Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage)

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6.6Entgrenzung und Digital Learning

Wie im Abschnitt zum Umgang mit Zeit (in diesem Kapitel, 6.1) erläutert, wird in unserem «Informations- und Kommunikationszeitalter» die menschliche Aufmerksamkeit zum entscheidenden Faktor. Fast alles ist immer und überall zugänglich, ständig prasseln Kommunikationsaufforderungen auf einen ein: Neben den vor allem im beruflichen Rahmen verbreiteten E-Mails senden inzwischen Programme Push-Nachrichten auf das Mobiltelefon, Tablet oder den Computer. Dieses aufmerksamkeitsheischende Staccato überfordert die menschliche Kognition eigentlich. Denn Menschen brauchen auch im heutigen «digitalen» Zeitalter noch dieselben Bedingungen wie zuvor, um etwas tiefergreifend zu verarbeiten und damit die Grundlage für Lernprozesse zu schaffen: Zeit, um sich genügend lang mit dem «Gegenstand» zu beschäftigen, Aufmerksamkeit, um wirklich dabei zu bleiben, und wiederholte Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand unter verschiedenen Perspektiven über einen längeren Zeitraum hinweg.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle mit dem Mythos der «Digital Natives» aufräumen. Der Begriff geht auf einen Aufsatz von Prensky (2001) zurück. Prensky stellt die These auf, dass eine neue Generation von jungen Menschen heranwachse. Von Geburt an von Informations- und Kommunikationstechnologie umgeben, seien diese Menschen quasi natürlich versiert im Umgang mit Technologie und hätten daher neue Ansprüche an das Lernen. Wer früher geboren wurde, sei demgegenüber ein «Digital Immigrant». Diese digitalen Einwanderer bleiben laut Prensky in der Tendenz früheren Gebrauchsweisen von Medien und Technologie verhaftet. Sich an jeweilige technologische Entwicklungen anzupassen, bedeute für sie einen stetigen Aufwand. An Prenskys These, die übrigens nicht auf empirischer Forschung basierte, schlossen sich alsbald weitere Vorstellungen an, die mit den «Digital Natives» oder der «Generation Google» verbunden werden. Um nur einige davon zu nennen: Die Digital Natives würden auf neue Art und Weise lernen, hätten angeborene Fertigkeiten im Umgang mit Technologie oder könnten viel besser Multitasking betreiben als «Digital Immigrants» (siehe Smith 2012).

Inzwischen zeigen zahlreiche empirische Studien, dass eine grosse Mehrheit der jungen Menschen – nicht anders als die angeblichen «Digital Immigrants» – digitale Technologien zu Lernzwecken auf relativ simple Weise nutzt und damit deren Potenzial nicht einlöst. Für Deutschland etwa hält ein Bericht des Hochschulforums Digitalisierung von 2016 fest, dass nur 21% der Studierenden ein breites Spektrum digitaler Medien für das Studium nutzen (Persike/Friedrich 2016). Vergleichbare Ergebnisse liegen seit Längerem auch für die USA, Kanada oder Australien vor (eine lesenswerte Übersicht haben Kirschner und van Merriënboer (2013) zusammengestellt). Die Annahme, dass heute heranwachsende Menschen gut seien im Multitasking, ist ebenso fragwürdig. Sie basiert auf Alltagsbeobachtungen, in denen Jugendliche oder Studierende parallel Aufgaben erledigen, chatten und im Web surfen. Daraus wird geschlossen, es finde erfolgreiches Multitasking statt. Die Empirie spricht in zwei wesentlichen Punkten gegen diese Annahme (siehe Kirschner/van Merriënboer 2013):

1) Multitasking ist hirnphysiologisch kaum möglich: Aufgaben, die bewusste Denkleistung erfordern, können vom Hirn nicht parallel bearbeitet werden, sondern nur seriell. Das heisst, das Hirn muss beim so genannten Multitasking (z. B. Lesen eines Fachtextes und paralleles Schreiben eines E-Mails) zwischen den verschiedenen Aufgaben hin und her springen. Wenn also junge Menschen scheinbar Multitasking betreiben, springt ihre Aufmerksamkeit genau genommen zwischen verschiedenen Aufgaben oder Medien hin und her, auch Task-Switching genannt.

