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Der Müller von Angibault

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Das Gemach, in welchem man von der Besitzerin des Schlosses überrascht worden, war das unangenehmste und unreinlichste des neuen Schlosses, düster und verräuchert über und über. Es war zugleich Küche, Speisesaal und Wohnzimmer. Die Hühner hatten freien Zutritt, weil die Türe in den Hof beständig offenstand, und es war eine unaufhörliche Beschäftigung der Pächterin, dieselben hinauszujagen, wie wenn es für sie Bedürfnis gewesen, sich über das immer wiederkehrende Hereinkommen des Geflügels in Zorn zu versetzen. Man empfing hier auch die Bauern, mit welchen man jeden Augenblick dies und das abzumachen hatte, und da die kotigen Schuhe und das unachtsame Gebaren derselben den Boden und die Möbeln unausweichlich hätten beschmutzen müssen, so hatte man sich begnügt, plumpe Strohstühle und hölzerne Bänke auf die bloßen und täglich zehnmal umsonst abgeflößten Steinplatten zu stellen. Das Fliegengeschmeiß, welches in Scharen aus dem Hofe hereinfiel, und das Feuer, welches zu jeder Stunde und zu jeder Jahreszeit in dem ungeheuren, mit Kesselhaken von verschiedenster Größe gezierten Kamin brannte, machten dieses Gelass fast unausstehlich. Aber dennoch hielt sich die Familie des Pächters beinahe ununterbrochen in demselben auf, und als man Marcelle in das anstoßende Zimmer führte, konnte sie wahrnehmen, dass diese Art von Salon, obgleich seit einem Jahre eingerichtet, noch unbewohnt geblieben sei.

Das Gemach war mit dem geschmacklosen Luxus der Gasthauszimmer ausgerüstet. Der neue Boden desselben war noch gänzlich ungebohnt, die Vorhänge von schreiendfarbiger Indienne waren an kupfernen Ornamenten vom schlechtesten Geschmack aufgehängt. Die Verzierungen des Kamins entsprachen an Grellheit und Hässlichkeit jenen, welche man einfältigerweise dem Geschmack der Renaissance auf Rechnung setzt, ein sehr reicher Kronleuchter hatte noch die Papierstücke und Bindfadenschnüre um seine Zieraten von vergoldeter Bronze, womit dieselben während des Transports verwahrt gewesen; die Möbeln trugen rot und weiß gestreifte Staubdecken, so dass ihre Überzüge von Wollendamast nie zum Vorschein kommen konnten, und da man in Pachthöfen den Unterschied zwischen einem Salon und einem Schlafzimmer nicht kennt, standen zwei, noch nicht mit Vorhängen versehene Betten, mit den Füßen dem Fenster zugekehrt, links und rechts von der Türe. Man sagte sich in der Familie in die Ohren, es wäre dies das Brautgemach von Jungfer Rose.

Das ganze Haus gefiel Marcelle so wenig, dass sie beschloss, nicht in demselben zu wohnen. Sie erklärte daher, dass sie ihren Wirten nicht die geringste Störung verursachen möchte und dass sie sich in dem Weiler irgendein Bauernhaus zur Nachtherberge aussuchen wolle, im Fall sich nicht in dem alten Schloss ein wohnliches Zimmer fände. Die letztere Idee schien der Frau Bricolin einige Unruhe zu verursachen und sie unterließ nichts, um ihren Gast davon abzubringen.

»Es ist allerdings wahr«, sagte sie, »dass in dem alten Schloss jederzeit ein Gemach vorhanden war, welches man das Herrschaftszimmer nannte. Wenn der Herr Baron, Ihr seliger Gemahl, uns die Ehre eines Besuches antun wollte, so setzte er uns zuvor in Kenntnis und wir konnten dann alles herrichten, so dass er nicht gar zu schlecht beherbergt war. Aber bei alldem ist das unglückliche alte Schloss so traurig, so zerfallen! Die Ratten und Eulen verführen darin einen so entsetzlichen Lärmen, und das Dachwerk ist in einem so schlechten Zustande, die Mauern sind so wackelig, dass man in Wahrheit nicht mit Sicherheit dort schlafen kann. Ich begreife nicht, was für einen Narren der Baron an diesem Zimmer gefressen haben konnte. Er wollte nie eines bei uns annehmen, als ob er sich zu erniedrigen geglaubt, wenn er eine Nacht außer seinem alten Schlosse zugebracht hätte.«

