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Der Teufelssumpf

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Und wenn man übler Laune ist, weiß man sich eben nicht zu helfen, fügte die kleine Marie hinzu.

Bist denn du niemals übler Laune?

O nein, niemals. Was hätt' ich auch davon?

Allerdings hat man nichts davon; aber was läßt sich dawider thun, wenn man Sorgen hat? Und daran hat es gerade dir nicht gefehlt, das weiß Gott, denn du bist nicht immer glücklich gewesen, arme Kleine.

Das ist wahr: wir mußten gar mancherlei leiden, meine arme Mutter und ich; aber wie groß der Kummer war, den Muth ließen wir doch nicht sinken.

Den würde auch ich nicht sinken lassen, und gält' es eine noch so harte Arbeit zu verrichten, sagte Germain; nur das Elend, das könnte mich aufbringen, denn ich habe nie Mangel gelitten. Durch meine Frau war ich wohlhabend, und das bin ich noch zur Stunde und werd' es auch bleiben, so lang ich arbeiten werde, und das hoffe ich bis an mein Ende zu können; aber Jedes muß seine Plage haben! Ich hab's anderweitig abgetragen.

Ja. Ihr habt Euer Weib verloren, und das ist auch ein Jammer!

Nicht wahr?

Ihr könnt mir's glauben, Germain, ich habe recht um sie geweint, denn sie war ja so gut! Es ist besser, wenn wir nicht darüber reden, denn seht! ich könnte gerade aufs Neue zu weinen anfangen; mir ist, als wolle all der Kummer wieder über mich kommen.

So viel steht fest, daß sie dich recht lieb hatte, meine kleine Marie! sie hielt große Stücke auf dich und deine Mutter. Aber du hast ja schon Thränen in den Augen. Sei vernünftig, mein Kind! Ich will nicht weinen.

Und dennoch weint Ihr, Germain! Auch Ihr! Und was sollte sich ein Mann auch der Thränen schämen, die er seiner Frau nachweint? Thut Euch nur keinen Zwang an! Denn an diesem Schmerz hab' ich ja mein redliches Theil!

Du hast ein gutes Herz, Marie, und es thut mir wohl, mit dir zu weinen. Aber rücke doch näher ans Feuer; dein Kleid ist auch ganz durchnäßt, du armes Ding! Sieh, ich will statt deiner zum Kleinen hinsitzen, damit du dich besser wärmen kannst.

Ich bin warm genug, sagte Marie; wenn Ihr Euch setzen wollt, setzt Euch hierher auf einen Zipfel des Mantels; ich bin ganz wohl so.

Hier sieht's auch wirklich gar nicht so übel aus, sagte Germain, indem er sich dicht an ihrer Seite niederließ. Mir setzt nur der Hunger ein wenig zu. Es muß wohl schon neun geschlagen haben, und du? Gehen wurde mir auf diesen schlechten Wegen so beschwerlich daß ich mich ganz schwach fühle. Hungert dich nicht auch, Marie?

Mich? nicht im Mindesten. Ich bin es nicht wie Ihr gewohnt, vier Mahlzeiten zu halten, und habe mich schon so oft mit leerem Magen zu Bett gelegt, daß mir's auf Einmal mehr oder weniger nicht ankommt.

Ei, so eine Frau wie du wäre eigentlich recht bequem; sie würde nicht ins Geld laufen, sagte Germain mit einem Lächeln.

Ich bin ja keine Frau, sagte Marie ganz unbefangen, denn die neue Wendung, welche Germain's Gedanken nahmen, war ihr gar nicht aufgefallen. Träumt Ihr etwa schon?

Ja, mir ist, als ab ich träumte, antwortete Germain; vielleicht ist der Hunger daran Schuld, daß mein Kopf auf und davon geht.

Wie kann man nur so ein Werwolf sein! erwiderte sie, indem sie nun selber einen muntern Ton anschlug; gut denn, wenn Ihr einmal durchaus nicht leben könnt, ohne alle fünf oder sechs Stunden zu essen, warum klagt Ihr? Dort drüben in Eurem Sack habt Ihr ja Wildpret und hier ein Feuer, um's zu braten.

