindern, sich in das Innere des Landes zu wenden und die texanische Grenze zu erreichen.

Des Richters Verdacht aber, dem ebenfalls Meldung geworden, war augenblicklich auf den Fremden gefallen und er hatte noch spät am Nachmittag Boten an den Fausse Riviere gesandt, um diesen jetzt, nicht wegen der Indianerin, sondern als Ausrede auf den Verdacht hin mit jenen Negerdieben im Bunde zu stehen, verhaften zu lassen. Dadurch hoffte er zu gleicher Zeit der Wahrheit auf die Spur zu kommen, ob Saise Sklavin oder nur schändlich ihrem Stamme geraubt sei.

St. Clyde drang nun darauf, einen Aufschub der Auslieferung Saisens zu erhalten, wozu sich der Richter jetzt ebenfalls gern bereit zeigte, nur mußte dazu die Rückkunft des Deputysheriffs erwartet werden, da der Obersheriff stromauf, die beiden Constabel aber stromab beschäftigt waren, und der Creole sah sich zu seinem größten Verdruß gezwungen, dessen Ankunft zu erharren. Zwar erbot er sich, das Schreiben selber mit hinüber zu nehmen; das wäre aber nicht rechtskräftig gewesen und der Richter vertröstete ihn damit, wie die wenigen Stunden sicherlich keinen Unterschied machen würden, da er ja trotzdem noch mit Tagesanbruch an dem Fausse Riviere sein und das arme Mädchen vor dem Fortschleppen in die Gefangenschaft bewahren könne. Aber der Deputysheriff kam nicht – Stunde auf Stunde warteten sie und ängstigten sich, und der Richter rief endlich verdrießlich:

»Die Pest über den Burschen – ich werde mich noch gezwungen sehen darauf anzutragen, daß der Sheriff diesen liederlichen Fritz Haydt entläßt; es ist gar nichts mehr mit ihm anzufangen; er trinkt sich voll, läßt sich von den Mulattinnen an dem Fausse Riviere zum Narren haben und versäumt dann seine Pflicht.«

»Ich will ihm entgegengehen,« bat St. Clyde, »vielleicht zögert er unterwegs –«

»Das würde Ihnen wenig helfen,« meinte der Richter, »denn wenn er zögert, so finden Sie ihn nicht, seine Vergnügungsörter hält er ziemlich geheim. Kommt er aber nicht bis morgen früh, so reite ich selbst mit Ihnen hinüber und dann machen wir die Sache gleich zusammen ab.«

In Angst und peinlicher Erwartung verbrachten sie die Nacht, und nur der Riccaree konnte nicht begreifen, weshalb sie eigentlich zögerten, und wollte fortwährend aufbrechen, die Schwester zu befreien und zu rächen.

7Uncle Sam, Scherzname der Vereinigten Staaten nach den Anfangsbuchstaben United States!