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Aus dem Matrosenleben

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Elftes Capitel.
Der Sturm

Als an Deck alles klar war, die nicht durchaus nöthigsten Segel geborgen, die Raaen scharf angebraßt standen, lief das Schiff wieder nach Süden zurück. Südost lag freilich auf dem Compaß an, aber ein paar Striche trieb es doch noch immer weiter nach Süden hinüber, so daß es vielleicht einen SSO-Cours steuerte. Unter der Zeit war es aber auch vollkommen dunkel geworden, und der Capitän saß in der Cajüte und trank, theils aus Aerger über das schlechte Wetter, theils über die vereitelte Execution an dem Deutschen, von dessen schwerer Faust ihm das Zeichen noch immer auf der Stirn brannte, ein Glas Grog über das andere. Der erste Mate, der die Wache auf Deck hatte, ging ab und zu, bald in die Cajüte hinunter, das Nöthige mit dem Capitän über die Fahrt zu besprechen, bald einmal wieder an Deck schauend, wie es mit dem Wetter stehe.

Die Karte der Torresstraße lag mit Cirkeln und Parallel-Lineal auf dem Tisch der Cajüte, und es schien ihm nichts weniger als angenehm, daß sich der Capitän heute gerade um seinen Verstand trank.

»Um zwölf wollen wir wieder über den anderen Bug gehen,« sagte endlich Capitän Oilytt, der in der einen Sophaecke lehnte, und das rechte Bein zu sich heraufgezogen hatte. – »Damn it, wir dürfen nicht so weit von der Straße ablaufen, wir haben sonst morgen Abend wieder dieselbe Geschichte.«

»Um zwölf möchte wohl ein wenig früh sein, Capitän,« meinte der Steuermann – »ich war noch vor Dunkelwerden oben im Mast, und wenn ich's auch nicht gerade bestimmt behaupten will, so war mir's doch als ob ich im Westen Land gesehen hätte. – Die Strömung setzt uns hier sehr stark nach den Riffen hinein, und es wäre eine fatale Geschichte, wenn wir im Dunkeln drauf liefen.«

»Unsinn,« brummte der Capitän und füllte sich auf's neue sein Glas – »wenn's Tag wird, werden wir gerade in der rechten Entfernung sein, bis Mittag die Einfahrt machen zu können, und dann soll auch der Bursche, der Hans, seine Ladung haben – der Schuft der.«

»Capitän Oilytt,« sagte der Mate ruhig – »ich würde die Sache sein lassen, bis wir durch die Torresstraße sind. – Es ist nicht gut jetzt böses Blut unter der Mannschaft machen. Nachher, wenn Ihr Euch nicht anders besonnen habt, könnt Ihr ja immer noch thun was Ihr wollt. – Er läuft uns in der Zeit wahrhaftig nicht weg, und da unten in Eisen liegen ist auch eben kein Spaß.«

»Papperlapapp!« rief der Capitän ärgerlich auffahrend – »glaubt Ihr ich soll vor meiner Mannschaft mit zerschlagenem Gesichte herumlaufen, und den Schuft nicht gezüchtigt haben, der es gewagt hat Hand an mich zu legen? Pest und Gift – und hinter dem Burschen steckt auch noch mehr. – Ich habe ihn im vorigen Jahr zuerst von Sydney mit fortgenommen, und er sprach fast kein Wort englisch, und gestern Abend, Gott verdamme mich, ging's ihm vom Maule als ob er in seinem ganzen Leben keine andere Sprache gesprochen. Hier an Bord kann er das in der kurzen Zeit nicht so gelernt haben, also hat er sich vorher verstellt und da sitzt ein Haken dahinter. Es sollte mich nicht so viel wundern, wenn er irgend ein durchgekniffener Verbrecher von Neusüdwales oder Vandiemensland wäre. – Ich wollte, ich hätte früher eine Ahnung davon gehabt.«

»Ja, sein englisch Sprechen ist mir auch gestern Abend aufgefallen,« sagte der Mate, nachdenkend – »was sollte er aber für eine Ursache haben, seine Sprache zu verstellen?«

»Und den ganzen Leib hat der Schuft voller Narben,« fuhr der Capitän, ein anderes Glas leerend, fort, »ich möchte nur wissen wo er die gekriegt hat – im ehrlichen Kriege wahrhaftig nicht, denn so alt ist er gar nicht irgend einen Krieg mitgemacht zu haben – verdammte Bestie. – Und dabei ist mir's immer als ob ich seine grauen Katzenaugen schon irgendwo einmal früher gesehen hätte.«

»Er müßte denn mit in Indien gewesen sein,« meinte der Mate.

