Der stille Raub

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MEETINGS MIT BURGERN

Mit dieser Einsicht wuchs der Handlungsdruck, den ich mir selbst auferlegte. Deshalb flog ich nach der Konferenz in Las Vegas nach San Francisco, um einige Termine wahrzunehmen. Sie sollten mir helfen, eine für mich fundamentale Frage zu beantworten: Was genau konnte und musste ich tun, um zu den Gewinnern der digitalen Revolution zu gehören?

Als erstes traf ich einen 22 Jahre alten Start-up-Unternehmer, den ich über eine Networking-Plattform kontaktiert hatte. »Ich bin europäischer Unternehmer und Investor«, hatte ich ihm geschrieben. »Hast du Zeit für ein kurzes Treffen?«

»Kein Problem«, hatte er geantwortet.

Wir trafen uns, seinem Wunsch gemäß, in Pacific Heights in einem der namenlosen Fast-Food-Restaurants, von denen es Tausende in den USA gibt. Vermutlich hatte er Pacific Heights deshalb als Treffpunkt gewählt, weil er hier lebt, dachte ich. Es war ein Stadtviertel der so genannten young urban professionals, mit Panoramaaussicht auf die Golden Gate Bridge, die San Francisco Bay, auf Alcatraz und das Presidio, und er lebte hier nicht, weil es ihm seine Eltern ermöglichten, wie ich aus seinem Lebenslauf wusste. Er kam zu unserem Treffen in Flip-Flops und einer zu weiten Trainingshose. Der Eindruck, den er äußerlich machte, war ihm offensichtlich egal. Wie konnte dieser Junge so erfolgreich sein? Er hatte bisher drei Unternehmen gegründet und eines davon für mehrere Millionen Dollar verkauft. Selbst wenn ich das Gefühl hatte, mit einem halben Kind zu sprechen, war es angebracht, ihm sehr genau zuzuhören.

Ich fragte ihn, ob er etwas über die digitale Wirtschaft herausgefunden habe, das er für besonders wichtig hielt. Er dachte nach, während er mit einem Strohhalm an seiner Cola nuckelte. Dann sagte er einen Satz, der sich bei der Konferenz in Las Vegas ebenfalls gut auf der großen Wand gemacht hätte.

Dein Projekt muss einen tieferen Sinn haben.

Du musst einen Wert stiften. Die Leute mit irgendwelchem Bullshit dranzukriegen, funktioniert nicht.

»Und sonst?«, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. »Dann kommt nur noch eine Sache dazu«, antwortete er. Dabei schob er sein Tablett weg. Besprechungen, die länger als eine Fast-Food-Mahlzeit dauerten, schien er für überflüssig zu halten. Er stützte die Arme auf den Tisch, um sich zu erheben, und sah mir dabei in die Augen. Sein nächster Satz war ebenfalls einer von Allgemeingültigkeit in der digitalen Wirtschaft.

Dein Projekt muss einfach zu verstehen und einfach zu bedienen sein.

Danach entschuldigte er sich. »Ich habe um zehn eine Telefonkonferenz mit dem Finanzvorstand von Emirates Airlines«, sagte er.

Etwas verdutzt blieb ich in der fettgeschwängerten Luft des Restaurants zurück. Nicht schlecht, dachte ich. Ich hatte meine Studien in Harvard mit Magna Cum Laude abgeschlossen, aber das half mir jetzt nichts. Ich würde von jetzt an von Menschen lernen müssen, die vielleicht gar nicht studiert hatten und dennoch besser als ich wussten, wie die Zukunft funktionieren würde. Ich hatte das schon vermutet und es war in Ordnung für mich, trotzdem musste ich mich jetzt noch einmal damit abfinden.

Als Nächstes stand ein Termin bei einer auf Start-ups konzentrierten Investmentfirma in meinem Kalender. Ihr Büro lag in Menlo Park, einer Stadt im Silicon Valley, in der auch einige der weltgrößten Unternehmen dieser Branche ihre Niederlassungen hatten.

Das Geschäftsmodell dieses Wirtschaftszweiges besteht aus einer Mischung aus hohem Risiko und hohen Gewinnen im Erfolgsfall. Es erfordert Marktkenntnis, ein gutes Gefühl für Menschen und einen sicheren Instinkt. Es ist deshalb naheliegend, dass sich solche Investmentfirmen dort niederlassen, wo es viele Start-ups gibt.