Der Tausend! das ist ein herrlicher Einfall! aber es ist ja ein Geschenk für meinen zukünftigen Schwäher.

Sechs Rebhühner und ein Hase! Hoffentlich braucht Ihr doch nicht Alles aufzuessen, um satt zu werden.

Aber wie soll ich's denn anfangen, ohne Bratspieß und Feuerböcke? es wird mir ja Alles verkohlen!

Bewahre, sagte die kleine Marie; ich mache mich anheischig, Euch ein Rebhuhn in der Asche zu braten.

ohne daß Ihr den Rauch davon schmecken sollt. Habt Ihr auf dem Feld nie Lerchen gefangen und sie zwischen zwei Steinen gebraten? Ach, es ist wahr! ich vergaß wieder, daß Ihr nie das Vieh gehütet habt! Also aufgepaßt, und vor Allem das Thierchen da gerupft! Nicht so ungestüm! Ihr schindet ihm ja die Haut ab!

Du könntest ein anderes rupfen, um mir zu zeigen, wie man's macht.

So wollt Ihr denn ihrer Zwei verspeisen, Herr Vielfraß? – So, jetzt sind sie fix und fertig, und das Braten kann losgehen.

Du würdest dich als Schenkwirthin prächtig ausnehmen, du kleine Marie; leider fehlt dir nur die Schenke, und ich werde mich bequemen müssen, aus einer Pfütze zu trinken.

Nun möchtet Ihr am Ende noch einen Wein haben, nicht? Vielleicht gar einen Kaffee? als ob hier unter den Bäumen Jahrmarkt wäre! Herr Wirth: einen feinen Belairer Bauernschnaps!

Was? Jetzt lacht mich die kleine Schlange zu guter Letzt noch aus? und würde doch gewiß gern mittrinken, wenn's einen Wein gäbe.

Ich? Erst diesen Abend hab' ich ja mit Euch bei der Rebec, zum zweiten Mal in meinem Leben, einen getrunken; wenn Ihr aber recht artig seid, sollt Ihr fast eine ganze Flasche voll bekommen, und noch dazu vom Besten.

Was hör' ich, Marie? Du wärst also wahrhaftig eine Hexe?

Habt Ihr nicht bei der Rebec in der Uebereilung zwei Flaschen Wein bestellt? Die eine habt Ihr mit Eurem Kleinen geleert, und ich habe von der andern, die Ihr mir zugeschoben hattet, kaum ein paar Tropfen getrunken. Dennoch habt Ihr sie beide ohne Weiteres bezahlt.

Nun?

Nun, da hab' ich denn die, welche noch voll war, in meinen Korb gesteckt, in der Voraussetzung, daß Euch oder den Kleinen möglicherweise unterwegs dürsten könnte, und hier ist sie.

Du bist das gescheidteste Mädel, das mir jemals vorgekommen ist. Seh Einer an! da geht das arme Kind mit nassen Augen aus dem Wirthshaus, und hat dennoch mehr an Andere gedacht, als an sich selbst! Kleine Marie, der Mann, der dich einmal nimmt, wird kein Dummkopf sein!

Hoffentlich, denn einen Dummkopf könnt' ich gar nicht gern haben. So! jetzt laßt Euch Eure Rebhühner schmecken; sie sind gar, und in Ermangelung des Brodes werdet Ihr wohl mit Kastanien vorlieb nehmen?

Wo in aller Welt hast du nur wieder die Kastanien her?

Ein großes Wunder! Die Bäume längs der Straße hingen so voll, daß ich im Vorbeireiten bloß hinaufzulangen brauchte, um mir die Taschen zu füllen.

Und sie sind auch schon gebraten?

Aber wo hätt' ich denn meinen Kopf gehabt, wenn ich sie nicht ans Feuer gelegt hätte, sowie es brannte? Auf dem Feld macht man's immer so.

