Kostenlos

Der Müller von Angibault

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Ihr Rat ist gut, großer Louis, und ich war sicher, dass Sie mich keinen dummen Streich machen lassen würden. Ich habe jetzt den Mut, auf Ihre verständige Meinung zu hören, wie ich närrisch genug war, mich bei unserer ersten Begegnung über ihr Wohlwollen zu erzürnen. Ich werde mit Ihnen plaudern, bis wir bei Ihrer Mühle angekommen sein werden. Dann will ich nach *** zurückkehren und von dort aus morgigen Tages meine Reise fortsetzen.«

»Ei, ei, Sie fallen von einem Extrem ins andere«, versetzte der Müller, der während seines Gespräches mit Lemor die sanfte Sophie fortwährend angetrieben hatte. »Angibault liegt eine Meile von Blanchemont ab und Sie können die Nacht ganz gut bei mir zubringen, ohne irgendjemand zu kompromittieren. Es befindet sich heut’ Abend kein Weibsbild in der Mühle, außer meiner Mutter, und diese wird nichts ausplaudern. Sie haben bis hieher einen artigen Spaziergang gemacht und ich müsste ein recht herz- und seelenloser Kerl sein, wenn ich Sie nicht nötigte, eine Nachtherberge und ein frugales Abendbrot, wie unser Herr Pfarrer sagt, der übrigens kein Freund vom Frugalen ist, bei mir anzunehmen. Und überdies, müssen Sie denn nicht schreiben? Sie finden bei uns alles, was man dazu bedarf… freilich ein so feines Briefpapier nicht. Ich bin Adjunkt11 meiner Gemeinde und schreibe meine Protokolle nicht auf Velinpapier, allein wenn Sie Ihre verliebte Prosa auch auf Stempelpapier schreiben, so wird man sie deswegen doch eher zweimal als gar nicht lesen. Kommen Sie, sage ich, ich sehe schon den Rauch meines Herdes aus den Bäumen aufsteigen und wir wollen Sophie in Trott bringen, denn ich wette, meine Mutter hat Hunger und will doch ohne mich nicht essen, weil ich ihr versprochen habe, bei guter Zeit heimzukommen.«

Heinrich war außerordentlich begierig, das Anerbieten des Müllers anzunehmen, weil er aber nicht begierig scheinen wollte, ließ er sich bitten, denn Liebende verstellen sich ebenso gern wie Kinder. Er hatte zwar auf den Wahnsinn, nach Blanchemont zu gehen, verzichtet, allein er fühlte sich durch einen unwiderstehlichen Reiz in dieser Richtung fortgehen und jeder Schritt Sophies, welcher ihn dem Sitz des Magnets näher brachte, machte sein Herz, unlängst noch gebrochen durch einen seine Stärke übersteigenden Kampf, vor Freude höher schlagen. Lemor gab also der gastlichen Zudringlichkeit des Müllers nach.

»Mutter«, sagte dieser zu der großen Marie, indem er von seinem Karren sprang, »habe ich Euch nicht Wort gehalten? Wenn die Uhr des guten Gottes nicht falsch geht, so weisen die Sterne des Kreuzes ob dem Wege des heiligen Jakob12 auf die zehnte Abendstunde hin.«

»Es ist nicht später«, erwiderte die gute Frau, »und bloß eine Stunde später als du mir gesagt hattest. Aber ich bin dir darum nicht böse, denn ich sehe, dass du Aufträge für unsere liebe Dame auszurichten hattest. Willst du alles das noch heute Abend nach Blanchemont bringen?«

»Meiner Treu’, nein, es ist viel zu spät. Die gnädige Frau Marcelle hat mir gesagt, es sei morgen so gut wie heute und überdies, kann man denn nach zehn Uhr noch in das neue Schloss kommen? Haben sie denn nicht die hohe Hofmauer ausbessern lassen und das große Tor mit eisernen Stangen verwahrt? Sie sind, hol’ mich der Teufel, imstande, über ihrem wasserlosen Graben eine Zugbrücke anzubringen. Herr Bricolin betrachtet sich schon als den Baron von Blanchemont, wird bald ein Wappen auf seinem Kaminmantel anbringen lassen und sich Herr von Bricolin nennen.... Aber schaut, Mutter, ich bringe Euch Gesellschaft. Erkennt Ihr diesen Burschen?«

