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Der Müller von Angibault

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Der zweite Brief

War an Heinrich Lemor adressiert und lautete folgendermaßen:



›Heinrich, welches Glück, welche Freude, ich bin ruiniert! Sie werden mir meinen Reichtum nicht mehr zum Vorwurf machen, nicht mehr meine goldenen Ketten hassen. Ich bin jetzt eine Frau, welche Sie ohne Beängstigung lieben können und welche Ihnen nichts mehr zum Opfer bringen kann. Mein Sohn hat kein reiches Erbe mehr zu erwarten, wenigstens unmittelbar nicht. Ich habe jetzt das Recht, ihn nach Ihren Grundsätzen zu erziehen, einen Menschen aus ihm zu machen, Ihnen seine Erziehung anzuvertrauen, seine ganze Seele hinzugeben. Ich will Sie aber nicht täuschen, wir haben vielleicht noch einen kleinen Kampf mit der Familie seines Vaters zu bestehen, denn die blinde Zärtlichkeit und der aristokratische Stolz derselben wird ihn dem Weltleben und dem Reichtum wider meinen Willen zurückgeben wollen. Allein mit Sanftmut, mit etwas Klugheit und viel Festigkeit werden wir triumphieren. Ich werde mich von dem Einwirken der Familie weit genug entfernt halten, um dasselbe zu entkräften, und wir werden die Entwicklung dieser jungen Seele mit einem süßen Geheimnis umhüllen. Das wird sein, wie die Kindheit Jupiters in dem Dunkel heiliger Grotten. Und wenn er aus dieser Verborgenheit dereinst hervorgehen wird, um seine Kräfte zu versuchen, wenn der Reichtum seine Lockungen vor ihm entfaltet, so haben wir sein Herz gegen die Verführungen der Welt und die Verderbnis des Goldes wohl genugsam gefestigt. Heinrich, ich wiege mich in den süßesten Hoffnungen, kommen Sie mir nun nicht mit Ihren grausamen Zweifeln und Skrupeln, die ich kleinmütig nennen müsste. Sie schulden mir jetzt Ihre Hilfe und Ihren Schutz, jetzt, wo ich mich von einer Familie trenne, die für mich voll Sorgsamkeit und Güte ist, die ich aber verlasse und selbst zu bekämpfen wissen werde, einzig und allein, weil sie Ihre Grundsätze nicht teilt. Was ich Ihnen vor zwei Tagen, als ich Paris verließ, geschrieben, erhält durch gegenwärtiges Billet seine volle und leichte Bestätigung. Ich rufe Sie aber noch nicht zu mir, denn die Klugheit verlangt, dass ich Sie noch längere Zeit nicht sehe, weil man sonst die Verbannung, welche ich mir auferlege, meinen Gefühlen für Sie zuschreiben würde. Ich kann Ihnen nicht einmal den Ort meiner Zurückgezogenheit angeben, denn ich kenne denselben selbst noch nicht. Aber über ein Jahr, Heinrich, geliebter Heinrich, über ein Jahr, vom 15ten August an gerechnet, werden Sie mich aufsuchen, wo ich mich dann niedergelassen habe, wohin ich Sie rufen werde. Bis dahin wollte ich lieber, dass Sie mir gar nicht schreiben, aber würde ich wohl die Kraft haben, zu leben, ohne etwas von Ihnen zu wissen? Nein, und auch Sie nicht! Schreiben Sie mir also ein paar Worte, nur um zu sagen: ich lebe und liebe! Und adressieren Sie dieselben zu meinen Händen an den alten treuen Lapierre im Hôtel Blanchemont. Leben Sie wohl, Heinrich! O wenn Sie in meinem Herzen lesen und sehen könnten, wie sehr ich Sie liebe! .... Eduard ist wohlauf und hat Sie nicht vergessen. Er allein wird mir jetzt noch von Ihnen sprechen. M. B.‹