2) Task-Switching ist fehleranfällig: Zahlreiche Studien zeigen, dass mehr Fehler entstehen, wenn mehrere anspruchsvolle Aufgaben gleichzeitig bearbeitet werden müssen. Dies gilt von der Notfallmedizin bis zum Pilotieren von Flugzeugen. Besonders aufschlussreich ist eine Studie aus dem Jahr 2009. Als Laborexperiment durchgeführt, folgert sie, dass Personen, die im Alltag viel mediales «Multitasking» betreiben, irrelevante Informationen schlechter ausblenden können und so letztlich im Task-Switching schlechter abschneiden als Menschen, die im Alltag weniger multitasken.

Dass viele – nicht nur junge – Menschen heute scheinbar multitaskend lernen und arbeiten, bedeutet folglich nicht, dass dies sinnvoll oder effizient ist – ganz im Gegenteil. Gleiches gilt für den Umstand, dass dank Online-Lernangeboten, von Wikipedia über Youtube-Videos bis zu kostenpflichten Online-Kursen und Apps, theoretisch immer und überall gelernt werden könnte. Das reine Vorhandensein dieser Möglichkeiten führt keineswegs dazu, dass tatsächlich überall ständig gelernt wird. Mindestens ebenso stark bedrohen digitale Konkurrenzangebote (von Online-Zeitungen bis Netflix) die Fokussierung auf einen Gegenstand und unterminieren die fortdauernde, intensive Beschäftigung mit diesem durch ständiges Ablenkungspotenzial. Insofern ist Digital Learning zwar Symptom unserer zeitlich und räumlich entgrenzten Zeit, beantwortet aber für sich genommen die aktuellen Fragen zu Lernen und Weiterbildung nicht. Digital Learning ist vielmehr ein Potenzial, das nur unter bestimmten Bedingungen eingelöst wird bzw. werden kann.

Um diese Ausführungen zu konkretisieren, werden hier zwei Ausprägungen von Digital Learning etwas näher betrachtet: MOOCs und Online-Diskussionen.

MOOCs

Der Name MOOC steht für Massive Open Online Course. Er bezeichnet als Kurs gestaltete Online-Angebote, die offen zugänglich sind (in der Regel keine Zugangsvoraussetzungen oder Kurskosten) und mit hohen Teilnehmerzahlen operieren: Von 100 bis zu mehreren 100‘000 Teilnehmenden ist je nach Kursgestaltung und Bekanntheitsgrad des Anbieters alles möglich. Der erste als MOOC bezeichnete Kurs wurde 2008 durchgeführt, das Format ist also noch ziemlich jung. Breiteren Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit erlangten MOOCs anfangs der 2010er-Jahre. Zeitweise wurde mit ihnen die Vorstellung verbunden, dass sie den Bildungsbetrieb vor allem im Tertiärbereich revolutionieren würden, da ein einzelner MOOC eine beinahe beliebig grosse Teilnehmendenzahl erreichen kann. Inzwischen lässt sich sagen, dass MOOCs zwar neue Möglichkeiten schaffen, aber andere (Weiter-)Bildungsformate nicht überflüssig machen.

Typisch für MOOCs ist beispielsweise die hohe Abbruchquote: Von den Personen, die sich ursprünglich für einen Kurs anmelden, schliesst in der Regel nur eine kleine Prozentzahl den Kurs erfolgreich ab (die Zahlen variieren stark, 15% scheint ein mittlerer Erfahrungswert zu sein). Das wirkt aus Sicht traditioneller Bildungsformate auf den ersten Blick negativ, kann aber auch positiv gesehen werden: Die geringen Einstiegshürden dieser offenen Kurse ermöglichen zahlreichen Menschen, sich fürs Erste einmal anzumelden und im Kurs umzusehen. Nur diejenigen, für die der Kurs etwas bietet, das sie gerade faszinierend finden oder dringend brauchen, bleiben über Wochen hinweg dabei und schliessen den Kurs ab. Die übrigen steigen früher oder später aus – vielleicht auch, nachdem sie denjenigen Inhalt bearbeitet haben, der für sie wichtig war, während der Kursabschluss als solcher für sie weniger zentral ist.

MOOCs sind nicht an eine bestimmte didaktische Gestaltungsweise gebunden – von stark instruktionalistisch/dozentenzentriert bis konstruktivistisch/individualisierend (vgl. 6.2 und 6.3) ist alles möglich.

