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Teverino

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VII
Querfeldein

»Marquis Tiberino de Montefiori,« sagte Leonce; »ein treuer Freund, welchen ich beim Blumensuchen für sein prachtvolles Alpenherbarium anzutreffen überzeugt war, und ein liebenswürdiger Reisegefährte, den die Vorsehung uns schickt, wenn Sie ihn zu empfangen geruhen und ihm die Ehre erweisen, in Ihr Gefolge aufgenommen zu werden.«

Das schöne Gesicht und der edle Anstand des Marquis Tiberino verscheuchten die üble Laune, welche Lady G***s Stirn verdunkelte.

»Ich bin wohl genöthigt, Ihnen in Allem zu gehorchen,« sagte sie ganz leise zu Leonce, »da Sie heute mein Arzt und Gebieter sind, und ich muß mich Ihren Vorschriften fügen, ohne es damit so genau zu nehmen.«

»Dießmal werden Sie kein großes Verdienst dabei haben,« sagte Leonce, »und bald werde ich mich hierin auf Sie selbst berufen. Marquis, biete Mylady Deinen Arm an; Ich will suchen, unsern Pfarrer und seine Forellen aufzufischen.«

Der Pfarrer hatte Wunder gethan und vergaß, auf seine zahlreichen Eroberungen erpicht, die Zeit, seine Pfarrkinder, sein Amt und seine Haushälterin. Von diesem Allem durfte man ihm nicht mehr sprechen. Als er den silbernen, rubinenbesäten Bauch seiner schönen Forellen auf dem Grase zappeln sah, hüpfte er selbst wie ein Frosch und man sah in seinen großen, runden Augen die unschuldige Freude des Mannes der Kirche blitzen, der erlaubten Vergnügungen mit stürmischer Leidenschaft fröhnt.

Leonce half ihm aus Binsen und Weiden einen Behälter machen, um sie darin fortzutragen, und solchergestalt eingeschlossen, hing man sie lebendig wieder in’s Wasser, nachdem man das grüne Netz noch mit großen Steinen befestigt hatte.

Ich lade Sie ein, diesen Abend in meinem Pfarrhause zu Nacht zu speisen,« rief der Pfarrer, »sie werden köstlich sein, besonders wenn Ihnen noch von jenem guten Wein von vorhin bleibt, um sie anzufeuchten.«

»Ich habe noch weit Besseres,« sagte Leonce; »ich habe in einem Eichwäldchen prachtvolle Blätterschwämme und saftige, ungeheure Eierschwämme bemerkt, und kam, Sie zu holen, daß Sie mir dieselben pflücken helfen.«

»Ach! mein Herr!« rief der Pfarrer, roth vor Begeisterung, »eilen wir hin, bevor die Hirten herabkommen, ihre Kühe zusammenzutreiben. Die Unwissenden würden diese wundervollen Schwämme, deren wir uns durchaus bemächtigen müssen, unter ihren Füßen zertreten. Sie haben wohl gethan, auf mich zu warten, ich kenne alle genießbaren Arten und der Löcherschwamm besonders erfordert eine große Aufmerksamkeit wegen der Menge der Geschwisterkinder, die er in der Klasse der giftigen besitzt.«

»Mag sich Panurg aus der Sache ziehen, wie er kann!« sagte Leonce bei sich, als er Teverino mit Sabina auf einer Felsgruppe in einiger Entfernung sitzen sah. »Sagt er eine Dummheit, so will ich nicht die Schande davon haben und lieber will ich mich den Resultaten der Probe unterziehen, als ihnen die Stirn bieten.«

Er nahm den Pfarrer und Magdalena mit, welche letztere ihnen indeß nur ungern zu folgen schien, unter dem Vorwande, daß alle Schwämme vergiftet und nur zum Fliegentödten tauglich seien.

