Kubinke

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»Sie müssen ihm neues Öl geben, die Welle ist janz heiß gelaufen«, meinte ein Monteur im blauen Kittel.

Ein Arbeiter mit der Blechkanne trat sehr bedächtig an das gelbe zischende Wesen heran und legte ihm sachverständig und väterlich die Hand auf den Kopf.

»Juten Tag«, sagte er freundlich, »dir is wohl schlecht jeworden?«

Und dann trat der Mann in den Kreis zurück, als ob damit seine Sendung erfüllt wäre.

Aber der Chauffeur drehte immer noch, ohne ein Wort, an einer Kurbel und das Auto ratterte und spuckte.

Ein leerer Leichenwagen schob sich im Zuckeltrab an dem Menschenhaufen, der das gelbe Automobil umstand, vorüber. »Na, Kinder«, rief der fröhliche Leichenkutscher, »soll ich vielleicht einen mitnehmen?«

»Ach wat, Männeken«, antwortete der freundliche Mann mit der Blechkanne, »legen Sie sich man rin und ick wer mer uff'n Bock setzen.«

»Na, denn ein ander Mal«, rief der fröhliche Leichenkutscher zurück, denn seine Pferde waren schon indessen ein Stückchen weiter getrabt.

Ganz vorn – gleich neben dem Chauffeur, stand ein großes blondes Dienstmädchen mit einer weißen Schürze und lutschte an einer Apfelsine, die ihr der Kolonialwarenhändler zugegeben hatte. Die Apfelsine hatte eine dicke Schale, wenig Saft und viel Kerne. Und das Mädchen vergnügte sich damit, die Kerne nach dem Briefträger zu knipsen, der neben Emil Kubinke stand, und wie das so geht, traf sie natürlich den falschen. Aber das machte ihr gerade Freude. »Na, Herr Schultze«, rief das Mädchen, »haben Se denn jarnischt mehr für mich? Sie sind auch zu schlecht zu mir; nie mehr bringen Se mer was!«

»Was kann ich'n denn dafür? Warum schreibt denn Ihr Bräutjam Ihnen jarnich mehr?«

»Warum er nich schreibt?« versetzte Fräulein Emma, in einem Ton, dem man deutlich entnehmen konnte, daß sie hiermit jeder Mythenbildung ein für alle Mal entgegentreten wollte. » Ick hab ihn abjeschrieben!«

»So, Sie haben ihn abjeschrieben?!« fragte Herr Schultze, mit einem Interesse, das schon nicht mehr als rein dienstlich zu bezeichnen war. »Warum denn?«

»Ach Jott, Herr Schultze, er war ja soweit vielleicht een janz netter Mann, und sein jutes Einkommen soll er ja auch jehabt haben, aber er war mer doch zu kleen und zu nuttig. De Leute uff de Straße haben uns ja nachjelacht, wenn wir zusammen jegangen sind.«

»Na?« fragte der Briefträger und machte sich so groß, wie es ihm bei seinen nur leicht gekrümmten Beinen irgend möglich war. »Und nu suchen Se wohl einen, der größer is?!«

»Nischt zu löten an de hölzerne Badewanne!« rief Emma und warf nach dem Briefträger eine ganze Hand voll Apfelsinenkerne, von denen auch Emil Kubinke sein Teil bekam.

» Ihr Männer, ihr taugt ja alle nischt!«

Und damit lief sie schnell übern Damm, denn sie mußte noch zu morgen früh Kaffee holen, und drüben polterten schon die Jalousien herunter.

»St, st, Emma!« rief ein Mädchen hinter ihr her, das erst eben sich herandrängte, um doch auch zu sehen, was es hier eigentlich gäbe. »St, Emma, ist der Schlächter schon bei dir jewesen, fragen?«

Emma wandte sich ganz kurz um. »Du immer mit deinen dußlichen Schlächterjesellen«, rief sie, »ick war mir doch vor den viel zu schade.« Und dann war sie auch schon drüben auf der anderen Seite.

Der Chauffeur war wieder auf seinen Sitz geklettert und drehte an dem Steuerrad, und langsam schoben sich die breiten Gummireifen vor.

»Nu mit een Mal«, meinte der freundliche Mann mit der Blechkanne, »warum denn nich jleich?«

Aber da war der helle Kasten des Autos schon fünfzig Schritt weit und ließ wieder froh und gellend seine Hupe tönen. Die Menschen zerstreuten sich langsam und unschlüssig, und nur der Briefträger machte ganz schnell, daß er nach dem Postamt herunter kam, denn er hatte sich schon verspätet.

Emil Kubinke ging zum Laden zurück.