»Ich will dieses Zimmer sehen, und wenn es mir eine sichere Nachtherberge bietet, so wünsche ich weiter nichts. Indessen bitte ich, Sie möchten sich durch mich in nichts stören lassen; ich will Ihnen auf keine Weise lästig werden.«

Rose drückte hierauf ihren Wunsch, der Frau von Blanchemont ihr eigenes Gemach abzutreten, in so liebenswürdiger Weise und mit so zuvorkommender Miene aus, dass ihr Marcelle freundlich die Hand drückte, ohne indessen von ihrem Entschluss abzustehen. Der Anblick des alten Schlosses und ein instinktmäßiger Widerwillen gegen Frau Bricolin ließen sie ein für alle Mal eine Gastfreundschaft zurückweisen, welche sie doch in der Mühle so herzlich angenommen. Sie wehrte sich noch gegen die zeremoniöse Zudringlichkeit der Pächterin, als Herr Bricolin eintrat.

8. Kapitel.
Der bäuerische Emporkömmling

Herr Bricolin war ein Mann von fünfzig Jahren, kräftig und von regelmäßiger Gesichtsbildung, Seine starken Gliedmaßen hatten aber bereits einen tüchtigen Ansatz von Fett, wie es bei allen bemittelten Landbewohnern der Fall ist, welche, den größten Teil des Tages in freier Luft und meistens zu Pferde zubringend, gerade so vieler Anstrengung sich unterziehen, die hinreichte, ihre Gesundheit und ihren Appetit zu erhalten. Dank dem Einfluss der frischen Luft und fortwährender Bewegung ertragen diese Leute die Ausschweifungen der Tafelfreuden lange Zeit ohne Nachteil, und obgleich während der Feldgeschäfte sich ihr Anzug von dem der arbeitenden Bauern nur wenig unterscheidet, so macht es doch der erste Anblick schon unmöglich, sie mit den letztern zu verwechseln. Während der Bauer immer mager, wohlproportioniert und von gebräunter Hautfarbe ist, ist dagegen der Herrenbauer von seinem vierzigsten Jahr an immer mit einem großen Bauche, einem schwerfälligen Gang und einem weingrünen Gesicht begabt, was alles auch die schönste Organisation gemein und hässlich machen muss.

Auch bei solchen, welche ihr Glück sich selbst zu verdanken und ihr Leben in gezwungener bäurischer Mäßigkeit begonnen haben, findet man keine Ausnahmen von dieser Verplumpung der Gestalt und dieser Weinröte der Farbe, ja, man hat sogar die unleugbare Beobachtung gemacht, dass der Bauer, wenn er es dahin gebracht hat, nach Gefallen Fleisch zu essen und Wein zu trinken, unfähig zur Arbeit wird und dass ihn eine Rückkehr zu seinen früheren, einfacheren Gewohnheiten unwiederbringlich und schnell dem Tod entgegenführt. Man könnte sagen, dass das Geld, an welchem sie mit Leib und Seele hangen, bei ihnen zu Fleisch und Blut werde und dass der Verlust ihres Vermögens sie entweder um das Leben oder um die Vernunft bringe. Jedes humane Gefühl, jede religiöse Rücksicht sind beinahe unvereinbar mit dieser Verwandlung, welche der Reichtum in ihrem physischen und moralischen Sein bewirkt. Es wäre sehr unnütz, sich darum über sie zu entrüsten: sie können nicht anders sein. Sie mästen sich, um zuletzt einen Schlagfluss zu bekommen oder blödsinnig zu werden. Ihre Fähigkeiten, Reichtümer zu erwerben und zu erhalten, anfangs so ausgezeichnet, erlöschen schon gegen die Mitte ihrer Laufbahn hin, und bald fallen sie in Apathie, Unordnung und Unfähigkeit. Keine soziale Idee, kein Gefühl des Fortschritts hält sie aufrecht. Die Verdauung wird das Hauptgeschäft ihres Lebens und ihr Reichtum, den sie so eifrig angehäuft, bringt sie, bevor sie sich noch in demselben recht befestigt haben, in tausend Verlegenheiten und wird durch tausend Ungeschicklichkeiten gefährdet, abgesehen sogar von der Eitelkeit, welche sie in Spekulationen verlockt, die ihre Mittel übersteigen, und zwar in einem Grade, dass diese Reichen beinahe immer gerade dann zugrunde gerichtet sind, wenn man sie am meisten beneidet. Soweit war Herr Bricolin noch nicht.

