Der Politiker

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Säbelrasseln /1939

Am siebten Januar 1939 reist Willi mit dem Zug nach Lübeck. Inzwischen hat er sich damit abgefunden, dass er nicht als Pilot eingezogen wird. Wenn er seine Wehrpflicht abgeschlossen hat, kann er immer noch versuchen, als Pilot zu arbeiten, schliesslich hat er den Pilotenschein in der Tasche.

In Lübeck wird er, mit zwanzig anderen Männern, welche dorthin beordert wurden, von einem Lastwagen abgeholt. Es ist schon dunkel, als sie die Kaserne in Putlos erreichen. Die meisten Männer auf dem Lastwagen, sind neu zum Wehrdienst verpflichtet und tragen noch Zivil.

Am ersten Tag werden noch die Zimmer verteilt und nach einem Nachtessen wird geschlafen. Die Ausbildung beginnt am nächsten Morgen mit dem Fassen der neuen Uniform. Mit einem zwiespältigen Gefühl kleidet er sich neu als Panzersoldat ein. Danach beginnt der übliche Drill.

Jetzt kommt ihm zugut, dass er schon eine Ausbildung hat. Der Offizier welcher die Ausbildung überwacht, ist zufrieden mit Willi und er bekommt öfter Sonderaufträge. So wird er in einen Funkerkurs geschickt, was er sicher später als Pilot brauchen kann. Seine Motivation für die Panzertruppen steigt von Tag zu Tag.

Es dauert noch gut einen Monat, bis sie den ersten Panzer zu Gesicht bekommen. Die sind immer noch Mangelware. Die Rüstungsindustrie ist noch nicht so weit. Das erste Gefährt wird vom Offizier persönlich vor die Kaserne gefahren. Es hat die Bezeichnung PZKpfw l und macht einen Höllenlärm. Die Länge von 4 Meter und einer Breite von 2 Meter ist nicht sehr beeindruckend. Dass das relativ kleine Fahrzeug, über fünf Tonnen wiegt, beeindruckt schon mehr, zumindest die Panzerung dürfte sehr stark sein.

In den folgenden Wochen versuchen sie, das Gerät in den Griff zu bekommen, was nicht sehr gut gelingt. Jeder Soldat merkt, dass dieses Gefährt nicht kriegstauglich ist, doch man darf es nicht laut sagen. Zum Glück steht kein Krieg in Aussicht, wenn Deutschland nicht besser ausgerüstet ist, muss man einen Krieg unbedingt verhindern.

Im Juni wird die Einheit in die Slowakei verlegt. Inzwischen besitzt die Kompanie zwölf Panzer. Die letzten angelieferten Panzer haben wenigstens einen stärkeren Motor eingebaut, nun kommen sie mit dem Gefährt schon besser zurecht. Wenn die Kompanie durch die Stadt Rabca fährt, macht das laute Ungetüm auf die Bevölkerung starken Eindruck. Die Mehrheit der Bevölkerung begrüsst die Anwesenheit der deutschen Truppen, sie fühlen sich durch die Polen bedroht, welche dem Anschluss der Slowakei an Deutschland nicht gut gesinnt sind.

Für die deutsche Regierung ist es wichtig, dass deutsche Truppen in der Slowakei geduldet wurden. Es beweist, dass sich die Bevölkerung der Slowakei, als Deutsche fühlen. Für die Kameraden von Willi bedeutet das, dass sie eine schöne Zeit in Rabca haben. Da Benzin und vor allem die Munition knapp sind, heisst das, dass sie sich möglichst wenig verschieben dürfen.

In den Kneipen in Rabca sind die Deutschen gern gesehene Gäste. Das einzige Problem besteht darin, dass der Sold relativ knapp ist, er reicht nicht aus, dass sie jeden Abend in die Kneipe können. Willi löst das Problem so, dass er sich eine einheimische Freundin zulegte. Sie heisst Hilde und ihre Familie bewirtschaftet einen Bauernhof. Statt sich in der Kneipe zu betrinken, hilft er lieber auf dem Bauernhof und wird dafür mit zusätzlichem Essen bezahlt.

Anfang August trifft ein grosser Transport mit Munition und Dieseltreibstoff ein. Am Tagesablauf änderte sich nichts, das Material wird eingelagert. Nach einer Woche gibt es einen Spezialauftrag. Ein Panzer soll die SS bei einem Auftrag unterstützen. Die SS hat in der Slowakei mit dem verhaften von Juden begonnen. Diese Operation soll durch Panzer abgesichert werden. Man rechnet nicht mit Widerstand, aber es ist sicherer, wenn man auf alles gefasst wird.

