Weltreligion versus Sexualität

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Neben den Gemeinschaften großer Weltreligionen existiert eine große Anzahl kleinerer Gruppen unterschiedlichster Glaubensausrichtungen. Die Spannweite geht von neuen religiösen, ideologischen und weltanschaulichen Gemeinschaften und Bewegungen bis zu konfliktträchtigen Psychogruppen. Diese sogenannten Sekten sind Gemeinschaften, die nur sich für alleinseligmachend halten. Wenn auch das Christentum als Sekte aus dem Judentum hervorgegangen ist (die ersten Christen wurden als „Sekte der Nazarener“, eine Richtung des Judentums, bezeichnet), so bekam während der allmählichen Entstehung und Ausbreitung das Wort Sekte im kirchlichen Sprachgebrauch abwertenden Charakter und verbindet sich heute mit negativen Vorstellungen. Unzählige religiöse Gruppierungen mit autoritär-charismatischen Führergestalten (insbesondere in den USA) fordern von ihren Anhängern radikale Disziplin und Unterwerfung.

Die klassische Religion hat längst ihren gesellschaftlichen Stellenwert verloren und befindet sich in einem Bewusstseins- und Strukturwandel. In einer Welt, in der moralischer Anspruch und gesellschaftliche Wirklichkeit weit auseinander klaffen, hat sich unser Glaubensverständnis im Laufe der Zeit verändert. Religion ist plötzlich von bemerkenswertem Widerspruch geprägt. Und allen ist eines gleich. Es ist dieser feste Glaube im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein und der damit verbundenen Unfähigkeit, andere Weltbilder zuzulassen. Allerdings scheinen fast sämtliche Religionen und Sekten schiere Angst vor einer Weiterentwicklung der Gesellschaft zu haben. Über den Glauben lässt sich kaum streiten, über Religion aber schon.

Die Entwicklung der Kirche geht heute in die falsche Richtung, in Richtung Fundamentalismus. Und zwar weltweit und in allen Offenbarungsreligionen. Fundamentalismus – ob jüdischer, christlicher oder islamischer Prägung – mag Bildung und Aufklärung nicht. Und wenn eine Religion einen alleinigen Besitzanspruch auf die Wahrheit erhebt, dann kommt sie auch schnell in die Gefahr eines Fundamentalismus, der andere abwertet.

JUDENTUM UND SEXUALITÄT

Gesetze und Riten – Religiöse Vorschriften – jüdische Moralvorstellungen – Die Rolle der Frau im Judentum – Homosexualität im Judentum – Wie steht die Tora zum Thema Schwangerschaftsabbruch – Beschneidung und Judentum

Gesetze und Riten

Der jüdische Glaube war die erste Religion, die weit in der Welt verbreitet war. Im Judentum kann man Glauben und Alltag nicht trennen. Juden folgen nicht einem Gott, sondern dem Gott. Zwar akzeptieren auch sie Konvertiten, doch ihre Gesetze und Riten – von der Beschneidung bis hin zu den Speisevorschriften – sind so streng, dass nur wenige zu ihnen übertreten. In die Religion der anderen wird man aufgenommen, ins Judentum hineingeboren. Man kann zwar unter bestimmten Bedingungen auch als Nicht-Jude zur jüdischen Religion übertreten, genauso, wie man das Bekenntnis anderer Religionen annehmen kann. Aber als Jude wird man zunächst einmal geboren. Jude ist, wessen Mutter Jüdin ist. Andere Religionen bilden Gemeinden, die Juden sind ein Volk – ein stolzes, denn ihr Volk ist das von Gott auserwählte. Die Geschichte des Judentums – es ist auch die Geschichte eines rast- und ruhelosen Volkes, eine Geschichte voller Leid und Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung. Eine nachdenkliche, irreal anmutende Geschichte von den Abgründen der Menschheit, von Hass und Angst und Intoleranz. Fast wäre ihr Ende bereits besiegelt gewesen. Doch das Judentum hat überlebt, hat sich beständig gewehrt gegen das Vergessen. Von ihm ging eine entscheidende Beeinflussung des Christentums und des Islams aus. Im Jahr 600 n. Chr. waren jüdische Gemeinden bis nach China, Indien und Afrika verstreut. Es ist nicht eindeutig zu beantworten, wer letztendlich ein Jude ist. Auch im Judentum selbst ist dies eine bis heute sehr umstrittene Frage.

Erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es wieder einen jüdischen Staat, den Staat Israel. Jahrhundertelang hatten die Juden aber kein nationalstaatliches Territorium und gehören daher bis heute unterschiedlichen Nationen an. Judentum kann also mit Vokabeln umschrieben werden wie Religion, Volk, Kultur, Glaubens-, Schicksals- oder Traditionsgemeinschaft. Die jüdische Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide hat auf die Frage „Wer ist Jude?“ folgende Antwort parat: „Jude ist man, wenn man als Jude geboren wird, hineinkonvertiert oder nicht hinauskonvertiert.

Die orthodoxen Juden glauben, dass die Worte der Thora (Weisung) die Worte Gottes sind, die er vor 3000 Jahren auf dem Berg Sinai an Mose weitergab. Darin steht die frühe Geschichte der jüdischen Religion und des Volkes Israel. Zudem regelt die Thora viele Fragen des jüdischen Alltags. Sie wird stets mit Ehrfurcht behandelt. Eigens dafür ausgebildete Schreiber übertragen ihren Text auf Pergamente, die zu Rollen zusammengeheftet und im Wortgottesdienst in der Synagoge hervorgeholt werden. Die orthodoxen Juden verstehen die Thora als unmittelbar von Gott offenbart. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, wird im Alltag befolgt. Orthodoxe Juden ernähren sich stets koscher und beachten strikt eine große Anzahl ritueller und liturgischer Regeln, zum Beispiel die Einhaltung des Sabbats (Ruhetag). Das konservative Judentum versteht sich als Mittelweg zwischen orthodoxem und progressivem Judentum. Es will einerseits jüdische Tradition bewahren, andererseits aber mit dem jüdischen Religionsgesetz vereinbare Modernisierungen durchsetzen. Liberale Juden hören es nicht gerne, wenn man sie Juden nennt. Man zieht das Wort „mosaisch” vor. Es gibt orthodoxe und ultraorthodoxe Juden, konservative, liberale und progressive.

Auf der Welt leben weit mehr als sieben Milliarden Menschen. Davon sind geschätzte zwei Milliarden Christen und 1,5 Milliarden Muslime. Gegenüber diesen enormen Zahlen ist das Judentum unter den Weltreligionen eine relativ kleine Religionsgemeinschaft. Gegenwärtig gibt es weltweit etwa 13 bis 15 Millionen Juden. Ein Grund für die geringe Expansion ist, dass Juden nicht missionieren, also keine neuen Anhänger ihrer Religion werben.

Woran glauben die Juden? Die Welt des Judentums ist eine Welt der Gesetze. Alles beruht auf der Offenbarung, die Moses von Gott empfangen haben soll. Ganz anders das Christentum, das aus der streng patriarchalischen Tradition der altjüdischen Religion hervorgegangen war: Für Juden ist sie die Thora, das Grundgesetz ihrer Religion. Christen kennen die Geschichte von den zehn Geboten, die Moses aufgeschrieben hat. Juden lesen 613 Vorschriften aus der Tora, 248 Gebote und 365 Verbote. Sie sollen Gott lieben. Sie sollen Gott fürchten. Sie sollen keine Nichtjuden heiraten. Sie sollen Almosen geben. Sie sollen keine Lebewesen essen, die im Wasser leben, außer Fisch. Viele der 613 Vorschriften sind sehr konkret. Wenn einer auch nur einen einzigen Menschen rettet, dann ist das, als hätte er die ganze Welt gerettet, sagt der Talmud (Belehrung, Studium).

Die hebräische Bibel empfiehlt, eine Ehe auf der Grundlage von sinnlicher Begierde aufzubauen – anders als das Neue Testament, das die Rolle der Liebe betont. In jüdischen Schriften dagegen ist Sinnenlust nicht nur eine Empfehlung, sondern ein Gebot. Natürlich geht es dabei nicht um verbotene Lust. Die Bibel bezeichnet die Lust als heilig, und die Lust eines Mannes auf seine Frau ist Gott lieb und teuer. Mit der Forderung der mosaischen Religion, dass alle sexuellen Aktivitäten in die Ehe zu kanalisieren sind, setzte eine fundamentale Veränderung der antiken Welt ein.

