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Fadette

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Dreiunddreißigstes Kapitel

Als der Vater Barbeau sich überzeugte, wie klug sie war, und wie sie alles so klug anzustellen wußte, kam es ihm weniger darauf an sie zu drängen, daß sie ihr Geld in Sicherheit bringen oder gut anlegen sollte. Vielmehr lag es ihm am Herzen seine eignen Erkundigungen darüber einzuziehen, in welchem Rufe sie in Chateau Meillant gestanden hatte, wo sie sich während des vergangenen Jahres aufgehalten hatte. Wenn die schöne Mitgift ihm auch verführerisch genug erschien, um sich über die niedrige Verwandtschaft hinwegzusetzen, so war es doch etwas anderes, sobald es sich um die persönliche Ehre des Mädchens handelte, das er sich als Schwiegertochter wünschte. Er ging deshalb selbst nach Chateau Meillant und stellte genaue Erkundigungen an. So erfuhr er nun, daß die Fadette bei ihrer Ankunft nicht nur nicht in der Hoffnung gewesen sei, sondern daß auch ihr Betragen während der ganzen Zeit ihres dortigen Aufenthaltes so durchaus lobenswert gewesen sei, daß man ihr auch nicht das Geringste zu ihrem Nachteile nachsagen könne. Sie hatte bei einer alten adeligen Klosterfrau gedient, die soviel Vergnügen an ihrer guten Aufführung, ihren artigen Manieren und an ihrem verständigen Gespräch gefunden hatte, daß sie sie mehr als Gesellschafterin wie als Dienerin behandelt hatte. Sie sehnte sich nach ihr zurück und sagte von ihr, daß sie eine vollkommene Christin gewesen sei, stets gefaßt und mutig, sparsam, reinlich und höchst aufmerksam, kurz von so liebenswürdigem Charakter und Wesen, daß gewiß niemals eine so gute Dienerin wieder zu finden sein würde. Da diese alte Dame ein ziemlich bedeutendes Vermögen besaß, war sie sehr wohlthätig, wobei die kleine Fadette ihr außerordentlich behilflich gewesen war, indem sie sich in der Pflege der Kranken und bei der Bereitung von Medikamenten als sehr geschickt bewährt hatte. Dazu hatte sie noch manches schätzbare Geheimmittel kennen gelernt, mit dem ihre Herrin vor Ausbruch der Revolution in ihrem Kloster vertraut geworden war.

Der Vater Barbeau kehrte sehr befriedigt nach la Cosse zurück, und war entschlossen sich in dieser Angelegenheit jede mögliche Aufklärung zu verschaffen. Er versammelte also seine ganze Familie, und beauftragte seine ältesten Kinder, seine Brüder, sowie überhaupt alle seine Verwandten, daß sie sich in behutsamer Weise nach der Aufführung erkundigen sollten, welche die Fadette seit der Zeit, daß sie als erwachsen zu betrachten sei, gepflogen habe. Wenn das Böse, das ihr früher nachgesagt wurde, nur in kindischen Streichen bestanden hatte, so konnte man darüber lachen. Wenn sich aber jemand fand, der behaupten konnte, sie bei Ausübung irgend einer schlechten Handlung betroffen zu haben, oder daß sie sich irgend einer Unanständigkeit schuldig gemacht hatte, dann wollte der Vater Barbeau das früher schon Landry gegebene Verbot, sie nicht mehr besuchen zu dürfen mit aller Strenge aufrecht erhalten. Die Nachforschung wurde, seinem Wunsche gemäß, mit aller Vorsicht betrieben, ohne daß in Bezug auf die reiche Mitgift auch nur etwas zur Sprache gekommen wäre, denn Vater Barbeau hatte nicht einmal seiner Frau auch nur ein Sterbenswort davon gesagt.