Er stand noch in dem Alter, in welchem Tat- und Willenskraft noch in ihrer ganzen Stärke sich befinden und folglich dem zweifachen Rausche des Stolzes und der Unmäßigkeit die Waage halten können. Allein es genügte, seine etwas zugedrückten Augen, seinen ungeheuren Schmerbauch, seine leuchtende Nase und das nervöse Zittern zu sehen, welches die Gewohnheit eines Morgengläschens, d. h. die Gewohnheit, nüchtern anstatt des Kaffees zwei Flaschen weißen Wein zu trinken, seiner gewaltigen Hand verliehen hatte, um den nicht allzu entfernten Zeitpunkt vorauszusehen, wo dieser so tatkräftige, in Geschäften so vorsichtige und unerbittliche Mann alles verlieren würde, die Härte seiner Seele nicht ausgenommen, Gesundheit, Gedächtnis, Urteilskraft, um ein abgeschwächter Trunkenbold, ein widerlicher Schwätzer und ein leicht zu betrügender Hausherr zu werden. Sein Gesicht musste einmal hübsch gewesen sein, obgleich aller Feinheit ermangelnd. Seine scharfmarkierten Züge bezeugten ungewöhnliche Energie und Klugheit. Sein Auge war lebhaft, schwarz und hart, sein Mund sinnlich, seine Stirne schmal und niedrig, sein Haar kraus, seine Sprache kurz und rasch. In seinem Blicke lag keine Falschheit, in seinem Gebaren keine Verstellung. Er war kein Betrüger und der große Respekt, welchen er von dem Dein und Mein hegte, machte ihn der Schelmerei unzugänglich. Zudem hinderte ihn schon der Zynismus seiner Habsucht, seine Absichten zu verbergen, und wenn er zu Seinesgleichen gesagt hatte: »Mein Interesse ist dem deinigen entgegen!« so glaubte er, er hätte unübertrefflich tugendhaft und rechtlich gehandelt und mit dieser Ankündigung einen Akt der äußersten Redlichkeit ausgeübt. Halb Bürger, halb Landmann, trug er heute, als am Sonntag, einen Anzug, der zwischen dem eines Bauers und dem eines Herren die Mitte hält. Sein Hut stand an Höhe denen des einen dieser Stände weit nach, sowie an Breite der Krempen denen des andern. Er trug eine graue Bluse, welche, um Brust und Lenden eng anliegend, ihm das Ansehen eines wandelnden Fasses gab. Seine Stiefeln rochen unzweifelhaft nach dem Stalle und sein Halstuch von schwarzer Seide war mit einer Fettkruste überzogen.

Diese kurzangebundene und barsche Person machte einen unangenehmen Eindruck auf Marcelle, und das unabänderlich um den Geldpunkt sich hin und her bewegende Gespräch des Mannes erweckte in ihr noch weniger Sympathie, als die zudringlichen Zuvorkommenheiten seiner Ehehälfte.