Das Verbot von außerehelichem Sex durch die Thora war, schlicht gesprochen, das Initial der westlichen Zivilisation. Gesellschaften, die der Sexualität keine nennenswerten Grenzen setzten, gerieten ins Hintertreffen. Daher ist es legitim, die sich daraus ergebende Vorherrschaft der westlichen Welt zu einem erheblichen Maß der sexuellen Revolution zuzuschreiben, die im Judentum ihren Anfang nimmt und später vom Christentum weitergetragen wurde. Die Revolution bestand darin, den Geist der Sexualität in die Flasche der Ehe zu zwingen. Damit wurde die alles dominierende Rolle von Sexualität in der Gesellschaft zurückgedrängt. Dies war die Voraussetzung dafür, dass die allgemeine Wertschätzung von geschlechtlicher Liebe zwischen Mann und Frau wachsen konnte, (was die Entfaltung von Liebe und Eros in der Ehe als den Maßstab erst möglich machte), und der beschwerliche Prozess, den wir die Verbesserung der Stellung der Frau nennen, seinen Anfang nehmen konnte.

Zahlreiche jüdische Moralvorstellungen wurden vom späteren Christentum übernommen. So lehnten auch die christlichen Kirchen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe, Inzest, Ehebruch, Prostitution, Selbstbefriedigung und Homosexualität ab. Im Unterschied zum Judentum wurden dort auch Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit als Mittel angesehen, um Gott besser dienen zu können. Wie viele angenehme Dinge des Lebens, ist auch die Sexualität im Judentum nichts schlechtes, sondern sogar etwas (sehr) Gutes. Das lassen schon Zitate aus dem Talmud erahnen.

Ähnlich ist es beim Essen. Es wird nicht nur zur bloßen Nahrungsaufnahme herabqualifiziert. Es kann mehr sein als das. Allerdings innerhalb gewisser Leitlinien. Hier haben wir die „Kaschrut“, die die Nahrungsaufnahme regelt und aus einer „natürlichen“ Handlung eine „heilige“ macht. Die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau hat nicht nur den Zweck der Fortpflanzung, aber natürlich auch diesen. Denn „Seid fruchtbar und mehret Euch“ (1.B.Mose 1,28) ist die erste Mitzwah (Gebot im Judentum) in der Thora.

In der Realität gibt es sehr wenige Einschränkungen, was die konkreten Spielarten der Sexualität betrifft. Vorzuziehen ist zwar, dass Mann und Frau sich während der Vereinigung anschauen können. Aber es ist kein Zwang, sondern zwischendurch können Mann und Frau auch vollkommen anders zu Werke gehen und die Stellungen durchaus wechseln. Überhaupt gehört Sexualität im Judentum zum menschlichen Leben und ist kein Tabuthema. Lust ist ein völlig legitimer Bestandteil der Sexualität. Der Schabbat, genauer genommen, der Freitagabend gilt gemeinhin als besonders guter Zeitpunkt für sexuelle Aktivitäten. Man kann sogar sagen, es sei eine Mitzwah, am Freitagabend Sex zu haben. Der eheliche Verkehr gehört damit zur Schabbatfreude. Die ultraorthodoxen Juden, von denen eine überwiegende Mehrheit in Jerusalem lebt, ist immer noch eine befremdlich verschlossene Gesellschaft mit Regeln und Ritualen aus uralten Zeiten. Es ist ein Stück Israel, Lichtjahre entfernt vom lockeren Strandleben am Mittelmeer und einer zum Westen hin orientierten Jugend. Hier begegnet man häufig Männern mit langen, geringelten Schläfenlocken, bekleidet mit einem schwarzen Kaftan. Frauen spielen, wie im Islam, eine untergeordnete Rolle. Sie müssen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch oder eine Perücke tragen und im Bus stets hinten sitzen. Die Einwohner des alten Judenviertels von Jerusalem sind stets von einer dichten Schar Kinder umgeben, die die rituellen Kleidersitten ihrer Eltern bereits eifrig nachahmen. Die verheirateten, jüngeren Frauen sind – falls sie nicht gerade einen Säugling auf dem Arm tragen – ausnahmslos schwanger. Die laizistischen Israeli haben nur Spott übrig für diese streng religiösen Familien, bei denen die Zahl der direkten Nachkommenschaft nicht selten zwischen zehn und fünfzehn schwankt. Da sie kein Fernsehen einschalten dürfen und jeder weltlichen Vergnügung aus dem Weg gehen, bleibt ihnen wohl nur die Freude der Zeugung. Aber beim Anblick dieser in sich gekehrten Gemeinde kommt der Verdacht auf, dass sogar die Fortpflanzung von ihnen eher als eine heilige Pflicht denn als Fleischeslust empfunden wird. Die Fundamentalisten haben das Sagen in dieser überholten Lebensform. Sie maßregeln das Leben mit ihrer mittelalterlichen Ideologie und versuchen denselben Lebensstil zu pflegen wie vor tausend Jahren. Die Regel zu ändern, ist für sie undenkbar.

