Jesus nach 2000 Jahren

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Mk 10,35-45: Die Zebedaidenfrage

(35) Und es kommen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sagen ihm: »Lehrer, wir wollen, daß du, was immer wir dich bitten, uns tust.« (36) Er aber sagte ihnen: »Was wollt ihr, daß ich euch tue?« (37) Sie aber sagten ihm: »Gib uns, daß wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit sitzen.«

(38) Jesus aber sagte ihnen: »Ihr wißt nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?« (39) Sie aber sagten ihm: »Wir können es.« Jesus aber sagte ihnen: »Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet ihr getauft werden, (40) das Sitzen zu meiner Rechten und zu meiner Linken ist nicht an mir zu vergeben, sondern das ist für die, für die es bereitet ist.«

(41) Und als die Zehn das hörten, begannen sie über Jakobus und Johannes unwillig zu werden. (42) Da rief Jesus sie herbei und sagt ihnen: »Ihr wißt, daß diejenigen, die als Herrscher der Völker gelten, sie unterjochen und ihre Gewaltigen ihre Macht über sie ausüben. (43) Nicht so ist es unter euch, sondern wer groß sein will unter euch, sei euer Diener, (44) und wer unter euch erster sein will, sei aller Knecht.

(45) Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, bedient zu werden, sondern zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.«

Redaktion

Kaum hat Jesus die dritte Leidens- und Auferstehungsankündigung beendet, da gibt es schon wieder ein Mißverständnis im Jüngerkreis. Das Brüderpaar der Zebedaiden verhält sich so, als ob es die unmittelbar vorher ausgesprochenen Worte Jesu V. 33-34 nicht gehört hätte. Dieses Unverständnis klärt Jesus. Er zeigt den einem Jünger angemessenen Weg auf (V. 43-44), der in Entsprechung zur Selbsthingabe des Menschensohnes steht (V. 45). Genauso war er schon nach der ersten und zweiten Leidens- und Auferstehungsankündigung verfahren (vgl. 8,34-35; 9,35-37).

V. 38-39 wurden hier von Mk zum Thema „rechte Jüngerschaft“ eingefügt. Aus der Jesus in den Mund gelegten Weissagung, daß die Zebedaiden denselben Weg wie er gehen werden, folgt, daß Mk vom gewaltsamen Tod des Brüderpaars weiß (vgl. Apg 12,1-2 zum Tode des Jakobus).

V. 40 ist vielleicht ein geheimnisvoller Vorverweis auf 15,27.

V. 41-42a sind mk Überleitung zur traditionellen Belehrung Jesu in V. 42b-45.

Tradition

V. 35-37.40: Sachlich verweigert Jesus dem Brüderpaar, was er in Mt 19,28 (vgl. Lk 22,30b) den zwölf Jüngern verheißt. Daher bietet es sich an, die Texteinheit V. 35-37.40 als innergemeindliche Kritik an solchen Erwartungen zu begreifen. Eine Illustration bietet der Apostel Paulus, 1Kor 6,2-3: »Wißt ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden? … Wißt ihr nicht, daß wir Engel richten werden?«

V. 38-39: S. unter Redaktion.

V. 42b-45: Das Stück ist, insgesamt gesehen, eine Gemeinderegel, in der der auferstandene bzw. erhöhte Jesus zu seiner Gemeinde redet. (Zu V. 43-44 vgl. bereits 9,35.) Ihr Verhalten hat sich an dem des Menschensohnes Jesus zu orientieren. Allerdings hat V. 45 noch eine Besonderheit:

Die Erlösung »durch den Tod Jesu ragt nur hier in das Evangelium hinein; unmittelbar vorher ist er nicht für die Anderen und an ihrer statt gestorben, sondern ihnen vorgestorben, damit sie ihm nachsterben … Der Schritt vom Bedienen zum Hingeben des Lebens als Lösegeld … erklärt sich vielleicht aus der Diakonie des Abendmahls, wo Jesus mit Brot und Wein sein Fleisch und Blut spendet« (Wellhausen, 405).

Historisches

V. 38-39: Zugrunde liegt das historische Faktum, daß die beiden Zebedaiden das Martyrium erlitten haben. Zum Martyrium des Jakobus vgl. Apg 12,2. Da der Zebedaide Johannes zur Zeit des Apostelkonzils um 48 n.Chr. noch am Leben war (Paulus nennt ihn Gal 2,9 als eine der drei Säulen), kann er das Martyrium nicht gemeinsam mit seinem Bruder erlitten haben, wie zuweilen behauptet wurde.

