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Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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Civilisation und Wildniß.
Skizze aus dem amerikanischen Leben

Im westlichen Theile des Squatterstaates Missouri, unfern vom Flusse gleiches Namens, dem roaring river oder rauschenden Strom, und etwa nur zwanzig englische Meilen von der östlichen Gränze des »indianischen Territoriums« entfernt, wo nördlich die Kickapoos und südlich von ihnen die Delawaren durch die Regierung der Vereinigten Staaten ihre Wohnsitze angewiesen bekommen hatten, lag ein kleines, unscheinbares Waldstädtchen, in früherer Zeit wohl nur der ergiebigen Bleiminen wegen gegründet, jetzt aber, da vielleicht bessere Adern und besser gelegene entdeckt worden, auch wieder von einem großen Theile der ersten Ansiedler verlassen.

Das Städtchen selbst bestand eigentlich nur aus einer einzigen Straße und darin sich gegenüber liegenden zwölf oder vierzehn Häusern, von denen das umfangreichste das Meeting- oder Bethaus, das wohnlichst eingerichtete das des Händlers oder Krämers, und das kleinste, einfachste das einer armen Witwe, Mrß. Rowland, war, die hier mit ihrer Pflegetochter Rosy still und zurückgezogen, aber auch von allen Nachbarn geliebt und geachtet, lebte.

Da sich übrigens meine kleine Erzählung gerade um diese Personen wendet, so ist es vielleicht dem Leser lieb, gleich von vorn herein und mit so kurzen Worten als möglich das zu erfahren, was zur Verständigung des Ganzen nöthig ist und was er nun einmal überhaupt wissen muß.

Mrß. Rowland war die älteste Ansiedlerin im ganzen Orte, und zwar hatte ihr Mann hier die ersten Bleiminen auf einem Jagdzuge entdeckt und mitten unter, damals feindlichen, Indianern als kühner Pionier und Vorzügler der Civilisation die Arbeit begonnen. Aber nicht warnen ließ er sich durch das Schicksal tausend Anderer, die vor ihm den rothen Sohn der Wälder in seiner Heimath aufgesucht und durch Uebermuth gereizt; auf seine Kraft und geschickte Führung der Büchse vertrauend, trotzte er jeder Gefahr, die ihm vom Feinde oder Gegner drohen konnte, und – fiel. Ein Häuptling der Delawaren war von ihm beleidigt worden – wenige Tage später hörte er Morgens dicht bei seiner Hütte, den Lockton einer Truthenne, er nahm seine Büchse, die vermeintlich leichte Beute zu erlegen, und – kehrte nie mehr zurück. Der Ton mußte eine Schlinge der listigen Wilden gewesen sein – wenige Minuten später überfielen die dunkeln entsetzlichen Gestalten das jetzt unbeschützte Haus, und als die unglückliche Frau aus ihrer Ohnmacht, in die sie der erste Schreck geworfen, erwachte, lag sie vor den qualmenden Ueberresten ihrer Hütte unter einem Baume, und ihr Sohn, ihr einziges liebes Kind war verschwunden.

Umsonst durchwühlte sie den ganzen langen Tag mit blutenden verbrannten Fingern die qualmenden Trümmer ihrer friedlichen Heimath, nicht einmal die Gebeine fand sie, um den Ueberresten des Kindes ein Grab zu gewähren. Halb wahnsinnig floh sie damals, allein und schutzlos, durch den Wald der meilenweit entfernten nächsten Hütte zu, und zog später, in ihrem hoffnungslosen Schmerze, nach St. Louis zu einer da wohnenden Schwester. Hier lebte sie vierzehn lange Jahre in stiller Zurückgezogenheit; wenn aber auch die Zeit den Schmerz gelindert hatte, so vergaß sie doch nie und nimmer die theuren Lieben, die ihr durch Mörderhand entrissen worden, und das besonders ließ ihr weder Ruhe noch Rast, daß sie nie Gewißheit von des Kindes Tod erhalten. Wenn sie der Ueberzeugung auch Raum geben mußte, ihr Gatte sei ein Opfer indianischer Rache gefallen, so konnte sie sich weder wachend noch träumend des Gedankens erwehren, wie der Knabe, vielleicht nur geraubt, vielleicht entflohen, verirrt gewesen und von anderen Farmern – Reisenden möglicher Weise – aufgenommen sei.

