Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage)

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Didaktische Planungs- und Reflexionsaspekte – Übersicht

Aspekt A: Voraussetzungen/Bedingungen

Aspekt B: Absichten und Lernziele

Aspekt C: Lerninhalt/Thematik/«Stoff»

Aspekt D: Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen

Aspekt E: Methoden

Aspekt F: Curriculare Planung

Aspekt G: Evaluation

Bevor wir die einzelnen Aspekte näher beleuchten, bitte ich Sie, für sich nachstehende Fragen zu beantworten oder zu diskutieren:

Reflexionsfragen «Begabung versus Lernen»

●In welchen didaktischen Aspekten fühlen Sie sich in Ihrer Ausbildungspraxis «planungs- und gestaltungssicher», wo streben Sie eine Kompetenzerweiterung an?

●Wie stehen Sie zur «Bluttheorie»?

Die Auseinandersetzung darüber, ob Unterricht Kunst oder Fertigkeit ist, gibt es so lange wie die Didaktik. Bei der «Kunstorientierung» (Stichworte «Choreographie des Unterrichtes», «Architektur des Lernens», …) darf darüber gestritten werden, ob Kunst lernbar sei oder ob man Begabungen sozusagen «im Blut» habe, wobei unbestritten zu sein scheint, dass es etwas wie natürliche didaktische Kompetenz gibt (vgl. Herzog/von Felten 2001, S. 22/23). Wenn Sie wollen, lesen Sie als Anregung dazu das didaktische Märchen «Der Schwimmlehrer» von Detlev Cramer. Sie finden es am Schluss dieses Buches.

●Wo verfügen Sie Ihrer Einschätzung nach über Begabungen, welche Begabungen sagt man Ihnen nach? Wie könnten Sie diese durch Planungsprofessionalisierung oder Reflexionsübung optimal einsetzen? Wo würde eine genaue Planung Ihre Begabungen eher einschränken?

3.Aspekt A: «Heute back ich, morgen brau ich …»

3.1Bedarfsanalyse

Die Bedarfsanalyse gehört im eigentlichen und engeren Sinne nicht zur Unterrichtsplanung, sie ist vielmehr Teil eines umfassenden Bildungsmanagements (vgl. Fröhlich/Thierstein 2001). Trotzdem gehe ich hier kurz darauf ein, weil meiner Ansicht nach die Arbeit an der Schnittfläche von (Teilnehmenden-) Erwartung und Angebot starken Einfluss bis in den «Mikrobereich» des Unterrichtsgeschehens hinein hat.

Als «Bedarf» verstehe ich die Erwartungen der Arbeitgeber oder des beruflichen und gesellschaftlichen Kontextes von Kursteilnehmenden («objektive» Seite), unter «Bedürfnis» die individuellen Erwartungen der Kursteilnehmer/innen selber («subjektive» Seite).

Aus Sicht eines Unternehmens werden interne Bildungsangebote konzipiert oder externe «eingekauft», dies häufig im Zuge von Organisations- und Personalentwicklung. Die Herleitung solcher Bildungsangebote geschieht oft mittels Anforderungsprofilen, die auf übergeordneten Strategien basieren, oder auf Grund von Schwachstellenanalysen (vgl. Götz/Häfner 1992, S. 47 ff.). Marktorientierte Bildungsorganisationen müssen ihre Curricula und Angebote jeweils aktuellen Erfordernissen anpassen, indem sie beispielsweise Marktanalysen erstellen, um dadurch ihr zukünftiges Zielpublikum zu definieren und dessen Erwartungen zu eruieren (vgl. Gerhard 1992 und Hansen 2010).

In berufsbildenden und zertifizierenden (Hoch-)Schulen «kaufen» Kunden in der Regel bestehende Bildungspakete, die den definierten Bedarf decken, ohne dass dazu auf den ersten Blick eine spezielle Bedarfsabklärung notwendig erscheint.

Trotzdem – und nun gelange ich wieder in die Nähe des Unterrichtsgeschehens – ist im Vorfeld von Bildungsveranstaltungen die Bedarfserhebung im Sinne der «Feinabstimmung» manchmal unerlässlich.

Ein solcher Kontakt kann Wochen vor der eigentlichen Veranstaltung geschehen und damit die vorbereitende Planung erleichtern, gleichzeitig die Teilnehmenden begrüssen sowie ins Thema einstimmen oder aber im Vorfeld einer Ausbildungssequenz Vorkenntnisse, Interessen, Wünsche und Erwartungen klären.