Nachdem sie diese beiden Briefe gesiegelt hatte, ordnete Marcelle, welche auf nichts mehr eitel war, als auf die engelhafte Schönheit ihres Sohnes, Eduards Anzug aufs Neue und ging mit ihm in den Pachthof hinüber. Man wartete daselbst mit dem Essen auf sie und hatte im Salon den Tisch gedeckt, weil man, außer der Küche, kein anderes Speisezimmer hatte und weil Frau Bricolin dies für das Auftragen der Gerichte, welche sie mit Hilfe ihrer Schwiegermutter und ihrer Magd selbst bereitet hatte, noch am bequemsten fand. Marcelle nahm diese Störung in den Gewohnheiten der Familie sogleich wahr und Frau Bricolin, welche stets mit jener üblen Laune behaftet war, welche man in Folge schlechter Erziehung gewöhnlich an Leuten ihrer Art bemerkt, trug Sorge, sie noch mehr darauf aufmerksam zu machen, indem sie die junge Witwe wegen der mangelhaften ›Aufwartung‹ um Verzeihung bat und ihre Dienstboten dadurch vollends aus der Fassung brachte.



Marcelle bat und verlangte, dass man morgigen Tages zu den Gewohnheiten des Hauses zurückkehre und versicherte mit einem muntern Lächeln, sie werde in die Mühle von Angibault zum Essen gehen, wenn man ihrer wegen solche Umstände mache.



»Ach, betreffs der Mühle«, meinte Frau Bricolin, nachdem sie einige Höflichkeitsphrasen übel angebracht, »werde ich Herrn Bricolin auszanken müssen. Ei, da kommt er gerade recht«, fuhr sie fort, sich zu dem eintretenden Pächter wendend, »hast du den Verstand verloren, Herr Bricolin, dass du den Müller zum Essen eingeladen, da doch die Frau Baronin uns heute die Ehre antut, an unserem Tische vorlieb zu nehmen?«



»Ah, zum Teufel, ich dachte nicht daran«, entgegnete der Pächter naiv, »oder vielmehr, ich dachte, als ich den großen Louis einlud, nicht daran, dass uns die gnädige Frau die Ehre erweisen werde. Der Herr Baron schlug es immer aus, wie du weißt; man musste ihm in seinem Zimmer decken, was, beiläufig gesagt, eben nicht sehr bequem war. Nun, Thibaude, wenn es der gnädigen Frau nicht gefällig ist, mit dem Burschen zu essen, so magst du es ihm sagen, denn du hast deine Zunge am rechten Ort. Ich mag nichts damit zu tun haben, ich habe eine Dummheit begangen, aber es käme mich sauer an, sie wiedergutzumachen.«



»So ist’s immer«, sagte in ärgerlichem Tone Frau Bricolin, welche einem alten ländlichen Brauche zufolge als die älteste Tochter der Familie Thibaut ihren Familiennamen mit weiblicher Endung beibehalten hatte. »Geh’ nur, ich will deinen schönen Louis zu seinem Mehlkasten zurückschicken, dass es eine Art hat.«



»Das wäre mir höchst unangenehm und ich glaube, ich würde lieber ebenfalls gehen«, bemerkte Frau von Blanchemont mit festem und sogar etwas strengem Ton, welcher der Pächterin imponierte, »ich habe heute Morgen mit dem jungen Mann in seinem Hause gefrühstückt und ihn so gefällig, so artig und liebenswürdig gefunden„ dass es mir wirklich verdrießlich wäre, ohne ihn zu Mittag zu essen.«



»Wirklich?« fragte die schöne Rose, welche der Frau von Blanchemont mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte und deren Blicke ein mit Freude gemischtes Erstaunen ausdrückten. Als sie aber dem forschenden und drohenden Blicke ihrer Mutter begegnete, schlug sie ihre Augen nieder und errötete über und über.