»Indien – pah« – sagte Oilytt – »die Tättowirungen hat er auch nicht aus Indien, die sind aus der Südsee. – Wo sich der Schuft nur mag alles herumgetrieben haben.«

Er schenkte sich ein frisches Glas ein und rührte dieses wüthend zusammen, während der Mate, der das nicht länger mit ansehen mochte, die Cajüte verließ. Dem Capitän gingen aber indessen allerlei Dinge durch den Kopf – die Narben des Gefangenen gefielen ihm nicht. – Der Mann hatte schon mehr erlebt als er wieder erzählen mochte, und war allerdings im Stande seine Drohung auszuführen.

»Hol ihn der Teufel,« brummte er endlich vor sich hin – »er soll nicht sagen können daß er Bill Oilytt erst geschlagen und nachher in's Bockshorn gejagt hat. – Morgen früh, wenn wir gesund bleiben, soll er seine fünfzig – Narben oder keine Narben – richtig aufgezählt kriegen. – Wart Canaille, ich will dir das Fell noch einmal übertättowiren und nachher kann er sehen wie er sein Wort hält, wenn er unten in Eisen krumm liegt. – Verdammte meuterische Hundeseele.« Mit diesen Worten zog er auch das andere Bein auf's Sopha herauf, um sich zum Schlafen zurecht zu legen. – Das Rückenkissen unter den Kopf schiebend, rief er dann, erst in seiner gewöhnlichen Stimme, zum zweiten Mal jedoch laut und ärgerlich nach dem Steward – er hatte ganz vergessen daß der im Bett lag. An dessen Statt erschien aber Timor, der Malayische Knabe in der Thür, und frug was der Capitän befehle.

»Wo ist der Steward, der Lump?« schrie ihn dieser an – »schon zu Bett? – ach ja so, hat eine dicke Seite – Pest noch einmal, daß ich ihm nicht einen dicken Buckel dazu gebe – Timor – Timor!«

»Ich bin hier, Sir,« sagte der Junge, und trat dicht zum Sopha hinan.

»Timor – um zwölf Uhr weckst Du mich – verstanden?«

»Ja Sir,« – der Junge blieb noch eine ganze Weile auf seinem Platz, fernere Befehle seines Herrn, mit dem er wohl wußte daß sich in diesem Zustand nicht spaßen ließ, abzuwarten. Der Capitän war aber schon fest eingeschlafen und Timor drückte sich in seinen Verschlag zurück, – wenn es ihm der Mate verstattete – ein Gleiches zu thun.

Unter fast gar keinen Segeln und gegen eine ziemlich schwere See an, machte das Schiff nur sehr geringen Fortgang. Trotzdem sie aber vom Lande, ihrem Cours nach, abgingen, schickte der zweite Mate, der bis zwölf Uhr Wacht hatte, mehrmals Leute nach oben, um zu sehen ob sich nach Westen zu nicht doch irgend etwas erkennen ließ. Der Himmel war jedoch zu bewölkt und die Luft zu dunkel. Ohne daß etwas besonderes vorgefallen wäre kam 12 Uhr heran.

Timor schüttelte jetzt seinen Herrn und that im Anfang wirklich was er thun konnte, ihn nur munter zu bekommen. Dann sprang derselbe aber auch mit beiden Füßen zugleich empor, rieb sich die Augen und sah nach dem über ihm hängenden Compaß. Fünf Minuten blieb er noch etwa, wie in tiefe Gedanken versunken, auf dem Sopha sitzen – er besann sich wahrscheinlich, was in den letzten Stunden mit ihm vorgegangen, und erst jetzt, mit einem plötzlichen »Ja so« – stand er auf, sah nach der Kanne, die er jedoch leer fand, und stieg, darüber auch eben nicht ganz zufrieden, an Deck hinauf.

Der Wind wehte noch aus demselben Quartier, ja hatte sich eher noch mehr nach Osten gedreht; die See ging hoch und hohl, und es war eine häßliche Nacht. – Der erste Mate kam eben an Deck und zog sich, schon oben, seinen dicken Rock an, den er fest unter dem Halse zuknöpfte.

