Der Politiker

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Probleme mit Gabi /1937

Ab Herbst werden die Briefe von Gabi seltener. Schrieben sie sich früher mindestens einmal in der Woche, so kommt es jetzt vor, dass bis vier Wochen vergehen, ehe ein kurzer Brief eintrifft. Willi weiss nicht was los ist, er ist froh, dass er über Weihnachten keinen Urlaub bewilligt bekommt. Die Fabrik muss so schnell wie möglich die Produktion steigern.

Seit die Briefe von Gabi so selten geworden sind, geht er vermehrt mit Freunden in die Kneipe in Rostock. Während er früher sich konsequent weigerte, sich mit einem der Mädels einzulassen, erwidert er nun die Blicke der Mädels und es kommt zu Umarmungen. Besonders Rita macht ihm schöne Augen und richtet es meistens so ein, dass sie neben ihm zu sitzen kommt.

Am Silvesterabend ist die Stimmung ausgelassen und Rita weicht nicht von seiner Seite. Um Mitternacht ist sie zur Stelle und überrascht ihn mit einem Zungenkuss. Eine Sekunde lang ist er verblüfft, doch dann erwidert er den Kuss.

Nach Mitternacht spielt das Trio, welches für Musik sorgt, nur noch langsame Stücke. Willi geniesst es, wieder engen Kontakt mit einem weiblichen Wesen zu haben.

Gegen zwei Uhr verlassen die beiden eng umschlungen die Kneipe. Es bleibt Willi nichts anderes übrig, als Rita nach Hause zu begleiten. Draussen ist es zu kalt und Rita wohnt mit einer Freundin zusammen in einem kleinen Zimmer bei einer Schlummermutter. Leise schleichen sie in ihr Zimmer und verschwinden sofort unter der Bettdecke. Das Jahr 1937 beginnt ja sehr aufregend. Ab jetzt trifft er Rita regelmässig, allerdings gibt es nur selten längeren Ausgang. Die Wehrmacht achtet streng darauf, dass ihre jungen Männer nicht auf dumme Gedanken kommen.

Zur Fastnacht bekommt Willi wieder einmal Urlaub. Enttäuscht stellt er fest, dass Gabi nicht in Worms ist. Auch ihre Eltern wohnen nicht mehr in Worms. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit einigen seiner ehemaligen Schulkollegen an den Faschingsball zu gehen. Die meisten hat er seit der Schulzeit nicht mehr gesehen.

Statt mit Mädels rumzuhängen, singt er mit seinen Schulfreunden um die Wette. Es wird reichlich getrunken. Jeder weiss eine Anekdote über einen Lehrer und noch viel besser, über eine Lehrerin zu berichten.

Jeder erzählt, was er so treibt. Die meisten sind in der Wehrmacht. Stolz informiert Willi, dass er nach dem Urlaub mit der Pilotenausbildung beginnen kann. Der Ingenieur hätte ihn vor seinem Urlaub noch informiert, dass er die letzten Monate seiner Wehrpflicht, als Belohnung für seine gute Arbeit, den Pilotenschein machen darf. In Sommer sind die vorgeschriebenen zwei Jahre Wehrdienst vorbei. Dann möchte er sein Studium in Aachen abschliessen. Wenn er in der Wehrmacht den Pilotenschein macht, darf er sich als Pilot bei den aufkommenden Fluggesellschaften bewerben.

Ohne dass er Gabi getroffen hat, muss er zurück nach Rostock. Er ist nicht traurig, so hat er kein schlechtes Gewissen, wenn er mit Rita in den Ausgang geht.

Wie vom Ingenieur versprochen, darf er mit dem Flugunterricht beginnen. Am Morgen macht er seinen Kontrollgang in der Fabrik und am Nachmittag nimmt er am Flugunterricht teil.

Die Übungen welche ihm Georg angeraten hat, wirkten. Beim ersten Flug mit dem Fluglehrer, wird ihm nicht schlecht. Beim Erstflug werden keine waghalsigen Manöver geflogen, das verkraftet er gut und mit jedem weiteren Flug, kann er sich an die Bedingungen gewöhnen. Seine theoretischen Kenntnisse helfen ihm und es dauert nicht lange, biss er das Flugzeug selber steuern darf.