 

Jerusalem, die Heilige Stadt von Juden, Muslimen und Christen hat wenig Platz für Andersartige. Denn dort gewinnen die ultra-orthodoxen Juden immer mehr Einfluss. Der Journalist und Publizist Peter Scholl-Latour behauptet in seinem Buch „Lügen im Heiligen Land”, dass viele der säkular eingestellten Bewohner Jerusalems erwägen, in eine andere Stadt umzusiedeln, um der Intoleranz der Ultra-Orthodoxen und deren Selbstgerechtigkeit zu entgehen. Es graut vielen vor der Sabbat-Polizei (Religionswächter) den „Mutawa“ Saudi-Arabiens durchaus verwandt, die die Schließung aller Geschäfte zwischen Freitag und Samstagabend kontrollieren. „Sabbat-Schänder” werden mit Strafzettel belegt. Sie sind gegen Discos, in denen angeblich die enthemmte Lebensfreude einer neuen, vorurteilsfreien, ja hedonistischen Generation explodiert. Gegen Jüdinnen, die sich mit nacktem Busen der Sonne aussetzen, gegen Prostitution, gegen Homo-Treffs. In Tel Aviv – so heißt es bei den Eiferern der Thora – seien Sodom und Gomorrha aus ihrer Asche auferstanden. Der heidnische „Hellenismus“ der Neuzeit habe in Tel Aviv seine zentrale Bastion bezogen und kontrastiert mit der heiligen Reinheit Jerusalems. Dieses sei das neue Samaria, so klagen die Frommen. Hier steht – in historische Erbfolge – Israel gegen Juda.

Der Zölibat, wie ihn die katholische Kirche seit der Reformkrise unter Papst Gregor VII. im 11. Jahrhundert vorsieht, existiert im Judentum nicht. Ebenfalls wurde das Mönchtum von jeher abgelehnt. Trotzdem gibt es besonders asketisch lebende Kabbalisten (mystische Traditionalisten des Judentums), für die beharrliche Enthaltsamkeit eine große Rolle spielt. Sie versuchen sexuell asketisch zu leben. Das heißt aber nicht, dass sie Sex generell meiden. Das widerspräche der Lehre der Thora. Vielmehr versuchen sie beim Sex keine erotischen Gedanken zu entwickeln, der Verkehr soll lediglich der Fortpflanzung dienen. Scheidung und Wiederheirat sind im Judentum übrigens möglich, ebenso wie die Empfängnisverhütung. Jedoch verbietet die jüdische Religion entschieden die Homosexualität.

Das Ausleben sexueller Bedürfnisse innerhalb einer Ehe gilt aus jüdischer Sicht als wichtiger Bestandteil jenes „geheiligten Bündnisses“. Schließlich geht das Judentum davon aus, dass jeder erwachsene Mensch ein natürliches Bedürfnis nach Sexualität verspürt. Der Talmud sieht daher neben der materiellen Fürsorge für die Familie die Sexualität als grundlegende Pflicht des Ehemannes gegenüber der Ehepartnerin, ja berechtigt darüber hinaus, ehelichen Sex einzufordern. Das biblische Gebot „Seid fruchtbar und mehret Euch“ verpflichtet den Mann zur Zeugung von mindestens zwei Kindern, möglichst einem Jungen und einem Mädchen.

Fruchtbar sein und Nachwuchs zeugen ist im Judentum keine Frage des impulsgesteuerten Triebes, sondern Gottes Auftrag. Allerdings ist der allgemeine Körperkontakt und das Ausleben der Sexualität zwischen Ehemann und Frau auf bestimmte Tage beschränkt. Das Gesetz der Familienreinheit verbietet während der Menstruationszeit den körperlichen Kontakt. Diese Zeit wird durch einen Besuch der Frau in der „Mikwa“, dem rituellen Tauchbad, beendet.

Zahlreiche Juden interpretieren eine Vielzahl religiöser Gesetze auf ihre Art. Für sie gibt es Gebote, die in der Bibel stehen, und solche, die später geschrieben und jeweils auf eine gewisse Weise interpretiert werden. Das jüdische Gesetz hat viel Flexibilität und Raum für Kreativität, wenn die Gesellschaft danach verlangt Und nicht wenige Juden, auch die religiösesten, haben ihre Auslegung, die neu ist und mit gewissen Problemen auf gewisse Weise umgeht. So haben sie beispielsweise ihre Art, mit Gesetzen über die Homosexualität umzugehen. Es gibt eigentlich kein Gesetz dagegen, schwul zu sein, es gibt aber Vorschriften gegen spezifische Akte und Handlungen, und es gibt die Möglichkeit, das zu interpretieren.