«Scharführer Wolf, sie übernehmen den Funk», befiehlt der Kommandant, der Fahrer sitzt schon im ausgesuchten Panzer, «das MG ist geladen, wenn die SS einen Schiessbefehl durchgibt, wird geschossen!»

Über Funk teilt die SS mit, wo der Treffpunkt liegt. Auf der Ausfahrstrasse Richtung Prag, wartet der LKW mit zehn SS-Soldaten. Der Kommandant der SS schaut kurz ins Fahrzeug.

«Ziel ist dieser Bauernhof», mit einem Bleistift markiert er die Stelle auf der Karte, «sie fahren bis zu diesem Punkt und sichern von dieser Anhöhe das Gelände. Meine Truppe durchsucht das Gebäude.»

Willi beschleicht ein komisches Gefühl, wenn es hart auf hart geht, muss er vielleicht schliessen. Noch nie musste er auf Menschen schiessen. Er hofft, dass es ohne Schiessbefehl ausgeht.

«Wir vermuten», instruiert der Kommandant, «dass sich Juden in der Scheune verstecken. Die Scheisskerle werden uns kennen lernen.»

Der Fahrer erreicht den eingezeichneten Punkt. Die Stelle ist gut gewählt, sie haben gute Sicht auf das freie Gelände und den Bauernhof. Die SS-Soldaten sitzen ab und gehen mit vorgehaltenen Maschinenpistolen auf das Gebäude zu.

Gespannt verfolgt Willi das Geschehen. Vier SS-Soldaten legen sich in Stellung, drei gehen auf das Scheunentor zu. Mit einer Handgranate wird das Tor aufgesprengt. Als sich der Rauch verzogen hat, humpelt ein verletzter Mann mit erhobenen Händen aus der Scheune. Zwei SS-Soldaten rennen in die Scheune und schiessen sofort. Dann wird es ruhig. Drei Männer schleppen eine verletzte Frau aus der Scheune und legen sie ins Gras. Zwei Männer heben sofort die Hände und verschränken sie über dem Kopf.

Die zwei SS-Soldaten schleifen, einen offensichtlich toten Mann auf den Vorhof und legen ihn neben die verletzte Frau. Inzwischen stürmen weitere Uniformierte in die Scheune. Es bleibt längere Zeit ruhig, dann verlassen sie die Scheune und zeigen an, dass die Aktion beendet ist. Der LKW fährt vor und die Gefangenen müssen aufsteigen. Die Leiche lassen sie liegen. Die verletzte Frau wird am Schluss noch auf die Ladebrücke geworfen. Sie schreit auf, als sie hart aufschlägt.

«Aktion beendet!», tönt es aus dem Kopfhörer von Willis Funkgerät, «bleibt noch fünf Minuten, dann könnte ihr zurück zu eurer Einheit. Heil Hitler!»

Nachdem die SS-Soldaten weggefahren sind, nähert sich ein Motorrad mit Seitenwagen dem Hof. Eine Frau und zwei Männer, wie Slowaken gekleidet, steigen ab. Der Fahrer des Gefährts redet auf sie ein. Die Handzeichen deuten darauf hin, dass der Bauernhof jetzt den beiden Passagieren gehört. Die bedanken sich überschwänglich. Bevor der Fahrer losfährt, deutet er noch auf die Leiche, sie soll verschwinden, wohin scheint ihm egal zu sein.

«Wir können zurückfahren», ruft Willi seinem Fahrer zu, «denen haben wir es gezeigt, diese verdammten Juden, jetzt wird aufgeräumt.»

Der Fahrer Antwort nicht, fährt aber sofort los. Als sie zur Einheit zurückkehren, empfängt sie der Kommandant persönlich.

«Gut gemacht Wolf», ruft er gegen den Motorenlärm ankämpfend, «die SS war zufrieden. Heil Hitler!»

Am nächsten Nachmittag wiederholt sich das gleiche Szenario bei einem anderen Bauernhof. Diesmal ergeben sich die Juden schon, als sie sehen, wie der LKW vorfährt. Die Aktion dauert nur eine halbe Stunde und geht ohne Schusswechsel und Verletzte zu Ende. Einige Schläge bekommen die Juden beim Einsteigen ab, aber sie werden nicht ernsthaft verletzt. Auch in diesem Fall übernimmt ein slowakisches Paar den Hof. Ein kleines Geschenk, weil die Slowaken den Deutschen so freundlich gesinnt sind.