»Guten Morgen, Capitän,« sagte er, als er an diesem vorüberging – »noch immer um nichts besser – da hinten sieht's noch häßlich aus.«

»Guten Morgen, Mr. Black – nun ich denke mit Sonnenaufgang sollen wir wieder klar Wetter bekommen, die Luft sieht da drüben schon lichter aus. Sind die Leute an Deck? – he Bill,« wandte er sich zu dem Mann, der eben vom Ruder abgelöst war – »geht noch nicht zu Koje, wir wollen wenden.«

Das Manöver, das auf vollkommen bemannten Schiffen nicht viele Minuten dauern darf, erforderte mit der schwachen Mannschaft, bis alles wieder in der gehörigen Ordnung war, fast eine halbe Stunde, und der Boreas nahm, gegen die schwere See an, eine Masse Wasser über Bord. Wie der Wind stand, konnte er dabei nur eben einen Nordcours liegen, und hatte jedenfalls nach Westen hin, ohne die dort hinüber setzende Strömung, anderthalb Strich Abdrift. –

»Capitän Oilytt,« sagte der Mate, als die letzten Brassen angeholt waren und das Schiff wieder, mit etwa drei Meilen Fahrt, langsam gegen die Wogen ankämpfte. – »Ich glaube wahrhaftig nicht daß wir bis vier Uhr über diesen Bug liegen dürfen. Unserer Berechnung nach sind wir allerdings noch über einen Grad von der Küste ab, wir haben aber in zwei vollen Tagen keine ordentliche Observation gehabt, und – es ist eine verdammt gefährliche Küste.«

»Kommen Sie mit hinunter, wir wollen einmal auf der Karte ablegen,« sagte Capitän Oilytt, und stieg voran die Treppe hinunter.

Ihrer Berechnung nach waren sie allerdings noch weit genug von den Klippen ab, und mit dem geringen Fortgang den das Schiff machte, ließ sich eben nichts besonderes für die wenigen Stunden fürchten. Der Mate schüttelte aber doch mit dem Kopf und meinte, »sicher sei jedenfalls sicher.«

»Gut, dann wecken Sie mich um zwei Uhr,« brummte der Capitän mürrisch und legte sich wieder auf's Sopha, dort die anderthalb Stunden zu verbringen.

Zwölftes Capitel.
Die Riffbank

Der Mate kam um die bestimmte Zeit selber herunter, legte die Distance ab, die sie nach Log und Compaß gemacht, und fand daß sie der Küste, wenn die Strömung hier nicht sehr stark war, etwa um fünf Meilen näher gekommen. Sie gingen dann mitsammen auf Deck, und es wurde ein Mann nach oben gesandt, auszusehen, während vorn auf der Back ein anderer die Wacht halten mußte. Es ließ sich aber nicht das mindeste erkennen, und der Capitän blieb bis zu seiner Wacht oben. Gewendet wurde aber nicht.

Um vier Uhr ging der erste Mate nach unten, und als er den zweiten weckte, prägte er ihm noch besonders ein, ja fortwährend Jemand auf dem Ausguck zu haben, der nicht allein nach der Brandung aussähe, sondern auch aushorche, denn sie würden sie in dieser stockfinstern Nacht eine Stunde eher hören als sehen können. Er ging dann zu Koje, konnte aber nicht schlafen und wälzte sich unruhig, alle Augenblicke aufhorchend, auf seinem Bett herum.

 

Es war um fünf Uhr Morgens, als er ganz deutlich durch sein offenes Fenster, bei einem plötzlich herüberwehenden Windstoß, das ferne dumpfe Rollen der Brandung zu hören glaubte. – Mit einem Satz war er aus dem Bett und an Deck – einen Augenblick war alles still, dann kam es dumpfgrollend und deutlich wieder über die empörte See daher, und mischte sich in das Heulen des Windes.

»Capitän Oilytt, wir sind dicht auf der Küste,« rief der Mann erschrocken und sprang rasch die wenigen Stufen hinauf und auf den Capitän zu, der bis jetzt auf dem hinteren Theil des Quarterdecks mit schnellen Schritten auf- und abgegangen war.

»Unsinn, Sir – was macht Sie das glauben?« frug der Capitän, indem er stehen blieb.

»Hörten Sie nichts?« sagte der Mate, und hielt die gebogene Hand trichterförmig an das lauschend vorgebeugte Ohr. Eine halbe Minute wohl ließ sich nichts deutlich unterscheiden, dann aber plötzlich quollen die dumpfgrollenden Töne ferner Brandung so deutlich zu ihnen herüber, daß sich die Sache nicht mehr bezweifeln oder gar wegläugnen ließ.

