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Aus dem Matrosenleben

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Dreizehntes Capitel.
Das Wrack

Vor allen Dingen galt es jetzt die Möglichkeit einer Rettung zu überlegen.

Wenn sie ihr großes Boot flott bekommen konnten, schien nicht die mindeste Schwierigkeit vorhanden in die wirkliche Fahrstraße durch die Torresstraße einzulaufen, und dann konnten sie sich leicht auf einer der kleinen Inseln halten, bis ein anderes von Sydney nach Britisch- oder Holländisch-Indien bestimmtes Schiff vorbeikommen und sie aufnehmen würde. Es war jetzt noch die günstigste Jahreszeit für diese Fahrt, und Capitän Oilytt wußte selbst mehrere Schiffe, die beabsichtigt hatten ihm in acht oder vierzehn Tagen zu folgen.

Aber selbst von ihrer eigenen Lage wurden sie in diesem Augenblick durch einen furchtbaren Lärm, der aus dem unteren Deck herauftönte, abgezogen, und alles sprang an die Luken, hinabzuschauen. Um das Schiff selber brauchten sie sich jetzt auch in der That nicht weiter zu kümmern, das lag fest genug zwischen seinen Korallen, und hätte es ja noch gescheuert, so durften sie höchstens die Anker auswerfen, es ganz fest und sicher zu bekommen.

Der Lärm rührte von den armen Thieren, den Pferden her. Natürlich war das Schiff leck geworden und das Wasser in den unteren Raum gedrungen und die festgebundenen rangen nun mit ihren letzten Anstrengungen gegen den sie bewältigenden Tod an. Manchmal wenn eines der unglücklichen Geschöpfe seinen Kopf noch über Wasser bekam, hörten sie deutlich das Schnauben, und oft drang ein entsetzlicher Nothschrei zu ihren Ohren und machte sie schaudern – aber Hülfe zu bringen war nicht mehr möglich. – Wären sie selbst im Stande gewesen die Stricke zu zerschneiden mit denen die Thiere festgebunden standen, aus dem unteren Raum konnten sie sie doch nicht herausbekommen, und dort stieg das Wasser mit rasender Schnelle.

Jean sprang zwar die Leiter hinunter, mehr um sich von der vollkommenen Nutzlosigkeit einer Hülfe zu überzeugen, als irgend etwas zu thun. Gerade da aber wurde diese, wahrscheinlich durch eines der losgerissenen Thiere das sich dagegen geworfen, umgestoßen. Er konnte eben noch das zum Auf- und Niedersteigen befestigte Tau fassen und sich vor einem Sturz in die Tiefe retten, der ihn nur zu wahrscheinlich unter die Hufe der verzweifelten Thiere geworfen hätte. Als er festen Fuß auf dem Heu faßte, und traurig in den dunklen Raum hinabstarrte, wo es jetzt stiller und stiller wurde, sagte eine leise schwache Stimme an seiner Seite:

»Jean – was ist mit dem Schiff vorgegangen?«

»Hans, um Gotteswillen,« rief der junge Franzose, und sprang rasch nach ihm hinüber – »armer Teufel, wie geht dir's? Hol's der Henker, wir haben die Hände, oder vielmehr Augen und Ohren die letzte Stunde so voll gehabt, daß beim Himmel keine Seele an etwas anderes als sich selber denken konnte – Jesus Maria, wie blutig du aussiehst – wie ist dir?«

»Besser, viel besser, aber was ist mit dem Schiff vorgegangen?« sagte der Verwundete.

»O das sitzt fest und wacker auf einer Korallenbank,« lachte Jean, der, einmal aus der nächsten Todesgefahr heraus, schon all seinen frischen und fröhlichen Muth wieder bekommen hatte. »Masten über Bord, alle drei, und so sicher vor Anker wie nur je ein gutes Fahrzeug nach langer Reise gelegen hat. Der arme Karl ist aber auch über Bord« – setzte er ernster und fast traurig hinzu.

»Ich wollte ich wäre an seiner Stelle,« sagte Hans, und fiel mit geschlossenen Augen auf das Heu zurück.