»Wie die gnädige Frau will«, sagte Frau Bricolin und setzte mit gedämpfter Stimme, zu ihrer Magd gewandt, welche das Vorrecht genoss, die Vertraute ihrer zornigen Aufwallungen zu sein, hinzu: »Das kommt daher, dass er ein hübscher Mann ist.«



Die Chounette (Diminutiv von Fanchon) lächelte boshaft, was sie noch hässlicher machte, als sie sonst war. Sie fand den Müller in der Tat sehr hübsch und hätte sich gar zu gerne von ihm den Hof machen lassen.



»Gut«, sagte Herr Bricolin, »der Müller wird also mit uns essen. Die gnädige Frau tut Recht, nicht stolz zu sein. Das ist ein Mittel, sich das Wohlwollen anderer zu gewinnen. Rose, geh’ und rufe den großen Louis, der draußen im Hofe ist. Sag’ ihm, die Suppe stehe schon auf dem Tisch. Es wäre mir recht quer gekommen, dem Burschen eine Beleidigung zufügen zu müssen. Wissen Sie wohl, Frau Baronin, warum ich so viel auf diesen Müller halte? Er ist der einzige, der nicht das Doppelte seiner Gebühr nimmt, oder das Korn auswechselt, ja, der einzige im ganzen Lande, der Teufel verschlinge mich! Alle übrigen wetteifern miteinander in der Dieberei und unser Sprichwort: diebisch, wie ein Müller! ist vollkommen richtig. Ich hab’ es mit allen probiert und nur diesen einzigen gefunden, welcher keine prellerischen Rechnungen macht und das Getreide nicht vertauscht. Überdies hat er für uns alle möglichen Rücksichten. Nie mahlt er meinen Weizen aus einem Gang, welcher zum Mahlen von Gerste und Roggen bestimmt ist: denn er weiß gar wohl, dass dies das Mehl verderbt und selbem seine Weiße nimmt. Er setzt etwas darein, mich zufrieden zu stellen, denn er weiß, dass ich gerne schönes Brot auf meinem Tische habe. Das ist das einzige, worauf ich mir etwas einbilde, ich. Ich würde mir recht gedemütigt vorkommen, wenn einer, der mich zu besuchen kommt, nicht sagte: ›Ach, was für ein schönes Brot! Es baut doch niemand solchen Weizen, wie Ihr, Meister Bricolin!‹ – Ja, sag’ ich dann, lauter spanischen Weizen, wie ich mir schmeichle.«



»In Wahrheit, es ist herrlich, Ihr Brot!« bemerkte Marcelle, ebenso sehr um den Müller zu loben, als auch der Eitelkeit Herrn Bricolin genugzutun.



»Ei, mein Gott, weiche Umstände wegen eines Auges mehr oder weniger im Brote und eines Scheffels mehr oder weniger die Woche!« sagte Frau Bricolin. »Mit einem Müller zu tun zu haben, der eine Meile entfernt wohnt, während wir doch Mühlen genug in der Nähe haben und eine zunächst drunten im Grunde! Ein schöner Vorteil!«



»Was geht das dich an?« erwiderte Herr Bricolin. »Holt er doch die Kornsäcke selber und bringt uns das Mehl, ohne ein Körnchen mehr zu nehmen, als die Mahlmetze

4

4


  Die Verfasserin setzt hier den Lesern in einer Anmerkung auseinander, dass die Müller in den Gegenden, wo ihre Erzählung spielt, nicht mit barem Geld bezahlt werden, sondern von jedem Scheffel Getreide den sogenannten Mülleranteil

in natura

 erheben und deshalb neben ihrem eigentlichen Gewerbe gewöhnlich noch einen Korn- oder Mehlhandel treiben, gerade wie bei uns. A. d. Übers.