»Ich höre nach vorn zu auch die Brandung, Capitän,« sagte Jean der am Steuer stand, und schon eine Weile nach der Richtung hinüber gehorcht hatte, »gerad' da drüben.«

»Er hat wahrhaftig recht,« rief der Mate – »wir sitzen mitten drinn.«

»All hands on deck« donnerte der Capitän jetzt, ohne etwas darauf zu erwiedern, über Deck hin – »schnell Jungen, schnell, treibt mir die Schläfer aus den Kojen. – Nach oben ihr Leute, und schüttelt mir die Reefen aus den Marssegeln. – Rasch, munter, Jungens – zwei nach vorn und zwei für die Besahn – jetzt fehlt uns das große Marssegel. Den großen Klüver los, Einer von Euch, und nun Marsraaen in die Höhe, was das Zeug halten will.«

Die Leute waren aus dem Logis halb bekleidet herausgesprungen und flogen an die Taue. Die Vormarsraae ging rasch, diesmal ohne Singen und nur unter dem schnellen Tactheulen eines Einzelnen, nach oben, und das gewaltige Segel faßte bald voll und kräftig den Wind. »Vor-Bramsegel los!« – tönte der nächste Ruf, und ob sich gleich die Stenge vor der ungeheuren Last die gegen sie preßte, ordentlich bog, als die Schoten nach dem Nocken flogen und der Wind plötzlich hineinschlug, sie brachen wenigstens nicht. Das große Besahn war ebenfalls gesetzt, und das Schiff bewegte sich etwas schneller durchs Wasser.

»Ist das neue Marssegel zur Hand, Mr. Black?« frug der Capitän jetzt diesen, der neben ihm stand und die Besahnschot befestigen half.

»Alles in Ordnung, Sir – liegt gerade hier unter der Luke. Ich wollte es überhaupt schon heute früh anschlagen und das alte Segel ausbessern lassen.«

»Ich wollte Sie hätten's gestern gethan,« erwiederte der Capitän – »allons, hinauf damit – wir müssen sehen, daß wir es fest kriegen. – Wenn wir nicht Segel setzen können, jagen wir unrettbar auf die Riffe hinauf.«

Es ist eine schlimme Arbeit, an Bord eines Schiffes, in solchem Wetter und solcher See ein Segel anzuschlagen, das schon durch sein ungeheures Gewicht ein stetes Hinderniß bietet. In offener See wäre es auch sicher unterblieben. Hier aber lag ihre einzige Rettung darin von der Küste oder den Riffen vielmehr, die sich hier gefährlicher als an irgend einer Küste hinauf erstreckten, wieder abzukommen, und die Marssegel sind durch ihre Größe wie ihren Platz bei solchem Absegeln gerade die wichtigsten von allen. Ob die Stengen und Masten hielten, mußte sich jetzt zeigen. Aber halten oder nicht – brachten sie nicht mehr Segel auf, so saßen sie in einer Stunde zwischen den Klippen.

Die Luke war geöffnet, und die Männer arbeiteten daran das schwere Segel auf Deck zu heben, während der Capitän unruhig vorgebeugt nach der Brandung horchte, und in der mehr und mehr lichtenden Dämmerung den weißen Schaumstreifen, der jetzt sichtbar sein mußte, zu erkennen suchte. Einer der Leute war nach oben geschickt, eine Talje an eine der Pardunen zu schlagen, um das Segel nachher gleich in die Marsen hinaufheben zu können. Zuerst mußte es aber erst auf Deck vollkommen dicht gereeft, und so fest zusammengeschnürt werden, daß oben der Wind, ehe es fest gemacht war, nicht hineingreifen konnte.