»Unsinn,« lachte aber Jean wieder – »deine Leiden sind jetzt zu Ende. – Wer weiß, ob's nicht am Ende ganz gut ist, daß wir den alten verdammten Kasten auf soliden Grund gesetzt haben. Der Schuft von Capitän kann jetzt sehen wo er ein neues Schiff bekommt, mich kriegt er aber wahrhaftig nicht wieder als Matrose an Bord, so viel ist gewiß. Pest, Mann, du hast aber die Eisen noch an, das geht nicht; die müssen herunter, und das Wasser ist auch schon bis ins Zwischendeck gestiegen – der untere Raum ist ganz voll. – Wie still und ruhig es jetzt da unten ist,« setzte er schaudernd hinzu – »der Mensch ist doch ein entsetzliches Geschöpf mit seiner Gewalt über das Thier.«

»Jean,« rief in diesem Augenblick der Mate herunter – »wo zum Teufel steckt Ihr?«

»Komme,« antwortete der Matrose, wandte sich dann aber noch rasch zu Hans und sagte tröstend, »ich bin bald wieder bei dir. Hab' keine Furcht, wir wollen die Sache schon machen.«

Er schob die Leiter, die nur auf die Seite geschlagen war, wieder zurück und kletterte rasch an Deck. Dort wurden indessen schon die nöthigen Vorbereitungen getroffen ein paar Nothspieren aufzurichten, um das große Boot über Bord zu heben und flott zu bekommen, was der doppelten Mannschaft ohne die Hülfe von diesen und Flaschenzügen nicht möglich gewesen wäre mit blosen Händen ins Werk zu setzen.

Jean wandte sich nun an Mr. Black, Hansens Freilassung zu bewirken. – Der Mann lag verwundet im unteren Raum und durfte nicht ohne Hülfe dort liegen bleiben, wenn man sein Leben nicht in Gefahr bringen wollte. Mr. Black sprach auch augenblicklich mit dem Capitän darüber, dieser aber wollte von nichts hören. So lange er an Bord Herr sei, schwur er, bleibe der Schuft in Eisen. – Er habe sich widersetzt und dem den Tod gedroht, der ihn bestrafen würde, also offene unverhehlte Meuterei, und er wolle sich nicht der Gefahr aussetzen, gemeuchelmordet zu werden. Damit wandte er sich ab und den Arbeitenden wieder zu.

»Aber Sir,« sagte der Mate, »Sie können ihn doch nicht gut geschlossen mit ins Boot nehmen. Er wird da mehr im Wege sein und – ich weiß auch nicht, ob Sie das später werden verantworten können.«

»Verantworten?« lachte der Capitän höhnisch – »übrigens wer sagt Ihnen denn, Mr. Black, daß ich ihn überhaupt mit ins Boot haben will? Es fällt mir gar nicht ein mich mit dem rebellischen Schurken länger zu behelligen.«

»Sie werden ihn doch nicht hülflos zurücklassen wollen?« rief der Mate rasch.

»Hülflos,« meinte Oilytt, »ist das hülflos? ich lasse ihn im Besitz meines ganzen Schiffs, und da ist auch die Jölle, die er nehmen kann wenn es ihm beliebt, sollte ihm der Aufenthalt hier nicht länger behagen. – Was verlangt er mehr?«

»Das geht wahrhaftig nicht an, Capitän Oilytt,« sagte der Mate kopfschüttelnd.

»Sie sollen einmal sehen wie schön es geht,« lachte dieser zurück. – »Es geht alles auf der Welt, was man nur will, und der Bursche kann noch seinem Gott danken, daß ich ihn nicht mit nach dem nächsten Hafen nehme, um ihn dort als einen meuterischen Hund, der er ist, aufhängen zu lassen. Sähe ich die Möglichkeit ein, wieder nach Sydney zurückzukommen, so geschähe das auch jedenfalls. All die Schiffe, die aber in nächster Zeit auslaufen, und auf die wir hier hoffen können, sind nach Batavia bestimmt, und mit der holländischen Regierung mag ich nichts zu thun haben. – Ich und sie sind schon einmal zusammen gewesen, und eben nicht als die besten Freunde geschieden.«

»So will ich ihm wenigstens jetzt die Eisen abnehmen, daß wir nach seiner Wunde sehen können« – sagte Mr. Black, und wollte sich abdrehen, in das Zwischendeck hinunterzusteigen.