»Ei, das ist ja der Herr vom vorigen Monat!« erwiderte die große Marie, »der Nämliche, den wir für einen Geschäftsträger der Frau von Blanchemont hielten. Aber sie scheint ihn nicht zu kennen.«

»Nein, nein, sie kennt ihn gar nicht und er ist kein Geschäftsmann, sondern vom Katasterbüro, mit neuen Vermessungen beauftragt. Kommt, Geometer, sonst wird das Essen kalt.«

»Sagen Sie mir, Herr«, nahm die Müllerin das Wort, als der erste Gang, d. h. die Rübensuppe abgefertigt war, »haben Sie Ihren Namen auf einem unserer Bäume am Bach geschrieben?«

»Ja«, versetzte Heinrich, »und ich bitte Sie um Verzeihung, wenn dieser schülerhafte Einfall vielleicht der jungen Weide Schaden getan.«

»Mit Erlaubnis«, warf der Müller ein, »es ist eine Weißpappel. Sie sind ein rechter Pariser und können ohne Zweifel den Hanf nicht von der Kartoffel unterscheiden. Aber das tut nichts. Unsere Bäume spotten Ihres Federmessers und meine Mutter fragte Sie nur, um zu schwatzen.«

»O, ich würde Ihnen um eines Bäumchens willen gewiss keinen Vorwurf machen, wir haben deren genug hier«, sagte die Müllerin, »aber ich fragte Sie, weil unsere junge Dame sich sehr darüber beunruhigte, wer wohl den Namen eingeschnitten haben möchte, und weil ihr Kleiner denselben ganz allein lesen konnte, ja, Herr, ein Kind von vier Jahren konnte lesen, was ich nie in einem Briefe hätte lesen können.«

»Sie war also hier?« fragte Lemor unbesonnen.

»Was geht das Sie an, da Sie sie nicht kennen?« meinte der große Louis, indem er Heinrich tüchtig mit dem Knie anstieß, um ihn aufmerksam zu machen, dass er sich verstellen müsse, absonderlich in Gegenwart des mit bei Tische sitzenden Müllerburschen. Lemor war ihm für den, wenn auch etwas derben, Wink dankbar und öffnete, um sich nicht noch einmal zu vergessen, den Mund nur noch, um zu essen.

Als man sich für die Nachtzeit, wie sich die Müllerin ausdrückte, trennte, bat Lemor, welcher mit dem Müller dessen kleine, dem Tor der Mühle gegen überliegende Kammer teilen sollte, den großen Louis, ihn noch nicht einzuschließen, sondern ihm noch einen viertelstündigen Spaziergang am Ufer der Vauvre zu gestatten.

»Bei Gott, ich will Sie hinführen«, sagte Louis, welchen der Roman seines neuen Freundes um der Ähnlichkeit mit dem seinigen willen sehr interessierte, »ich möchte bei Ihren Träumereien zugegen sein und bin noch nicht so schlaflustig, dass ich nicht einen Gang im Mondschein mit Ihnen machen könnte; denn dort kommt gerade der Mond ins Tal hereingegangen, um sich im Wasser zu spiegeln. Kommen Sie, Pariser, damit Sie sehen, wie hell und prächtig er auf den Fluten der Vauvre liegt, und Sie werden mir dann sagen, ob Sie zu Paris auch so einen schönen Mond und so einen schönen Fluss haben. Sehen Sie«, fuhr er fort, als sie bei dem Baume angekommen, wo sie innegehalten, um den Namen zu lesen, »so lehnte sie sich an den Zaun und machte Augen … ich sag’ Ihnen, ich könnte keine solche Augen machen, wenn ich die meinigen auch zwei Stunden lang aufreißen würde. Ei, Sie wussten also, dass sie hieherkommen würde, da Sie Ihr Handzeichen hier ließen?«

