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Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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Aus dem Briefsacke des Paquetschiffes »Seeschlange.«

Erster Theil

Erster Brief

New York, den 12. März 1848.

Lieber Theodor!

Motto: Freiheit oder Tod.

Ich bin in Amerika – o wenn Du begreifen, wenn Du ahnen könntest, mit welcher wonneathmenden Seligkeit mich der Gedanke durchfluthet, wenn Dir aus dem inneren jauchzenden Jubelmeere meines Herzens nur ein Ton, nur ein Accord jener himmelrauschenden Symphonieen an die Seele donnern könnte, die mich dieser Erde fast entheben, die mich in sinnverwirrendem Freudenrausche nicht ein Mensch mehr, nein ein Engel, ein Gott sein lassen! – dann brauchte ich nicht die kalte Feder zu dem nutzlosen Versuche zu ergreifen, das schildern zu wollen, was sich nicht schildern läßt; das mittheilen zu wollen, was eben nicht mitgetheilt werden kann, was nur empfunden, gefühlt sein will –

 
»Nenn' es dann wie Du willst – nenn's Glück, Herz, Liebe, Gott –
Ich habe keinen Namen dafür, Gefühl ist Alles –
Nam' ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsgluth.«
 

Ich athme amerikanische Luft! Begreifst Du das, kalter, theilnahmloser Aktenmensch – Bücherwurm – Leichenbeschauer Du, der von Haus zu Haus kriecht, scheußliche Verwesung und Moder zu besichtigen und rings um sich her Gottes freie, herrliche Natur unbeachtet, unbewundert läßt? – Hier komme her – hier in die Freiheit athmende Welt, hierher in das schöne, wundervolle Land, und wenn Dir dann das Herz nicht aufgeht, wenn sich dann nicht Dein Geist wie die Lerche in duftiger Frühlingsluft wirbelnd und siegestrunken zu Gottes reinen Aetherräumen emporhebt, dann fließt Dir Dinte statt rothen warmen Blutes in den Adern und Dein Herz ist nur eine Urne mit Aktenstaub und Trübsal angefüllt.

Doch nein, so schlimm steht es noch nicht mit Dir und mit kurzen Worten will ich Dir deßhalb das Land meiner Ideale schildern; mit kurzen Worten sag' ich, denn wollte ich mich auch nur auf eine einfache Beschreibung einlassen, so reichten Bände nicht aus und dazu gestattet mir jetzt weder Herz noch Geist die Zeit.

Jeder Schritt hier, so lang ich das Ufer betreten, zeigt deutlich, wie wir glücklichen Auswanderer dem Schlendrian und Despotismus des alten Vaterlandes endlich enthoben sind – rege Geschäftigkeit füllt die Straßen – der edle Stolz – »ich bin ein freier Mann« – spricht schon aus dem Blick des Knaben, wie aus dem des erwachsenen Jünglings; keine Zeichen von Krone und Tyrannei beleidigen das Auge, indem sie uns an unsere Schmach der Knechtschaft erinnern – kein Bettler kriecht in seinem nackten Elend auf offener Straße umher und fleht um ein Almosen, damit er in seinen Ketten nicht auch noch verhungere – keine »königliche Constitution« lügt uns von Freiheit vor, während sie uns nur noch, indem sie uns einschläfert, weiter und weiter vom wahren Ziel der Freiheit entfernt. »Das Volk ist nicht reif,« schreien in Deutschland die Fanatiker der Ruhe – »es gehören auch Republikaner zu einer Republik und die haben wir noch nicht, die müssen wir erst heranbilden.« – Ausflüchte sind's – feige Angst vor der Krisis, die der Umgestaltung vorausgehen muß. Werden etwa die Deutschen, die nach Amerika auswandern, plötzlich auf dem Schiffe zu Republikanern, daß sie auf einmal reif und ausgebildet hier das Land betreten? oder sind das etwa keine Republikaner, diese Millionen von Deutschen und Iren, die – der Whigparthei so fürchterlich – der demokratischen Sache im freudigen Sturmlauf den Sieg gewinnen? Zum Teufel mit den seelenlosen Drahtpuppen, die von fürstlichen Händen gezogen, marionettenartig und nach »allerhöchstem Verlangen« bald den Arm und bald den Fuß heben oder mit dem Kopfe nicken und schütteln.