Online-Diskussionen

Zu Weiterbildungsveranstaltungen werden gelegentlich Onlineforen eingerichtet, in denen Teilnehmende Lerninhalte schriftlich miteinander diskutieren und reflektieren. Der grosse «Hype» der Diskussionsforen fand zur Jahrtausendwende statt, inzwischen sind Erwartungen sowie Einsatzhäufigkeit etwas zurückgegangen. Dies dürfte daran liegen, dass sich die sozialen Lernprozesse in solchen Foren nicht so schnell und bloss durch den Einsatz von Technologie einstellen, wie man sich das ursprünglich erhoffte: Lernen durch asynchronen Online-Austausch findet nur dann statt, wenn die Aussagen von Lernpartnern (oder der Dozierenden) unter Angabe von Gründen gegenseitig hinterfragt, differenziert, weiterentwickelt oder auch abgelehnt werden (vgl. Zimmermann 2014, S. 35–83).

Eine derartige «Diskussionstiefe» zu erreichen, ist anspruchsvoll und bedingt, dass Teilnehmende in ihren Texten sowohl bereit sind, gegenseitig auf ihre Argumentationen einzugehen, als auch wissen, wie sie das tun können. Damit dies gelingt, sind schreibdidaktische Massnahmen erforderlich. Dazu gehört im Minimum, mit den Teilnehmenden im Vorfeld von Online-Diskussionen im Präsenzunterricht zu besprechen, was gute schriftliche Diskussionsbeiträge ausmacht, und Beispieltexte miteinander zu betrachten. Hilfreich sind auch Kriterienraster, die zwischen verschiedene Intensitätsstufen von Aufeinandereingehen unterscheiden. Ein theoretisch begründetes und praktisch erprobtes Beispiel wird in Zimmermann und Rickert (2015) beschrieben.

Lernen mit Medien oder so genanntes Digital Learning verliert durch diese Erkenntnisse aber nicht an Bedeutung. Vielmehr ist es auf allen Bildungsstufen wichtig, an einem sinnvollen Gebrauch digitaler Medien zu arbeiten, der sowohl Lernprozesse als auch Arbeitsabläufe unterstützen kann. Angesichts der rasanten Entwicklungen im digitalen Bereich können dazu keine allgemeinen Ratschläge formuliert werden. Zentral scheint, dass diese Entwicklungen laufend beobachtet und mögliche Folgerungen daraus gemeinsam mit Teilnehmenden von Weiterbildungen gezogen werden.

Denn Entgrenzung von Zeit und Raum durch digitale Medien führt nicht automatisch zu grenzenlosem Lernen. Vielmehr findet Lernen nach wie vor unter den gleichen anthropologischen Bedingungen statt: Um etwas über einen bestimmten «Gegenstand» zu lernen, muss ein Mensch sich über einen bestimmten Zeitraum mit einer gewissen Intensität damit auseinandersetzen. Das ist und bleibt anstrengend, und je grösser die Anstrengung ist, desto mehr wird gelernt – wobei Anstrengung kein negativ besetzter Begriff sein muss: Durch Anstrengung Ziele zu erreichen kann sogar sehr beglückend sein. Eine «Alles-ist-nur-einen-Klick-weit-weg-Mentalität» kann den Weg zu einer solchen Beglückung durchaus auch verstellen, statt wie oft versprochen «schnelles Lernen» zu ermöglichen. Mediendidaktik, mediendidaktische Unterstützungsangebote und entsprechende Forschung bleiben deshalb auf absehbare Zeit nicht nur hilfreich und notwendig. Sie werden sogar noch an Bedeutung gewinnen.

 

7.Aspekt E: Aus der Werkzeugkiste

7.1Einführung

«Die beste Methode gibt es nicht – sofern man die gemessene Lernleistung der Schüler als Effektivitätskriterium zugrunde legt. Mit schöner Regelmässigkeit zeigten sich entweder keine Differenzen, oder aber die Resultate fielen nicht eindeutig genug zugunsten dieser oder jener Lehrmethode aus … Dieser Sachverhalt … gehört zu den wenigen Erkenntnissen der Lehrmethodenforschung, die als gesichert gelten dürfen.»

Terhart 1989, S. 75

Unterrichtliche Methoden können als Mittel zur Zielerreichung verstanden werden, etwa als Vermittlerinnen zwischen lernenden Subjekten und anzueignenden Objekten, als Mittel zur Lernförderung. Je nachdem nach welchen Unterrichtskonzepten und anhand welcher theoretischer Annahmen Bildungsveranstaltungen konzipiert sind, dienen Methoden als Instrumente, um das jeweilige Vorhaben effektiv zu realisieren.