 

Das Resultat des Geredes, welches Marcelle von Seiten des Herrn Bricolin zwei Stunden lang auszuhalten hatte, ist folgendes. Das Gut Blanchemont war zu einem starken Drittteil seines Wertes mit Schulden belastet. Der verstorbene Baron hatte überdies außer den Pachtgeldern noch beträchtliche Vorschüsse empfangen und zwar gegen enorme Zinsen, welche Herr Bricolin, wie er sagte, zu fordern genötigt gewesen in Betracht der Schwierigkeit, sich zu den landläufigen Zinsen Geld zu verschaffen. Frau von Blanchemont musste sich zu noch härteren Bedingungen verstehen, im Falle sie das System, zu welchem ihr Mann von ihr bevollmächtigt gewesen sei, fortführen wolle, oder vielmehr, sie musste, statt Einkünfte zu beziehen, die Vorschüsse zurückbezahlen, Kapitalien und Interessen und Zinsen von Zinsen, eine Summe, die mehr als hunderttausend Francs betrug. Dies mit den Ansprüchen der übrigen Gläubiger zusammengehalten, blieb nichts übrig, als entweder das Gut zu verkaufen oder rasch Kapitalien aufzutreiben, kurz, das Gut war achtmalhunderttausend Francs wert und mit viermalhunderttausend Francs Schulden belastet, das Guthaben des Herrn Bricolin ungerechnet. Es blieb also der Frau von Blanchemont nicht mehr Vermögen, als die Summe von dreimalhunderttausend Francs, abgesehen von dem, was etwa ihr Gatte seinem Sohne hinterlassen hatte oder auch nicht hinterlassen hatte, denn hievon hatte sie ebenfalls noch keine Kenntnis.

Marcelle war weit entfernt gewesen, ein so bedeutendes Unglück zu erwarten! Sie hatte es kaum zur Hälfte vorausgesehen. Die Gläubiger, Herrn Bricolin an der Spitze, hatten noch keine Reklamationen angestellt, weil sie, ihrer Kapitalien hinlänglich versichert, abwarteten, dass sich die Witwe über die Sachlage erst unterrichte, um dann von ihr entweder eine vollständige Heimzahlung oder aber die Fortsetzung der Einkünfte zu fordern, welche ihre Darlehen ihnen gewährten.

Als sie an Herrn Bricolin die Frage stellte, warum er sie denn, seit sie Witwe sei, nicht von der Lage der Dinge unterrichtet habe, antwortete er mit brutaler Offenheit, er hätte für seine Person keinen Grund zur Eile gehabt, seine Verschreibung wäre gut, und jeder Tag der Gleichgültigkeit von Seiten des Eigentümers wäre ein Tag des Gewinnes für den Pächter, indem sich die Interessen seines Geldes dadurch anhäuften, ohne dass er irgendetwas riskiere.

Diese entschiedene Auskunft musste Marcelle auf der Stelle über die Moral des Herrn Bricolin ins Klare setzen.

»Das ist richtig«, bemerkte ihm Marcelle mit einem ironischen Lächeln, dessen Beachtung er für überflüssig hielt, »es ist also nur meine Schuld, wenn ich Tag für Tag von den Einkünften, auf welche ich Anspruch machen zu können glaubte, verschlingen lasse. Allein im Interesse meines Sohnes muss ich dieser Art von Eisgang ein Ende machen, Herr Bricolin, und ich erwarte von Ihnen in dieser Hinsicht gute Ratschläge.«

Herr Bricolin, über die Ruhe, womit Frau von Blanchemont die Nachricht aufnahm, dass sie beinahe ruiniert sei, und mehr noch über das Zutrauen, womit sie seinen Rat verlangte, sehr erstaunt, warf einen forschenden Blick auf ihr Gesicht und glaubte darin den Ausdruck boshafter Herausforderung wahrzunehmen.