»Halt, Mr. Black,« hielt ihn aber sein Vorgesetzter zurück, »nicht eher bis ich Ihnen das sage – wenn's Ihnen gefällig ist. – Nach der Wunde kann auch ohne das gesehen werden. Hier haben Sie den Schlüssel zur Medicinkiste und sein Sie so gut und besorgen Sie das. – Der dickköpfige Schuft wäre auch ohne dies nicht sogleich abgefahren – aber die Eisen behält er, bis wir von Bord gehen.«

Der Mate konnte nichts dagegen einwenden, stieg aber augenblicklich in die Cajüte hinunter, das nöthige Wundpflaster heraufzuholen. Von dem steckte er auch eine Quantität in die Tasche, es Hans zum ferneren Gebrauch zu lassen, und sah dann nach seinem Kranken, den er aber weit besser fand als er wirklich erwartet hatte.

Unterdessen gingen die Arbeiten an Deck rasch vor sich. Provisionen wurden heraufgeschafft, der Capitän hatte seine Instrumente, Karten, den Compaß für den Nothfall und seine Papiere geborgen, vertheilte dann die an Bord befindlichen Musketen mit der gehörigen Munition unter die Leute, da man in der Straße sehr häufig auf Schwarze stößt, von denen man nicht immer weiß, ob sie freundlich oder feindlich sind, und ließ dann die Leute an die Arbeit gehen, das große Boot vom Verdeck hinunter in See zu heben.

Unter all diesen Arbeiten rückte der Abend mehr und mehr heran, und es war schon kein Gedanke mehr, noch an diesem Tag sich einzuschiffen. Um 12 Uhr hatte der Capitän, da die Sonne heute hell und klar am Himmel stand, seine Observation genommen, die Breite zu bekommen, auf der sie sich befanden, denn die Länge wußten sie nur zu genau. Er fand dabei daß sie etwa 30 Meilen überhalb Raines Insel auf den Riffen saßen. Von hier aus konnten sie leicht in die südliche, am häufigsten befahrene Straße kommen, und an Gefahr für ihr Leben, wenn sie sich nur ein wenig mit ihren Provisionen einschränkten, oder sich zugleich auf den Fischfang legten, war nicht zu denken. Die einzige Vorsicht die sie gebrauchen mußten war, einen gehörigen Vorrath von Wasser einzulegen, und damit konnten sie dann getrost nach einer der Zwischen-Inseln oder auch Booby-Island hinfahren, an welchem letzteren Ort sogar Vorräthe für Schiffbrüchige von mehreren englischen Schiffen niedergelegt sind. Die gehörigen Segel für die Barkasse, die jetzt vollkommen gut in Stand und mit allem Nöthigen versehen fertig lagen, wurde ebenfalls hergerichtet, und mit Tagesanbruch am nächsten Morgen wollten sie ihre Pilgerfahrt beginnen.

Die Matrosen packten indessen ebenfalls das Nöthigste was sie an Wäsche gebrauchten mit ihren wollenen Decken zusammen, denn sonstiges Gepäck oder gar ihre Kisten konnten sie natürlich nicht mitnehmen – stauten das alles in eine Kiste hinein, und waren somit ebenfalls gerüstet. Nur Jean, François und Bill hatten ihre paar Hemden zurückgelassen. – Die Kiste war auch gerade von den andern Sachen voll geworden – und sie meinten sie wollten das Ihrige nur lieber so ins Boot werfen. Alle drei schienen übrigens andere Absichten zu haben.

 

An dem Abend hätten die Leute gern viel mit einander unterhandelt, der Zimmermann, der sonst nie lange im Logis blieb, wich und wankte aber gerade heute nicht von seiner Kiste. Jean, François und Bill gaben sich deshalb einen Wink und gingen nach oben.

