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Der Teufelssumpf

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Das arme Thier erkennt eben sein Fleisch und Blut, sagte Germain, in der Absicht, die kleine Marie von ihrem Kummer abzulenken. Dabei fällt mir ein, daß ich meinem Peterle beim Weggehen keinen Kuß gegeben habe. Das böse Kind war gar nicht da! Gestern Abend hat er mir das Versprechen abnöthigen wollen, ihn mitzunehmen, und hat eine volle Stunde in seinem Bett geweint. Und diesen Morgen noch hat er mich zu überreden versucht. O der kann dir bitten und schmeicheln! Als der junge Herr jedoch merkte, daß durchaus nichts auszurichten war, wurde er zornig; er lief querfeldein, und ich bekam ihn den ganzen Tag über nicht mehr zu sehen.

Ich schon, sagte die kleine Marie, indem sie ihre Thränen gewaltsam hinunterwürgte. Er lief mit den Kindern von Soulas in der Richtung nach dem Holzschlag, und ich habe gleich gedacht, daß er schon lange von Haus weg sei, denn er aß Schlehen und Brombeeren, um seinen Hunger zu stillen. Da gab ich ihm mein Vesperbrod, und er sagte zu mir: Schön Dank, meine herzige Marie! wenn du wieder zu uns kommst, dann werde ich dir auch meinen Kühen geben, Es ist ein gar artiges Bübchen. Germain!

Ja, das will ich meinen, antwortete dieser; ich weiß auch nicht, was ich nicht Alles für ihn thäte! Hätte die Großmutter nicht mehr Einsicht gehabt, als ich, so hätt' ich's nicht über mich bringen können, ihn zu Hause zu lassen, als ich ihn so bitterlich weinen sah, daß ihm's fast das Herzchen abdrücken wollte.

Aber warum habt Ihr ihn denn nicht mitgenommen. Germain? Ihr hättet nicht viel Mühe mit ihm gehabt; er ist ja so vernünftig, wenn man ihm nur den Willen thut!

Da, wo ich hingehe, wäre er wohl lästig geworden; so meinte wenigstens der Vater Maurice . . . Ich jedoch dächte, daß es im Gegentheil gut gewesen wäre, zu sehen, wie man den Kleinen empfängt, und daß man einem so artigen Kinde doch gewiß herzlich gut sein müßte . . . Aber meine Leute sagen, es sei nicht gerathen, ihr gleich auf den ersten Blick die Beschwerlichkeiten vor Augen zu stellen . . . Doch ich spreche da mit dir über Dinge, die du ja nicht begreifen kannst.

O doch, Germain; ich weiß schon, daß Ihr über Feld geht, um zu freien; mir hat's die Mutter erzählt, und hat mir zugleich eingeschärft, es keinem Menschen zu sagen, weder im Dorf, nach auf dem Ulmenhof, und Ihr könnt auch ganz ruhig sein: von mir erfährt's Niemand.

Es soll's auch vor erst Niemand erfahren, denn es; ist nach nicht ganz gewiß; vielleicht mag mich die Frau gar nicht.

Das wollen wir nicht hoffen, Germain. Und weßhalb sollte sie Euch denn nicht mögen?

Wer weiß? Ich habe drei Kinder, und das ist eine schwierige Sache für ein Weib, das ihre Mutter nicht ist.

Das schon, aber Eure Kinder sind nicht so wie die andern alle.

Wirklich?

Erstens sind sie schön wie der Tag und dann so wohl erzogen, daß man nichts Lieberes sehen kann.

Na, der Sylvain, der ist doch zuweilen ziemlich widerhaarig,

Ah, der ist nach so klein! In dem Alter hat jedes Kind seine Unarten; und dafür ist er wieder so gescheidt!

Ja, gescheidt ist er, und verwegen! Der fürchtet dir weder Kühe noch Stiere, und wenn man ihm nur freie Hand ließe, so würde er schon wie mein Aeltester an den Pferden hinaufklettern.

Den Aeltesten hätt' ich an Eurer Stelle mitgenommen. Mit so einem schönen Kind an der Hand hätt's Euch ja nicht fehlen können.

