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Der Teufelssumpf

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Marie war nicht eigenwillig, und wiewohl sie noch sehr gern weiter geschlafen hätte, schickte sie sich an, Germain zu folgen.

Dieser hob, ohne ihn zu wecken, seinen Sohn auf den Arm und rief Marie zu sich her, um sie unter seinen Mantel zu nehmen, denn den ihrigen, in welchen Peterle eingewickelt war, wollte sie durchaus dem Kleinen nicht entziehen.

Als Germain das Mädchen so dicht an seiner Seite fühlte, schlug seine unbefangener und muntrer – gewordene Stimmung plötzlich wieder um, und er begann neuerdings, den Kopf zu verlieren. Zwei oder dreimal entfernte er sich heftig und ließ sie allein gehen. Dann, wenn er sah, daß sie ihm nur mit Mühe folgte, erwartete er sie, zog sie heftig an sich und drückte sie so fest in seinen Arm, daß sie sich darüber wunderte und sogar ärgerte, ohne sich jedoch eine Bemerkung zu erlauben.

Da sie nicht im Mindesten wußten, aus welcher Richtung sie gekommen waren, wußten sie eben so wenig, in welcher Richtung sie vorangingen, so daß sie den Wald noch einmal der Länge nach durchmaßen, abermals auf die öde Haide stießen und wieder umkehren mußten; nach langem Hin- und Her-Irren schimmerte ihnen endlich ein Lichtschein durch die Zweige entgegen.

Gut! das ist ein Haus, sagte Germain, und die Leute darin sind auch schon wach, denn sie haben bereits Feuer. Ist es denn so spät?

Aber der Schein kam aus keinem Hause, sondern vom Lagerfeuer, das sie beim Weggehen zugeschüttet hatten, und das durch den Morgenwind frisch angefacht worden war . . .

Sie hatten zwei Stunden Wegs gemacht, um schließlich zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren.

* * *

Von nun an geb' ich's auf! rief Germain, mit dem Fuß stampfend. Kein Zweifel mehr, wir sind verhext und werden erst bei helllichtem Tag von hier fortkommen. Auf dem Ort muß ein böser Zauber liegen.

Nur ruhig, ruhig! sagte Marie, ärgern wir uns nicht, und schicken wir uns drein. Wir wollen ein größeres Feuer anschüren; das Kind ist so dicht eingewickelt, daß es keinen Schaden nehmen kann, und uns wird eine Nacht unter freiem Himmel nicht umbringen. Wo habt Ihr den Sattel versteckt, Germain? Mitten unter die Stechpalmen – die Unbesonnenheit! Das Heranholen wird uns bequem werden!

Halte du nur einstweilen das Kind, damit ich ihm sein Bettchen aus den Dornen ziehe; ich will nicht, daß du dir die Hände blutig stichst.

Es ist schon geschehen; hier haben wir das Bett und die paar Ritzer sind ja keine Säbelhiebe, sagte das muthige kleine Mädchen.