»Capitän Oilytt,« sagte der Mate jetzt zu diesem tretend – »wir sind zu schwach an Händen – soll ich Hans vielleicht aus dem untern Raum heraufholen lassen?«

»Nein« – sagte der Capitän rasch – »es geht auch ohne den – ich will nicht. – Doch meinetwegen,« setzte er, sich eines besseren besinnend hinzu – »wir dürfen nichts versäumen, denn wenn wir Unglück haben, käme uns am Ende die Assecuranz-Compagnie auf den Kragen. – Bringt ihn herauf und nehmt ihm die Eisen ab. Wenn wir von der Küste los sind, können wir immer noch thun, was wir wollen.«

Der Zimmermann mußte den Gefangenen heraufbringen, und auch der Steward war indessen aus dem Bett geholt. Obgleich er ächzte und stöhnte als ob er am Spieße stäke, half ihm das diesmal nichts. Kaum hatte er aber einen Blick über See und Takelwerk geworfen, und nach den donnernden Riffen hinüber gehorcht, als er auf einmal so gesund schien, als ob ihm im Leben nichts gefehlt hätte. Er war lange genug zur See gewesen, um bald einzusehen wie die Sachen hier standen.

Als Hans an Deck kam, warf er einen einzigen flüchtigen Blick über Segel und Luft, im nächsten Moment schlug aber schon das dumpfe, jetzt ganz deutliche Donnern der Brandung an sein Ohr, und ein leichtes, fast triumphirendes Lächeln überflog seine bleichen Züge.

»Nehmt ihm die Eisen ab, Zimmermann,« sagte der erste Mate rasch, als ob er befürchte, daß vom Capitän wieder Einsprache geschehen könnte – »und dann rasch ans Werk, mein Bursche. Wir arbeiten heute Morgen alle nur für uns selber, denn wer den Hals nicht voll Seewasser haben will, mag zusehen daß er seinen Mund noch eine Weile über hoch Wassermark behält. – Rasch mit dem Segel, Ihr Jungen, das dauert ja eine Ewigkeit.«

»Mr. Black,« sagte aber in diesem Augenblick Hans, der dem Zimmermann seine Hände wieder entzogen hatte, daß er ihn noch nicht frei machen konnte – »ehe ich einen Finger dazu aufhebe, dies Schiff vom Untergang mit frei zu arbeiten, will ich erst wissen ob der Capitän die – Prügelstrafe, die er mir zudictirt, zurückgenommen. – Ist das der Fall, so soll er wahrlich keinen willigeren Mann als mich an Bord haben, und er mag mich nachher geduldig wieder in Eisen legen. – Ist das aber nicht der Fall, so – ist mir's lieber wir treiben auf die Klippen. – Ich für meinen Theil ersaufe nun einmal lieber als daß ich mich peitschen lasse.«

»Das ist Unsinn, Mann,« rief aber der Mate – »macht keine Flausen, und seid froh, daß man Euch Gelegenheit giebt Euer eigenes Leben mit retten zu helfen. – Erst einmal von der Küste ab – das andere findet sich nachher?«

»Was? – will sich der Hund noch widersetzen?« schrie aber der Capitän jetzt, auf das Mitteldeck springend und eine Handspeiche, die beim Oeffnen der Luke gebraucht war, aufgreifend – und ehe ihn jemand daran verhindern konnte, schlug er sie dem Gefangenen der wehrlos und mit gefesselten Händen vor ihm stand, über den Kopf, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. Bill und Karl wollten ihm zu Hülfe springen und ihn aufrichten. Der Capitän schrie sie aber an bei ihrer Arbeit zu bleiben und sich nicht zu rühren, warf dann die Handspeiche auf Deck, und befahl Timor den »Körper« aus dem Weg und auf die Seite zu ziehen.

Mr. Black – sonst wohl ein rauher Gesell, aber keineswegs mit solcher unnöthigen Grausamkeit einverstanden, wartete diesmal auf keine weiteren Befehle von seinem Capitän, sondern rief dem ihm nächsten Matrosen – es war Bill – den Bewußtlosen aufzuheben und hinunter in das Zwischendeck zu schaffen. Dort legten sie ihn auf ein paar der da aufgestapelten Heuballen und ließen ihn liegen – es war nicht möglich in diesem Augenblick weiter etwas mit ihm vorzunehmen.

Der Capitän sah dies wohl, da aber Mr. Black, und wie es schien ziemlich entschlossen, selber dabei betheiligt war, ließ er ihn gewähren und ging mürrisch nach hinten.

Das Segel war indessen an Deck dicht gereeft und fest zusammengeschnürt. An einem Ende an die Taille befestigt zogen es die Leute mit leichter Mühe in den großen Mars. Zwei von den Leuten hatten indessen die Reeftalje von den Marsraanocken bis hierher niedergeholt, schlugen diese an beiden Seiten durch eine der Reefkausen, und holten nun das Segel nach Steuer- und Backbord aus. Eine andere Talje um die Mitte geschlagen, brachte es dicht unter die Raae und die ganze jetzt über die Raae vertheilte Mannschaft zog mit unendlicher Schwierigkeit zwar, aber doch sicher und gut das Segel mit den ersten Reefbändern an seine gehörige Stelle, und festigte es dort mit allen Bändern.

