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Der Müller von Angibault

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Dritter Tag

19. Kapitel.
Portrait

Wir wissen nicht, ob die Regeln der Kunst es fordern, dass man das Aussehen und den Anzug der Personen, welche man in einem Roman auftreten lässt, in ausführlicher Weile beschreibe, und vielleicht haben die malenden Schriftsteller unserer Zeit die Mode der Portraitierung in ihren Erzählungen ein wenig missbraucht. Da es aber nun einmal ein altes Herkommen ist und wir hoffen, dass zukünftige Meister, indem sie unsere Kleinlichkeit verdammen, ihre Gestalten in freieren und treffenderen Zügen entwerfen werden, fühlen wir unsere Hand zu schwach, um nicht die breitgetretene Bahn zu verfolgen, und wollen also unsere bisherige Vergesslichkeit, das Portrait einer unserer Heldinnen zu zeichnen, möglichst gutmachen. Scheint es in der Tat nicht, dass einer Liebesgeschichte, so wahrhaft sie auch immer sein mag, ein Hauptreiz abgehe, wenn man nicht erfährt, ob die Heldin mit einer mehr oder minder bemerkenswerten Schönheit begabt sei? Es reicht nicht hin, dass man uns sagt: sie ist schön! Ob ihre Abenteuer oder die Ungewöhnlichkeit ihrer Lage uns auch noch so wenig anziehen, wir wollen dennoch wissen, ob sie blond oder braun, groß oder klein, träumerisch oder lebhaft, in ihrem Anzug zierlich oder einfach sei. Wenn man uns sagt, sie fliege über die Straße, so laufen wir ans Fenster, um sie zu sehen, und bloß auf den Eindruck hin, welchen ihre Physionomie auf uns macht, sind wir bereit, sie zu lieben oder ihr wenigstens die Sünde, die öffentliche Aufmerksamkeit erregt zu haben, zu vergeben. Dies war gewiss auch die Meinung von Rose Bricolin, denn als sie am Morgen nach der ersten Nacht, wo sie ihr Zimmer mit der Frau von Blanchemont geteilt hatte, noch schlafsüchtig auf dem Ohre lag, während die junge Witwe, tätiger und früher aufstehend, bereits mit ihrem Anzug beschäftigt war, schaute sie derselben aufmerksam zu, indem sie sich fragte, ob wohl diese Pariser Schönheit die ihrige, bei dem ländlichen Feste, welches am folgenden Tage stattfinden sollte, in Schatten stellen würde.

Marcelle von Blanchemont war kleiner, als sie zu sein schien, dank der Zierlichkeit ihrer Verhältnisse und der Anmut aller ihrer Bewegungen. Sie war noch blond, aber nicht fadblond, nicht aschblond, eine Farbe, welche übermäßig gerühmt wird und dennoch immer die Physionomie verwischt, weil sie meistens eine kraftlose Organisation verrät. Marcelles Haar, eine ihrer größten Schönheiten, war von lebhaftem, warmem, goldigem Blond und hatte in ihrer Kindheit einen so außerordentlichen Glanz besessen, dass man sie in dem Kloster, wo sie erzogen worden, den Cherubim nannte. Mit achtzehn Jahren war sie bloß ein sehr hübsches Mädchen, aber mit zweiundzwanzig war sie eine Erscheinung, welche, ohne es zu wissen, mehr als eine Leidenschaft eingeflößt hatte, obschon ihre Züge von keiner vollkommenen Regelmäßigkeit waren und ihre Frische oftmals unter den Nachwehen einer etwas fieberhaften Lebhaftigkeit litt. Unter ihren Augen von glänzendem Blau bemerkte man jene dunkeln Ringe, welche das Ringen einer glühenden Seele andeuten und welche ein oberflächlicher Beobachter leicht den Aufregungen einer wollüstigen Natur hätte zuschreiben können. Es war jedoch unmöglich, selber keusch zu sein, ohne wahrzunehmen, dass diese Frau mehr mit dem Herzen, als mit dem Geist, mehr mit dem Geist, als mit den Sinnen lebte.

Ihre wandelbare Farbe, ihr gerader und offener Blick, ein leichter blonder Flaum in den Winkeln ihrer Oberlippe waren bei ihr die Anzeichen eines energischen Willens und eines hingebenden, uneigennützigen, mutvollen Charakters. Sie gefiel beim ersten Anblick, ohne zu blenden, sie blendete in der Folge immer mehr und mehr, ohne aufzuhören zu gefallen, und wer sie anfangs nicht einmal für hübsch gehalten, der konnte bald nicht mehr Blicke und Gedanken von ihr abwenden.