Die Rolle der Frau im Judentum

Wie auch in anderen Religionen hatte die Frau im Judentum von Beginn an eine untergeordnete Rolle. Das System des Judentums begünstigte die Männer gegenüber den Frauen. Sie lebten streng nach der Thora, in der steht, dass Frauen sich den Männern unterordnen, Kinder gebären und erziehen sollen. Diese Grundlage der traditionellen jüdischen Sicht zur Stellung der Frauen in Familie und Gesellschaft entspringt einer patriarchalischen Kultur biblischer und talmudischer Zeiten.

Macht und Autorität waren männliche Monopole und während Söhne vom frühen Alter an eine (religiöse) Ausbildung erhielten, wurden Mädchen so gut wie gar nicht unterrichtet. Den Frauen blieb auch weitgehend die Beteiligung am aktiven religiösen Leben der Synagoge verwehrt. Es ist heute nicht genau bekannt, ab wann die Absonderung der Frauen von den Männern erfolgte, doch schon mittelalterliche Synagogen hatten separate Räumlichkeiten, den Frauenbereich. Der Frauenbereich wurde als weniger heilig, als der Männerbereich betrachtet. Lange Zeit wurde eine Abteilung für Frauen erst nach dem eigentlichen Bau der Synagoge in Betracht gezogen, denn verhältnismäßig wenige weibliche Gemeindemitglieder besuchten den Gottesdienst. Das jüdische Gesetz legte bei Frauen eine Sonderregelung fest, die es gestattete, Verpflichtungen des Gottesdienstes zu vernachlässigen, weil ihnen die häuslichen Pflichten oblagen. Wenn sie am Gottesdienst teilnahmen, dann hatten sie sich hinter einem Gitter oder einem Vorhang zu verstecken. Dort leitete eine Vorbeterin das Gebet, wobei es den Frauen untersagt war, von den Thorarollen zu lesen. Auch das Amt als Rabbiner oder Kantor, sowie das Lernen von Hebräisch, wurde verboten und so besaß der Frauenbereich der Synagoge weder eine heilige Lade (beherbergt die Thora Rolle) noch einen Almemor (Altar). Oftmals war es den Frauen nicht möglich, den Gottesdienst der Männer zu verstehen. Man erreichte somit, dass die Predigten allein den Männern vorbehalten waren. Der Gottesdienst wurde zu einem sogenannten „Männerklub“. Während die Männer früher also beteten und sich dem religiösen Leben hingaben, konnten die Frauen ihre Erfahrungen in Sachen Mode austauschen und gaben sich mit Inbrunst dem Klatsch hin. Erst mit den Reformern im 19. Jahrhundert gab es ein Entgegenkommen der Männer. In vielen Synagogen wurden die Gitter der Frauenbereiche niedriger gebaut oder ganz weggelassen. War der Frauen- und Männerbereich durch eine Mauer getrennt, so kam es zu einer Öffnung mittels Durchbrüchen oder zu einem vollständigen Abriss. Nach den Reformern war es der Frau auch gestattet, unbehindert und aktiv am religiösen Leben teilzunehmen. Trotz der weiterhin andauernden Geschlechtertrennung war es für die Frau nun möglich, den Mann beim Gottesdienst zu sehen und andersherum. Man erreichte eine Integration der Frau innerhalb der Synagoge.

Die minderwertige Stellung der Frau im Judentum wird auch im Reinheitsprinzip deutlich. In der Mikwe werden Personen oder Gegenstände gewaschen, die von Unreinheiten unterschiedlicher Herkunft gereinigt werden müssen. Denn oftmals wird Unreinheit mit dem Tod verbunden. Wer also mit einem Toten in Kontakt war oder gar mit ihm unter einem Dach schlief, wurde als nicht rein bezeichnet. Ebenfalls macht die Monatsblutung die Frau in der Vorstellung des traditionellen Judentums unrein. Während der Zeit der Unreinheit, also dem Zeitraum der Monatsblutung und den darauffolgenden sieben Tagen, ist der Geschlechtsverkehr mit dem Ehepartner verboten und erst nach dem Untertauchen der Frau in der Mikwe wieder gestattet. Für die Frau gibt es also die Pflicht der Enthaltsamkeit während ihrer Periode der Unreinheit. Dieses Gesetz ist das Nidda-Gesetz, das Gesetz der Familienreinheit. Das Eintauchen in der Mikwe gilt auch vor einer Hochzeit. Am Vorabend der Hochzeit ist es eine Pflicht für die Braut, das Ritual des Untertauchens in der Mikwe auszuüben.