»Ich sehe wohl«, sagte er, »dass Sie mich in Versuchung führen wollen, allein ich mag mich keinen Vorwürfen von Seiten Ihrer Familie aussetzen. Es wäre schlimm für mich, wenn man mich der eigennützigen Gefälligkeit, noch weitere Vorschüsse zu leisten, zeihen würde. Ich muss ernsthaft mit Ihnen reden, Frau von Blanchemont, allein die Wände sind hier sehr dünn, und was ich Ihnen zu sagen habe, braucht eben nicht ausgeschrien zu werden. Wenn Sie daher mit mir zum Scheine das alte Schloss besichtigen wollten, so würde ich Ihnen sagen: 1) welchen Rat ich Ihnen gäbe, wenn ich Ihr Vater wäre, 2) was ich als Ihr Gläubiger von Ihnen getan wünsche. Sie werden sehen, dass es auch noch einen dritten Gesichtspunkt gibt, ich denke aber nicht daran.«

Wenn das alte Schloss nicht überall von Brennesseln, von stinkenden Pfützen und von tausenderlei Schutt, der nur den Eindruck barbarischer Unordnung machte, umgeben gewesen wäre, so hätte es in seinem Verfalle noch einen ziemlich malerischen Anblick dargeboten. Es war noch ein Rest des Schlossgrabens, mit hohem Schilf bedeckt, vorhanden, prächtiger Efeu umrankte die ganze Fassade und aus den Trümmern hatten sich wilde Kirschbäume zu einer außerordentlichen Höhe emporgerungen. Diese Seite des Gebäudes ermangelte also nicht eines gewissen dichterischen Anhauchs.

Herr Bricolin zeigte Marcelle das Gemach, welches ihr Mann, wenn er Blanchemont besucht hatte, zu bewohnen pflegte. Es war ein unscheinbarer und sehr unreinlicher Rest von Mobiliar aus der Zeit Ludwigs XVI. in demselben aufgestellt, doch war es bewohnbar, und Frau von Blanchemont beschloss, hier zu übernachten.

»Das wird einigermaßen dem Wunsche meiner Frau, welche Sie gerne beherbergen möchte, entgegen sein«, meinte Herr Bricolin, »allein ich kenne nichts Unverständigeres, als die Leute mit Höflichkeiten zu belästigen. Über Geschmackssachen lässt sich nicht streiten, und wenn das alte Schloss Ihnen gefällt, so werde ich Ihre Sachen herüberbringen lassen. Für Ihr Kammermädchen kann man ja ein Gurtbett in das Kabinett da stellen. Inzwischen wollen wir ernsthaft über Ihre Angelegenheiten reden, Frau von Blanchemont, das geht vor.«

Mit diesen Worten nahm Herr Bricolin einen Lehnstuhl, setzte sich und begann folgendermaßen:

»Vor allem gestatten Sie mir die Frage, ob Sie außer dem Gut Blanchemont noch anderes Vermögen besitzen? Ich glaube nicht, denn ich bin gut unterrichtet.«

»Ich besitze in der Tat außerdem nichts«, entgegnete Marcelle ruhig.

»Und glauben Sie, dass das väterliche Erbe Ihres Sohnes von Bedeutung sein wird?«

»Ich habe hievon noch keine Kenntnis. Aber wenn die Güter des Herrn von Blanchemont ebenso verschuldet sind, wie das meinige…«

»Ah, Sie wissen nichts davon? Sie beschäftigen sich also nicht mit Ihren Angelegenheiten? Das ist kurios! Aber die Adeligen sind alle so. Ich muss Ihre Lage kennen, denn so verlangt es mein Gewerbe und mein Interesse. Da ich sah, dass der verstorbene Herr Baron so großartig lebte, und ich nicht voraussah, dass er so jung sterben würde, musste ich die Breschen kennenlernen, welche er in sein Vermögen machte, um gegen den Verlust des meinigen, wenn eines Tages etwa die Anleihen den Wert des hiesigen Gutes überstiegen, auf der Hut sein zu können. Ich ließ also durch Leute, welche die Sache verstehen, alles auskundschaften und kann Ihnen jetzt bei Heller und Pfennig sagen, was Ihrem Kleinen von dem Vermögen seines Vaters übrig bleibt.«

»Haben Sie doch die Güte, mich es wissen zu lassen, Herr Bricolin.«

»Das ist eine leichte Sache und Sie können sich bald davon überzeugen. Höchstens kann ich darin um die Summe von zehntausend Francs fehlschießen. Ihr Gemahl besaß ungefähr eine Million, und diese wäre noch vorhanden, wenn nämlich seine Schulden, welche sich auf die Summe von neunmalhundertundachtzig oder neunzigtausend Francs belaufen, bezahlt wären.«

»Mein Sohn hat also nichts mehr?« fragte Marcelle, durch diese neue Entdeckung verwirrt.