Noch war ich keine drei Tage hier an's Land gestiegen, als schon ein Amerikaner (ein mir wildfremder Mensch, dem es egal sein konnte, ob ich existirte oder nicht), zu mir kam und mich in sein Haus aufnahm. Uneigennützig – denn daß ich wirklich Vermögen hatte, konnte er nicht wissen – bot er mir in allen Stücken seine Hülfe an und übergab mir, dem Fremden, die Verwaltung einer ganzen Plantage – sieh, das ist ein Republikaner, das ist kein Mann aus einem Polizeistaat, wo jeder Staatsbürger schon pflichtschuldigst für einen Spitzbuben und Schuft gehalten wird – weise Du ein solches Beispiel in Deutschland auf?

Hier herrscht auch wahre Religionsfreiheit, um die in Deutschland, trotz dessen gerühmten Aufklärung, noch immer gestritten wird – die Schule ist von der Kirche frei – kein Pfaffe darf in die Erziehung der Kinder hineingreifen, und das junge Geschlecht blüht und keimt heran, eine Freude der Eltern, ein Stolz ihres herrlichen Vaterlandes.

Doch soll ich jetzt auch nur Stunden verlieren, indem ich hier sitze und dem Zauberlande den Rücken kehre, während ich es beschreibe? – nein – selbst Deinetwegen nicht, Theodor, der Du mir sonst das liebste Herz auf Gottes Erdboden bist. Aber komm hier herüber, Du Guter, komm hierher und schüttle den Staub von Deinen Schuhen, wenn Du dem morschen Regierungswerk des »alten Landes,« wie Europa hier mit Recht genannt wird, den Rücken kehrst – komm bald und freudig und mit herzlichem Gruß wird Dir dann die Arme entgegenbreiten Dein treuer Bruder

Carl von Horneck,
früher – Gott sei gedankt, daß ich sagen kann
früher – Assessor von Gottes Gnaden.

Zweiter Brief

Aus dem Staat New York, am 10. März 1848.

Lieber Vetter!

Glücklich sind wir vor etwa drei Wochen hier in Amerika angekommen, und ich befinde mich jetzt in dem Welttheil, der mich so lange Jahre hat nicht ruhig schlafen lassen. Manchmal ist es mir auch sonderbarer Weise noch immer wie ein Traum und es geschieht gar nicht selten, daß ich mich selber ganz erstaunt frage: »bist Du denn wirklich jetzt in Amerika?« Die Antwort fällt aber immer bejahend aus.