Das heißt, wenn die Frau eine Lieb hat zu Kindern; hat sie aber die Neigung nicht . . .

Giebt es denn Weiber, die zu Kindern gar keine Liebe haben?

Nicht viele, denk' ich; aber einige wohl und das eben macht mir Sorge.

Kennt Ihr denn die Frau gar nicht?

So wenig wie du, und ich fürchte, daß ich sie auch nach einer Unterredung kaum besser kennen werde, Mißtrauisch bin ich zwar nicht, und nehme auch gern ein gutes Wort für baare Münze, doch das ist mir schon mehr als ein Mal schlecht bekommen, denn Worte und Thaten sind Zweierlei.

Der Frau wird alles Mögliche nachgerühmt.

Von wem? Vom Vater Maurice!

Ja, von Eurem Schwäher.

Das wäre recht schön und gut, wenn wenigstens er sie kennte.

Nun, Ihr werdet ja mit ihr zusammenkommen, und wenn Ihr ein offenes Auge habt auf Alles, so läßt sich hoffen, daß Euch Euer Auge nicht täuschen wird.

Du. Marie, da fällt mir was ein! du könntest mir den Gefallen thun und erst ein wenig bei ihr vorsprechen, anstatt deinen Weg in Einem Athem fortsetzen: du bist findig, hattest von jeher einen hellen Kopf, und dir entgeht auch das Kleinste nicht. Und wenn du dann etwas wahrnehmen solltest, das dich stutzig macht, giebst du mir einen leisen Wink.

O nein. Germain, das werd' ich bleiben lassen! Dafür trau' ich mir doch viel zu wenig zu, und übrigens gesetzt den Fall, es könnte Euch ein unbedachtsam hingeworfenes Wort diese Heirath verleiden, so würden mir's Eure Schwiegereltern nie verzeihen, und mir ist das Herz so schon schwer genug, ohne daß ich erst meiner Mutter, der armen lieben Frau, neuen Kummer auflade.

Während die Beiden also sprachen, that die Graue mit gespitzten Ohren einen Seitensprung, wandte sich um und trat dann auf den Strauch zu, bei dem sie vor einem Gegenstand, den sie nun zu erkennen schien, gescheut hatte. Germain warf einen Blick auf den Strauch und entdeckte im Graben unter den dichten und noch grünenden Aesten eines Eichenstrunks etwas, das er zuerst für ein Lamm hielt.

's ist ein verlaufenes Thier, sagte er, oder ein Todtes, denn es rührt sich nicht.

Vielleicht sucht Jemand nach ihm; ich will gleich nachsehen! – Ein Thier ist es nicht, rief die kleine Marie: ein eingeschlafenes Kind ist's – Euer Peterle.

Das ist eine schöne Geschichte! sagte Germain und sprang vom Pferd: schläft der kleine Schelm mir nichts dir nichts ein, so weit von Haus und noch dazu in einem Graben, wo ihn eine Schlange stechen könnte!

Er hob das Kind in seine Arme; es schlug die Augen auf, lächelte ihn an und sprach, indem es sich an seinen Hals hängte: Papa, nimm mich mit!

Da haben wir's! immer die alte Leier! Was hat man da angestellt, nichtsnutziger Peter?

Auf meinen lieben Papa hab' ich gewartet, sagte das Kind; ich habe immer den Weg entlang geschaut und so lang geschaut, bis ich eingeschlafen bin.

Und wenn ich nun vorbeigeritten wäre, ohne dich zu sehen, wärst du die ganze Nacht hier draußen geblieben, und der Wolf hätte dich gefressen.

Ah! ich wußte recht wohl, daß du mich sehen würdest! antwortete der Kleine mit unerschütterlichem Vertrauen.

Nun gut, mein lieber Peter; jetzt gieb mir einen Kuß, sag mir schön gute Nacht, und geh rasch wieder nach Haus, sanft wird ohne dich zu Abend gegessen.

So willst du mich denn nicht mitnehmen, rief das Kind, und fing an sich die Augen zu reiben, zum Zeichen, daß Thränen im Anzug waren.