Nach kaum einer Viertelstunde schlug das Segel, von den beiden Tauen befreit, auf. Mit der Geschwindigkeit von Affen glitten aber auch die Leute zu gleicher Zeit an Wanten und Pardunen nieder, die Schoten auszuziehen, und hoch flog die wilde Spritzsee über den Bug des Schiffes aus und schleuderte förmliche Wellen über Deck weg, als die neue Gewalt das ächzende Fahrzeug gegen die anstürmende Wassermasse trieb.

Es war ein Glück für das Fahrzeug, daß sich der Wind mit der Tagesdämmerung etwas gelegt hatte, es wäre sonst gar nicht im Stande gewesen diese Segel zu führen. Selbst jetzt noch standen die Taue zum äußersten gestrafft, und die starken Stengen bogen sich und schienen nur eines einzigen Druckes mehr zu bedürfen, um wie Glas von einander zu springen.

Mr. Black war indessen selber nach oben gegangen, und sein gleich darauf nichts weniger als tröstlich klingender Ruf – Brandung einen Strich über den Leebug, brachte auch den Capitän bald an seine Seite.

»Da drüben sind die Riffe, Sir« – sagte der Mate, auf der Bramraae stehend, und sich mit dem linken Arm um die Stenge festhaltend. Er deutete dabei mit der Rechten nach einem weißen Kamm hinüber, der, aus hohen Brandungswellen bestehend, weit vom Süden heraufkam und den ganzen Westen zu umschließen schien.

»Können Sie gar kein hohes Land erkennen, Sir?« frug der Capitän, der auf die Raae mit hinaufstieg und sein linkes Bein darüber weg schlug. – »Wenn wir nur den Thurm von Raines Island ausmachen könnten – in einer Stunde wären wir in Sicherheit.«

»Es ist zu neblich,« lautete die Antwort – »gerad hinter der Brandung liegt es wie schwerer Duft auf dem Wasser, und es läßt sich nichts erkennen. – Ich glaube nicht daß wir abkommen, Capitän.«

»Laßt das große Bramsegel auch beisetzen, Mr. Black« – sagte dieser – unruhig den drohenden Küsten- oder vielmehr Inselstreifen übersehend – »wir müssen.«

»Die Stenge hält es nicht, Capitän,« sagte der Mate – »sie ist alt und schon einmal geflickt – wir werfen sie augenblicklich über Bord.« –

»Wir müssen, Mr. Black – wir kommen wahrhaftig nicht einmal mehr mit diesen Segeln um die Südspitze der Riffe dort weg, und wenn wir hier noch einmal zum Wenden gezwungen werden, sind wir rettungslos verloren. – Wir verlieren mehr dabei, als wir in einer vollen Wacht wieder gut machen können.«

»Große Bramsegel los!« schrie der Mate, statt weiterer Antwort, nach unten. – Einer von den Leuten, es war der Deutsche, Karl, stieg nach oben, das Segel zu lösen. – Unten zogen sie indessen schon die Raae auf. Als das Segel ausflatterte, ächzte die Stenge und Karl sah sich erschreckt um.

»Nieder mit Euch – nieder!« schrie ihm der Mate hinüber und winkte ihm mit der Hand, daß er sich rasch niederlassen sollte. – Das Brausen des Windes übertönte aber seine Worte, und Karl war eben damit beschäftigt einen der Geitaublöcke, der unklar gekommen war, wieder frei zu machen – die Schoten fuhren aus und der Wind schlug in das Segel.

»Nieder mit Euch aus dem Top!« schrie der Mate, während er wie der Capitän selber blitzesschnell nach unten glitten – aber Karl hörte die warnende Stimme nicht. – Um ihn krachte und brach es – seine Geistesgegenwart verlierend, griff er nach dem ersten besten Tau das er erfassen konnte, und seine Sinne schwanden in der Gewalt des Sturzes.