Die zweite Verwandlung, welche mit ihr vorging, war das Werk der Liebe. Im Kloster arbeitsam und munter, war sie nie träumerisch und melancholisch gewesen, bevor sie Lemor begegnete, und selbst seitdem sie ihn liebte, war sie bis zum Kleinsten hinab tätig und entschieden geblieben. Aber die tiefe Neigung, welche ihre ganze Willenskraft auf ein Ziel hinlenkte, hatte den Ausdruck ihrer Züge erhöht und ihrem ganzen Gebaren einen ungewöhnlichen und geheimnisvollen Reiz verliehen.

Niemand wusste, dass sie liebte. Jedermann aber fühlte, dass sie fähig, leidenschaftlich zu lieben, und alle, welche sich ihr näherten, hatten gewünscht, ihr Liebe oder Freundschaft einzuflößen.

Infolge dieser machtvollen Anziehungskraft hatten die auf sie eifersüchtigen Frauen, welche an ihrer Aufführung nichts aussetzen konnten, sie einen Augenblick lang der Koketterie angeklagt. Aber nie war ein Vorwurf weniger verdient. Marcelle hatte für die kindische und schamlose Unterhaltung, Begierden zu erregen, keine Zeit, ja, sie dachte nicht einmal entfernt daran, dass sie solche erregen könne; und indem sie sich der Gesellschaft so rasch entzog, hatte sie sich nicht einmal den Vorwurf zu machen, mit Willen Spuren ihrer Erscheinung in derselben zurückgelassen zu haben.

Rose Bricolin, ohne alle Frage schöner als Marcelle, aber in ihren kindischen Bewegungen weniger schwer zu verfolgen und zu erraten, hatte von der jungen Baronin von Blanchemont als von einer Schönheit der Pariser Salons reden hören und konnte jetzt nicht recht begreifen, wie diese blasse Blondine mit einem so einfachen Anzug und einem so natürlichen Benehmen sich einen solchen Ruf hatte verschaffen können. Rose wusste nicht, dass in sehr gebildeten und folglich auch sehr blasierten Gesellschaften das reiche Seelenleben einer Frau auf ihr Äußeres einen Zauber ausgießt, welcher immer über die klassische Majestät einer kalten Schönheit triumphiert.

Dessen ungeachtet fühlte Rose, dass sie Marcelle bereits bis zur Narrheit liebe, obgleich sie sich noch keine Rechenschaft geben konnte von der Anziehungskraft, welche die junge Frau durch ihren festen und lebhaften Blick, durch den herzlichen Klang ihrer Stimme, durch ihr freies und wohlwollendes Lächeln, durch den bestimmten und edlen Ausdruck ihres ganzen Wesens auf sie übte.

›Sie ist doch nicht so schön, wie ich glaubte‹, dachte Rose, ›woher kommt es also, dass ich ihr gleichen möchte?‹ – In der Tat ertappte sich Rose darauf, dass sie sich bemühte, ihre Haare wie die Marcelles zu ordnen, unwillkürlich ihren Gang nachzuahmen, sowie die rasche und anmutige Art, den Kopf zu wenden, und nicht minder die Biegungen ihrer Stimme. Sie hatte hierin so guten Erfolg, dass sie in wenigen Tagen den ihr noch gebliebenen Rest des linkischen ländlichen Wesens, welches dennoch nicht ohne Reiz war, verlor, und man muss der Wahrheit zu Ehren sagen, dass ihre Nachahmung mehr eine unwillkürliche, denn absichtliche, war und dass sie sich von ihrem Vorbild bald so viel anzueignen wusste, als hinreichte, den Wert ihrer natürlichen Vorzüge zu erhöhen.

Rose ermangelte keineswegs des Mutes und der Offenheit, und so war Marcelle mehr bestimmt, ihr durch äußere Umstände bisher zurückgehaltenes Naturell entwickeln zu helfen, als ihr eine gekünstelte und leere Nachahmungssucht einzuflößen.

20. Kapitel.
Liebe und Geld

Während Marcelle sich da und dort im Zimmer zu schaffen machte, vernahm sie eine seltsame Stimme, welche aus dem anstoßenden Gemach kam und zugleich stark wie die eines Stieres und heiser wie die einer alten Frau war. Diese Stimme, welche nur mit Anstrengung aus einer hohlen Brust zu kommen und sich weder auszuschreien noch zurückzuhalten wollen schien, wiederholte zu verschiedenen Malen:

»Da haben sie mir alles genommen alles genommen .... bis auf meine Kleider!«

Und eine festere Stimme, in welcher man die der Großmutter Bricolin erkannte, entgegnete darauf:

»Seid doch still, Meister13! Ich rede nicht davon.«

Das Erstaunen Marcelles bemerkend, beeilte sich Rose, ihr diesen Dialog zu erklären.