Dies erlaubt dem Einsatz von Methoden eine technologische Wirkung zu unterstellen.

Gelegentlich scheinen sogar fehlende inhaltliche Auseinandersetzungen durch ideologisch gefärbten Methodenkult kompensiert zu werden. Glücksverheissungen können dann über Methoden transportiert werden.

Im Balance-Modell (in diesem Kapitel, 2.) ist der Aspekt «Methode» einer unter einigen und damit abhängig von anderen Aspekten und vielen Rahmenbedingungen.

Nach Knoll (2007, S. 1081 ff.) lauten die Entscheidungsfragen für die Wahl von Methoden:

Für wen? Für wen planen wir, für wen bereiten wir eine Veranstaltung vor? (Frage nach der Zielgruppe)

Warum? Warum planen und arbeiten wir für eine bestimmte Zielgruppe in einem bestimmten thematischen Zusammenhang? (Frage nach dem Ausgangsproblem)

Wer? Wer plant und bereitet vor? Wer sind wir selber in diesem Zusammenhang? (Frage nach der Leitung)

Wozu? Wozu planen und arbeiten wir? (Frage nach den Lernzielen)

Was? Welches ist der Gegenstand, mit dem wir uns beschäftigen sollen? (Frage nach dem Inhalt)

Wie? Wie gehen wir die Sache an? Mittels welcher Verfahren erreichen wir die Lernziele am besten? (Frage nach den Methoden)

Womit? Womit können wir beim Einsatz der Methoden arbeiten? Womit müssen wir als Einfluss von äusseren und institutionellen Gegebenheiten rechnen?

Nachstehende kleine Zusammenstellung von Methoden ist exemplarisch.

Die Methoden 1–4 bewegen sich eher vor dem Hintergrund der Erkenntnis- oder Problemorientierung, wobei die «Expertentagung» und das «Konferenzspiel» im Speziellen für argumentative Urteilsbildung einsetzbar sind; beide Methoden sind mit Unterrichtsunterlagen des Autors dokumentiert.

Das «Rollenspiel» und das «Fallbeispiel» finden Sie anschliessend als anleitende Umsetzungsvorlagen, teilweise mit theoretischen Bezügen. Das Rollenspiel könnte man als «kleineres Geschwister» des Konferenzspiels bezeichnen.

(«Grösseres Geschwister» wäre demnach das Planspiel, das nach genauer Rollenanleitung eine bestimmte, komplexe organisationale Realität über eine grössere Zeitspanne simuliert. Reelle Systeme und Subsysteme «reproduzieren» sich dadurch sozusagen spielend.) Das dann folgende «Fallbeispiel» lässt schliesslich nicht Realität simulieren, jedoch lässt über (mögliche) Realität sinnieren und diskutieren; die Ausführungen sind als didaktische Grundlegung dieser Methode gedacht.

Die in der Folge aufgeführten Gedanken zu den Methoden 5 und 6 «Vorzeigen – Nachmachen» und «Interaktivitätssteigerung in Plenarveranstaltungen», die als eher kenntnis- und dozentenorientiert bezeichnet werden können, zeigen auf, dass nicht selten als traditionell abgewerteten «Frontal»-Methoden je nach Berufsfeld und Indikation hohe Bedeutsamkeit und Effektivität aufweisen. Sie finden auch in Kapitel V Hinweise zu «Reden» oder «Referate halten». Als 7. methodisches Instrument finden Sie eine Checkliste für Arbeitsaufträge im Selbststudium.

Mittels dieser ausgewählten Methoden zeigen sich auch ansatzweise Themenbereiche («Didaktische Theorien» und «Entwicklung von Ausbildungsstrukturen»), die meine Ausführungen sonst kaum berücksichtigen.

7.2Methode 1: Expertentagung «Didaktische Theorien» – Materialien

Einleitung

Didaktik befasst sich als Theorie oder Wissenschaft mit allen Situationen und Phänomenen von organisierten Lehr- und Lernprozessen.

Beschreibend, erklärend und strukturierend versucht sie Orientierungswissen für die Unterrichtspraxis zu gewinnen (vgl. Berner 1999, S. 35).