»Es ist sonderbar, dass ich es nicht wusste und dass ich bloß durch Zufall, durch einen kindischen Einfall dazu kam, meine Anwesenheit an diesem schönen Orte zu bezeichnen, welchen ich nie wieder zu sehen glaubte. Ich hörte schon in Paris davon flüstern, dass sie ihr Vermögen verloren hatte. Ich hoffte, es werde so sein, und kam hieher, um zu erfahren, woran ich mich zu halten hätte. Als ich aber erfuhr, dass sie für mich noch immer viel zu reich sei, dachte ich nur noch daran, ihr Lebewohl zu sagen.«

»Sehen Sie, es gibt einen Gott für die Liebenden, denn sonst wären Sie gewiss nicht hieher zurückgekommen. Die Miene, mit welcher mich die gnädige Frau Marcelle nach dem jungen Reisenden fragte, welcher seinen Namen hier eingegraben, ließ mich plötzlich erraten, dass sie liebe und dass ihr Geliebter Heinrich hieße. Dies war hinlänglich für mich, um das Übrige zu erraten, denn man hat mir nichts gesagt, ich habe alles erraten und muss mich dessen sowohl anklagen als auch rühmen.«

»Wie? Man hat Ihnen nichts anvertraut und ich habe alles verraten? Der Wille Gottes geschehe! Ich erkenne in alledem seine Hand und will mich nicht mehr des unbedingten Vertrauens erwehren, welches Sie mir einflößen.«

»Ich wollte, ich könnte auch so sagen«, erwiderte der große Louis, Heinrich bei der Hand fassend, »denn, der Teufel zerreiße mich, wenn ich Sie nicht lieb habe. Aber dennoch beunruhigt mich noch immer etwas.«

»Wie können Sie mir noch misstrauen, da ich bloß in das schwarze Tal zurückgekommen, um die nämliche Luft zu atmen, welche sie atmet, jetzt, da ich weiß, dass sie arm ist?«

»Aber könnten Sie nicht diesen Morgen, während ich Sie suchte, bei Agenten und Notaren umhergelaufen sein und dort erfahren haben, dass sie noch ziemlich reich ist?«

»Was sagen Sie? Sollte es wahr sein?« rief Lemor mit schmerzlicher Betonung aus. »Spielen Sie nicht also mit mir, Freund! Sie zeihen mich ja so lächerlicher Dinge, dass ich an keine Rechtfertigung denken sollte. Aber ich kann mich mit ein paar Worten rechtfertigen. Wenn Frau von Blanchemont noch reich ist, wenn sie ihre Liebe einem Proletarier, wie ich einer bin, schenken will, so muss ich sie auf immer verlassen. O, wenn es so ist, so lassen Sie mich es noch nicht wissen, lassen Sie mich, in des Himmels Namen! den glücklichen Traum weiterträumen bis morgen, bis ich dieses Land auf ein Jahr oder für immer verlasse!«

 

»Ei, Freund, Sie kommen mir etwas verrückt vor«, rief der Müller aus, »ja, und in diesem Augenblicke so überspannt, dass ich fast glauben möchte, Sie verstellten sich, um mich zu täuschen.«

»Sind Sie denn nicht gesinnt, wie ich, Sie? Hassen Sie denn nicht auch den Reichtum?«

»Nein, bei Gott, um seiner selbst willen hasse ich ihn weder, noch liebe ich ihn, wohl aber rücksichtlich des Guten oder Bösen, was er mir antun kann. Ich verabscheue z. B. die Taler des Vaters Bricolin, weil sie mich verhindern, seine Tochter zu heiraten … ach, zum Teufel! Ich lasse mir Namen entschlüpfen, die ich auch besser bei mir behalten hätte! … Doch ich kenne ja Ihre Umstände, und Sie dürfen also die meinigen immerhin ebenfalls kennen. Ich wollte sagen, dass ich diese Taler verabscheue, aber ich wollte, es fielen mir dreißig- oder vierzigtausend Francs vom Himmel, die mich in den Stand setzten, Rose zu freien.«