»Es hat immer viel Unglück in unserem Hause gegeben«, sagte sie, »und selbst bevor ich und meine arme Schwester geboren wurden, herrschte ein böses Geschick in meiner Familie. Sie haben doch meinen Großvater sehen, der so alt, so gar alt ist? Er ist’s, den Sie eben hörten. Er spricht nicht oft, aber da er taub ist, so schreit er dann, dass das ganze Haus widerhallt. Er wiederholt fast beständig die Worte: ›Sie haben mir alles genommen, alles geplündert, alles geraubt!‹ Hievon ist er nicht abzubringen, und wenn meine Großmutter, welche große Gewalt über ihn hat, ihn nicht schweigen gemacht, so hätte er gestern gewiss auch zu Ihnen diese Worte gesagt, statt Ihnen guten Tag zu wünschen.«

»Und was will er damit sagen?« fragte Marcelle.

»Haben Sie nie von dieser Geschichte reden hören?« fragte Rose entgegen. »Sie hat doch wohl Lärm genug gemacht. Aber es ist wahr, Sie kamen noch nie hieher und haben sich nie um das bekümmert, was hier vorgeht. Ich wette, Sie wissen nicht einmal, dass die Bricolin schon seit fünfzig Jahren Pächter von Blanchemont sind?«

»O ja, das weiß ich und auch das, dass Ihr Großvater, bevor er sich hier niederließ, ein beträchtliches Gut im Côté du Blanc, welches meinem Großvater gehörte, in Pacht hatte.«

»Nun in diesem Fall haben Sie wohl auch von der Raubgeschichte reden hören?«

»Ja, aber das ist zu lange her, als dass ich mich dessen recht erinnern könnte, denn es ist schon eine alte Geschichte und ich war noch ein kleines Kind.«

»Soviel ich selber weiß, denn man spricht bei uns nicht gerne davon, trug sich das vor mehr als vierzig Jahren zu und verursachte viel Schrecken und Unglück. Ihr Herr Großvater harte zur Zeit der Assignaten meinem Großvater die Summe von fünzigtausend Francs in Gold anvertraut mit der Bitte, dieselbe in den Mauern des alten Schlosses zu verbergen, während er sich selbst in Paris verborgen hielt, wo es ihm gelang, der Entdeckung zu entgehen.14 Doch davon müssen Sie mehr wissen denn ich. Mein Großvater versteckte also das Geld mit seinem eigenen Gelde zugleich in dem alten Schlosse von Beaufort, wo er Pächter war und welches über zwanzig Meilen weit von hier liegt; ich war nie dort. Ihr Großvater, welcher sich nicht beeilte, sein Geld zurückzufordern, hatte, indem er zu diesem Zwecke einen Brief schreiben lassen wollte, das Unglück, einen verbrecherischen Geschäftsträger ins Vertrauen zu ziehen. In der folgenden Nacht kamen die Räuber und unterwarfen meinen armen Großvater tausend Martern, um ihm den Versteck des Geldes auszupressen. Dann nahmen sie alles, das Seinige und das Ihres Großvaters, bis auf das Linnenzeug und den Brautschmuck meiner Großmutter herab. Mein Vater, damals noch ein Knabe, ward geknebelt und auf ein Bett geworfen, von wo aus er alles sah und vor Furcht zu vergehen meinte. Meine Großmutter war in den Keller gesperrt. Die Pächterknechte wurden zu Boden geschlagen, ebenfalls gebunden und man hielt ihnen Pistolen an die Kehle, um sie am Schreien zu verhindern. Endlich, nachdem die Räuber alles zusammengerafft, was sie nur immer fortschleppen konnten, gingen sie ohne viel Geheimtuerei und Vorsicht weg und blieben, warum weiß man nicht, ungestraft. Dieser Unfall hat meinen Großvater, welcher damals noch jung war, plötzlich alt gemacht, er konnte nie wieder zur Besinnung kommen, seine Denkkraft war erloschen, er verlor die Erinnerung an alles, ausgenommen an dieses entsetzliche Begebnis, und öffnet den Mund nie, ohne darauf anzuspielen. Das Zittern, welche Sie an ihm wahrgenommen haben, hat ihn seither nicht mehr verlassen und seine Glieder, welche die Räuber mit Feuer versengt hatten, blieben so schwach und verdorrt, dass er nie mehr arbeiten konnte. Ihr Großvater, der, wie man sagt, ein würdiger Edelmann war, forderte sein Geld nicht zurück und erließ sogar meiner Großmutter, welche durch ihren guten Kopf und ihren Mut plötzlich zum Familienhaupt geworden war, einen fünfjährigen Pachtzins. Das brachte uns wieder etwas auf die Strümpfe, und als mein Vater alt genug war, um die Pachtung von Blanchemont übernehmen zu können, hatte er schon einen ordentlichen Kredit. Da haben Sie unsere Geschichte; zusammengehalten mit der meiner Schwester, ist sie gewiss nicht sehr heiter.«