»Das ist das Vorurtheil vieler Bauern,« sagte der Pfarrer, »selbst in Regionen, wo die Kenntniß eßbarer Arten ihnen eine gesunde und saftige Nahrung liefern könnte.«

Leonce ging nahe genug an Sabina vorbei, daß diese es ihm hätte bemerklich machen können, wenn das Tète-a-Tète ihr mißbeliebig gewesen wäre. Sie that es nicht und schien ihn selbst nicht einmal zu sehen. Was den Pfarrer betraf, so nahm der Alles leicht, wenn er irgend ein ländliches Vergnügen im Kopf hatte oder von einer Leckerei gelockt wurde.

In das Eichwäldchen vertieft, sah sich Leonce bald von dem Pfarrer getrennt, welchen der Entdeckungseifer in’s Gestrüpp hineintrieb und dessen Gegenwart sich nur noch ferner und immer ferner durch enthusiastische Ausrufe verrieth, wenn sich eine neue Gruppe von Schwämmen seinem Blicke darbot.

Magdalena war dem jungen Manne willig gefolgt und hielt ihm statt einem Körbchen ihren großen Strohhut hin; allein Leonce legte nur die Blüthen der Enziane und Balsamblätter hinein. Das Vogelmädchen war zerstreut und einen Augenblick lang glaubte er, verstohlene Thränen in ihren blonden Augenwimpern glänzen zu sehen.

»Was hast Du, mein liebes Kind?« sagte er, ihren Arm fassend und ihn unter den seinigen legend; »verfolgt Dich irgend ein innerlicher Kummer?«

»Achten Sie nicht darauf, mein guter Herr,« antwortete das junge Mädchen, »es ist eine Thorheit, was mir durch den Kopf geht.«

»Was denn?« sagte Leonce, ihren kleinen Arm an seine Brust drückend.

»Ja, sehen Sie nur,« entgegnete sie ungekünstelt, »mein guter Freund ist diesen Morgen vor Tag nach der Glänze gegangen.«

»Er verläßt Dich?«

»O! will’s Gott nicht! Das glaube ich nicht. Er will eine Stelle untersuchen, die er bemerkt hat und die mein Bruder für unzugänglich hält. Er dagegen versichert, die Contrebande wäre dort leichter hinüberzuschmuggeln, und da er uns nicht zur Last sein will, da das Handwerk ihn anlockt und er behauptet, meinem Bruder einen hübschen Streich ausführen zu helfen, so hat er versprochen, diesen Abend zurückzukommen und eine gute Nachricht zu bringen; ich besorge aber, er könnte nicht wiederkommen, und muß fort und fort im Stillen bei mir beten. Das macht, daß ich immer weinen möchte.«

»Dieser Paß ist ohne Zweifel gefährlich und Du fürchtest ein zu waghalsiges Beginnen?«

»Nein, das nicht. Jener Paß ist gefährlich, weil mein Bruder ihn für unzugänglich hält; allein mein Freund ist so gewandt und so verständig, daß er sich schon aus der Sache ziehen wird.«

»Was fürchtest Du denn?«

»Weiß ich’s? Befragen Sie mich nicht, ich kann es Ihnen nicht sagen.«

»Ich will es Dir sagen, ich. Du fürchtest, er liebe Dich nicht mehr. Wo hast Du Dein Vertrauen von heute Morgen?«

»Ich habe Unrecht, nicht wahr?«

»Ich weiß nicht. Aber könntest Du Dich nicht trösten, Aermste?«

»Ich weiß nicht, mein Herr,« antwortete Magdalena mit gen Himmel gewandtem Blicke und einem Tone, der nicht Zweifel an vorsetzlicher Unbeständigkeit, sondern den Schreck der Unerfahrenheit Angesichts des Schmerzes ausdrückte.