. Zudem ist’s eine hübsche und schöne Mühle, mit zwei großen neuen Rädern und einer Wasserkraft, welche zu keiner Jahreszelt versiegen geht. ‘S ist gar angenehm, nie auf das Mehl warten zu müssen.«



»Ja«, entgegnete die Pächterin, »und so oft er kommt, glaubst du ihn zum Mittagessen oder zum Vespern einladen zu müssen; eine saubere Ökonomie!«

 



Der Eintritt des Müllers machte dieser ehelichen Diskussion ein Ende. Herr Bricolin begnügte sich, wenn seine Frau schmollte, unmerklich die Achseln zu zucken und etwas hurtiger zu sprechen als gewöhnlich. Er verzieh ihr übrigens ihre essigsaure Laune gern um ihrer Tätigkeit und Knauserei willen, welche ihm sehr vorteilhaft waren.



»Ei, Rose«, schrie Frau Bricolin ihre Tochter an, »warum lässt du auf dich warten? Du hättest auch besser getan, den Müller durch die Chounette holen zu lassen, statt selber zu gehen!«



»Der Vater wollte es haben«, versetzte Rose.



»Und ohne dies wären Sie wohl nicht gekommen, das weiß ich gewiss«, sagte der Müller ganz leise zu dem jungen Mädchen.



»Ist das der Dank dafür, dass ich mich Ihrer wegen auszanken lassen musste?« entgegnete das Mädchen ebenso leise.



Marcelle verstand nicht, was sich die beiden sagten, aber ihre verstohlen ausgetauschten Worte, das Erröten Roses und die Bewegung des großen Louis bestärkten die junge Witwe in der Vermutung, welche schon durch die Abneigung der Frau Bricolin gegen den armen Mehlhändler in ihr angeregt worden war, in der Vermutung, die schöne Rose sei der Gegenstand der Liebe des Müllers von Angibault.



11. Kapitel.

Ein Mittagessen auf dem Pachthof

Von dem Wunsche beseelt, der Herzenssache ihres neuen Freundes zu dienen, und nichts für Rose Bricolin fürchtend, da ja ihr Vater und ihre Großmutter den großen Louis zu begünstigen schienen, richtete Frau von Blanchemont während des Essens das Wort vorzüglich an den Müller und lenkte das Gespräch auf Gegenstände, wo seine Einsicht und seine Kenntnisse ihn der ganzen Familie Bricolin, vielleicht nicht einmal die hübsche Rose ausgenommen, überlegen erscheinen ließen. Über Landwirtschaft, mehr vom natürlichen, als vom kommerzialen Standpunkt angesehen, über Politik, vom Gesichtspunkt der menschlichen Gerechtigkeit und Glückseligkeit betrachtet, über Religion und Moral entwickelte der große Louis einfache, aber treffende und erhabene, aus dem Herzen strömende, von Schärfe des Verstandes und Adel der Seele zeugende Gedanken, wie solche auf dem Pachthofe noch niemals entwickelt worden waren. Die Bricolins waren nur gewohnt, eine alltägliche und gemeine Unterhaltung zu führen, und aller geistige Aufwand, den sie machten, beschränkte sich auf Herabsetzung und Verkleinerung ihrer Nachbarn, weswegen der große Louis, der von Gemeinplätzen und boshaften Klatschereien kein Freund war, sein Licht noch niemals hatte leuchten lassen. Herr Bricolin hatte auch längst dekretiert, dass der Müller ein einfältiger Mensch sei, wie alle schönen Männer, und Rose, welche ihren Liebhaber stets furchtsam oder unzufrieden, d. h. störrisch oder blöde gefunden, hatte seinen Mangel an Geist nur in Anbetracht seines trefflichen Herzens hingehen lassen.



Man war daher anfangs sehr erstaunt, dass sich Frau von Blanchemont im Gespräche vornehmlich an Louis wandte, und als sie ihn erst seine durch die Anwesenheit Roses und durch die unfreundliche Aufnahme von Seiten ihrer Mutter veranlasste Verwirrung hatte vergessen machen, wunderte man sich noch viel mehr, ihn so gut sprechen zu hören. Herr Bricolin, der ihm, ohne seine Liebe zu seiner Tochter zu ahnen, mit Wohlwollen zuhörte, äußerte wiederholt sein Erstaunen, indem er auf den Tisch schlug und ausrief:



»Wie, du weißt das? Wo, zum Teufel, hast du das alles ausgefischt?«



»Bah, in meinem Mühlbach«, versetzte der große Louis munter.