V. 35-37.40: Die Unechtheit ergibt sich aus der Traditionsanalyse.

V. 42b-45: Die Unechtheit ergibt sich daraus, daß der »Auferstandene« redet. Gleichzeitig sind alle Einzelheiten aus der späteren Gemeindesituation abzuleiten.

Mk 10,46-52: Der blinde Bartimäus

(46) Und sie kommen nach Jericho.

Und als er aus Jericho herauszog und seine Jünger und eine zahlreiche Volksmenge, saß der Sohn des Timäus, Bartimäus, ein blinder Bettler, am Weg. (47) Und als er hörte, daß es Jesus der Nazarener war, begann er zu schreien und zu rufen: »Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner!« (48) Und viele bedrohten ihn, daß er schweige. Er aber schrie noch mehr: »Sohn Davids, erbarme dich meiner!« (49) Und Jesus blieb stehen und sagte: »Ruft ihn!« Und sie rufen den Blinden und sagen ihm: »Faß Mut, steh auf, er ruft dich!« (50) Er aber warf seinen Mantel ab, sprang auf und kam zu Jesus. (51) Und Jesus antwortete ihm und sagte: »Was willst du, daß ich dir tue?« Der Blinde aber sagte ihm: »Rabbuni: daß ich wieder sehe.« (52) Und Jesus sagte ihm: »Geh, dein Glaube hat dich gerettet.« Und sogleich sah er und folgte ihm auf dem Weg nach.

Redaktion

Die Geschichte von der Blindenheilung erinnert an die Blindenheilung in 8,22-26. Anders als dort ist in der vorliegenden Erzählung das Glaubensmotiv zentral (vgl. V. 52).

V. 46: Die Verdoppelung in der Ortsangabe, die Jesus nach Jericho hineingehen und es gleich wieder verlassen läßt, fällt auf. Sie ist so zu erklären, daß Mk die Reise Jesu nach Jericho in eine nach Jerusalem verwandeln will. Dies entspricht dem redaktionellen Wegmotiv (vgl. zu 8,27), das den Gang Jesu zur Passion in Jerusalem bezeichnet (vgl. V. 52).

V. 47-48: Die zweifache Anrede als Sohn Davids bereitet die anschließend erzählte Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem vor (vgl. 11,10). Sie steht im Widerspruch zu der Anrede als »Rabbuni« in V. 51 (so im Neuen Testament nur noch Joh 20,16). »Rabbuni« ist bedeutungsgleich mit der Anrede »Rabbi«, die im JohEv in Bezug auf Jesus häufiger als in den anderen Evangelien vorkommt. »Rabbi« wird Joh 1,38 ebenso wie »Rabbuni« in Joh 20,16 zutreffend mit »Lehrer« übersetzt.

V. 52: Zum Wegmotiv vgl. zu V. 46.

Tradition

Die Erzählung von Bartimäus mag in Jericho lokalisiert gewesen sein. Ihr fehlen allerdings die meisten Merkmale einer Wundergeschichte. Im auffallenden Unterschied etwa zu 8,23, wo Jesus als wunderkräftiges Mittel Speichel aufträgt, heilt Jesus den Blinden einfach durch sein Wort (V. 52a). Dies setzt spätere Reflexion voraus, denn das wunderkräftige Wort ist das Wort des im Gottesdienst gegenwärtigen Gottessohnes. Auch eine sonst bei Wundergeschichten übliche Reaktion des Volkes wird nicht erzählt, obgleich es anwesend ist (V. 48f). V. 52 biegt die Tradition fast zur Personallegende um. Vielleicht erfahren wir wegen des Interesses der vorliegenden Erzählung an der Person des Bartimäus im Gegensatz zu Mk 8,22-26; Joh 9,1.6f nichts über Heilpraktiken. Außer Jairus (Mk 5,22) ist Bartimäus der einzige Name in den Wundergeschichten der ersten drei Evangelien.

Historisches

Das geschichtliche Urteil über die Überlieferung ist fast gleich Null. Die Ortsangabe Jericho und der Name des Blinden sind zu wenig, um zu einem historischen Kern vorzustoßen.