»Na, sein Se doch nich so stolz«, sagte das Mädchen, das bis dahin scheinbar nach einer Entgegnung gesucht hatte, um sie der anderen, die doch schon längst in irgendeinem Laden verschwunden war, nachbrüllen zu können.

»Ach, – Sie sind es, Fräulein Hedwig«, meinte Emil Kubinke, und er wurde schon wieder rot, aber nicht mehr so sehr wie heute mittag, »ich habe Sie erst gar nicht erkannt.«

»Na, wie jefällt es Ihnen denn hier bei uns?« fragte Hedwig mütterlich besorgt.

»Soweit ganz gut; aber man darf ja nach einem Tag noch nichts sagen.«

»Na, können Se denn so weg – während de Geschäftszeit?« fragte Hedwig nicht nur mehr mütterlich, sondern schon mit persönlicher Anteilnahme.

»Eijentlich nich, ich hab mir bloß was geholt. Der Chef is nich da, der ist heute nachmittag Rechnungen einkassieren gegangen«, versetzte Emil Kubinke ganz harmlos.

»Au Backe!« sagte Hedwig, denn sie war nicht umsonst seit einem Jahr in dem Haus, um nicht alle Geheimnisse seiner Bewohner bis in die letzten Ecken und Winkel zu kennen. »Au Backe!« sagte Hedwig, zwinkerte mit den Augen und puffte Emil vertraulich in die Seiten. »Des sind aber scheene Rechnungen!«

Jetzt war Emil ganz rot geworden. »Ich weiß nich«, stotterte er.

»Ach, Sie werden schon wissen«, rief Hedwig und flitzte in den Hausgang, die Treppe hinunter, daß die Röcke nur so flogen. Und Emil Kubinke blieb einen Augenblick stehen und sah ihr nach, sah den weißen Hals, die Breite der Schultern und das Gliederspiel unter der prallen Bluse und den dünnen Röcken; und ohne daß er sich dessen bewußt wurde, streichelte das doch sehr angenehm seine Sinne. Und als er sich abwandte, da sagte er plötzlich halblaut, – es entfuhr ihm so, – die Worte des Herrn Tesch vor sich hin:

»Es sind wirklich sehr nette Mädchen hier im Haus.«

Und nur mühselig und unfroh kehrte Emil Kubinke in den Laden zurück, und der Anblick Hedwigs, wie sie da mit ihren Schuhen die Stufen herunterklapperte, stand immer noch vor ihm, während er doch schon wieder ganz automatisch dem letzten Kunden mit dem Messer über die dicke Schwarte fuhr. Und als auch der verschwunden war, als alles noch gesäubert und an seinen Platz gebracht war, und Herr Tesch gähnte und sich reckte und sagte, daß er müde wäre und nach oben ginge, da vermochte Emil Kubinke es doch noch nicht über sich zu gewinnen, mit hinaufzugehen. Er hatte große Sehnsucht bekommen, die weiche Luft der Abenteuer, von der er eben nur leise genippt hatte, noch einmal in vollen Zügen einzuschlürfen. Mit kühnem Wurf drapierte er seinen Autoschal um Hals und Schultern, wie der Spanier seinen Mantel, und trat hinaus auf die Straße, das Herz voll von geheimen und schönen Hoffnungen.

Aber die Straße war seltsam verändert. Sie war ruhig geworden, fast leer und hallend. Das Leben war verebbt; die Bäume dufteten stärker; alle paar Minuten einmal schob sich so eine einsame Bahn mühselig heran; die Läden waren geschlossen; ihr Licht erloschen; und die Häuser wuchsen aus der Dunkelheit, aus dem Schatten der Bäume hervor, oben in die Helle der Bogenlampen hinein. Und aus den kleinen Türchen, hier und da, neben den breiten Torwegen, huschten die Dienstmädchen einzeln, zu zweien, jetzt ohne Körbe und ohne Taschen, mit Schürzen weiß wie Schnee. Aber nicht eine schien auf Emil Kubinke zu achten. Und wenn Emil Kubinke ein paar Schritte irgendeiner folgte, von der er im Schatten der Bäume nur Gang, Haar und Gestalt wahrnahm, dann konnte er versichert sein, daß das Mädchen plötzlich über den Damm ging und drüben aus dem Halblicht eines Hauses hervor irgendein Mann trat, und daß das Mädchen diesen Mann unterfaßte und mit ihm weiterzog; ... schnell weiter, hinaus in die ganz einsamen, letzten Nebenstraßen, dorthin, wo die Häuser aufhörten, dorthin, wo die Lindenwege sich entlangzogen, wo die Anlagen und die jetzt stillen und verödeten Spielplätze der Kinder waren. Und je zierlicher und netter solch ein Mädchen ausschaute, desto roher sahen die Burschen aus, mit denen sie sich trafen, wahre Messerstechergesichter unter ihnen, Kerle mit blauen Mützen und weiten Hosen, mit Stiernacken, ohne Kragen, eine rohe Gleichgültigkeit in den breiten Zügen. Und die Mädchen duckten sich schon beim ersten Gruß ordentlich vor ihren Blicken.

