Sohn der Engel

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„Ach, das stimmt doch gar nicht. Kann schon sein, dass so etwas auch vorkommt, aber das wird besser und besser. Du wirst deine Chance schon bekommen!“, versprach Nicolai und versuchte zu lächeln.

„Wirklich?“ Irina sah ihn an, als wäre er von einem anderen Stern. „Schau dir doch an, wer Lehrer am Gymnasium in der Stadt ist. Die Tochter des Bürgermeisters, die Nichte des Landrats. Und die hatten beide ein schlechteres Examen als ich, das weiß ich sicher. Nein, nein. Hier kriegt man keine Chance, wenn man keinen kennt!“

Nicolai wollte das nicht gelten lassen. „Du siehst einfach zu schwarz, Irina. Vielleicht ist im Moment noch nicht alles in Ordnung, aber es wird besser werden, jedes Jahr ein bisschen besser und dann wirst du deinen Traumjob schon noch bekommen.“

„Das glaubst du doch selbst nicht.“ Sie seufzte nochmals. „Und wenn es so ist, dann bin ich bis dahin eine alte Frau! So kann das nicht weitergehen. Ich habe jedenfalls keine Lust mehr darauf! Ich habe die Nase voll. Das muss sich ändern. Ich will eine Chance. Ich will etwas Neues!“

Nicolai sah sie nachdenklich an. „Was, was willst du mir damit sagen?“ Nicolai betrachtete sie mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Angst.

„Ich werde von hier weggehen, Nicolai!“

„Weg? Wohin denn?“

„Ich habe mich auf verschiedene Stellen in Deutschland beworben.“

„Deutschland?“ Er sah sie entsetzt an.

„Ja, als Deutschlehrerin, als Sekretärin und so weiter.“

Er schaute sie nachdenklich an. „Und, und was wird aus mir? Was wird aus uns?“

„Du kommst einfach mit!“

Er schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass ich das nicht kann. Ich muss mich um meine Mutter kümmern!“

„Dann kommt ihr einfach beide mit!“

„Man soll einen alten Baum nicht mehr verpflanzen!“, belehrte er sie. „Meine Mutter geht niemals von hier weg!“

„Dann kommst du einfach nach, wenn …!“

Er legte ihr schnell den Finger auf die Lippen zum Zeichen, dass sie schweigen soll. „Nicht, Irina, sprich nicht auch das noch aus. Es gibt heiligere Dinge als den Erfolg und den Beruf!“

Sie nahm seine Hand weg. „Hier geht es nicht nur um Gefühle!“, begann sie. „Hier geht es um Hunger und vielleicht sogar um Leben und Tod!“

Da schwiegen sie und sahen sich nur noch verständnislos an.

8

„Na los, Kevin, na los, mach schon, wisch die Kotze von dem Bruder weg!“, befahl Marc einem Mann im Clubhaus des Charters.

Der Mann sah Marc entsetzt an, man konnte sehen, dass er sich ekelte.

Die Member des Charters feierten eine Party, die Brüder standen an der Theke des Clubhauses und testeten ihre Trinkfestigkeit. Frauen waren keine anwesend.

„Männerabend!“, hatte Ugly Fred befohlen und alle Member waren gekommen.

Außerdem waren noch einige Hangarounds anwesend, also Anwärter auf den Prospectstatus. Diese mussten wie immer die Arbeit machen.

Einer bediente hinter der Bar, einige andere mussten Aschenbecher leeren, die leeren Flaschen wegbringen und neue Kästen für die Bar holen.

Einer der Brüder, Quickie Pete, war bekannt dafür, dass er nicht viel vertrug. Auch an diesem Abend hatte er schnell zu viel. Nach nur wenigen Bieren übergab er sich auf den Fußboden.

„Pete, der Reiher, wäre ein besserer Name für ihn!“, lachte ein Member namens Hot Heinz.

„Quicke Pete ist schon richtig für ihn!“, meinte der größte Bruder des Charters, den sie Big Mike nannten. „Beim Saufen und im Bett!“

Alle lachten.

„Na los!“, befahl Marc wieder. „Weg mit der Kotze!“ Er wandte sich an einen anderen Hangaround. „Und du holst einen neuen Kasten Bier!“, rief er dem Hangaround zu, der auch sofort reagierte und weglief.

„Und du, du fauler Hund …!“, wandte er sich an einen dritten Hangaround. „ … du räumst die Flaschen weg und leerst die Aschenbecher aus!“

Die Hangarounds kamen sofort ihren Aufträgen nach.