Obschon Kursausschreibungen deutlich formuliert sind und damit «Vertragsstatus» haben, neige ich dazu, bei Präsenz aller Beteiligten zu Beginn eines Kurses eine «Feinkontraktierung» vorzunehmen, um «Blindflüge», soweit dies möglich ist, zu vermeiden (vgl. auch Döring 2008, S. 52 ff.).

Dies geschieht beispielsweise dadurch, indem ich die Teilnehmenden auffordere, bei einer Vorstellungsrunde gleichzeitig kurz und prägnant eine (brennende) Frage oder ein Problem zu formulieren, die am Schluss der Veranstaltung beantwortet und behandelt sein sollen. Diese Fragen oder Probleme begleiten – vor allem wenn sie transparent auf einem Plakat oder auf Pinnwänden sichtbar bleiben – als inhaltliche Leitfragen durch die Veranstaltung.

3.2Einführung in die Bedingungsanalyse

Mit Hilfe der Bedingungsanalyse lassen sich vor der eigentlichen Verlaufsplanung von Bildungsveranstaltungen Einflussfaktoren an den Eckpunkten «Inhalte», «Teilnehmer/innen» (TN) und «Kursleitung» (KL) im Kontext von Institution und Gesellschaft einschätzen.

ECKPUNKTE UND KONTEXT


Die Bedingungsanalyse wird leider sowohl in Planungsinstrumenten als auch in der alltäglichen Planungs- und Reflexionsarbeit eher als Stiefkind behandelt. Dabei wird meines Erachtens unterschätzt, dass die Bedingungsfaktoren – z. B. der sog. Kontexteinfluss – eine starke Wirkung auf das Geschehen in Lehr-/Lernsituationen ausüben.

Für freiberufliche Kursleitende, die kurze Kurse mit wechselnden Gruppen an verschiedenen Orten anbieten, ist die Analyse von Voraussetzungen unabdingbar; jedoch auch kontinuierliche Bildungsarbeit in Organisationen bedarf gelegentlich – im Speziellen in Einstiegs- oder Konfliktsituationen – einer genauen Bedingungsanalyse.

Natürlich lassen sich trotz einer Bedingungsanalyse nicht alle Zu- und Einfälle im Voraus planen. Wir können uns dennoch damit in Ausbildungssituationen «einstimmen» und uns eines Teils der strukturellen sowie der psycho-sozialen Ebene (siehe Eisbergmodell Kap. III, 1.4) bewusst werden.

3.3Fragen zur Analyse der Bedingungen und Voraussetzungen

Die Klärung der folgenden Fragen bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Planung oder Reflexion einer Bildungsveranstaltung. Je nach Veranstaltung sind einzelne Fragen mehr, andere weniger zu gewichten.

Institutionelle Bedingungen


Rahmen:In welchem grösseren Rahmen steht die Veranstaltung? (Curriculum, Ausbildungsgang, ideeller Hintergrund/Kultur/Struktur der Institution, Zusammenarbeit mit Kolleginnen/Kollegen)
Infrastruktur:Wie ist der Lernort erreichbar?Wie ist er beschaffen? (z. B. Ausstattung, technische Hilfsmittel, Sitzordnung, Arbeitsmittel)Wie ist der zeitliche Rahmen?Welche finanziellen Mittel habe ich zur Verfügung?

Ausbildner/in


Standort:Wie lautet mein Auftrag?Welches ist meine institutionelle Funktion/Rolle?Wofür bin ich qualifiziert?Welche Grundsätze des Lernens sind mir wichtig?Wie ist mein Bezug zum Thema?
Zielsetzung:Welche generellen Ziele verfolge ich explizit und implizit?Gibt es dabei Unterschiede zu den Zielen der Institution?

Teilnehmer/innen (Zielgruppe)


Erwartungen:Welche Erwartungen haben die Teilnehmenden (an Ausbildner/in, Inhalte, Methodik, Transfer, …)?Welche Ziele haben sie sich gesetzt?
Qualifikation:Über welche beruflichen Qualifikationen verfügen die Teilnehmenden?Welches Vorwissen ist vorhanden?Über welche Problemlösestrategien, über wie viel methodisches Know-how verfügen sie?Welche Interessen kann ich ausmachen?
Status/Rollen:Welche Rollensets weisen die Teilnehmenden innerhalb ihrer Organisation auf? (z. B. Kaderpositionen, Untergebene)Welche «sozialen Schichten», Altersgruppen oder «Berufskulturen» sind vertreten?
Lerngruppe:Was weiss ich über die Dynamik der Lerngruppe und ihre «Geschichte»? Kenne ich die Gruppe oder einzelne Teilnehmende?Wie sind meine allfälligen Erfahrungen/Beziehungen?Kennen sich die Teilnehmenden oder einzelne davon?Welche Einstellungen oder Vorurteile könnte ich antreffen?Wie ist das Verhältnis Frauen-Männer?Mit welchen Störungen/Schwierigkeiten muss ich rechnen?