»Ich denke nicht wie Sie. Wenn ich eine Million besäße, ich wollte sie nicht behalten.«

»Sie würden also dieselbe lieber ins Wasser werfen, als vermittelst ihrer Ihnen einen Titel verschaffen, welcher die Ungleichheit zwischen Ihnen und ihr abgliche? Sie sind doch ein ganzer Narr!«

»Ich glaube, ich würde sie unter die Armen verteilen, wie es die kommunistischen Christen der ersten Zeiten gemacht haben, nur um mich davon zu befreien, obwohl ich weiß, dass ich damit nicht einmal ein wirklich gutes Werk täte. Denn indem jene ersten Jünger der Gleichheit ihre Güter hingaben, gründeten sie eine Gesellschaft und brachten den Unglücklichen eine Gesetzgebung, welche zugleich eine Religion war. Dieses Geld nährte also zu gleicher Zeit die Seele und den Leib, die Güterteilung war eine Lehre und gewann Anhänger. Heutzutage ist das ganz anders. Man hat wohl die Idee einer heiligen Gemeinschaft, aber man kennt die Gesetze derselben noch nicht. Man kann die kleine Welt der ersten Christen nicht wiederherstellen, man fühlt, dass hiezu das System mangle. Es fehlt, und überdies wären die Menschen nicht geneigt, sich demselben zu unterwerfen. Das Geld, welches man unter eine Hand voll Armer austeilte, würde bloß Egoismus und Faulheit unter ihnen erzeugen, wenn man ihnen nicht zugleich die Pflichten der Assoziation begreiflich machen könnte. Und auf der einen Seite – ich wiederhole es Ihnen, mein Freund – fehlt es ebenso sehr an hervorragenden Geistern, welche die Einweihung vollbringen könnten, wie auf der andern an Vertrauen, Sympathie und Begeisterung unter den Eingeweihten. Als mir daher Marcelle – auch ich wage sie jetzt bei Namen zu nennen, da Sie ja auch Rose bei Namen genannt – vorschlug, es wie die Apostel zu machen und ihre Reichtümer, welche mir Schrecken einflößten, den Armen zu geben, schrak ich vor einem Opfer zurück, welches wirklich für den Fortschritt der Menschheit fruchtbar zu machen, mir das Wissen und das Genie fehlte. Um Reichtümer zu besitzen und dieselben so nützlich zu machen, wie ich es haben möchte, muss man nicht nur ein Mann von Herz, sondern auch ein Mann von Genie sein. Das bin ich nicht und wenn ich bedachte, in welche abscheulichen Laster, in welchen entsetzlichen Egoismus der Reichtum seine Besitzer versenkt, fühlte ich mich von Schrecken erfasst. Darum danke ich Gott, dass ich mich, der ebenfalls viel Geld erben musste, arm gemacht und legte den Schwur ab, nie etwas zu besitzen, außer meinen Wochenlohn.«