Du weißt ja, daß es Großvater und Großmutter nicht haben wollen, sagte Germain, das Ansehen der beiden Alten zu Hülfe nehmend, wie Einer, der auf sein eigenes nicht recht fest baut.

Aber das Kind war für alles Zureden taub. Unter reichlich hervorbrechenden Thränen blieb es bei der Behauptung, daß der Vater es gerade eben so gut mitnehmen könne, wie die kleine Marie. Man hielt ihm vor, daß der Weg durch finstere Wälder führe, wo es viel böse Raubthiere gebe, welche die kleinen Buben verspeis'ten, ferner daß die Graue keine drei Personen tragen wolle, daß sie es beim Weggehen ausdrücklich erklärt habe, und endlich, daß dort, wo man hinreise, für so einen Fratz weder ein Bett noch ein Abendbrod aufzutreiben sei. Diese hochweisen Vorstellungen schienen jedoch dem Peterle durchaus nicht stichhaltig; er warf sich nieder und wälzte sich im Grase, indem er einmal über das andere schreiend erklärte, daß ihn sein lieber Papa nicht mehr lieb habe, und betheuerte, er würde, wenn man ihn nicht mitnähme, weder bei Tag nach bei Nacht nach Haus zurückkehren.

Germain's Vaterherz war weich und schwach wie das Herz einer Mutter. Der Tod seiner Frau, die Pflege des Kleinen, die in Folge davon ihm allein zugefallen war, und auch der Gedanke, daß arme Waisen vor Allen der Liebe bedürfen, hatten zur Entwickelung dieser Naturanlage nicht wenig beigetragen, und nun kämpfte er in sich einen um so härtern Kampf, als er sich seiner Schwäche schämte; bei den Anstrengungen, die er machte, um seine wehmüthigen Empfindungen vor der kleinen Marie zu verbergen, trat ihm der Schweiß auf die Stirn und quollen ihm die Augen auf, so daß auch er nahe daran war zu weinen. Endlich wollte er es mit dem Zorn versuchen; aber da er sich eben zu der kleinen Marie hinwendete, gleichsam um sie als Zeugin seiner Seelenstärke aufzurufen, sah er, daß das gute Mädchen in Thränen schwamm; bei diesem Anblick war es ihm nicht mehr möglich, die seinen zurückzuhalten, denn seine ganze erkünstelte Energie war ihm abhanden gekommen, wiewohl er immer noch schalt und drohte.

Geht, Ihr seid doch zu hart gegen ihn, sagte endlich die kleine Marie, und ich an Eurer Stelle brächte es nun und nimmermehr über mich, so unerbittlich zu sein, wenn ein Kind vor Herzeleid vergeht. Drückt ein Auge zu, Germain, und nehmt ihn mit. Der Grauen wird es ja so nicht ungewohnt vorkommen, drei Personen zu tragen, denn auf dem guten Thier reitet jeden Samstag Euer Schwager mitsammt seiner Frau, die doch viel schwerer ist als ich, und seinem Buben zum Wochenmarkt. Ihr könnt den Kleinen ganz bequem rittlings vor Eich hinsetzen, und was mich betrifft, so will ich lieber zu Fuß weitergehen, als dem Peterle Kummer machen.

Das darfst du keinesfalls, antwortete Germain, der nichts sehnlicher wünschte, als sich überreden zu lassen. Die Graue hat Kraft genug in den Knochen, um außer uns noch ihrer Zwei munter in den Kauf zu nehmen, wenn sie Raum fänden auf ihrem Rücken. Aber was fangen wir unterwegs mit dem Kind nur an? Es wird frieren, und wird hungrig werden . . . und dann, wer soll heut Abend und morgen für ihn sorgen, ihn zu Bett legen, waschen, ankleiden? Die Schererei kann ich doch unmöglich einer Frau zumuthen, die ich nicht kenne, und die zum Mindesten denken würde, daß ich fürs Erste doch gar zu wenig Umstände mit ihr mache.