Als sie daher von der Gründung des kleinen Städtchens Boonville hörte, das spätere Bleisucher kaum eine Viertelstunde von ihrem früheren Wohnorte ab angelegt, da beschloß sie, weil ihre Schwester indessen auch gestorben war und sie nun doch allein auf der Welt stand, mit deren hinterlassener Stieftochter, einem lieben, holden, damals zwölfjährigen Kinde, nach Boonville zu übersiedeln. Dort war sie wenigstens in der Nähe jener Stelle, auf der sie fast Alles verloren, was ihr auf Erden lieb und theuer gewesen, und dort, meinte sie, müsse auch, wenn je, ihre Hoffnung erfüllt werden. Sechs volle Jahre waren aber wieder verflossen, ohne daß sie auch nur eine Spur des Verlorenen gefunden, und wenngleich alle Bewohner des kleinen Ortes, mit dem Schicksale der armen Mutter bekannt, sich die größte Mühe gegeben hatten, ihre Nachforschungen zu unterstützen, so schien doch Alles Umsonst – der Verschwundene blieb verschwunden, und die arme alte Frau siechte endlich mit mehr und mehr abnehmenden Körperkräften dem Grabe zu, nach dem sie sich ja auch, besonders in den letzten Jahren, als dem einzigen Orte, die Ihren wieder zu finden, so heiß und brünstig gesehnt.

Es war ein freundlicher, sonniger Abend im August; von Nord-Osten her wehte ein kühler, labender Luftzug, und vor den Thüren der einzelnen Wohnungen, theils im Schatten fruchtbeladener Hickorys oder Chesnuts, nicht selten auch von Töpfen mit qualmendem Rauch umgeben, die etwas lästigen Mosquitos zu verscheuchen, saßen hier und da die Bewohner von Boonville – die Frauen mit irgend einer Nadelarbeit beschäftigt, von der sie nur manchmal aufstanden, nach dem innen am Kamin brodelnden Abendessen zu schauen, und die Männer im dolce far niente an Stücken Holz schnitzelnd, oder auch auf ein über freie Erde hingebreitetes Büffelfell müßig ausgestreckt.

Nur der Stuhl vor der Thür des Händlers war leer, denn Madame schaffte und arbeitete mit feuergeröthetem Angesichte vor dem geräumigen Kamine der Küche, während Zacharias Smith zwei fremde Indianer bediente, die vor kurzer Zeit mit ihren Fellbündeln und Wildpret in das Städtchen gekommen waren, um hier ihre nöthigsten Bedürfnisse, wie Pulver, Messer, Blechbecher und – Whiskey gegen das Erbeutete einzutauschen.

Es waren ein paar Krieger vom Stamme der Kickapoos, wenn der Name Krieger überhaupt noch einem Paar der miserabelst aussehenden Subjecte indianischer Race beigelegt werden konnte. Die schmutzigen wollenen und zerrissenen Decken, die sie um sich herumgeschlagen, verhüllten kaum nothdürftig ihre Blöße, und das Haar hing ihnen, nicht mehr bloß in der einzelnen stolzen Scalplocke prangend, nein, unbeschnitten, aber auch ungekämmt, wild und wirr, an manchen Stellen wie eine Pferdemähne, von Kletten zu festem Zopfe zusammen gehalten, um den braunen Nacken. Der Eine trug ein Hemd – aber ob das einst aus weißem Stoffe oder buntem Kattun bestanden, ließ sich wahrlich nicht mehr erkennen; das Blut des erlegten Wildes hatte eine Art Kruste darüber gelegt, die nur auf der Schulter durch das Tragen der ziemlich schweren, unbehülflichen Büchse unterbrochen schien – ihre Leggins waren mit Stücken roher Haut geflickt, und ihre Moccasins sahen aus, als ob sie jeden Augenblick auseinander fallen wollten. Ein Gürtel aus Hickory-Rinde gedreht, hielt ihre Leggins-Bünde, das kleine Scalpirmesser und eine kurze Schilfpfeife, und die ausdruckslosen trägen Züge der schmutzigen Gesichter heiterten sich erst wieder auf, als sie in des Händlers Laden die rothbestrichenen Whiskey-Fässer sahen.

Der Handel war sehr einfach und deshalb bald abgeschlossen – das, was sie an Pulver nothdürftig haben mußten, ließen sie sich geben und füllten es in ihre Hörner, den Rest aber verlangten sie natürlich in »Uiski«, und damit kauerten sie sich gleich an Ort und Stelle in eine Ecke des Ladens zwischen Salz- und Mehlfässer nieder und begannen, ohne weitere Vorbereitung, ihr Festmahl.

