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Der Müller von Angibault

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›Ich gebe und vermache an meinen Freund, den großen Louis von Angibault, alles, was ich besitze, mein im Jeu-les-Wald gelegenes Hans, mein kleines Kartoffelfeld, mein Schwein, mein Pferd!‹

»Wie, Ihr habt ein Pferd?« fragte der Müller. »Seit wann denn?«

»Seit gestern Abend. Es ist ein Pferd, das ich auf einem meiner Spaziergänge gefunden.«

»Sollte das nicht zufälligerweise das meinige sein?«

»Erraten! Es ist deine alte Sophie, die freilich nicht einmal die Hufeisen wert ist, welche sie trägt.«

»Entschuldigt mich, Vetter«, versetzte der Müller halb zornig, halb zufrieden. »Ich halte viel auf Sophie, sie ist mehr wert als… viele Leute! Zum Teufel, genierte es Euch denn nicht, mir Sophie zu stehlen? Und ich, ich hätte Euch ohne weiteres den Schlüssel zu meiner Mühle anvertraut!… Seht ‘mal den alten Heuchler!«

»Still doch, Neffe! Du redest einfältig!« sagte Cadoche gravitätisch; »es wäre sauber, wenn der Vetter nicht das Recht hätte, sich der Stute seines Neffen zu bedienen.«

»Ah so!« entgegnete der Müller; »vermacht mir Sophie, vermacht, vermacht, Vetter, das nehme ich mit Freuden an… Bei alledem ist’s aber doch gut, dass Ihr nicht Zeit gehabt, sie zu verkaufen.... Alter Schlingel, wart’!« setzte er, zwischen den Zähnen murmelnd, hinzu.

»Was sagst du?« fragte der Bettler.

»Nichts, Vetter«, antwortete der Müller, welcher bemerkte, dass den Greis eine Art krampfhaften Röchelns befiel.

»Ich sagte, Ihr hättet recht getan, wenn Euch die Lust anwandelte, Euer Almosen zu Pferd einzufordern24

»Sind Sie fertig, Notar?« fragte Cadoche mit erstickter Stimme. »Sie schreiben sehr langsam ich bin sehr schläfrig; macht doch voran, Faulpelz von einem Schreiber!«

»Ich bin fertig«, sagte der Notar. »Könnt Ihr unterschreiben?«

»Besser als Sie!« erwiderte Cadoche. »Aber ich sehe nichts, man muss mir meine Brille und eine Prise Tabak geben.«

»Da!« sagte die Müllerin.

»Das tut wohl!« bemerkte der Bettler, nachdem er die Prise mit Wonne in die Nase gezogen: »das stärkt. Ei, ich bin noch nicht tot, obgleich ich Schmerzen leide wie ein Besessener.«

Dann warf er die Augen auf das Testament und sagte:

»Ah, Sie haben den eisernen Topf und seinen Inhalt nicht vergessen.«

»Nein, gewiss nicht!« entgegnete Herr Tailland.

»Sie haben wohl daran getan«, meinte Cadoche mit einer höchst ironischen Miene, »obgleich alles, was ich Euch darüber gesagt, nur ein Märchen war, das ich erfunden, um mich über Euch lustig zu machen.«

»Das wusste ich wohl«, sagte der Müller heiter; »denn wenn Ihr das Geld wirklich gehabt hättet, so würdet Ihr es seinen Eigentümern zurückgegeben haben. Ihr waret immer ein ehrlicher Mann, Vetter ob gleich Ihr meine Stute gestohlen habt… nun, das war einer von Euren Späßen und Ihr hättet mir sie gewiss zurückgebracht!… Geht, unterzeichnet diese Dummheit nicht! Ich brauche Eure Siebensachen nicht und man könnte damit vielleicht einem Armen Freude machen. Zudem habt Ihr wohl irgendeinen Verwandten, dem ich Eure paar Sous nicht abspannen will.«

»Ich habe keinen Verwandten, habe sie alle begraben, Gottlob!« erwiderte der Bettler; »und was die Armen angeht, ich verachte sie! Gib mir die Feder oder ich verfluche dich!«

»Nun, nun, wenn’s Euch Spaß macht…«, beschwichtigte ihn der Müller und reichte Ihm die Feder.