Nun legte sie den Peter wieder im Sattel zurecht; diesmal hatte er so fest geschlafen, daß er von dieser neuen Irrfahrt nicht das Geringste gemerkt hatte. Germain warf so viel Holz ins Feuer, daß ringsum der ganze Wald erglänzte: die kleine Marie aber war todmüde, und obwohl sie mit keinem Wörtchen klagte, vermochte sie nicht mehr, sich länger aufrechtzuhalten. Sie hatte sich entfärbt und klapperte mit den Zähnen vor Frost und vor Erschöpfung. Germain nahm sie in seine Armer um sie zu erwärmen: Besorgniß, Mitleid, alle Regungen unbezwinglicher Zärtlichkeit, die sein Herz bewältigten, hatten seine Sinne zum Schweigen gebracht. Wie durch einen Zauberspruch lös'te sich seine Zunge, und, jede falsche Scham hintansetzend, sagte er: Marie du gefällst mir, und es macht mich recht unglücklich, daß ich dir nicht gefalle. Wenn du mich zum Mann nehmen wolltest, so wären weder Schwäher, noch Verwandtschaft, noch Nachbarsleute, noch Vorstellungen aller Art stark genug, mich von dir zu reißen. Ich weiß auch, daß du meine Kinder glücklich machen und sie dazu anhalten würdest, das Gedächtniß ihrer verstorbenen Mutter zu ehren, und weil mein Gewissen dann ruhig wäre, könnt' ich getrost der Freude meines Herzens leben. Ich bin dir von jeher freundschaftlich gut gewesen, aber jetzt hab' ich dich so lieb, daß, wenn du von mir verlangen würdest, ich solle dir mein Leben lang den kleinsten Wunsch an den Augen absehen, ich dir's auf der Stelle zuschwören möchte. Bedenke nur, ich bitte dich darum, wie ich dich so überaus lieb habe, und suche mein Alter zu vergessen. Bedenke, daß man sich eigentlich eine ganz falsche Meinung macht, wenn man sich in den Kopf setzt, daß ein Mann von dreißig Jahren alt ist. Und übrigens bin ich erst achtundzwanzig! Ein Mädel fürchtet, ins Gerede der Leute zu kommen, wenn es einen Mann nimmt, der um zehn oder zwölf Jahre älter ist, weil das hier zu Land nicht üblich ist; aber ich habe erzählen hören, daß man in andern Gegenden gar nicht darauf achtet, ja im Gegentheil, daß man einem jungen Geschöpf lieber einen gesetzten Mann von erprobter Tüchtigkeit zur Stütze giebt, als einen jungen Menschen, der möglicher Weise in den guten Eigenschaften, die man an ihm gerühmt hat, nachläßt und mit der Zeit ein ganz schlechter Kerl werden kann. Und dann hängt ja das eigentliche Alter nicht immer von der Zahl der Jahre ab, sondern eher von der Kraft und der Gesundheit eines Jeden. So ist ein Mensch, den übermäßiges Arbeiten oder das Elend oder ein liederlicher Lebenswandel heruntergebracht haben, schon mit zwanzig Jahren alt, während ich, . . . Aber du hörst ja gar nicht zu, Marie!

Doch, Germain, ich höre Euch schon zu, antwortete die kleine Marie, doch ich denke auch an das, was mir die Mutter so oft gesagt hat, nämlich, daß eine Frau von sechzig Jahren recht übel dran ist, wenn sie einen Mann von siebzig oder fünfundsiebzig hat, der sie nicht mehr mit seiner Hände Arbeit ernähren kann, der bresthaft wird, und den sie dann pflegen soll, in einem Alter, wo sie schon selber anfängt, der Schonung und der Ruhe zu bedürfen. So kann es nach und nach noch dahin kommen, daß man auf dem Stroh sterben muß.

Die Mütter haben ganz recht, wenn sie derlei sagen, erwiderte Germain; das geb' ich schon zu, Marie, aber soll man sich seine Jugendjahre, die gewiß die schönsten sind, durch die fortwährende Sorge um Das verkümmern, was aus einem werden wird in den Jahren, wo man zu keiner Arbeit mehr taugt, und wo es am Ende ziemlich gleich ist, ob man so stirbt oder so? Und bin denn ich nicht in der Lage etwas zurückzulegen, da ich ja mit den Schwiegereltern haushalte und neben vielem Arbeiten so gut wie nichts ausgebe? Ich will dich so lieb haben, siehst du, daß mich die Liebe am Aelterwerden verhindern soll. Sagt man doch, daß sich ein Mann jung erhält, wenn er glücklich ist, und das fühl' ich wohl, was die Liebe anlangt, bin ich jünger als der Bastian, denn lieben thut er dich nicht: er ist zu dumm und noch zu kindisch, um zu begreifen, wie hübsch du bist und wie gut und wie begehrenswerth in allen Stücken. Geh, Marie, schrick nicht vor mir zurück! ich bin kein bösartiger Mensch; ich habe meine selige Kathrine glücklich gemacht; vor Gott, auf ihrem Sterbebett hat sie versichert, daß ihr von mir aus nur Liebs und Guts widerfahren ist, und da hat sie mir auch empfohlen, wieder zu heirathen. Mir ist, als hätte ihr Geist aus ihrem Kinde gesprochen, heut Abend, im Augenblick bevor es einschlief. Haft du nicht gehört, was der Kleine gesagt hat? Und es zitierte ihm ums Mäulchen, indessen er mit den Augen aufwärts starrte, wie nach Etwas, das für die unsern unsichtbar blieb! Glaube mir, er schaute seine Mutter, und sie war's, die ihn sagen hieß, daß er dich haben möchte an Mutterstatt.