Sie hatten nur einen Becher mit, und der Eine schaute mit weit aufgerissenen, fast aus ihren Höhlen tretenden Augen zu, als der Andere das gelbe Feuerwasser aus der erhaltenen Flasche in diesen einsprudeln ließ – sein breiter Mund verzog sich zu einem noch breiteren Grinsen, und ein paar Reihen blendend weißer Zähne wurden sichtbar – die eine Hand streckte er dabei schon wie unwillkürlich nach dem Göttertrank aus, und ein leises, gurgelndes Lachen wurde laut, als sein Gefährte den Becher zuerst an die Lippen hob. Das Lächeln verlor sich aber, die Mundwinkel zogen sich wieder zusammen, wenn auch die Lippen getrennt blieben, und das Auge nahm einen mehr stieren, ängstlichen Ausdruck an, als der Freund, gar nicht mehr freundschaftlich, in nicht endendem Zuge mit dem Blechmaß zu verwachsen schien.

»Ugh!« sagte da endlich – nach langem, langem Genusse absetzend – der erste Trinker, und schaute, über das Gefäß hinüber, den Gefährten an – dessen Züge aber heiterten sich jetzt urplötzlich wieder auf – er streckte die Hand aus, ergriff den Becher, den er selbst nicht wieder losließ, als Jener ihn erst aufs Neue füllte, und schien nun seinerseits reichliche und volle Rache an dem nehmen zu wollen, der seine Erwartung vorher auf so peinliche Folter gespannt.

So tranken sie abwechselnd, Jeder bei dem Genusse des Anderen mit athemloser Angst das Abnehmen des verführerischen Giftes beobachtend, Jeder, wenn die Reihe an ihn kam, seine früheren Gefühle in dem einen, alles andere ausschließenden Bewußtsein seiner Seligkeit vergessend.

Und vor ihnen auf dem Ladentische, das rechte heraufgezogene Knie mit seinen beiden Händen gefaßt, den Körper, um das Gleichgewicht zu behaupten, etwas zurück gebeugt, und die vergnügt lächelnden Augen fest auf das zechende Paar geheftet, saß der Händler Zacharias Smith und hatte, allem Anscheine nach, seine herzliche Freude über dasselbe.

So schweigsam und verdrossen die beiden Wilden aber auch im Anfange gewesen waren, so munter wurden sie jetzt, als ihnen der Feuertrank erst durch die Adern rollte und in diesen mit seinem scharfen, zuerst allerdings belebenden Geist, in ihre Köpfe stieg. Sie fingen an kleine Bruchstücke von Kriegsliedern zu singen, lobten wahrscheinlich – denn Smith verstand ihre Sprache nur sehr unvollkommen – ihre eigenen vortrefflichen und unübertroffenen Eigenschaften, und es schien überhaupt, als ob ihre tolle Lustigkeit in dem Verhältnisse stiege, wie die Fluth in der zwischen ihnen stehenden oder vielmehr immer hin und her gehenden Flasche ebbte.

 

»Ugh!« rief endlich der Eine, als er eben wieder seinen Becher füllen wollte und nun zu seinem Entsetzen fand, daß die Flasche, die er gerade erst gegen das Licht gehoben und welche danach wohl noch anderthalb Becher halten mußte, kaum einen guten Schluck mehr her gab – »was das? Uiski drin und kommt nicht aus.«

Er drehte, während sich der Andere neugierig und bestürzt zu ihm hinüber bog, die Flasche um und entdeckte hier zu seiner, ihm nichts weniger als angenehmen Ueberraschung die eingedrückte Höhlung.

»Wah!« rief er erstaunt aus – »groß Loch hier – weißer Mann hat groß Loch in Flasche – ugh – schlecht – Indianer kriegt Flasche voll – in Loch nichts.«

»Ugh – schlecht!« stimmte der Andere bei und bezeugte durch ein den Gaumenlaut begleitendes Kopfnicken, daß er ganz vollkommen derselben Meinung und eben so mit der gethanen Aeußerung einverstanden sei.

Der Händler erwiederte: »Ei, Indianer, da sieh Dir nur all die anderen Flaschen an – das Loch ist in allen; sie halten nun einmal so ihr Maß und sind danach eingerichtet; wäre das Loch nicht, würde die ganze Flasche kleiner sein.«

»Ist nicht nöthig,« brummte der Sprecher wieder; »weißer Mann hat Felle gekriegt, ganz – blos Kugelloch drin – Kugelloch kann wieder gemacht werden – weißer Mann muß das Loch auch machen!« Und er hielt, in deutlicher Erklärung dessen, was er meinte, dem Händler die Flasche verkehrt hin, damit dieser solcher Art und gewissenhaft das Versäumte nachholen könne.