 

Diese Erzählung machte auf Marcelle einen tiefen Eindruck und das Innere der Familie Bricolin erschien ihr jetzt noch trüber, als vorher. Inmitten ihrer glücklichen Umstände schienen diese Leute einem finsteren und tragischen Lose hingegeben zu sein, und zwischen die Wahnsinnige und den Blödsinnigen gestellt, fühlte sich Frau von Blanchemont von unwillkürlichem Schrecken und einer tiefen Traurigkeit erfasst. Sie wunderte sich, wie die Schönheit Roses in dieser Atmosphäre von Katastrophen und heftigen Kämpfen, wo das Geld eine so verhängnisvolle Rolle gespielt, sich so sorglos und üppig habe entfalten können.

Es schlug sieben Uhr auf der Schwarzwälderuhr, welche die Großmutter Bricolin mit Vorliebe in ihrem Zimmer bewahrte, das mit allerlei Bauernmobiliar angefüllt war, und an dasjenige stieß, welches Rose und Marcelle innehatten, als die kleine Fanchon eintrat und voller Freude meldete, dass ihr Meister angekommen sei.

»Sie spricht von dem großen Louis«, sagte Rose. »Warum meldest du denn das, als wäre es eine wichtige Neuigkeit?«

Und ungeachtet des etwas verächtlichen Tones, womit Rose dieses sagte, wurde sie so rot, wie die Blume, deren Namen sie trug, in ihrer frischesten Blüte.

»Darum, weil er ganz geschäftig tut und Sie zu sprechen verlangt«, entgegnete Fanchon, etwas aus der Fassung gebracht.

»Mich?« fragte Rose, immer röter werdend und mit Achselzucken.

»Nein, die gnädige Frau Marcelle«, versetzte die Kleine.

Marcelle wandte sich nach der Türe, welche die kleine Fanchon weit offen hielt, um einen Pächterknecht eintreten zu lassen, der einen Koffer trug und dem der große Louis folgte, welcher einen noch weit größeren trug, den er mit vieler Sorgfalt auf den Boden setzte.

»Ihre Aufträge sind alle ausgerichtet«, sagte er, einen Sack voll Taler auf die Kommode legend.

Hierauf warf er, ohne die Dankbezeugungen Marcelles abzuwarten, einen Blick auf das Bett, welches sie verlassen und worin noch der kleine Eduard schlief, schön wie ein Engel anzusehen. Angetrieben von seiner Vorliebe für die Kinder und besonders für dieses, welches unwiderstehliche Reize besaß, näherte sich der große Louis dem Bett, um den Knaben näher zu betrachten, und Eduard, der gerade die Augen auftat, streckte ihm die Arme entgegen und begrüßte ihn mit dem Namen Radschaufel, womit er ihn hartnäckig beehrte.

»Sehen Sie, was für ein gutes Aussehen er schon gekriegt hat, seit er in unser Land gekommen!« sagte der Müller, indem er eine der kleinen Hände des Kindes ergriff, um sie zu küssen.

Allein ein lautes Rauschen der Bettvorhänge hinter seinem Rücken machte, dass er sich umkehrte, und so erblickte er den hübschen Arm Roses, welche beschämt und gereizt durch dieses Eindringen in ihr Gemach, sich laut schreiend hinter den Bettvorhängen verbarg. Der große Louis, welcher nicht wusste, dass Rose ihr Zimmer mit Marcelle geteilt hatte, und nicht erwartet hatte, sie hier anzutreffen, blieb erschrocken, reuvoll und beschämt stehen, ohne dennoch seine Augen von dieser weißen Hand abwenden zu können, welche die Fransen der Vorhänge zuhielt.