Didaktische Theorien beziehen sich zudem in der Regel auf pädagogische und/oder psychologische Grundlagen (vgl. Schüpbach 2000, S. 15).

Hinter didaktischen Konzepten stehen Annahmen, Wertvorstellungen, gelegentlich Glaubenssysteme. Im Zuge des Wertepluralismus verkünden heutzutage immer mehr Bildungsfachleute «ihre» Didaktik als die ultimative. So tummeln sich da Begriffe wie «Belehrungsdidaktik», «Verständigungsdidaktik», «Ermöglichungsdidaktik», «interaktive Didaktik», «konstruktivistische Didaktik», «subjektive Didaktik», «reflexive Didaktik» oder «evolutionäre Didaktik».

Das altgriechische Wort «didaskein» bedeutet «lehren», «unterrichten», aber auch «lernen» und «belehrt werden».

Wolfgang Ratke (1571–1635) galt als eigentlicher «Erfinder» des heutigen Begriffes Didaktik (als «Lehrkunst»), die «Didactica Magna» (1657) von Amos Comenius (1592–1670) machte diesen in weiten Kreisen bekannt (vgl. Kron 1996, S. 328 ff.).

Interessanterweise war das «Didaktische» ursprünglich eine Gattung des griechischen Epos (neben dem «Heroischen» und dem «Historischen»), welches häufig als «Lehrgedicht» in Erscheinung trat.

Die so genannte «Didaskalia» verstand sich also als Lehre und Unterricht (mehr im Sinne von Übung und Training) oder aber als Aufführung von «Lehr-Stücken» (vgl. Blankertz 2000 und Aschersleben 1983).

Aschersleben (1983, S. 9 ff.) berichtet, dass ca. 3000 v. Chr. im alten ägyptischen Reich das Schriftsystem der Hieroglyphen und in Babylon bei den Sumerern die Keilschrift als hochkomplizierte Schriftsysteme in so genannten «Schreiberschulen» für die späteren Verwaltungsbeamten durchaus mittels didaktischer Instrumentarien (Diktat als Übung, Auswendiglernen, Prinzip des Lernens durch Vorbild, Lob und Tadel, …) unterrichtet wurden.

Der «paidagogos» (= «Knabenführer»; «pais»: der Knabe, «agein»: führen, leiten, ziehen) unterschied sich im alten Griechenland im Übrigen folgendermassen vom «Didaktiker»:

«Der Elementarlehrer nun, der im Schulunterricht die Schüler Lesen, Schreiben und die Zahlen – die aus dem Alphabet stammten – lehrte, wird zunächst Grammatiker genannt, später zum Didaktiker, dem Lehrer schlechthin, neben dem Sporttrainer und dem Musiklehrer der dritte, neue Lehrberuf, aber mit dem geringsten sozialen Ansehen. Übrigens gibt es seit der vorklassischen Zeit in Hellas auch den Pädagogen, den Knabenaufseher. Oft ein alternder Sklave, der nicht mehr für andere Arbeiten taugt, wird er abbestellt, um den Knaben oder Jüngling zum Unterricht in den Sportstätten oder der Schule zu begleiten. Es ergab sich, dass er später anspruchsvollere Funktionen übernahm: dem Zögling gute Manieren beizubringen, ihm seine Lektion abzuhören und insgesamt seine charakterliche Entwicklung positiv zu beeinflussen. So wächst der Knabenaufseher allmählich in die Rolle des wirklichen Erziehers, des Pädagogen, hinein, wie wir ihn aus späteren Epochen der Erziehungsgeschichte kennen: als Privatlehrer, als Hauslehrer oder Haushofmeister.»

(aus Aschersleben 1983, S. 12)

Grunder (1999, S.160) erwähnt folgende griechische Reminiszenz:

«Als es einmal geschah, dass ein Sklave von einem Baum stürzte und sich ein Bein brach und nun zu nützlicher Arbeit nicht mehr fähig war, sprach sein Herr: Nun ist er ein Pädagogus geworden.»

Vor vielen Jahren entschied ich mich auf Grund etlicher kritischer Rückmeldungen von damaligen Lehrgangsteilnehmenden der aeB dazu, die bislang eher «trocken» in Form von Referaten und Textlektüre vermittelten Ansätze der theoretischen Didaktik neu so zu vermitteln, indem ich die Teilnehmenden stärker aktivierte und dies als Anregungs- und Reflexionsmittel benutzte, um ihnen die Leitlinien unterrichtlichen Handelns bewusst zu machen. Folgende Materialien geben Ihnen Einblick in meine dritte Umsetzung dieser Idee bei zwei dafür zusammengelegten Ausbildungsgängen in Erwachsenenbildung an der aeB Luzern.