Während dieser ganzen Zeit lebte die kleine Fadette sehr eingezogen in ihrem Häuschen. Sie wollte alles darin unverändert lassen, nur daß sie es so reinlich hielt, daß die ärmlichen Hausgeräte spiegelblank waren. Auch ihrem kleinen Grashüpfer zog sie anständige Kleider an, und ohne viel davon zu reden versorgte sie ihn, wie auch sich selbst und ihre Patin mit kräftigerer Nahrung, welche in kurzer Zeit ihre gute Wirkung auf das Kind nicht verfehlte. Es machte sich bald so heraus, daß man darüber staunen mußte, und seine Gesundheit kräftigte sich so sehr, daß man es nicht besser wünschen konnte. Das Wohlsein brachte auch bald eine günstige Veränderung in seiner Gemütsart hervor. Da er nicht mehr von seiner Großmutter bedroht und ausgezankt wurde, und nur noch Liebkosungen und sanfte Worte, kurz eine gute Behandlung erfuhr, gewannen seine Glieder an Kraft und Fülle. Er wurde ein sehr hübscher Junge, voll allerliebster, drolliger Einfälle, der trotz seines Hinkens und seiner kleinen Stumpfnase niemanden mehr mißfallen konnte.

Andererseits bewirkte die große Veränderung in der Erscheinung und in den Gewohnheiten von Fränzchen Fadet, daß die früheren bösen Nachreden in Vergessenheit gerieten, sodaß mehr als ein Bursche, wenn er sie so behende und zierlich dahinschreiten sah, gewünscht hätte, es möchte mit ihrer Trauer zu Ende sein, um ihr den Hof machen und sie zum Tanze führen zu können.

Nur Sylvinet Barbeau wollte in Bezug auf sie durchaus nicht anderer Meinung werden. Er bemerkte recht gut, daß man in seiner Familie etwas Besonderes vorhabe; denn der Vater Barbeau konnte sich nicht enthalten oft von ihr zu reden, und wenn er erfuhr, daß irgend eine der ehemaligen Lügen, die man Fränzchen Fadet angehängt hatte, widerlegt sei, freute er sich darüber in Landrys Interesse. Er pflegte dann zu sagen, daß er es nicht leiden könne, daß man seinen Sohn beschuldigt habe, ein so junges unschuldiges Blut ins Unglück gebracht zu haben.

Es war auch die Rede davon, daß Landry bald zurückkehren würde, und der Vater Barbeau schien zu wünschen, daß der alte Caillaud seine Zustimmung dazu geben möchte. Endlich wurde es Sylvinet klar, daß man der Liebe Landrys nicht mehr entgegen war, und er empfand aufs neue seinen alten Verdruß. Die Meinung der Menge, die mit jedem Winde wechselt, hatte sich seit kurzem zu Fadettes Gunsten gewandt; man hatte noch keine Ahnung von ihrem Reichtum, aber sie gefiel, und grade deshalb mißfiel sie Sylvinet umsomehr, der in ihr seine Nebenbuhlerin im Herzen seines Bruders erblickte. Von Zeit zu Zeit ließ der Vater Barbeau vor ihm ein Wort von Heirat fallen, und sagte dabei, daß seine Zwillinge nun bald in dem Alter ständen, daran zu denken sich einen eigenen Hausstand zu gründen. Der Gedanke, daß Landry heiraten könne, war von jeher für Sylvinet trostlos gewesen und hatte ihn gleichsam wie das Stichwort zu ihrer Trennung berührt. So kam es, daß er wieder vom Fieber ergriffen wurde, und seine Mutter wandte sich aufs neue an die Ärzte um Rat.

Eines Tages begegnete ihr die Pate Fanchette; als diese sie in ihrer Kümmernis so heftig klagen hörte, fragte sie, warum denn die Mutter Barbeau so weit gehe um Rat und Hilfe zu suchen und so viel Geld damit verschwende, da sie doch ganz in der Nähe eine viel geschicktere Heilkünstlerin habe, als alle anderen im Lande, und die gar kein Geld für ihren Beistand verlange, wie ihre Großmutter dies allerdings gethan habe. Sie nannte nun die kleine Fadette, die alles nur um Gottes willen und aus Liebe zu ihrem Nächsten thue.