Marcelle bemerkte sogleich die Unschicklichkeit, welche sie hatte geschehen lassen, und warf sich ihre aristokratischen Gewohnheiten vor, welche sich ihrer in diesem Augenblick wider Wissen bemächtigt hatten. Gewohnt, einen Lastträger nicht als einen Mann zu betrachten, hatte sie nicht daran gedacht, Roses Zimmer gegen den Knecht und den Müller, welche ihre Sachen brachten, zu verteidigen. Auch ihrerseits beschämt und reuvoll, sagte sie dem versteinert dastehenden Müller, er solle sich so schnell als möglich zurückziehen, als Frau Bricolin mit gesträubten Haaren auf der Schwelle des Gemachs erschien und, stumm vor Schrecken, ihren Todfeind, den Müller, verwirrt zwischen den Betten der beiden jungen Frauen stehen sah. Sie sagte kein Wort und eilte so rasch hinweg, wie ein Mensch, der einen Räuber in seinem Hause bemerkt und Hilfe herbeiholt.

Sie suchte in der Tat Herrn Bricolin auf, der eben zum dritten Mal in der Küche seinen Morgentrost zu sich nahm, d. h, seine dritte Flasche weißen Weines.

»Herr Bricolin«, keuchte sie mit erstickter Stimme, »komm’ schnell! Schnell! Hörst du?«

»Was gibt es denn?« versetzte der Pächter, der sich in dem, was er seine Erfrischung nannte, nicht gerne stören ließ. »Brennt es im Hause?«

»Komm’, sag’ ich dir, komm’, um zu sehen, was in deinem Hause vorgeht!« erwiderte die Pächterin, welche vor Zorn fast kein Wort hervorbrachte.

»Ei, meiner Treu«, meinte Bricolin, an die Tobsucht seiner Hälfte längst gewöhnt, »wenn man sich über etwas ärgern muss, so kannst du es allein abmachen, dessen bin ich gewiss.«

Als Frau Bricolin sah, dass er sich nicht von der Stelle rührte, näherte sie sich ihm und sagte mit einer Gebärde, als wollte sie ersticken, denn die Wut würgte sie in der Tat, zu ihm, jedoch so leise, dass die ab und zu gehenden Dienstboten es nicht hören konnten:

»Du willst dich nicht stören lassen? Ich sage dir aber, dass dein Bauer von Müller in Roses Kammer ist, während sie noch im Bette liegt.«

»Was? Das ist unschicklich, sehr unschicklich«, erwiderte Herr Bricolin aufstehend, »und ich will ein Wort mit ihm reden. Aber keinen Lärm, Frau hörst du? Um der Kleinen willen!«

»Geh’ doch, und mache nur du keinen Lärm! Ach, du wirst mir jetzt, hoff’ ich, glauben und ihn wie einen ungezogenen und schamlosen Kerl, der er ist, behandeln!«

In dem Augenblick, wo Herr Bricolin aus der Küche treten wollte, fand er sich dem großen Louis gegenüber.

»Meiner Treu, Herr Bricolin«, sagte der Müller mit überzeugend reiner Miene, »Sie sehen mich äußerst betroffen über die Unverschämtheit, welche ich Ihrem Hause angetan.«

Und hiemit erzählte er einfach und naiv den Hergang der Sache.

»Du siehst wohl, er hat es nicht absichtlich getan«, sagte Herr Bricolin, zu seiner Frau gewendet.

»Nimmst du die Sache so?« schrie die Pächterin, ihrer Wut freien Lauf lassend.

Dann schlug sie die beiden Türen der Küche heftig zu, stellte sich zwischen den Müller und Herrn Bricolin, welcher diesen schon zu seinem Morgentrost eingeladen und schrie:

»Nein, Herr Bricolin, ich begreife deine Einfältigkeit nicht! Siehst du nicht, dass dieser Taugenichts mit unserer Tochter Händel hat, wie sie nur für Leute seiner Gattung sich schicken und welche wir nicht länger dulden können? So muss denn ich mich damit befassen, ihm zu sagen, ich, und ihn zu bedeuten…«

»Bedeute ihn noch nicht, Frau Bricolin!« fiel ihr der Pächter, nun auch seinerseits die Stimme erhebend, ins Wort. »Ei, wenn man nach deiner Pfeife tanzen wollte, würde man wohl seine Hosen mit Stecknadeln befestigen müssen, während du Hosenträger an deinen Unterrock machtest. Wart’ mal und mach’ mir nicht schon am Morgen den Kopf warm! Ich weiß recht gut, was ich diesem Burschen da zu sagen habe, und will nicht, dass sich jemand drein mische. Marsch, Frau, sage der Chounette, sie solle uns eine Halbe frischen Weines bringen, und dann geh’ und sieh nach deinen Hühnern!«

Frau Bricolin wollte etwas entgegnen, allein ihr Gatte griff nach einem mächtigen Stock von Stechpalmholz, welcher immer an seinem Sitze lehnte, wenn er dem Trinken oblag, und begann, damit im Takt auf den Tisch zu schlagen.