Was Ihr da sprecht, Germain, ist ehrlich und wahr, antwortete Marie ganz verwundert und nachdenklich. Ich thäte gewiß wohl daran, Euch zu lieben, wenn es Eure Schwiegereltern nicht allzu sehr verdrießen würde; aber ich kann mir einmal nicht helfen: es regt sich nichts für Euch in meinem Herzen. Ihr seid mir zwar lieb und werth, doch Euer Alter, wenn es Euch gleich nicht entstellt, macht mich ängstlich. Ihr kommt mir vor wie eine Art Onkel oder Taufpathe, dem ich Respect schuldig bin, und der mich unter Umständen mehr wie ein Kind behandeln würde, als wie sein Weib und Seinesgleichen. Und, dann würden mich meine Gespielinnen vielleicht auslachen, und obwohl es eine Albernheit sein mag, auf dergleichen einen Werth zu legen! so glaub' ich dennoch daß ich mich am Hochzeitstage einer gewissen Scham und Traurigkeit nicht erwehren könnte.

Das sind kindische Einwendungen; du sprichst da ganz wie ein Kind, Marie.

Gut, so bin ich eben ein Kind, sagte sie, und deßhalb fürchte ich mich vor einem Manne, der mir zu vernünftig ist. Daraus mögt Ihr ersehen, daß ich zu jung für Euch bin, weil Ihr mir jetzt schon mein unvernünftig Reden vorwerft! Ich kann nicht vernünftiger sein, als meine Jahre es mit sich bringen.

Acht mein Gott! ich bin doch recht zu beklagen wegen meiner Ungeschicklichkeit, die mich verhindert, die Worte so zu setzen, wie ich möchte! rief Germain. Ihr liebt mich nicht, Marie, so viel ist gewiß; Ihr findet mich zu plump und unbeholfen. Hättet Ihr mich ein klein wenig lieb, so würden Euch meine Fehler nicht so deutlich auffallen. Aber Ihr habt mich nicht lieb damit ist Alles gesagt!

Was kann ich dafür, wenn dem so ist? antwortete sie etwas beleidigt, weil er sie nicht mehr dutzte; thu' ich doch mein Möglichstes, indem ich Euch anhöre; aber je mehr ich mich dazu nöthige, desto weniger will es mir in den Kopf, daß wir Mann und Frau werden sollen.

Germain schwieg. Er vergrub sein Gesicht in seine beiden Händel und die kleine Marie konnte nicht unterscheiden, ob er weinte, schmollte oder schlief. Es beunruhigte sie, daß er so in sich versunken war, und daß sie nicht errathen konnte, was Alles in ihm vorging; aber sie wagte nicht, ihn anzureden, und da ihr die Ueberraschung den Schlaf gänzlich verscheucht hatte, erwartete sie voller Ungeduld den Tag, hin und wieder das Feuer schürend oder nach dem Kinde sehend, dessen Dasein Germain rein vergessen zu haben schien. Auch er konnte nicht schlafen, wiewohl er sich keine eigentlichen Gedanken machte über seine Zukunft und weder nach Fassung rang, noch erfolgreiche Pläne auszuhecken versuchte: er litt; ein Berg von Qualen lastete auf ihm. Er hätte todt sein mögen. Ihm schien Alles fortan sich zum Schlimmen wenden zu müssen, und wenn ihm jetzt Thränen zu Gebot gestanden hätten, so hätte er sich ausgeweint wie ein Kind. Mitten in seinem Schmerz fühlte er sich nicht ganz frei von Ingrimm über sich selbst, und erstickte darin, ohne sich durch eine Klage Luft machen zu können und zu wollen.