 

Je nachdem sie es mit Vergnügen oder mit Verdruß aufnehmen wird, werdet Ihr sie gleich näher kennen, Germain, das könnt Ihr mir glauben; übrigens laßt nur mich für Euer Peterle sorgen, wenn sie kein Gefallen an ihm findet. Ich werde kommen, um ihn anzuziehen, und ihn morgen in der Gegend spazieren führen. Den ganzen Tag über will ich ihn unterhalten, und es soll ihm nichts abgehen.

Aber du wirst dich dabei langweilen, armes Mädel!

Er wird dir lästig werden! Bedenke, den ganzen lieben, langen Tag!

Im Gegentheil, kurzweilig wird es werden; ich werde eine Gesellschaft haben und weniger traurig sein am ersten Tag, den ich in der Fremde verleben muß. Mir wird sein, als wär' ich noch zu Haus.

Sowie der Knabe gesehen hatte, daß ihm die kleine Marie das Wort redete, hatte er sich an ihr Kleid gehängt und hielt sich so krampfhaft daran fest, daß man ihn nicht hätte entfernen können, ohne ihm wehe zu thun. Als er nun inne wurde, daß der Vater nachgab, nahm er Mariens Hand in seine beiden sonngebräunten Händchen und küßte sie und hüpfte vor Freude und zog seine Fürsprecherin fort zu der Stute, voll von jener verzehrenden Ungeduld, mit welcher die Kinder der Verwirklichung eines Wunsches zustreben.

Ruhig, ruhig sein! sagte das Mädchen, indem es ihn auf den Arm hob; dein kleines Herz springt ja auf und ab, wie wenn's ein Vögelchen wär' – sei nur getrost, und wenn's dunkel wird und dich zu frieren anfängt, dann sag mir's fein, Peterle, damit ich dich in meinen Mantel einwickle. Jetzt gieb deinem lieben Papa einen Kuß und bitt' ihn recht schön um Verzeihung, weil du dich so unbändig geberdet hast. Versprich ihm, daß du's nie mehr thun willst, nie! hörst du? nie wieder!

Ja wohl, unter der Bedingung, daß ich ihm immer zu Willen sein werde, nicht wahr? sagte Germain, während er mit seinem Taschentuch dem Kind die Augen abtrocknete: du verwöhnest mir den kleinen Wicht, Marie . . . du bist wirklich zu gut gegen ihn. Ich weiß eigentlich nicht, warum du nicht bei uns eingestanden bist zum Schafhüten um Johanni. Da hättest du auch meine Kinder hüten können, und mir wär's weit lieber, dir einen guten Lohn dafür zu geben, als mir jetzt eine Frau zu holen, die vielleicht Wunder glaubt, was sie mir für einen Gefallen thut, wenn sie die Armen nur nicht haßt.

Ihr müßt die Dinge nicht immer von der schlimmsten Seite aus betrachten, antwortete die kleine Marie, welche das Pferd beim Zaum hielt, während Germain sein Söhnchen vorn auf den breitem mit Ziegenfell ausgeschlagenen Saumsattel hinsetzte; wenn Eure Frau die Kinder nicht mag, so nehmt Ihr mich eben nächstes Jahr in Euren Dienst, und dann könnt Ihr ganz ruhig sein: ich will sie so munter pflegen, daß sie gar nichts merken sollen.

* * *

Der Tausend! sagte Germain eine kleine Weile darauf, was werden sie denn zu Haus denken, wenn das Bürschchen da nicht heimkommt? Die Großeltern werden in Angst gerathen und überall suchen.

Ihr sagt ganz einfach dem Straßenarbeiter, den wir etwas weiter oben antreffen werden, daß Ihr das Kind mitnehmt, und bittet ihn, Eure Leute davon in Kenntniß zu setzen.

Ja, das ist ein guter Einfall, Marie; du weißt doch immer Bescheid! ich dachte gar nicht daran, daß der Jeannie bei der Hand ist.

Und der wohnt ja ganz dicht bei Eurem Hof; er wird Alles gewissenhaft ausrichten.