Frau Bricolin ihrerseits fiel, je mehr sie die Erfolge des Verhassten bemerkte, in ein finsteres Stillschweigen und fasste den Entschluss, noch am heutigen Abend Herrn Bricolin über die Gefühle aufzuklären, welche, wie sie wahrzunehmen glaubte, dieser Bauer für ihre ›Jungfer Tochter‹ zu hegen wagte.



Was die Großmutter Bricolin betrifft, so verstand diese von der Unterhaltung kein Wort, allein sie fand, dass der Müller wie ein Buch spreche, weil er ohne zu stocken oder sich zu wiederholen mehrere Sätze geläufig nacheinander vorbrachte. Rose gab sich den Anschein, als höre sie nicht zu, aber sie verlor keine Silbe von dem, was Louis sprach, und unwillkürlich hefteten sich ihre Augen auf ihn.



Es war noch ein fünftes Mitglied der Familie Bricolin da, welches Marcelle nur wenig beachtete, der Vater des Pächters nämlich, der, wie sein altes Ehegespons, bäurisch gekleidet war, sehr viel aß, kein Wort sprach und ebenso wenig zu denken schien. Er war beinahe taub, fast blind und schien ganz blödsinnig zu sein. Seine alte Gattin, die ihn wie ein Kind zum Tisch geführt, gab sich viel mit ihm ab, füllte ihm Teller und Glas, nahm ihm das Weiche vom Brote weg, weil er, der Zähne ermangelnd, mit seinen harten und unempfindlichen Zahnkiefern nur die härtesten Krumen kauen konnte, und sagte kein Wort, wenn alle ihre Mühe umsonst war. Als er sich niedersetzte, gab sie ihm zu verstehen, dass er vor Frau von Blanchemont den Hut abnehmen sollte. Er gehorchte, aber ohne zu verstehen, warum, und setzte ihn sogleich wieder auf, eine Freiheit, die sich sein Sohn, Herr Bricolin, nach Landesbrauch, ebenfalls nahm.



Der Müller, welcher am Morgen in der Mühle gleichfalls von diesem ländlichen Brauch nicht abgegangen war, praktizierte jetzt dennoch, ohne dass man es merkte, seine Mütze in die Tasche, geteilt zwischen dem neuen Gefühl von Achtung für die Frauen, welche ihm Marcelle einflößte, und der Furcht, zum ersten Mal in seinem Leben als ein Stutzer zu erscheinen. Indessen zeigte sich Herr Bricolin, obgleich von Herzen das bewundernd, was er die ›Schönrednerei‹ des großen Mehlhändlers nannte, doch bald über alles Mögliche mit demselben in Opposition, und behauptete z. B, dass in Beziehung aus die Landwirtschaft nichts Neues mehr zu erfinden sei, dass die Gelehrten nie etwas Rechtes erfunden, dass man sich nur zugrunde richte, wenn man ihre vorgeblichen Verbesserungen probiere, dass man seit die Welt stehe bis ›heutzutage‹ immer das Nämliche getan und nie etwas Besseres zu tun wissen werde.



»Wohl«, sagte der Müller. »Aber die, welche das zuerst taten, was wir noch jetzt tun, die, welche die Stiere ins Joch spannten, um den Boden zu pflügen und zu besäen, diese haben doch etwas Neues getan, und hat man sie hindern können, die Überzeugung zu bekommen, dass die Erde niemals fruchtbar sein würde, so man sie nicht bearbeite? Das ist gerade wie in der Politik. Sagen Sie mir doch, Herr Bricolin, wenn man Ihnen vor hundert Jahren gesagt hätte, Sie würden weder Zehenten noch Gülten mehr geben, die Klöster würden aufgehoben werden…«