 

Als der Tag angebrochen war und die tausend Stimmen der Natur ihn verkündigten, nahm Germain die Hände vom Gesicht und stand auf. Er bemerkte, daß die kleine Marie ebenfalls nicht geschlafen hatte, aber er wußte nicht, was er ihr sagen sollte, um seine Sorgsamkeit darzuthun. Er war völlig muthlos. Nachdem er den Sattel der Grauen wieder unter einem Strauch verborgen hatte, warf er den Sack über seine Schulter und faßte sein Söhnchen bei der Hand.

Jetzt wollen wir schauen, wie wir unsere Reise zu Ende führen, sagte er. Marie, soll ich dich zum Ulmenhof begleiten?

Laßt uns den Wald zusammen verlassen, antwortete sie, und wenn wir uns dann zurechtgefunden haben, gehen wir aus einander, Jedes seiner Wege.

Germain schwieg. Es kränkte ihn, daß ihn das Mädchen nicht bat, sie bis zum Ulmenhof zu begleiten, und er bedachte dabei nicht, daß er sich in einer Art und Weise dazu erboten hatte, die eine abschlägige Antwort herauszufordern schien.

Ein Holzfäller, mit dem sie zweihundert Schritte weiter zusammentrafen, wies sie auf den richtigen Weg und erklärte ihnen, sie müßten, am Ende der großen Wiese angelangt, nach rechts und nach links auseinandergehen, um ihre verschiedenen Bestimmungsorte zu erreichen, die übrigens so benachbart seien, daß man vom Ulmenhof die Häuser von Fourche ganz genau unterscheiden könne, und umgekehrt.

Als sie gedankt und sich bereits entfernt hatten, rief sie der Mann zurück und fragte, ob ihnen nicht ein Pferd durchgegangen sei.

Ich fand nämlich in meinem Hof eine schöne graue Stute, sagte er, die sich vielleicht vor den Wölfen hingeflüchtet hat. Meine Hunde haben in der Nacht zu bellen angefangen, und bei Tagesanbruch sah ich das Roß unter meinem Schuppen stehen; dort ist es noch immer. Seht nach, und wenn Ihr's als das Eurige erkennt, führt es mit fort.

Germain beschrieb nun die Graue bis ins Kleinste, und als er sich überzeugt hatte, daß sie es sein müsse, die zugelaufen war, ging er in den Wald zurück, um den Sattel hervorzusuchen. Da bot ihm die kleine Marie an, sein Kind auf den Ulmenhof mitzunehmen, wo er es dann von Fourche aus abholen könne.

Er sieht ein wenig verwahrlos't aus, sagte sie, von unserem Nachtquartier her. Ich will ihm die Kleider putzen, sein hübsches Gesichtchen waschen und ihn kämmen; ist er dann recht blank und sauber, so mögt Ihr ihn Eurer neuen Verwandtschaft zuführen.

Woher weißt du denn, daß ich überhaupt nach Fourche gehe? antwortete Germain mürrisch. Vielleicht geh' ich nicht hin!

O doch. Germain. Ihr müßt – Ihr werdet hingehen, erwiderte das Mädchen.

Du kannst es wohl gar nicht erwarten, daß ich eine Andere heirathe, um so recht die Gewißheit zu haben, daß ich dich nie mehr belästigen werde?

Seid doch klug, Germain, und denkt daran nicht mehr: Ihr hättet den Einfall nie gehabt, wenn Euch unsere Reisefatalitäten über Nacht den Sinn nicht verwirrt hätten. Aber von jetzt an muß die Vernunft wieder zu Wort kommen; ich verspreche Euch, Alles zu vergessen, was Ihr zu mir gesprochen habt, und keinem Menschen jemals etwas davon zu erzählen.

Erzähle so viel du magst! Es ist meine Art nicht; meine Reden zu verleugnen, zumal wenn das, was ich gesagt habe, so offen und ehrlich war, daß ich mich vor Niemand dessen zu schämen brauche.