3.4Teilnehmenden-Kontext und Teilnahmemotivation

Wenn Sie im Bereich der Erwachsenenbildung arbeiten und Kurse ausschreiben, ohne die Teilnehmenden zu kennen, müssen Sie sich mit allfälligen Einstellungen und Kontextbedingungen ihrer zukünftigen Kursteilnehmer/innen beschäftigen.

Folgende Zusammenstellung (aus Meisel et al. 1997, S. 23 nach Brokmann-Nooren 1994, S. 284) bietet eine hilfreiche Übersicht der Faktoren und Zusammenhänge, die Weiterbildungs- und Teilnahmemotive von Bildungsveranstaltungen prägen.

ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN SOZIALER LAGE, EINSTELLUNGEN, GESELLSCHAFTLICHEN BEDINGUNGEN UND TEILNEHMERMOTIVATION


aus Meisel et al. 1997, S. 23 nach Brokmann-Nooren 1994

Deutlich wird in der Grafik einerseits, wie gesellschaftliche Bedingungen gleichzeitig Kundenmotivation und Anbieterstruktur prägen, andrerseits, wie stark eine Teilnahmemotivation davon abhängt, wie die gegenseitige Kontaktnahme gelingt und wie die «Erwartungsverhandlung» zwischen lernwilligen Individuen und «kompatiblen» Anbietern geschieht.

 

Wegen der wachsenden Konkurrenzsituation zwischen Anbietern überprüfen qualitätsbewusste und motivierte Interessenten die Kundenorientierung und -pflege zusehends genau.

Dennoch bedeutet dies für Weiterbildungsanbieter keine «Prostitutionsaufforderung»: Profil und Prägnanz äussern sich ebenso auf institutioneller Ebene im Signalisieren von Grenzen und Konturen; der Dialog mit Kunden soll Spannung und Auseinandersetzung nicht ausschliessen. Auch das zählt für mich zur Kundenorientierung.

3.5Fallbeispiel Bedingungsanalyse

Übung

Folgende Denkübung soll Sie mit den obigen Analysekriterien vertraut machen.

Sie ist als Gruppenarbeit gedacht, selbstverständlich können Sie das – im Übrigen authentische Beispiel – auch alleine analysieren.

Anleitung

a)Gruppieren Sie sich in freier Wahl zu dritt, maximal zu viert.

Lesen Sie folgendes Fallbeispiel und diskutieren Sie entlang der beiden Fragestellungen (siehe weiter unten).

Notieren Sie Ihre wichtigsten Gedanken und Erkenntnisse zu Fragestellung 2. Als Hilfsmittel und Leitplanken können Sie obige «Fragen zur Analyse der Bedingungen und Voraussetzungen» benutzen.

b)Gruppieren Sie sich neu (wieder zu dritt, maximal zu viert), tauschen Sie Ihre zentralen Gedanken aus der vorherigen Gruppe zur Fragestellung 2 aus und diskutieren Sie darüber.

Fallbeispiel

S., 26 Jahre alt, unterrichtet seit einem Jahr in einem Teilpensum (50%) Buchhaltung und deutsche Korrespondenz an einer privaten Handelsschule, die in einer zweijährigen Vollzeitausbildung (35 Lektionen/Woche) zu einem Handelsdiplom führt.

S. selbst hat eine kaufmännische Lehre absolviert, anschliessend die Höhere Wirtschaftsfachschule besucht und während einiger Jahre Praxiserfahrungen gesammelt.

An besagter Handelsschule unterrichten neben S. als einziger Frau fünf weitere Lehrer als Festangestellte: drei «alte Hasen» (10–15 Dienstjahre) in einem Vollpensum und zwei Kollegen (zwei und fünf Dienstjahre) in Teilpensen zwischen 70 und 80 Arbeitsprozenten. Zusätzlich arbeiten an der Schule etwa 30 Lehrbeauftragte (männlich und weiblich) in Kleinstpensen

Die Schule ist in einer alten Stadtvilla eingemietet; die Schulzimmer sind etwa 50 m2 gross.