Mit kurzen Worten vereinigten sie sich. Sie waren fest entschlossen Hans nicht allein an Bord des Wracks und mit einem Boot zurückzulassen, mit dem er allein wenig oder gar nichts anfangen konnte – sie wollten bei ihm bleiben. Hierzu kam auch noch, daß alle drei viel lieber nach Sydney zurückzukehren, als mit dem Capitän auf irgend einem anderen Fahrzeug nach Indien zu gehen wünschten, und sie machten sich deshalb schon die schönsten Pläne einer Landreise an der Küste hinunter. Sie kannten das Land und die Schwierigkeiten einer solchen Reise nicht, und der leichte Sinn eines Matrosen, der Gefahren überhaupt gar nicht achtet, weil er eben zwischen ihnen aufwächst, ließ sie das Alles mit frohem Muthe betrachten.

Heute Abend beschlossen sie aber noch nichts darüber zu äußern, sondern das alles bis auf morgen früh zu verschieben.

Vierzehntes Capitel.
Die Mannschaft trennt sich

Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch weckte der Mate – denn der Zimmermann, der mit dem Steward die letzte Wache gehalten, schnarchte auf Deck mit diesem um die Wette – und eine Stunde später war das letzte Frühstück an Bord eingenommen; die Mannschaft zur Abfahrt gerüstet.

Jean, der mit seinen Verbündeten an diesem Morgen nur wenige Worte wechseln konnte, Hans aber, dem er in der Nacht Matratze und Decke hinuntergetragen, ihren ganzen Plan schon mitgetheilt und natürlich nicht im mindesten auf dessen Einwendungen gehört hatte, stand vorn auf der Back, jetzt dem höchsten Theil des Schiffs, und suchte einen Ueberblick über die Binnenwasser zu bekommen, durch welche sie nun bald ihre einsame Bahn in einem kleinen schmalen Boote steuern sollten. Da glitt Timor, der kleine Malaye, zu ihm hinan, und flüsterte in seinem halb Englisch, halb Malayisch:

»Tuwan Jean – gestern hab' ich gehört – Ihr mit Tuwan Hans gehen wollt – ich auch. – Wollt Ihr mich mitnehmen? ich kann gut rudern und will recht folgsam sein.«

»Donnerwetter, Junge, herzlich gern, wenn's von mir abhinge. Da mußt du aber den Capitän fragen, denn ich kann wohl über mich selber, aber über niemanden anders von seiner Schiffsmannschaft bestimmen.«

»Ja, der Capitän wird nicht wollen,« meinte der Bursche traurig und schüttelte mit dem Kopf – »habe schon müssen meine Sachen in sein Boot legen.«

»Ja, dann kann ich's nicht ändern, Timor,« sagte Jean. – »Es thut mir aber leid – ich möchte dich gern mit haben.«

»Gewiß?« rief der Junge und seine Augen leuchteten vor Freude.

»Gewiß,« erwiederte ihm der junge Matrose – »sieh' zu daß du's einrichtest.«

»Timor,« rief gerade der Capitän – »was hast du da vorn zu suchen, Schlingel? – marsch, hier die Sachen hinunter ins Boot, und dann bleibst du selber unten dabei – was gibt's noch, he?«

»Wer bleibt denn bei Tuwan Hans, Capitän?« frug der Junge schüchtern und sah seinen Herrn von der Seite an.

»Ist der Junge verrückt geworden?« rief aber der Capitän wüthend. »Was zum Donnerwetter geht das dich an, du lederbraune Canaille? – Laß mich noch einmal eine derartige Frage von dir hören, und ich tattowire dir das braune Fell mit blauen und rothen Streifen, daß du deine Freude daran haben sollst. – Marsch, die Sachen ins Boot, und dann das andere, was hier noch liegt auch hinunter, und dann setzest du dich hinten hinein und muksest nicht mehr. – Sind die Flaschen alle unten, die ich dir gestern Abend gegeben habe? – he?«

»Saya Tuwan« – murmelte der kleine Bursche erschreckt, und sprang hin, den Befehl des strengen Gebieters zu erfüllen. – Es wäre nicht die erste Mißhandlung gewesen, die er von seinen Händen zu erdulden gehabt, und er wollte sich dem nicht selber muthwillig aussetzen.