42 Studierende wurden in einer achttägigen thematischen Ausbildungsphase von zwei Kursleitenden (einer Kollegin und mir) begleitet, wobei uns zwei weitere Ausbildende während eines externen viertägigen Blockseminars unterstützten.

Folgende Materialien sind in der Mehrzahl chronologisch geordnete Planungsunterlagen, die als Anregung ohne Kommentare aufgelistet sind. Anschliessend schildere ich kurz meine Erfahrungen mit der Methode «Expertentagung».

Material 1:

Übersicht Veranstaltung «Didaktische Theorien»

4. Semester Diplomausbildung – aeB-Ausbildungstage


1.SequenzEinführung in die Didaktik I: Geschichte der Erwachsenenbildung in der SchweizExemplarische Einführung in die Geschichte der Pädagogik und der Erwachsenenbildung
2.SequenzEinführung in die Didaktik II: Didaktik und Pädagogik
3.SequenzEinführung in die Didaktik III: Konzepte/Theorie in historisch-gesellschaftlichem KontextExpertengruppenbildungPlanung/Arbeit in Expertengruppen
BlockseminarBlockseminar «Didaktische Theorien» (vier Tage)Methodische Form: Kontroverse Expertentagung–Inhaltliche Vorbereitung in Expertengruppen–Durchführung und Reflexion einer Expertentagung (offenes Podium–Vertiefendes (Selbst-)Wahlpflichtangebot «Didaktische Theorien»
5.SequenzIndividuelle Arbeit an Formulierung der eigenen didaktischen Konzeption mit fachlicher Begleitung

Material 2:

Einladung Dozentinnen/Dozenten zur Sitzung Planung des Blockseminars «Didaktische Theorien»

Traktandum

Rahmenplanung des Blockseminars, Aufgabenverteilung

Grobplan Blockseminar

●1. Tag: Arbeit in sieben Expertengruppen mit Begleitung

●2. Tag: Arbeit in sieben Expertengruppen mit Begleitung, Durchführung der Expertentagung

●3. Tag: Auswertung der Expertentagung mit Begleitung, Weiterarbeit in vier neu zusammengestellten begleiteten Bedarfsgruppen (Themen nach situativer Absprache)

●4. Tag: Weiterarbeit in vier begleiteten Bedarfsgruppen; Erstellen individueller didaktischer Konzepte/Positionen mit Beratung

Grundlage

Die Teilnehmenden entscheiden sich vorgängig für einen didaktischen Ansatz. Die Auswahl der didaktischen Ansätze ist weiter unten mit der entsprechenden Literatur aufgeführt. Es entstehen somit 7 Gruppen mit maximal je 6 Personen.

Aufgaben der Ausbildner/innen (Anspruch: «Fit in allen Ansätzen»)

●Drei Ausbildner/innen begleiten (1 x 3/2 x 2) sieben Expertengruppen in der Vorbereitungs- und Auswertungsphase.

 

●Eine Ausbildungsperson leitet die Expertentagung und hat während der Vorbereitungsphase die Funktion des «Schmetterlings» («schnuppert» rotierend in allen Expertengruppen).

●Alle Ausbildner/innen leiten anschliessend eine (bedarfserhobene) Themengruppe im Sinne einer inhaltlichen Spezialisierung oder Vertiefung.

●Alle Ausbildner/innen stehen für die Begleitung der abschliessenden individuellen Arbeit an einer eigenen didaktischen Konzeption der Teilnehmenden zur Verfügung.

Material 3:

Sieben didaktische Ansätze zur Auswahl – Literatur zur Bearbeitung in den Expertengruppen

1.Bildungstheoretische Didaktik

●Klafki, W. (2007). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik (6. Auflage). Weinheim und Basel: Beltz.

●Peterssen, W. H. (1998). Handbuch Unterrichtsplanung: Grundfragen, Modelle, Stufen, Dimensionen (8. Auflage). München: Ehrenwirt, S. 47–60.