»Mann über Bord!« schrie Jean, vom Ruder aus, durch den Lärm des krachenden Holzes und das Brüllen der See hinweg. – Wie instinctartig flog auch Bill die Quarterdeckstreppe hinauf, und ein dort liegendes Tau ergreifend, schleuderte er es mit geschicktem Wurf dem eben vorbeitreibenden Körper fast über den Kopf, – aber es war umsonst. – Die Fähigkeit es zu halten und zu greifen war aus den erschlafften Muskeln gewichen. – Im Fall mußte er mit dem Kopf gegen irgend einen der Blöcke oder Raaenocken geschlagen sein; die Stirn zeigte, eben als Bill noch in Todesangst hinübersah, eine klaffende Wunde. – Die See schlug über dem Unglücklichen zusammen und er sank in die Tiefe.

 

Das alles geschah während es über den Häuptern der beiden ebenfalls krachte und zusammenbrach. – Dicht neben Bill schlug der Besahntop herunter, und fuhr gerade durch das eine der Boote, die an beiden Seiten, in eisernen Krahnen, aufgehißt und befestigt waren – aber der Matrose hörte es gar nicht. Wie erstarrt hing sein Blick an der wegsinkenden Leiche des Cameraden. – Als er sich wieder umschaute, war das Schiff ein Wrack – alle drei Stengen waren niedergebrochen und der Klüverbaum nach Lee herumgeschlagen. Das Schiff, welches im Anfang fast schon durch die Segellast auf der Seite gelegen und eine Unmasse Wasser übergenommen hatte, richtete sich dadurch allerdings wieder etwas auf, wurde aber auch zu gleicher Zeit durch das jetzt nebenherschleifende Takelwerk mit Raaen und Stengen so in seinem Lauf gehemmt, daß es fast nicht den geringsten Fortgang machte, und nur mit der hier stark nach Nordwest setzenden Strömung gerade auf die Klippen trieb.

»Kappt weg, Jungen, kappt alles!« schrie der Mate und suchte selber, mit gutem Beispiel vorangehend, das Schiff von dem Anhängsel, das es sogar im Steuern hinderte, zu befreien, was ihm auch mit Hülfe der anderen Zuspringenden bald gelang. Sie kappten alles frei was über Bord hing; das Schiff vermochten sie aber nicht mehr zu retten. Nur noch wo möglich eine Stelle zu treffen, wo sie in ruhiges Wasser kommen konnten, war das einzige was ihnen zu thun übrig blieb, und der Capitän hatte sich durch das hängende und schlagende Tauwerk bis zu dem Stumpf des vorderen Mastes hinauf gearbeitet, von dem er jetzt nieder schrie das Schiff zwei Striche abfallen zu lassen. – Der Befehl wurde augenblicklich befolgt, und sie näherten sich den brandenden schäumenden Klippen mit rasender Schnelle.

»Können Sie die Backbord-Raaen etwas anbrassen, Mr. Black?«

»Ay, ay, Sir – brassen meine Jungen – nur ein wenig – für Euer Leben – greift zu hier. Ahoy – ahoy – noch einmal – so – Vor-Raaen jetzt.«

»Noch mehr abfallen – halt – Steady –« tönte der langgezogene Ruf.

Die Leute standen an Deck und wagten kaum zu athmen. Eine, wie es von hier aus schien, durchaus ununterbrochene Mauer von Klippen streckte sich vor ihnen aus, auf die das Schiff jetzt halb vor dem Wind mit wenigstens Neun-Meilen Fahrt hinauftrieb. Sobald sie aufstießen, mußte sie die erste nachstürzende Woge zerschmettern, und in diesem Chaos von scharfen Korallenfelsen und Sturzseen wäre es nicht möglich gewesen auch nur ein einziges Leben zu retten.

»Noch mehr abfallen!« lautete der eintönige ruhige Ruf.

»Noch mehr abfallen!« wiederholte fast bewußtlos mehr als ein halbes Duzend der Umstehenden – Jean stand am Steuer und sah todtenbleich aus, aber ein fast trotziges Lächeln spielte um seine Lippen, als er die Befehle, zum Zeichen daß er sie gehört und während sie schon ausgeführt waren, wiederholte.

Die Brandung stürmte jetzt so gewaltig und so in ihrer Nähe, daß es schon fast war als ob das Wasser auf Deck spritzen könnte. Bill sah nach den Masten hinauf, denn er erwartete mit jedem Augenblick den ersten Stoß, und wußte, daß sie dann auch rettungslos nach vorn übergehen mußten. Keiner sprach aber ein Wort, und wohl drei oder vier Minuten standen die Männer still und lautlos, den Augenblick der Entscheidung erwartend.