»Wie Sie sagen. Mit dem, was Sie noch haben, wird es etwa die Summe von dreimalhunderttausend Francs ausmachen. Das ist noch hübsch genug, wenn Sie hier aufräumen und liquidieren wollen. In Gütern angelegt, wird es Ihnen eine Rente von sechs oder siebentausend Livres abwerfen. Wenn Sie es durchbringen wollen, wird sich eine Zeit lang noch hübscher davon leben lassen.«

»Ich kann nicht die Absicht haben, die Zukunft meines Sohnes zu vernichten, und meine Pflicht ist, mich so gut, als möglich, aus der Verlegenheit zu ziehen, in welcher ich mich befinde.«

»In diesem Falle hören Sie mich wohl. Ihre Güter und die seinigen ertragen zwei Prozente. Sie aber verzinsen Ihre Schulden mit fünfzehn, auch zwanzig Prozent, und dies zusammengehalten mit den angehäuften Interessen, werden Sie Ihr Schuldkapital bis ins Unendliche vermehren. Was wollen Sie tun?«

»Man muss zum Verkauf schreiten, nicht wahr?«

»Wie Sie wollen. Ich glaube, es wird dies vorteilhaft für Sie sein, im Falle Sie nicht vorziehen, da Sie noch für lange die Nutznießung von dem Vermögen Ihres Sohnes haben, die Unordnung zu Ihrem Vorteil zu benützen.«

»Nein, Herr Bricolin, das ist nicht meine Absicht.«

»Aber Sie können auf das hiesige Gut immer noch Gelder aufnehmen und da Ihr Kleiner Großeltern besitzt, welche er einst beerbt, so kann er bis zur Zeit seiner Mündigkeit nicht bankerott werden.«

»Das ist gut ausgesonnen«, versetzte Marcelle kalt, »aber ich will einen ganz andern Weg einschlagen. Ich will alles verkaufen, damit die Schulden am Ende nicht den Wert der Güter übersteigen, und was mein Vermögen betrifft, so will ich es liquidieren, um die Mittel zu haben, meinem Sohn eine anständige Erziehung angedeihen zu lassen.«