Die nächsten zwei Einsätze finden ohne Willi statt. Der Kommandant legt Wert darauf, dass möglichst viele seiner Truppe, Kampferfahrung sammeln können. Da die Kompanie nur über drei Funker verfügt, ist er schon bald wieder im Einsatz.

Diesmal wird ein kleiner Weiler mit fünf Gebäuden umstellt. Die SS ist diesmal mit drei LKW an der Aktion beteiligt. Die sichert nach Norden ab, da ist es unübersichtlich. Willis Panzer fährt nach Süden, dort liegt ein weites Feld. Nach rund zweihundert Meter folgt ein Wäldchen. Ihre Aufgabe ist, zu verhindern, dass Juden in den Wald flüchten können, denn dann, das hat der SS Offizier deutlich gemacht, würde es schwierig, die Leute aufzuspüren.

Im Weiler geht es nicht so glimpflich ab, wie sonst, es fallen Schüsse. Dann meldet sich der Funk: «Panzer bitte seit wachsam, die wollen abhauen. Feuer frei auf jeden Flüchtenden.»

«Da!», ruft der Fahrer und er zeigt auf zwei Männer die aus einem Haus rennen.

Willi hat sie auch erspäht und richtet das MG auf die beiden. Nur kurz zögert er, dann feuert er die erste Salve ab. Er hat absichtlich rund zehn Meter vor die Männer gezielt, um ihnen die Möglichkeit zur Kapitulation zu geben. Doch die rennen im Zickzack weiter. Die zweite Salve feuert er gezielt ab. Einer ist getroffen, was sein Fahrer mit einem kurzen Jubel belohnt. Die dritte Salve streckt auch den zweiten Mann nieder. Beide winden sich im Gras, können aber nicht mehr weiter. Die SS wird sie einsammeln können.

Bei einem Haus bemerken sie eine verdächtige Bewegung. Nochmal schiesst Willi eine Salve vor die Haustüre. Er wagt nicht direkt auf die Bewegung zu schiessen, vielleicht ist es ja ein SS-Mann.

Die beiden verwundeten Männer, winden sich vor Schmerzen. Doch der eine wird immer ruhiger, dann liegt er plötzlich still da. Der andere kriecht zu ihm rüber und streicht ihm über den Kopf, dann schreit er auf, sein Freund scheint tot zu sein. Seine Hand fährt über das Gesicht des Toten und schliesst ihm die Augen. Dann ist er wieder mit seinem schmerzenden Bein beschäftigt und versucht das Blut zu stillen.

Im Weiler wird es ruhig. Die SS hat die Lage unter Kontrolle. Zwei Soldaten schleppen den verwundeten ins Haus. Von seinem Standort aus, können sie die LKW nicht einsehen. Sie wissen nicht wie die Aktien weiter abläuft. Nach einer Stunde kommt die Meldung über Funk.

 

«Aktion beendet, danke gut gemacht! Heil Hitler!»

«Los du kannst nach Hause fahren», befiehlt er seinem Fahrer.

«Denen hast die gegeben», dann fährt er los und man versteht kein Wort mehr.

Im Standort ihrer Einheit werden sie diesmal von niemandem empfangen. Die Einsätze sind zu Routine geworden.

Beim Antrittsverlesen der Kompanie, hält der Kommandant eine kurze Rede. Er informiert, dass die Wehrmacht in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt ist. Die Polen werden immer dreister und verweigern den Korridor zur Stadt Danzig. Das will sich unser Führer nicht bieten lassen. Er wird es ihnen zeigen!

«Ich mache nochmals darauf aufmerksam, dass wir auf unseren Führer die Treue geschworen haben.»

Danach lässt er die Kompanie den Eid wiederholen. Es herrscht eine ernste, aber feierliche Stimmung. Mit mehreren Heil Hitler Rufen, wird die Kompanie in den Ausgang entlassen.

Die Hilde erwartet Willi auf der Strasse mit einem heftigen Kuss. Danach geht's zu ihr nach Hause auf den Bauernhof. Heute muss Willi nicht arbeiten, es geht direkt auf das Zimmer. Sie hat Radio gehört und weiss, dass die politische Lage schwierig ist.

Als Willi ins Lager zurückkehrt, wird er informiert, ab sofort gilt Alarmstufe zwei. Dies heisst, abmarschbereit in zwei Stunden.

Am Freitag wird die Kompanie um drei Uhr früh geweckt.