»Ha, ha, ha!« lachte der aber – »das ist eine verdammt komische Zumuthung – wie käm' ich denn dazu oben und unten einzuschenken – Ihr habt ohnedies beide gerade so viel in Euch hinein gegossen, wie Ihr bequemer Weise tragen könnt.«

»Schad nichts,« brummte der zweite Indianer und deutete dabei auf die Flasche – »Loch wieder machen!«

»Ei nun, wenn Ihr's nicht anders wollt,« lachte der Händler und sprang, nach der Flasche greifend, von dem Ladentische, »so kommt mir's auf die paar Tropfen auch nicht an – hier Kickapoo – halt denn einmal die Flasche – aber steh fest – Donnerwetter, Bursche, Dir ist ja der Trunk schon jetzt in den Kopf gestiegen, und willst noch immer mehr haben?«

»Schad nichts,« grins'te der Wilde; »sehr gut, mehr – viel besser Wort wie weniger – weniger schlechtes Wort.«

»Also auch nicht weniger heiß – weniger Hunger – weniger Durst?« lachte Smith, während er sich zum Fasse nieder bog.

»Nein, nein!« rief der Kickapoo, und seine Augen verschlangen schon jeden einzelnen Tropfen, der ihnen noch zugemessen wurde – »immer mehr Durst – Durst viel gut – sehr viel gut!«

Das »Loch« hatte freilich nicht so viel gegeben, als die Beiden erwartet haben mochten; denn sie hielten den Inhalt, nachdem sie ihn vorher in den Becher ausgeschüttet, lange Zeit zwischen sich und schwatzten viel und eifrig in ihrer eigenen Sprache mit einander; endlich aber leerten sie ihn doch, und als der Händler hiernach unerbittlich blieb, ihnen noch mehr auszufüllen, holte Einer von ihnen ein kleines zusammengerolltes Päcktchen aus seiner Decke vor, das er aufwickelte und ein fein gegerbtes Otterfell zum Vorscheine brachte. Es war augenscheinlich, sie hatten dieses im Anfange nicht um Whiskey hingeben, sondern vielleicht irgend andere Bedürfnisse, vielleicht für die Squaw11 daheim, die derlei Arbeiten auch gewöhnlich verfertigen, eintauschen wollen; die furchtbare Gier aber, die der rothe Sohn der Wälder – einmal verführt – nach dem für ihn so verderblichen Genuß des Feuerwassers nährt und hegt, ließ den Kampf, den in ihrer Brust wahrscheinlich jetzt noch das bessere Gefühl kämpfte, einen sehr kurzen sein.

Der Indianer warf das Fell, das der Amerikaner sorgfältig prüfte, auf den Ladentisch und verlangte im Anfange »halbe Flasche Uiski – nachher anderes« – dafür – sie wollten nur einen Theil des anvertrauten Gutes vertrinken. Mit dem Genusse stieg aber auch die Gier danach, und Becher nach Becher voll ließen sie sich von dem kopfschüttelnden und keineswegs ganz damit einverstandenen Krämer nachgießen, bis auch der letzte Cent vertrunken worden und die unersättlichen Kehlen dennoch mehr verlangten.

»Mehr Uiski!« lallte jetzt der Eine mit stieren, glanzlosen Augen und streckte den einen Arm mit der Flasche dem Amerikaner entgegen, während er mit dem anderen den schwankenden Körper am Ladentische zu stützen suchte – »mehr Uiski – Fell ein Flasche mehr werth.«

»Ihr bekommt keinen Whiskey mehr!« sagte aber, und zwar auf das bestimmteste, der Händler; denn er fürchtete nicht mit Unrecht den wilden zügellosen Geist seiner Gäste, der sich, so friedlich sie auch im nüchternen Zustande sein mochten, im trunkenen nur zu oft die Bahn brach und dann zu allem Schlimmen, fähig war – »Ihr Zwei habt mehr getrunken, als Sechsen zuträglich gewesen wäre, und es ist besser jetzt, Ihr legt Euch ein paar Stunden aufs Ohr, Euren Rausch auszuschlafen.«

»Rausch? ausschlafen?« lallte der älteste der Beiden, indem er die Flasche am Halse ergriff und in die Ecke schleuderte, daß sie in tausend Scherben zerbrach – »hahahaha! weißer Mann – mehr, Po-co-mo-con nüchtern wie junges Waschbär – weißer Mann, trunken – wackelt hin und her wie junge Birke – hahaha – mehr Uiski – Blaßgesicht – mehr Uiski – bei Gott!«

»Ihr bekommt keinen Tropfen mehr,« sagte der Händler und deutete nach der zerschmetterten Flasche – »seid Ihr gute Indianer? thun das gute Indianer? thun das nüchterne Waschbären? Packt Eure Siebensachen zusammen, und ich will Euch nebenan in mein Waarenhaus bringen, da könnt Ihr bis zum Morgen ausschnarchen, und morgen früh sollt Ihr dann auch noch Jeder einen Becher voll auf den Weg haben – seid Ihr damit zufrieden?«

»Ja!« sagte der Aelteste, »ja, sehr gut, Becher voll, sehr gut – aber gleich trinken – dam morgen, morgen anderen.«

»Du bist gescheidt – nein, schlaft nur erst aus,« lautete die Antwort.