»Sie wollen also Blanchemont verkaufen?«

»Ja, Herr Bricolin, und zwar sogleich.«

»Sogleich? O, ich glaub’ es wohl; wenn man sich in Ihrer Lage befindet und ehrlich sich davon losmachen will, ist kein Tag zu verlieren, denn jeder Tag macht das Loch im Geldbeutel größer. Aber meinen Sie, es sei so leicht, ein Gut von solchem Umfang, sei es im Ganzen, sei es teilweise, auf der Stelle zu verkaufen? Wissen Sie nicht, dass heutzutage jedermann, seine Gelder in die Industrie, in die Eisenbahnen und ähnliche Unternehmungen steckt, wo am Hundert Prozent verloren oder gewonnen werden? Mit den Ländereien ist’s dermalen eine verteufelte Geschichte. Bei uns zu Lande will jedermann verkaufen und niemand kaufen, so sehr ist man es überdrüssig, große Kapitalien in Gütern anzulegen, welche nur einen geringen Ertrag gewähren. Ein Landgut eignet sich für einen, der es selber bewohnt und bebaut, kurz, ein Landmann ist, wie ich. Aber für Euch Stadtleute ist das ein erbärmliches Einkommen. Ein Gut von fünfzig, höchstens von hunderttausend Francs Wert wird unter meinesgleichen immer Käufer finden; aber ein Gut von achtmalhunderttausend Francs Wert übersteigt im Allgemeinen unsere Kräfte, und Sie werden vermittelst Ihres Notars zu Paris einen Kapitalisten ausfindig machen müssen, welcher mit seinen Geldern nicht weiß, wohin. Meinen Sie, es gäbe heutzutage viele dergleichen Kapitalisten, da man an der Börse, an der Roulette, in Eisenbahnaktien, mit Bauplätzen und in tausend andern Spekulationen spielen kann? Man muss also irgendeinen furchtsamen alten Edelmann auftreiben, der aus Furcht vor einer Revolution sein Geld lieber zu zwei Prozent in Gütern anlegt, als sich in die hübschen Spekulationen einlässt, welche heutzutage jedermann versucht. Dann müsste aber auch ein schönes Wohngebäude hier sein, in welchem so ein alter Rentier seine Tage beschließen könnte. Aber sehen Sie sich einmal Ihr Schloss an! Ich möchte es nicht als Baumaterial kaufen, denn die verfaulten Balken und vermorschten Steine würden die Mühe des Abbruchs nicht verlohnen. Sie mögen daher immerhin heute oder morgen Ihr Gut als Ganzes zum Verkauf ausschreiben, aber Sie werden zehn Jahre lang auf einen Käufer warten können, denn Ihr Notar mag, wie das der Brauch ist, sagen und drucken lassen, so viel er will, dass es drei oder vierthalb Prozent abwerfe, man wird einfach meinen Pachtvertrag einsehen und daraus entnehmen, dass es nach Abzug der Grundlasten nicht mehr als zwei Prozent, einträgt.«

»Ihr Pachtvertrag ist wohl in Rücksicht auf die Vorschüsse, welche Sie Herrn von Blanchemont gemacht, abgeschlossen worden?« sagte Marcelle lächelnd.

»Wie billig«, versetzte Bricolin, ohne im Geringsten aus der Fassung zu kommen, »und mein Pachtvertrag lautet auf zwanzig Jahre. Jetzt ist eines herum, es bleiben also noch neunzehn. Sie wissen das wohl, denn Sie haben ihn mitunterzeichnet. Freilich, jetzt kann ich annehmen, dass Sie ihn nicht gelesen Gott straf’ mich! Das ist Ihre Schuld.«

»Ich will sie auch niemand aufbürden .... Ich kann also das Gut nicht als Ganzes verkaufen, aber in einzelnen Stücken doch?«

»In einzelnen Stücken werden Sie es bald, werden Sie es auch teuer verkaufen, allein man wird Sie nicht bezahlen.«

»Wieso?«

»Weil Sie sich genötigt sehen werden, an Leute zu verkaufen, die der Mehrzahl nach zahlungsunfähig sind, an Bauern, von denen sogar die besseren Sie nur in sehr langwierigen Terminen bezahlen können, und sehr viel auch an Lumpen, welche von dem Kitzel gestochen werden, auch ein Stückchen Land zu besitzen, welcher heutzutage jedermann sticht, und welche Sie nach Verlauf von zehn Jahren wieder aus dem Erkauften vertreiben müssen, ohne inzwischen Revenuen bezogen zu haben. Es würde Sie bald langweilen, diese Leute zu pressen.«

»Ich könnte mich auch nie dazu entschließen. Also kann ich Ihnen zufolge, Herr Bricolin, das Gut weder verkaufen, noch behalten?«

 

»Wenn Sie gescheit sein, nicht zu teuer verkaufen und nicht alles bar bezahlt haben wollen, könnten Sie das Gut an einen verkaufen, den ich kenne.«

»Wer ist dieser?«

»Ich.«

»Sie, Herr Bricolin?«

»Ich, Nicolaus Etienne Bricolin.«

»In der Tat«, versetzte Marcelle, welche sich in diesem Augenblick einiger dem Müller von Angibault entfallener Worte erinnerte, »ich habe von so etwas reden hören.«

»Ich setze mich mit Ihren Gläubigern, deren Gelder auf dem Gute haften, auseinander, zerstückle die Ländereien, verkaufe dort, kaufe hier, behalte, was mir anständig, und bezahle Ihnen den Rest bar.«