Früher war der Rechtsstatus für Frauen ebenfalls nur gering. Man könnte ihn mit dem von Sklaven oder Minderjährigen vergleichen, nur dass dieser Rechtsstatus für jüdische Frauen ein Leben lang Gültigkeit hatte. So war es ihnen untersagt, vor Gericht als Zeuge aufzutreten oder gar am politischen Leben teilzunehmen. Mit diesen, doch sehr wenigen Rechten, wurden Frauen oft vom öffentlichen Leben sowie von den meisten Erwerbsberufen ausgeschlossen. Die Frau gehörte ins Haus. In diesem Bereich hatte sie einen sehr hohen Status. Hier erhielt sie die nötige Achtung und konnte ihre Freiheiten ausleben.

Trotzdem ist nicht zu vergessen, dass der Mann dennoch eine höhere Stellung besaß. Die Frau diente dem Leben der Familie. Ihre Aufgaben waren die Kindererziehung, besonders der Mädchen und die damit verbundene Vorbereitungen auf das Leben, die Reinhaltung der Wohnung und die Nahrungszubereitung. Die Familie, welche einen sehr hohen Stellenwert im Judentum besitzt, sollte nach außen hin vom Mann repräsentiert werden können. Man sagte, nach jüdischer Auffassung, dass nach der zweiten Tempelzerstörung in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer das Heiligtum in die Familie verlagert wurde. Die Frau war dafür verantwortlich, dass die kultische Reinheit bewahrt wurde. So musste sie unter anderem das Reinheitsgebot für Nahrung und das Vorbereiten der Feste erlernen. Erstmals nach dem zwölften Geburtstag war es jungen Mädchen erlaubt, die Kerzen für den Sabbat anzuzünden. Dieses Eröffnen der heiligen Feste war ein Ritual, was der Frau ein Leben lang auferlegt war.

Neben dem Verbot des Lesens der Thora und des Talmuds, gab es auch das Verbot den Tallit (ein Tuch, was beim Gebet über den Kopf gelegt wird) zu tragen. Es war Frauen untersagt, weil der Tallit Männerkleidung ist und Frauen gemäß Deuteronomium 22,5 keine Männerkleidung tragen dürfen. Manche orthodoxe Frauen trugen deshalb meist Kleidungsstücke mit langen Ärmeln und eine Perücke als Kopfbedeckung.

Seit dem 19. Jahrhundert gibt es allerdings eine breite Emanzipationsbewegung innerhalb des Judentums. Auf dem Weg zu einer Gleichberechtigung meinen moderne jüdische Glaubensgemeinschaften, dass die Gebote an die Entwicklung der modernen Gesellschaft angepasst werden müssen. Frauen sollen gleichberechtigt mit Männern sein, auch im religiösen Leben. Sie dürfen also aus der Thora lesen, den Talmud studieren, gemeinsam mit den Männern beten und es gibt seit einigen Jahrzehnten, vor allem in den USA, auch Frauen, die das Amt des Rabbiners ausüben.

Streng orthodoxe jüdische Männer danken auch heute noch Gott im Morgengebet dafür, dass sie nicht als Frau zur Welt gekommen sind. Ihre Ehefrauen sollen sich um die Einhaltung der Gebote im Haus und um die Erziehung der Kinder kümmern. In der Synagoge beten sie nach wie vor getrennt von den Männern und das Lesen aus der Tora ist ihnen immer noch nicht gestattet.

 

Anfang des Jahres 2015 hat die Frauenrechts-Kommission der Vereinten Nationen in einem Bericht Israel als einziges Land erwähnt, in dem die Rechte der Frauen verletzt werden sollen. Das Land wird insbesondere für die „harte Situation der palästinensischen Frauen“ verantwortlich gemacht. Leider lässt der UN-Bericht Wesentliches unerwähnt, denn schließlich gibt es gravierende Benachteiligungen von Frauen auch in anderen Ländern. Ein Blick in aktuelle Amnesty-International-Berichte oder -Petitionen genügt, um zu sehen, wie im UN-Bericht nicht erwähnte Länder ihre Frauen behandeln: In China werden Frauen festgenommen, wenn sie gegen sexuelle Belästigung demonstrieren. In Saudi-Arabien besteht für Frauen im gesamten Land ein striktes Autofahrverbot (laut Regierung aus Sicherheitsgründen). Frauen dürfen nach den strengen Regeln des konservativen Königreichs nicht alleine reisen und dürfen nur in Begleitung von Männern ausgehen. In Afghanistan, den palästinensischen Autonomiegebieten sowie zahlreichen anderen arabischen Staaten sind Frauen verpflichtet, die Burka o. ä. zu tragen, werden Opfer von Zwangsheirat, Ehrenmord, Prügelstrafen und anderen Schikanen. Die Auflistung ließe sich noch durch einiges ergänzen. Doch dazu später.