Nach drei Wochen überlebt er seine erste selbst gesteuerte Landung. Gut sie strapazierte das Fahrwerk aufs Äusserste, doch der Fluglehrer ist zufrieden, er hat schon schlimmeres erlebt.

Die Flugprüfung besteht er beim ersten Mal und der Fluglehrer überreicht ihm den Pilotenschein. Endlich ist er Pilot, die zwei Jahre in der Wehrmacht haben sich ausgezahlt.

Langsam geht die Zeit in der Wehrmacht zu Ende und er muss sich mit der Planung der Zeit nach dem Wehrdienst befassen. Dass er sein Studium abschliessen will, steht fest, nur, nach seiner Entlassung, sind Semesterferien. Er sucht also nach einem Praktikumsplatz. Dazu ruft er Hans in Friedrichshafen an. Er erkundigt sich, ob der Pilotenschein auch zum lenken eines Zeppelin berechtigt. Leider wird das verneint, er bietet ihm aber an, als Bordingenieur den Kapitän zu unterstützen.

Insgeheim hofft Willi, dass er nach dem Luftfahrtstudium, sich zum Luftschiffkapitän weiterbilden kann. Er weiss, dass die Kapitäne langsam zu alt sind, da werden in Zukunft einige Plätze frei.

Willi freut sich auf Friedrichshafen, es sind bereits vier Jahre vergangen seit seinem letzten Praktikum. Hans wird ihm noch einige Ordner mit Unterlagen schicken, damit er sich bei theoretisch Fragen auf den neuesten Stand bringen kann.

In Rostock werden bereits zwei Do111 pro Woche aufs Rollfeld gerollt. Es braucht nicht mehr viel und man kann auf drei Flugzeuge pro Woche steigern. Meistens ist Willi mit seiner Inspektionsrunde am frühen Nachmittag fertig. Danach geht er spazieren.

Beim Zusammenbau der Tragflächen gibt es am Morgen Probleme, dabei hoffte Willi am Nachmittag einen Spaziergang in der warmen Maisonne zu machen. Vorher muss er das Problem mit den Tragflächen in den Griff bekommen, sonst wird es mit dem Spaziergang nichts. Durch nachmessen stellt er fest, dass die Lochabstände ausserhalb der festgelegten Norm liegen. So geht es nicht, man kann die Tragflächen nicht montieren.

Es bleibt nichts anderes übrig, als die Tragfläche auszusortieren. Danach muss man sie genau ausmessen und dann einen Flugzeugrumpf nach speziellen Massen herstellen. Eine ärgerliche Sache, für die Montage des aktuellen Flugzeug ist es nicht weiter schlimm, die nächsten Tragflächen stehen bereit, er muss nur dafür sorgen, dass sie aus den Lager ausgelagert werden.

«Wolf, sie sollen zum Ingenieur kommen», teilt ihm ein Mechaniker mit.

«Ich kann jetzt nicht weg, das sehen sie doch.»

«Ich habe meine Befehle, beeilen Sie sich.»

Was ist denn jetzt los? Wird er für den Fehler zur Verantwortung gezogen? Er beeilt sich und rennt förmliche durch den Gang. Er hat Angst, er weiss, dass der Ingenieur mächtig unter Druck von oben steht, muss er jetzt dafür büssen? Er wäre nicht der Erste.

«Was gibt es so dringendes?»

«Schmitz hinsetzen», befiehlt der Ingenieur und wartet bis der Mechaniker das Büro verlassen hat.

«Ich habe eben im Radio gehört, dass in Amerika die Hindenburg in Flammen aufgegangen ist.»

«Die Hindenburg», stammelt Willi vor sich hin, «aber das ist doch nicht möglich.»

«Doch, beim Anlegen in Lakehurst gab es ein Explosion, danach brannte das Luftschiff lichterloh und stützte ab, es gibt sicher Tote, ob jemand die Katastrophe überlebt, weiss man noch nicht!»

«Ich kann das nicht glauben, die Hindenburg war der Stolz von Friedrichshafen.»

«Ich befürchte, dass ist das Ende der Luftschiffe bedeutet.»

Willi erinnert sich an zahlreiche Diskussion mit dem Ingenieur. Der hat immer die Meinung vertreten, dass Luftschiffe zu gefährlich sind, während Willi sie verteidigte und ihnen im Langstreckenpersonenverkehr eine grosse Zukunft voraussagte.