»Go to hell!« knurrte jetzt gereizt der Jüngere – »Bleichgesicht cheats – betrügt rothen Mann – Bleichgesicht thut nichts umsonst.«

»Würde schon Uiski geben,« lallte der Andere schluckend, »wenn wüßte – hick – wenn wüßte, was ich weiß – hick!«

»Möglich!« sagte Smith lakonisch.

»Nich möglich!« rief, durch die Ruhe des Weißen gereizt, der Indianer; »nich – hick – nich möglich, gewiß! Indian weiß großes Geheimniß für weißen Mann, dam you – hick – großes Geheimniß von Konzas – hick – aber Uiski, mehr Uiski.«

»No, you d'ont!« lachte der Händler, der nicht anders glaubte, als der Wilde mache ihm hier etwas weiß, um nur noch einen Becher voll Whiskey heraus zu pressen; »Du behältst Dein Geheimniß und ich meinen Whiskey, das wird das Gescheidteste sein.«

»Dam you!« brummte der Wilde; »Ihr gebt ganz Faß voll – hick – vor Geheimniß – weißer Mann – hick – ugh – ganz zwei Faß voll – hick – weißer Mann unter Indian – ugh – sieht gut – hick – sieht gut aus – hick – großer Krieger – hick – hahahaha – wohl auch Faß voll werth – hick?«

Der Jüngere, der doch nicht so ganz trunken sein mochte, als sein älterer Gefährte, und vielleicht eine Art Ahnung hatte, wie Jener durch sein Schwatzen sie beide in Unannehmlichkeiten verwickeln könne, ergriff seinen Arm und suchte ihn fort zu ziehen; der aber stieß ihn mit mürrischem Fluche von sich.

»Dam you! – mehr Uiski – haih!« Und sein gellender Schlachtschrei tönte die ganze Straße hinab, daß die Kinder im Spielen aufhörten und die Einzelnen, die in dem mehr und mehr anbrechenden Abend noch draußen vor den Thüren weilten, überrascht die Köpfe hoben, dem unheimlichen Tone, der vielleicht bei Manchem gar trübe Erinnerungen in's Gedächtniß zurück rief, zu lauschen.

Smith war aber auch aufmerksam geworden – ein Weißer unter den Indianern als Indianer – denn etwas Aehnliches schien unfehlbar die wirre Rede anzudeuten – er wußte selbst nicht, woher es kam, aber fast unwillkürlich zuckte ihm der Gedanke an Mrß. Rowland durch den Kopf, und er beschloß jetzt, jedenfalls dieser Spur so rasch als möglich zu folgen.

»Hallo Indian – ist das wahr, was Du da sprichst?« redete er diesen an und trat, um den Ladentisch herum, auf ihn zu.

»Aha« – grins'te die Rothhaut – »hat Po-co-mo-con Recht? – hick – Bleichgesicht gäb ganz Faß voll – hick – für – hick – für Geschichte – hier Becher.«

Smith füllte kopfschüttelnd den Becher aus einem auf dem Ladentische stehenden Krug und schaute dabei forschend und von der Seite den Indianer an – der aber hatte des Guten schon zu viel gethan – mit gläsernen Augen und mattem Lächeln hob er das Gefäß noch einmal an die Lippen – aber er vermochte schon nicht mehr zu schlucken.

»Hick!« lallte er, und der Whiskey strömte über seine braune Brust und das blutige Hemd – »hick – weißer Mann, gut – hick – Uiski besser – hick – sehr bess – er – hick!«

Und der Becher entfiel seiner Hand – Po-co-mo-con that einen Schritt vor, um sich im Gleichgewichte zu halten, glitt auf dem nassen Boden aus und wäre, hätte ihn der Händler nicht noch gefaßt, auf die Erde niedergeschlagen. Aber an Red'-und-Antwort-stehen durfte er an diesem Abend nicht mehr denken, selbst der Jüngere schien so trunken, oder stellte sich wenigstens so, um vielleicht den Fragen zu entgehen, daß auf eine vernünftige Antwort bei allen Beiden nicht mehr zu hoffen war. Smith also that das Einzige, was er unter diesen Umständen thun konnte – er schleppte die Bewußtlosen, da es unterdessen überhaupt fast dunkel geworden, ohne Weiteres in ein neben seiner Wohnung leer stehendes kleines Gebäude, das er zugleich mit als Waarenlager benutzte, warf sie hier auf eine Parthie Hirsch- und Bärenhäute, die in der einen Ecke ausgebreitet lagen, und verließ sie hier hinter vorsichtig verschlossener Thür, mit dem festen Entschlusse, sie am nächsten Morgen nicht eher ziehen zu lassen, bis sie auf das genaueste gebeichtet hätten, wie es mit dem Weißen unter den Indianern stand, und ob sich die Sache wirklich so verhielt, wie er jetzt noch glaubte.