Als das Navi des Cabrios, das ich gemietet hatte, angab, ich hätte mein Ziel erreicht, sah ich mich um. Ich befand mich vor einem glanzlosen Gebäudekomplex, in dem sich in Europa drittklassige Anwälte, preisgünstige Steuerberater oder namenlose Import-Export-Firmen eingemietet hätten, aber ganz bestimmt keine schillernde Investmentfirma mit einem Milliardenbudget.

Auf dem Parkplatz davor war mein 300 PS starker, silbergrauer Mustang schon ein Glanzstück, obwohl Mustangs in den USA auch mit dieser Motorisierung alltäglich sind. Vor dem Gebäude standen Toyotas, Hondas, Hyundais und Nissans, alles, nur nicht die teuren Limousinen und Sportwagen, die ich erwartet hatte. Ein Tesla war der einzige Lichtblick auf diesem Parkplatz.

Etwas konnte nicht stimmen, dachte ich. Ich befand mich in der Sand Hill Road, jener legendären Straße, in die jeder Unternehmer des Silicon Valley fährt, wenn er Geld braucht. In dieser Straße hatten laut meinen Recherchen mehr als 30 der größten Venture-Capital-Fonds und Private-Equity-Firmen Niederlassungen, darunter Kohlberg, Kravis & Roberts, eine der größten Buyout-Firmen der Welt, die eigentlich für ihren Prunk und Pomp bekannt war. In ihrer New Yorker Niederlassung gab es firmeneigene Floristen, Köche und Piloten.

Ich stieg aus, schlenderte ein wenig die Straße entlang und sah mir die Türschilder an. Draper Fisher Jurvetson, Khosla Ventures, Kleiner Perkins oder Silicon Valley Bank stand dort, alles klingende Namen in der Venture-Capital-Branche. Ich war richtig hier. Nicht mein Navi hatte sich geirrt, sondern meine Erwartungshaltung war falsch gewesen. Prunk und Pomp passten offenbar nicht in diese Stadt, in der gerade die digitale Zukunft der Welt begann.

Hier entwickelten Ingenieure das selbstfahrende Auto, doch die Straßen vor ihren Büros und Forschungslabors hatten Schlaglöcher. Hier arbeitete Elon Musk, unter anderem Eigentümer von Tesla und des privaten Raumfahrtunternehmens Space X, an einer Revolution des Schienenverkehrs, mit der er Menschen in Kapseln 1.200 Stundenkilometer schnell durch Röhren schießen wollte, doch die Bahn ins Silicon Valley, deren Gleise ich überquert hatte, war eine 60 Jahre alte, dieselgetriebene Eisenbahn.

Ich verstand auch diese Lektion: Die Menschen hier hatten ein klares Ziel vor Augen. Sie wollten die Welt verändern. Luxus und Statussymbole waren für sie Zeitverschwendung. Ich hatte noch gelernt, dass es schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit wichtig ist, ein teures Auto zu fahren und eine schöne Uhr zu tragen. Doch diese Denkart war hier bereits Geschichte.

Ich fragte mich, wie viel von dem Status mancher Menschen bliebe, wenn sie keine Symbole dafür mehr hätten. Von hier aus wirkte die europäische Mittelschicht mit ihren Häusern auf Pump, geleasten SUVs und grauen Designeranzügen schon jetzt wie eine etwas gespenstische Revival-Party.

Ich ahnte, dass sich hinter der Effektivität des Handelns, die sich schon im Straßenbild von Menlo Park manifestierte, eine gewisse Gnadenlosigkeit der digitalen Elite beim Verändern der Welt verbarg. Mir fiel ein Satz ein, den einer der Redner auf der Bühne des Las Vegas Convention Centers gesagt hatte und der bei mir hängengeblieben war, ohne dass ich ihn richtig eingeordnet hatte.

Es herrscht Krieg. Krieg zwischen denjenigen, die die Welt verbessern wollen und die für Fortschritt stehen, und denjenigen, die überholte, archaische Systeme der Vergangenheit bewahren wollen.

Was das tatsächlich bedeutet und wie die digitale Elite wirklich tickt, fand ich in seiner vollen Tragweite allerdings erst später heraus.

KÄMPFEN UND LERNEN

Auch der zweite wichtige Satz, den ich im Las Vegas Convention Center gehört hatte, war mir in Erinnerung geblieben. Er ging mir nach meiner Heimkehr aus den USA manchmal durch den Kopf, vor allem, wenn ich selbst Vorträge hielt.

