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Kora

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3

Ich wunderte mich, den Gatten Kora's weder im Laden noch bei seiner Frau anzutreffen und wagte mich schüchtern nach dem Grunde zu erkundigen. Kora entgegnete mir, Gibonneau vollende sein Pflichtjahr als Apotheker unter der Leitung des ersten Pharmaceuten der Stadt. Er kam nur Abends nach Hause und ging frühmorgens wieder fort. Dieser Klotz war also im Stande, fern von dem schönsten Wesen unter der Sonne seine Tage zuzubringen! Er besaß die köstlichste Perle auf der Welt und ließ sie eine ganze Hälfte seines Lebens allein, um Salben zu mischen und Pillen zu drehen!

Wie dankte ich aber auch dem Himmel, der ihn zu solchem niedern Dasein verdammt hatte und ihm die Gunst, seine süße Lebensgefährtin beim Lichte des Tages zu schauen, zu versagen schien, weil er ihrer nicht würdig war. Erst zur Stunde, wo die Fledermäuse und Eulen ihren düstern Flug beginnen und auf leichten, weichen Flügeln durch den wallenden, weißen Abendnebel huschen, durfte er zu ihr zurückkehren. Er kam im Dunkel wie ein nächtlicher Dieb, wie ein boshafter Kobold, der auf dem Nachtwind und dem Irrwisch durch die Sümpfe reitet. Er kam, ein düsteres, unheimliches Gespenst, noch mit dem weißen Schurz wie mit einem Leichentuch bekleidet, und hauchte jenen Weihrauchduft aus, der die Katafalke zu umwogen pflegt. Zuweilen sah ich ihn durch den Nebel schwanken und wie ein Gespenst an den grauen Mauern hingleiten. Mehrere Male begegnete ich ihm auf der Schwelle und war versucht, ihn wie einen Wurm in den Rinnstein zu schleudern; ich schonte ihn aber, denn offen gestanden, er war ungeschlacht wie ein Büffel und ich in Folge des Fiebers ganz dünnleibig und durchsichtig.

Kora, täglich vom Hahnenschrei bis zur Abenddämmerung verwittwet, blieb arglos und vertrauensvoll bei mir. Fast alle meine Tage brachte ich in dem alten Familienlehnstuhl zu, oder setzte ich mich, wenn die Aprilsonne wirklich warm herabschien, auf die steinerne Bank am Hause, die sich unter Kora's Fenster hinzog. Dort, nur durch die Zweige des Goldlacks von ihr getrennt, sog ich mit dem Blumendufte ihren Athem ein und bewunderte den Ausdruck ihres Auges, das klar und ruhig war, wie die wellenlose Flut, die an den Küsten Gräcia's schlummert. Wir schwiegen, aber mein Herz flog zu ihr und suchte das ihre mit einer Anziehungskraft, gegen die sie unmöglich unempfindlich bleiben konnte. Ich wiegte mich in süße Träume. Warum sollte Kora mich nicht lieben? Vielleicht mußte es heißen: wie hätte Kora mich nicht lieben müssen? Ich meinerseits liebte sie wahnsinnig, all meine geistigen Kräfte verbanden sich zu einem einzigen gewaltigen Verlangen, das sich unabweislich auf Kora richtete. Konnte ihre, aus dem herrlichsten Ausfluß der Gottheit gebildete Seele unter dem magnetischen Hauche dieses feurigen Wunsches kalt und leblos bleiben? Ich wollte es nicht glauben und fühlte mein Herz so rein, mein Sehnen so keusch und züchtig, daß ich bald Kora nicht mehr zu beleidigen fürchtete, wenn ich ihr mein Inneres enthüllte. Ich redete nun mit ihr jene Sprache des Himmels, für die nur poetische Seelen ein Verständniß besitzen. Ich schilderte ihr die unerschöpflichen Qualen, die göttliche Pein meiner Liebe. Ich erzählte ihr meine Träume, enthüllte ihr meine Illusionen, recitirte ihr die Tausende von Gedichten und Alexandrinern, die ich für sie geschaffen hatte. Und ich hatte das Glück, sie, fortgerissen und überwältigt, das Buch bei Seite legen und sich mit ergriffener Miene zu mir neigen zu sehen, um mich ganz zu verstehen, denn meine Worte hatten einen ihr ganz unbekannten Sinn und schütteten in ihre Seele eine Reihe erhabener Gedanken, die sie noch nie ins Auge zu fassen gewagt hatte.