Die Mutter Barbeau überlegte nun die Sache mit ihrem Manne, und dieser fand nichts dagegen einzuwenden. Er sagte ihr, daß die Fadette in Chateau Meillant im Rufe stehe sehr viel zu wissen, und daß man von allen Orten herbeigekommen sei, sie um Rat zu fragen, sie sowohl wie auch ihre gnädige Frau.

Die Mutter Barbeau bat also die Fadette, Sylvinet, der das Bett hütete, zu besuchen und ihm ihren Beistand angedeihen zu lassen.

Fränzchen hatte schon wiederholt die Gelegenheit gesucht mit ihm zu reden, wie sie es Landry versprochen hatte; allein ihre Versuche waren stets vergeblich gewesen, da er nicht darauf eingehen wollte. Trotzdem ließ sie sich jetzt nicht lange bitten, sondern eilte herbei den armen Zwilling zu besuchen. Sie fand ihn schlummernd im Fieber liegen, und bat die Familie sie mit ihm allein zu lassen. Da es die Gewohnheit der Heilkünstlerinnen ist, ihre Mittel im Verborgenen anzuwenden, fand sie keinen Widerspruch, und alle entfernten sich.

Zunächst legte die Fadette ihre Hand auf die des Zwillings, welche schlaff über den Rand der Bettstatt hing; aber sie that dies so zart, daß er nichts davon wahrnahm, obgleich sein Schlaf so leicht war, daß die Bewegung einer Fliege ihn hätte wecken können. Sylvinets Hand brannte wie Feuer, und unter der Hand der Fadette wurde sie noch glühender. Er schien in eine Aufregung zu geraten, aber ohne den Versuch zu machen seine Hand zurückzuziehen. Darauf legte ihm Fadette ihre andere Hand auf die Stirn, ebenso zart wie sie die Hand berührt hatte, und er bewegte sich noch mehr. Aber nach und nach beruhigte er sich wieder, und sie fühlte, daß die Hitze im Kopf und in der Hand des Kranken sich mit jeder Minute verminderten, und daß sein Schlaf so ruhig wurde, wie der eines kleinen Kindes. Sie blieb an seinem Bette sitzen bis sie bemerkte, daß er bald erwachen würde. Dann trat sie hinter dem Bettvorhang hervor und verließ das Zimmer und das Haus, indem sie der Mutter Barbeau beim Abschied sagte: »Gehen Sie jetzt zu Ihrem Sohn hinein und geben Sie ihm etwas zu essen, denn das Fieber hat ihn verlassen. Sagen Sie ihm aber nur ja nichts von mir, wenn Sie wollen, daß die Heilung gelingen soll. Am Abend werde ich wiederkommen, um die Zeit, in der, wie Sie mir gesagt haben, das Übel sich zu verschlimmern pflegt; ich versuche dann wieder dieses böse Fieber zu bannen.«

Vierunddreißigstes Kapitel

Die Mutter Barbeau war sehr erstaunt, als sie sah, daß Sylvinet kein Fieber mehr hatte. Sie brachte ihm rasch zu Essen, das er mit einigem Appetit verzehrte. Da er seit sechs Tagen nicht mehr fieberfrei gewesen war, und an Speise und Trank nicht das Geringste hatte zu sich nehmen wollen, geriet man in einen wahren Enthusiasmus über die Kunst der kleinen Fadette. Ohne ihn aufzuwecken, ohne ihn irgend einen Trank einnehmen zu lassen, hatte sie ihn einzig und allein durch die Kraft ihrer Beschwörungen, wie man die Sache sich vorstellte, auf den Weg der Besserung gebracht.