Nachdem diese Vorsorge getroffen worden, setzte Germain die Stute wieder in Trab, und dem Peterle fiel anfangs vor lauter Herzensfreude gar nicht ein, daß er noch nicht zu Mittag gegessen hatte; aber allmählich brachte die Bewegung des Reitens seinen Magen doch zum Knurren, und nach Verlauf einer Stunde kam es unter Gähnen und Erblassen zu einem wohlarticulirten Hungerbekenntniß.

Nun geht's los, sagte Germain. Wußt' ich doch, daß über kurz oder lang der junge Herr nach Speise und Trank schreien würde.

Trinken möcht' ich auch! sagte Peterle.

So kehren wir denn in Gottes Namen bei der Mutter Rebec ein, da wir doch schon in Corlay sind. Wenn nur ihre Wirthschaft zur goldenen Sonne so golden wäre wie das Schild! Dir wird ein Glas Wein auch wohl thun, Marie.

Nein, dank' schön! ich brauche nichts, sagte sie; ich werde bei der Grauen bleiben, bis Ihr mit dem Kind wieder zurück seid.

Du gutes Mädel, das erinnert mich just daran, daß du ja diesen Morgen meinem Peter dein Vesperbrod gegeben hast und nach ganz nüchtern bist, denn bei uns zu Haus hast du nichts zu Mittag essen wollen, und hast in Einem fort geweint.

Ah! ich hätte keinen Bissen hinuntergebracht; mir war das Herz zu schwer, und auch jetzt noch – Ihr könnt mir's gewiß glauben – verspüre ich gar keinen Appetit.

Du mußt dich zum Essen zwingen, Kleine, sonst wirst du krank. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, und dürfen nicht so ausgehungert ankommen, daß wir ein Stück Brod begehren, ehe wir nur einen guten Tag bieten, Ich selber will dir mit dem Beispiel vorangehen, obgleich auch mein Appetit nicht weit her ist; aber es wird sich schon machen lassen, denn ich habe eigentlich eben so wenig zu Mittag gegessen, wie du. Ich sah dich mit deiner Mutter weinen, und das ging mir zu Herzen. So, jetzt will ich die Graue an die Thür festbinden. Steig nur ab – ich will's.

So traten sie denn alle Drei ein, und eh eine Viertelstunde verstrichen war, hatte ihnen die dicke, hinkende Rebec bereits einen Pfannenkuchen von ganz vortheilhaftem Aeußern nebst Schwarzbrod und dem blaßrothen Landwein vorgesetzt.

Die Bauersleute essen langsam, und der kleine Peter war so hungrig, daß Germain vor Verlauf einer Stunde gar nicht an ein Aufbrechen denken konnte. Zuerst hatte die kleine Marie lediglich aus Rücksicht zugegriffen, aber später war der Hunger allmählich mit ins Spiel gekommen, denn mit sechzehn Jahren, zumal auf dem Lande, wo die frische Luft zehrt, läßt sich's nicht lange fasten. Germain's wohlgemeinter, trostreicher und aufmunternder Zuspruch verfehlte gleichfalls die beabsichtigte Wirkung nicht; das Mädchen that seiner traurigen Stimmung Gewalt an, um sich einzureden, daß sieben Monate ja keine Ewigkeit seien, und sich auf die glückliche Zukunft zu freuen, die in der Heimath und in der Nähe der Mutter ihrer harrte; hatte ihr doch der Vater Maurice sowohl wie auch Germain versprochen, sie in Dienst zu nehmen. Doch als sie eben anfing heiter zu werden und mit dem kleinen Peter zu scherzen, gerieth Germain auf den unseligen Gedanken, ihr durch das Fenster der Wirthstube die schöne Aussicht auf das freundlich grünende, fruchtbare Thal zu zeigen, das man von dem höher gelegenen Corlay der ganzen Länge nach überschaut. Marie blickte hinaus und fragte, ob man von hier aus die Häuser von Belair unterscheiden könne.

Gewiß, antwortete Germain, unsern Hof und sogar deine Hütte. Siehst du den kleinen grauen Punkt dort, unter dem Kirchthurm, etwas abseits von Godard seiner großen Pappel?