Die Schüler/innen (durchschnittlich 25 pro Klasse) sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Für die einen handelt es sich um die Erst-, für die anderen um eine Zweitausbildung. In der einen Klasse von S. (siehe weiter unten) haben drei Schülerinnen bereits eigene Kinder.

S. unterrichtet ihre beiden Fächer in zwei Klassen: je zwei Lektionen Buchhaltung sowie vier Lektionen deutsche Korrespondenz. Beide Klassen kennt sie seit einem Jahr, mit der einen hat sie bisweilen disziplinarische Probleme.

S. hat sich im Verlaufe des letzten Jahres auf eigene Kosten während der Freizeit in diversen Weiterbildungskursen didaktische Kompetenzen erworben.

Von den übrigen Lehrern und Lehrbeauftragten hat sich bisher niemand im Bereiche Didaktik/Methodik weitergebildet.

Für das Anforderungsprofil der Lehrer/innen besitzt die fachliche Kompetenz für die Schulleitung höchste Priorität.

Angeregt durch die Weiterbildungskurse nimmt S. sich vor, methodisch abwechslungsreicher zu unterrichten und den «Ball» vermehrt ihren Schüler/innen (im Sinne von aktiven Lerner/innen) zuzuspielen, statt fortwährend frontal zu unterrichten.

Erstmals arbeitet S. nun während einer Deutschsequenz (drei Lektionen) in ihrer einen (schwierigen) Klasse mit einer «Lernwerkstatt», in der Schülergruppen nach spezieller schriftlicher Anleitung an diversen Posten unterschiedliche Aufgaben lösen.

Der Unterricht gerät aus den Fugen: Die einen Schüler/innen tauschen sich mehrheitlich über Privates aus, andere verlassen zwischenzeitlich das Schulzimmer, wieder andere wirken gelangweilt.

Niedergeschlagen berichtet S. nach der verheerenden Unterrichtssequenz ihren Kollegen im Lehrerzimmer von ihrem Misserfolg.

Diese entgegnen S., sie hätten ihr dieses Debakel voraussagen können, denn …

Fragestellungen zum Fallbeispiel Bedingungsanalyse

1.Welche Bedingungen könnten Ihrer Meinung nach für den Misserfolg von S. mitverantwortlich sein?

2.Wie würden Sie sich als S. unter Einbezug einer genaueren Bedingungsanalyse weiter verhalten?

3.6Bedingungsanalyse einer eigenen (geplanten oder abgehaltenen) Bildungsveranstaltung

Übung

Folgende Anleitung soll Sie dazu anregen, eine bevorstehende oder schon abgehaltene Bildungsveranstaltung auf Voraussetzungen und Bedingungen hin zu untersuchen. Gleichzeitig sind Sie dadurch angehalten, generell die institutionellen Bedingungen Ihrer eigenen Organisation zu überprüfen.

Die Übung ist wiederum als Gruppenarbeit mit Austausch konzipiert, die Analyse lässt sich auch als Einzelperson machen.

Anleitung

a)Gruppieren Sie sich in freier Wahl zu dritt oder zu viert. Arbeiten Sie nach Möglichkeit mit Kolleginnen oder Kollegen zusammen, welche Sie noch nicht gut kennen.

b)Notieren Sie in Einzelarbeit entlang des Fragenkataloges «Fragen zur Analyse der Bedingungen und Voraussetzungen» (in diesem Kapitel, 3.3) Ihre Gedanken zu den Einflussfaktoren, die in Ihren «mitgebrachten» Bildungsveranstaltungen wirksam sind.

c)Tauschen Sie Ihre Notizen aus, stellen Sie kritische Fragen.

d)Erstellen Sie als Zwischenprodukt individuell ein Plakat mit den zentralen Angaben über die institutionellen Bedingungen Ihrer Bildungsveranstaltungen (inklusive Bezeichnung der Institution und Ihrem Namen). Hängen Sie das Plakat an einer Wand oder Pinnwand in Ihrem Kursraum auf. Diese Galerie kann Sie nochmals mit den Praxisfeldern Ihrer Kolleginnen und Kollegen bekannt machen.