»Und die Gläubiger? Wollen Sie diese auch bar bezahlen? Sie .müssen ja ungeheuer reich sein, Herr Bricolin?«

»Nein, ich lasse sie warten; aber ich werde Sie auf diese oder jene Weise von ihnen befreien.«

»Ich glaubte, sie wollten unverzüglich bezahlt sein. Haben Sie mir nicht so gesagt?«

»Sie würden Sie drängen, mir aber, mir werden sie Kredit geben.«

»Ich verstehe; ich gelte für zahlungsunfähig.«

»Möglich, man ist heutzutage so misstrauisch. Sehen Sie mal, Frau von Blanchemont, Sie schulden mir hunderttausend Francs, ich gebe Ihnen noch zweimal hundertundfünfzigtausend, und wir sind quitt.«

»Das heißt, Sie wollen mir zweimal hundertundfünfzigtausend Francs zahlen, während ich eigentlich dreimalhunderttausend zu fordern hätte?«

»Das ist ein kleiner Profit, den Sie mir billigerweise zugestehen müssen. Ich zahle bar. Sie werden sagen, es liege in meinem Interesse, keine Zinsen zu bezahlen, wenn ich bares Geld hätte, es liegt aber ebenso in dem Ihrigen, Ihr Vermögen, welches Sie, wenn Sie länger zögern, bei Heller und Pfennig einbüßen werden, in Händen zu haben.«

»Sie wollen also meine Verlegenheit dergestalt ausbeuten, dass Sie das wenige, was mir bleibt, noch um den sechsten Teil verkürzen.«

»Das ist mein Recht und jeder andere würde es noch schärfer nehmen. Seien Sie übrigens versichert, dass ich Ihren Vorteil wahren werde, so viel möglich. Nun, das ist mein erstes und letztes Wort. Sie werden es bedenken.«

»Gewiss, Herr Bricolin, es scheint mir, dass ich es bedenken muss.«

»Teufel! Ich glaub’ es wohl. Sie müssen sich allererst vergewissern, dass ich Sie nicht täusche und dass ich mich selbst nicht täusche, betreffs Ihrer Lage und des Wertes Ihrer Güter. Sie können sich jetzt hier heimisch machen, können alles selbst in Augenschein nehmen, können sich in eigener Person von dem Zustand der Ländereien Ihres Mannes in der Gegend des Blanc überzeugen und dann, wann Sie auf dem Laufenden sein werden, binnen Monatsfrist etwa, werden Sie mir eine Antwort sagen. Sie können, indem Sie mein Anerbieten in Erwägung ziehen, Ihre Berechnung machen, deren Erweisung mich nicht besorgt macht. Sie können 1) das, was Ihnen bleibt, netto um das Zweifache des von mir Gebotenen verkaufen, jedoch nicht die Hälfte des Geldes erhalten, wohl aber zehn Jahre warten müssen, während welcher die Zinsenlast so anschwillt, dass Ihnen nichts bleiben kann; Sie können 2) das, was Ihnen bleibt, mit einem Sechsteil Verlust an mich verkaufen und in diesem Falle binnen drei Monaten hier zweimal hundertundfünfzigtausend Francs von mir erhalten, entweder in gutem Gold oder in gutem Silber oder in allerliebsten Bankbillets, ganz, wie es Ihnen beliebt. Damit hat sich’s. Jetzt kommen Sie binnen einem Stündchen ins Haus hinüber, um mit uns zu Mittag zu essen. Sie müssen tun, als wären Sie bei uns zu Hause, hören Sie, Frau Baronin?«

Die Lage, in welcher sich Marcelle jetzt der Familie Bricolin gegenüber befand, musste ihr große Beklemmung erregen, und dennoch sah sie sich genötigt, die Einladung des Pächters anzunehmen. Sie versprach also, davon Gebrauch zu machen, allein sie wünschte, bis zur Essstunde in dem alten Schlosse zu bleiben, um einen Brief zu schreiben, worauf Herr Bricolin sie verließ, um ihre Leute und ihr Gepäck herüberzuschicken.