Indessen wurden die Matrosen zusammengerufen sich einzuschiffen. – Der Capitän stand an der Fallreepstreppe – fertig niederzusteigen – alle seine Sachen mit Provisionen und Wasser waren im Boot, und Timor hatte eben das letzte Kistchen – den Peil-Compaß, den sie vielleicht zwischen den Inseln gebrauchen konnten, heruntergebracht. Der erste Mate war ins Zwischendeck gestiegen, Hans loszuschließen, und ihm anzukündigen was der Capitän über ihn beschlossen hätte. Da traten Jean, Bill und François vor, und erklärten dem Capitän, daß sie mit Hans an Bord bleiben und versuchen würden, sich in dem kleinen Boote zu retten. Hans sei zu schwach sich allein zu helfen, und sie wollten ihn nicht umkommen lassen.

Der Capitän wüthete, und befahl ihnen augenblicklich in die Barkasse hinunterzusteigen, Bill aber, der in dieser Sache das Wort genommen hatte, blieb ganz ruhig und erklärte, das Schiff sei ein Wrack und die Mannschaft könne sich retten, wie sie es am zweckmäßigsten halte. Capitän Oilytt, da ihn seine Steuerleute nicht im mindesten dabei unterstützten, sondern eher noch das Betragen der Matrosen zu billigen schienen, sah bald, daß er gegen sie in dieser Sache nichts ausrichten könne, und rief endlich trotzig, sie sollten seinetwegen zum Teufel gehen, aber vorher die Gewehre und Munition, die sie bekommen hätten und die dem Schiff gehörten, wieder abliefern.

»Die Gewehre abliefern, Sirrah?« rief Bill erstaunt – »wollen Sie uns hier von den Wilden, wenn sie in ihren Canoes ankommen, morden lassen? Gott verdamme mich, wenn das nicht zu arg wäre. Dem Schiff gehören die Gewehre, Capitän; der Lohn den wir beim Schiff zu gut haben, gehört auch uns und wir kriegen nicht die Probe davon. – Wenn's blos das wäre, könnten Sie die paar Schießeisen auf Abschlag rechnen.«

»Schufte,« schrie aber der Capitän wüthend – »Ihr zu gut haben? Ihr seid dem Schiff noch schuldig für das, was ich in Sydney für Euer Wiedereinfangen Belohnung zahlen mußte. – Glaubt Ihr Euer Schlaf-Baas hätte Euch umsonst verrathen?«

»Also Mr. Mac Carther hat uns den freundlichen Streich gespielt,« sagte Bill lachend. – »Nun das bleibt sich gleich, aber die Gewehre behalten wir, und ich will mich lieber später einmal, wenn es dazu noch kommen sollte, auf sechs Wochen von irgend einem Gerichtshof einsperren, als hier von den Wilden fangen und auffressen lassen. – So – das ist das Lange und Kurze davon.«

Mr. Black flüsterte leise einige Worte mit dem Capitän. Dieser blieb einen Augenblick noch wie unschlüssig stehen; da aber die drei Matrosen, mit ihren Gewehren in der Hand, ruhig seinen wild und boshaft auf sie gerichteten Blick aushielten, und die anderen, die noch an Deck waren, zu ihnen traten und ihnen herzlich die Hand schüttelten, drehte er sich mit einem Fluch um und wollte eben die Fallreepstreppe hinunter ins Boot steigen. Da wurde unten im Raum ein Fall in das, jetzt bis ins Zwischendeck hinaufsteigende Wasser gehört, und gleich darauf tönte ein gellender Hülfeschrei zu ihnen auf. Alles was in der Nähe war drängte sich um die Luke, um hinunter zu sehen. Unten auf dem erregten Wasser schwamm ein Strohhut.