»Du weißt es in der That nicht,« entgegnete Leonce, ihre Physionomie aufmerksam beobachtend, »und Du fühlst, daß wenn dieß möglich, es wenigstens sehr schwierig wäre.«

»Das scheint mir ganz und gar nicht möglich. Gott allein aber kann Wunder verrichten und man sagt, wer von ganzem Herzen zu ihm bete, dem versage er Nichts.«

»Deine erste Regung wäre also, ihn zu bitten, er möge Dich von Deiner Liebe befreien? Und das ists nun ohne Zweifel, was Du thust?«

»Nein, mein Herr, ich thäte das erst, wenn ich gewiß wäre, nicht mehr geliebt zu werden, denn wenn ich jetzt bitten würde, auf Jemand, der mir gut ist, böse zu werden, so würde ich Etwas verlangen, was Gott, selbst wenn er es wollte, mir nicht gewähren könnte.«

»Du meinst also, es sei Pflicht, zu lieben, wer uns liebt?«

»Allerdings. Wenn Gott uns erlaubt hat, zu lieben, so will er nicht, daß man aus Laune es aufgebe, und ich glaube sogar, es erzürne ihn dieß sehr.«

»Aber aus Gründen, das wäre ein Unterschied?«

»Dann wäre es Pflicht. Jemand lieben, der uns nicht mehr liebt, hieße ihn beleidigen und ihm zuwiderhandeln. Gott will nicht, daß man seinen Nächsten quäle, besonders um des Guten willen, das er uns gethan hat.«

»Du bist eine große Philosophin, Magdalena.«

»Philosophie, mein Herr, das kenn’ ich nicht.«

»Aber man liebt zuweilen wider Willen, obwohl man sich enthält, es zu sagen und dem Schmerz zu bereiten, der uns verläßt?«

»Ja, und das muß sehr wehe thun!« sagte Magdalena, deren rothe Wangen bei diesem Gedanken erblaßten.

»Aber man betet, mein Kind, und Gott erlöst uns. Sagtest Du das nicht so eben?«

»Es fällt gewiß schwer, zu beten; man muß, ich bin es überzeugt, immer an etwas Anderes denken und um etwas Anderes bitten, als an das, was man erhalten möchte.«

»Das heißt, während man um Genesung bittet, wünscht man wider Willen, geliebt zu werden, wie man es war.«

»Ja, so ists, glaub’ ich, mein Herr. Doch kurz und gut, man muß, an der Barmherzigkeit Gottes nicht verzweifeln!«

»Gott gestattet dann bisweilen, daß ein Anderer uns liebt und man ihm Gehör schenkt?«

»Ich weiß nicht. Wenn man nicht schön ist und an einen Andern denkt, so muß es nicht leicht sein, Jemanden zu gefallen?«

»Aber die Wunder der Vorsehung! Wenn Dein Gesicht einem Andern, als Deinem Freunde, schön erschiene, und wenn Deine Liebe und Dein Schmerz, statt ihm zu mißfallen, Dich in seinen Augen noch schöner machten?«

»Sie sprechen mit viel Milde und Güte, mein lieber Herr; man sieht wohl, daß Sie an Gott glauben und eine Barmherzigkeit besser kennen, als der Herr Pfarrer. Indeß wollen Sie mich auch trösten, indem Sie mir die Sachen in diesem Lichte zeigen, und ich bin so traurig, daß ich sie noch nicht so ansehen kann. Ich denke immer, wie ich leiden würde, wenn mein guter Freund mich nicht mehr liebte, und fürchtete ich nicht, gottlos zu sein, so würde ich mir vorstellen, daß ich daran sterben müßte.«

»Bedenke, daß wenn Du daran stürbest und er es wüßte, er ewig unglücklich sein würde.«

»Und vielleicht würde der liebe Gott ihn strafen, die Ursache meines Todes gewesen zu sein! O nein! in diesem Fall will ich nicht sterben!«

»Du bist gut und edelmüthig, Magdalena; wohlan, ich prophezeie Dir, daß Du nicht hülflos unglücklich sein wirst und Gott ein Herz, wie das Deinige, nicht verlassen wird.«