„Gefällt dir wohl, die Rumkommandiererei!“, meinte Ugly Fred zu Marc. „Macht dir wohl irgendwie Spaß!“

Marc nippte an seiner Flasche. „Hab mir meine Kutte genauso hart verdient, wie jeder andere hier!“, begann er gedehnt. „Zwei Jahre hab ich jeden Scheiß gemacht, den ihr mir befohlen habt, hab bei Partys bedient, hab´ das Gelände des Charters aufgeräumt und Müll weggebracht, hab´ das Clubhaus geputzt, hab´ eure Mopeds geputzt und aufgeräumt und, und, und!“ Er holte Luft.

Die anderen Member nickten stumm.

„Dann, nach zwei Jahren wurde ich endlich Prospect. Hab damals ´ne dicke Fete geschmissen für euch. Und mein Konto hab ich für den Charter geräumt. Und noch ein Jahr hab ich für das Charter bei allen Deals mitgemacht, die angefallen sind, hab Drogen auf der Straße vertickt und war dabei, wenn wir Geld eingetrieben haben. Hab noch ´n Jahr jede Arbeit gemacht, die im Charter angefallen ist. Erst dann, nach dieser endlos langen Zeit, die ihr alle auch durchgemacht habt, bin ich endlich Member geworden.“

Wieder nickten die Brüder stumm und warteten auf die Reaktion des Bosses. Aber der sagte nichts und hörte Marc nur interessiert zu.

„Und das war gut so! Nur so konnte ich euch beweisen, dass ich es ernst meine mit der Mitgliedschaft bei den Hells. Es war also eine Möglichkeit, meinen Brüdern zu beweisen, wie ernst ich es meine, ein Angel zu sein. Soll ich den Hangarounds diese Chance nicht geben!“

Die Brüder lachten laut auf.

„Gut argumentiert!“, meinte Ugly Fred und musste ebenfalls lachen. „Na dann, wenn du es so siehst, dann schön weiter so!“

Marc gab den noch nicht beschäftigten Hangarounds, also den Anwärtern auf den Prospectstatus, weitere Befehle.

„Aber ein bisschen macht dir die Angeberei schon Spaß!“, schob der Boss nach.

Marc dachte kurz nach. „Ich kann nicht sagen, dass es mich belasten würde!“

Alle lachten laut.

„Dann feste weiter so!“, meinte der Boss mit breitem Grinsen.

9

„Du hast es dir wirklich verdient!“, meinte Ugly Fred und nahm Hell Schorsch an seine Brust. „Du hast es dir verdient, heute zum Member ernannt zu werden!“

Die Member des Clubhauses standen mit ihren Mädchen und Frauen im Clubhaus und wohnten der Ernennung von Hell Schorsch zum Member bei.

Ugly Fred trat vor Hell Schorsch hin und hielt ihm die Kutte vor die Nase. „Du hast mehrere Jahre als Hangaround für uns gedient, du hast unser Clubgelände bewacht, hast unsere Maschinen gewartet, hast Müll weggeräumt, hast die Clubräume sauber gehalten, selbst das Scheißhaus geputzt, bei Partys bedient und danach aufgeräumt und das Geschirr gespült und warst immer zur Stelle, wenn einer von uns etwas gebraucht hat.“

„Das stimmt, du warst immer für uns da!“, bestätigte Bad Boy Tom.

„Als du Prospect geworden warst, hast du uns bei unseren Geschäften geholfen und warst immer bereit gestanden, wenn Not am Mann war. Rund um die Uhr konnte man auf dich zählen, egal was man wollte. Ob ein Member umzog oder seine Wohnung renovierte, egal ob einer einen Fahrer brauchte oder einen Tapezierer, du hast Rasen gemäht, Zäune gestrichen und Fenster geputzt, man konnte immer auf dich zählen. Du warst für unsere Rundumversorgung bei Partys zuständig und jeder von euch weiß, dass dazu nicht nur Essen und Trinken gehört.“

„Das kannst du laut sagen!“, meinte Knife und alle lachten.

„Deshalb sind wir Member einstimmig der Meinung, und einer solchen Ernennung müssen ja alle zustimmen, sonst wird es nichts, sind wir einstimmig der Meinung, dass du Member unseres Charters werden darfst. Und als Zeichen dafür überreiche ich dir hiermit deine Kutte!“

Er hielt die Kutte hoch.

Hell Schorsch betrachtete sie sich nachdenklich.