Als es Abend geworden war, stellte sich das Fieber wieder ein und sogar sehr stark. Sylvinet schlummerte ein, arbeitete aber im Traume heftig mit den Armen umher, und als er erwachte fürchtete er sich vor den Personen, die ihn umstanden.

 

Die Fadette fand sich, wie am Morgen wieder ein und blieb etwa eine Stunde lang mit ihm allein. Die ganze Zauberei, die sie anwendete, bestand darin, daß sie ihm die Hände hielt und sehr sanft seinen Kopf berührte, und daß sie sein glühendes Gesicht von ihrem frischen Atem streifen ließ.

Wie am Morgen befreite sie ihn von seinem Fieber und den damit verbundenen Phantasien; als sie ging, bat sie wiederum, daß man Sylvinet nichts von ihrem Beistande sagen solle, und man fand ihn dann still und friedlich entschlummert, in gesundem Schlafe liegend. Von seinem Gesicht war die Fieberröte verschwunden, und er schien überhaupt nicht mehr krank zu sein.

Ich weiß nicht wie die Fadette auf diesen Gedanken der Heilmethode gekommen war. Hatte der Zufall sie darauf gebracht, oder hatte sie ihn durch Erfahrung gewonnen, etwa am Krankenbette ihres kleinen Bruders, den sie mehr als zehnmal vom Tode errettet hatte. Ohne irgend ein anderes Mittel anzuwenden, hatte sie dann durch bloßes Auflegen ihrer Hände und durch den Hauch ihres Atems ihn wieder gesund gemacht und ihm Kühlung verschafft, oder ihn in derselben Weise wieder erwärmt, wenn der Fieberfrost ihn schüttelte. Ihrer Meinung nach waren die Liebe und der gute Wille einer gesunden Person, durch die Berührung einer reinen, von frischem Leben durchpulsten Hand, imstande die Krankheit zu bannen, vorausgesetzt, daß diese Person von einem gewissen Geiste beseelt war, und ein großes Vertrauen auf die Güte Gottes hatte. Auch erhob sie jedes Mal, so oft sie die Hände auflegte, ihre Seele in andächtigen Gebeten zu Gott. Und was sie für ihren kleinen Bruder gethan hatte, das that sie jetzt für den Bruder Landrys. Bei keiner anderen Person, die ihr weniger teuer gewesen wäre und für die sie nicht ein so großes Interesse gehabt hätte, würde sie dasselbe Verfahren angewendet haben. Sie glaubte nämlich, die kräftige Wirksamkeit dieses Heilverfahrens beruhe auf der innigen und starken Zuneigung, welche man im Herzen für den Kranken hegen müsse, und daß dem, welchem dieselbe fehle, von Gott auch keine Macht über die Krankheit verliehen werde.

Und als die kleine Fadette in dieser Weise bei Sylvinet das Fieber besprach, wandte sie sich in ihrem Gebet mit denselben Worten an Gott, wie sie es gethan hatte, als sie das Fieber ihres Bruders gebannt hatte: »Lieber Gott, lasse es geschehen, daß die Gesundheit meines Körpers sich auf dicht Leidenden übertrage, und wie der sanfte Christus dir sein Leben zum Opfer brachte, um die Menschheit zu erlösen, so nimm, wenn es dein Wille ist, auch mein Leben dahin, um es diesem Kranken zu übertragen; für seine Genesung, die ich hier von dir erstehe, gebe ich es bereitwillig in deine Hand zurück.«

Die kleine Fadette hatte wohl daran gedacht die Kraft dieses Gebetes auch am Sterbebette ihrer Großmutter zu versuchen; aber sie hatte es nicht gewagt, weil es ihr schien, daß bei dieser alten Frau das Leben der Seele und des Körpers, durch die Wirkung des Alters und nach dem Gesetze der Natur, wie es der Wille Gottes selbst vorgeschrieben hat, – im Zustande des Verlöschens begriffen waren. Die kleine Fadette, welche, wie man sieht, mehr fromme Gläubigkeit als Zauberkünste in ihre Besprechungen mischte, hatte gefürchtet Gott zu mißfallen, wenn sie etwas von ihm erflehen würde, das er anderen Christen, ohne ein Wunder geschehen zu lassen, nicht gewähren konnte.