Allerdings; doch wenn Eure Zukünftige wüßte, daß Ihr auf Eurer Brautfahrt an eine Andere gedacht habt, so würde sie's Euch verargen. Achtet darum von nun an auf Eure Worte; und schaut mich nicht so an vor den Leuten, so ganz sonderbar. Erinnert Euch, daß der Vater Maurice auf Euren Gehorsam rechnet; er wäre gewiß bitterböse auf mich, wenn ich Euch zur Widerspenstigkeit verleiten würde. Behüt' Euch Gott, Germain. Euer Peterle nehm' ich mit, damit Ihr gezwungen seid; nach Fourche zu gehen. Das Pfand in meinen Händen müßt Ihr ja auslösen.

Du willst also mit ihr gehen? sagte Germain zu seinem Söhnchen, das sich an die Hand der kleinen Marie anklammerte und ihr schnell entschlossen folgte.

Ja, Papa, antwortete das Kind, das Alles, wovon man arglos vor ihm gesprochen; in seiner Weise aufgefaßt und ausgelegt hatte. Ich gehe mit meiner herzigen Marie: du wirst mich abholen, wenn du geheirathet hast; aber die Marie soll mein kleines Mütterchen bleiben.

Da hörst du, daß er's verlangt! sagte Germain zu dem Mädchen. Du, Peterle, fügte er hinzu, ich wünsche wie du, daß sie deine Mutter werden und auf immer bei dir bleiben möchte: nur will sie nichts davon wissen. Sieh zu, daß sie dir gewährt, was sie mir abschlägt.

Sei ruhig, Papa; sie wird schon Ja sagen: die kleine Marie thut immer was ich haben will.

Das Kind entfernte sich an der Hand des Mädchens, und der Vater stand allein da, trauriger und unschlüssiger denn je.

* * *

Nachdem Germain die Unordnung, welche die Reise in seine Kleider und in das Geschirr seines Pferdes gebracht, beseitigt hatte, saß er auf und ließ sich die Straße nach Fourche weisen; er dachte, daß er nunmehr nicht zurücktreten dürfe, und daß die verflossene bewegte Nacht gleich einem verführerischen Traum vergessen werden müsse.

Er fand den alten Leonard vor seinem Haus, auf einer schönen, spinatgrün angestrichenen Holzbank sitzend. Die Doppeltreppe von je sechs Stufen, über welche man zur Eingangsthüre gelangte, deutete auf das Vorhandensein eines Kellers. Um den Garten und den Hanfacker zog sich eine mit Kalk und Sand verworfene Mauer hin. Das Gebäude sah so stattlich aus, daß man es beinah für den Wohnsitz eines Städters gehalten hätte.

Der zukünftige Schwiegervater ging auf Germain zu, erkundigte sich fünf Minuten lang nach dem Befinden der ganzen Familie und schloß mit der hergebrachten Frage, die man an Jeden richtet, den man über den Zweck seiner Reise höflich ausforschen will: Ihr seid wohl hergekommen, um Euch unsere Gegend auch einmal anzuschauen?

Ich bin gekommen, um Euch zu besuchen und im Auftrag meines Schwähers diese paar Stück Wildpret zu überbringen; weiter soll ich Euch, gleichfalls in seinem Auftrag, sagen, daß Ihr über die Absicht meines Besuchs wohl im Klaren sein werdet.

Aha! schmunzelte der Alte, indem er sich auf den wohlgerundeten Bauch klopfte, ich seh' schon – jetzt versteh' ich – so, so! Und mit dem einen Auge zwinkernd, fügte er hinzu: Ihr seid der Einzige nicht, der seine Aufwartung macht, junger Mann. Drinnen sind schon ihrer Drei, die gleich Euch ihr Glück versuchen. Ich schrecke Keinen ab, und käme auch wirklich in Verlegenheit, wenn ich Einem den Vorzug und den Uebrigen den Laufpaß geben sollte, denn es sind lauter gute Versorgungen. Zwar, dem Vater Maurice und Eurem fetten Ackerland zulieb, würdet Ihr mir schon am besten gefallen. Aber meine Tochter ist großjährig und verfügt frei über ihr Vermögen; sie wird also nach eigenem Gutdünken verfahren. Nur hineinspaziert und ausgekramt; Euch wünsch' ich den Treffer!