»Das war Hans!« schrie Jean erschreckt – »er ist ins Wasser gestürzt!«

»Nein, Hans habe ich selber eben ins Logis gebracht,« sagte der erste Mate, »und ihm dort die Eisen abgenommen. Wie ich fortging, war er dabei seine Kiste aufzuschließen.«

»Wo ist Timor?« rief aber jetzt der Capitän, der einen Blick in sein Boot hinuntergeworfen und den Jungen dort vermißt hatte, schnell und erschreckt aus – »wo ist Timor?«

»Vor ein paar Secunden stand er hier an der Luke« – betheuerte der Steward, der ein Packet mit seinen eigenen Kleidungsstücken und noch einige andere Sachen unter dem Arm trug, mit denen er dem Capitän ins Boot hinunter folgen wollte. – »Timor!« rief der Capitän noch einmal, als ob er gar nicht glauben könnte, der arme kleine Bursche sei hier hineingestürzt – »wo steckt der Schlingel?« und er sah sich ängstlich dabei nach allen Seiten um. Jean aber, rasch entschlossen wie er immer war, hatte schon alles was er trug dem neben ihm stehenden Bill in die Hände gedrückt, und glitt jetzt mehr als er stieg, an der steilen Leiter in den Raum hinunter. Einen Augenblick faßte er auf dem Rande des Zwischendecks festen Fuß, dann verschwand er in der Fluth die kaum über dem ihm vorangegangenen Körper zu kreisen aufgehört hatte.

Alles stand in sprachloser Erwartung um die Luke her und schaute auf die unheimliche Fluth in den Raum nieder. Jeder andere Hader, jeder andere Gedanke war vergessen, und jedes Auge hing nur in peinlicher Spannung an den da unten jetzt langsam aufsteigenden Luftblasen, welche die Thätigkeit des Untergetauchten verkündeten.

»Bei Gott, der kommt auch nicht wieder,« rief François endlich mit vor Angst fast erstickter Stimme. – »Jean – um Gotteswillen, Jean.« –

»Da ist er!« tönte es plötzlich von den erleichterten Herzen der Schaar, aus deren Brust sich ein tiefer Seufzer aufrang. – Sie hatten in der Zeit nicht einmal zu athmen gewagt. – Das kohlschwarze, sonst so lockige, jetzt straff niederhängende Haar des jungen Franzosen wurde sichtbar, gleich darauf sein todtenbleiches Gesicht. Mit einer einzigen Armbewegung war er an der Leiter und hob sich, auf eine der Sprossen tretend, in die Höhe und mit den Schultern aus dem Wasser. – Er war allein.

»Kannst du gar nichts fühlen, Jean,« rief ihm der erste Mate ermunternd hinunter, »es wird ja doch so entsetzlich schnell nicht weggewaschen sein. – Lieber Gott, der Junge kann schwimmen wie ein Fisch, er muß sich beim Hinunterstürzen an den Kopf geschlagen haben.«

Jean erwiederte nichts, verschwand aber zum zweitenmal unter Wasser, und blieb diesmal länger aus als das erstemal. Als er endlich wieder zu Tag kam, stieg er schweigend, ohne ein Wort zu sagen, an Deck und schnürte sein Bündel auf, sich trockene Kleider anzuziehen.

»Armer Junge,« murmelte der Mate, als er dem Capitän, der sich rasch und mürrisch abwandte, ins Boot folgte. Der Steward aber, der sich neben dem Zimmermann niedersetzte, brummte leise vor sich hin:

»Das ist mir auch noch nicht vorgekommen, daß Einer in einem Schiff drin ersaufen kann. Das hat die Kröte aber nur mir zum Possen gethan, damit ich jetzt Alles allein besorgen muß.«

In wenigen Minuten war das Boot zur Abfahrt bereit. »Goodbye, Cameraden,« riefen Bob und Jim hinüber, und die an Bord Zurückgebliebenen winkten mit der Hand.

»Stoßt ab – Gott verdamme Euch!« zürnte aber der Capitän, den freundlichen Gruß unterbrechend – »und macht Euch da vorne Platz, daß Ihr, wenn wir einmal rudern müßten, nicht gehemmt seid.«

Der Kranke, Jack, lag vorne auf seiner Matratze im Boot. – Er war noch sehr schwach und sah unwohl aus, obgleich ihn das Fieber verlassen zu haben schien; dadurch entstand eine kleine Verzögerung, während die beiden Mates beschäftigt waren die Segel in Ordnung zu bringen.