Herrlich, meine kleine Marie, wir werden also mit einander zu Nacht essen! Ich will auf deine Gesundheit trinken und dir einen guten Mann wünschen . . . einen, der genau so ist, wie du ihn haben möchtest. Wie möchtest du ihn eigentlich haben?

Das kann ich Euch nicht sagen, Germain, denn daran hab' ich noch gar nie gedacht.

Wie? gar nie? niemals? frug Germain, der sich schon mit ächtem Bauernappetit über den Braten hergemacht hatte, aber die besten Bissen immer herausschnitt, um sie seiner Reisegefährtin hinzureichen, die jedoch das Dargebotene beharrlich ausschlug, und sich mit einigen Kastanien begnügte. Was du mir da sagst, Kleine! hub er wieder an, nachdem sie seine Frage unbeantwortet gelassen hatte; du hast noch gar nicht ans Heirathen gedacht? du bist doch schon alt genug dazu.

Mag sein, sagte sie, aber ich bin zu arm dazu. Um ein Hauswesen zu gründen, sind mindestens hundert Thaler erforderlich, und bis ich mir die zusammengespart habe, muß ich noch volle fünf oder sechs Jahr arbeiten.

Armes Mädel! ich wollte, der Vater Maurice gäbe mir hundert Thaler, damit ich sie dir schenken könnte.

Schönen Dank, Germain, aber was würde man dann von mir sagen?

Was könnte man wohl sagen? man weiß ja, daß ich alt bin und dich nicht heirathen kann. Also würde man nicht voraussetzen, daß ich . . . daß du . . .

Da setzt einmal her! jetzt erwacht Euer Kleiner, sagte Marie.

Peterle hatte sich aufgerichtet und blickte mit ganz nachdenklicher Miene rings um sich.

Ja, so schaut er immer drein, der Kamerad, wenn er Andere essen hört! sagte Germain; Kanonen könnte man neben ihm abfeuern – er würde nicht wach werden; sowie man aber mit der Kinnlade arbeitet, da sperrt er gleich die Augen auf.

In seinem Alter habt Ihr's jedenfalls gerade so getrieben, bemerkte die kleine Marie mit einem schelmischen Lächeln. Nicht wahr, Peterle, du siehst dich nach deinem Betthimmel um? Für diese Nacht, mein Kind, hast du einen aus lauter grünen Zweigen; aber dein Vater hat doch sein Abendessen. Willst du mithalten? Ich habe deinen Antheil nicht angerührt, denn ich dachte mir wohl, daß du ihn verlangen würdest.

.Marie, du mußt mitessen, ich will's, rief Germain, oder ich nehme keinen Bissen mehr zu mir. Ich bin ein gefräßiger Grobian: du brichst dir Alles am Mund ab für uns, und das ist nicht in der Ordnung; ich muß mich ja so schämen, daß mir aller Appetit dabei vergeht; dem Buben geb' ich nichts, wenn du nicht mitessen willst.

So quält uns doch nicht, antwortete die kleine Marie; Ihr habt ja nicht den Schlüssel zu unsrem Appetit in der Tasche. Meiner ist heut zugesperrt, aber Eurem Peterle seiner reißt den Rachen auf wie ein hungriger kleiner Wolf. Da setzt nur, wie er einhaut! O aus dem wird auch einmal ein fester Bauersmann werden!

Und in der That zeigte Peterle zur Genüge, weß Vaters Kind er war: noch kaum munter, und ohne sich weder um den Ort zu kümmern, wo er sich befand, noch um die Art, wie er hingekommen, war er gleich über den Braten hergefallen. Als sein Hunger gestillt war, gerieth er in die Aufregung, die bei Kindern nie ausbleibt, wenn sie aus ihren Gewohnheiten herausgerissen werden, und überbot sich in neugierigen Fragen und klugen Bemerkungen. Er ließ sich erklären, wo er eigentlich sei, und als er erfuhr, daß er sich mitten im Wald befinde, fürchtete er sich ein klein wenig.

Giebt es böse Thiere hier im Wald? fragte er seinen Vater.

 

Nein, sagte dieser, hier nicht. Nur nicht ängstlich!