Der Bettler unterzeichnete das Testament. Dann stieß er es mit einer Bewegung des Schreckens von sich und rief aus:

»Tut es weg, tut es weg! Es scheint mir, als bringe es mir den Tod!«

»Soll ich es zerreißen?« fragte der große Louis bereitwillig.

»Nein, nein«, antwortete der Bettler mit einer letzten Willensanstrengung. »Steck’ es in die Tasche, mein Junge, es wird dir vielleicht nicht unangenehm sein.... Ei, wo ist der Doktor? Ich möchte ihn haben, um schneller zu Ende zu kommen, wenn ich noch länger solche Schmerzen aushalten müsste!«

»Er wird gleich da sein«, tröstete die Müllerin, »und der Herr Pfarrer ebenfalls; denn ich habe nach beiden geschickt.«

»Der Pfarrer?« fragte Cadoche; »wozu?«

»Um Euch Trost einzusprechen, Alter. Ihr habt immer Religion gehabt und Eure Seele ist so kostbar wie die eines andern. Ich bin daher überzeugt, der Herr Pfarrer wird sich gerne einiger Unbequemlichkeit unterziehen, um Euch zu versehen25

»Ist’s soweit?« entgegnete der Sterbende mit einem tiefen Seufzer. »Nun dann keine Dummheit! Der Teufel mag den Pfarrer holen, obgleich er bei alledem ein guter Kerl und ein passabler Trinker ist. Aber ich habe keinen Glauben an die Pfarrer. Ich liebe den guten Gott, doch nicht die Priester… Der gute Gott hat mir Geld gegeben, dem Priester musste ich Geld geben.... Lasst mich in Frieden sterben! Neffe, du versprichst mir, diesen verdammten Patachon totzuprügeln?«

»Nein, aber tüchtig abwammsen will ich ihn!«

»Genug geschwatzt!« sagte der Bettler, seine bläulich angelaufene Hand erhebend, »ich wäre gern plaudernd gestorben, aber ich kann nicht mehr… Ah, ich bin nicht so krank, wie man glaubt, und vielleicht wirst du deine Erbschaft noch nicht bald antreten, Neffe.«

Mit diesen Worten fiel Cadoche auf sein Lager zurück und einen Augenblick nachher hörte man ein lautes Krachen in seiner Brust. Er wurde rot, dann wieder fahl, röchelte einige Minuten lang, öffnete die Augen mit entsetzlicher Miene, wie wenn ihm der Tod in sichtbarer Gestalt erschienen wäre, und mit einmal gab er mit einem Lächeln, als ob ihm neue Lebenshoffnung gekommen, den Geist auf.

Der Tod hat sogar bei bösen Menschen etwas so Geheimnisvolles und Feierliches an sich, dass er religiöse Seelen mit Achtung und Schweigen erfüllt. Als daher der Bettler Cadoche ausgeatmet hatte, herrschte in der Mühle einen Augenblick Bestürzung und sogar Trauer. Ungeachtet seiner Laster und Lächerlichkeiten, ungeachtet sogar des seltsamen Geständnisses, welches er abgelegt hatte und an welches einzig und allein der Notar fest glaubte, hatten die Müllerin und ihr Sohn immer eine Art Freundschaft für den alten Bettler empfunden, vielleicht infolge der Wohltaten, welche sie ihm zu erweisen gewohnt waren; denn wenn es wahr ist, dass man Leute, welchen man Unrecht getan, verabscheut, so könnte man diesen Satz auch umgekehrt gelten lassen.

Die Müllerin warf sich dem Bett zur Seite auf die Knie und betete, Lemor und der Müller beteten in ihren Herzen ebenfalls zu dem Born aller Gnade und alles Erbarmens, eine göttliche und unsterbliche Seele nicht zu verwerfen, welche auf Erden die Hülle dieses Elenden getragen.