«Wie geht es jetzt weiter?»

«Das werden die nächsten Wochen zeigen, sicher muss man die Ursache herausfinden, danach könnte ich mir vorstellen, dass es das war. Hitler setzt sowieso auf Flugzeuge, die eignen sich im Krieg besser.»

«Aber wir haben ja keinen Krieg.»

«Noch nicht! Wolf, noch nicht, wenn Hitler die enormen Ausgaben für die Wehrmacht rechtfertigen will, muss er früher oder später einen anzetteln, fragt sich nur gegen wen.»

«Meinen sie?»

«Warten wir ab, wie läuft es mit den Tragflächen?»

«Die Lochabstände für die Verankerung sind ausser Toleranz, aber wir haben noch im Lager, sie können ausgetauscht werden. Danach müssen wir einen Rumpf bestellen, bei dem die Bohrungen auf Mass angefertigt werden. Ich hasse solche Übungen.»

«Ich auch, aber wenigstens geraten wir nicht in Rückstand. Los Wolf, das ist alles, die Arbeit wartet.»

«Zu Befehl!», Willi schlägt die Füsse zusammen und salutiert, «ein Scheisstag ist das heute.»

«Ganz richtig bemerkt, wegtreten.»

Im Laufschritt rennt er zurück in die Halle. Was wird jetzt mit seinem Praktikum in Friedrichshafen? Das kann er vermutlich vergessen. Zum Glück ist er mit dem Austauschen der Flügel gefordert, so vergisst er sein Problem mit dem Zeppelin. Der Besuch bei Rita fällt sowieso in Wasser.

Die Befürchtung bezüglich der Zukunft der Luftschiffe bestätigt sich mit jedem Bericht den er in den Zeitungen liest. Es gab insgesamt 36 Todesopfer. Von den vielen Verletzten ganz zu schweigen. Niemand wird sich mehr freiwillig in einen Zeppelin setzen. Da sorgen schon die Zeitungen dafür. Damit ist für Willi ein Berufstraum geplatzt, er muss sich neu orientieren.

Er trifft mit dem Ingenieur eine Abmachung, dass er nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht, als ziviler Mitarbeiter in der Fabrik weiter arbeiten kann, bis das Studium beginnt. So kann er sich noch etwas Taschengeld verdienen.

Mit einer feierlichen Zeremonie wird der letzte Tag in der Wehrmacht begangen. Zum Zeitpunkt seiner Entlassung bekleidet Wolf den Rang eines Obersturmbannführers. Noch ein letztes Mal Salutieren und Willi ist wieder ein Zivilist. Noch sind die Wehrmänner nicht endgültig entlassen, sie können bei Bedarf als Reservisten aufgeboten werden, aber davon geht keiner aus. Die meisten hoffen, dass sie ihr Studium abschliessen können.

 

Noch am gleichen Tag fährt er nach Worms und besucht seine Eltern. Die arbeiten immer noch in der Lederfabrik. In Worms scheint die Zeit stillzustehen. Er hofft auf ein zufälliges Treffen, wird aber enttäuscht. Gabi muss er vergessen. Er freut sich auf die Zeit in Aachen, wer wird noch da sein? Vorerst geht es zurück nach Rostock. Rita erwartet ihn und er ist gespannt, welche Arbeit ihm der Ingenieur zuweist, er tat sehr geheimnisvoll.

Die Überraschung ist riesig, als ihm der Ingenieur den Auftrag erteilt, das eben fertiggestellte Flugzeug, zu einem Fliegerhorst in Bayern zu fliegen. Auf dem Fliegerhorst muss er noch eine kurze Einführung für die neuen Piloten durchführen, am Abend wird er noch zu einer kleinen Feier eingeladen.

Am nächsten Morgen fährt er mit der Eisenbahn zurück nach Rostock. Damit ist seine Aufgabe für die erste Woche erledigt. Er hatte genügend Zeit, sich von Rita verwöhnen zu lassen.

Noch zwei andere Piloten haben die gleiche Aufgabe. So muss er meistens einen Auslieferflug pro Woche durchführen, da bleibt viel frei Zeit. Da die Maschinen nicht immer an den gleichen Fliegerhorst geliefert werden, lernt er Deutschland sehr gut kennen. Doch schon bald musste er von Rita Abschied nehmen. Sie versprechen sich zu schreiben, aber beide wissen, dass sie einander schnell vergessen werden. Nach einem kurzen Aufenthalt in Worms, reist er nach Aachen.