«Um vier Uhr antreten!», meldet der Soldat, welcher die Aufgabe des Weckens übernommen hat.

Nun entsteht Hektik. Waschen, Frühstück und packen, alles muss schnell gehen. Um drei Minuten vor vier Uhr meldet der Feldwebel die Kompanie als bereit.

«Der Führer hat eine wichtige Meldung angekündigt», informiert der Kommandant seine Leute. Am Fenster des Kompaniebüros wird das Radio aufgestellt. Nun rückt jeder Zug der Reihe nach vor, um sich rund um das Radio zu postieren, so dass alle mithören können. Nach zahlreichen Anschuldigungen an die Adresse von Polen, kommt er auf den wichtigen Punkt.

«Seit fünf Uhr fünfuhrfünfundvierzig wird zurückgeschossen!», brüllt der Führer aus dem Radio, «ab jetzt wird Bombe mit Bombe vergolten!»

Die Kompanie bricht spontan in Jubel aus. Auch Heil Hitler Rufe werden skandiert. Endlich geht es los. Den Polen werden wir es heimzahlen. Danzig gehört zu Deutschland, das war immer so.

Der Rede von Hitler hört schon lange niemand mehr zu, man versteht eh kein Wort mehr. Die Kompanie gleicht eher einer Menge auf einem Volksfest, als einer Einheit der Wehrmacht. Einige liegen sich in den Armen, andere recken den Arm zum Hitlergruss.

«Soldaten!», ruft der Kommandant zu seinen jubelnden Männer, «ich unterbreche nur ungern, aber wir müssen in einer halben Stunde Marschbereitschaft melden. Also, jeder auf seinen Posten marsch.»

Schnell löst sich der jubelnde Haufen auf und es beginnt ein durchorganisiertes, systematisches Durcheinander, welches eine halbe Stunde später in einer abfahrbereiten Kolonne von Fahrzeugen aller Art endet.

Wie hundert Mal geübt, steht der Panzer von Willi an dritter Stelle am Rande der Hauptstrasse, welche zur nahen Grenze nach Polen führt.

Das Warten ist unerträglich, alle möchten losfahren, doch der Kommandant wartet auf den Einsatzbefehl aus dem Divisionsstab. Dieser trifft erst nach einer guten Stunde ein. Nun setzt sich die Kolonne Richtung Polen in Bewegung.

Drei Kilometer ausserhalb Rabca kommt der Befehl über Funk.

«Strasse nach rechts verlassen und auf dem Feldweg in Richtung des Berges Gabis Bora vorrücken.»

«Wir erwarten, dass die Hauptstrasse gut gesichert ist und weichen deshalb aus», ruft Willi seinem Fahrer zu, welcher nickt. Willi ist nicht sicher ob er alles verstanden hat. Auf dem Feldweg wird der Motor noch lauter.

Noch sind sie auf slowakischem Territorium, doch die Grenze rückt immer näher. Drei Kilometer vor der Grenze erhält Willi den Auftrag, nach links auszuscheren und möglichst weit den Berg hinauf zufahren, damit er die Grenze beobachten kann. Im ersten Gang kämpfen sie sich den Berg hoch. Noch sind sie von Polen aus nicht sichtbar. Eine Bergkuppe liegt dazwischen. Noch fünfhundert Meter, dann haben sie freie Sicht nach Polen.

Hinter einem dichten Gebüsch gehen sie in Stellung. Mit dem Fernglas beobachtet Willi den kleinen Grenzort. Alles scheint ruhig, die Strasse ist menschenleer. Der Schlagbaum an der Strasse ist heruntergelassen. Im Häuschen daneben trinken die Zöllner Kaffee oder Tee, das kann Willi nicht unterscheiden.

«Alles ruhig», meldet er über Funk an seinen Kommandant, «aber Vorsicht, auf dem Kirchturm und der Dachluke eines Bauernhauses ist eine MG-Stellung auszumachen.»

Er meldet die genaue Position der beiden Beobachtungen. Hinter einem Misthaufen erspäht er etwas später eine kleine Kanone.

«Die ist am gefährlichsten. Die muss aber noch bewegt werden, bevor sie auf das freie Feld schiessen kann. Die Wachsamkeit der Soldaten scheint nicht besonders hoch. Eine Frau bringt mit einem Wagen Milch in die Käserei. Alles scheint normal, als ob sie keinen Angriff erwarten. Aber Vorsicht, das kann täuschen», meldet Willi vorsichtig.