Der Notar allein wandte sich ruhig zu seiner Tasse Tee zurück, nachdem er kaltblütig gesagt hatte.

»Ite. Missa est. Dominus vobiscum26

Dann wandte er sich an den großen Louis, indem er ihm sagte, er müsse sich sogleich nach dem Jeu-les-Wald auf den Weg machen, bevor die Nachricht von diesem Vorgange dort anlange, denn in diesem Falle könnte irgendein ähnlicher Bettler die Hütte des Gestorbenen durchstöbern und das Nest ausnehmen.

»Welches Nest?« fragte der Müller. »Cadoches Schwein und seinen etwa vorrätigen Zwilchkittel?«

»Nein, aber den eisernen Topf.«

»Larifari, Herr Tailland.«

»Sieh immerhin nach! Und überdies deine Stute?«

»Ah, meine alte Dienerin, ich vergaß es. Sie haben Recht. Es lohnt sich wohl des Weges um sie, von wegen ihres guten Herzens und unserer alten Freundschaft. Wir sind beinahe vom gleichen Alter, sie und ich… Ich will gehen.... Aber wenn er uns nun auch das aufgebunden hätte? Er war ein alter Spaßvogel!«

»Geh’ immerhin, sag’ ich dir; die Trägheit wäre da übel am Platze. Ich glaube an diesen eisernen Topf, ich glaube daran so fest wie Eisen, wie man bei uns zu sagen pflegt.«

»Aber sagen Sie, Herr Tailland, hat der Fetzen Papier, den Sie sich zum Spaße bekleckst haben, irgendeinen Wert?«

»Es ist ein Testament in bester Form, ich bürge dafür, und macht dich vielleicht zum Eigentümer von hunderttausend Francs.«

»Mich? Vergessen Sie denn, dass, im Falle die Geschichte wahr wäre, die Hälfte des Geldes der Frau von Blanchemont, die andere Hälfte aber den Bricolins gehört?«

»Ein Grund mehr, um hinzugehen und der Sache auf den Grund zu kommen. Du hast das Vermächtnis angenommen mit dem Vorsatz, das Geld seinen Eigentümern zurückzugeben. Hole es also! Wenn du Herrn Bricolin diesen Dienst erzeigst, so müsste es ja mit dem Teufel zugehen, wenn er dir dafür nicht seine Tochter gäbe.«

 

»Seine Tochter! Denke ich denn an seine Tochter? Kann seine Tochter an mich denken?« fragte der Müller und wurde rot.

»Schon gut. Die Verschwiegenheit ist eine Tugend, allein ich habe Euch gestern mitsammen tanzen sehen und verstand gleich, warum Euch der Vater so barsch trennte.«

»Bah, setzen Sie sich keine solchen Sachen in den Kopf, Herr Tailland! Ich gehe; aber wenn sich nun der Schatz wirklich finden sollte, bedürfte es keiner Anzeige bei den Gerichten?«

»Wozu? Die Formalitäten der Rechtspflege sind von solchen erfunden worden, deren Herz keine Gerechtigkeit kannte. Wozu würde es gut sein, das Andenken dieses alten Narren zu entehren, dem es vierzig Jahre lang gelang, für ehrlich zu gelten? Du brauchst es den Leuten auch nicht erst zu beweisen, dass du kein Räuber seiest; man weiß das ohnehin. Du wirst das Geld holen und damit Punktum

»Aber wenn der Alte Verwandte hätte?«

»Er hat keine, und wenn er auch hätte, willst du sie denn erben lassen, was ihm nicht gehörte?«

»Das ist wahr, hm, ich bin durch alle diese Vorfälle ganz verwirrt! Ich will sogleich zu Pferde steigen.«

»Wenn du reitest, so wäre es eben nicht sehr bequem für dich, diesen famosen Topf herbeizuschaffen, der so schwer ist, so schwer!.... Sag’ ‘mal, sind die Wege da hinunter fahrbar?«

»Gewiss. Man kommt von da zuerst nach Transault, dann nach Lys-Saint-George und dann nach Jeu, und zwar auf lauter erst kürzlich ausgebesserten Vizinalwegen.«