Ich erinnere mich noch recht gut der Zeit wo ich die Aushängeschilder der »Agenturen für Amerika« und das gewöhnlich darauf gemalte Schiff mit einer wahren Ehrfurcht betrachtete, daß ich dann immer so eine Art von – ich weiß selber nicht wie ich es nennen soll – von tragischem Schauer mir über die Haut rieseln fühlte; – jetzt ist das vorbei – die Seefahrt hat mich vollkommen von der Bewunderung für die Schiffe selber geheilt – denn das Zwischendeck ist ein grausenvoller Aufenthalt und das stete Neue meiner Umgebung trägt viel dazu bei, mich zu zerstreuen und gegen starke Eindrücke abzustumpfen. Ich muß aber auch gestehen, daß ich Amerika keineswegs so gefunden, wie ich es erwartete, und ich bin in mancher Hinsicht sehr enttäuscht worden – gebe Gott, daß ich mich geirrt habe. Jene lockenden Beschreibungen, die ich vor meiner Abreise gelesen, sind vielleicht, wie ich gestehen will, mit die Hauptursache, daß meine Erwartungen zu hoch angespannt wurden, dennoch muß ich Dir aufrichtig sagen, daß ich mir Manches, auch bei den geringsten Ansprüchen, besser wünsche. Die idyllischen Farmerwohnungen schrumpfen z. B. größtentheils in erbärmliche Blockhütten zusammen, durch die an allen vier Wänden der Wind hindurch zieht, das Vieh läuft zwar wild im Wald umher, aber jeder Schuft, der es nur schlau genug anzufangen weiß, kann auch Kühe und Pferde nach Belieben stehlen, und was die Schweinezucht anbetrifft, so hat die ihre ganz besonderen Schwierigkeiten, denn wenn die Sauen im Walde werfen, und man läuft nicht ewig dahinter her und lockt die kleine Brut, wie die Alte, mit Händen voll Mais, so werden sie wild wie die Hirsche und der Böse mag sie dann haschen, wenn er sie haben will. Auch das Land ist, wenn auch gut, doch schwer zu bearbeiten – die Bäume sind gar so stark und stehn zu dicht und die Stümpfe so draußen im Feld zu lassen, daß man mit dem Pflug zwischen lauter Holz und Wurzeln herumackert und Vieh und Menschen halb zu Tode schindet, das ist eine Wirthschaft, wie sie einem ordentlichen Oekonomen nicht zusagt. Der Dünger wird ebenfalls nicht beachtet und die liebe Gottes-Gabe bleibt wild zerstreut im Walde herum.

Auch mit der Viehzucht ist's schlecht, man weiß nie wo sein Vieh steckt, alle Augenblick hat Wolf oder Panther ein Stück und die Schaafe – na die wünscht ich, daß Du die einmal sehn könntest, wenn sie, die ganze Wolle eine einzige Klettenmasse, aus dem Walde kommen.

Und nun das Ungeziefer; Holzböcke und Moskitos oder Mücken fressen Einen bald auf – die Fliegen sind, besonders in kleinen Waldwiesen oder Prairieen, in solcher Unmasse vorhanden, ein Pferd förmlich zur Verzweiflung zu bringen und Wanzen – nun die Wanze stammt ja aus Amerika, und es braucht uns also nicht zu wundern, wenn wir sie hier heimisch finden.

Eines ist es aber noch besonders, was mir das hiesige Bauer- oder Farmerleben zuwider macht – die gänzliche Ungeselligkeit und Abgeschiedenheit. Anstatt die Häuser in Dörfern beisammen zu haben, liegen sie alle meilenweit von einander entfernt, im Wald, und wenn Einem wirklich einmal etwas zustößt, so ist auf schleunige Hülfe gar nicht zu hoffen – mir graust es wirklich, wenn ich an irgend eine Krankheit, die mich oder die Meinigen betreffen könnte denke, denn der einzige Arzt wohnt sieben englische Meilen von mir entfernt, und das schlimmste dabei ist, daß ich wünschen muß, er wohnte lieber siebenzig, denn ehe ich mich einem solchen Quacksalber in die Hände gebe, der seine Patienten mit Calomel füttert und hinopfert, sterbe ich lieber sanft an Kamillenthee und Glaubersalz.

Und mit den Leuten ist es erst eine fürchterliche Noth; Knechte und Mägde, was wir darunter verstehn, und wie sie doch zu einer ordentlichen Wirthschaft unumgänglich nöthig sind, kann ich gar nicht bekommen – die Leute wollen Alle wie die Herren behandelt sein und gehn und kommen wie es ihnen am besten gefällt. Auch ihre Ansprüche sind unverschämt und übertrieben – erstlich unverhältnißmäßigen Lohn, dann dreimal Fleisch den Tag und Kaffee und Zucker zum Frühstück, wie Thee oder Milch zum Abendbrod; und das genügt ihnen nicht einmal, wollte ich es ihnen dabei an einem besondern Tische geben und für mich mit meiner Familie allein essen, – thäte ich das, ich glaube ich setzte mich den größten Unannehmlichkeiten aus.