So hast du denn gelogen, als du mir sagtest, daß mich der Wolf holen würde, wenn ich mit dir in den großen Wald ginge?

Da seh' mir Einer den Klügler an! sagte Germain etwas verlegen.

Aber er hat Recht, entgegnete die kleine Marie; Ihr habt es ihm gesagt: er hat ein gutes Gedächtniß und erinnert sich daran. Aber du mußt wissen, Peterle, daß dein Papa niemals lügt. Durch den großen Wald sind wir geritten, während du schliefst, und jetzt sind wir im kleinen Wald, wo es keine bösen Thiere giebt.

Ist der kleine Wald recht weit vom großen?

Ziemlich weit; übrigens gehen die Wölfe nie aus dem großen Wald hinaus. Und dann, wenn Einer käme, würde ihn dein Vater umbringen.

Und du auch, kleine Marie?

Ja, wir auch, denn du würdest ja mithelfen, nicht, Peterle? Du hast doch keine Angst, und würdest tapfer drauf losschlagen!

Ja, ja, rief das Kind, ganz stolz mit einer muthigen Geberde, wir schlügen ihn todt!

Wie du, versteht es Keine, mit Kindern zu sprechen und ihnen Vernunft beizubringen, sagte Germain zu der kleinen Marie. Es ist eben so lang nicht her, daß du selber noch ein Kind warst, und da erinnerst du dich noch an das, was deine Mutter zu dir sagte. Ich glaube schon, daß man sich, je jünger man ist, mit den Jungen um so besser verständigen kann, und ich fürchte, daß eine Frau von dreißig Jahren, die noch nicht weiß, was es heißt, Mutter zu sein, nur mit großer Mühe lernen wird, wie man mit so einem kleinen Burschen plaudern und predigen muß.

Aber warum denn, Germain? Ich sehe wirklich nicht ein, warum Ihr dieser gar so wenig zutraut; Ihr werdet schon auf andere Gedanken kommen!

Zum Kukuk mit der Frau! brummte Germain. Ich wollte, ich wäre schon von ihr losgekommen und müßte sie nie wieder vor Augen haben. Was soll ich mit einer Frau, die ich nicht kenne?

Papa, sagte das Kind, warum sprichst du denn heut immer von deiner Frau? die ist ja weit fortgegangen . . .

Ach! du hast sie also nicht vergessen, deine arme, liebe Mutter?

O nein, ich habe ja gesehen, wie man sie in eine schöne Lade aus weißem Holz gelegt hat, und die Großmutter hat mich zu ihr hingeführt, um ihr einen Kuß zugeben und Adjes zu sagen! . . . Sie war ganz weiß im Gesicht und ganz kalt, und jeden Abend heißt mich die Tante den lieben Gott bitten, daß er sie zu sich nehme in den Himmel, damit ihr wieder gut warm werde. Glaubst du, daß sie jetzt im Himmel ist?

Ich hoffe es, mein Kind; aber du mußt dennoch immerfort darum bitten; daran erkennt deine Mutter, daß du sie lieb hast.

Ich will gleich mein Gebet hersagen, erwiderte der Kleine; ich habe es diesen Abend vergessen. Aber ganz allein kann ich's nicht, denn mir fällt nicht Alles ein. Die kleine Marie muß mir helfen.

Ja wohl, Peterle, ich will dir helfen, sagte das Mädchen. Komm nur zu mir! Ich will dir ein gutes Plätzchen herrichten.

Das Kind kniete auf den Saum ihres Kleides nieder, faltete die Händchen und begann sein Gebet herzusagen, zuerst mit voller Aufmerksamkeit und Inbrunst, denn der Anfang war ihm sehr geläufig, dann langsamer und unsicherer, und schließlich nur nach der kleinen Marie Wort für Wort nachsprechend, bis zu der Stelle, die es niemals bis zu Ende hatte lernen können, weil es immer dabei vom Schlaf bewältigt worden war. Auch diesmal that die angestrengte Aufmerksamkeit, verbunden mit der Eintönigkeit des mechanischen Vortrags, die gewöhnliche Wirkung. Peterle brachte die letzten Worte nur noch mit Mühe über die Lippen, und zwar erst, nachdem sie ihm dreimal wiederholt worden; sein schweres Köpfchen senkte sich auf Mariens Busen nieder; die Händchen erschlafften, lös'ten sich von einander los und glitten ihm geöffnet auf die Kniee herab. Beim Schein des Feuers betrachtete Germain den kleinen Engel, wie er am Herzen des Mädchens friedlich eingeschlummert war: während sie ihn fest in den Armen hielt und ihr reiner Athem über sein blondes Haar hinstrich, war auch sie in ein frommes Träumen versunken und betete heimlich für die Seele der Kathrine.