„Alles dran!“, meinte Ugly Fred. „Die drei Aufnäher der Hells Angels: Das Mittelstück mit dem Logo, der Totenkopf mit dem Flügel, auf dem top rocker oben der Clubname und auf dem bottom rocker unten der Name unseres Charters.“

Hell Schorsch drehte sich gerührt um und Ugly Fred streifte ihm die Kutte unter dem Beifall der Anwesenden über. „Von nun an bist du ein Hells Angel. Angel forever forever Angel!“

„Angels forever, forever Angels!“, riefen die Anwesenden und hoben ihre Bierdosen.

„AffA!“, rief Bad Boy Tom laut.

Und die Member wiederholten die Abkürzung für den Slogan der Angels.

„Einer für alle, alle für einen!“, rief Ugly Fred und die Anwesenden wiederholten auch dieses Motto.

Hell Schorsch schien den Tränen nahe und schluckte und stotterte, als er sich bedankte.

„Seine Tussi sieht nicht so glücklich aus wie er!“, zischte Marc Randy Andy zu und grinste. „Die denkt wohl eher an die vögelwilligen Weiber, die hier auf dem Gelände für uns stets bereit herumhängen!“

„Oder an die Kosten, die Schorsch schon hatte und die noch auf ihn zukommen. Die Kutte kostet Kohle, die Aufnahmegebühr, der Mitgliedsbeitrag ist kein Pappenstiel, die Einmalzahlung für die Erweiterung des Clubhauses, die Beiträge für die Germanykasse für Anwalts- und Gerichtskosten unserer angeklagten oder einsitzenden Brüder und die Party heute geht komplett auf seine Kosten. Und wir haben ordentlich Alkohol und Drogen besorgt, das kannst du mir glauben!“, listete Randy Andy auf. „Ich möchte nicht wissen, was seine Alte sagt, wenn sie erfährt, dass ihr Schorsch auch noch für Immobilienkredite des Charters mitbürgt!“ Er grinste ebenfalls und die beiden stießen mit ihren Bierdosen an.

„Warum soll´s ihm anders ergehen als uns?“, grinste Marc.

Hell Schorsch stotterte einige Worte des Dankes.

„Damit ist die Party eröffnet!“, meinte Ugly Fred und die Anwesenden stürzten sich auf ein von Prospects vorbereitetes und betreutes Buffet.

 

„Her mit Alkohol, Steaks und Koks!“, zischte Randy Andy Marc wieder zu und der nickte grinsend.

„Und mit den Girls. Sind ja einige da!“

„Aber auch ´ne Menge durchgeknallte, abgehalfterte Nutten!“

„Sauf und kokse sie dir schön!“, riet Marc.

Dann begaben sie sich ans Buffet und langten zu.

Eine Frau stand dicht hinter Marc. Sie berührte ihn mit ihrer Schulter. Er drehte sich um.

„Halloooo!“, sagte sie. „Ich bin Bad Kate!“ Sie lächelte ihn an.

„Hallo Katie!“, meinte er ebenfalls lächelnd.

„Vorsicht!“, schmunzelte sie. „Lass das nicht meinen Mann, Bad Mike, hören.“

Sie zeigte auf einen muskelbepackten Riesen, der sich noch mit Ugyl Fred unterhielt.

Marc nickte vorsichtig.

„Nur er darf mich Katie nennen. Alle anderen müssen mich Bad Kate nennen, sonst dreht er durch. Er meint, Katie sei zu vertraut!“

„Verstehe, Bad Kate!“ Er wandte sich wieder dem Buffet zu.

„Unterhalten darfst du dich schon mit mir, wenn du willst.“

„Warum sollte ich das wollen?“

„Weil ich ein hübsches Mädchen bin, oder findest du mich nicht hübsch!“

Marc musterte sie. „Ich weiß nicht, ob Bad Mike gefallen würde, was ich denke!“, schmunzelte er.

„Das genügt mir für´s erste!“, schmunzelte sie ebenfalls. „Suchst du mir was zum Essen aus?“

Er legte ihr einiges auf den Teller.

„Jetzt muss ich wieder zu meinem Mann!“

„Schön, dich kennengelernt zu haben!“, meinte sie und strahlte ihn an. Dann stöckelte sie davon.

Marc nahm sich ebenfalls etwas, lehnte sich an einen Pfosten und sah sich um.

Hell Schorsch stand strahlend vor Glück neben seiner skeptisch blickenden Frau. Er bemerkte es, nahm sie in den Arm, sah ihr tief in die Augen und küsste sie.