 

Nein, lieber Vetter, wenn Du meinem Rath folgst, so giebst Du Deinen Pacht nicht auf, sondern bleibst ruhig in Deutschland – sind auch die Abgaben dort wie andere Scherereien ziemlich bedeutend, so schützen uns doch auch die Gesetze wieder vor tausend Unannehmlichkeiten, denen wir hier ausgesetzt sind, und das gesellige Leben wiegt wieder viele Mängel auf – kann ich meine Farm vortheilhaft verkaufen, so komme ich auf jeden Fall wieder zurück und bei einem Glase Bier – o wie ich mich nach einem ordentlichen guten Krug Lagerbier sehne, – erzähl ich Dir dann, was ich hier Alles erlebt, und wie ich so nach und nach und Schritt für Schritt, in all meinen schönen Hoffnungen und Plänen enttäuscht wurde.

Daß das recht bald geschehen möge wünscht, mit seinen herzlichen Grüßen an Dich und die lieben Deinigen

Dein alter Freund und Vetter
Christoph Roßberger.

Meine Frau, die Euch mit den Kindern, ebenfalls herzlich grüßen läßt, klagt eben über Frösteln und Kopfweh – die Nägel fangen ihr auch schon an blau zu werden – das sind die freundlichen Anzeigen des kalten Fiebers.

Dritter Brief

Nujork nich sondern Kendukki wo ich jezd bin.

Lüber Ludewig!

Ich bin glicklich hir eingedroffen in Ameriga Dunnerwetter das is en Land 17 Dage in eine ford gereißt un noch keine Grenze un kein Schandarm un kein Bas verlangd un kein Schlachbaum gesen un kein Bolizeidiener worum ich Dich eigendlich bitten wolde weil mir das bei den Bolizeidienern die ich nich gesen habe einfelld so geh doch einmal zu Lowizki hin Du weist schon – und sage ihm hir soll er herkommen hir is des Land vor ihm. Woso aber Du glaubsd dass ich nich de Warheid rede die Kühe und Ferde laufen hir frei im Walde rum un es kann se jeder nehmen wer will un ich bin iberall die Nachd in die schenstden Betten geschlafen und ob sie mich eine 20 Daler Nothe wexeln kennten wenn ich se morgens fragde sagden se jedesmal nein was mir sehr leid tat Hurrjeh komm nach Ameriga un 3mal Fleisch un Speck un Kafeh un Milg und Zuker un saure Gurken un Herr nennen sie Misther wo sie mich immer Misther Bomeier nennen. Hür glaub ich aug von wegen Komunismuss is das regde Blatz glaub ich un ich un ein guder Freind wir haben uns den Mormonen angemagd wie ich sagen wollde wir haben Briderschafd mit sie gemagd un allens sollen mir teilen haben sie ferschprochen mir teilen un sie teilen un die anderen teilen un da kommen mir gans gut weg dabei aber mir missen sie schon mannigmal kleine Freindschafden duhn un Welschkorn holen in andere Felder und aus Fersehn eine Sau schlagden un kein Schandarm hat einen nichts zu sagen un is keiner zu sehn. Un vile Aeppel in die Obstgerten un viele Firsich das eine Bein tut mich noch sähr we von ein große Hund – gottvertamte Krete der Hund Aber ich muss nu schlüßen o Ludewig wenn Du wistest was se hir vor Gefengnisse haben lauter Holz und kein Boden drin ob se wol unser einem nu Du verstehest mir wol Aber ich muss nu schlüßen un die Bauern die nich teilen wollen haben ire Kornkrib als wo so ein Welschkornscheune heißt im Freien un keine Hunde dabei wie die vertamte Krete. Aber ich muss nu schlüßen un wenn Du hirherkomst un ich wone in das Bortinghaus von Samöel Schmit un Du kansd hir aug wohnen 1 un 3 4tel Dollar die Woche. Aber ich muss nu schlüßen un Du kansd lange gut leben denn Du komsd bald hürher von die Schorken die Dich schünden und kujjeniren wo es immer geschiht das winscht Dein getreier Bruder

Eregott Bomaier.