Früher konnte ein Opernsänger, selbst wenn er berühmt war, nur das Gebäude füllen, in dem er auftrat. Heute kann ein Musiker, selbst wenn er nicht berühmt ist, Menschen auf der ganzen Welt erreichen und Geld in Regionen verdienen, in denen er noch nie war. Wie erfolgreich er dabei ist, hängt vor allem von der Qualität seines digitalen Auftrittes ab.

Das galt nicht nur für Künstler und Tierärzte, sondern natürlich ebenfalls für alle Vortragenden und damit auch für mich. Mit meinen noch unausgegorenen Plänen für eine digitale Akademie im Kopf trat ich weiterhin regelmäßig bei Seminaren und Konzernveranstaltungen sowie in Universitäten und an Schulen auf. Doch ich hatte dabei von nun an das Gefühl, dass etwas fehlte. Denn im Grunde befand ich mich damit auf der falschen Seite der zwischen der alten und der neuen Welt aufgehenden Kluft. Ich wollte daher bei der Entwicklung meiner digitalen Akademie keine Zeit mehr verlieren.

Dass sie die richtige Idee zur richtigen Zeit war, stand für mich fest. Die traditionellen Bildungseinrichtungen sind genau so, wie jener Entwickler eines digitalen Kassensystems in Berlin alle alten Systeme beschrieben hatte: klobig, umständlich, veraltet und teuer.

Dabei verfehlen die Bildungsinstitutionen zunehmend ihr Ziel, Menschen auf den Arbeitsmarkt und auf ein Leben im digitalen Zeitalter vorzubereiten. Ihre Absolventen sind den Anforderungen des Berufslebens großteils nicht gewachsen. Sie gehen aus dem Bildungssystem mit zwei Dingen hervor, von denen ihnen eines nichts bringt und das andere sie sogar behindert: mit Titeln und Ansprüchen.

Ein Schluss, zu dem unter anderem Google-Personalchef Laszlo Bock gekommen ist. Ein guter Uniabschluss könne der Karriere im Weg stehen, erklärte er in einem Interview mit der New York Times. Er mache Absolventen überheblich. Google suche nach Menschen, die gleichzeitig ein großes und ein kleines Ego haben. Die Absolventen mit dem besten Notenschnitt hätten meist nur ersteres, weshalb Google nach Menschen Ausschau halte, die gezeigt haben, dass sie auch ohne Uniabschluss vorwärtskommen können.

 

Mir war ebenfalls klar, dass es fundamentale Probleme bei der Vereinbarkeit zwischen dem klassischen Bildungssystem und den Ansprüchen der digitalen Wirtschaft gibt. Probleme, die am ehesten digitale Bildungssysteme lösen könnten. Weshalb mir jetzt immer öfter dieser andere Satz, den ich auf der Konferenz in Las Vegas gehört hatte, durch den Kopf ging.

Durch Digitalisierung entsteht Nachfrage. Das sollten

Sie verstehen, und dann geht es nur noch um eins.

Fangen Sie an. Fangen Sie einfach an.

Genau das tat ich gemeinsam mit Christos und meinen anderen Mitarbeitern. Wir fingen einfach an. Wir besorgten uns eine brauchbare Videokamera und nahmen die ersten Kurse auf.

Zuerst definierten wir unser Konzept. Dabei dachte ich an einen der beiden Punkte, die der 22-jährige Internetunternehmer bei unserem Treffen in dem Fast-Food-Restaurant in Pacific Heights genannt hatte. Menschen mit Bullshit dranzukriegen, wie er es bezeichnet hatte, hatte schon in der klassischen Wirtschaft nie lange funktioniert. Zwar gelang es dort Unternehmern, mit fragwürdigen Produkten kurzfristig Geld zu verdienen, doch irgendwann holte sie ihr schlechter Ruf ein. Die digitale Wirtschaft war dank ihrer höheren Transparenz dafür noch sensibler. Wenn nur ein paar Nutzer eines Produkts »reine Abzocke« oder Ähnliches posteten, war die Sache gelaufen. Die Frage, die ich mir stellen musste, lautete also: Welchen Wert stifte ich? Was genau ist meine Mission, und wer profitiert davon?