»Was Sie da sagen, thut mir wohl, mein Herr, und ich wollte, Sie wären statt des Herrn Pfarrers mein Beichtvater. Ich fühle, daß Sie Trost für mich fänden und ich an Sie, wie an Gott glauben würde.«

»Nun denn, Magdalena, so nimm mich wenigstens als Deinen Freund und Rathgeber an. Begegnet Dir ein Unglück, so anvertraue es mir, ich kann vielleicht Etwas für Dich thun, und wäre es auch nur, Dir von Religion zu sprechen und Muth einzuflößen.«

 

»Ach! Sie haben wohl Recht, allein Sie gehören zu jenen Leuten, die durch unsre Gegend kommen und nicht darin verweilen. In drei Tagen sind Sie vielleicht mehr als tausend Stunden von hier.«

»Nimm diese kleine Brieftasche, und verliere sie nicht. Kannst Du lesen?«

»Ja, mein Herr, und auch ein bischen schreiben, was ich meinem Bruder verdanke, der mir sein ganzes Wissen mittheilte.«

»Wohlan, Du wirst eine Adresse und Papiere darin finden, die Dir dienen werden, mich zu Dir zu rufen oder Dich zu mir zu führen, wo ich mich auch befinden möge.«

»Dank, mein Herr, schönen Dank,« sagte Magdalena, die Brieftasche einsteckend; »ich werde Sie nie vergessen, denn ich sehe, daß Sie bedeutende Kenntnisse von der Religion besitzen und Ihr Herz milde ist gegen Solche, die da trauern; ich weiß nun, was ich thun werde. Wenn mein guter Freund undankbar gegen mich ist, so schicke ich ihn zu Ihnen, und ich bin überzeugt, Sie werden ihm dann so heilig zusprechen, daß er mich nimmer wird betrüben wollen.«

»Du fühlst Zutrauen und Freundschaft für mich?«

»O! sehr,« sagte das Vogelmädchen, Leonce’s Arm naiv an ihr Herz drückend.

»Uf!« sagte der Pfarrer, so mit Schwämmen beladen aus dem Gebüsche heraustretend, daß er sich kaum fortbringen konnte; »da seid ihr ja wie Kameraden Arm in Arm. Sachte, Magdalena, sachte, Du bist ein hirnloses Geschöpf, meine Tochter, das Alles wird eine üble Wendung für Dich nehmen.«

»Schelten Sie sie nicht, Herr Pfarrer,« antwortete Leonce; »Sie wird gewiß eine gute Richtung einschlagen, wenn Sie sich nicht darein mischen.«

»Hm! hm!« entgegnete der Pfarrer kopfschüttelnd, »Sie mit Ihrer Tugendmiene beruhigen mich kaum; Sie haben sich heute vielleicht tüchtig über mich lustig gemacht! Marsch, lassen Sie den Arm der Kleinen da fahren und sehen Sie sich meine Ernte an.«

»Legen wir Sie der Lady G*** zu Füßen,« sagte Leonce.

»Und wo ist denn die Ihrige? Was, Blumen, Unkraut! Zu was kann das dienen? Das ist nicht einmal für Wunden tauglich!«

»Das soll dem Herbarium des Marquis zu gute kommen,« entgegnete Leonce. »Und da ich eben auf den Marquis zu sprechen kam,« dachte er, »so bin ich doch begierig zu wissen, ob Frontin nicht das Ohrläppchen gezeigt hat.«

Sie fanden Teverino und Sabina noch am gleichen Orte, wo er sie gelassen hatte; allein die Negerin und der Jockey waren weit weg und der Marquis so nahe bei Lady G***, er hatte eine so trauliche und vergnügte Miene und sie ihrerseits ein so glänzendes Auge und so geröthete Wangen, daß weder das Eine noch das Andere mit der Unterhaltung unzufrieden schien.