Germain war gerührt und suchte nach Worten, der kleinen Marie all die Achtung und Dankbarkeit auszudrücken, die er für sie empfand, aber er fand nichts, was seinen innersten Gefühlen entsprochen hätte. Er näherte sich ihr, um den Kleinen, den sie nach immer an den Busen drückte, zu küssen, und seine Lippen konnten sich von Peterle's Stirn fast nicht mehr trennen.

Ihr küßt ihn zu heftig, sagte Marie, indem sie seinen Kopf sanft bei Seite schob; weckt ihn nicht. Und laßt mich ihn wieder zu Bett bringen, weil sein Seelchen ja doch schon zurückgeflogen ist ins Paradies der Träume.

Der Knabe ließ es geschehen; nur fragte er, als er sich auf dem Ziegenfellfutter des Sattels ausstreckte, ob er jetzt auf der Grauen reite. Dann schlug er die großen blauen Augen eine Minute lang starr zu den überhängenden Zweigen auf und schien wachend zu träumen, oder mit einem Gedanken beschäftigt zu sein, der ihm im Lauf des Tages durch den Kopf gefahren war und sich nun vor dem Einschlummern noch einmal in ihm spiegelte: Väterchen, sagte er, wenn ich eine neue Mama bekommen soll, so soll's die kleine Marie sein.

Und ohne eine Antwort abzuwarten, schloß er die Lider und schlief ein.

* * *

Für die kleine Marie schien dieser sonderbare Einfall des Kindes keine andere Bedeutung als die einer Freundschaftsbezeigung zu haben; sie hüllte den Kleinen sorgfältig ein, schürte das Feuer, und da der Nebel, der auf der nächstliegenden Pfütze kauerte, noch immer nicht das Aussehen hatte, als würde er sich bald verziehen, gab – sie Germain den Rath, sich beim Feuer auszustrecken und einen Nicker zu thun.

Ich merk's Euch an, daß Ihr ein Bedürfniß danach empfindet, sprach sie, denn Ihr redet nichts mehr und starrt vor Euch hin, gerade wie vorhin Euer Kleiner. Schlaft nur zu: ich werde über Euch und über das Kind wachen.

Nein, schlafen sollst du, erwiderte er, und ich will euch alle zwei hüten, denn ich war noch nie so wach, wie eben jetzt; mir summen über hundert Gedanken im Kopf herum.

Hundert wären viel, sagte das Mädchen nicht ohne einen Anflug von Schalkhaftigkeit; es giebt so viele Leute, die schon mit einem einzigen zufrieden wären!

Nun gut, wenn auch mein Kopf nicht groß genug ist für hundert, so hab' ich doch einen, der mir seit einer Stunde keine Ruhe läßt.

Ich will ihn Euch nennen, so wie auch die, die Ihr vorher hattet.

Schön! nenn' ihn mir, wenn du ihn errathen kannst, Marie; es wird mich freuen, wenn du selber mir ihn nennst.

Vor einer Stunde, fuhr sie fort, kam Euch der Gedanke, etwas zu essen . . . und jetzt kommt Euch der Gedanke, zu schlafen.

Marie, ich bin zwar nur Einer, der mit Ochsen umgeht, aber deßhalb brauchst du mich nicht selber für einen Ochsen zu halten. Das ist unfreundlich von dir, und daraus ersehe ich, daß du nicht mit mir reden willst. Schlaf' also! Das ist besser, als einen Mann zu hänseln, dem nicht froh ums Herz ist.