Mit Verlaub, antwortete Germain ganz erstaunt, da als Ueberzähliger aufzutreten, wo er sicher darauf gerechnet hatte, der Einzige zu sein. Ich wußte nicht, daß Eure Tochter bereits mit Freiern versehen ist, und kam nicht her, um sie Andern streitig zu machen.

Der alte Leonard erwiderte, ohne seinen guten Humor im Geringsten zu verlieren: Ei, ei, wenn Ihr meint, meine Tochter würde auf dem Trockenen sitzen, weil Ihr Euch so lange bedacht habt, da seid Ihr gewaltig auf dem Holzweg, junger Freund. Die Kathrine hat das Zeug dazu, die Freier anzulocken, und es wird ihr nur die Wahl weh thun. Aber, wie gesagt, tretet frisch hinein, und laßt den Kopf nicht hängen. Die Frau ist es werth, daß man um sie zur Wette läuft.

Dabei schob er Germain, ihn bei den Schultern fassend, mit täppischer Lustigkeit vorwärts: – Da, Kathrine, rief er beim Eintreten ins Haus, da bring' ich dir noch Einen!

Diese possierliche, aber plumpe Einführung in Gegenwart der andern Anbeter setzte Germain vollends in Verlegenheit und Mißbehagen. Er fühlte sich ganz unsicher und stand einige Momente da, ohne daß er es wagte, die Augen zu der Schönen und ihrem Hofstaat emporzurichten.

Die Wittwe Guerin war gut gewachsen und noch ziemlich jugendlich von Aussehen. Aber der Ausdruck ihres Gesichts und ihr Anzug mißfielen Germain sofort. Sie schaute keck und selbstzufrieden in die Welt, und ihre Haube mit dreifacher Spitzengarnitur, die Sammtschürze und das Halstuch aus schwarzer Blonde widersprachen seiner bisherigen Vorstellung von einer ernsten, gesetzten Wittwe. Mit diesem Aufwand in der Kleidung und ihrem ungezwungenen Wesen erschien sie ihm alt und häßlich, wenn sie gleich keines von beiden war. Der Putz und das lustige Benehmen, dachte er, würden zu den Jahren und zu dem Mutterwitz der kleinen Marie passen; diese Wittwe hingegen weiß nur plumpe, gewagte Späße zu machen und hat, trotz ihrem prächtigen Staat, die rechte Haltung nicht.

Die drei Freier saßen an einem Tisch, der den ganzen Sonntagmorgen hindurch für sie gedeckt und mit Braten und Weinkrügen beladen blieb, denn der alte Leonard prahlte gern mit seinem Reichthum, und die Wittwe freute es ebenfalls, ihr schönes Tafelgeschirr sehen zu lassen und offenen Tisch zu halten, wie eine vornehme Dame. Wie schlicht und arglos er sonst auch war, hier durchschaute Germain die Lage mit einem gewissen Scharfsinn, und zum ersten Mal in seinem Leben stieß er beim Trinken mit mißtrauischer Zurückhaltung an. Der Alte hatte ihn nämlich neben seine Mitbewerber auf einen Stuhl genöthigt, setzte sich ihm gegenüber, bewirthete ihn unter dem eindringlichsten Zureden und zeichnete ihn überhaupt vor den Andern aus. Trotz der zwei fehlenden Rebhühner, die Germain auf eigene Rechnung verspeis't hatte, war das Wildpretgeschenk noch ansehnlich genug, um einen Eindruck hervorzubringen. Die Wittwe schien dadurch geschmeichelt, und die Freier zeichneten es durch einen geringschätzig hingeworfenen Blick aus.

Germain fühlte sich unbehaglich in dieser Gesellschaft, und das Essen wollte ihm nicht recht schmecken. Der alte Leonard zog ihn damit auf: Ihr seid ja ganz nachdenklich, sagte er zu ihm, und thut fremd mit Eurem Glase. Den Appetit dürft Ihr Euch durch die Liebe nicht verderben lassen, denn ein nüchterner Freier hat nie so schöne Redensarten bei der Hand, wie Einer, der seinen Gedanken mit einer Flasche Wein auf die Strümpfe geholfen hat. – Die Voraussetzung, er müsse schon verliebt sein, und die gezierten Geberden der Wittwe, die mit einem Lächeln die Augen niederschlug, wie Jemand, der seiner Sache gewiß ist, hatten für Germain etwas Demüthigendes und riefen die Lust in ihm wach, seine angebliche Niederlage in Abrede zu stellen; doch um nicht unhöflich zu erscheinen, lächelte er und waffnete sich mit Geduld.