Als der Abend schon fortgeschritten war, bat Ugly Fred die Member in den Nebenraum. „Wir haben noch eine kleine Überraschung für Hell Schorsch!“

Die Member zogen sich in den Nebenraum zurück, alle anderen, inklusive Ehefrauen, mussten draußen warten.

Im Nebenraum empfing ein splitternacktes Mädchen die Männer.

„Die ist für dich!“, meinte Ugly Fred. „Zeig, was du kannst?“

Hell Schorsch war einen Augenblick ratlos.

„Na los, zeig was ein echter Angel mit ´ner Braut macht!“ Ugly Fred schubste ihn auf die Frau, die sich sofort daran machte, ihm die Hose zu öffnen. Gleichzeitig drückte sie seinen Kopf auf ihre Brüste und er begann unwillkürlich ihre Möpse zu lecken.

Die Angels brachen in Begeisterung aus. „Zeig´s ihr! Zeig´s ihr!“

Im nächsten Moment legte sich die Frau auf den Tisch und spreizte ihre Beine. Hell Schorsch drang unter dem Johlen der Brüder in sie ein und stieß in sie hinein, bis er kam. Die Member applaudierten und schrien begeistert.

Danach gingen alle zurück in den Clubraum. Plötzlich setzte lautstarke Heavy-Metal-Musik ein.

„Los geht´s!“, rief Ugly Fred laut aus und gab damit das Zeichen für die eigentliche Feier.

Hell Schorsch saß einen Augenblick verwirrt neben seiner ihn fragend anschauenden Frau, dann feierte er ebenfalls.

Und die Feier dauerte die ganze Nacht.

10

„So erschrocken, Bertie? So ein böses Gesicht, wenn du mich und meine Jungs siehst? Das ist aber gar nicht nett von dir, Bertie, was meint ihr Jungs?“

Marc war mit einigen Prospects unterwegs, um Schutzgelder einzutreiben. Nun waren sie in Berties Kneipe angekommen. Marc stand vor dem Tresen, hinter dem Bertie Gläser wusch und trocknete, und war von vier Prospects umringt.

Bertie hörte auf mit dem Gläserspülen, starrte sie hilflos, ängstlich, wütend und ohnmächtig zugleich an und stand wie zur Salzsäule erstarrt da.

Marc sah sich um. Nur wenige Gäste saßen um diese Zeit an den Tischen, aber doch zu viel für ihn. Er wollte keine Zeugen. „Schmeißt sie raus!“, befahl er seinen Männern.

Die ließen sich nicht lange bitten. Einem Mann nahmen sie sein Bier weg und forderten ihn auf, zu gehen. Als er sich weigerte gossen sie ihm das Bier über den Kopf und drohten ihm damit, ihm die Ohren abzuschneiden.

Der Mann war überzeugt, dass es besser war, nachzugeben und verließ hastig das Lokal.

Die anderen Gäste hatten die Szene mitbekommen und mussten nicht mehr überzeugt werden. Im Nu waren sie draußen und das Lokal leer.

„Sascha, geh zur Eingangstür und lass keinen rein!“

Der Mann tat wie ihm befohlen.

Marc wandte sich dem Kneipenwirt zu. „Ich bin hier, um das Schutzgeld abzuholen, wie du dir wohl denken kannst! Ich gebe dir fünf Minuten!“

Der Wirt antwortete mit zittriger Stimme. „Ich, ich, ich hab das Geld nicht. Die, die Geschäfte gehen schlecht, wie du vielleicht weißt!“

Marc spuckte verächtlich auf den Boden. „Quatsch keine Girlanden!“ Er trat ganz an den Tresen heran und starrte dem Wirt in die Augen. „Her mit der Kohle, sonst geht´s dir schlecht!“

Der Wirt wurde kreidebleich. „Ich, ich habe das Geld nicht, die Geschäfte gehen schlecht!“, wiederholte er. „Und der Eigentümer hat die Miete erhöht und ihr, ihr verlangt ja auch immer mehr!“

Wie aus dem Nichts schnellte Marc nach vorne, packte den Wirt und zog ihn auf die Theke. Im nächsten Moment lag er mit dem Kopf dicht an seinem Bauch. „Her mit der Kohle, zum letzten Mal, sonst zeig´ ich dir, wo´s lang geht!“

„Ich, ich habe nichts!“ Der Wirt flehte schon nicht mehr, da er in den vergangenen Monaten schon keinen Ausweg aus dem Dilemma mehr gesehen hatte. Er sackte kraftlos in sich zusammen, bereit, alles über sich ergehen zu lassen, was nun geschehen würde.