Ich dachte lange darüber nach, doch wie bei allen wirklich wichtigen Fragen war die Antwort im Grunde einfach. Ich würde Menschen, die etwas aus sich machen wollten, die sich anstrengen und ein gutes Leben führen wollten, das dafür nötige wirtschaftliche Wissen vermitteln.

Als das Konzept fertig war, programmierten wir die erste Probeversion der Seite in Wordpress. Die Sache lief holprig an. Wir hatten unter anderem Schwierigkeiten bei den Schnittstellen mit Zahlungsanbietern, der Schnelligkeit der Seite und der anfangs zu komplizierten Bedienung.

In Sachen Benutzerfreundlichkeit halfen mir meine Erfahrungen aus meinem ersten Studentenjob. Ich hatte damals im 20. Stockwerk eines Hochhauses in der Nähe des Massachusetts General Hospital in Boston als Laien-Softwaretester gearbeitet.

Meine Qualifikation hatte, einfach gesagt, in meiner technischen Ahnungslosigkeit bestanden. Dadurch hätte ich den gleichen Zugang zur Materie wie der Großteil der Nutzer und könne den Programmierern wichtige Rückmeldungen geben, hatten meine Arbeitgeber gemeint.

Dieses Prinzip wandte ich nun bei der Benutzeroberfläche meiner Akademie an. Jede Seite, die ich nach zehn Sekunden noch nicht bedienen konnte, machten wir neu.

Gleichzeitig musste ich mich mit Dingen wie der steuerlichen Abwicklung in den verschiedenen Herkunftsländern der Mitglieder befassen und einen Steuerberater finden, der unsere Daten einspielen konnte, weil sonst die Steuerberatungskosten explodiert wären.

Als Nächstes musste ich lernen, vor einer Kamera zu sprechen. Von meinen Vorträgen war ich die Interaktion mit dem Publikum gewöhnt. Nun aber konnte ich nicht sehen, ob meine Zuhörer lachten, gespannt waren oder einschliefen.

Die Akkus der Kameras waren immer viel zu schnell leer, außerdem drehten wir anfangs in meinem Büro am Stephansplatz, in dem ständig Glocken, Straßenmusiker oder Hunde zu hören waren.

Dann wieder hallte der Ton, als hätten wir die Videos nicht nahe des Stephansdoms, sondern darin aufgenommen. Als wir im Auto drehen wollten, stellten wir fest, dass mein Aston Martin dafür zu wenig Platz bot.

Ich entdeckte außerdem, wie schwer Menschen zu finden sind, die rasch, verlässlich und zu guten Preisen Videos schneiden können, und dass wir den Speicherplatz, den Videos brauchen, unterschätzt hatten, weshalb unsere Seite langsamer und langsamer wurde.

Dabei gewöhnte ich mir an, in meinem Alltag ständig nach digital verwertbaren Informationen und Bildern zu suchen. So bekam ich viele Likes für ein Video, das meinen Tagesablauf und Lifestyle zeigte, beginnend damit, wie ich am Morgen meine Dr. Martens anziehe und ins Auto steige, das alles mit guter Rockmusik im Hintergrund.

Außerdem kontrollierte ich ständig und überall die Seite auf Schnelligkeit, Funktionalität der Registrierungsprozesse und Zahlungsfunktionen sowie auf Rechtschreibfehler. Am 26. Dezember 2014 saß ich deshalb auf dem Zwischenstopp meines Fluges von Wien nach Miami am La-Guardia-Flughafen in New York, aß mangels Alternativen entgegen meiner sonstigen Gewohnheit Junkfood und sah mir meine neuesten Videos über Immobilienkauf und Finanzmanagement an, wobei ich mich erst mit dem schlechten öffentlichen WLAN abquälte, bevor ich schließlich für eine Stunde das sündhaft teure Premium-Internet kaufte.

Als die Seite nach drei Monaten online ging, verfügten wir bereits über eine lange Liste mit E-Mail-Adressen von Interessenten, hatten aber unterschätzt, wie langsam die Homepage wurde, wenn viele Menschen sie gleichzeitig benutzten, und wie viele Customer-Support-Anfragen wir bekommen würden.

Während wir weiterhin Inhalte produzierten, um rasch zu wachsen, suchten wir passende Mitarbeiter, was sich als die schwierigste Aufgabe von allen herausstellte. Denn selbst wenn Social-Media-Experten gut über Facebook Bescheid wissen, heißt das noch lange nicht, dass sie auch alle Tricks im Umgang mit YouTube oder Google kennen.