Nein, reden wir, wenn Ihr reden wollt, sagte das Mädchen, indem es sich neben dem Kinde halb ausstreckte und den Kopf gegen eine Seite des Sattels stützte. Ihr seid im Begriff, Euch wieder abzuquälen. Germain, und damit beweis't Ihr für einen Mann keinen großen Muth. Was würde ich nicht Alles sagen, wenn ich mich nicht nach besten Kräften gegen meinen eigenen Kummer wehrte?

Allerdings; aber das ist's ja gerade, was mir nicht aus dem Sinn will, du armes Kind! Du sollst fern von deinen Leuten leben, in einer unwirthlichen, sumpfigen Haidegegend, wo du im Herbst das Fieber kriegen wirst, und wo die Schafe nicht zunehmen, was doch für eine Schafhüterin, die einen ernstlichen Willen hat, immerhin eine verdrießliche Sache ist; und dann wirft du unter wildfremden Menschen leben, die dich vielleicht nicht gut behandeln und überhaupt nicht begreifen werden, was sie an dir haben. Siehst du, das macht mich trauriger, als ich es mit Worten sagen kann, und ich möchte dich am Liebsten wieder heimbringen zu deiner Mutter, anstatt nach Fourche zu gehen.

Was Ihr da sagt, mein armer Germain, ist zwar sehr gütig, aber gar nicht weise; für seine Freunde soll man nicht feigherzig sein, und anstatt mir die schlimme Seite meines Schicksals zu zeigen, thätet Ihr besser daran, die gute hervorzuheben, wie vorhin, als wir bei der Rebec einkehrten.

Ich kann mir nicht helfen! Damals sah ich's in dem Licht, und jetzt erscheint mir's in einem ganz andern. Du solltest doch lieber heirathen.

Daran ist nicht zu denken, Germain, ich hab's Euch schon einmal gesagt, und weil nicht daran zu denken ist, will ich auch nicht daran denken.

Aber wenn es sich zufällig doch so fügen würde? Vielleicht wenn du mir auseinandersetztest, was du für einen Mann haben möchtest, könnt' ich mir einen ausdenken.

Ausdenken und finden sind Zweierlei. Ich denke mir nichts aus, weil es doch zu nichts führt.

Möchtest du nicht Einen finden, der reich wäre?

Wie sollt' ich das? Ich selber bin ja arm wie eine Kirchenmaus.

Aber wenn er nun einmal wohlhabend wäre, so würde dich's wohl nicht verdrießen, eine freundliche Wohnung und gute Kost und hübsche Kleider zu haben bei rechtschaffenen Leuten, welche dir die Mittel an die Hand geben würden, deine Mutter zu unterstützen?

O was das betrifft . . . meine Mutter zu unterstützen, das wäre mein einziger Wunsch.

Und wenn sich das nun fände, auch gesetzt den Fall, daß der Mann nicht mehr ganz jung wäre, würde es dich Ueberwindung kosten?

Ah! nehmt mir's nicht übel, Germain, aber gerade darauf würd' ich schauen. Einen Alten möcht' ich nicht heirathen!

Einen Alten, allerdings; doch, zum Beispiel, einen Mann in meinen Jahren?

Für mich seid Ihr alt, Germain; Einer in des Bastian's Jahren würde mir schon besser passen, obgleich der Bastian nicht so schmuck ist, wie Ihr.

Der Schweinehirt wäre dir lieber, der Bastian? sagte Germain voller Unmuth. Ein Kerl mit zwei Augen, wie sie die Thiere im Kopf stecken haben, die er hütet?

Seinen achtzehn Jahren zulieb würde ich über seine Augen eins zudrücken.

In Germain's Herzen regte sich eine furchtbare Eifersucht. Gut, sagte er, ich sehe, daß dir's der Bastian angethan hat. Aber ein toller Einfall bleibt es doch immer!