»Nun, so nimm mein Gefährt, großer Louis, und beeile dich!«

»Wohl, aber Sie?«

»Ich werde hier übernachten und dich erwarten.«

»Sie sind ein braver Mann, hol’ mich der Teufel! Aber die Betten sind nicht sehr weich und Sie sind, glaub’ ich, ein bisschen verweichlicht, nicht?«

»Umso schlimmer; aber eine Nacht lässt sich schon herumbringen. Zudem können wir deine Mutter nicht mit dem Toten allein lassen; das ist zu traurig. Du musst nämlich deinen Müllerburschen da mitnehmen. Wenn man Geld zu transportieren hat, ist man besser zu zwei, als allein. In den Taschen meines Cabriolets wirst du geladene Pistolen finden. Ich reise nie ohne solche, ich, der ich so oft Gelder bei mir habe. Marsch, fort! Aber sag’ vorher deiner Mutter, sie solle mir noch Tee machen. Wir wollen dann mitsammen plaudern, so lange es geht, denn dieser Tote langweilt mich.«

Fünf Minuten nachher befanden sich Lemor und der Müller in finsterer Nacht auf dem Wege nach dem Jeu-les-Wald, und wir verlassen sie auf diesem Wege, um zu sehen, was inzwischen in dem Pachthof vorgefallen.

34. Kapitel.
Unheil

Die Großmutter Bricolin beunruhigte sich über das lange Ausbleiben des Müllers gar sehr und war weit entfernt zu ahnen, dass ihr Abgesandter nicht mehr wiederkommen werde, um die versprochene Belohnung in Empfang zu nehmen. Der Leser aber wird seinerseits leicht begreifen, dass der Bettler bei der Annäherung seines Todes vergessen hatte, der Sendung, womit man ihn betraut, sich zu entledigen. Endlich begab sich, von dem erfolglosen Warten entmutigt und ermüdet, die Großmutter zu ihrem bejahrten Gatten zurück, nachdem sie sich noch vergewissert hatte, dass die Wahnsinnige sich immer noch im Parke befinde, wie gewöhnlich in ihre düsteren Gedanken versenkt und die stillen Echos des Tales nicht mehr von grässlichen Schreien widerhallen lassend.

Es war nun Mitternacht. Einige ungewisse Töne klangen von den Schenkbuden herüber, und die Hunde auf dem Pachthof hielten es für überflüssig, anzuschlagen, als hätten sie nur befreundete Stimmen erkannt. Angetrieben durch seine Frau, welche darauf bestand, dass der mit Marcelle im Geheimen abgeschlossene Vertrag auf der Stelle in Vollziehung trete, hatte Herr Bricolin nicht ohne großes Bedauern und große Ängstlichkeit der Dame Verkäuferin das bewusste Taschenbuch übergeben, welches die zweimalhundert und fünfzigtausend Francs enthielt.

Der Empfang dieses verehrungswürdigen Taschenbuchs verursachte Marcelle keine große Bewegung. Da es sehr schmutzig war, fasste sie es nur mit den Fingerspitzen an und überdrüssig, sich noch länger mit einer Sache zu befassen, bei welcher die Habsucht der Menschen so grell und widerwärtig hervorgetreten war, warf sie es in einen Winkel von Roses Sekretär.

Zur Annahme dieser prompten Bezahlung bewog sie der gleiche Grund, welcher Bricolin zu rascher Leistung derselben trieb. Beide wollten nämlich dadurch verhindern, dass der Kauf rückgängig gemacht werden könnte, Marcelle aber nur deshalb, um das Los ihrer jungen Freundin unwiderruflich zu sichern. Sie empfahl hierauf Fanchon, den großen Louis, er möge kommen, wann er wolle, in die Küche zu führen und sie dorthin zu rufen. Dann warf sie sich völlig angekleidet aufs Bett, um Ruhe zu suchen, wenn auch eine schlaflose, denn Rose war noch immer sehr unruhig, indem sie bald Marcelle segnete, bald derselben von ihrem Glücke sprach.