4.Aspekt B: über Wikinger, Eisberge und zu entdeckende Kontinente

«Sie [die Utopie] ist unerlässlich, der Magnet, der uns zwar nicht von diesem Boden hebt, aber unserem Wesen eine Richtung gibt in schätzungsweise 25 000 Alltagen.»

Max Frisch 1983, S. 336

Die Lernzieltheorie (vgl. Mager 1972 und 1983, Bloom et al. 1972) hat die traditionelle Didaktik ein gutes Stück weg von der Dominanz der Inhalte hin zu den Lernenden gebracht. Zielformulierungen zwingen die Kursleitenden zwar zu einer differenzierten Beobachtung des Lernprozesses, verfügen aber auch – gerade unter dem Primat der Operationalisierbarkeit – über einen starken technologischen Zug, der bewirken kann, dass nur noch gelehrt wird, was sachlich einwandfrei in Lernziele verpackbar ist.

Lernziele umfassen nie alle Aspekte einer Bildungsveranstaltung, schon gar nicht eines Bildungsprozesses. Nebenwirkungen von individuellen Lernprozessen sollen und können durch keine noch so genaue Lernzielbestimmung umfassend eingefangen werden.

Lernziele können auch dazu verleiten, zu schnell auf das Verhaltensziel («Endverhalten» nennen es Lernzieltheoretiker) loszugehen; damit werden unter Umständen fruchtbare Neben- und Umwege des Lernprozesses umgangen.

Mindestens so zentral wie die Lernzielformulierung in der Planung einer Bildungsveranstaltung ist die Rekonstruktion, das Zurückverfolgen des «roten Fadens», der nicht immer gezielt gelegt wird. Eine solche Nachbearbeitung braucht es für die eigene Positionsbestimmung und gegebenenfalls notwendige Zielrichtungskorrekturen.

Dennoch erachte ich es als notwendig, in einem sämtliche Beteiligten einbeziehenden Prozess minimale Standards (vgl. Kap. I, 2.4) zu formulieren; diese verdeutlichen im Sinne einer Ergebnisorientierung die Messlatte des zu Erreichenden unmissverständlich, ohne dabei gleich technologischen Wirkungsfantasien anheimzufallen.

Vereinbarte transparente Standards sollen dabei auch als übergeordnete Kriterien für Übung, Reflexion und Überprüfung gelten.

Nicht zu unterschätzen ist zudem, dass transparente Standards auf das Entstehen einer gemeinsamen (Fach-)Sprache wirken.

Folgendes Beispiel zum Kompetenzprofil eines Moduls – mit Basis von Standards und Ableitungen von Zielen – repräsentiert in erster Linie die Auseinandersetzung der Verantwortlichen darüber, wie sich die Ausrichtung des Lehrganges resp. eines Moduls gestaltet. Gleichzeitig ist es ein Zeichen dafür, wie Kompetenzorientierung verstanden wird.

Die Kunst besteht darin, dass ein solches Profil im Laufe des Lehrganges als «Landkarte» lebendig wird, die Teilnehmenden partizipativ beteiligt werden und das Konzept bei Bedarf angepasst wird.

Beispiel Kompetenzprofil Einzelmodul MAS Supervision und Organisationsberatung (Konzeptausschnitt aeB/PHSG aus dem Jahre 2005)

Das folgende Beispiel zeigt die konzeptionelle Konkretisierung von Standards zu Kompetenzen zu Zielen auf.

1. (Professions-)Standards (ganzer Lehrgang)

Nachstehende Standards repräsentieren Messlatten der Professionalität für den ganzen Lehrgang, Ziel ist eine stete Annäherung und Auseinandersetzung damit. Es geht nicht um Erreichung. Gleichzeitig repräsentieren die Standards das Profil des Lehrganges.

A.Die Studierenden können ihr persönliches Beratungskonzept beschreiben. Das Konzept enthält Aussagen auf den Ebenen Metatheorie, Basistheorien, Beratungsprinzipien und Praxeologie.

B.Die Studierenden sind in der Lage, ihre Rollen situationsgerecht zu analysieren und flexibel und transparent mitzugestalten. Sie nehmen Rollenkonflikte wahr, nutzen Gestaltungsfreiräume und können gegebenenfalls Ambivalenzen aushalten (Rollenambiguität).

C.Die Studierenden können Beratungen und Beratungsinterventionen bei Einzelnen, Teams und in Organisationen (vom Contracting bis zum Abschluss) situationsgerecht gestalten und begründen.