«Gut bleibt in Position», meldet der Kommandant, «leider kriege ich keine Flugzeug Unterstützung, aber wir haben ja noch unsere Artillerie, das Dorf können sie beschliessen, das liegt innerhalb ihrer Reichweite.»

Er wiederholt nochmals die Koordinaten der drei Ziele, «beobachte, ob noch Korrekturen nötig sind.»

Eine Viertelstunde später ist es mit der Ruhe im Dorf vorbei. Die erste Granate schlägt beim Miststock ein, die Kanone fliegt durch die Luft. Nur Sekunden später werden auch das Grenzhaus und der Kirchturm unter Beschuss genommen.

«Der Kirchturm steht noch», meldet Willi. Sekunden später explodieren weitere Granaten in der Nähe der Kirche, langsam neigt sich der Turm und fällt schliesslich zur Seite. Inzwischen rennen verzweifelte Menschen durch die Strasse des Orts. Mit einem massiven Angriff haben die nicht gerechnet. Die Zivilisten sind immer noch im Ort. Auch Soldaten rennen jetzt auf der Strasse herum und werfen sich hinter Mauern in Deckung.

Nach einer Viertelstunde ist der Spuk erstmal vorbei. Die Artillerie stellt das Feuer ein. Auf dem freien Feld, noch auf slowakischer Seite der Grenze fahren jetzt Panzer auf. Das Feld ist breit genug, dass fünf Panzer nebeneinander auf einer Linie vorrücken können. Dahinter sind Füsiliere im Vorrücken, immer die Deckung der Panzer ausnützend.

Aus dem Dorf schafft es ein polnischer Soldat, eine Salve in Richtung der anrückenden Panzer abzugeben. Unmittelbar nach der Salve feuern die Panzer mit allem was sie haben. Vier sind mit MGs bestückt und einer hat eine Kanone, welche das Bauernhaus ins Visier nimmt. Der Lärm ist ohrenbetäubend, der Ort verschwindet im Nebel.

«Ich kann nichts mehr erkennen», meldet Willi, «ihr müsst selber nach Zielen suchen. Ich beobachte das Umfeld des Dorfes, für den Fall, dass sich Verstärkung nähern würde».

«Gut gemacht», meldet der Kommandant, «haltet uns den Rücken frei. Wir kommen zurecht, der Widerstand ist gering.»

Zwei Stunden später ist der Ort eingenommen, es gibt keinen Widerstand mehr. Die Bewohner werden ausserhalb des Dorfes auf einem Feld zusammengetrieben und entwaffnet. Ihre Hände werden auf dem Rücken zusammengebunden. Ein Mann greift die Soldaten mit einem Messer an, er wird sofort erschossen. Noch drei Männer müssen erschossen werden, dann wagt es keiner mehr, Widerstand zu leisten.

«Los Beeilung!», ruft der Kommandant, «wir müssen weiter, die SS wird die Gefangenen übernehmen.»

Eine halbe Stunde später fährt die Kompanie wieder in einer Kolonne auf der Strasse in Richtung Polen. Nächstes Ziel Rabka-Zdroj, wo sich vier Strassen kreuzen.

Noch vor Rabca, auf einem freien Feld stürmt plötzlich ein Trupp polnischer Kavallerie auf die Spitze der Kolonne zu. Wie tausend Mal geübt, scheren die Panzer aus und bilden eine Linie. Willi beginnt sofort zu schiessen. Die Pferde haben keine Chance und sinken getroffen zu Boden. Die Reiter fliegen im hohen Bogen aus dem Sattel und schlagen hart auf dem Boden auf.

Das Gefecht dauert keine halbe Stunde, dann ist die polnische Truppe besiegt. Mehr als zwanzig Pferde liegen tot auf dem Feld. Von den Reitern ist keiner mehr am Leben. Einige Pferde winden sich vor Schmerzen auf dem Feld.

«Erschiesst sie!», befiehlt der Kommandant, «ich kann die armen Tiere nicht leiden sehen.»

Fünf Mann übernehmen die undankbare Aufgabe und gehen mit einer Pistole bewaffnet von Pferd zu Pferd.

«Igelt euch ein», lautet der nächste Befehl.

«Wir müssen neue Munition und Diesel besorgen. Der Nachschub sollte in zwei Stunden da sein.»

Die Sicherung des Geländes übernimmt die Infanterie. Die restlichen Soldaten dürfen eine Pause einlegen. Einige nützen die Zeit, um einige Pferde auszuweiden. Mit Äxten trennen sie die Hinterläufe ab. Andere schneiden mit einem Messer den Pferden die Zungen ab. Mit Drähten hängen sie die riesigen Schinken an die Panzer und zwar so, dass die heisse Luft der Kühler sie anbläst, so hofft man, das Fleisch zu trocken.