Da aber der Müller immer noch nicht kommen wollte und die Aufregungen des vergangenen Tages die Kräfte aller tüchtig erschöpft hatten, so lag auf dem Pachthof bald jedermann in tiefen Schlaf begraben. Nur eine Person muss hievon ausgenommen werden, die Wahnsinnige nämlich, in deren Gehirn der Paroxysmus eines furchtbaren Fiebers wütete.

Herr Bricolin und seine Frau hatten in der Küche noch eine lange Unterredung gehabt. Der Pächter hatte, da er jetzt nichts mehr zu besorgen brauchte und sich durch das viele Wasser, welches er zu sich genommen, sehr durchfröstelt fühlte, mit unsicherer Hand den enormen Krug, der ihm zur Seite stand und mit dunkelviolettfarbigem Wein von Stunde zu Stunde gefüllt werden musste, hergelangt und nach und nach ausgetrunken. Es war dies sein Lieblingsgetränk, das berauschendste Gewächs seiner Weinberge, ein abscheulicher Rachenputzer, welchen aber der Einwohner des Berry allen Weinen der Welt vorzieht.

Als seine Frau die Bemerkung machte, dass das Vergnügen, Eigentümer von Blanchemont zu sein, und die lachende Aussichten, welche ihm sein Reichtum eröffnete, nicht mehr imstande waren, die zufallenden Augen ihres Mannes offenzuhalten, noch seine Sprachwerkzeuge in Bewegung zu setzen, trieb sie ihn an, zu Bette zu gehen. Er aber hatte immer zur Antwort gegeben: »Gleich, gleich, ich bin schon auf dem Sprunge!« ohne sich indessen von der Stelle zu rühren. Nachdem sich Frau Bricolin noch überzeugt hatte, dass Rose und Marcelle eingeschlafen waren, widerstand auch sie dem Bedürfnis nach Schlaf nicht mehr, legte sich nieder und schlief sogleich ein. Vergebens hatte sie ihrem Manne noch einmal gerufen. Er hörte sie nicht mehr und war unfähig, sich zu bewegen. Total betrunken und betäubt, wie es ein Mensch werden muss, der sich zuerst durch ein Gewaltmittel ernüchtert, dann aber für dieses Opfer vollständig schadlos gehalten hat, übertönte der Pächter mit seinem gewaltigen Geschnarch das Atmen seiner Frau, welche sich bei offener Türe in dem anstoßenden Gemach zu Bette gelegt hatte.

Eine Stunde mochte ungefähr verflossen sein, als Herr Bricolin von einer Anwandlung des Erstickens und des Ohnmächtigwerdens erweckt wurde. Nur mit Mühe erhob er sich. Es kam ihm vor, seiner Lunge mangle die Luft und seine Augen könnten keinen Gegenstand mehr von dem andern unterscheiden, wie wenn er vom Schlage gerührt worden wäre. Die Todesfurcht verlieh ihm die nötige Stärke, sich im Finstern nach der Türe zu tappen, welche in den Hof führte.

Das Licht hatte sich in seinem Messingleuchter längst verzehrt. Als es dem Pächter gelungen war, die Türe zu öffnen und, ohne zu fallen, die Stufen, welche vor dem neuen Schlosse eine Art Freitreppe bildeten, hinabzukommen, warf er einen stumpfen Blick um sich her, ohne zu begreifen, was er sah. Eine außerordentliche Helle, welche den Hof erfüllte, veranlasste ihn, die Hand vor die Augen zu halten, denn der plötzliche Übergang aus der Finsternis in diese grelle Helle verursachte ihm einen neuen Schwindel.