Ob nun ihr Verfahren nutzlos oder unfehlbar sein mochte, so viel ist gewiß, daß Sylvinet nach drei Tagen vom Fieber befreit war. Er würde nie erfahren haben, auf welche Art dies geschehen war, wenn er nicht das letzte Mal, als die Fadette kam, plötzlich erwacht wäre und gesehen hätte, wie sie sich über ihn beugte und ihre Hände sanft von ihm zurückzog.

Anfangs glaubte er eine übernatürliche Erscheinung zu erblicken, und er schloß die Augen wieder, um sie nicht mehr zu sehen. Als er gleich darauf seine Mutter fragte, ob es denn wahr sei, daß die Fadette ihm den Kopf und den Puls betastet habe, oder ob er das alles nur geträumt habe, antwortete die Mutter ihm, daß die Fadette wirklich drei Tage hintereinander Morgens und Abends gekommen sei, und daß sie ihn wunderbarerweise durch ihre geheimnisvolle Behandlung von seinem Fieber geheilt habe. Der Vater Barbeau, welcher lebhaft wünschte, daß Sylvinet von seiner Abneigung gegen die Fadette ablassen möchte, hatte nämlich endlich seiner Frau einige Winke bezüglich seiner weiteren Pläne gegeben.

Sylvinet schien von alledem, was er da durch seine Mutter erfuhr, nichts zu glauben; er behauptete sein Fieber sei von selbst vergangen, und die Worte und Geheimnisse der Fadette seien nichts als eitle Thorheiten. Während einiger Tage verhielt er sich ruhig und befand sich sehr wohl; der Vater Barbeau glaubte diese Zeit benutzen zu müssen, um ihm etwas von der Möglichkeit einer Verheiratung seines Bruders zu sagen, ohne jedoch den Namen derjenigen zu verraten, auf die er es abgesehen hatte.

»Ihr braucht mir den Namen der Zukünftigen, die ihr Landry bestimmt habt, nicht zu verschweigen,« antwortete Sylvinet. »Ich weiß es recht gut, daß es die Fadette ist, die es euch allen angethan hat.«

Die geheimen Nachfragen des Vaters Barbeau hatten in der That für die kleine Fadette so günstige Resultate gehabt, daß er keinerlei Bedenken mehr trug und nichts sehnlicher wünschte, als Landry zurückrufen zu können. Er fürchtete nur noch die Eifersucht des Zwillings, und er gab sich alle Mühe diesen von seiner Verkehrtheit zurückzubringen; er stellte ihm vor, daß sein Bruder ohne die kleine Fadette niemals glücklich sein würde, und Sylvinet antwortete darauf:

»So mag es also geschehen, denn mein Bruder muß glücklich sein.«

Aber man wagte noch nicht irgend einen weiteren Schritt zu thun, denn gleich nach dem Sylvinet sich in das Unvermeidliche gefügt zu haben schien, verfiel er wieder in das Fieber.

Fünfunddreißigstes Kapitel

Vater Barbeau fürchtete indessen, daß die kleine Fadette wegen der früheren Kränkungen noch einen heimlichen Groll gegen ihn bewahrt haben könnte, und ob sie nicht vielleicht durch die lange Abwesenheit Landrys allmählich abgekühlt, schon einen anderen im Sinn haben möchte. Als sie auf den Zwillingshof gekommen war, um Sylvinet zu pflegen, hatte er einen Versuch gemacht mit ihr von Landry zu reden; aber sie hatte gethan, als ob sie ihn gar nicht verstehe, und er geriet dadurch in große Verlegenheit.

Eines Morgens endlich faßte er einen bestimmten Entschluß und machte sich auf, die Fadette zu besuchen.