»Was ist das?« sagte Lady G***, als sie den Pfarrer seine kryptogamischen Pflanzen prahlerisch auf das Moos ausbreiten sah. »Ach! die schönen goldenen Aepfel? der allerliebst ausgeschnitzte graue Ambra, die ungeheuren Priesterhüte! Das sind ja wunderliche und prachtvolle Pflanzen.«

»Prachtvoll? wunderlich?« sagte der Pfarrer geärgert; »sagen Sie ausgezeichnet, Madame; sagen Sie duftend, frisch, saftig! Gott hat sie nicht zur Augenlust erschaffen, sondern zu einem Labsal des menschlichen Magens.«

»Ach! um Vergebung, Herr Pfarrer,« sagte Teverino, ein verdächtiges Stück weit von sich werfend; »das ist ein giftiger Blätterschwamm.«

»Mag sein, mag sein!« sagte der Pfarrer. »Bei der Eile des Sammelns kann man sich täuschen.«

»Sie verstehen sich also auf Alles?« sagte Sabina, dem Marquis einen süßen Blick zuwerfend. »Was wissen Sie denn nicht?«

»Nun, wie finden Sie ihn, meinen Marquis?« fragte Leonce, indem er sie etwas abseits zog.

»Wie könnte ich ihn anders, denn reizend finden? Wäre es möglich, zweierlei Meinungen von ihm zu haben? Wenn er nicht wäre, was er scheint, so würde es höchst unklug von Ihnen sein, lieber Doktor, mir einen Mann mit so verführerischen Reizen vorzustellen.«

Sabina sprach in scherzendem Tone, allein sie hatte wider Willen gleichsam einen feuchten Schleier vor den Augen, welcher ein geheimes Berauschtsein verrieth.

»Großer Gott! was hätte ich gethan?« dachte Leonce bestürzt und wollte sich schon beeilen, ihr zu gestehen, welchen Übeln Scherz man mit ihr getrieben habe, als ein unruhiger und durchdringender Blick Teverinos, dem er begegnete, ihm den Mund schloß und ihn an sein Gelübde erinnerte.

»Nein, es ist unmöglich,« sagte er sich dann, »dieses kalte und stolze Weib kann sich nicht so arg täuschen; sie kann nicht nur so auf den ersten Blick in einen Marquis von meiner Mache verliebt werden. Und dennoch,« fügte er hinzu, indem er Teverino, der setzt im vollsten Glanze seiner Rolle war, betrachtete, »wenn man nur die wundervolle Schönheit dieses Zigeuners, den Anstand seiner Manieren, dieses unglaublich ausgezeichnete Wesen anschaut, wenn man diese harmonische Stimme, diese Geist und Poesie sprühende Sprache hört: wer sollte da noch größere Reize besitzen? wer mehr Sympathie erregen? Ist das nicht ein italiänischer Marquis, welcher Seinesgleichen vielleicht in der ganzen Aristokratie des Weltalls nicht besitzt? Gibt es eine einzige Frau, die blind genug wäre, nicht von ihm geblendet zu werden.«

Leonce wurde besorgt und nachdenklich und Sabina war genöthigt, ihn zu rütteln, um ihn aus seinen Träumereien zu ziehen. Die Sonne neigte sich, das Wetter war zur Heimkehr günstig; noch ungeduldiger, seine Forellen und Schwämme kochen zu lassen, als die Unruhe seiner Haushälterin und seines Sakristans zu beschwichtigen, lud der Pfarrer die sämmtliche Gesellschaft ein, mit ihm ins Pfarrhaus zurückzukehren. Abseits sitzend und völlig stumm, schien Magdalena gegen Alles, was um sie her vorging, gleichgültig.

»Herr Leontio,« sagte der italienische Vagabund, als man eben die Kutsche wieder besteigen wollte, »sind Sie in Lady Sabina verliebt?«

»Sie sind sehr neugierig, signore marchese!« antwortete Leonce mit ironischer Trockenheit.