Als aber der nächste Morgen kam und Smith mit dem Frühesten in der Absicht hinüberging, seine Gefangenen zu wecken, fand er zu seinem unbegrenzten Erstaunen das Nest schon leer und von den Indianern keine Spur; ja, bei näherer Untersuchung ergab sich sogar, daß sie durch eine Ecke des niederen Daches, wohin sie auf den rauhen Balken leicht gelangen konnten, ausgebrochen seien und ihm zwei vortrefflich geräucherte Hirschkeulen, für die er erst gestern per Stück einen silbernen Viertel-Dollar bezahlt, als Zehrung mitgenommen hatten. Der Verlust der Keulen schmerzte ihn aber am wenigsten; sie hatten getrunken, und er würde ihnen auch gern zu essen, ja, die Keulen vielleicht mit auf den Weg gegeben haben, wenn er nur gewußt hätte, wie es mit dem »Geheimniß« stand. Der Wunsch blieb aber Wunsch, und wenn er auch im ersten Augenblick an eine Verfolgung dachte, so gab er den Gedanken gleich wieder als unausführbar auf; denn daß die Wilden sich alle Mühe geben würden, keine Fährten, wenigstens keine sichtbaren zu hinterlassen, ließ sich denken.

Was aber nun thun? Smith zerschnitzte in allem Brüten und Nachdenken ein paar Stücke Holz, die ihm bei ruhigem Blut einen ganzen Tag gehalten hätten, und kam immer noch zu keinem Resultat; denn Mrß. Rowland etwas von der gefundenen Spur zu sagen, ohne ihr eine Gewißheit geben zu können, wäre grausam gegen die arme alte Frau gewesen, die nachher in, vielleicht nicht einmal befriedigter, Hoffnung vergangen wäre. Denn ließ es sich nicht denken, daß der lügnerische Wilde doch am Ende nur ein Märchen erfunden haben konnte, um noch einen Schluck Whiskey zu erpressen? Aber der Andere, sein jüngerer Gefährte, war augenscheinlich bestürzt geworden, als der Aeltere das Thema berührte – ha – da ging ein Mann vorüber, der ihm, gerade hierin, gar nicht erwünschter hätte kommen können.

»Heda, Tom – oh, Tom!« rief er, rasch in die Thür tretend.

»Hallo, Smith, was giebt's so früh?« nickte ihm der Angerufene freundlich hinüber; »guten Morgen! schon ausgeschlafen?«

Er ging zu dem Hause hinüber und blieb in der Thür, auf seine Büchse gestützt, stehen.

Tom Fairfield war eine kräftige, edle Gestalt, ein echter Hinterwäldler, Jäger mit Leib und Seele, und nie zufriedener, als wenn er draußen in seinem Walde einer Fährte folgen oder eine Falle stellen konnte. Er schien auch jetzt wieder unterwegs, trug die Büchse in der Hand, den leichten spanischen Packsattel und Zaum auf der Schulter, um sein Pferd draußen im Busche zu suchen und zu besteigen, und hatte die wollene Decke übergeschnallt, um da zu lagern, wo ihn die Nacht gerade überraschen würde.

 

»Hört, Tom,« sagte aber Smith mit einem weit ernsthafteren Gesicht, als das sonst seine Sache war, und zog dabei den jungen Mann in den Laden herein – »Ihr seid doch mit Rowland's gut bekannt – nun, braucht nicht roth zu werden, mein Junge – hier, nehmt einmal einen Schluck, es ist Dogwood und Cherry Bitteres und wird Euch in dem Thaue heute Morgen gut thun – das ganze Städtchen weiß ja doch, daß Ihr Rosy auf unmenschliche Art den Hof macht.«

»Unsinn, Smith!« sagte Tom Fairfield und leerte, seine Verlegenheit zu verbergen, das dargebotene Glas auf Einen Zug.