»Fränzchen Fadet,« sprach er zu ihr, »ich komme zu Ihnen, um Sie über etwas zu befragen, worauf ich Sie bitte mir eine ehrliche und aufrichtige Antwort zu geben. Haben Sie vor dem Tode Ihrer Großmutter eine Ahnung davon gehabt, daß diese Ihnen ein so großes Vermögen hinterlassen würde?«

»Ja, Vater Barbeau,« lautete die Antwort der kleinen Fadette, »ich habe eine Ahnung davon gehabt, weil ich oft gesehen habe, wie die Großmutter Gold und Silber zählte, und doch sah ich nie etwas anderes für unsere Ausgaben verwenden als grobe Sousstücke. Auch sagte die Großmutter mir oft, wenn die anderen Kinder mich wegen meiner zerlumpten Kleider verspotteten: ›Mache dir keine Sorge deshalb, Kleine. Du wirst einst reicher sein, als sie alle und der Tag wird kommen, wo du vom Kopf bis zu den Füßen in Seide gekleidet einhergehen kannst, wenn es dir so gefallen sollte. ‹«

»Und dann noch eins,« hob der Vater Barbeau wieder an, »hast du dies Landry erzählt, und wäre es da nicht möglich, daß es dein Geld war, weshalb mein Sohn so that, als ob er in dich verliebt sei?«

»O, deshalb! Vater Barbeau, wo denken Sie hin?« antwortete die kleine Fadette, »da ich immer geglaubt habe, daß er mich meiner schönen Augen wegen liebte, die das Einzige sind, was man mir niemals abgesprochen hat, so war ich doch nicht so dumm Landry jemals wissen zu lassen, daß meine schönen Augen eine mächtige Unterstützung in der ledernen Tasche meiner Großmutter haben würden. Dennoch hätte ich es ihm ohne Gefahr sagen können, denn Landry liebte mich so in allen Ehren und von ganzem Herzen, daß er sich nie darum bekümmert hätte, ob ich reich oder bettelarm gewesen wäre.«

»Mein liebes Fränzchen,« nahm der Vater Barbeau wiederum das Wort, »kannst du mir dein Ehrenwort darauf geben, daß Landry weder durch dich noch durch sonst irgend jemanden etwas davon erfahren hat, wie es eigentlich mit deinen Verhältnissen steht.«

»Darauf gebe ich Euch mein Wort,« sagte die Fadette. »So wahr ich Gott liebe, seid Ihr, außer mir, auf der ganzen Welt die einzige Person, die etwas von dieser Sache weiß.«

»Und was nun Landrys Liebe betrifft, glaubst du wohl, daß er sie dir bewahrt hat? Und hast du seit dem Tode deiner Großmutter Wohl irgend ein Zeichen erhalten, daß er dir auch nicht untreu gewesen ist?«

»Darüber habe ich den besten Beweis erhalten,« antwortete sie; »denn ich will Ihnen nur gestehen, daß er drei Tage nach dem Tode meiner Großmutter gekommen ist, mich zu besuchen, und daß er geschworen hat, er werde vor Kummer sterben, wenn ich nicht seine Frau würde.«

»Und, was hast du ihm darauf geantwortet, Fadette?«

»Das wäre ich nun wohl nicht verpflichtet Ihnen zu sagen, Vater Barbeau; aber, um Sie zufrieden zu stellen, werde ich es thun. Ich antwortete ihm, daß es mit uns noch Zeit hätte ans Heiraten zu denken, und daß ich mich aus freien Stücken nie für einen Burschen entscheiden würde, der gegen den Willen seiner Eltern um mich werben würde.«