D.Die Studierenden sind in der Lage, theoriegestützte Hypothesen zu personenbezogenen, interpersonellen und systembezogenen Phänomenen in der Beratung zu bilden und diese verständlich zu kommunizieren.

E.Die Studierenden können mit geeigneten Verfahren (Evaluation) Wirkungen von Beratung erfassen und sowohl für sich selber wie auch für ihre Klientensysteme Folgerungen daraus ziehen.

2. Kompetenzprofil (ganzer Lehrgang)

Im Folgenden findet sich ein dichtes und doch umfassendes Kompetenzprofil für den Lehrgang Supervision und Organisationsberatung (sechs Module). Selbstverständlich werden je nach Tätigkeitsgebiet unterschiedliche Schwerpunkte gelegt. Unter Kompetenz verstehen wir die Möglichkeit eines Individuums, in Abhängigkeit von seinen Lebensbedingungen seine kognitiven, sozialen und verhaltensmässigen Fähigkeiten so zu organisieren und einzusetzen, dass es seine Wünsche, Ziele und Interessen verwirklichen kann.

In diesem Sinne bedeutet Kompetenz nicht lediglich bestimmtes Wissen oder Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein Mensch hat oder eben nicht hat. Weitere Aspekte wie Ziele, Bedürfnisse, Werte und Einstellungen beeinflussen die Art und Weise, wie ein Mensch seine persönlichen Ressourcen einsetzt, um Probleme zu lösen und mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen.

Die Module der Beratungsausbildung erweitern die Ressourcen der Teilnehmenden und fördern die Bereitschaft, diese Ressourcen den unterschiedlichen Beratungssituationen entsprechend einzusetzen.

Kenntnisse

●der Verhaltens- und Sozialwissenschaften, bezogen auf Personen, Gruppen und Organisationen;

●von Ansätzen und Theorien der Führung und Leitung von Organisationen und Teams

●über die Gestaltung von Problemlösungs-, Entscheidungs-, Lern- und Informationsprozessen;

●über die Dynamik von Veränderungsprozessen;

●von verschiedenen Beratungsansätzen und entsprechenden Vorgehensmodellen;

●ausgeprägte Feldkompetenz (berufsspezifisches Fach- und Kontextwissen).

Fähigkeiten

●Kommunikationsfähigkeiten: Zuhören, Beobachten, Identifizieren und Berichten;

●Probleme analytisch, kreativ, strukturiert, kontextuell und kritisch angehen und lösen;

●auf Vertrauen basierende Beziehungen herstellen und mit einer Vielzahl von Personen unterschiedlicher Herkunft und Persönlichkeit zusammenarbeiten. Sensibilität für die Gefühle anderer entwickeln;

●beraterische Fähigkeiten: Klientinnen und Klienten dazu verhelfen, sich selbst zu aktivieren und aus eigener Kraft Problemlösungen und Konfliktregelungen anzuwenden;

 

●bei der Planung von Veränderungen mit Gruppen und Teams arbeiten und über gruppendynamische Verfahren verfügen;

●vielfältige Interventionsmethoden im Hinblick auf Analyse, Diagnose, Durchführung und Kontrolle nutzen und entscheiden, welche Intervention zu welchem Zeitpunkt am geeignetsten ist;

●den Rahmen für Lernprozesse von Einzelnen, Gruppen oder Organisationen gestalten;

●Lehr- und Überzeugungsfähigkeiten: neue Gedanken und Einsichten effektiv vermitteln und Lernerfahrungen planen, die zur Entwicklung und Veränderung beitragen;

●Wissen über Individuen, Organisationen und Gruppen gezielt in der Beratung einsetzen;

●wertbezogene Selbstreflexionsprozesse in Gang setzen und begleiten;

●sich selbst – als Person und Rolle – und das Beratungssystem zum Medium des Lernens machen.

Einstellungen

●Kompetenz, Integrität, Verantwortungsbewusstsein und Verantwortungsgefühl dafür, dass Klienten mit ihren Fragen und Problemen Gehör erhalten und Antworten oder Lösungen finden;

●Selbstvertrauen; Mut, zur eigenen Meinung zu stehen; Bereitschaft, nötige Risiken einzugehen; mit Ablehnung, Feindseligkeit und Misstrauen fertigwerden;

●Aufgeschlossenheit und Ehrlichkeit;

●Fähigkeit zur realistischen Selbsteinschätzung und zum kompetenten Umgang mit dem Selbst-Wert;

●Fähigkeit zum Selbstmanagement;

●Bereitschaft zur bewussten Entwicklung eines individuellen Werthorizonts und Menschenbildes;

●Bereitschaft und Fähigkeit zur reflexiven Auseinandersetzung mit sich selber.