»Bah, Mann!« rief aber dieser, »was wollt Ihr da noch läugnen? Aus bloßer Freundschaft versorgt Ihr nicht die ganze Wirthschaft mit Feuerholz, Wild und Mühlereiten für die Leute, das sollt Ihr mir nicht weiß machen.«

»Und wen hätten denn die allein stehenden Frauen …«

»Ach, papperlapap – das sind Redensarten und thun hier auch nichts zur Sache. Rosy ist ein liebes, gutes Mädchen, und Ihr seid ein hübscher junger Kerl, ein guter Jäger und – wenn es sein muß – auch ein guter Arbeiter; was sollte Euch also hindern, selber Wirthschaft anzufangen? Doch hier ist etwas, um das ich Euch fragen will – wollt Ihr Rowland's einen großen, einen sehr großen Dienst leisten?«

»Rowland's, was ist es, sprecht!« rief Tom, augenscheinlich bestürzt über die Feierlichkeit des Mannes: »steht es in meinen Kräften?«

»Das müßt Ihr selbst beurtheilen,« sagte Smith und machte ihn nun in kurzen Worten mit dem bekannt, was er sowohl gestern Abend von den Indianern gehört, wie auch, was er selber über die Sache denke. Fairfield hörte ihm schweigend und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu, er schien jedes Wort von den Lippen des Redenden zu nehmen, und nickte nur manchmal, wenn der Händler irgend etwas äußerte, das seinen Ideen begegnete, leise mit dem Kopf.

»Und Ihr glaubt, daß Mrß. Rowland's Sohn unter den Konzas lebe?« sagte er endlich, als der Händler schwieg, und sah diesen fragend an.

»Lieber Gott,« meinte Smith, »man weiß wahrhaftig nicht, was man glauben soll; lebt aber wirklich Einer dort als Indianer, und die Rede des trunkenen Schufts läßt mich das in der That vermuthen, ei, warum sollte es denn nicht eben so gut der junge Rowland, wie irgend wer anders sein können? Es käme auf die Reise an; die ist aber allerdings keine Kleinigkeit, und ein Mann, wie Ihr gerade seid, gehört dazu, ein so kühnes Wagniß auszuführen. Wie weit glaubt Ihr, daß es bis zum Stamm der Konzas ist?«

»Auf die Entfernung kommt es da nicht so an,« sagte sinnend der junge Jäger, »aber der Stamm der Konzas ist groß und weit verbreitet; die Indianer werden dabei, wenn sie es wirklich wissen, nicht so gesprächig über einen Fall sein, der sie vielleicht in gefährliche Berührungen mit ihren weißen Nachbarn bringen könnte.«

»Wie alt wäre denn der Junge jetzt?« fragte Smith.

»Fünfundzwanzig Jahre; Mrß. Rowland sprach noch gestern von ihm und sagte, sein Geburtstag sei an dem Tage gewesen; aber,« setzte er leiser hinzu, »sie dürfte keine Sylbe davon erfahren, die Angst und Erwartung würde sie tödten.«

»Das ist's ja eben, was mir so im Kopf herumgegangen,« meinte Smith, »und deßhalb war mir Euer Anblick heute so willkommen; die Freude aber, wenn Ihr mit ihm zurückkehrtet. …«

Auch vor Tom's innerem Geiste schien ein derartiges Bild vorüber zu schweben, er lächelte still vor sich hin und strich sich dann mit der Hand leicht über die Stirn.

»Smith,« sagte er und bog sich zu ihm hinüber, »Ihr scheint Euch für die Leute zu interessiren, und das freut mich von Euch. Ihr wißt aber nicht, Ihr könnt das nicht gut wissen, wie glücklich mich die Erfüllung dieses heißen Seelenwunsches der armen alten Frau machen würde, und schon deßhalb bin ich Euch zu unendlichem Danke verpflichtet, daß Ihr mir auch nur eine Aussicht auf die mögliche Verwirklichung dieser Hoffnung gebt. – Ich gehe zu den Konzas, und das noch in dieser Stunde!«

»Was! jetzt gleich?« rief Smith erstaunt, »das ist ja aber gar nicht möglich! Zu einer Reise von wenigstens 120 Meilen müßt Ihr Euch doch wahrhaftig mehr vorbereiten, als wenn Ihr bis an den nächsten Wasser-Cours einen Bären oder Hirsch schießen geht!«

»Weßhalb?« lachte Tom, »ob ich acht Tage hier in der Nähe oder irgend eine Strecke weiter entfernt auslagere, bleibt sich das nicht gleich? Im Walde bin ich doch, und was sollt' ich sonst zu meiner Bequemlichkeit noch mitnehmen?«

»Doch wenigstens Provisionen.«

»Die liefert mir der Wald selber, meine Decke habe ich auch bei mir und mein Kopfkissen« – er deutete dabei lachend auf den Sattel –, »und was braucht's da mehr.«