Ah ja! ich seh' ihn, sagte sie, und brach wieder in Thränen aus.

Ich hätte dich nicht daran erinnern sollen, sagte Germain; ich mache heut lauter dumme Streiche! Komm jetzt, Marie; wir müssen fort, mein Kind; die Tage sind noch kurz, und in einer Stunde wenn der Mond aufgehen wird, wird es kalt werden.

Sie saßen wieder auf, ritten über die große Haide, und da Germain die Graue nicht zu eifrig anspornte, weil er das Mädchen und das Kind nicht durch einen allzu scharfen Trab ermüden wollte, war die Sonne bereits untergegangen, als er von der Heerstraße ablenkte, um den Wald zu erreichen.

Germain kannte zwar den Weg nach Magnier ganz wohl; aber er überlegte, daß sich eine gute Strecke abschneiden ließe, wenn er, anstatt in die Allee von Chanteloube einzubiegen, über Kesles und am heiligen Grab vorbei hinabritte, obwohl er diese Richtung nicht einzuschlagen pflegte, wenn er zu Markte fuhr. Doch er ging fehlt und verlor so einige Zeit, eh er in den Wald kam; überdies ritt er noch, ohne es zu bemerken, an einer falschen Stelle hinein, so daß er Fourche den Rücken kehrte und sich ganz seitwärts wendete gegen Ardente zu.

Er hatte sich deßhalb nicht zurechtfinden können, weil bei sinkender Nacht ein Nebel aufgestiegen war, wie dies an Herbstabenden häufig der Fall ist, ein Nebel, der, im fahlen Mondlicht schwimmend, um so unbegrenzter erschien und um so trügerischer wirkte. Den breiten Pfützen, die in den Lichtungen des Waldes zerstreut lagen, entströmten so dichte Dünste, daß man, wenn die Graue darüber wegschritt, das Wasser nicht sah, sondern nur am Plätschern erkannte und an der Schwierigkeit, womit das Pferd die Füße aus dem schlammigen Boden herauszog.

Als man endlich auf eine schöne gerade Waldstraße gestoßen war und Germain sich, am Ende derselben angekommen, zu orientiren suchte, wurde er gleich inne, daß er sich verirrt hatte, denn der Vater Maurice hatte ihm den Weg beschrieben und gesagt, er werde da, wo der Wald aufhöre, einen sehr abschüssigen Abhang vor sich haben; ferner solle er, wenn er unten angelangt sei, über eine sehr große Wiese reiten und zwei Mal durch einen Bach waten, wobei ihm der Alte noch eingeschärft hatte, doch ja recht vorsichtig zu Werke zu gehen, da in Folge der starken Regengüsse der Wasserstand möglicher Weise etwas hoch sein könne. Da nun Germain weder Abhang, nach Wiese, noch Bach, sondern nur die flache Haide; wie einen Schneeteppich so weit vor sich liegen sah, hielt er das Pferd an, um ein Haus zu erspähen oder einen des Wegs ziehenden Wanderer zu erwarten. Da sich aber nichts dergleichen erblicken ließ, kehrte er um, in den Wald zurück. Doch der Nebel verdichtete sich immer mehr; der Mond wurde ganz verdunkelt, und auf der abscheulichen Straße, die voll tiefer Sumpflöcher war, wäre die Graue zu zweien Malen um ein Haar gestürzt; sie begann schon unter ihrer schweren Last den Muth zu verlieren, und wenn sie auch die Bäume noch in so fern unterschied, als sie sich nicht daran stieß, so konnte sie doch nicht hindern, daß die Reiter mit den dicken Aesten in Conflict geriethen, welche sich gerade auf Kopfhöhe quer über den Weg streckten, oft in ganz lebensgefährlicher Weise. So wurde Germain einmal der Hut heruntergeschlagen, und er hatte seine liebe Noth, ihn wieder zu finden. Der kleine Peter war eingeschlafen, und lag seinem Vater so schwerfällig und unbequem in den Armen, daß dieser die Graue schließlich nicht mehr aufrechtzuhalten noch zu lenken vermochte.