»Sie danken also Gott, dass er Sie einzig allein durch seine Gnade weise gemacht hat und ziehen Vorteil aus dem Zufall, der Sie vor dem Bösen bewahrte? Das ist eine leichte Tugend und sie setzt mich durchaus nicht so in Verwunderung als Sie vielleicht glauben. Ich begreife jetzt, warum die gnädige Frau Marcelle den Verlust ihres Vermögens mit solcher Gelassenheit ertrug. Sie haben ihr all dieses Zeug in den Kopf gesetzt. Das ist hübsch, aber von keiner Bedeutung. Es gibt also Leute, die sprechen: wenn ich reich wäre, so wäre ich schlecht; ich bin entzückt, es nicht zu sein? Das ist die Geschichte meiner Großmutter, welche zu sagen pflegte: Ich esse nicht gern Aal, und bin darüber sehr erfreut, denn wenn ich ihn liebte, würde ich ihn essen. Lass’ sehen, warum sollten Sie nicht reich und edelmütig zugleich sein können? Ei, wenn Sie auch sonst nichts Gutes tun könnten, als Brot an die Armen zu verteilen, welche in Ihrer Umgebung daran Mangel leiden, so wäre das schon etwas, und der Reichtum wäre in Ihren Händen besser aufgehoben, als in denen der Geizhälse. O, ich weiß wohl, wo’s Ihnen fehlt! Ich vergebe es, ich bin nicht so dumm, wie Sie glauben; ich habe von Zeit zu Zeit Zeitungen und Flugschriften gelesen, aus welchen ich entnahm, was außerhalb unserer Gegend, wo sich in der Tat nichts Neues ereignet, vorgeht. Ich sehe, Sie sind ein Systemmacher, ein Ökonom, ein Gelehrter!«

»Nein. Es ist vielleicht ein Unglück, aber ich verstehe von der Rechenkunst weniger als jeder andere, und weiß nichts von der Staatswirtschaft, wie sie dermalen gang und gäbe ist. Das ist weiter nichts als ein lastervoller Kreis und ich begreife nicht, wie man sich in demselben umtreiben mag.«

»Sie haben also eine Wissenschaft, ohne welche Sie nichts Neues versuchen können, nicht studiert? In diesem Falle sind Sie ein Faulenzer.«

»Nein, aber ein Träumer.«

»Ich verstehe, Sie sind, was man einen Dichter heißt.«

»Ich habe nie einen Vers gemacht und dermalen bin ich Handwerker. Sie müssen mit mir nicht so hoch hinauswollen. Ich bin ein Kind, ein liebendes Kind, und mein einziges Verdienst ist, dass ich ein Handwerk erlernt habe und dasselbe ausüben will.«

»Gut, verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt, wie ich es auch mache, und kümmern Sie sich nicht um den Lauf der Welt, welchen Sie doch nicht ändern können.«

»Welche Schlussfolgerung, mein Freund! Ich setze den Fall, Sie sähen einen Nachen mit einer Familie auf diesem Flusse untergehen, während Sie an diesen Baum gefesselt wären und ihr nicht beispringen könnten. Würden Sie den Untergang der Familie gleichgültig mit ansehen können?«

»Nein, Herr, ich würde den Baum zerbrechen, und wäre er auch zehnmal stärker. Ich hätte so guten Willen, dass Gott ein kleines Wunder für mich täte.«

»Und doch würde die Familie zugrunde gehen«, rief Lemor schmerzlich aus; »Gott tut keine Wunder mehr!«

»Ja, weil niemand mehr daran glaubt. Ich aber, ich glaube daran, ich erkläre Ihnen, da wir uns ja nichts mehr zu verbergen brauchen, dass ich im Grund meiner Seele nie ganz daran verzweifelte, Rose Bricolin heiraten zu können. Und doch ist es ein größeres Wunder, dass ihr Vater einwilligt, einen armen Schwiegersohn zu bekommen, als wenn ich ohne Axt, bloß mit Hilfe meiner Arme, den dicken Baum da fällte. Wohlan, dieses Wunder wird sich, wie, weiß ich nicht, erfüllen; ich werde fünfzigtausend Francs besitzen. Ich werde sie in der Erde finden, wenn ich meinen Kohl pflanze, oder in dem Fluss, indem ich mein Netz auswerfe, oder ich werde auf etwas kommen … eine Entdeckung machen, sagt man doch, ein Gedanke reiche hin, die Welt zu bewegen.«

»Sie werden das Mittel entdecken, die Gleichheit einer Gesellschaft anzupassen, welche nur vermöge der Ungleichheit existiert, nicht wahr?« sagte Heinrich mit einem traurigen Lächeln.