Die Anbeter der Wittwe kamen ihm äußerst ordinär vor. Die waren offenbar sehr reich, denn sonst wären ihre Ansprüche sicherlich nicht geduldet worden. Der Eine war über die Vierzig hinaus und beinah eben so dick wie der alte Leonard; der Zweite war einäugig und trank sich ganz dumm; der Dritte war wohl jung und ziemlich hübsch; aber bei dem Bestreben, witzig zu sein, schwatzte er so albernes Zeug zusammen, daß er einen dauerte. Nichts desto weniger lachte die Wittwe darüber, als fände sie wirklich Wohlgefallen an all dem Unsinn, und bekundete dadurch gerade keinen feinen Geschmack. Zuerst hielt Germain ihn für den Bevorzugten; bald aber wurde er gewahr, daß man ihn selber ganz besonders aufmunterte und ihn etwas entschiedener vorgehen zu sehen wünschte. Diese Entdeckung veranlaßte ihn jedoch, seiner innersten Empfindung nach, nur, zu einem noch kühleren und ernsteren Betragen.

Als die Stunde des Kirchgangs geschlagen hatte, stand man auf, um mit einander die Messe zu besuchen, die in Mers, eine gute halbe Stunde von Fourche gelesen wurde. Germain war so müde, daß er gar zu froh gewesen wäre, wenn er noch die Zeit gefunden hätte, vorher ein wenig zu schlafen; da er aber die Messe nie zu versäumen pflegte, machte er sich mit den Uebrigen auf den Weg.

Allenthalben wimmelte es von Leuten, und die Wittwe stolzirte einher, von ihren drei Freiern umringt, die sie abwechselnd beim Arm nahm, indem sie sich auffällig brüstete und den Kopf so hoch trug, wie nur möglich. Es wäre ihr sehr lieb gewesen, auch mit dem Vierten vor dem vorübergehenden Publicum zu glänzen; doch Germain fand es dermaßen lächerlich, sich von einer Schürze rudelweise so ins Schlepptau nehmen zu lassen, daß er sich in gemessener Entfernung hielt und den alten Leonard durch sein Gespräch hinlänglich zu zerstreuen und zu beschäftigen suchte, um nicht in den Verdacht zu kommen, als gehöre er zum Gefolge der Schönen.

 
* * *

Als man das Dorf erreicht hatte, blieb die Wittwe stehen, um die Beiden zu erwarten. Ihren Einzug wollte sie durchaus mit vollständigem Personal halten; doch Germain, der ihr diese Genugthuung nicht zugestehen mochte, verließ den alten Leonard, um einige Bekannte anzureden, und trat durch eine andere Thür in die Kirche. Das verdroß die Wittwe.

Nach dem Gottesdienst spazierte sie mit triumphirender Miene auf der Gemeindewiese herum, wo getanzt wurde, und eröffnete den Reigen mit je Einem ihrer drei Liebhaber. Germain schaute ihr zu und fand, daß sie gut, aber anspruchsvoll tanzte.

Nun, nun! sagte Leonard, ihn auf die Schulter klopfend, warum fordert Ihr denn meine Tochter nicht zu einer Tour auf? Ihr seid doch zu schüchtern.

Seit dem Tode meiner Frau tanze ich nicht mehr, antwortete Germain.

Aber da Ihr Euch eine Zweite sucht, muß es vorüber sein mit der Trauer, im Herzen wie in der Kleidung.

Das ist noch immer kein Grund, Vater Leonard; übrigens komme ich mir auch zu alt vor, und mache mir aus dem Tanz nichts mehr.