Marc ließ ihn los. „Charlie und Paul, ihr füllt ihn mit seinem Bier ab und ihr beiden zertrümmert eine Tischgruppe.“

Die Männer taten, was Marc ihnen befahl. Krachend zerbarsten Tisch und Stühle.

„Siehst du, das macht schon so viel, wie das Schutzgeld. Aber wenn du keinen Schutz mehr hast, da kann ich dir auch nicht helfen!“

Die beiden anderen Prospects packten den jammernden Mann, legten ihn auf den Boden, einer hielt ihn fest, was nicht nötig gewesen wäre, da sich der Wirt nicht wehrte, während der andere ihm ein Glas Bier in den Mund goss.

„Bitte, bitte, uuggh!“ Der Wirt wollte etwas sagen, aber sein Mund und seine Kehle waren im selben Moment voller Bier und er verschluckte sich, rang nach Luft und hustete wie wild.

„Sag uns, wo das Geld ist, sonst machen wir aus deiner Bude Kleinholz. Du hast schließlich keinen Schutz mehr!“, sang Marc fast vor Freude über das Böse, das sie taten.

Als der Wirt nichts sagte, befahl Marc seinen Leuten, den nächsten Tisch zu zerlegen und das nächste Bier nachzufüllen.

Die Prospects befolgten den Befehl, eine Tischgruppe nach der anderen wurde zerlegt und der Wirt rang nach Luft. Plötzlich wurde er ohnmächtig.

„Verdammt, der nippelt uns ab, wenn wir weitermachen!“, meinte einer der Prospects.

„Wenn schon!“, sagte Marc eiskalt. „Wenn er uns reinlegen will. Der hat bestimmt irgendwo Kohle.“ Er betrachtete den Wirt. „Lasst ihn und hört mit dem Zertrümmern der Einrichtung auf. Durchsucht die Bude. Vielleicht gibt es irgendwo ein Geheimversteck oder sogar einen Tresor. Diesen Typen darf man nicht trauen.“

Die Prospects durchsuchten zunächst die Kneipe, untersuchten Boden, Decke und Wände sogar auf Hohlräume.

„Das war in der Kasse!“, meinte Paul und gab Marc das Geld.

„Immerhin!“

Nun gingen die Männer nach oben in seine Wohnung.

Marc blieb unten, setzte sich auf einen Stuhl, rauchte eine Zigarette und betrachtete den Wirt. „Armseelige Gestalt!“

Nach einer Weile kamen die Prospects wieder herunter. „Nichts! Der hat wirklich nichts!“

„Verdammt!“, knurrte Marc mehr zu sich als zu den Prospects und sprang auf. „Die Einnahmen haben stark nachgelassen. Ugly Fred bringt mich um, wenn ich wieder so wenig bringe. Aber ist nichts mehr zu holen in dieser Gegend. „Im Gebiet der Bandidos sind die schicken Einkaufscenter, wo jeder Depp hinrennt! Da ist Kohle zu holen. Aber Vertrag ist Vertrag!“, bedauerte er.

Obwohl die beiden Motorradclubs Todfeinde waren, hatten sie sich vor Jahren geeinigt, weil sie wussten, dass bei offenen Streitereien die Polizei den Grund für das Zerschlagen beider Clubs hätte und also beide verlieren würden.

Die Prospect standen mit betretenen Mienen da.

Marc bemerkte es. „Okay, Leute, wir haben die Straße durch, für heute ist Schluss. Auf zu den Mopeds!“

Damit verließen sie die Kneipe, ohne an den Wirt auch nur einen einzigen Blick zu verschwenden.

11

„Achtung, der Typ macht die Fliege!“, rief Marc Wild Bill und den Prospects zu, die sie begleiteten. Er hatte ein knarrendes Geräusch hinter dem Haus gehört und es war ihm sofort klar, dass jemand ein Fenster geöffnet hatte, um zu fliehen. „Los, hinter das Haus! Schnappt euch den Kerl!“

Die Prospects spurteten voraus und Marc und Wild Bill hinterher.

Sie waren mit ihren Harleys auf´s Land gefahren, aber nicht, um einen netten Ausflug zu machen, sondern um in einem kleinen Dorf einen Mann zu besuchen, der einem mit dem Charter befreundeten Unternehmer Geld schuldete. Der Unternehmer hatte die Angels mit dem Eintreiben einer fünfstelligen Summe beauftragt.

„Wir sind auch ein Inkassounternehmen!“, erklärte Ugly Fred und die anderen Member hatten alle breit gegrinst. „Und selbstverständlich tun wir einem Freund auch jederzeit einen Gefallen!“

Marc und seine Jungs hatten schnell die Adresse des Mannes erfragt.