Wir sind die Grössten /1938

Die Rückkehr ins Studentenleben ist für Willi nicht einfach. Nach einem Monat ist es bereits wieder zu Ende. Den Studenten werden Aufgaben zugeteilt, welche sie zu Haus selbstständig bearbeiten können und anschliessend zu einem Bericht zusammenfassen müssen. Dieser Bericht wird entscheiden, ob es im Frühling, mit dem Studium weiter geht.

Bereits Ende September trifft Willi wieder in Worms ein. Er geht selten in eine Kneipe. Die meisten Leute sind zu Arbeitseinsätze eingeteilt. Gemeinsam isst Familie Wolf das Abendessen. Willi hilft der Mutter beim wegräumen, dann geht er auf sein Zimmer und arbeitet an seinem Bericht weiter. Er ist nicht sicher, ob er das richtige Thema gewählt hat, alle reden vom Krieg und er untersucht die Möglichkeiten, einer zivilen Fliegerei.

Seinen vierundzwanzigsten Geburtstag feiert Willi nur mit der Familie. Die Freunde sind entweder in der Wehrmacht oder im Arbeitsdienst. Es wird eine kurze Feier. Mutter Rosa kocht Willis Lieblingsgericht, obwohl es bei gewissen Zutaten schwierig war, sie zu beschaffen.

Jemand hat Willi bei der Stadtverwaltung gemeldet jetzt muss auch er zum Arbeitseinsatz in die Lederfabrik. Vater und Sohn fahren jeden Morgen gemeinsam zur Arbeit. Willi wird im Lager eingesetzt. Rosa leistet immer noch ihr reduziertes Pensum beim Nähen von Handschuhen.

Als das Radio berichtete, ein Jude hätte in Paris den Delegationssekretär Rath der NSDAP angeschlossen, schickte die SA ihre Männer los, welche grölend durch Worms und andere deutschen Städte zogen.

Zwei Tage später, das Radio hatte eben den Tod von Rath gemeldet, brennt die Synagoge in Worms. Das Feuer wird schnell entdeckt und kann gelöscht werden, später wird der Rabbiner verhaftet und die Synagoge erneut angezündet. Die SA steht diesmal bereit und verhinderte, dass das Feuer gelöscht werden kann. Die Synagoge brannte bis auf die Grundmauern nieder. Danach formiert sich die SA zu einem Saubannerzug und zieht plündern durch Worms. Alles was jüdisch aussieht, wird angegriffen. Diesmal machte der wütende Mob auch vor privaten Häusern der Juden nicht halt. Auf dem Platz vor dem Stadthaus werden sie zusammengetrieben. Einige werfen mit Abfall auf die verängstigten Leute, andere werfen mit Steinen, einige Juden bluten am Kopf. Ein SA Mann beginnt unter dem Jubel der Menge, mit einer Schere die Haare einer jüdischen Frauen abzuschneiden. Wer sich beklagte, wird brutal zusammengeschlagen.

Als Willi mit seinem Vater auf dem Platz vorbeikommt, meint er: «Jetzt bekommen sie ihre Strafe.»

Sie schauten noch eine Weile zu, dann fahren sie nach Hause. Am Radio wird berichtet, dass in ganz Deutschland die Synagogen brennen. Der Volkszorn entlädt sich nach dem feigen Anschlag in Paris. Jetzt geht es mit den Juden ab ins KZ. Sie haben es nicht anders gewollt. Meldet der Sprecher. Nun werden die Juden nicht nur boykottiert, jetzt werden sie eingesammelt und in Lager gesteckt.

«Ja endlich wird aufgeräumt», kommentiert Rosa die Meldung.

Drei Tage später erhält Willi einen Brief von der Wehrmacht. Mit einem unguten Gefühl öffnet er den Brief.

Umteilung

Wir informieren sie, Obersturmbannführer Wolf, dass eine Überprüfung ergeben hat, dass bezüglich des Ariernachweises Unsicherheiten bestehen. Unter diesen Umständen ist es nicht zulässig, dass sie weiterhin in der Luftwaffe ihre Wehrpflicht leisten können.