Kurz, trotz aller Vorstellungen des Händlers ließ sich Tom Fairfield nicht mehr von dem einmal beschlossenen Zug abbringen, und alles, wozu er bewogen werden konnte, war wenigstens ein Stück Speck und Maisbrod und etwas gemahlenen Kaffee mit in seine Decke zu wickeln, und zwar den Speck, um etwas Fettes zu dem sonst trockenen Hirsch- und Truthahnfleisch zu haben. Eine halbe Stunde später nahm er von dem Händler herzlichen Abschied, bat ihn noch einmal, nicht eine Sylbe über die Sache, selbst nicht gegen seine Frau zu erwähnen (bei welchem Gedanken, daß er nämlich seiner Frau ein Geheimniß anvertrauen werde, Zacharias Smith in ein lautes Gelächter ausbrach), und war zehn Minuten später, auf dem kleinen Waldpfad rüstig dahin schreitend, gerade da in dem Holze verschwunden, wo ein niederes Dickicht von Sassafras und Dogwood ihn rasch den Blicken des Nachschauenden entzog.

Smith stand noch eine ganze Weile dicht neben seinem Hause, von wo er den freien Platz nach dem Walde zu übersehen konnte, und erst dann, als der junge Mann schon lange, lange in den Büschen verschwunden war, und die freundlich, hinter ihm über dem Wald aufsteigende Morgensonne seinen eigenen Schatten weit und geisterhaft über den Hof und im Zickzack über die Lattenfenz warf, kehrte er plötzlich rasch in den Laden zurück, öffnete die hintere Thür und rief in die Küche hinaus:

»Mrß. Smith!«

»Sir!« lautete die Antwort.

»Wenn Jemand nach mir fragen sollte, ich bin hinüber nach Cowley's gegangen.«

Und Zacharias Smith schritt, die Hände nachdenkend auf dem Rücken gekreuzt, langsam die Straße hinunter, dem bezeichneten Hause zu.

»Hm!« sagte gleich darauf Mrß. Smith, und ihre scharfe, von der Kamingluth jetzt etwas echauffirte Nase wurde zwischen zwei ärgerlich blitzenden grauen Augen sichtbar. »Hm – bin zu Cowley's gegangen – das ist immer so die Art, wenn Jemand nach mir fragt, ich bin zu Cowley's gegangen, und die Frau geht nie zu Cowley's, die kann zu Hause sitzen und die Wirthschaft besorgen und alle Augenblicke, wenn Jemand kommt, in den Laden springen. Na, das Leben hätt' ich satt. Und was jetzt nun wieder im Wind ist – mein Mann heute Morgen vor Tagesanbruch aufgestanden – das ist vor seinem Ende – und diese Geheimnißkrämerei mit der Mrß. Rowland. – Oh, ich hab' es wohl gehört, mein guter Mr. Smith« – und sie wandte sich in triumphirendem Hohn der Himmelsgegend zu, in der sie ihren Ehegatten jetzt vermuthete – »Mrß. Smith hat keine Baumwolle in den Ohren, wenn sie etwas hören will –, Mrß. Rowland sprach von ihm und sagte – und der junge Rowland unter den Indianern – und Mr. Tom hingeschickt, ihn zu holen – oho, Mr. Smith, so ganz auf den Kopf sind wir denn doch nicht gefallen, daß wir uns da nicht unser Theil heraus studiren könnten. Also haben sie den Jungen endlich gefunden – ein schöner Strick wird das geworden sein – und mein Mann steckt mit in der Geschichte drin – giebt sich so jetzt immer mit den ekelhaften Indianern ab – heiliger Gott, war das gestern Abend wieder ein Scandal und Flaschenzerschmeißen! Der fromme Vater Billygoat wird schön mit dem Kopf schütteln, wenn ich ihm das erzähle. – Und ich erfahre kein Wort von der ganzen Geschichte – o Gott bewahr! seiner ihm ehelich angetrauten Frau sagt der saubere Herr kein Sterbenswörtchen, aber zu Cowley's geht er hinüber. Mr. Cowley und Mrß. Cowley, die müssen ihren Senf dazu geben, zu jeder Neuigkeit, und ihre Finger in jeden Kuchen stecken. Aber warten Sie nur, Mr. Smith, warten Sie nur, my dear Sir. Der Sache komme ich auf den Grund, und wenn ich zu Mrß. Rowland selber hingehen sollte, mich zu erkundigen – tausend Mal hab' ich mir's gefallen lassen, jetzt aber hat meine Geduld ein Ende, und nun will ich doch sehen, ob ich mit meinem Kopf nicht durch eine eben so dicke Wand durchdringen kann, wie Mr. Smith mit dem seinigen.«

11Squaw, indianische Frauen.