Das Geräusch betäubte die Stimme der Frau Bricolin, so dass sie sich genötigt sah, das Gemach zu verlassen, und die Türe krachend hinter sich zuschlug.

»Was steht zu Ihren Diensten, Meister?« fragte die Chounette, von dem Getöse herbeigerufen. Herr Bricolin ergriff majestätisch die leere Kanne und reichte sie der Magd, indem er die Augen furchtbar rollte, eine Gebärde, welche bewirkte, dass die dicke Chounette leichter als ein Vogel, den stummen Befehl des Potentaten von Blanchemont ausführte.

»Mein armer, großer Louis«, sagte der dicke Mann, als der Wein in den Gläsern perlte, »du musst wissen, dass meine Frau dir wütend aufsässig ist. Sie möchte dich gerne tot wissen und ohne meine Dazwischenkunft hätte sie dich aus dem Hause geworfen. Aber wir sind alte Freunde, wir brauchen einander und werden uns nicht so in die Haare geraten. Du wirst mir die Wahrheit sagen. Ich bin gewiss, dass meine Frau sich täuscht. Alle Weiber sind einfältig oder verrückt, was willst du? Lass’ sehen, kannst du mir auf dein gutes Gewissen die Hand geben?«

»Reden Sie! Reden Sie!« entgegnete der große Louis, indem er sich bemühte, sorglos und ruhig auszusehen, obgleich er es in diesem Augenblick keineswegs war.

»Nun wohl, ich liebe die Umwege nicht, ich«, fuhr der Pächter fort. »Bist du der Liebhaber meiner Tochter oder bist du es nicht?«

»Das ist eine drollige Frage«, versetzte der Müller, »was soll man darauf antworten? Sagt man ja, so hat es den Anschein, als wollte man Ihnen Trotz bieten, sagt man nein, so beleidigt man Jungfer Rose; denn sie verdient es ebenso sehr, dass man sie lieb habe, als Sie, dass man Sie achte.«

»Du spaßest! Das ist ein gutes Zeichen und ich sehe wohl, dass du keineswegs der Liebhaber des Mädchens bist.«

»Warten Sie, warten Sie!« entgegnete der große Louis; »das habe ich nicht gesagt. Ich sage im Gegenteil, dass sich jedermann in sie verlieben muss, weil sie schön ist, wie der Tag, weil sie vollkommen Ihr Abbild ist, endlich, weil alle, welche sie sehen, Alte oder Junge, Reiche und Arme, etwas für sie empfinden, ohne recht zu wissen, ob dies das Vergnügen, sie zu lieben, ober der Verdruss sei, es nicht zu dürfen.«

»Er hat für dreißigtausend Männer Verstand!« sagte der Pächter, sich mit einem so heftigen Gelächter in seinen Stuhl zurückwerfend, dass ihm die Weste über seinem gewaltigen Bauch aufsprang. »Der Donner soll mich erschlagen, wenn ich nicht wollte, du hättest hunderttausend Taler! Ich würde dir meine Tochter vor allen andern geben!«

 

»Ich glaube es wohl, aber da ich die hunderttausend Taler nicht habe, werden Sie sie mir nicht geben, nicht wahr?«

»Nein, Gott’s Donner zerkeile mich! Aber ich bedaure es und das kann dir meine Freundschaft bezeugen.«

»Großen Dank, Sie sind sehr gütig.«

»Ah, siehst du, mein Rabenaas von Weib hat sich in den Kopf gesetzt, du wolltest der Rose etwas weismachen.«

»Ich?« versetzte der Müller, diesmal mit der Betonung der Wahrheit; »nie habe ich ihr ein Wort gesagt, welches Sie nicht hätten mit anhören dürfen.«

»Dessen bin ich gewiss. Du bist zu gescheit, um nicht einzusehen, dass du nicht an meine Tochter denken kannst und dass ich sie nicht einem Mann wie du geben kann. Nicht dass ich dich verachtete, ich bin nicht stolz, ich weiß, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Auch habe ich nicht vergessen, dass ich von Bauern abstamme und dass mein Vater, als er anfing, sein Vermögen zu erwerben, welches er, wie du weißt, auf so unglückliche Weise verloren hat, kein viel größerer Herr war, als du, denn er war ebenfalls Müller. Allein heutzutage, Alterle, ist das Geld alles in allem, und da ich Geld habe und du keines hast, so können wir das bewusste Geschäft nicht mitsammen machen.«