An Hans dachte keiner mehr von ihnen. Der Tod lauerte vor jedes einzelnen Thür, und mahnte mit ernstem Klopfen an Zeit und Ewigkeit.

»Luff – ein klein wenig Luff nur!« rief der Capitän in diesem Augenblick von oben herunter.

»Luff it is!« die Antwort des Steuernden.

»Steady!« die Stimme klang geisterhaft wild durch das Heulen des Sturmes und das Brausen der Brandung – »Steady um Euer Leben.«

Rechts und links am Schiff hinauf stürzten die Wogen, die sich an den Korallenfelsen neben ihnen brachen, aber das Schiff schoß mit Blitzesschnelle hindurch.

»Hard a port –« überschrie der Capitän mit seiner Donnerstimme das Toben der Elemente und während fast jede bleiche Lippe den Befehl wiederholte, und sich der Mate selbst mit in die Speichen des Rades warf ihn auszuführen, glitt Capitän Oilytt blitzesschnell an einer der Pardunen an Deck hinunter. Er hatte dieses aber kaum berührt und das Schiff war noch nicht mehr wie seine eigene Länge in der neuen Richtung fortgeschossen, als ein furchtbarer Stoß es bis in den Kiel hinunter erschütterte. – Was nicht fest stand, stürzte auf Deck nieder, und wie mit einem Schlag brachen die drei Masten über Backbord nieder und schmetterten in das wie kochend schäumende, milchige Wasser.

Alle schienen einen zweiten Stoß und das Zerschmettern des Schiffes selber zu erwarten – aber er kam nicht. – Die ungeheuren Wogen des stürmenden Meeres wälzten gegen sie heran, aber sie erreichten das Schiff nicht. – Dieselbe Wand starrer Korallen, die ihnen vorher Verderben gedroht und auf denen sie, wenn sie dort aufgestoßen, auch rettungslos verloren gewesen wären, lag jetzt, ein unerschütterlicher Schutz, zwischen ihnen und dem drohenden Verderben.

Die Leute wagten kaum zu athmen, und viele Minuten lang rührte sich keiner von seiner Stelle, als ob sie an Rettung noch gar nicht glauben könnten. Bill war der erste, der auf das kleine hinter dem Rad angebrachte Haus, das sogenannte Farbenspintje sprang, und mit einem Jubelruf die Rettung verkündete.

»Sicher fest gefahren!« schrie er den andern zu, »verdammt will ich sein, wenn das nicht der niedlichste Platz ist, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

Die Worte brachen den Zauber, und Alles sprang jetzt auf die hohe Railing, so viel als möglich die Stelle wo sie sich befanden, zu übersehen, und die Möglichkeit einer Rettung zu berechnen.

Das Schiff war glücklich zwischen zwei hohen Korallenriffen und durch einen Durchgang eingelaufen, der vielleicht nicht viel breiter war als das Fahrzeug selber. – Der glatte Streifen Wasser der den Weg wenigstens bezeichnete, in dem sie eingekommen, war kaum Mannslänge breit, und an beiden Seiten stürzte sich die Brandung der Nachbarklippen hinein. Weiter ließ sich aber auch, so weit das Auge reichte, keine einzige Einfahrt erkennen, und nur ihre verzweifelte Lage hatte den Capitän veranlassen können sein Schiff auf den schmalen Streifen zuzutreiben, der ebenso gut wie das übrige eine versteckte Klippe hätte bergen können. Hier, inmitten der Riffe, lagen sie nun in einem kleinen, kaum hundert Schritt langen See hellen, fast gelblich grünen Wassers, in dem sich die den Grund bildenden Baumkorallen klar und deutlich erkennen ließen.

Ringsum waren sie total von Korallenbänken eingeschlossen, die an den meisten Stellen bis dicht an die Oberfläche reichten, hie und da aber kleine, zwei, drei und vier Fuß tiefe Canäle bildeten, von denen einige offen lagen, andere mit langen treibenden Seegewächsen überzogen waren. Diese Korallenriffe konnten indessen kaum 200 Schritt breit sein, denn dicht dahinter lag wieder tiefes blaues, nur jetzt von der schweren Brise aufgeregtes Wasser, das nicht so durch die hohe Brandung vor dem darüber hinstreifenden Wind geschützt war wie die Stelle, auf der sie gerade saßen.