Mk 11,1-11: Jesu Einzug in Jerusalem

(1) Und als sie in die Nähe von Jerusalem kommen, nach Bethphage und Bethanien am Ölberg, sendet er zwei seiner Jünger aus (2) und sagt ihnen: »Geht in das Dorf vor euch, und sogleich, wenn ihr in es hineinkommt, werdet ihr ein Füllen angebunden finden, auf dem noch kein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt (es hierher)! (3) Und wenn jemand euch sagt: ›Warum tut ihr dies?‹, antwortet: ›Der Herr bedarf seiner‹, und sogleich schickt er es wieder hierher.«

(4) Und sie gingen weg und fanden ein Füllen angebunden vor der Tür draußen an der Straße. Und sie binden es los.

(5) Und einige der dort Stehenden sagten ihnen: »Warum tut ihr (dies) und bindet das Füllen los?«

(6) Sie aber sagten ihnen, wie ihnen Jesus gesagt hatte,

und sie erlaubten es ihnen.

(7) Und sie bringen das Füllen zu Jesus und legen darauf ihre Kleider.

Und er setzte sich darauf.

(8) Und viele breiteten ihre Kleider auf dem Weg aus, andere aber Büschel, die sie von den Feldern abgeschnitten hatten. (9) Und die Vorangehenden und die Nachfolgenden riefen:

»Hosanna!

Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!

[Ps 118,25f.]

(10) Gepriesen sei das kommende Reich unseres Vaters David,

Hosanna in den Höhen!«

[vgl. Ps 148,1; Hiob 16,19]

(11) Und er kam nach Jerusalem in den Tempel, und sah sich ringsum alles an. Und als schon die Abendstunde hereinbrach, ging er hinaus mit den Zwölfen nach Bethanien.

Redaktion

Die Verknüpfung dieser Szene mit den folgenden, aber auch das Schema von drei Tagen (11,11b.12.19.20) gehen auf Mk zurück. Das gleiche gilt für die immer wieder eingestreuten Notizen über die Mordabsicht von Jesu Gegnern (Mk 3,6; 11,18; 12,12; 14,1f).

V. 1: Die Angabe »Jerusalem« nimmt 10,32 auf. Die Ortsangabe »Bethanien am Ölberg« dürfte ebenfalls auf Mk zurückgehen (vgl. dann V. 11f). Hebr. Bethphage heißt „Feigenhaus“. Doch informiert Mk die Leser nicht darüber, obwohl anschließend die Szene von der Verfluchung des Feigenbaums (V. 12-14) folgt.

 

V. 2: Der Auftrag Jesu entspricht seiner hellseherischen Fähigkeit. Man vgl. Jesu dreimalige Vorhersage seines Leidens und Sterbens (vgl. 8,31; 9,31; 10,33f), die Ankündigung der Verleugnung des Petrus (14,26-31) und die Voraussage der Auslieferung durch Judas (14,17-21). Bereits der Prophet Samuel richtet an die Adresse Sauls ähnliche Voraussagen (1Sam 10,2ff), die ebenfalls postwendend eintreffen (s. auch zu 14,13-16).

V. 3: Der Ausdruck »der Herr« soll geheimnisvoll klingen. In einem titularen Sinn bezeichnet sich Jesus bei Mk sonst weder selber so, noch wird er von seinen Jüngern oder vom Erzähler so genannt. Wahrscheinlich schlägt aber doch – wie beim lk Gebrauch des Herrentitels für Jesus (vgl. zu Lk 7,19) – eine christologische Dimension durch.

V. 4-7: Die beiden Jünger tun, was Jesus ihnen aufgetragen hat, und finden alles so vor, wie Jesus es ihnen prophezeit hat.

V. 8: »Das Ausbreiten der Kleider gehört zur Stilisierung eines Königsrituals. Die Geschichte findet eine Fortsetzung in der Kreuzigung Jesu als dem König der Juden« (Gnilka, Mk II, 118).

V. 9-10: Die Massen begrüßen in V. 9 Jesus mit dem Ruf »Hosanna« (= »Hilf doch«), der in Israel als ein zur liturgischen Formel gewordener Bittruf allen geläufig war und samt dem folgenden Lobpreis aus Ps 118,25f stammt. V. 10a ist offenbar Kommentar zu diesem Psalmwort. Das »Reich unseres Vaters David« hat bei Mk nichts mit der Predigt Jesu zu tun. Deren Inhalt ist nämlich das „Reich Gottes (vgl. 1,15). Freilich hatte Bartimäus in der vorherigen Geschichte Jesus als Sohn Davids angeredet (10,47-48), doch erweist Jesus in 12,35-37 selber, daß der Christus nicht der Sohn Davids sei. »So zeigt der Ausruf im Sinne des Mk nur ein halbwegs richtiges Verständnis dessen, wer Jesus ist« (Lührmann, 189).