»Das ist klar und folgerichtig«, versetzte der Müller mit bitterer Lustigkeit, »es ist gerecht, vernünftig, billig und heilsam, wie es in der Präfation15 des Herrn Pfarrers heißt.«

»Blitz! Hör’ doch, großer Louis, jeder handelt, wie es ihm zukommt. Du, der du für einen Bauern reich bist, würdest doch nicht die kleine Fanchon, deine Magd, heiraten, wenn sie sich in dich verliebte?«

»Nein, aber wenn ich mich in sie verliebte, so wäre es anders.«

»Willst du damit sagen, Hanswurst, dass meine Tochter sich in dich verlieben könnte?«

»Ich sollte das gesagt haben? Wie doch?«

»Ich sage nicht, dass du es gesagt hättest, allein meine Frau behauptet, du wärest leicht imstande, es zu sagen, wenn man dich in unserem Hause so vertraulich behandelte.«

»Ei, Herr Bricolin«, entgegnete der große Louis, welcher anfing, die Geduld zu verlieren und die Form seiner Abweisung schon brutal genug fand, ohne dass man damit noch Beschimpfung zu verbinden brauchte, »haben Sie mir diese fünf Minuten her alles das gesagt, um sich lustig zu machen, oder sprechen Sie im Ernste? Ich habe bei Ihnen nicht um Ihre Tochter angehalten und sehe also nicht ein, warum Sie sich die Mühe geben, sie mir abzuschlagen. Ich bin nicht der Mann, ohne Achtung von dem Mädchen zu sprechen, und ich kann also nicht absehen, warum Sie die übeln Absichten der Frau Bricolin auf meine Rechnung setzen. Wenn das geschieht, um mich gehen zu heißen, so bin ich bereit dazu; wenn es geschieht, um mir Ihre Kundschaft aufzukündigen, so habe ich nichts dagegen, es bleiben mir noch andere. Aber sprechen Sie offen und trennen wir uns wie Ehrenmänner, denn ich gestehe Ihnen, dass Ihr Benehmen den Eindruck einer Händelsucherei auf mich macht, als ob man mich eines Unrechts überweisen wollte, um das seinige zu verbergen.«

Mit den Worten war der große Louis aufgestanden und machte Miene fortzugehen. Es war aber nicht nach dem Geschmack und Interesse Herrn Bricolins, sich mit ihm zu überwerfen.

»Was sagst du, großer Tölpel!« sagte er in freundschaftlichem Tone zu ihm, indem er ihn nötigte, wieder Platz zu nehmen. »Bist du verrückt? Was für eine Mücke hat dich gestochen? Sprach ich denn im Ernst? Gebe ich denn etwas auf die Dummheiten meiner Frau? Eine surrende Wespe und ein störrisches, widersprecherisches Weib ist ein und dasselbe. Leeren wir unsere Kanne und bleiben wir Freunde, glaub’ mir, großer Louis! Meine Kundschaft ist gut und ich muss mich loben, sie dir gegeben zu haben. Wir können uns gegenseitig manchen kleinen Dienst erweisen und es wäre also einfältig, wenn wir um nichts und wieder nichts Händel kriegten. Ich sehe, dass du ein verständiger und gescheiter Bursche bist und dass du meiner Tochter nichts vormachen wirst. Zudem habe ich eine zu gute Meinung von ihr, um nicht zu wissen, dass sie dich garstig abfahren lassen würde, wenn du den Respekt vor ihr einmal beiseitesetzen wolltest, also…«

»Also, also!« rief der große Louis aus, in leichtbegreiflicher Zornesaufwallung auf den Tisch schlagend, »all’ dieses Gerede ist, überflüssig und wird langweilig, Herr Bricolin. Zum Teufel mit Ihrer Kundschaft, mit Ihren kleinen Diensten und meinem Interesse, wenn ich dafür bloß hören muss, dass man mich für fähig hält, Ihrer Tochter gegenüber den Respekt zu vergessen, und dass es ihr eines Tages einfallen könnte, mich auf meinen Platz zurückzuweisen. Ich bin nur ein Bauer, aber ich bin ebenso stolz, wie Sie, Herr Bricolin, so es Ihnen gefällig ist, und wenn Sie keine artigere Manier ausfindig machen können, sich mir zu erklären, so lassen Sie mich Ihnen einen guten Tag wünschen und mich an meine Geschäfte gehen.«

Herr Bricolin hatte große Mühe, den großen Louis zu beruhigen, welcher sehr entrüstet war, nicht so fast über den Argwohn der Pächterin, welcher, wie er fühlte, in einem gewissen Sinn begründet war, auch nicht über die plumpe Ausdrucksweise des Pächters, an welche er schon gewöhnt war, wohl aber über die Grausamkeit, womit Herr Bricolin, ohne es zu wissen, die frische Wunde seines Herzens bluten machte. Endlich, nachdem ihm der Pächter, welcher seine Gründe hatte, sich friedfertig zu erweisen und die Befürchtungen seiner Frau wenigstens für den Augenblick nicht zu beachten, eine förmliche Ehrenerklärung gemacht, ließ er sich besänftigen.