Ich glaube fast, wir sind verhext, sagte Germain, abermals still haltend, denn so groß sind diese Waldungen nicht, daß sich Einer, der nicht betrunken ist, darin verirren könnte, und jetzt ziehen wir schon zwei volle Stunden kreuz und quer darin herum, ohne hinauszukommen. Die Graue, die immer noch ihren gewohnten Stall im Kopf hat, die ist an all der Verwirrung Schuld. Wenn wir nach Haus finden wollten, brauchten wir sie nur sich selbst zu überlassen. Aber jetzt, da wir vielleicht nur wenige Schritte von dem Ort entfernt sind, wo wir übernachten sollen, wär's doch zu toll, das Ziel aufzugeben und den langen Weg noch einmal zurückzulegen. Nichts desto weniger weiß ich nicht mehr wo aus und an. Ich seh' nichts mehr, weder über noch unter uns, und fürchte, daß das Kind zu fiebern anfängt, wenn wir länger in dem verdammten Nebel stecken bleiben, oder daß wir's unter unserer eigenen Last erdrücken, wenn sich das Pferd überstürzt.

Wir dürfen uns nicht aus Eigensinn festrennen, sagte die kleine Marie. Steigen wir ab, Germain; gebt das Kind mir; ich kann es ganz gut tragen, und kann sogar noch besser dafür sorgen, als Ihr, daß es nicht durch das Auseinandergehen des Mantels bloß zu liegen komme. Führt Ihr die Stute am Zaum; wenn wir näher beim Boden sind, sehen wir vielleicht auch besser.

Diese Maßregel schützte sie indessen nur vor einem Sturz vom Pferde, denn der Nebel kroch an der Erde hin und schien sich an der feuchten Oberfläche des Wegs festkleben zu wollen. Es war ein mühseliges Gehen, und bald waren Beide so erschöpft, daß sie stehen blieben, als sie unter hohen Eichen endlich, eine trockene Stelle gefunden hatten. Die kleine Marie war in Schweiß gebadet, aber sie klagte nicht und war unbekümmert um sich selbst. Ausschließlich besorgt um das Kind, setzte sie sich auf den Sand nieder und bettete den Kleinen in ihren Schooß, während Germain, nachdem er die Zügel der Grauen an einen Zweig gehängt hatte, sich rings umschaute.

Die Graue jedoch, der die ganze Reise sehr zuwider war, machte eine Rückenbewegung, welche die Zügel vom Ast lös'te, riß den Gurt entzwei, schlug dann noch mit einer gewissen Nachlässigkeit ein halb dutzend Mal hoch über ihren eigenen Kopf weg hinten aus und rannte durch das Dickicht davon, gleichsam um den Beweis zu liefern, daß sie den Heimweg schon allein finden könne.

 

So! sagte Germain nach einem vergeblichen Versuch, – den Flüchtling einzufangen, jetzt gehören wir ganz und gar zur Infanterie, und jetzt würde es uns auch nichts mehr helfen, wenn wir den rechten Weg entdeckten, denn wir müßten ja zu Fuß durch die Furt waten, und nach den verregneten Straßen zu schließen, können wir mit Gewißheit annehmen, daß die Wiese unter Wasser liegt. Einen andern Uebergang kennen wir nicht. Wir müssen also abwarten, bis sich der Nebel zerstreut hat. Länger als eine Stunde oder zwei kann er sich nicht halten. Sehen wir erst wieder hell, so suchen wir am Waldessaum das erste beste Haus auf; einstweilen aber ist an ein Weitergehen nicht zu denken: vor uns liegt ein Graben, ein Teich oder irgend eine Teufelei, und was hinter uns liegen mag, das weiß ich eben so wenig, denn ich weiß sogar nicht mehr, von welcher Seite wir eigentlich in den Wald hereingekommen sind.

Nun gut! tragen wir's in Geduld, Germain, sagte die kleine Marie. Auf dieser kleinen Erhöhung sind wir gar nicht übel dran. Der Regen dringt durch das Laubdach dieser großen Eichbäume nicht bis zu uns, und wir können auch ein Feuer anzünden, denn ich fühle hier unter meinen Füßen altes, lockeres Wurzelwerk, das gewiß trocken genug ist zum Verbrennen. Ihr habt doch ein Feuerzeug. Germain? Ich sah Euch vorhin noch Eure Pfeife rauchen.