2.Lerntheoretische Didaktik

●Heimann, P. (1976). Didaktische Grundbegriffe, in: Reich, K./Thomas, N. (Hrsg.): Paul Heimann, Didaktik als Unterrichtswissenschaft. Stuttgart: Klett.

●Peterssen, W. H. (1998). Handbuch Unterrichtsplanung: Grundfragen, Modelle, Stufen, Dimensionen (8. Auflage). München: Ehrenwirt, S. 82–95.

3.Lernzielorientierte oder curriculare Didaktik

●Möller, Ch. (2006). Die curriculare Didaktik, in: Gudjons, H./Winkel, R. (Hrsg.): Didaktische Theorien (12. Auflage). Hamburg: Bergmann und Helbig.

●Blankertz, H. (2000). Theorien und Modelle der Didaktik, Neuauflage. Weinheim und München: Juventa, S. 151–178.

●Berner, H. (1999). Didaktische Kompetenz. Bern: Haupt, S. 98–103.

4.Kritisch-kommunikative Didaktik

●Winkel, R. (2000). Antinomische Pädagogik und kommunikative Didaktik (3. Auflage). Düsseldorf: Cornelsen.

5.Kognitionspsychologische Didaktik

●Aebli, H. (2011). Zwölf Grundformen des Lehrens (14. Auflage). Stuttgart: Klett Cotta.

●Reusser, K./Reusser-Weyeneth, M. (Hrsg.) (1994). Verstehen. Bern: Huber.

6.Erkenntnisorientiertes Lehren und Lernen

●Landwehr, N. (2006). Neue Wege der Wissensvermittlung (6. Auflage). Oberentfelden: Sauerländer.

●Kösel, E. (2002). Die Modellierung von Lernwelten – Ein Handbuch zur subjektiven Didaktik (4. Auflage). Bahlingen: SdV Verlag für subjektive Didaktik.

●Egger, H. (1998). Lehren und Lernen im Sinne Martin Wagenscheins, in: Schweizer Schule 1988/5, S. 17–20.

7.Erwachsenenbildungsdidaktik

●Siebert, H. (2009). Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung (6. Auflage). Augsburg: Ziel.

●Arnold, R./Gómez Tutor, C. (2007). Grundlagen einer Ermöglichungsdidaktik: Bildung ermöglichen, Vielfalt gestalten. Augsburg: Ziel.

Material 4:

Einladung der Kursteilnehmenden zum Blockseminar

«Didaktische Theorien»

Liebe Studierende

Wir laden Euch hiermit herzlich zum ersten gemeinsamen Block im zweiten Ausbildungsjahr ein. Wie bereits bekannt, befassen wir uns darin mit verschiedenen didaktischen Theorien und ihrer Bedeutung für die Erwachsenenbildung – eine zumindest auf den zweiten Blick brandaktuelle Thematik!

Für die Bearbeitung des Themenbereiches sind einige (teilweise aufwendige) Vorarbeiten notwendig:

Bereits zum Voraus habt Ihr die Grundlagentexte zu den ausgewählten Ansätzen erhalten und verschafft Euch nun bis zum Kurstag am 7. September einen inhaltlichen Überblick. An diesem Tag erfolgen dann auch die Verteilung und Wahl der Ansätze und erste Vorbereitungsarbeiten für den Block. Folgende Zielsetzungen stehen dabei im Vordergrund:

●Die Studierenden kennen und verstehen einige ausgewählte didaktische Theorien samt ihren spezifischen Unterschieden und haben sich exemplarisch mit einem Ansatz vertieft auseinandergesetzt.

●Die Studierenden sind in der Lage, die wichtigsten Aussagen von didaktischen Theorien mit ihrer erwachsenenbildnerischen Unterrichtspraxis zu vergleichen und handlungsleitende Elemente darin zu erkennen, zu beschreiben und diese argumentativ zu vertreten.

●Die Studierenden definieren aufgrund dieser Auseinandersetzung ihre individuelle didaktische Konzeption als Skizze für ihre Tätigkeit als Erwachsenenbildner/in.