3. Modulziele und Inhalte

Modul I Grundlagen der Beratung (ein Beispiel)


Lernzeit und ECTS9 Tage und 9 Stunden Lerngruppenarbeit (ECTS: 4)
Sequenzierung3 x 3 Tage + 3 x 3 Std. Lerngruppe
LerngruppenFragen des Praxisfeldes und inhaltliche Vertiefung
Vorausgesetzte ModuleKeine
ZieleDie Studierenden sind in der Lage,●ihre subjektiven Beratungskonzepte zu benennen, darin Lücken und Widersprüche zu erkennen sowie entsprechende Fragen zu formulieren, um dadurch neue Inhalte in ihre individuellen Beratungskonzepte zu integrieren;●Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Einzel-, Team- bzw. Gruppen- und Organisationsberatung zu benennen;●sowohl die Rolle der Beratungsperson wie auch diejenige von Klientinnen und Klienten zu analysieren und definieren;●eine Beratung als phasenhaften Prozess zu verstehen und ihr Wissen über grundlegende Phänomene der Beratung zu aktualisieren;●Kriterien für die Qualität ihrer Beratungen sowie ein grundlegendes oder einfaches Vorgehen zur Qualitätsentwicklung zu entwickeln;●einige Instrumente zur Datensammlung professionell anzuwenden, Hypothesen und Fragestellungen in der Beratung zu formulieren sowie Bedeutung des Diagnoseprozesses zu erkennen;●den Beratungsprozess mit begründeten Interventionen zielgerichtet zu steuern.
Inhalte●subjektive Beratungskonzepte der Studierenden●Beratungsbegriff und seine verschiedenen Aspekte●Beratungsbeziehung●verschiedene Beratungsformen (Einzel, Gruppen, Team, Organisation)●grundlegende Themen der Beratung (Rollen, Veränderungen, Phasen im Beratungsprozess)●Qualität und Qualitätsentwicklung von Beratung●Instrumente zur Datensammlung●diagnostischer Prozess●Intervention, Interventionsformen (Schwerpunkt Einzelberatung, am Rande auch Teamberatung)
AbschlussqualifikationSchriftlicher Lernbericht anhand obgenannter Ziele und der zu Beginn des Moduls formulierten persönlichen Lernziele sowie entsprechender Kriterien, Besprechung mit der Kursleitung in Standortgesprächen.

(Mehr zu Gestaltung von Lehr- und Studiengängen finden Sie in diesem Kapitel unter 8.)

Ziele fördern die Planung, wenn sie öffentlich gemacht werden und der allgemeinen Transparenz dienen. Dabei muss vermieden werden, dass ich nicht durch Zielsetzungen mich selbst zum Objekt meiner Planung und meine Teilnehmenden zum Objekt des Vorausgedachten mache. Meine Intentionen, Absichten oder Ziele als Leiter lassen sich durch Planung mit Ansprüchen und Motiven von Lernenden vergleichen, was wiederum zu einer Modifikation von Zielsetzungen führen kann.

Ein derartiger kooperativer Planungsprozess schafft in der Regel gegenseitiges Vertrauen und eine gemeinsame Sprache. Die erwachsenenbildnerisch relevante «Teilnehmer/innenorientierung» baut sich so vom Prinzip der «(Lernziel-)Transparenz» über das Prinzip der «Lernzielpartizipation» bis hin zum Prinzip des «selbstbestimmten Lernens» auf. Selbstverständlich müssen Zielsetzungen einer Erfolgskontrolle standhalten können, indem sie einerseits konkretisierbar sind und andererseits modifizierbar bleiben.

Ich stehe somit also weder für operationalisierte Lernziele mit Verhaltensüberprüfung noch für Lernzieltaxonomien ein noch präsentiere ich eine lernzieldidaktische Konzeption «salamididaktisch» reduziert. Dazu finden sich Hinweise auf geeignete Literatur bei der Methode «Expertentagung Didaktische Theorien» (in diesem Kapitel, 7.2). Stattdessen lade ich Sie dazu ein, Ihre eigene Art von Zielorientierung unter die Lupe zu nehmen und dafür die nachfolgende Symbolik der «Schiffsmodelle» (aus Hagmann/Simmen 1990) zu benutzen (vgl. dazu auch die Methodik der Schiffsmetaphern in Kap. VII):