Tradition

Die von Mk benutzte Tradition ist eine Messiaslegende, die im ältesten Christentum entstanden ist. Die Beschaffung des Reittiers ist ebenso wie das Finden des Saales in 14,12-16 ein Märchenmotiv. »Es wird dabei offenbar vorausgesetzt, daß diesem Reittier besondere Bedeutung zukommt. Darum kann es nur vermöge göttlicher Leitung gefunden werden und trägt auch sonst die Merkmale des Besonderen: es ist noch nie geritten worden und steht außen auf der Straße angebunden, als wäre es für die Jünger bereitgehalten.« (Dibelius, Formgeschichte, 118.) In der Legende wurde unter Einfluß von Sach 9,9 der Einzug des Messias in Jerusalem erzählt.

Historisches

Die Tradition ist stark legendarisch. Auch kann der Einzug Jesu in Jerusalem nicht so auffällig gewesen sein, wie es der Text beschreibt. Denn sonst hätten die Römer sofort kurzen Prozeß gemacht. Doch dürfte folgender historischer Kern plausibel sein: Jesus ist mit einer Schar von Festpilgern und Jüngern voll Jubel und Erwartung des bald kommenden Gottesreiches nach Jerusalem gezogen. Unter Einfluß von Sach 9,9 wurde daraus später die von Mk verwendete Messiaslegende, die demnach unecht ist.

Mk 11,12-14.20: Die Verfluchung des Feigenbaums

(12) Und als sie am nächsten Tag von Bethanien weggingen, bekam er Hunger. (13) Und als er einen Feigenbaum von ferne sah, der Blätter hatte, kam er (zu sehen), ob er an ihm etwas finde. Und er trat heran, fand aber nichts außer Blätter. [Es war nämlich nicht die Zeit der Feigen.] (14) Und er antwortete und sagte ihm: »In Ewigkeit soll keiner mehr von dir eine Frucht essen.« Und seine Jünger hörten es … (20) Und als sie am Morgen vorbeikamen, sahen sie den Feigenbaum, verdorrt von den Wurzeln an.

Redaktion

Mk hat eine ihm vorliegende Tradition von der Verfluchung eines Feigenbaums und ihrer Wirkung (V. 20) auseinandergerissen und in der ihm eigenen Schachteltechnik (vgl. zu 3,20-35) verarbeitet.

V. 12: Der Weggang von Bethanien ist redaktionelle Verknüpfung.

V. 13: Die »besserwisserische« Bemerkung am Ende des Verses ist eine Hinzufügung aus der Zeit nach der Abfassung der MkEv, die erklären will, warum Jesus keine Feigen finden konnte. Die gibt es frühestens im Juni. Damals aber ist März. Das Bild des Feigenbaums und seiner Früchte als Symbol für Israel versteht Mk vom Alten Testament her. Man vgl. Mi 7,1: »Wehe mir, es ist mir ergangen wie bei der Obsternte, wie bei der Nachlese zur Weinernte: keine Traube zum Essen, keine Frühfeige, nach der ich begehre.« S. weiter Jer 8,13; Hos 9,10. Israel hat sich Mk zufolge Jesus widersetzt und ist darin nur dem ungehorsamen Israel des Alten Testaments zu vergleichen.

V. 14c und V. 20a führen die Jünger redaktionell ein, denn sie werden als Adressaten der Belehrung über den Glauben in 11,20-24 gebraucht. Zum mk Tagesschema vgl. zu 11,1-11.

Tradition

V. 13-14.20b: Die zugrundeliegende Tradition ist ein Strafwunder. Seine Aussageabsicht auf der Stufe der Tradition entspricht der auf der Ebene der Redaktion: Jesus straft das jüdische Volk, weil es seine Zeit verpaßt hat. Man vgl. als Entsprechung 12,1-12 und die alte Überlieferung 1Thess 2,15-16. Die Erzählung ist die einzige Strafwundererzählung der Jesusüberlieferung im Neuen Testament.

Historisches

Die Perikope verrät kein geschichtliches Wissen. a) Die Fähigkeit, Naturwunder zu vollbringen, wurde Jesus erst von der Gemeinde angedichtet. b) Die radikale Judenfeindschaft hinter der Tradition von der Verfluchung des Feigenbaumes wurzelt in der frühen Kirche und nicht in der Verkündigung Jesu.