Der Sturm von gestern hatte gänzlich nachgelassen, die Luft war hell und klar, und eine leichte Ostbrise versprach ihnen eine rasche und glückliche Fahrt nach Booby Island. Nur durch die Strömung aber, und durch das Segel, das den leichten Wind doch schon etwas gefaßt hatte, waren sie ungefähr 20 Schritt vom Schiff abgetrieben, als plötzlich ein Ruf vom Schiffe niederschallte, und aller Augen dorthin zog. Der Capitän, der ebenfalls aufsah, bekam eine Aschfarbe, denn dort stand Hans und in seinen Händen hielt er ein kurzes in der Sonne blitzendes Doppelgewehr.

»Mörder!« entfuhr fast unwillkürlich den bleichen Lippen des Capitäns der Angstlaut, der bis zu den Ohren seines früheren Opfers drang. Hans aber schüttelte verächtlich lächelnd mit dem Kopf und rief, indem er das Gewehr neben sich auf Deck stieß:

»Habt keine Furcht, Capitän Oilytt, ich will Euern letzten feigen Angriff auf mich nicht solcher Art erwiedern. – Hättet Ihr mich peitschen lassen, wäret Ihr jetzt ein todter Mann, aber den Schlag, den Ihr einem Gefesselten gabet, vergelt ich Euch auf ein andermal. – Wir sehen uns wieder,« und er drehte sich mit diesen Worten von dem Boote, das jetzt zum erstenmal den Wind ordentlich in seine Segeln faßte und rasch durch die grüne Fluth dahinschoß, ab. Als er sich aber wandte, sah er, wie Jean und Bill plötzlich erschreckt auseinander stoben und in demselben Augenblick pfiff auch eine Kugel, aber schlecht genug gezielt, über sie hin. Mit Blitzesschnelle flog er herum und riß die eigene Büchse in die Höhe, doch ein Blick auf das Boot sagte ihm, wie sehr er dabei das Leben anderer Menschen gefährden müßte. – Er setzte das Gewehr rasch wieder nieder, hob aber, zum Zeichen seines Wohlbefindens, die Mütze, schwenkte sie um den Kopf und rief mit trotzigem Hohn:

 

»Dank Euch, Capitän – werd's Euch zu gut schreiben – auf Wiedersehen!«

Er sah wie der Capitän im Boot einen Versuch machte, eine andere neben ihm liegende Muskete nach ihm hinzurichten, aber der erste Mate verhinderte ihn daran, und fünf Minuten später war das Boot außer Schußweite – eine halbe Stunde später kaum noch in Sicht.

Die Matrosen blieben noch eine Weile auf Deck stehen, ehe sie an ihre Vorbereitungen gingen. Sie schauten, jeder in seine Gedanken versenkt, dem wegschießenden Boote nach, so lange sie noch eine Gestalt darin unterscheiden konnten, und dann erst, als es nur noch wie ein schwarzer Punkt auf dem Wasser lag, reichte Hans Jean, Bill und François die Hand, und dankte ihnen für ihre ausharrende Freundschaft.

»O Unsinn, Mann,« lachte Jean – »reiner Eigennutz von uns. Wir wollen nicht mit dem Alten nach Indien, ich möchte gern wieder nach Sydney zurück und darum sind wir alle drei hier geblieben die Landreise zusammen zu versuchen.« Hans schüttelte aber zweifelnd mit dem Kopf sagte bedächtig:

»Jean, Jean, Ihr irrt Euch da alle drei in der Natur des Landes, das Ihr durchwandern wollt. Ich habe Euch das schon diese Nacht gesagt. Ich fürchte sogar, wir dürfen nicht einmal den Versuch wagen, wenn wir uns nicht der größten Gefahr aussetzen wollen. – Die Schwarzen an diesen Küstenstrichen sind nichtswürdiges, blutdürstiges Gesindel.«