Hört einmal, begann der Alte, indem er Germain bei Seite nahm, es hat Euch beim Eintritt in mein Haus verdrossen, die Festung bereits belagert zu sehen, und ich merke schon, daß Ihr ein wenig oben hinaus seid; aber das ist nicht vernünftig, mein Junge. Meine Tochter ist es gewohnt, daß man ihr zu Hof reitet, namentlich die letzten zwei Jahre her, seitdem sie die Trauer abgelegt hat, und es steht doch ihr nicht zu, die ersten Schritte zu thun.

Schon seit zwei Jahren könnte Eure Tochter wieder heirathen, und sie hat sich noch für keinen Freier entschieden? sagte Germain.

Sie will's nicht über? Knie brechen, und darin muß ich ihr Recht geben. Trotz ihrem aufgeweckten Wesen, das Euch vielleicht auf die Meinung gebracht hat, daß sie nicht groß nachdenkt, ist sie eine sehr verständige Frau, die ganz gut weiß, was sie thut.

Das nimmt mich Wunder, platzte Germain in seiner Aufrichtigkeit heraus, denn sie führt ein Geleite von drei Freiern mit sich, und wenn sie wüßte, was sie will, müßte sie mindesten deren Zwei für überflüssig finden und sie demnach ersuchen, zu Hause zu bleiben.

Ei warum denn? Daß versteht Ihr nicht, Germain. Sie mag weder den Alten, noch den Einäugigen, noch den Jungen, darauf möcht' ich wetten; wenn sie aber die Drei nach Haus schickte, so würde man glauben, daß sie Wittwe bleiben will, und da würde sich Keiner mehr melden.

Ah so! die dienen als Aushängeschild!

Ganz richtig, Wem soll das schaden, wenn sie's zufrieden sind?

Das ist Geschmackssache, sagte Germain.

Euch würde das allerdings nicht behagen. Aber seht, es läßt sich ja mit einander reden; setzen wir einmal den Fall, Ihr bekämt den Vorzug: da wäre es ja ein Leichtes, Euch freien Spielraum zu geben.

Wohl, setzen wir den Fall! Bis es sich aber herausstellte, wie lang müßt' ich noch zwischen Thür und Angel warten?

Das hängt, meines Erachtens, lediglich von Euch ab, je nachdem Ihr zu reden und zu überreden versteht. Bisher hat meine Tochter ganz gut begriffen, daß die besten Zeiten die sind, wo man sich den Hof machen läßt, und darum hat sie's so eilig nicht, einem Manne unterthan zu werden, während sie jetzt so und so Viele herumcommandiren kann. Sie wird also das Spiel forttreiben so lang es ihr gefallen wird; sowie sie jedoch an Euch mehr Gefallen findet, als an dem Spiel, kann das Spiel aufhören. Ihr braucht Euch nur nicht abschrecken zu lassen. Kommt jeden Sonntag wieder, führt sie zum Tanz, laßt merken, daß Ihr's mit den Andern aufnehmen wollt, und hält man Euch dann für liebenswürdiger und manierlicher als die Andern, nun so wird man's Euch eines Tages schon zu wissen thun.

Mit Verlaub, Vater Leonard. Eure Tochter hat das Recht, nach Belieben zu handeln, und ich darf sie darum nicht tadeln. Doch ich, wenn ich sie wäre, ich würde es anders angreifen; ich ginge aufrichtiger zu Werk und würde nicht so mit der Zeit von Männern wirthschaften, die jedenfalls etwas Besseres thun könnten, als sich um eine Frau herumzutummeln, die sie schließlich foppt. Aber gut, wenn sie ihre Freude und ihr Glück dabei findet, mich geht es nichts an. Nur muß ich Euch etwas mittheilen, das Euch zu sagen mich seit heute Morgen in einige Verlegenheit bringt, da Ihr Euch von Anfang an in meinen Absichten geirrt und mir keine Zeit gelassen habt, Euch darüber aufzuklären, so daß Ihr jetzt Dinge vermuthet, die gar nicht vorhanden sind. Wißt also, daß ich nicht hergekommen bin, um die Hand Eurer Tochter anzuhalten, sondern Euch das Joch Ochsen abzukaufen, das Ihr zum nächsten Wochenmarkt treiben wollt, und von denen der Schwäher meint, sie könnten ihm wohl taugen.