Die gesetzten Ziele wollen wir im Rahmen einer speziellen methodischen Anlage erreichen (wir werden Euch noch genauer darüber informieren). Daraus ergibt sich folgende Grobstruktur für den Block:


1. Tag:EinstiegArbeit in sieben Expert/innengruppen (mit Begleitung)
2. Tag:Weiterarbeit in den Expert/innengruppenDurchführung einer Expert/innentagung mit offenem Podium
3. Tag:Auswertung der Tagung in den Gruppen und Klärung/Reflexion des methodischen Vorgehens (Form «Expert/innentagung»/Methode «argumentative Urteilsbildung»), Bedarfsanalyse für die Weiterarbeit im Plenum und Bildung von übergreifenden Bedarfsgruppen (ev. mit Begleitung, je nach gewählter Thematik)
4. Tag:Weiterarbeit in den BedarfsgruppenBeginn der Entwicklung und Präsentation der individuellen didaktischen Konzeption in Form eines Beitrages für eine «Galerie» (ein folgender Kurstag an der aeB steht zusätzlich dazu zur Verfügung)

Material 5:

Arbeitsanleitung für das selbständige Erarbeiten der theoretischen Ansätze in Expertengruppen/Podiumsvorbereitung:

AArbeitsschritte in der Expertengruppe

●Klärung der Arbeitsorganisation/Planung

●Gegenseitige Überprüfung des Textverständnisses der «eigenen» Theorie

●Sammeln der Stärken derselben

●Erstellen eines «PR-Zwischenproduktes» (prägnante Werbung für die «eigene» Theorie)

●Sammeln von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu und mit den anderen theoretischen Ansätzen (Positionierung)

●Eruieren der Schwächen derselben

●Antizipieren der Argumente von Vertreter/innen anderer Theorien

●Vorbereitung auf die Podiumsdiskussion, Wahl der Podiumsteilnehmenden (bis Ende 1. Tag Blockseminar Meldung an Moderator!); Coaching der Podiumsteilnehmenden

BZeitlicher Rahmen

Kurstag 11.00–17.30 Uhr

●Arbeit in Expertengruppen, Begleitung nach Bedarf

Blockseminar 1. Tag ca. 11.00–17.30 Uhr

●Arbeit in den Expertengruppen, Begleitung durch zugeteilte Ausbildner/innen (Info folgt anfangs Blockseminar)

●Zwischenprodukt «Werbung eigene Theorie» bis 15.00 Uhr an noch zu definierendem Ort (Info folgt anfangs Blockseminar)

●Bekanntgabe der Wahl «Podiumsteilnehmer/in» bis Ende des Tages an Podiumsmoderator

Blockseminar 2. Tag ca. 8.30–12.00 Uhr

●Arbeit in den Expertengruppen mit Begleitung

●Am «Expertentuning» von 10.00–10.30 Uhr werden die gewählten Podiumsteilnehmenden durch den Moderator über Fragestellungen und Ablauf des offenen Podiums informiert (Ort wird noch bekanntgegeben).

●Das (offene) Podiumsgespräch findet von 14.00–16.00 Uhr statt.

CHilfestellung Textverständnis

Ein mögliches Vorgehen wäre beispielsweise:

1. Genaue Textlektüre

Es empfiehlt sich, zentrale und pro Text maximal acht unverständliche Begriffe zu unterstreichen und herauszuschreiben. Schlagt diese Ausdrücke im Duden oder in einem Fachwörterbuch nach.

Schreibt wichtige Schlüsselbegriffe an den Textrand; dies kann es Euch erleichtern, den Aufbau des Textes und seine Struktur herauszuarbeiten. Notiert eigene Titel an den Rand.

2. Strukturierung des Textes

Wie ist der Text gegliedert?

Welche Teile umfasst er?

Wie werden die einzelnen Teile miteinander verbunden?

Wie wird die Argumentation aufgebaut?

3. Gemeinsame Verständnisüberprüfung

●Was versteht der Autor unter «Didaktik»?

●Was versteht der Autor unter «Lernen» und «Lehren»?

●Welches sind die Bildungsziele? (Gibt es überhaupt welche?)

●Welchem Wissenschaftsbegriff fühlt sich der Autor verpflichtet?

●Wie wirkt sich der Wissenschaftsbegriff auf die Theoriebildung aus?

●Welche Variablen des Unterrichtsgeschehens berücksichtigt der Autor?

●Welche sind für ihn von besonderer Bedeutung? Weshalb?

●Welches sind die Prinzipien der Planung?

●Wie ist der Planungsvorgang?

●Seid ihr in der Lage, Prinzipien der Planung nach den entsprechenden Theorien an einem eigenen Beispiel zu zeigen?

●Welche kritischen Fragen stellt ihr an die Theorie?