»Nein! aber Ihr Freund bin ich, ein ehrlicher Freund, und ich muß Ihre Gefühle kennen, um ihnen nicht hinderlich zu sein.«

»Sie sind ein Geck, mein Lieber!«

«Sind Sie schon ärgerlich? Nun, sagte ich Ihnen nicht, vierundzwanzig Stunden würden das Ende der Welt zwischen uns setzen? Schon gut, Ihr Geheimniß habe ich errathen und brauche weiter nicht in Sie zu dringen. Leonce, Sie werden erkennen, daß Teverino ein Ehrenmann ist!«

Und sich auf den Kutschensitz schwingend, fügte er mit lauter Stimme hinzu:

»Ich mache den Kutscher. Dame Erebus,« sagte er zu der Negerin, »Sie begeben sich in die Kutsche und ich ergreife die Zügel. Ich bin ein leidenschaftlicher Pferdeliebhaber!«

»Das ist nicht liebenswürdig,« bemerkte Lady G***, der diese Anordnung augenscheinlich mißfiel. »Unsre Gesellschaft hat geringen Reiz für Sie, Marquis!«

»Und zudem kennen Sie die Gegend nicht,« warf der Pfarrer ein. »Wir haben uns schon verirrt, machen Sie wenigstens nicht, daß wir statt des Nachtessens mit dem Abendthau vorlieb nehmen und unterm Sternenhimmel schlafen müssen!«

»Lassen Sie doch den Marquis machen,« sagte Leonce, »und wenn Sie von Sternen reden, so anvertrauen Sie sich dem seinigen! . . . Kannst Du das Leitseil führen?« fragte er Teverino.

»Vielleicht!« antwortete dieser, »obwohl ich es nie versucht habt.«

»Schönen Dank!« rief der Polterer. »Da werden Sie uns umwerfen, uns die Rippen brechen! Mit den Abgründen und Hohlwegen läßt sich nicht spaßen. Mein Herr! mein Herr! überlassen Sie die Zügel dem jungen Burschen da, der sich sehr gut darauf versteht.«

»Mach’ keine Dummheiten,« sagte Leonce ganz leise zu Teverino; »wenn Du nie Kutscher warst, so laß das Ding bleiben.«

»Das lernt sich Alles aus dem Stegreif,« antwortete der Marquis, »und ich fühle mich so begeistert, daß ich den Sonnenwagen lenken könnte.«

Hierauf peitschte er Leonce’s Pferde, die in rasendem Galopp davon eilten.

»Nicht hierdurch, nicht hierdurch!« rief der Pfarrer, wider Willen fluchend. »Wo zum Teufel fahren Sie hin? St. Apollinaire liegt zur Linken.«

»Sie irren sich, Abbé,« antwortete der Phaeton; »ich kenne das Gebirge besser, als Sie.« Und sich zu dem unmittelbar hinter ihm sitzenden Leonce hinabneigend, fragte er diesen in’s Ohr:

»Wo soll ich hinfahren?«

»Ueberall, nirgends hin, zum Teufel, wenn Du’s für gut findest!« antwortete Leonce in demselben Tone.

»In diesem Fall, zu allen Teufeln!« versetzte Teverino, und von Neuem auf die Pferde einhauend, ließ er den Pfarrer brummen und schelten, bis die Furcht ihn blaß und, stumm machte.

Ein solcher Schreck war nicht zu übel begründet. Teverino war mehr gewandt als erfahren. Von Natur aus verwegen und mit einer der Mehrzahl der Menschen überlegenen Geistesgegenwart, Behendigkeit und Körperkraft begabt, verachtete er die Gefahr und kannte weder moralische noch materielle Hindernisse, die er nicht hätte heben oder übersteigen können.