Endlich, als die frische Nachtluft den Weindunst einigermaßen aus seinem Kopfe verjagt hatte, machte die Dumpfheit, worin er bisher befangen war, einem krampfhaften Schauder Platz, dessen Ursache zuerst eine durchaus mechanische und physische war, bald aber durch einen unbeschreiblichen Schrecken fortgesetzt wurde. Zwei große Flammengarben, welche durch schwarze Rauchwolken sich Bahn brachen, wirbelten aus dem Dach der Scheune heraus. Anfangs glaubte sich Bricolin von einem garstigen Traume befangen. Er rieb sich die Augen, schüttelte sich am ganzen Körper. Doch fortwährend leckten die Flammenzungen gegen den Himmel empor und griffen mit furchtbarer Schnelligkeit um sich. Er wollte schreien: Feurio! allein seine Zunge war gelähmt und seine Kehle zugeschnürt. Er versuchte, in das Haus zurückzukehren, von welchem er sich ein paar Schritt weit entfernt hatte ohne zu wissen, wohin er ging. Da sah er zu seiner Rechten Flammenströme aus seinen Stallungen hervorbrechen, zu seiner Linken eine Flammenkrone um die Türme des alten Schlosses sich winden und vor ihm.... sein eigenes Haus von einer unnatürlichen Helle durchleuchtet und die Türe, welche er hinter sich offen gelassen, schwarze Rauchwirbel ausspeiend, wie die Öffnung eines Schornsteins.

Alle Baulichkeiten von Blanchemont waren die Beute einer großartigen Brandstiftung. Das Feuer war an mehr als zwölf Orten zugleich angelegt worden und was beim ersten Akt dieses seltsamen Schauspiels das Traurigste war: das Schweigen des Todes lag über allem.... Bricolin, dessen Willenskraft gänzlich gebrochen war, starrte in einer entsetzlichen Verlassenheit die Verheerung an, welche außer ihm jetzt noch niemand gewahrte. Sämtliche Bewohner des neuen Schlosses und der Pachtgebäude lagen entweder in einem teils von Ermüdung, teils von Trunkenheit herbeigeführten Schlafe oder in einer von dem Feuerqualm verursachten Betäubung. Nur das Prasseln der Flammen machte sich hörbar und dann begannen auch die Ziegel mit Gepolter auf das Pflaster niederzustürzen. Kein Schrei, kein Klageruf beantwortete diese trüben Mahnungen. Es konnte scheinen, als hätte das Feuer nichts zu verzehren denn verlassene Mauern und Leichname.

Herr Bricolin blieb stumm und unbeweglich und rang bloß die Hände, wie einer, der vergebliche Anstrengungen macht, sich aus dem Schlaf zu wecken. Endlich.... endlich erscholl ein durchdringender Schrei, der Schrei eines Weibes. Diesen Schrei beantwortete Bricolin, als löste sich in diesem Augenblick der Zauber, welcher ihn befangen hatte, mit einem wilden Gebrüll. Marcelle war es, welche zuerst die Gefahr wahrgenommen hatte. Sie entstürzte dem brennenden Hause, ihren Sohn auf den Armen tragend. Ohne Bricolin oder den ganzen Umfang des Brandes wahrzunehmen, legte sie ihr Kind mitten im Hofe auf einen Haufen Heu nieder und sagte mit befehlender Stimme zu ihm:

»Bleib’ da und habe keine Furcht!«

Dann eilte sie, des erstickenden Rauches der ihr entgegenqualmte, ungeachtet, in das Haus zurück und eilte an das Bett Roses, welche wie gelähmt und unfähig war, ihr zu folgen. Durch ihren Mut mit Mannesstärke ausgerüstet, fasste das kleine, schmächtige, blonde Weib ihre junge Freundin in die Arme und trug die viel schwerere und größere Gestalt als die ihrige dahin, wo sie ihren Sohn niedergelegt hatte.

Der Anblick seiner Tochter erinnerte Herrn Bricolin, welcher bis jetzt nur an seine Ernte und an seinen Viehstand gedacht hatte und gerade den Scheunen zu Hilfe eilen wollte, dann doch, dass er eine Familie besitze, und zum zweiten Mal und zwar noch entschiedener als früher aus seinem Taumel erwachend, keuchte er fort, um seiner Frau und seiner Mutter zu Hilfe zu kommen.