Da die kleine Fadette dies alles in einem stolzen und sicheren Ton gesagt hatte, wurde der Vater Barbeau etwas beunruhigt dadurch. »Es steht mir nicht zu Sie auszufragen, Fränzchen Fadette,« sagte er, »und ich kann ja auch nichts davon wissen, ob Sie die Absicht haben meinen Sohn für sein ganzes Leben glücklich oder unglücklich zu machen, aber das weiß ich, daß er über die Maßen in Sie verliebt ist, und wenn ich an Ihrer Stelle wäre und glaubte, daß er mich nur, um meiner selbst willen liebe, dann würde ich sagen: Landry Barbeau hat mich geliebt, als ich in Lumpen einherging und die ganze Welt mich zurückstieß, und als sogar seine Eltern so weit gingen ihm seine Liebe zu mir als eine Sünde vorzuwerfen. Er hat mich schön gefunden, als die ganze Welt mir die Möglichkeit absprach es je werden zu können; er hat mich geliebt trotz alle der peinlichen Leiden, welche diese Liebe über ihn brachte; er hat mich geliebt, gleichviel ob ich hier in der Heimat oder in der Fremde abwesend war; und schließlich hat er mich so aufrichtig und selbstlos geliebt, das ich ihm nicht mißtrauen kann, und daß ich niemals einen anderen zum Manne haben will.«

»Das alles habe ich mir schon lange selbst gesagt, Vater Barbeau,« gab die kleine Fadette zur Antwort; »aber ich wiederhole es Ihnen noch einmal, daß es mir höchlichst zuwider wäre, in eine Familie einzutreten, die sich meiner schämt, und die nur aus Schwachheit und Mitleiden der Neigung ihres Sohnes nachgeben würde.«

»Wenn es nur das ist, was dich abhält, Fränzchen,« hob der Vater Barbeau wieder an, »so entschließe dich. Landrys Familie achtet dich und wünscht dich aufzunehmen. Denke nicht, daß wir unseren Sinn geändert hätten, weil du reich geworden bist. Nicht deine Armut war es, weshalb wir gegen dich eingenommen waren, sondern die übelen Reden, die über dich geführt wurden. Wenn sie einen Grund gehabt hätten, würde ich niemals, und wenn auch mein Landry darüber zu Grunde ginge, einwilligen, daß du meine Schwiegertochter werden solltest. Aber ich habe keine Mühe gescheut, mir über alle diese Reden Aufschluß zu verschaffen. Ich bin deshalb nur in dieser Absicht nach Chateau Meillant gegangen und habe in dieser Gegend so gut wie in der unsrigen über die geringste Nachrede meine Erkundigungen eingezogen. Jetzt weiß ich, daß man mich belogen hatte, und daß du, wie Landry es mir so eifrig versichert hatte, ein verständiges und ehrenhaftes Mädchen bist. Ich komme also, Fränzchen Fadet, dich zu bitten, meinen Sohn zu heiraten, und wenn du »Ja« dazu sagst, ist er in acht Tagen wieder hier.«

Über diese Eröffnung, die sie allerdings wohl erwartet hatte, fühlte die kleine Fadette sich sehr befriedigt, aber sie wollte sich dies nicht zu sehr anmerken lassen, weil sie von ihren künftigen Verwandten für immer geachtet sein wollte, und so antwortete sie nur mit großer Zurückhaltung. Der Vater Barbeau sagte ihr darauf:

»Ich sehe, meine Tochter, daß du gegen mich und die Meinigen noch etwas auf dem Herzen hast. Verlange nicht, daß ein Mann in reifen Jahren dir Entschuldigungen machen soll; begnüge dich mit einem guten Worte, und wenn ich dir sage, daß du bei uns geachtet und geliebt sein wirst, so kannst du dich auf das Wort des Vaters Barbeau verlassen, der noch niemals jemand hintergangen hat. Komm, bist du bereit dem Vormund, den du dir erwählt hattest, oder dem Vater, der dich als Tochter aufnehmen will, den Friedenskuß zu geben?«

 

Die kleine Fadette konnte sich nicht länger zurückhalten; sie schlang ihre beiden Arme um den Nacken des Vaters Barbeau, dessen altes Herz hocherfreut darüber war.