Als beinahe ebenso schwierig erwies sich die Zusammenarbeit mit IT-Agenturen, die unsere Seite technisch verbessern sollten. Die Vertragsverhandlungen waren zäh, und weil sich die andere Seite besser auskannte, lief ich Gefahr, übervorteilt zu werden. Da ging es etwa um die Frage, wem der Sourcecode, also der Quelltext des Programmes, gehörte, oder wie lange die Fristen für die Behebung von Fehlern sein durften.

Als die Agentur schließlich loslegte, fanden wir heraus, wie schwierig es ist, alte Daten in ein neues System zu importieren, was ein echtes Problem war, weil unsere Seite inzwischen von drei Kursen mit 50 Videos auf 20 Kurse mit 300 Videos gewachsen war.

Es tauchte ein Problem nach dem anderen auf, jedes war lösbar, aber leicht war es meist nicht. Eine weitere Herausforderung war die Zusammenarbeit mit Agenturen für digitales Marketing. Solche Agenturen bieten Verträge an, bei denen sie eine Provision auf Basis des Werbebudgets erhalten und daher nicht den geringsten Erfolgsanreiz haben: Egal wie effizient sie das Geld ihrer Auftraggeber ausgeben, sie kommen immer auf das gleiche Honorar.

Wenn mich digitale Jungunternehmer heute als potentiellen Investor ansprechen, frage ich sie, wer ihre Seite programmiert und wer das Marketing dafür macht. Wenn sie beides an Agenturen ausgelagert haben und sich keiner in der Firma damit auskennt, winke ich ab. Denn besonders im Bereich der IT- und der digitalen Marketingagenturen zahlen Anfänger jede Menge Deppensteuer. Das tat ich bestimmt ebenfalls, wenn auch wahrscheinlich vergleichsweise wenig, weil ich eine Grundregel der digitalen Wirtschaft bereits begriffen hatte.

Jeder hat die Möglichkeit, ein digitales Geschäft aufzubauen. Doch wie in der analogen Welt kommt der Erfolg in der digitalen Welt nicht aus dem Nichts.

Im Sinne meines Konzeptes, aber auch aus bloßem kaufmännischem Instinkt, verzichtete ich im Marketing auf Phrasen wie »Reich werden in drei Jahren«. Ich ließ mich ebenfalls nicht dazu verführen, Likes zu kaufen, die Reichweite vorgaukeln und in Wirklichkeit von ukrainischen oder nigerianischen Nutzern kommen, die mit meiner Akademie nichts zu tun hatten. Ich setzte lieber auf organisches Wachstum.

Raving Fans, also Menschen, die interagieren, echtes Interesse an einem Thema haben und sich damit identifizieren, wollen spüren, dass der Betreiber so einer Plattform mit Herz und Seele dabei ist und nicht bloß Geld verdienen will. Sie erwarten vier Dinge.

Erstens. Authentizität.

Zweitens. Regelmäßigkeit.

Drittens. Interaktion.

Viertens. Gute Inhalte.

Ich postete regelmäßig Beiträge über meine Visionen, meine Arbeit und mein Leben. Ich verlinkte themenverwandte Artikel sowie Videos zu wichtigen politischen oder wirtschaftlichen Ereignissen. Ich beantwortete ständig Fragen, stand dafür bei Live-Chats zur Verfügung und entwickelte die Ask-the-Punk-Show, bei der ich wöchentlich drei Publikumsfragen per Video beantworte.

Wenn ich wie häufig bis in die Morgenstunden mit meinen Mitarbeitern beisammensaß und mit ihnen über unsere Plattform und unsere Kurse diskutierte, hatte ich manchmal ein Argument in den Ohren, das oft von Anhängern der Mittelschicht kam, wenn ich die Notwendigkeit der Digitalisierung und der Auseinandersetzung mit dem Internet ansprach.

Und wann bitte soll ich das machen?

Auch ich war schon ziemlich ausgelastet gewesen, bevor ich meine digitale Zukunft selbst in die Hand genommen hatte, und ich hatte nie vorgehabt, meine anderen Tätigkeiten zu vernachlässigen.

Aber je mehr ich mich damit befasste, desto klarer wurde mir, dass Digitalisierung ein Prozess ist, der Zeit, Energie und etwas Geld kostet. Digitalisierung lässt sich nicht buchen wie ein Yoga-Kurs.