Wenn Du meine Frau siest sage ihr sie solte jo nich hirher kommen es were hir gar nigts vor die Frauen.

Vierter Brief

New York the 20th of March 48.

Theuerer Scharffenstein!

Du wirst staunen, schon einen Brief von mir zu erhalten, denn Du am besten kennst wohl meine Schwäche in Allem was schreiben heißt – die Hand die gewöhnt ist den Degen zu führen, schreckt gewöhnlich vor der Feder zurück – doch ich fühle mich hier zu wohl, zu glücklich, um Dir nicht Theil an meiner Freude zu gönnen und jeder Tag deshalb, den ich an dieser Mittheilung verzögerte, schien mir ein Raub an Deiner Liebe.

Du weißt aus welchen Gründen ich Deutschland verließ – was half mir meine Stellung als Rittmeister – der Rittmeister verdiente nicht genug den Grafen standesgemäß leben zu lassen, und meine Lage wurde drückend. Ich muß Dir aber dennoch gestehn, daß ich mit nicht geringen Befürchtungen den Amerikanischen Boden betrat – es war eine Republik, und was konnte darin der arme Graf erwarten – hoffen? Schon der erste Blick, den ich in die ungeheuere Stadt New York that, bestärkte mich dabei in diesem Gefühl, und beengte mir Herz und Geist – kein Haus ohne ein Geschäft in den unteren Räumen, kein freier Raum zwischen Thüren und Fenstern, ohne Schilder, Anzeigen und riesige Namenszüge und Buchstaben. Hier – das ließ sich nicht verkennen – herrschte der Krämer, und der Graf konnte nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.

Oder sollte ich etwa als – Commis in eines dieser Geschäfte treten? – Dingen und feilschen, wiegen und messen, und mir mit »ehrlichem Fleiße« einen Platz in der menschlichen Gesellschaft mühsam erringen, daß ich endlich, nach Jahre langer Arbeit – auf gleicher Stufe mit den Krämerseelen stünde? – Bah, der Gedanke war demüthigend und odiös und trieb mir die Tropfen auf die Stirn.

Der erste Lichtblick, der mich in diesem Chaos meiner Gefühle traf, war eine vierspännige Kutsche mit galonnirtem Kutscher vorne und betreßten Bedienten – einen Weißen und einen Neger, hinten auf – ja auf dem Kutschenschlag sogar ein Wappen – leider konnte ich es nicht erkennen, denn sie rollte zu rasch an mir vorüber. Ich war wirklich erstaunt, das hier in einer der Hauptstädte der Republik zu finden, und Du wirst mein Erstaunen theilen, wenn ich Dir sage, daß ich in Zeit von einer Viertelstunde fünf oder sechs solche Wappenträger gesehn, doch mit lauter mir fremden Schilden.

Am nächsten Tag, als ich die Theile der Stadt durchzog, wohin meine Empfehlungen lauteten, betrat ich die Straßen die weniger kaufmännisch und schon mehr aristokratisch aussahen. Elegante Gebäude mit Marmortreppen, Mahagonithüren und vergoldeten Knöpfen – hie und da der Wollkopf eines schwarzen Portiers sichtbar. Dennoch betrat ich mit einer Art Beklemmung die erste Treppe – der Name John Broadfoot klang gar zu plebejisch und sein, wie seiner Gattin Anblick, strafte ihn leider nicht Lügen, obgleich sie Beide von Atlas und Gold strotzten – ich mußte wahrhaftig beim ersten Eintritt das Lachen verbeißen – Gott sei Dank, daß ich nicht herausplatzte.