Zum Glück hatte das Feuer bis dahin nur an den Dächern um sich gegriffen und war das Erdgeschoss, welches die Familie Bricolin bewohnte, noch unversehrt, den Pavillon Roses ausgenommen, welcher, sehr tief und in der Nähe von großen Reisigbündelhaufen gelegen, lichterloh brannte. Frau Bricolin, obgleich so gewaltsam aus dem Schlafe aufgeschreckt, hatte doch bald ihre physische Kraft und ihre Geistesgegenwart gesammelt. Von ihrem Manne und Marcelle unterstützt, schaffte sie den alten Bricolin in den Hof.

Der arme Greis glaubte, sich wieder in den Händen der Mordbrenner zu befinden und schrie aus Leibeskräften:

»Ich habe nichts mehr! Tötet mich nicht!… Brennt mich nicht!… Ich will Euch alles geben!«

Die kleine Fanchon ließ mit besonnenem Mut der Großmutter Bricolin Hilfe angedeihen, welche bald darauf den andern beistehen konnte. Ihr gelang, die Knechte und Dienstboten zu wecken, ohne dass einer derselben sein Leben eingebüßt hätte....

Aber dies alles hatte einen beträchtlichen Zeitverlust verursacht und bis man vom Dorfe aus Hilfe herbeibringen und eine Kette (von Feuereimern) bilden konnte, war es bereits zu spät. Das Wasser schien die Gewalt des Feuers wieder aufs Neue anzufrischen, indem es demselben Luft machte und die glühenden Massen auseinanderriss und weiter verbreitete. Die ungeheuren Getreide- und Futtervorräte, von denen Scheunen und Speicher strotzten, gingen mit Gedankenschnelle in Flammen auf. Das hundertjährige Gebälke der alten Gebäude schien sich mit einer wahren Lust zu entzünden.

 

Beinahe alles Hornvieh war nicht aus den Ställen zu bringen und verbrannte und erstickte jämmerlich. Von dem neuen Schlosse erhielt sich nur der Rumpf; das Dach war eingesunken oder stürzte zum Teil sein noch neues Gebälke, der Ziegeln entledigt und verkohlt, auf die noch weißen Mauern der Wohnräume.

Endlich kamen Spritzen herbei. Allein diese Instrumente sind auf dem Lande meist ein unnützes und viel zu langsames Rettungsmittel. Sie sind nämlich ebenso schlecht gebaut als bedient, und die Schläuche zerplatzen gewöhnlich beim ersten Anlauf aus Mangel an sorgsamem Unterhalt oder ordentlicher Handhabung.

Dessen ungeachtet gelang es der Löschmannschaft, welche von der sämtlichen Bewohnerschaft des Dorfes unterstützt wurde, dem Feuer Einhalt zu tun und Wohnung und Mobiliar der Bricolins zu retten. Die Verheerung jedoch, welche das Feuer anderwärts angerichtet hatte, war unermesslich und vollständig. In dieser Verheerung war der ganze von Rose und Marcelle bewohnte Pavillon begriffen, ferner alle Ökonomiegebäude, sämtliches Hornvieh, alles Ackergeräte und sonstiges Bauerngeschirr. Um das alte Schloss kümmerte man sich nicht. Sein Dachstuhl stand zwar in Feuer, allein seine dicken Mauern verteidigten sich selbst. Nur einer der Türme zerbarst von der Hitze von oben bis unten. Der Efeu, welcher die übrigen üppig umwucherte, bewahrte sie vor gänzlichem Ruin.

24Bei dieser Stelle kommt mir eine Erinnerung aus meinen Kinderjahren in den Sinn. In meiner, am Fuße des Hohenstaufens gelegenen Heimat gab es damals unter einer Menge anderer Originale wirklich einen Bettler zu Ross, der an die Fenster heranritt, sein Almosen forderte und nach Empfang desselben mit einem »Gelt’s Gott! Hio!« (vergelt’ es Euch Gott, marsch!) wieder davonklepperte. A. d. Ü.
25Versehen, natürlich mit den Sterbesakramenten. A. d. Ü.
26Seht, die Messe ist aus. Der Herr sei mit Euch! A. d. Ü.