»Warum nicht, Herr?« versetzte der Müller munter und lebhaft. »Wenn ich erst reich bin, so muss ich, da ich niemals geizig und boshaft sein will, und es nie zu werden so gewiss bin, als meine Großmutter es nie dazu gebracht hat, gern Aal zu essen, weil sie es nicht vertragen könnte, plötzlich viel weiser werden denn Sie, und in meinem Kopfe das finden, was Sie in Ihren Büchern nicht fanden, nämlich das Geheimnis, nach besten Kräften gerecht zu handeln und andere mit meinem Reichtum zu beglücken. Das verwundert Sie? Und doch, mein Pariser, erkläre ich Ihnen, dass ich in der Staatswirtschaft noch weniger bewandert bin als Sie, und nicht einmal das Abc derselben verstehe. Aber was tut das, da ich den Willen und den Glauben habe? Lesen Sie das Evangelium, Herr! Ich meine Sie, der Sie so gut sprechen, hätten ein wenig vergessen, dass die ersten Apostel geringe, unwissende Leute waren, wie ich. Der gute Gott hauchte sie an und sie vermochten mehr, als alle die Schulweisen und Priester ihrer Zeit.«

»O Volk, du prophezeiest!« rief Lemor aus, den Müller an sein Herz drückend. »Für dich tut Gott wirklich Wunder, über dich gießt er aus seinen heiligen Geist! Du kennst nicht die Entmutigung, du zweifelst an nichts! Du fühlst, dass das Herz mächtiger ist denn die Wissenschaft, du fühlst deine Kraft, deine Liebe und du erharrest vertrauungsvoll die göttliche Inspiration! Darum habe ich meine Bücher verbrannt, darum wollte ich ins Volk zurückkehren, welchem meine Eltern mich entfremdet, darum will ich unter den Armen und Einfältigen den Glauben und den Eifer suchen, welcher mir unter den Reichen immer mehr und mehr verloren gegangen!«

»Ich verstehe«, sagte der Müller. »Sie sind ein Kranker, welcher Genesung sucht.«

»Ah, ich würde sie finden, wenn ich an Ihrer Seite lebte.«

»Ich werde sie Ihnen von Herzen gern geben, wenn Sie mir versprechen, dass Sie mich mit Ihrer Krankheit nicht anstecken wollen. Und um gleich einen Anfang zu machen, so reden Sie doch vernünftig und sagen Sie mir, dass Sie die gnädige Frau Marcelle heiraten werden, in welchen Vermögensumständen sich dieselbe auch befinden mag.«

»Sie rufen meine Angst wieder wach. Erst haben Sie mir gesagt, sie besäße nichts mehr, bis Sie sich wieder anders besannen und mir sagten, sie wäre noch reich.«

»Nun, so erfahren Sie die Wahrheit. Ich setzte Sie bloß auf die Probe. Die dreimalhunderttausend Francs sind noch vorhanden und sollen trotz des Vaters Bricolin Machinationen erhalten werden, wenn die gnädige Frau Marcelle meinem Rate folgt. Mit dreimal hunderttausend Francs, Kamerad, werden Sie, hoff’ ich, Gutes genug tun können, da ich mit den fünfzigtausend, die ich nicht habe, die Welt zu retten mir getraue.«