Aber pompös eingerichtet waren die Leute, wahrhaft fürstlich, und Du weißt, meine Ansprüche in der Art sind nicht gering – nur etwas überladen, zu viel Gold und lichte Farben, zu wenig Schatten für die Masse blendender Strahlen. Von dem Augenblick an begann aber ein neues Leben für mich! ich flog aus einer Gesellschaft in die andere; Einladung folgte auf Einladung; ich wurde fetirt wie an keinem Orte Deutschlands oder Frankreichs und der deutsche Graf, der german count, scheint wirklich das Stadtgespräch geworden. Beim Himmel, Eugen, ich bin in dieser Republik eher wie ein Gott als ein Sterblicher behandelt worden, und wenn in Paris, wo, wie ich eben die Nachricht bekomme, das Königthum gestürzt sein soll, die Republikaner ebenfalls so rücksichtsvoll gegen Grafen sind, dann werd' ich künftig in Paris die Saison und in Amerika meinen Sommer verleben.

Doch lange mag ich nicht mehr der Mittelpunkt aller dieser Feste sein, ohne nicht bald selbst einmal etwas ähnliches zu veranstalten; dieser mir gezollte Weihrauch macht mich allerdings sehr stolz; ich bin aber auch wieder zu stolz, unerwiedert dergleichen fortwährend anzunehmen. Meine Casse befindet sich freilich in keinen übermäßig brillanten Umständen, soviel aber hält sie hoffentlich aus, denn ist mir wieder auf eine Zeitlang hier Bahn gebrochen und rückt der Sommer weiter hinein, nun so ziehe ich in die benachbarten Städte Philadelphia, Baltimore, Boston; ein Graf mit einem so wackeren Namen wie der meine, wird dort überall nicht allein willkommen geheißen, sondern wirklich ersehnt, da es, Gott sei Dank, mit zum guten Ton gehört, ihn unter seine »friends« zu zählen.

Also good bye, mein theuerer Scharffenstein, laß bald selbst einmal etwas von Dir hören und sei versichert, daß sich stets Deiner in alter Liebe und Freundschaft erinnern wird, Dein

Hugo,
Graf von Böllinghausen und Nistadt.

P. S. Solltest Du selber noch herüber kommen, so nimm auf dem Dampfschiff um Gotteswillen erste Cajüte. Man muß hier, in Amerika selber, allerdings mit manchem Plebs verkehren, weil sich das nicht gut vermeiden läßt, auf der See aber, und so frisch von der Heimath fort, ist es oft höchst fatal und widerwärtig.

Fünfter Brief

Im Staat Ohio am 3ten März 1848.

Liebe Eltern und lieber Bruder!

Es freut mich Euch sagen zu können, daß es mir hier gesund und wohl geht. Ich habe nämlich die Seereise glücklich überstanden und wenn ich auch lange seekrank war, so bin ich doch jetzt wohl und gesund und es fehlt mir an meinem Körper gar Nichts. Was aber die Verhältnisse hier anbetrifft, so thut es mir leid, Euch gar nichts Bestimmtes und nichts Gutes über mich schreiben zu können, denn es geht mir bis jetzt noch hier herzlich schlecht – vielleicht wird's einmal später besser. Kommt aber ja nicht jetzt heraus, wie ihr es wolltet, liebe Eltern und lieber Bruder – es ist Alles nicht wahr, was uns Siebenhegers im vorigen Jahre geschrieben haben – und wenn es wahr ist, so ist es ganz anders, als wie es im Brief aussieht, und wie man es sich dennoch denken muß. Allerdings kann jeder gleich Meister werden wer will, und ich bin auch gar nicht faul gewesen wie ich hier nach Amerika kam. Ich nahm gleich mein Handwerkszeug, miethete mir einen Schop, wie sie's hier nennen und fing mit der Tischlerei an, aber lieber Gott, arbeiten hätt' ich schon gern gewollt, wenn ich nur was zu arbeiten gehabt hätte, und den theueren Miethzins mußt ich dabei bezahlen und das Borting, wie sie hier die Wirthshäuser nennen und da wurden die hundert Thaler, die ihr mir mitgegeben habt, liebe Eltern, immer weniger, bis ich zuletzt einsah, ich müßte endlich verhungern, wenn ich so sitzen bliebe und wartete auf Arbeit. Da gab ich mein Werkzeug an einen Freund zum Aufheben und ich selbst nahm den Rest von meinem Geld, 37 Dollar und 3 Schilling und ging nach Missuri.