Ja, es wär' auch ein toller Einfall, antwortete laut auflachend die kleine Marie, und der Ehemann wäre gerade so toll. Der ließe sich ja jeden Bären aufbinden. So hatte ich zum Beispiel unlängst in dem Herrn Pfarrer seinem Garten einen Paradiesapfel aufgehoben; da hast du einen schönen rothen Apfel, sag' ich zum Bastian, und er hat hineingebissen, mit einer Gier . . .! Ihr hättet nur die Fratze sehen sollen, die er geschnitten hat! Herr Gott, war die häßlich!

Du magst ihn also doch nicht, sonst würdest du ihn nicht zum Besten haben?

O das wäre noch kein Grund. Aber ich mag ihn wirklich nicht: er mißhandelt seine kleine Schwester und ist unreinlich.

Nun, so gefällt dir vielleicht irgend ein Anderer?

Was liegt denn Euch daran, Germain?

Es liegt mir auch nichts daran; es ist nur so ein Discurs. Aber ich merke wohl, Kleine, daß du schon ein Auge auf wen geworfen hast.

Nein, Germain, Ihr irrt Euch: ich habe noch keinen Schatz; das kann in der Folge noch kommen; doch weil ich nur werde heirathen können, wenn ich mir Einiges erspart habe, so ist es mir bestimmt, erst spät zu heirathen und dann einen Mann in ältern Jahren.

Nun denn, so heirathe lieber gleich einen Alten!

O nein, wenn ich einmal selber nicht mehr jung bin, wird mir's allerdings einerlei sein, aber einstweilen ists noch was Anderes.

.Jetzt merk' ich wohl, Marie, daß ich dir gar nicht gefalle, es wird mir nur zu deutlich, sagte Germain ganz entmuthigt, und ohne zu bedenken, was er sprach.

Die kleine Marie antwortete nichts. Germain beugte sich zu ihr hin: sie schlief; der Schlummer hatte sie plötzlich überwältigt und blitzähnlich niedergeworfen, wie die Kinder, die schon im Schlaf liegen, während sie noch plaudern.

Germain war froh, daß sie seine letzten Worte nicht beachtet hatte, denn er sah jetzt ein, wie unklug sie waren, und wandte sich ab, um sich zu zerstreuen und auf andere Gedanken zu bringen.

Aber trotz aller Selbstbeherrschung wollte es ihm nicht gelingen, weder einzuschlafen, noch an etwas Anderes zu denken, als an das zuletzt Gesagte. Wohl zwanzig Mal ging er um das Feuer herum, dann abseits und wieder zurück; endlich lehnte er sich, mit kochendem Blut, als hätte er Schießpulver geschluckt, an den Baum, unter dem die beiden Kinder schliefen, und starrte nach ihnen hin.

Ich weiß wirklich nicht, dachte er, warum ich erst jetzt bemerke, daß die kleine Marie das hübscheste Mädel im ganzen Dorf ist! . . . Ihre Backen sind nicht sehr roth, aber sie hat ein Gesichtchen so frisch wie ein Hageröslein! Und der nette kleine Mund und das zierliche Näschen! . . . Groß ist sie nicht für ihr Alter, aber fein gewachsen wie eine junge Wachtel und flink wie ein kleiner Buchfink! . . . Eigentlich seh' ich nicht ein, warum man bei uns die großen, drallen, rothwangigen Weibsbilder so schön findet . . . Meine Frau war eher schmächtig und blaß, und dennoch gefiel sie mir mehr als jede Andere . . . Die Marie hat auch so ein zartes Aussehen, und ist nichts desto weniger kerngesund, und hübsch anzuschauen ist sie wie ein milchweißes Zicklein! . . . Und wie sanft und züchtig sie dreinblickt! Ihr gutes Herzchen liegt ihr in den Augen, sogar wenn der Schlaf sie zugemacht hat! . . . Und Verstand hat sie beinah noch mehr als meine selige Kathrine ja, der Wahrheit die Ehre! bei ihr würde mir die Zeit nie lang werden . . . Sie ist so munter, so brav, so fleißig, so anhänglich und wieder so drollig. Ich weiß nicht, was man außerdem noch verlangen könnte . . .