Ich hatte eines! im Sack, der am Sattel hing, bei dem Wildpret, das ich meiner Zukünftigen bringen wollte; aber die verwünschte Stute hat Alles mitgenommen, auch meinen Mantel, den sie unterwegs verlieren oder an allen Sträuchern zerfetzen wird.

Nein, Germain, Sattel, Mantel und Sack, Alles liegt dort, zu Euren Füßen. Die Graue hat beim Davonlaufen den Gurt gesprengt und Alles von sich geworfen.

Weiß Gott, so ist's! rief Germain, und wenn wir uns ein wenig Reisig zusammenklauben können, so wird es uns möglich werden, uns zu trocknen und zu erwärmen.

Das wird nicht schwer halten, sagte die kleine Marie; das dürre Holz raschelt allenthalben unter unsern Füßen; aber reicht mir zuerst den Sattel her.

Was willst du damit?

Ein Bett für das Kind machen: nein, so nicht; Ihr müßt ihn umkehren; so kann es nicht herabrutschen, und dann ist die untere Seite auch noch ganz warm vom Rücken der Grauen. Jetzt schiebt nach von rechts und links die Steine unter, die dort liegen!

Ich sehe keine! Du hast ja wahre Katzenaugen im Kopf!

So! nun ist's schon geschehen, Germain! Gebt mit noch Euren Mantel, damit ich die Füßchen hineinwickle; mit dem meinigen decken wir ihn zu. Seht her, ob er da nicht so bequem liegt, wie in seinem Bett! und rührt ihn an, wie er gut warm ist!

Ja, in der That! aber du verstehst es einmal, mit Kindern umzugehen. Marie!

'Dazu gehört keine Hexerei. Jetzt holt Euer Feuerzeug aus Eurem Sack, und laßt mich das Holz zurechtlegen.

Das Holz wird nie anbrennen; es ist zu feucht.

Ihr verzweifelt doch an Allem. Germain! Erinnert Ihr Euch denn nicht mehr an die Zeit, wo Ihr das Vieh gehütet habt, und an die großen Feuer, die man da auf dem Feld, mitten im Regen, anzündet?

Ja, die Kinder, die das Vieh hüten, bringen das zuwege, aber ich habe gleich die Ochsen getrieben, sowie ich nur laufen konnte.

Deßwegen habt Ihr auch mehr Kraft in den Armen, als Geschicklichkeit in den Händen, So! jetzt wäre das Holz schon aufgeschichtet, und Ihr sollt einmal sehen, ob es nicht Feuer fangen wird! Gebt mir nur den brennenden Zünder und dürres Farrenkraut, eine Handvoll. Gut! Jetzt blas't hinein – Ihr seid doch nicht schwach auf der Brust?

Meines Wissens nicht, sagte Germain und begann zu pusten wie der Blasebalg in einer Schmiede. Bald darauf sprühte die Flamme, zuerst in röthlichem Glanz, dann in bläulichen Strahlen, die, unter dem Laubdach der Eichen immer höher aufsteigend, im Kampf mit dem Nebel die Atmosphäre nach und nach auf zehn Fuß in die Runde austrockneten.

Nun will ich mich zum Kleinen hinsetzen, um die Funken von ihm abzuwehren, sagte das Mädchen. Ihr, Germain, mögt Holz zulegen und die Glut schüren! Hier kann uns kein Fieber und keine Erkältung was anhaben, dafür steh' ich Euch.

Meiner Seel', du bist ein kluges Mädel, sagte Germain, und bist mit dem Feuer vertraut wie eine kleine Waldhexe. Ich werde wieder ganz frisch und munter, während vorhin die Aussicht, mit meinen nackten Beinen, die bis zu den Knieen herauf durchnäßt sind, hier das Morgengrauen zu erwarten, mich in eine recht unmuthige Stimmung versetzte.