„Kevin Eckstein? Der wohnt am Ende des Dorfes, eigentlich schon ein bisschen außerhalb, da hinten, gleich neben dem Weiher“, zeigte ihnen ein Passant. „Komischer Vogel! Was wollt ihr denn von dem?“

„Wir sind zum Kaffeekränzchen eingeladen!“

„Der und Kaffeekränzchen? Hätte eher auf Hochprozentiges getippt!“, vermutete der Einheimische.

Nun dröhnten sie langsam durch den Ort, wie immer genoss Marc das Aufsehen, dass sie mit ihren Harleys und ihren Kutten bei den Passanten erregten, obwohl er sich dieses Mal gewünscht hatte, dass die Sache ohne Notiz der Öffentlichkeit über die Bühne gegangen wäre. Aber da das Haus des Mannes ja fast außerhalb des Dorfes lag, würde er darauf achten, dass es keine Zeugen gab für das, was gleich geschehen würde.

Er befahl zwei Prospects die Straße in beide Richtungen abzusichern, damit sie nicht überrascht würden. Den anderen Prospects erteilte er den Befehl, das Haus zu umstellen, aber da hörte er schon, dass jemand durch das Fenster türmte.

„Der verdammte Kerl hat sicher unsere Harleys gehört und sofort kapiert, was los ist. Schnappt ihn euch!“

Tatsächlich waren die Prospects schon dicht hinter dem Mann, als Marc hinter Wild Bill um die Hausecke bog und im nächsten Moment stellte ein Prospect dem Mann ein Bein, worauf dieser hinfiel. Gleich darauf lagen mehrere Prospects auf ihm und bogen ihm die Arme auf den Rücken, worauf der Mann laut aufschrie.

Einen Augenblick später waren Marc und Wild Bill bereits bei ihm.

„Wir sind hier, um von dir 50000 € zu holen, die du „Winter-Cooperation“ schuldest. Wir gehen nicht weg, bis wir sie haben!“, meinte er ohne Umschweife.

„Lasst mich los, verdammt noch mal!“, jammerte der Mann. „Ich weiß nicht, wovon ihr sprecht! Ihr tut mir weh. Ich zeige euch bei der Polizei an!“

„Es ist ganz einfach: Wir werden dir so lange wehtun, bis wir das Geld haben. Wenn du uns das Geld gleich gibst, musst du nicht lange leiden, wenn du es uns erst in fünf Stunden gibst, wirst du fünf Stunden leiden!“

„Ich weiß nicht, wovon ihr sprecht!“

Marc sah Wild Bill an. „Hast du eine Idee?“

Wild Bill sah sich um. „Da ist der Weiher!“

Marc verstand. „Schleppt ihn zum Wasser!“

Die Prospects taten, wie befohlen. „Und nun?“, fragte einer.

„Untertauchen!“, befahl Wild Bill, weil Marc schwieg.

Die Prospects hielten den Kopf des Mannes unter Wasser.

„Auftauchen!“, meinte Marc nach einer ganzen Weile.

Der Mann schluckte röchelnd nach Luft. „Ich, ich habe kein Geld. Ich habe nichts!“

„Untertauchen!“, befahl Wild Bill.

„Auftauchen!“, meinte Marc wieder nach einer Weile.

„Ich, habe nicht so viel Geld zuhause. Niemand hat so viel Geld zuhause!“

Marc trat ganz nah an den Mann heran. „Unser Auftraggeber hat sich erkundigt und weiß, dass du gute Geschäfte gemacht hast. Irgendwo hast du viel Geld, auf jeden Fall genug für unseren Mandanten.“ Er zündete sich eine Zigarette an. „Ich rate dir, dass du uns das Geld heute gibst, sonst lasse ich dich hier ertränken. Da kannst du sicher sein!“

 

Er sah den Mann aus so eiskalten Augen an, dass dieser erschrak.

„Okay!“, meinte er dann. „Untertauchen, aber dieses Mal länger als bisher. Fünf Minuten dieses Mal, keine Sekunde weniger. Mal sehen, ob du das überlebst!“

Die Prospects holten schon aus, um den Kopf des Mannes erneut unter Wasser zu tauchen, als dieser mit flehender Stimme losschrie. „Nein, nein, nein, bitte nicht. Ich bezahle, ich bezahle!“

Die Prospects hielten inne und sahen Marc an.