Mk 11,15-19: Die Tempelreinigung

(15) Und sie kommen nach Jerusalem. Und als er in den Tempel eintrat, begann er die Verkäufer und Käufer im Tempel hinauszutreiben, und die Tische der Geldwechsler und die Stühle der Taubenverkäufer stieß er um. (16) Und er ließ nicht zu, daß jemand ein Gerät durch den Tempel trug. (17) Und er lehrte und sagte ihnen: »Ist nicht geschrieben:

›Mein Haus wird Haus des Gebetes genannt werden für alle Völker‹?

[Jes 56,7]

Ihr aber habt es gemacht

zu einer Höhle von Räubern.«

[Jer 7,11]

(18) Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten hörten davon und sannen darauf, wie sie ihn vernichten könnten. Sie fürchteten ihn nämlich; denn das ganze Volk war überwältigt von seiner Lehre.

(19) Und als es Abend wurde, gingen sie aus der Stadt hinaus.

Redaktion

V. 17-18: Mk gibt die der Tempelaktion folgende Lehre Jesu (vgl. 1,21f; 2,13 u.ö.) wieder und verkoppelt dabei in V. 17 zwei alttestamentliche Stellen: Jes 56,7 und Jer 7,11. Der Blick auf die Hohenpriester und Schriftgelehrten in V. 18 dürfte ebenfalls redaktionell sein. Ihre Furcht vor Jesus steigert die Dramatik. Denn noch ist das Volk auf der Seite Jesu, was ein sofortiges Eingreifen schwierig machen würde.

V. 19: Hier liegt das mk Tagesschema vor (s. zu 11,1-11).

Ertrag: Mk verzahnt die Erzählung der Tempelreinigung mit der Geschichte von der Verfluchung des Feigenbaums. Gleichzeitig hat für ihn die Reflexion auf die Schrift in V. 17 eine wichtige Aufgabe. Tempel, Jerusalem, Israel spielen fortan keine heilsgeschichtliche Rolle mehr. An die Stelle des Tempels wird etwas Neues treten. Mit dem Ausblick auf alle Völker im Zitat deutet sich das Neue an. Diesen Völkern gilt die Evangeliumspredigt (13,10).

Tradition

Die formgeschichtlich nicht mehr klassifizierbare Überlieferung umfaßte V. 15-16. Sie war wohl Bestandteil eines Geschichtsberichtes, evtl. auch als vorgeschalteter Teil der Leidensgeschichte.

Historisches

Jesu Haltung zum Tempel war wohl der Grund für die jüdische Behörde, ihn den Römern zu übergeben, zumal auch bei Mk der Auftritt Jesu im Tempel in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner späteren Hinrichtung steht. Jesu Aktion im Tempel dürfte eine symbolische Handlung gewesen sein, die auf etwas anderes hindeutete.

Vgl. die Zeichenhandlungen der alttestamentlichen Propheten: So zerreißt der Prophet Ahia von Silo seinen neuen Mantel in zwölf Stücke (1Kön 11,29-39), der Prophet Jesaja stellt eine mit dem Namen seines ungeborenen Sohnes, Raubebald-Eilebeute, beschriftete Tafel auf (Jes 8,1-4), und der Prophet Hosea heiratet die Hure Gomer und zeugt Hurenkinder (Hos 1,2-9).

Jesus versuchte, zeichenhaft einem ganz neuen, endzeitlichen Tempel Platz zu verschaffen. Er verband mit dem Umstürzen der Tische und Stühle die Hoffnung auf einen neuen Tempel, wie sie sich im Judentum in verschiedenen Ausprägungen findet (Mi 4,1-2a; Hag 2,6-9 u.ö.).

Ein weiterer Reflex der Tempelkritik Jesu findet sich im Bericht über seinen Prozeß. Man vgl. 14,58: »Wir haben ihn sagen hören: ›Ich werde diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen anderen bauen, der nicht mit Händen gemacht ist‹.« Dieses Wort wird durch 14,57 ausdrücklich als Falschzeugnis bezeichnet (vgl. ebenso Apg 6,13-14), und in der Tat kann es angesichts seines absonderlichen Inhalts nicht von Jesus stammen. Andererseits ist es zu konkret, um eine reine Erfindung der Gegner zu sein.