Zwei Stunden später ist jeder Panzer vollgetankt und die Munitionskisten sind wieder gefüllt. Das Vorrücken auf die Strassenkreuzung bei Rabka-Zdroj erfolgt ohne weitere Feindkontakte. Das Städtchen war schon von der Luftwaffe bombardiert worden. Die drei Scharfschützen, welche sich in den Ruinen versteckt hatten, wurden schnell ausgeschaltet. Jede Strasse wird von drei Panzern gesichert. Damit ist der erste Kriegstag überstanden. Leider sind zwei Kameraden gefallen, fünf wurden verletzt. Im Vergleich zu den Verlusten, welche sie den Polen zugeführt haben, ein gutes Verhältnis. Allerdings betrauert Willi den Tod von Karl, der von einem Heckenschützen im Kopf getroffen wurde. Mit ihm hatte er im Ausgang einige Male Karten gespielt. Er wird seine guten Witze vermissen.

Rund um die Strassenkreuzung richtet man sich für die Nacht ein. Ein Wachdienst wurde aufgezogen. Zwei Stunden Schlaf folgen zwei Stunden Wachdienst, danach zwei Stunden Bereitschaft, in der Zeit muss verpflegt werden und auch Waffenreinigung und Körperpflege müssen in dieser Zeit erledigt werden.

Geschlafen wird auf der Ladebrücke eines LKWs. Bei einem Bauer wird Stroh organisiert, damit es nicht so hart ist. Die Nacht bleibt ruhig. In der Gegend sind die polnischen Truppen bereits besiegt. Eine Widerstandsbewegung lässt sich nicht so kurzfristig aufbauen, woher sollten sie die Waffen nehmen?

Am Morgen steigt die Sonne blutrote hinter einem Wäldchen auf und jeder freut sich über den schönen Anblick. Aus Sicherheitsgründen gibt es kein Antrittsverlesen, jeder Zugführer holt sich seinen Tagesbefehl direkt beim Kommandanten ab. Allgemein wird erwartet, dass man heute weiter in Richtung Krakau vorstösst.

Es kommt einer Enttäuschung gleich, als sich allmählich herumspringen, dass sie die nächsten Tage beauftragt sind, diese wichtige Strassenkreuzung zu sichern. Man beginnt sich einzurichten. An strategisch wichtigen Stellen werden Stellungen gegraben und MGs in Stellung gebracht.

Am Nachmittag fahren die ersten deutschen Truppen über die Kreuzung in Richtung Krakau. Die wachhabenden Soldaten rufen Heil Hitler und strecken den rechten Arm aus. Nur schade, dass man da im Hinterland bleiben muss, während die anderen Verbände ihren Siegeszug durch Polen fortsetzen. Dabei bleibt Willi und seinen Kameraden nur die Zuschauerrolle. Natürlich ist die Sicherung dieser Kreuzung wichtig, aber man hat das Gewehr nur im Anschlag, geschossen wird vermutlich nicht. Man muss sich damit zufrieden geben, dass sie bereits ein Gefecht siegreich bestanden haben.

Regelmässig informiert der Kommandant über den Verlauf der Kämpfe, die deutschen Truppen siegen an allen Fronten. Die Polen können ausser Kampfgeist, nichts entgegensetzen. Ihre Ausrüstung ist ungenügend, sie haben keine Chance.

Inzwischen steht die Einheit von Willi bereits seit einer Woche an dieser Kreuzung. Krakau ist bereits erobert und die Kämpfe konzentrieren sich auf die Eroberung von Warschau. Inzwischen haben hunderte von deutschen LKWs die Kreuzung passiert. Der Krieg ist für Willi zur Routine geworden. Eine gefährliche Routine, denn auch wenn nicht geschlossen wird, muss man immer mit einem Angriff rechnen.

Vor Angriffen bleiben sie verschont. Die Kreuzung ist zu unbedeutend und strategisch gut durch die Deutschen gesichert, ein Angriff wäre reiner Selbstmord. So bleibt der Einheit von Willi nichts anderes übrig, als das Kriegsgeschehen aus der Ferne zu verfolgen. Ungemütlich wird es nach drei Wochen, als es zu regnen beginnt. Ihre ausgehobenen Stellungen füllen sich mit Wasser und verwandeln sich ein Schlammbad.