„Führe uns zum Schotter!“

Im nächsten Moment standen sie alle im Büro des Mannes, während der am Computer saß. Er transferierte die geforderte Summe auf das Konto des Unternehmers.

„Ganz schönes Sümmchen, das du da auf deinem Schweizer Konto hast!“, meinte er genüsslich. „Nachdem du 50000 € auf das Konto unseres Klienten überwiesen hast, tust du das gleich nochmal auf dieses Konto.“ Er hielt ihm die Bankverbindung des Charters hin.

„Seid ihr verrückt, ich denke gar nicht daran!“

„Mach es, wenn du lebend aus der Sache rauskommen willst. Du hast mich schon genug Mühe gekostet!“, konterte Marc trocken. „Mach es, sonst lass ich dich nochmals ins Wasser. Und zwar für zehn Minuten.

Der Mann begriff, dass es Marc ernst war und überwies das Geld.

„Das gibt ´ne tolle Fete!“, meinte Wild Bill.

Marc gab den Männern den Befehl zum Rückzug und auch er und Wild Bill gingen zur Tür.

Dann wandte sich Marc nochmals um. „Und keine Polizei!“ Er hob belehrend die Hand. „Ein Wort zu irgendjemandem und wir kommen wieder. Vielleicht nicht ich, aber irgendeiner meiner Brüder. Und das überlebst du nicht.“ Er grinste den Mann breit an. „Du hast Glück gehabt, Mann, verdammtes Glück!“

12

„Und diese tolle Party heute, die haben wir diesen beiden Brüdern zu verdanken!“, meinte Ugly Fred, der Boss des Charters. „Unserem Wild Bill und unserem Bad Marc. „Ein dreifach Hoch auf die beiden!“

„Hoch, hoch, hoch!“, riefen die anderen Angels im Chor, hoben die Flaschen, stießen miteinander an und tranken.

Fred hatte sofort beschlossen, eine Party zu schmeißen, als Marc und Bill von ihrer Inkassoaktion zurückkamen.

„Um die Gemeinschaft zu stärken!“

Dann hatte er sich an Marc gewandt. „Du bist mir vielleicht ein Teufelskerl, zockst dem Kerl nicht nur die Inkassosumme ab, sondern zwingst den Typen auch noch, eine kleine Spende an uns zu überweisen. Alle Achtung!“

„Selbst schuld, wenn er seine Schulden nicht bezahlt!“

„Was hättest du eigentlich gemacht, wenn er nicht gezahlt hätte?“

„Dann hätte ich ihn ertränken lassen!“

Ugly Fred hielt sich selbst für hartgesotten, aber bei Marcs Worten und seinem ernsten Blick wich er unwillkürlich zurück. Er bemerkte es und richtete sich schnell wieder auf, um nicht den Eindruck von Schwäche zu erwecken.

„Jedenfalls war meine Idee mit der Party wieder einmal richtig. Endlich sind wieder einmal alle Member da!“

Tatsächlich platzte das Clubhaus aus allen Nähten. Viele Brüder standen mit ihren Bierflaschen dichtgedrängt an der Theke und unterhielten sich. Manche hatten Frauen, denen man ansah, dass sie nicht mehr frisch waren und schon allerhand erlebt hatten, im Arm oder auf dem Schoß.

Andere lungerten in den Ecken des Charters, ebenfalls mit einer Flasche Bier in der Hand, herum oder befummelten leicht bekleidete Frauen.

Wieder andere tanzten in der Mitte des Raums, in der einen Hand die Bierflasche, in der anderen ein leichtes Mädchen.

Auf der Terrasse vor dem Haus grillten einige Hangarounds, andere versorgten die Member mit Getränken. Die Prospects überwachten die Hangarounds.

Aus der Musikbox des Clubhauses dröhnte „AC/DC“, die Luft war geschwängert von Zigarettenrauch und dem stinkenden Bieratem der Angels.

In der Mitte des Clubhauses hatte der Boss einen Tabledance organisiert. An der Stange tanzte sich ein nicht mehr ganz junges und etwas zu fülliges Mädchen ab.

„Hab ich aus einem unserer Puffs kommen lassen, zusammen mit einigen der Frauen!“, erklärte Ugly Fred.

Dann nahm er Marc beiseite. „Du bist ein wahrer Teufelskerl“, begann er langsam.

Marc sah ihn fragend an.