Homosexualität im Judentum

Das Thema ist bei den Juden konfliktgeladen. Homosexuell sein und jüdisch. Da stellt sich unter Umständen die Frage, was gesteht man wem zuerst? Gläubiger Jude und bekennender Schwuler? Das galt in Israel bislang als unvereinbar. Schließlich verbinden viele Menschen mit Israel streng religiöse Werte und früher gab es nur drei Möglichkeiten, damit umzugehen: aufhören religiös zu sein, im Verborgenen bleiben oder sich umbringen. Heute gibt es eine vierte Möglichkeit: sich zusammenzuschließen und die Veränderung in den jüdischen Gemeinden voranzutreiben. Dadurch hat sich der Umgang mit der Homosexualität bemerkenswert entspannt. Zumindest unter den nicht-orthodoxen Juden, also liberalen Gemeinden, die homosexuellen Menschen positiv gegenüberstehen und mit diesem Thema überhaupt keine Schwierigkeiten haben. Doch nach wie vor gibt es eine enorme Diskrepanz zwischen den streng Religiösen und den Säkularen. Und viele Menschen aus streng religiösen Familien trauen sich nicht, sich zu outen, aus Angst, von ihren Familien geächtet und verstoßen zu werden.

Weltweit gibt es im Judentum sehr kontroverse Ansichten zum Thema Homosexualität: von Akzeptanz bis hin zu wütender Ablehnung. Im orthodoxen Judentum gilt für alle eine Heiratspflicht. Gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr wird deshalb abgelehnt. Somit müssen sich viele zwischen Homosexualität und Religion entscheiden. Wir kennen die Passage in der Tora (3. Buch Moses 18,22), in der es als „Gräuel“ bezeichnet wird, wenn ein Mann mit einem anderen „wie mit einer Frau“ zusammenliegt.

Ganz in dieser jüdischen Tradition befangen, schreibt der Jude Philo von Alexandria (gestorben ca. 45/50 n. Chr., „dass man den weibischen Mann, der das Gepräge der Natur verfälscht, unbedenklich töten und keinen Tag, ja keine Stunde leben lassen soll”. Auch wiederholen talmudische Autoren die klare Ablehnung der Homosexualität. Liberale Rabbiner sind zwar der Homosexualität gegenüber offener, aber auch sie verheiraten kaum jemals Lesben und Schwule. Nur gerüchteweise ist von gleichgeschlechtlichen Trauungen zu hören. Allerdings gibt es heutzutage auch sehr liberal denkende Orthodoxe. Beispielsweise trauen zahlreiche Rabbiner in den USA Lesben und Schwule – vor allem im Reformjudentum und im sogenannten konservativen Judentum, das eine Mittelposition im Spektrum der jüdischen Richtungen einnimmt. Liberale und konservative Seminare ordinieren Lesben und Schwule zu Rabbinern und Kantoren. Auch feiern manche modern-orthodoxe Gemeinden in den USA Segnungszeremonien für Homosexuelle. In Israel gehen orthodoxe Lesben und Schwule selbstbewusst an die Öffentlichkeit, doch der orthodoxe Mainstream dort akzeptiert Homosexualität weiterhin nicht. Dort gibt es religiöse Telefonhotlines, die auf den angeblich richtigen Pfad der Heterosexualität zurück helfen sollen. Und wie in zahllosen Ländern der Welt muss auch in Israel die Politik ihren Senf dazugeben.

Ein Abgeordneter der einst mitregierenden ultraorthodoxen Schas-Partei gab zu Protokoll: „Schwule und Lesben treiben die Zerstörung des jüdischen Volks voran“. Er empfahl gegen diese „Epidemie“ Maßnahmen wie gegen die Vogelgrippe. Ein anderer Schas-Parlamentarier machte Schwule ob ihres sündigen Treibens für ein von Gott geschicktes Erdbeben verantwortlich, und Eli Jischai, der frühere Innenminister, nannte sie eine „Minderheit mit Normdefekt“. Noch immer gibt es homophobe Angriffe und Fälle, in denen Familie ihre Kinder aus dem Haus werfen. Selbst in säkularen Kreisen ist das traditionelle Familienleben, also Mutter, Vater und Kinder, richtungweisend.