»O Kora, meine Kora,« rief ich, »was könntest du von einer so reinen Liebe zu befürchten haben? Der Blitz, der sich in den Lüften entzündet, ist nicht reinerer Natur als das Feuer, von dem ich mich mit Entzücken durchlodert fühle! Warum sollte dein scheues Schamgefühl, dein hoher Frauenstolz sich über eine Liebe beunruhigen, die so übersinnlich ist als die unsrige? Mag ein Gatte, ein Herr den Schatz der körperlichen Schönheit besitzen, den die himmlischen Mächte dir zu Theil werden ließen! ich werde nie versuchen, ihm das zu rauben, was Gott, die Menschen und dein Wort ihm als sein Eigenthum zugesichert haben! Mein Antheil wird weniger greifbar, weniger berauschend, aber glorreicher und edler sein, wenn du mich erhörst. Den ätherischen Theil deines Gemüths begehre ich, dein glühendes Streben nach der Gottheit will ich umschlingen und mir zu eigen machen, damit ich dein Himmel und deine Seele sei, wie du mein Gott und mein Leben bist!«

Diese Dinge schienen Kora unverständlich – ihr Gemüth war so rein, so kindlich unschuldig! Sie sah mich mit verblüffter Miene an, und um ihr die göttlichen Mysterien der platonischen Liebe begreiflicher zu machen, ergriff ich meinen Kreidestift und schrieb an ihrem Fenster Verse auf die Wand. Dann erzählte ich ihr von den poetischen Wundern der Geisterwelt, von der Liebe der Engel und der Feen, von den Leiden und Thränen der in den Blumenkelchen eingekerkerten Elfen, von der glühenden Liebe der Rosen zum Frühlingswinde, von der Musik der Sphären, die man Abends in den Lüften hört, vom sympathischen Tanz der Sterne, vom Teufelsspuk des Hexensabbaths, von den Tücken der Kobolde und den unbegreiflichen Entdeckungen der Alchemie.

Unser Glück schien durch keinen Vorfall in der Außenwelt gestört werden zu können. Indem ich mich auf das Engste an die Poesie anschloß, hatte ich mich in meiner geistigen Welt so gut gegen allen Schwierigkeiten und Hindernissen des wirklichen Lebens abzusondern gewußt, daß ich von der Dazwischenkunft jener plumpen, verständnislosen Ansichten, die in unserer Umgebung üppig wucherten, nichts zu fürchten zu haben schien. Meine Gefühle waren so reiner, erhabener Natur, daß ich dem Alltagsmenschen, der sich Kora's Herr und Gemahl nannte, in keiner Weise Eifersucht einflößen konnte.

Lange Zeit schien er in der That ein Verständniß dafür zu haben, welche Achtung er einem vom Himmel beschützten Liebesbunde schuldig sei. Nach Verlauf von sechs Wochen aber bemerkte ich eine seltsame Veränderung im Benehmen der Familie gegen mich. Der Vater sah mich mit spöttischmiß-trauischer Miene an, so oft er das Zimmer betrat, in welchem wir uns aufhielten. Die Mutter zeigte eine besondere Neigung, all die Zeit, die sie den Ladengeschäften abmüßigen konnte, bei uns zuzubringen. Gibonneau schleuderte mir, wenn ich ihm zufällig begegnete, düstere und drohende Blicke zu. Sogar Kora wurde zurückhaltender: sie stieg später in das Erdgeschoß herunter, kehrte frühzeitiger auf ihr Zimmer zurück und erschien sogar an manchen Tagen gar nicht. Das erschreckte mich, und ich wagte mich darüber zu beklagen. Mit der Beredtsamkeit, welche die Leidenschaft uns verleiht, versuchte ich, ihr das Ungerechte und Grausame ihres Benehmens begreiflich zu machen. Sie hörte mich mit erkünstelt ruhiger, beinahe furchtsamer Miene an, und ich bemerkte, daß sie unruhig nach der Thür schaute.

»Kora,« rief ich voll glühender Begeisterung, »sollte dir irgend eine Gefahr drohen? Sprich, rede, wo sind deine Feinde? Nenne mir die Schändlichen, die dich schwache, himmlische Creatur mit den ehernen Ketten eines verabscheuten Joches belasten! Sag mir, wer ist der Dämon, der den freien Aufschwung deiner Seele hindert und die naiven Ergüsse deines Herzens in dein Inneres zurückzwängt, als wären es bittere Selbstanklagen! Ha, ich verstehe es, sie zu bannen, ich kenne mehr als eine Zauberformel, um die Dämonen des Hasses und der Rachsucht in Ketten zu schmieden, ich weiß mehr als ein magisches Wort, um die Engel herbeizurufen, die Schutzengel, die deine Brüder und doch weniger unschuldig, weniger schön sind als du!« . . .

Ich erhob während des Sprechens die Stimme und näherte mich Kora, um ihre Hand zu ergreifen, die sie mir immer wieder entzog. Die Stirn in Begeisterungsschweiß gebadet, mit wirrem Haar und blitzendem Auge, reckte ich mich nun in die Höhe – – –

Kora stieß einen lauten Schrei aus, und ihr Vater stürzte mit einer Eile ins Zimmer, als ob ihm das Haus über dem Kopfe brenne. Als er sich mir mit drohender Miene näherte, ergriff Kora ihn beim Arme und sagte sanft:

»Lassen Sie ihn, Vater. Er hat einen seiner Anfälle. Regen Sie ihn nicht auf, das geht vorüber.«

Vergebens suchte ich den Sinn dieser Worte zu enträtseln. Sie ging hinaus, und ihr Vater wandte sich zu mir mit den Worten:

»He, Herr Georges, kommen Sie zu sich! Hier denkt Niemand daran, Sie zu kränken. Sie sind wahrhaftig nicht recht bei Troste . . . Vorwärts, vorwärts, gehen Sie nach Hause und beruhigen Sie sich.«

Ganz verblüfft über diese wohlwollende Rede gab ich mit der Willenlosigkeit eines Kindes nach und ließ mich von dem Materialwaarenhändler nach Hause führen. Eine Stunde später sah ich den Staatsanwalt und den Stadtarzt in mein Zimmer treten. Da ich beide ziemlich genau kannte, befremdete mich ihr Besuch nicht, ich begann mich aber über die auffallende Art und Weise zu ärgern, mit welcher der Arzt meinen Puls fühlte, während er den Ausdruck meines Blickes und die Ausdehnung meiner Pupille sorgfältig beobachtete. Er begann darauf die Schläge meiner Arterien am Halse und an den Schläfen zu zählen und den äußern Wärmegrad meines Gehirns mit der hohlen Hand zu untersuchen.

»Was bedeutet das alles, mein Herr?« fragte ich. »Ich habe sie zu keiner Consultation herbeschieden. Ich fühle mich wohl genug, um ohne ärztlichen Beistand fertig werden zu können, und bin nicht geneigt, mir denselben aufdrängen zu lassen.«

Doch statt aller Antwort trat er zu dem Beamten, und beide zogen sich in die Fensternische zurück, um leise mit einander zu reden. Sie schienen sich über mich zu berathen, denn alle Augenblicke drehten sie sich um, um mich aufmerksam und mißtrauisch zu beobachten. Endlich näherten sie sich mir, und der Staatsanwalt richtete mehrere seltsame Fragen an mich, zuerst, welche Farbe seine Weste zu haben scheine, dann, ob ich seinen Namen wüßte, endlich, ob ich mein Alter, meine Heimat und meinen Erwerbszweig angeben könnte.

 

Ich beantwortete diese sonderbaren Fragen in größter Verblüfftheit, bis der Arzt mich seinerseits inquirirte, ob ich außer dem Staatsanwalt, ihm und nur keine andere Person im Zimmer sähe, ob es Tag oder Nacht wäre, und endlich, ob ich versichern könnte, daß ich fünf Finger an jeder Hand hätte. Ueber diese unverschämten Fragen empört, beantwortete ich die letzte mit einer tüchtigen Ohrfeige. Ich that daran ohne Zweifel unrecht, namentlich in Gegenwart eines Beamten, der sofort bereit war, den Prozeß wegen des Verbrechens einzuleiten. Aber das Blut stieg mir in den Kopf, und es war mir unmöglich, mich ohne Grund noch länger wie einen Schwachsinnigen oder Verrückten behandeln zu lassen.

Der Lärm wurde groß. Der Beamte wollte für seinen Gevatter Partei ergreifen; ich packte ihn bei der Gurgel und hätte ihn erdrosselt, wenn ihm der Krämer, dessen Schwiegersohn und ein halbes Dutzend Nachbarn nicht zu Hilfe gekommen wären. Nun bemächtigte man sich meiner, band mir wie einem Rasenden Hände und Füße, stopfte mir eine Serviette in den Mund und transportirte mich in das städtische Krankenhaus, wo ich in das für Wahnsinnige bestimmte Zimmer eingesperrt wurde.

Ich muß gestehen, das Zimmer war bequem eingerichtet, und man behandelte mich mit vieler Milde, um so mehr, da ich kein Zeichen von Tollheit blicken ließ. Der Irrthum des Arztes und des Beamten wurde bald festgestellt. Es wurde mir aber schwer, meine Freiheit wiederzuerlangen, denn da der letztere voraussah, daß er genöthigt sein würde, der Injurie wegen, die ich ihm zugefügt hatte, Rechenschaft von mir zu fordern, so ließ er mich hartnäckig für verrückt gelten, um sich betreffs meiner den Anschein der Großmuth und der Kaltblütigkeit geben zu können.

Endlich wurde ich entlassen. Aber der Staatsanwalt ließ mich sogleich auf sein Zimmer rufen und hielt mir folgende Standrede:

»Junger Mann,« sagte er in jenem dünkelhaften, väterlich ermahnenden Tone, den anzunehmen jeder gelbschnäblige Beamte das Recht zu haben glaubt, sobald er den Amtsrock auf dem Leibe hat, »junger Mann, Sie haben, wenn nicht schwere Fehler, so doch große Unüberlegtheiten wieder gut zu machen. Sie waren fremd und sind hier in der Stadt mit allen Zeichen des Wohlwollens und all der geselligen Zuvorkommenheit, welche die Bewohner auszeichnet, aufgenommen worden. Sie waren krank und sind von Ihren Nachbarn mit Eifer und Hingebung gepflegt worden. Alle diese Beweise des Vertrauens und der Theilnahme hätten das Gefühl des Anstands und der Dankbarkeit in Ihrem Herzen erwecken müssen« – – –