Trotzdem nutzte ich jede Gelegenheit, mich in Sachen digitale Wirtschaft weiterzubilden. Ich schrieb mich selbst bei einigen amerikanischen Online-Akademien ein, um herauszufinden, wie sie funktionierten.

Im Herbst 2014 lernte ich bei der Münchner Konferenz Bits & Pretzels, in deren Rahmen sich Gründer und Interessierte aus der Start-up-Szene treffen, einen erfolgreichen digitalen Unternehmer kennen, der in Immobilien investieren wollte. Er hatte mehrere Firmen, darunter eine Online-Fitnessplattform, gegründet und wollte jetzt sein Geld anlegen. Ich schlug ihm einen Tauschhandel vor. »Ich baue gerade mein digitales Geschäft auf«, berichtete ich. »Erklär du mir, worauf ich achten muss, und ich zeige dir, wie du am besten Wohnungen besichtigst und kaufst.«

Der Deal gefiel ihm. Ich reiste mit ihm nach Stuttgart, weil zu diesem Zeitpunkt der Wohnungskauf dort hohe Renditen versprach. Ich zeigte ihm, worauf er aufpassen musste, begutachtete mit ihm Keller und Dachstühle, und er erklärte mir im Gegenzug etwa, wie ich die Mitgliedsbeiträge für meine Akademie richtig gestaltete. »Einmalzahlungen sind der falsche Weg, um eine Community für ein digitales Infoprodukt aufzubauen«, sagte er. »Du verlangst besser niedrige, aber dafür laufende Mitgliedsbeiträge. Außerdem solltest du dafür sorgen, dass sich deine Mitglieder untereinander austauschen können. Dafür brauchst du Foren und Chat-Funktionen.«

Seinem Rat folgend fing ich mit niedrigen Preisen an, was auch deswegen besser war, weil zu Anfang immer noch Fehler auftraten. Wir legten den Preis zunächst auf 10 Euro pro Monat und 100 pro Jahr fest. Mit verbessertem Angebot konnten wir bald 17 beziehungsweise 147 Euro verlangen und schließlich 29 beziehungsweise 249 Euro. Dazu entwickelten wir ein Angebot für VIP-Nutzer, das unter anderem eine Party im Jahr enthält, bei der sich die VIP-Mitglieder über die Themen Geld und Erfolg austauschen können.

Ebenso suchte ich in dem Gespräch mit dem digitalen Unternehmer Antworten auf all die Fragen, die ich seit meinem Besuch des Tony-Robbins-Seminars noch vor mir hergeschoben hatte.

Was schreibe ich in meinen Beitrag?

Zu welcher Tageszeit poste ich ihn?

Was macht einen Beitrag viral?

Wieso bekommt ein Beitrag nur 20 Likes und ein anderer 500?

Ich lernte, dass ein Beitrag dann erfolgreich ist, wenn sich das Publikum damit identifizieren kann. So etwa kam mein Posting über die verschiedenen Betrachtungsmöglichkeiten einer Immobilie gut an.

Der Verkäufer sieht eine Immobilie als Palast, der Käufer sieht sie als Haus, das Finanzamt sieht sie als vergoldetes Hochhaus und die Bank sieht sie als Hundehütte.

Ich bekam dafür genauso viele Likes wie für den Beitrag über die Geburt meines Sohnes.

Zudem las ich bei jeder Gelegenheit Bücher über die Materie, darunter »From Zero to One« von Peter Thiel, einem rund 2,7 Milliarden Dollar schweren Internetinvestor. Von ihm nahm ich eine wichtige Botschaft mit.

Die ganze Menschheit als Zielgruppe für ein digitales Start-up zu sehen, ist immer ein Fehler.

Wer erfolgreich sein will, sollte sich eine klar definierte Nische suchen, in der er sich auskennt.

Was mich in meiner Strategie bestätigte. Ich kannte mich mit Geldverdienen aus und wusste, wovon ich in meinen Kursen sprach.

 

Irgendwann stellte sich bei mir ein gutes Grundgefühl ein, denn ich hatte nichts falsch eingeschätzt. Je mehr ich mich mit der digitalen Revolution befasste, desto klarer wurde mir, dass sich die Welt tatsächlich gerade teilte: in wenige, die viel haben werden, und in viele, die wenig haben werden.

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