»Pah, wagen,« lachte Jean mit seiner ganzen sorglosen Keckheit, die nie einer Gefahr aus dem Wege ging, ja sie eher noch aufsuchte als sie vermied, wenn er einmal die Wahl zwischen den beiden hatte. – »Wir sind hier vier entschlossene Männer, und gut bewaffnet. – Wetter noch einmal, wer mein Fleisch kochen oder braten wollte, würde es verdammt zäh finden. Gott sei Dank nur, daß wir den Alten mit seinem Schwarm los sind; für das andere ist mir wahrhaftig nicht bange. Jetzt an die Ausrüstung, und in einer Stunde können wir segelfertig sein. Wenn uns nur der arme Teufel von Junge nicht heute Morgen ertrunken wäre.«

Jean hatte das Wort kaum ausgesprochen, als er wie von einer Natter gestochen in die Höhe sprang, denn dicht unter seinen Füßen – er stand keine zwei Schritt von der offenen Luke, flüsterte eine leise Stimme, die ihm das Blut aus dem Gesichte ins Herz zurücktrieb:

»Tuwan Jean – Tuwan Jean – ist Capitän fort?« – und im nächsten Moment kletterte der kleine Malaye, flink wie eine Katze, an dem Mittelpfosten des Decks auf, griff den oberen Lukenrand und schwang sich an Deck – über das er zuerst einen flüchtigen noch ängstlichen Blick warf. – In der höchsten Freude haftete aber bald sein großes schwarzes Auge auf dem schimmernden Segel des fernen Boots, und in ein lautes jubelndes Lachen ausbrechend, sprang er wie besessen auf Deck herum.

Hans wußte von dem ganzen Vorgang nichts, und begriff nicht weshalb die anderen so erschreckt waren und der Junge zurückgeblieben sein konnte. Jean sammelte sich aber zuerst wieder und rief mit komischer Wuth, denn es schien ihm nicht halb Ernst bei der Sache zu sein:

»Nun seh' ein Mensch in der Welt so eine kleine schwarze Bestie an – trocken wie eine Pulverkammer, und läßt mich da zweimal hinunter zwischen die todten Pferde tauchen, um ihn wieder herauszufischen. Ob ich jetzt nicht wahrhaftig Lust habe ihn kopfüber da hinunter zu schicken wo ich gewesen bin, nur um zu probiren, wie sich's da im stockfinstern Raum, bei den todten Thieren herumschwimmt – der kleine Heide, der!«

Timor aber der wohl wußte, daß ihm von alle denen, die er noch an Bord sah, kein Leid geschähe, lachte, daß ihm die Thränen aus den Augen liefen, wobei Jean und François natürlich mit einstimmten, und erzählte seinen neuen Freunden nun, daß er unter keiner Bedingung mit dem alten garstigen Capitän hätte weiter segeln wollen, aber auch gar nicht gewußt habe wie er von ihm anders abkommen konnte, als auf solche Art.

»Als Ihr alle damit beschäftigt waret Euch zu zanken, wer da bleiben wollte und mitgehen sollte,« erzählte der kleine Bursche in seinem gebrochenen Englisch, »und als ich sah, daß niemand auf mich achtete, glitt ich auf das Heu ins Zwischendeck hinunter, warf ein kleines Fäßchen mit Nägeln, das ich mir schon heute Morgen früh zu dem Zweck dorthin geschafft, ins Wasser hinunter, daß es recht aufplätscherte meinen Strohhut dann dahinter her, und kroch nun, während ich einen lauten Schrei ausstieß, rasch zwischen ein paar Heuballen hinein und zwischen diesen fort, bis ich sicher war, daß sie mich nicht finden könnten, und wenn sie eine Stunde nach mir suchten. Dort bin ich liegen geblieben, bis ich hörte daß Jean hier sagte, das Boot sei abgefahren. Nun bin ich da und will mit Euch gehen.« Er setzte sich hierauf ruhig auf eines der Wasserfässer nieder und schien geduldig eine Antwort auf seinen Vorschlag abwarten zu wollen.

Hans lachte und meinte der kleine Strick habe jetzt gut auf eine Antwort warten, er wisse recht wohl daß sie ihn nicht zurücklassen könnten. Er solle aber nur, was er mitzunehmen wünsche, zusammenpacken und dann helfen daß sie ihren Proviant und Wasservorrath in Ordnung brächten, die heutige herrliche Brise wenigstens insoweit zu benutzen, Land zu erreichen.