„Ich will dir sagen, dass ich in meinem Alter langsam an meine Nachfolge denken muss!“

„Soll das heißen, du denkst an mich?“

„Das ist so!“, meinte Ugly Fred weiter. „Du hast in den letzten Jahren schon viel für den Charter getan. Du bist ein guter Organisator, du bist knallhart, die Brüder respektieren dich, mögen dich. Und du kannst gut Moped fahren!“

„Aber du stehst doch voll im Saft!“

„Danke, dass du das sagst!“ Fred grinste. „Die Wahrheit ist, dass ich nicht mehr so gesund bin, wie du meinst. Und du wirst es nicht glauben: Ich bin Opa geworden. Und das heißt, dass ich mich aus dem Trubel zurückziehen will, um mich um meine Familie zu kümmern!“

„Die Angels sind doch deine Familie!“

„Glaub mir, es gibt auch noch was Anderes!“

„Das von dir?“ Marc sah ihn überrascht an.

Fred flüsterte Marc fast ins Ohr. „Ich habe jedenfalls vor, dich bei unserer nächsten Sitzung als Road Captain vorzuschlagen. Wegen mir auch als Sergeant at Arms. Egal, was dir lieber ist, wonach dir der Sinn steht, was dir mehr liegt!“ Er sah Marc fragend an.

„Tja, ich weiß auch nicht!“

„Nach einem Jahr schlage ich dich zum Vizepräsidenten vor und wieder ein Jahr später übernimmst du den Laden. Keine Angst, wenn ich für dich bin, wird keiner der Brüder dagegen sein!“

„Wie kommst du darauf, dass ich Angst habe?“

„Nur so ´ne Redewendung!“, lachte Fred. Überleg es dir!“

„Werde ich!“

Plötzlich fuhren die beiden herum. Auf der Tanzfläche gab es einen Tumult. Zwei Angels standen sich mit Messern gegenüber.

„Lass´ meine Frau in Frieden!“, schrie der eine den anderen an.

„Sie kann doch tanzen, mit wem sie will!“, brüllte der andere Angel.

„Aber nicht so, wie du das gemacht hast: Ich habe klar gesehen, dass deine Hände an ihrem Arsch und an ihren Titten waren!“

„Wenn schon!“

Die beiden umlauerten sich. Plötzlich stieß einer der beiden mit dem Messer nach dem anderen Angel. Dieser wich zwar wenig geschickt aus, aber er wurde nicht getroffen, da der Stoß nicht zielgerichtet war. Beide waren zu betrunken, um ernsthaft kämpfen zu können.

Im nächsten Moment war Marc heran, kickte ihnen mit zwei Tritten die Messer weg, packte sie und stieß ihre Köpfe zusammen, so dass die beiden zu Boden fielen.

Die Member lachten laut auf.

Marc packte den einen der Männer, zog ihn zu sich hoch und schrie ihn an. „Die Frau eines Bruders ist absolut tabu, verstanden! Das ist eine Weltregel.“

Der Mann nickte erschrocken.

Die Member klatschten und jubelten Marc zu.

Die beiden verkrochen sich in die Ecken des Clubhauses.

Fred kam wieder zu Marc heran. „Siehst du, du bist der richtige Mann für den Charter.“ Er zeigte auf die Angels. „Sie respektieren dich nicht nur. Sie lieben dich. Weil du die Regeln lebst, Marc. Glaub mir, du bist der Richtige. Überleg es dir!“

Damit ließ er ihn nachdenklich stehen.

In Marc kam ein ungekanntes Gefühl der Wärme und der Stärke auf.

13

„He, verdammt noch mal! Was soll das? Raus mit euch, aber dalli!“ Der Mann war hinter seinem Schreibtisch aufgesprungen und beobachtete entgeistert, wie Marc und Bad Boy Tom in sein Büro stürmten und auf ihn zustürzten. Die beiden packten ihn wortlos an den Armen.

„Verdammt noch mal! Ich hole die Polizei!“, rief er wütend aus. Dann wandte er sich in Richtung Eingangstür. „Hören Sie mich, Judith. Rufen Sie die Polizei! So rufen Sie doch die Polizei. Ich werde überfallen.“

„Judith holt niemanden, das ist sicher. Judith schläft und glauben Sie mir, das ist das Beste, was sie tun kann im Moment!“ Marc drückte den Mann in seinen Sessel.

Der stammelte überrascht wirres Zeugs vor sich hin.

„Du kannst dir sicher vorstellen, warum wir da sind! Man sieht uns ja an, woher wir kommen!“, knurrte Tom den Mann an.

„Klar!“, meinte der verächtlich. „Jeder kennt eure komischen Faschingskostüme.“ Der Anflug eines Grinsens machte sich auf seinem Gesicht breit.

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