 

Nach zwei unangenehmen Tagen, hatte man das Problem im Griff und die Stellungen mit Holzrosten trockengelegt. Die Polen stehen kurz vor der Kapitulation. Täglich verkündet der Führer neu Erfolgsmeldungen. Inzwischen hat der Kommandant erlaubt, dass die Truppe jede Ansprache des Führers am Radio mithören darf. Jede Erfolgsmeldung wird mit Jubel und Heil Hitler rufen bedacht.

Nach vier Wochen heisst es plötzlich zusammenpacken. Die Kompanie wird nach Krakau verlegt. Die Überwachung der Kreuzung übernimmt eine Reserveeinheit mit älteren Soldaten.

Die Verschiebung nach Krakau führt durch zahlreiche zerstörte Orte. Ihr neuer Standort liegt ausserhalb der Stadt in der Nähe des Güterbahnhofs. Sie können vorbereitete Stellungen beziehen. Die andere Kompanie wurde nach Warschau abkommandiert. In Krakau ist wesentlich mehr Betrieb als auf der Kreuzung. Die Zufahrtsstrassen zum Bahnhof mussten kontrolliert werden. Die Polen, welche auf dem Gelände arbeiten müssen, haben Ausweise bekommen. Die meisten sind Bahnarbeiter, welch nun die Zugskomposititionen zusammenstellen müssen.

Willi wird nicht bei den Kontrollposten eingesetzt. Sein Panzer steht auf einer Anhöhe und kann das ganze Gelände mit MG-Feuer erreichen. Neugierig beobachtet er das Geschehen auf dem Bahnhof. Täglich werden hunderte von Leuten in Güterwagen verfrachtet. Pro Tag verlassen zwei bis drei Züge den Bahnhof in Richtung Warschau. Die Umsiedlung der polnischen Juden ist im Gang. Hitler beginnt sofort mit der Umsetzung seines wichtigsten Kriegsziels, die polnischen Juden unter strenge Kontrolle zu bringen.

Nach einer Woche weiss jeder wie es abläuft. Die SS durchkämmt die Häuser von Krakau. Jeder Jude wird umgesiedelt, wohin genau, das weiss keiner. Es sind provisorische Lager errichtet worden. Viele werden direkt nach Warschau gebracht, wo ein jüdisches Viertel eingerichtet wird. Den grössten Teil der Wohnungseinrichtung müssen sie zurücklassen, der wird von der SS beschlagnahmt.

Die Zeit vergeht schnell, nun hüten sie bereits ein Monat lang den Bahnhof. Inzwischen ist es kalt geworden. Die Schichten für die Wachmannschaft mussten verkürzt werden, nach einer Stunde ist man praktisch steif gefroren. Da genügend Soldaten zur Verfügung stehen, ist das kein Problem. Inzwischen wird nur noch ein Zug pro Tag abgefertigt. Die SS hat Probleme, Nachschub zu liefern. Die Wachposten werden nur noch zu den Verladezeiten vollbesetzt, die restliche Zeit reicht der Posten mit der besten Sicht auf das Gelände aus.

Willi ist mit Rolf auf dem Posten eingeteilt. In Kürze beginnt das Verladen der Juden, deshalb sind jetzt auch die anderen Posten besetzt. Willi schiebt sich ein Stück vom getrockneten Pferdeschinken in den Mund. Es hat sich so eingebürgert, dass auf der Wache auf einem Stück herumgekaut wird. So bleibt man besser wach. Die zusätzlichen Kalorien sind sehr willkommen. Das Essen ist nicht schlecht, aber im Überfluss leben die Soldaten in Krakau nicht.

«Da haut einer ab!», ruft Rolf.

Willi hat sofort das MG im Anschlag und zielt auf den über die Geleise eilenden Mann. Das MG ist auf Einzelschuss eingestellt, man will Munition sparen. Nun muss er schiessen, sonst erreicht der Flüchtende noch die Güterwagen auf dem äussersten Geleise.

«Scheiss Jude!», brummte Willi, «dir werde ich es geben.»

Dann kracht der Schuss. Es dauert endlos lange, doch dann fällt der Flüchtende hin. Er hat ihn. Er hat ihn immer noch im Visier, doch er zögert mit dem nächsten Schuss. Der kann ihm nicht mehr entrinnen.

Der Mann schreit aus Leibeskräften, er scheint grosse Schmerzen zu haben.

«Feuer einstellen!»