Daher liegt folgende Vermutung nahe: Das Logion geht auf ein echtes Jesuswort zurück, welches davon handelte, daß Gott den Tempel zerstören und statt dessen einen neuen Tempel errichten werde (vgl. Mk 13,2). Von jüdischer Seite wurde dieses Wort aufgegriffen und in polemischer Absicht entstellt: Jesus habe gesagt, er selbst sei der Zerstörer des alten und der Errichter des neuen Tempels. Des weiteren ist die jesuanische Erwartung des himmlischen Tempels auch insofern plausibel, als die Jerusalemer Urgemeinde sich mit dem Tempel identifizierte. Ihre Mitglieder hielten stets zum Tempel (Apg 2,46; 3,1; 21,26) und erwarteten hier in Einklang mit Jesus das Ende der Zeiten.

Mk 11,20-25: Gebet und Glaube

(20) Und als sie am Morgen vorbeikamen, sahen sie den Feigenbaum, verdorrt von den Wurzeln an. (21) Und Petrus erinnert sich und sagt ihm: »Rabbi, siehe, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt.«

(22) Und Jesus antwortete und sagt ihnen: »Habt Glauben an Gott! (23) Amen, ich sage euch: Wer immer diesem Berg sagt: ›Erhebe dich und stürze dich ins Meer!‹ und nicht zweifelt in seinem Herzen, sondern glaubt, daß, was er sagt, geschieht, dem wird (es) zuteil werden.

(24) Darum sage ich euch: Alles, um was ihr betet und bittet, glaubt, daß ihr (es) empfangen habt, und es wird euch zuteil werden. [(25) Und wenn ihr euch hinstellt, um zu beten, vergebt, wenn ihr gegen jemanden etwas habt, damit auch euer Vater in den Himmeln euch eure Übertretungen vergebe.]«

Textkritische Vorbemerkung: V. 25 ist zwar handschriftlich einwandfrei belegt, jedoch sprachlich matthäisch (Parallelen: Mt 5,23f und 6,14; »euer Vater in den Himmeln« nur hier im MkEv). Daher ist Abhängigkeit vom MtEv wahrscheinlich und V. 25 wohl Glosse. V. 26 („Wenn ihr aber nicht vergebt, wird euch euer Vater eure Übertretung nicht vergeben“) ist nach allgemeinem Urteil eine sekundäre Hinzufügung, denn dieser Vers fehlt in den ältesten Handschriften.

Redaktion

V. 20-22: V. 20 setzt redaktionell mit dem Beginn des nächsten Tages neu ein (vgl. bereits V. 12). Mk verwendet ferner den traditionellen Abschluß der Erzählung von der Verfluchung des Feigenbaumes, um eine Jüngerbelehrung anzuschließen. Sie wird durch einen Hinweis des Petrus eingeleitet. V. 22a führt redaktionell die in der Tradition vorgegebenen Aussagen Jesu ein. V. 22b ist dabei die Überschrift über das folgende Stück und beschreibt näher den dort behandelten Glauben als Glauben an Gott.

V. 23-24: Mk will zeigen, was der Glaube kann (vgl. 9,14-29) und welch enge Beziehung er zum Gebet hat.

Tradition

V. 23-24 enthalten zwei ursprünglich einzeln tradierte Sprüche. Zu V. 23 vgl. die Q-Parallele (Mt 17,20/Lk 17,6) und Th 48; 106 sowie 1Kor 13,2. Zu V. 24 vgl. Mt 7,7/Lk 11,9; Joh 16,23. Auch der die zwei Jesusworte einleitende Spruch V. 22b dürfte Mk aus der Tradition vorgegeben gewesen sein. Entweder hat Mk die Einzelsprüche zusammengestellt oder – wahrscheinlicher – als Traditionsstück schon vorgefunden.

 

V. 23 und V. 24 haben in der zweiten Hälfte eine identische Struktur (vgl. die Unterstreichungen). V. 24 dürfte auf der Basis von V. 23 formuliert worden sein.

Historisches

V. 22b ist zu allgemein, um auf Jesus zurückgeführt werden zu können.

V. 23 enthält ein stark übertreibendes Bildwort (vgl. Mt 17,20/Lk 17,6), wie Jesus es generell gern gebrauchte (vgl. 10,25). Es stellt die Macht, die ein Gott bedingungslos vertrauender Glaube besitzt, heraus und dürfte echt sein.

V. 24 ist ungleich formaler und traditionsgeschichtlich sekundär. Das Wort ist demnach unecht.