»Ich bewundere und beneide Ihre Freudigkeit«, versetzte Lemor niedergeschlagen; »aber Sie haben mein Herz tödlich verwundet. Ich bete diese Frau, diesen Engel an, und dennoch kann ich nicht der Gatte einer reichen Frau sein. Die Welt hat betreffs der Ehre Vorurteile, denen ich mich wider Willen unterziehen muss und die ich nicht abzuschütteln weiß. Ich kann das Vermögen, welches sie zweifelsohne ihrem Sohn bewahren muss und will, nicht als das meinige betrachten, und könnte also nicht daran denken, mich vermittelst meines Reichtums nützlich zu machen, ohne gegen das zu verstoßen, was man Redlichkeit nennt. Dann empfinde ich auch Skrupel, eine Frau, für welche ich eine unbegrenzte Zärtlichkeit hege, zur Dürftigkeit zu verdammen, sowie ein Kind, dessen zukünftige Unabhängigkeit ich achte. Ich würde bei ihren Entbehrungen doppelt leiden und Stunde für Stunde davor zurückschaudern, sie ein hartes Los ertragen sehen zu müssen. Ach, und dieses Kind, diese Frau gehören nicht unserer Rasse an, großer Louis, sondern dem Geschlecht der entthronten Herren der Erde, welche von ihren ehemaligen Sklaven, wie sie es gewöhnt wurden, alle Arbeit und allen Fleiß fordern. Wir würden sie unter unsern Strohdächern verschmachten und zugrunde gehen sehen. Ihre allzu schwachen Hände müssten durch die Arbeit gelähmt werben und unsere Liebe könnte sie vielleicht nicht bis zum Ausgang dieses Kampfes aufrechterhalten, welcher uns selbst noch früher vernichten würde…«

»Da erfasst Sie wieder Ihre Krankheit und macht Sie ungläubig«, fiel der große Louis dem Sprecher ins Wort. »Sie glauben selbst an die Liebe nicht mehr, Sie sehen nicht, dass sie um Ihrer willen alles ertragen und sich bei alledem glücklich fühlen würde. Wahrlich, Sie sind nicht wert, so hochherzig geliebt zu werden.«

»Ach, mein Freund, wäre sie arm geworden, gänzlich verarmt, ohne dass ich mir vorwerfen müsste, ich hätte dazu beigetragen, so sollten Sie sehen, ob es mir an Mut fehlte, sie zu erhalten.«

»Nun gut! Sie wollen arbeiten, um etwas Geld zu erwerben, wie wir alle arbeiten? Warum also das viele Geld verachten, welches sie besitzt und welches lauter erworbenes ist?«

»Dieses Geld wurde nicht durch ehrliche Arbeit erworben, es wurde geraubt.«

»Wieso?«

»Es ist das Vermächtnis der feudalen Räubereien ihrer Ahnen, deren Felder gedüngt, deren Schlösser gemauert wurden mit dem Schweiß und dem Blut des Volkes.«

»Das ist wahr. Aber das Geld bewahrt diese Befleckung nicht. Es besitzt die Eigenschaft, zu reinigen oder zu beschmutzen, je nachdem die Hand ist, welche es berührt.«

»Nein!« entgegnete Lemor mit Feuer; »es ist schmachvolles Geld und beschmutzt die Hand, welche es berührt.«

»Das ist eine Übertreibung!« sagte der Müller ruhig. »Es bleibt immer das Geld des Armen, ob es ihm auch durch Plünderung, Gewalt und Tyrannei abgepresst wurde. Soll der Arme sich enthalten, es wieder zu bekommen, weil es lange in den Händen von Räubern war? Wir wollen schlafen geh’n, mein Lieber, Sie sprechen unvernünftig. Sie sollen nicht nach Blanchemont gehen, wenigstens nicht, bevor ich sicher bin, dass Sie meiner lieben Dame keine Unverschämtheiten sagen werden. Aber, beim Herzen Gottes! Sie sollen mich nicht verlassen, ehe Sie auf Ihre … warten Sie, bis ich das Wort finde … auf Ihre Utopien Verzicht geleistet haben! Ist das das rechte Wort?«

 

»Vielleicht!« erwiderte Lemor sehr nachdenklich und von seiner Liebe getrieben, dem Einfluss seines neuen Freundes sich hinzugeben.

11Der Adjunkt ist in der französischen Gemeindeverfassung der Amtsgehilfe des Maire (Schultheißen) und entspricht in mancher Beziehung unserem Stadtschreiber. A. d. Übers.
12Die Sterne des Kreuzes sind das Sternbild des Schwans und der Weg des heil. Jakob ist die Milchstraße.