Im Lande nun dacht ich könnt's mir gar nicht fehlen, denn in dem Brief stand ja, das Vieh liefe hier wild herum und koste beinah gar Nichts, und das Welschkorn brauchte man nur zu pflanzen, und Alles was man hätte könnte man gleich verkaufen an Butter, Milch, Mais und Wildhäute und das Haus helfen Einem die Nachbarn baun – das stand alles in dem Brief. Und wie ich nun hierherkam da hatt ich noch 20 Dollar und 75 Cent, denn das Reisen hier ist sehr billig, aber damit konnt ich doch keine Farm kaufen und Arbeit konnt ich auch nicht kriegen, denn hier brauchen sie lauter Leute, die recht gut mit der Axt umzugehn wissen, und daß wußte ich nicht, und mein Handwerkszeug hatt ich auch in Nujork gelassen und wie ich dorthin schrieb da sagte der Wirth in dem Bortinghaus dem ich es gegeben hatte, er wüßte nichts davon und ich war es los. Für 4 Dollar den Monat und die Kost boten sie mir in Anfang Arbeit an, aber ich wollte es nicht annehmen weil ich glaubte es wäre zu wenig, und ich verzehrte erst alle meine 20 Dollar und dann nahm ich Arbeit für 4 Dollar, weil ich doch nicht hungern wollte und ehrlich fortkommen wollte. Und ich bin auch ganz abgerissen an Kleider und ich fürchte mich neue zu kaufen, denn ich mochte nicht gerne Geld borgen. Ich bin bei Deutschen hier und muß fürchterlich arbeiten, aber ich thu es gern, denn ich verdiene doch wenigstens mein täglich Brod, aber sie sagen mir, Einer der kein Geld hat, der kann es zu gar nichts bringen und wenn ich fleißig bin, wollen sie mir in der Erndte 8 Dollar geben und ein neues Hemde. Ich muß auch viel Tischlerarbeit für sie machen und für andere Leute, wofür ich aber das Geld nicht kriege, meine Brodherrschaft verdient aber nichts dabei, denn die thut es auch sehr billig, mehr aus Gefälligkeit, weil sie auch wieder viel Gefälligkeit von den andern Leuten erhält.

 

Das sind nun die schönen Gedanken von 1 Dollar den Tag für Arbeit und immer mehr zu thun wie Einer thun könnte. Meine Brodherrschaft, die es sehr gut mit mir meint, sagt ich könnte mir gratuliren, daß ich bei ihnen wäre, denn viele Leute laufen brodlos rum. Und daß ist auch wahr, ich habe schon viele gesprochen, die gerade aus Deutschland kommen, und es geht ihnen sehr schlecht. Neulich war ein Mann bei mir aus Hessen Darmstadt – der hat geweint und gesagt seine Familie thäte in einer elenden Blockhütte am kalten Fieber liegen und er hätt keinen Groschen um Brod zu kaufen. Der Mann heißt Mülzer und ist auch ein Handwerker, aber ein Bäcker und die Leute backen sich hier alle selber ihr Brod und was anderes konnte er nicht werden, sagte er, weil er nichts anderes gelernt hat.

Doch adje liebe Eltern und lieber Bruder, vielleicht geht mir's noch einmal besser hier in Amerika und dann schreib ich Euch wieder, aber jetzt gehts noch nicht gut und darum grüßt Euch Euer getreuer Sohn und Bruder

Traugott Erdmann.