DREI SCHIFFSMODELLE


1. Die «Wikinger-Methode»Man suche sich einen guten Führer und bete zu den Göttern, damit alles gut gehe.(Wie uns die Geschichte lehrt, ist dies nicht ganz unproblematisch.)
2. Die «Titanic-Methode»Alles wird bis aufs kleinste Detail vorausgeplant, damit später nichts schiefgeht.(In Wirklichkeit ersetzt die Planung manchmal den Zufall durch den Irrtum.)
3. Die «Kolumbus-Methode»a.Ein globales Ziel haben, damit man die Richtung bestimmen kann.b.Ungefähr wissen, mit welchen Problemen man zu kämpfen haben wird, damit man sich vorbereiten kann:–Strömungen und Winde–menschliche Qualitäten–vorhandene Mittelc.Die Instrumente besitzen, um täglich die Position zu bestimmen:–Was war bis jetzt?–Wo sind wir im Moment?–Wie gehen wir weiter?

aus Hagmann/Simmen 1990

Reflexionsfragen «Zielerreichungsmethoden» (Schiffsmodelle)

●Können Sie sich tendenziell einem Modell zuordnen?

●Wie sieht oder sah bei Ihnen ein allfälliger «Schiffsmix» aus?

●Finden Sie für sich einen speziellen Schiffsnamen (z. B. «Bounty», …)?

●Können Sie tendenzielle Änderungen im Verlaufe der Anhäufung von Praxiserfahrungen in der «Schiffssprache» benennen? (z. B.: «Abnahme der Abhängigkeit von Leuchttürmen», …)

●Mit welchen Modellen erlitten Sie schon Schiffbruch?

●Wie steht es um das Verhältnis von vorgegebenen Zielen und Ihrem Zielerreichungsverhalten?

●Haben Sie ein Ziel für Ihre Methode der Zielerreichung?

5.Aspekt C: Stoff – authentisch gewoben oder verständlich serviert?

«Jeder Unterricht ist eine Bereicherung, zugleich aber auch eine Einschränkung dessen, was möglich gewesen wäre.»

Klaus Mollenhauer, Quelle unbekannt

Stoffe sind curricular und lehrmittelorientiert meist schon (vor-)«gewoben», d. h., Gestaltung, Auswahl und Reduktion sind erfolgt.

Wo immer es (zeitlich) möglich und sinnvoll erscheint, sollen Ausbildende einen Teil dieser «Webarbeit» durch die Inhaltsanalyse zumindest nachvollziehen.

Dies ist nötig, damit eine eigene inhaltliche Affinität, ein persönlicher Bezug zu einem bestimmten Thema entsteht.

Folgende Fragen (leicht verändert nach Klafki, in: Peterssen 1998, S. 48 ff.) bieten Hilfestellung beim «Eintauchen» in Themen und deren Wirkungseinschätzung:

Fragen zur Inhaltsanalyse (nach Klafki)

●Wie begründe ich die Wahl eines Inhaltes/Themas (curricular, Ausschreibung, Bedarfsanalyse bei Teilnehmer/innen, eigenes Interesse, …)? Weshalb behandle ich kein anderes Thema?

●Welchen grösseren Sinn- und Sachzusammenhang vertritt oder erschliesst ein Inhalt? Welches Grundprinzip, welches Gesetz, welches Problem, welche Technik oder Haltung lässt sich in der Auseinandersetzung mit ihm exemplarisch erfassen? Wo liegt der Kern des Inhaltes?

●Welche Bedeutung hat dieser Inhalt bereits jetzt bei den Lernenden (Praxisrelevanz) und bei mir? Worin könnte die Bedeutung des Inhaltes für die Zukunft der Lernenden liegen?

●Wie ist die Inhaltsstruktur?

1.Welche Elemente sind dem betreffenden Inhalt zuzuordnen?

2.Wie hängen diese zusammen?

3.Wo grenzt dieser Stoff an andere Stoffe, wie grenze ich diese (z. B. fachbezogen) ab; wo muss ich mich mit anderen (Fach-)Lehrenden absprechen?

4.Was muss im Unterricht inhaltlich vorausgegangen sein und ist vorauszusetzen?

5.Welche Elemente des Inhalts erschweren den Zugang oder können Widerstände und Abneigung auslösen?

●Welches sind die besonderen Phänomene, Situationen, Ereignisse, Geschichten, durch die der Inhalt anschaulich wird?