In dieser Ueberzeugung und entzückt von der Kraft und Lenksamkeit der Pferde Leonce’s, ließ er sie an Abgründen hinrasen, verschmähend, sie zu langsamerm Laufe anzuhalten, wenn der Weg sich schrecklich verengerte, sie Baumstämme und Felsblöcke streiften, steile Abhänge erklommen, mit verhängten Zügeln bergab sausten und die Räder am äußersten Rande einer senkrechten Schlucht, in deren Tiefe der Strom toste, Funken sprühten.

Anfangs hatte auch Sabina Furcht, ernstlich Furcht, und da sie es für einen Spaß von schlechtem Geschmacke hielt, fing sie an, zu besorgen, dieser italienische Marquis möchte wie die ungebildeten Leute sein, die sich aus den Qualen einer furchtsamen Frau ein dummes Vergnügen machen. Sie ließ indeß weder ihre Angst noch ihre Unzufriedenheit merken; sie wußte, daß in solchem Falle die einzige, dem Schwachen erlaubte Rache die ist, die rohe Verwegenheit nicht durch das Schauspiel seiner Qualen zu ergötzen. Sabina war stolz genug, dem Tode lieber die Stirn zu bieten, als nur mit den Augen zu zwinken. Sie zwang sich daher, zu lachen und den Pfarrer zu verhöhnen, obwohl sie im Grund der Seele weniger ruhig als er war.

Bald aber machte die Furcht einer Art überspannten Muthes in ihr Platz, denn sie sah, daß Leonce auf die unglaubliche Geschicklichkeit des Marquis etwas eifersüchtig war und da die Gefahr eigentlich jeden Augenblick überwunden wurde, so fand sie eine neue Gelegenheit darin, Teverino, der sich oft nach ihr umwandte, als wolle er in ihrem Beifall neue Kräfte schöpfen, zu bewundern.

»Er fährt wie toll!« sagte Leonce, den Abgrund messend, »und vorwärts kommen wir, wenn’s lange so geht. Fürchten Sie sich nicht, Mylady, und soll ich etwa versuchen, ihn zu etwas mehr Behutsamkeit zu veranlassen?«

»Vor was sollte ich Furcht haben?« antwortete sie, ihrerseits den Abgrund mit stolzer Gleichgültigkeit betrachtend; »ist Ihr Freund nicht ein Zauberer? Wir werden vom Wunder getragen und könnten ihm über die Wasser folgen, wenn wir Alle den Glauben besäßen, den ich in ihn setze!«

»Das ist Fanatismus, Madame, was Sie da für den Marquis an den Tag legen!«

»Sie zeigen solchen nicht weniger, da Sie ihm Ihr und unser Geschick anvertraut haben!«

»Ich gestehe Ihnen, daß er in Allem weit schneller geht, als ich voraussehen konnte, und daß er von dem rasenden Vergnügen, welches so viele Erfolge ihm verursachen, gleichsam trunken ist.«

»Es ist eine energische Natur, ein Löwenmuth,« sagte Sabina, über diesen Vorwurf empfindlich. »Diese Gefahr hat einen eigenen Reiz für mich, und von Allem, was Sie heute ersonnen haben, ergötzt mich das am meisten.«

»In diesem Fall, verdoppeln wir die Dosis! Vorwärts doch, Marquis! Du schläfst ein!«

Teverino ließ die Pferde einen solchen Anlauf nehmen, daß der Pfarrer auf dem Rücksitz der Kutsche zusammenrollte, und drei Viertheile ohnmächtig vor Furcht, nur noch daran dachte, sein In manus herzusagen.

Sabina brach in ein Gelächter aus, die Negerin bekreuzigte sich. Was Magdalena betrifft, so war sie wirklich die einzige wahrhaft Beherzte und für die Gefahr vollkommen Gleichgültige. Sie betrachtete die goldenen Wolken des Westens, unter welchen, von der Annäherung des Abends belebt, die Geier hin und her flatterten.