Der Rabbiner der US-Gemeinde „Temple Aliyah“ in Needham, Massachusetts, Carl M. Perkins, bringt in seinem Artikel „Kann denn Liebe Sünde sein?“ (veröffentlicht in der „Jüdischen Allgemeine“ im Juni 2011), die Problematik auf den Punkt:

„Die Bibel, der Chumasch, war im Laufe der Jahrhunderte für viele Menschen eine Quelle der Inspiration. Sie half ihnen in ihrem Streben nach Anstand, Güte und Gerechtigkeit. Sie diente aber auch als Vorwand für Grausamkeit und Gewalt und brachte viel Leid und Verzweiflung. Im Namen dieses Buches haben viele Menschen großartige Dinge vollbracht. Andere vollbrachten schändliche Taten in seinem Namen. Im 1. Buch Moses, in der Parascha Wajera, lernen wir die Stadt Sodom kennen, einen Ort großer Niedertracht und Verdorbenheit. Wir erfahren aus dem Teil der Parascha nicht, worin genau die Verdorbenheit der Stadt bestand, doch wird uns später mitgeteilt, dass die Männer Sodoms nicht nur ungastlich, brutal und grausam waren – sondern auch homosexuell.

Nun, wir haben es hier mit der Bibel zu tun. Sie verfügt über große Autorität. Und indem sie eine Metropole der Niedertracht und Verdorbenheit, einen Ort, der so schrecklich ist, dass er die absichtsvolle Zerstörung durch Gott verdient, mit Homosexualität in Zusammenhang bringt, macht die Bibel deutlich, was sie über Menschen denkt, die sich eines solchen Verhaltens schuldig machen. Sie sind es nicht wert, zu leben. Es gibt nicht sehr viele Texte in der Bibel, die Homosexualität erwähnen oder darauf Bezug nehmen, doch wie der hier vorliegende scheint jeder einzelne von ihnen sie zu verdammen. So überrascht es nicht, dass jeder, der in einem auf der Bibel beruhenden religiösen Glauben erzogen wurde, egal ob es sich um das Judentum, Christentum oder den Islam handelt, die eindeutige Botschaft hört: Homosexualität ist böse. Nicht nur böse, sondern wirklich böse. Man denke an das Leid und die Verzweiflung, die diese Verdammung über die Jahrhunderte hervorgerufen hat. Männer und Frauen, die sich von Menschen ihres eigenen Geschlechts und nicht von solchen des anderen Geschlechts angezogen fühlten – ansonsten anständige, liebenswürdige und moralische Individuen -, wurden verspottet, verleumdet und verfolgt. Und es geschieht auch noch in unserer heutigen Zeit.

Vor Kurzem fand ein junger homosexueller Student an der Rutgers University, der sich nicht als homosexuell geoutet hatte, heraus, dass sein Mitbewohner ihn heimlich in seinem Zimmer gefilmt hatte. Er sprang später von der George-Washington-Brücke in den Tod. Selbstmorde junger Männer und Frauen, die entdecken, dass sie homosexuell sind, kommen häufiger vor, als man glaubt – in manchen Fällen ist es die traditionelle Verurteilung durch ihre Religion, was die jungen Leute in den Selbstmord treibt. Steven Greenberg, ein bekennender homosexueller orthodoxer Rabbiner, diskutierte vor einiger Zeit mit einem bekannten und respektierten jüdischen Religionsführer. Greenberg sprach von den vielen jüdischen homosexuellen Männern und Frauen, die der Thora ergeben seien und denen großes Leid widerfahre. „Viele verlassen die Gemeinde“, sagte er. „Einige junge homosexuelle Menschen“, fuhr er fort, „sind so verzweifelt, dass sie sich umzubringen versuchen.“ Und was erwiderte der Rabbiner? „Vielleicht vollbringen sie damit eine Mitzwa“ (Einhaltung der jüdischen Gebote) Nun ist diese Reaktion sicherlich extrem. Aber sie enthüllt auch eine einfache Wahrheit. In Greenbergs Worten wäre es vielen Religiösen am liebsten, wenn Homosexuelle auf die eine oder andere Art und Weise einfach verschwinden würden. Die Reaktion auf diese Antipathie liegt auf der Hand: Wenn junge Homosexuelle allmählich begreifen, wie intensiv der Wunsch der Gemeinde ist, dass sie verschwinden, wie brutal es sein kann, scheint der Freitod ein letzter, verzweifelter Ausweg, wie wir es allein im letzten Monat einige Male erlebt haben.