Die Aufforderung über Funk ist unmissverständlich, der geht uns nicht durch die Lappen. Zum Glück sind sie gut hundert Meter entfernt, denn das Schreien des Mannes geht einem durch Mark und Bein. Nur kurz überlegt Willi, ob er ihm einen Gnadenschuss verpassen soll. Dann müsste er sich wegen Munitionsverschwendung rechtfertigen. Er geht davon aus, dass einer der SS diese Aufgabe übernimmt, doch die denken nicht daran und lassen den Mann schreien.

Nach einer halben Stunde ist es im Bahnhof endlich wieder ruhig, ein einfahrender Zug hat den Juden überrollt. Jetzt liegen nur noch einzelne Körperteile auf den Geleisen verstreut herum. Die streunenden Hunde werden in der Nacht ihre Freude daran haben.

«Wie kann man nur auf solche Art Selbstmord begehen!», meint Willi zu Rolf, «der weiss doch, dass er keine Chance hat.»

«So denken eben die Juden», meint Rolf, «wenn es nicht um Geld geht, ist der Verstand ausgeschaltet. Doch damit ist jetzt in Deutschland Schluss, da müssen sie schon nach Amerika auswandern.»

Hast ja recht denkt Willi für sich. Innerlich ärgert er sich, denn er hatte tatsächlich einige Sekunden daran gedacht, den Mann von seinen Schmerzen zu erlösen. Er ist einfach zu weich. Für kurze Zeit hat er vergessen, dass es ein Jude war, der da schrie.

Mitte Dezember wird die Kompanie von Willi in den Heimaturlaub geschickt. Die SS findet in Krakau keine Juden mehr, deshalb wird der Bahnhof nicht mehr gebraucht. Die Polen haben sich mit den deutschen Truppen arrangiert, es sieht so aus, als ob die nur an den Juden interessiert sind, die gewöhnlichen polnischen Bürger werden nicht schikaniert.

Nach dem Weihnachtsurlaub wird seine Kompanie auf neue Panzer umgeschult. Der Einsatz für Willi in Polen ist zu Ende. Er wird für einige Wochen auf den Waffenplatz an der Ostsee zurückkehren.

Den Urlaub verbringt er bei seinen Eltern in Worms. Die jungen Leute sind aus dem Stadtbild verschwunden. In den Kneipen tummeln sich abends vor allem ältere Leute. Die meisten Deutschen, welche in der Lederfabrik arbeiten, bekleiden jetzt höhere Positionen als vorher. Die einfachen Arbeiten werden durch Kriegsgefangene erledigt. Alles was nicht unbedingt in der Fabrik gemacht werden muss, wird an ein Lager ausserhalb von Worms vergeben. Dort sind die Juden separiert worden.

Die Gegenstände, welche Willi und Vater von den Juden gekauft haben, sind immer noch im Gartenhaus verstaut. Es lohnt sich nicht, sie zu verkaufen. An einem Abend, Willi genehmigt sich ein Bier im Krug, als plötzlich Gabi auf ihn zukommt.

«Schon lange nichts mehr von dir gehört!», stellt sie fest und setzt sich zu ihm.

«Ich war in Polen.»

«Da hast du Bomben auf die Dörfer geworfen?»

«Nein, ich bin nicht mehr bei der Luftwaffe, ich wurde zu der Panzertruppe ungeteilt.»

«Aber du wolltest doch Kampfpilot werden!»

«Hat leider nicht geklappt, mir wurde immer schlecht, deshalb wurde ich umgeschult. Nun bei den Panzer gefällt es mir gut, da ist man viel näher am Kriegsgeschehen dran.»

«Du warst im Kampf?», fragt Gabi überrascht, «wurde auf dich geschossen?»

«Nicht direkt», gibt er kleinlaut zu, «aber unsere Kompanie hatte auch Ausfälle zu verkraften. Ein Freund wurde durch einen Kopfschuss getötet. Es war ein Heckenschütze, wir haben ihn leider zu spät entdeckt. Aber der Kamerad wurde gerächt.»

«Hast du Soldaten erschossen?»

«Ja, einige, aber am meisten hatte ich mit Juden zu tun. Einige wollten türmen, dann musste man schiessen. Die waren aber selber schuld, wären sie nicht weggerannt, wäre ihnen nichts geschehen. - Wo warst du die letzte Zeit?»

«Ich war in einem Spital als Krankenschwester im Einsatz. Allerdings nicht an der Front, wir hatten nur mit relativ leichten Verletzungen zu tun. Verletzungen welche sich die Soldaten bei Übungen zugezogenen haben.»