»Bah, bah, ich hätte es vielleicht nicht geglaubt, das ist richtig, aber das ist so gekommen, weil es kommen musste. Alles ist heutzutage besser. Jedem steht es frei, sein Glück zu machen und man wird nie etwas Besseres ausfindig machen.«



»Und die Armen, die Faulen, die Schwachen, die Dummen, was wollen Sie mit diesen anfangen?«



»Gar nichts, denn sie taugen zu nichts. Umso schlimmer für sie.«



»Und wenn Sie, Herr Bricolin, was Gott verhüte! und Sie sind auch weit genug davon entfernt, unter diesen Unglücklichen sich befänden, würden Sie denn auch sprechen: umso schlimmer für mich? Nein, nein, Sie haben nicht gesprochen, wie Sie denken, Sie haben zu viel Herz und Religion, um es mit einer solchen Antwort ernstlich zu nehmen.«



»Religion, ich? Ich lache über die Religion und du ebenfalls. Ich merke zwar wohl, dass man uns wieder gläubig machen möchte, aber das kümmert mich wenig. Unser Pfarrer ist ein lustiger Knabe und ich habe also nichts gegen ihn; wäre er ein Heuchler, würde ich ihn schön ablaufen lassen. Wer wird heutzutage noch an all’ die Eseleien glauben?«



»Und Ihre Frau, Ihre Mutter, Ihre Tochter, werden die auch sagen, dass es Eseleien seien?«



»O, das gefällt ihnen, unterhält sie. Den Weibern ist das Ding notwendig, wie es scheint.«



»Wohl, auch wir Bauern sind wie die Weiber, auch wir haben die Religion nötig.«



»Meinethalben, geht immerhin in die Messe, ich hindere Euch nicht daran, wenn Ihr nur mich nicht zwingt, ebenfalls dahin zu gehen.«



»Das könnte aber noch geschehen, wenn die Religion, welche wir dermalen haben, wieder fanatisch und verfolgungslustig würde, wie sie es schon so oft und in so starkem Maße gewesen.«



»Sie ist also nichts wert? Gebt sie auf! Ich kann schon ohne sie auskommen, ich.«



»Aber, wenn wir schlechterdings eine haben müssen, wir andern, so müssen wir also eine andere haben?«



»Eine andere, eine andere? Teufel! Wie kommst du darauf? Mach’ also eine!«



»Ich möchte gern eine haben, welche die Menschen verhinderte, einander zu hassen, einander zu fürchten und einander zu schaden.«



»Das wäre in der Tat eine neue. Was mich betrifft, so wünschte ich eine Religion, welche meine Knechte verhinderte, mir nachts mein Korn zu stehlen, und meine Taglöhner, drei Stunden des Tages an der Suppenschüssel zuzubringen.«



»Das würde geschehen, wenn Sie eine Religion besäßen, welche ihnen befähle, diese Leute ebenso glücklich zu machen, wie sich selbst.«



»Großer Louis, Sie tragen die wahre Religion im Herzen«, sagte Marcelle.



»Das ist wahr!« bemerkte Rose, ihre Zurückhaltung vergessend und mit Lebhaftigkeit.



Herr Bricolin wagte keine Entgegnung; denn es lag ihm viel daran, Frau von Blanchemont für sich zu gewinnen und ihr keine üble Meinung von seiner Person beizubringen. Der große Louis warf, als er die Bewegung Roses gewahrte, Marcelle einen feurigen Blick zu, welcher zu sagen schien: ›Ich danke Ihnen!‹



Die Sonne neigte sich und das reiche Essen ging endlich zu Ende. Infolge seines andauernden Genusses von Speise und Trank wollte sich Herr Bricolin, sich in seinen Stuhl zurücklehnend, seinem Lieblingsvergnügen hingeben, welches darin bestand, dass er zwei bis drei Stunden des Abends mit Kirschwasser versetzten Kaffee trank und dabei zur Abwechslung allerlei Liköre. Allein der große Louis, auf dessen Gesellschaft er gerechnet, erhob sich vom Tische, um sich zur Abreise zu rüsten.