 

Aber was geht das Alles denn mich an? Grübelte er wieder und that sich Gewalt an, um wo anders hinzuschauen. Der Schwäher würde sicherlich nichts davon hören wollen, und die ganze Verwandtschaft würde mich für verrückt halten! . . . Sie selber möchte mich ja nicht einmal, das arme Kind! . . . Ich bin ihr zu alt: sie hat es mit dürren Worten gesagt . . . denn sie ist nicht eigennützig; es liegt ihr nichts daran, noch fernerhin zu leiden und zu entbehren und sich ärmlich zu kleiden und zwei oder drei Monate im Jahr zu hungern, wenn sie nur eines Tags nach ihrem Herzen wählen kann, einen Mann, der ihr gefällt . . . Recht hat sie! ich, wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde es gerade so machen . . . nach heute, wenn ich nach meinem Kopf handeln könnte, würde ich ein Mädel nach meinem Sinn heimführen, anstatt mich in eine Heirath hineinzubugsiren, zu der ich kein Herz zu fassen vermag . . .

Je eifriger Germain sich aufs Vernünfteln und Ruhigwerden verlegte, desto weniger brachte er's zu Stande. Bald lief er zwanzig Schritte weit davon, in den Nebel, hinein; bald lag er plötzlich wieder auf beiden Knieen vor den schlafenden Kindern. Einmal wollte er sogar dem Peterle, der mit dem einen Aermchen Mariens Hals umschlungen hielt, einen Kuß geben, und irrte sich in der Person, so daß Marie, von einem Feuerhauch geweckt, der über ihre Lippen hinstrich, auffuhr und ganz wirr um sich schaute: was in Germain vorging, errieth sie indessen nicht.

Ich sah' euch nicht recht, ihr armen Kinder, sagte er, indem er sich rasch zurückwarf. Fast wäre ich über euch gestürzt und hätte euch weh gethan.

Die kleine Marie nahm die Erklärung in ihrer Herzensunschuld für haare Münze und schlief wieder weiter. Germain ging nun um das Feuer herum auf die entgegengesetzte Seite und verschwor es hoch und heilig, nicht mehr von der Stelle zu weichen, bis Marie erwachen würde. Er hielt auch Wort, aber es wurde ihm recht sauer. Ihm war, als ginge sein Verstand in die Brüche.

Endlich, gegen Mitternacht, verzog sich der Nebel, und Germain sah die Sterne durch die Zweige niederleuchten. Nach und nach waren auch vom Mond die Dünste gewichen, die ihn verfinstert hatten, und er begann seine Diamanten auf das feuchte Moos auszustreuen. Die Stämme der Eichen waren noch in ein majestätisches Dunkel getaucht, aber etwas weiter weg glänzten schon die weißen Birken wie eine Reihe in Leichentücher eingehüllte Gespenster. Das verglimmende Feuer spiegelte sich in der nächsten Pfütze, und die Frösche, die sich nachgerade an den fremden Schein gewöhnt hatten, ermannten sich schon zu einzelnen, immerhin noch schüchternen Discantlauten; die eckigen, von fahlem Moos umstarrten Aeste der alten Bäume streckten sich in wirrer Durchkreuzung gleich langen Knochenarmen über den Köpfen unserer Reisegesellschaft aus; es war eine schöne, aber so öde und düstere Landschaft, daß Germain, um nur seine Traurigkeit loszuwerden, zu singen anfing und Steine ins Wasser warf, den unheimlichen Zauber der Einsamkeit zu brechen. Damit verband er auch die Absicht, die kleine Marie zu wecken, und als er sah, daß sie in der That aufstand und nach dem Wetter forschte, schlug er ihr vor, wieder aufzubrechen.

Bis in zwei Stunden, setzte er hinzu, wird beim Morgengrauen die Luft so eisig werden, daß es hier, trotz dem Feuer, nicht mehr auszuhalten wäre . . . Jetzt sehen wir doch unsern Weg und werden gewiß ein Haus finden, wo man uns einläßt, oder wenigstens eine Scheune, die uns für den Rest der Nacht ein Obdach bietet.