Bis die Unklarheiten beseitigt sind, werden sie zu den Panzertruppen umgeteilt. Die Unterlagen machen es erforderlich, dass sie einen Ausbildungskurs bei der Panzertruppe besuchen müssen. Der Kurs beginnt am 6. Januar 1939.

Sie haben sich am besagten Datum um sechs Uhr nachmittags, am Bahnhof in Lübeck einzufinden, dort werden sie abgeholt und auf den Truppenübungsplatz Putlos transportiert.

Panzertruppen /1939

Willi kann nicht glauben was er da liest. Erst beim zweiten Mal durchlesen wird ihm bewusst, dass er jetzt wegen seiner Herkunft diskriminiert wird.

«Du schaffst das Junge», meint sein Vater, «immerhin haben sie dich nicht aus der Wehrmacht ausgeschlossen.»

«Ja, aber was soll ich bei den Panzertruppen?»

«Du musst deinen Dienst am Vaterland leisten», meint Vater, «Panzer ist auch nicht so schlecht und weniger gefährlich.»

«Da bin ich nicht so sicher, aber was bleibt mir anderes übrig.»

Es braucht einige Tage, bis sich Willi mit der neuen Situation abgefunden hat. Innerlich staut sich eine Wut auf alles Jüdische auf. Er wird es ihnen zeigen. Nur wegen den Juden ist er nun eine Deutscher zweite Klasse.

In Putlos ist es sehr schön, er war von Rostock aus, schon Mal mit dem Fahrrad dort entlang gefahren. Es liegt direkt an der Ostsee. Die Umgebung hat ihn an die Rheinauen erinnert, allerdings ohne Berge und statt des Flusses, gibt ist ein Meer.

Noch hat er ein paar Tage Zeit. Jetzt, da ein neuer Einsatz in der Wehrmacht ansteht, ist er vom Arbeitseinsatz befreit. Es macht wenig Sinn, den angefangen Bericht fertig zu schreiben, da dieser nach seiner Zeit in der Wehrmacht, eh nicht mehr aktuell wäre. Deshalb ist er viel in Worms unterwegs. Zudem hat die Begeisterung für die Luftfahrt stark abgenommen.

Auf seinen Streifzügen durch Worms bemerk er, dass viele Juden ihre Wertgegenstände verkaufen müssen, damit sie ins Ausland emigrieren können. Das ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, gute Geschäfte zu tätigen. Er bespricht das Geschäft mit seinem Vater.

«Du meinst», fragt sein Vater nach, «die Juden müssen ihre Wohnungen zu Geld machen. Ja das macht Sinn, die müssen weg, es könnte eh schon zu spät für sie sein.»

«Ich kenne einige Bekannte von Joshua, als junger Bursche waren wir oft bei ihnen. Jetzt könnte ich die Kontakte nützen. Nur ich habe kein Geld.»

«Du hast recht Wilhelm», bestätigt sein Vater, «wenn ich das Bankkonto auflöse, gäbe es uns genug Startkapital. Den Banken traue ich momentan nicht mehr, ich befürchte, dass die Nationalsozialisten, sich alles unter den Nagel reissen wollen.»

«Wir könnten ja unseren Schuppen aus der Zeit der Inflation wieder in Betrieb nehmen.»

«Gute Idee», sein Vater ist begeistert, «du hast anscheinend bei Goldberg einiges gelernt. Ich gehe morgen zur Bank und beschaffe Bargeld.»

Am nächsten Morgen macht sich Willi auf und besucht die erste jüdische Familie. Zum Anfang hat er einen Musiker des Wormser Orchesters ausgesucht.

«Darf ich eintreten», fragt Willi, als ihm die Türe geöffnet wird, «die Sache ist etwas heikel.»

«Treten sie ein», er tritt etwas zur Seite und macht Platz, dass Willi eintreten kann, «was gibt es so Delikates zu besprechen?»

«Ich wollte sie nur informieren, dass ich interessiert bin, Wertgegenstände zu kaufen, falls sie diese loswerden wollen, bevor sie die Nationalsozialisten konfiszieren, man hört so einiges».

«Das ist ein gefährlicher Vorschlag», er macht ein besorgtes Gesicht, «wenn die Na..., darauf kommen, wird es für Sie gefährlich. Bei mir spielt es keine grosse Rolle mehr, ich bin früher oder später eh dran, da mach ich mir nichts vor.»