Frau von Blanchemont ihrerseits ging, um das Lebewohl ihrer Diener zu empfangen und denselben ihren Lohn auszuzahlen. Sie übergab Lapierre den Brief an ihre Schwiegermutter, dann nahm sie den Müller beiseite und übergab ihm den Brief an Heinrich mit der Bitte, ihn selber auf die Post zu tragen.



»Seien Sie ruhig«, sagte er, als er wahrnahm, dass es sich hier um ein kleines Geheimnis handle, »der Brief wird nicht aus meiner Hand kommen, außer um in den Briefschalter zu rutschen, und niemand soll ihn zu sehen bekommen, selbst Ihre Dienstboten nicht, nicht wahr?«



»Dank, mein braver Louis.«



»Dank? Sie sagen mir Dank, während ich Ihnen auf den Knien zu danken hätte? Gehen Sie, Sie wissen nicht, was ich Ihnen schulde! Ich will an der Mühle vorbeigehen und binnen zwei Stunden soll die kleine Fanchon bei Ihnen sein. Sie ist viel reinlicher und sanfter, als die dicke Chounette da.«



Nachdem Louis und Lapierre fort waren, wurde Marcelle für einen Augenblick beklommen, indem sie sich so allein der Gnade der Familie Bricolin anheimgegeben sah. Sie fühlte sich von Traurigkeit angewandelt, nahm deshalb Eduard an der Hand, verließ das Schloss und betrat das Gehölz, welches die Wiese drüben umsäumte. Es war noch ziemlich hoch am Tage und die Sonne, welche hinter der alten Burg dem Untergang sich zuneigte, ließ die hohen Türme in gigantischen Schattenwürfen erscheinen. Marcelle war indessen noch nicht weit gegangen, als sie von Rose eingeholt wurde, die eine lebhafte Zuneigung für sie gefasst hatte und deren hübsches Gesicht der angenehmste Gegenstand war, auf welchen ihre Augen in diesem Augenblick fallen konnten.



»Ich will Ihnen die

Honneurs

 des Wildgeheges machen«, sagte das junge Mädchen; »das ist mein Lieblingsaufenthalt und ich bin gewiss, auch Sie werden ihn liebgewinnen.«



»Wie immer er sei, Ihre Gesellschaft wird mir ihn angenehm machen«, entgegnete Marcelle, ihren Arm vertraulich in den Arm Roses legend.



Der alte Schlosspark von Blanchemont, der zur Zeit der Revolution hart mitgenommen worden, war noch jetzt mit einem tiefen, von fließendem Wasser angefüllten Graben, sowie von grünenden Hecken umgeben, an denen einer Rose einen Teil der Garnitur ihres Musselinkleides hängen ließ, ganz mit der Übereilung und Sorglosigkeit eines Mädchens, welches weiß, dass seine Aussteuer überreich ist.



Die alten Eichstämme waren von Schößlingen bedeckt und das Wildgehege war weiter nichts als ein Walddickicht, über welches einzelne Bäume hervorragten, die das Beil verschont hatte und die jetzt, ehrwürdigen Ahnen gleich, ihre gewaltigen, knorrigen Äste über eine zahlreiche und fröhliche Nachkommenschaft ausbreiteten. Hübsche Fußsteige kletterten die vermittelst der Felsen kunstlos gebildeten Terrassen auf und ab oder schlängelten sich heimlich durch die düstern Schatten dahin. Hier mochte man sich, auf den Arm eines Geliebten gestützt, gewiss gerne freiwillig verirren.

 



Marcelle entschlug sich dieses Gedankens, welcher ihr Herz pochen machte, und lauschte träumerisch dem Gesang der Nachtigallen, Hänflinge und Amseln, welche das einsame und stille Gehölz bevölkerten. Der einzige offene Zugang des Parkes lag am äußersten Saum des Gehölzes und wurde bei Holzfuhren als Fahrweg benützt. Marcelle näherte sich mit Rose diesem Ort, während der Knabe vor ihnen h

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