»Ei«, nahm der Pächter wieder das Wort, dem Müller Brot und Käse hinschiebend und ihn einladend, eine neue Kanne von seinem bleichroten Wein anzustechen, »du stehst also in dicker Freundschaft mit unserer jungen Dame?«

»In dicker Freundschaft!« versetzte der Müller mit einem Rest von guter Laune und der Nötigungen seines Wirtes ungeachtet das Trinken verweigernd; »das ist gerade so vernünftig, wie wenn Sie mich zeihen, Ihrer Tochter von Liebe vorzuschwatzen.«

»Meiner Treu, wenn das Wort unschicklich ist, so habe ich es nicht erfunden. Sie hat es uns selbst wiederholt gesagt – und das machte meine Thibaude gerade so wütig – dass sie sehr viel auf dich halte. Blitz! Du bist ein hübscher Bursche, großer Louis, das ist allbekannt, und man sagt, die vornehmen Damen.... Nun, ärgert das dich auch?«

»Meiner Ansicht nach haben Sie heute Morgen eine Kanne zu viel im Kopf, Herr Bricolin!« erwiderte der Müller, blass vor Entrüstung, obschon ihm der Zynismus des Pächters sonst keinen Widerwillen eingeflößt hatte.

»Und du«, meinte Herr Bricolin, »du hast, glaub’ ich, heute Morgen deine Müllerschaufel verschlungen, denn du bist niedergeschlagen und wunderlich, wie ein Wassertrinker. Man darf also in deiner Gegenwart nicht mehr lachen? Das ist etwas Neues. Aber lass’ gut sein, wir wollen ernsthaft sprechen, da du es verlangst. So viel ist gewiss, dass du auf die ein oder die andere Weise die Achtung und das Vertrauen der jungen Dame erworben hast, und dass sie dir Aufträge gibt, ohne jemandem etwas davon zu sagen.«

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.«

»Wart’, du gehst für sie nach *** und bringst ihr ihre Sachen und ihr Geld zurück, denn die Chounette hat dich ihr einen großen Sack voll Taler übergeben sehen. Du besorgst also ihre Geschäfte.«

»Wie Sie wollen; ich weiß, dass ich die meinigen besorge und dass ich ihr bei dieser Gelegenheit ihre Koffer und ihren Geldbeutel, die sie in dem Gasthof in Verwahrung gelassen, mit hieher nahm. Wenn das ihre Geschäfte besorgen heißt, so will ich’s wohl tun.«

»Was enthielt der Sack? War es Gold oder Silber.«

»Weiß ich das? Ich habe nicht nachgesehen.«

»Das hätte dich aber nichts gekostet und wäre kein Unrecht gewesen.«

»Nun, Sie hätten mir sagen sollen, dass es Sie interessiere. Ich konnte es nicht erraten.«

»Hör’, großer Louis, mein Knabe, sei offenherzig! Die Dame hat über ihre Angelegenheiten mit dir gesprochen?«

»Wo nehmen Sie das her?«

»Ich nehme es von daher«, antwortete der Pächter den Zeigefinger an seine schmale und gebräunte Stirne, legend. »Ich wittere Vertrauen oder Misstrauen in der Luft. Die Dame scheint mir zu misstrauen und dich um Rat zu fragen.«

»Und wenn es so wäre?« fragte der große Louis, den Pächter fest anblickend, halb und halb in der Absicht, ihm Trotz zu bieten.

»Wenn es so wäre, großer Louis, so denke ich, du würdest mir nicht entgegen sein.«

13Die Frauen auf dem Lande nennen ihren Mann, einem alten Gebrauche zufolge: Meister. A. d. Ü.
14Es braucht kaum angemerkt zu werden, dass hier von der sog. Schreckenszeit der französischen Revolution die Rede ist. A. d. Ü.
15Die Präfation ist der Gesang des Priesters vor der Wandlung im Messopfer, A. d. Ü.

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