«Die Gefahr besteht nur dann, wenn sie warten, bis die Na... wie Sie sie nennen, bei ihnen reinschauen, aber vielleicht haben sie die Möglichkeit, sich ins Ausland abzusetzen. Sie haben sicher gute Verbindungen.»

«Du rätst mir also zu verschwinden?»

«Wenn sie solche Pläne haben, können sie nicht alles mitnehmen, dann würde Bargeld sicher helfen.»

«Verfügst du über flüssige Mittel?»

«Ja, sonst würde ich Sie nicht besuchen, aber natürlich sind meine Mittel nicht unendlich, aber ich habe Bargeld, teilweise sogar Schweizer Franken.»

Der Start ist gemacht, jetzt werden einige grössere Wertgegenstände zusammengestellt, kleinere, also vor allem Schmuck, lassen sich gut in der Kleidung verstecken. Nach einer Stunde sind grössere Gegenstände, wie einige Gemälde, eine wertvolle Truhe und eine grosse Standuhr als Tauschobjekte zusammengestellt. Nun beginnt das feilschen um den Preis. Der Dirigent macht ein erstes Angebot. Willi rechnet, so wie er es einschätzt, verlangt er ein Zehntel des Marktpreises. Nach harten Verhandlungen, steht der Preis fest, er beträgt knapp drei Prozent des Werts.

«Hier ist eine Anzahlung, stellen sie die ausgesuchten Gegenstände ins Gartenhäuschen und achtet darauf, dass das Gartentor nicht verschlossen ist. Ich hole, wenn es dunkel ist, die Gegenstände ab und bringe den noch ausstehenden Betrag mit. Mehr Bargeld habe ich leider nicht dabei.»

Zufrieden geht Willi nach Hause, das wird ein gutes Geschäft. Wenn alles gut läuft, wird es noch besser. Am Nachmittag besucht er einen Freund, welcher in der SA eine führende Position hat. Bei einem Bier beschwert er sich, dass es immer noch reiche Juden in Worms gibt, zum Beispiel diesen Dirigenten. Man sollte ihnen zeigen, wer hier das Sagen hat.

Als Willi in der Nacht mit seinem Leiterwagen beim Gartenhäuschen vorfährt, sind zwar die Gegenstände abholbereit. Nur der Dirigent ist nirgends aufzufinden, dabei würde ihm noch ein grösserer Betrag zustehenden. Ohne Probleme lädt er mit seinem Vater die Gegenstände auf den Leiterwagen. Möglichst leise verschwinden sie mit ihrer Beute aus dem Garten. Das Einlagern im Gartenhäuschen ist Routine.

Willi ist stolz auf sich, der Trick hat funktioniert. Als sein Freund am Vorabend mit seiner Horde, zwei Fensterscheiben einschlug, geriet der Dirigent in Panik und entschloss sich sofort unterzutauchen, bevor es zu spät war.

Am nächsten Morgen besuchte er seinen SA-Freund und schlägt ihm vor, zu kontrollieren, wie seine Einschüchterung gewirkt hat. Aus sicherer Entfernung beobachten sie das Haus und stellen fest, dass die Bewohner ausgezogen sind. Als die Strasse für einen Moment verlassen ist, steigen sie in das Haus ein. Wie von Willi erwartet, liegen immer noch viele Wertgegenstände herum. Man muss sich nur bedienen. Dabei achtet Willi darauf, dass sein Freund nicht zu kurz kommt.

Bis er wieder in die Wehrmacht einrücken muss, reicht es noch, um bei vier Juden ein ähnliches Geschäft abzuschliessen. Sein Vater ist zufrieden, die Gegenstände sind sicher versteckt. Nun ist es Zeit, mit dieser Art Geschäfte aufzuhören. Das hat er aus seiner Schmugglerzeit gelernt, man darf nicht zu gierig werden und muss rechtzeitig aufhören. Jetzt ist die SA an der Reihe und plündert noch die restlichen Juden aus. Die haben Pech gehabt, ihre Gegenstände werden beschlagnahmt, ohne dass sie ein Entschädigung erhalten, wenn man es so sieht, so haben die Juden, welche mit Willi ins Geschäft kamen, richtig Glück gehabt, er hat ihnen geholfen, wenigstens etwas zu retten.