Ach, Emil Kubinke, der sich immer etwas Besseres dünkte – von jeher – und den man ja auch einst zu Besserem bestimmt hatte, – der kleine, zierliche Emil Kubinke, sehnsüchtig und verletzlich, – er fühlte plötzlich, daß er trotz seines stolzen flatternden Schals hier wenig Glück haben würde. Er sah in der lustigen Quadrille der Jugend die Paare um sich herum wirbeln, aber jede Tänzerin hatte ihren Tänzer, jeder Kavalier seine Dame, und keine schien auf ihn zu warten, – alles ging ohne ihn, keine schien für ihn auch nur eine kurze Tour unbesetzt zu haben. Ja, sie sahen sich kaum nach ihm um und flogen einem anderen Tänzer zu, der schon ihrer harrte.

Und wie schon die Straße immer leerer wurde, die Mädchen nur noch ganz einzeln aus den Torwegen sich schlichen, und schon wieder die ersten, die zurückkehrten, unter der Tür von ihren Schätzen Abschied nahmen, ihnen mit den Augen dankten und ihnen ›Auf morgen neun Uhr!‹ zuriefen, ehe sie forthuschten, – da wandte sich auch Emil Kubinke enttäuscht und mutlos zum Gehen. Und er hatte eben das Haus erreicht, als eine offene Droschke herangerollt kam, und das Pferd an jener Stelle anhielt, an der ehedem das gelbe Automobil seinen eigenen Willen gezeigt hatte. In dieser Droschke aber saß eine Dame. Und wenn es des Teufels Großmutter gewesen wäre – Emil Kubinke hätte in diesem wichtigen Augenblick es nicht über sich gebracht, in das Haus zu gehen. Und wieviel weniger gelang ihm das, da diese Dame jung und hübsch war. Sie hatte einen gelben Hut auf, wie einen Zitronenauflauf, mit Hahnenfedern; sie hatte helle Handschuhe, eine helle Bluse, einen freien Hals mit einer dicken Perlenkette, ein schwarzes Jackett und einen karierten Faltenrock. Und sie hatte ein Bein über das andere geschlagen, die Dame, und den einen Fuß mit dem ausgeschnittenen kleinen Lackschuh drüben gegen den anderen Sitz gestemmt. So saß sie wie eine Fürstin beim Einzug. Auf dem Bock neben dem Kutscher aber war ein mächtiger Schließkorb auf die Kante gestellt.

 

»Kutscher«, sagte die junge Dame mit dem garnierten Zitronenauflauf auf dem Kopf, »Sie müssen mir schon den Korb mit rauftragen helfen.«

Aber der Kutscher drehte ihr nur den roten Kopf zu und fragte rhetorisch, ohne eine Antwort zu erwarten:

»Wer soll denn bei's Pferd bleiben, Fräulein?!«

»Aber Männeken«, meinte die Dame unwillig, »Ich muß doch meinen Korb raufhaben! Das Pferd wird schon nicht weglaufen!«

»Kennen Sie den Schimmel?!« versetzte der Kutscher und klatschte mit den Zügeln auf den mageren Rücken.

Emil Kubinke war herangetreten.

»Wie hoch soll denn der Korb, Fräulein?« fragte er sehr freundlich.

»Man nur bis Löwenbergs, bis zum ersten Stock«, meinte die Dame.

»Oh, Fräulein, da mach ich mir 'n Verjnüjen und fasse mit an. Ich wohne auch hier im Haus. Den Korb werden wir schon rauf bekommen!«

»Na sehn Se«, sagte der Kutscher, »da haben Se doch jleich eenen! Von's Pferd, Fräulein, von's Pferd darf een richtiger Droschkenführer nie wechjehn!« Und damit kippte er den Korb auf den Bürgersteig herunter, daß das Rohrgeflecht in all seinen Maschen nur so knackte und knarrte.

Die Dame aber entstieg dem Wagen, gab dem Kutscher seinen Lohn und faßte sehr resolut in einen Henkel des Schließkorbs. Und Emil Kubinke ergriff den anderen. Und zuerst ging es wirklich ganz gut – sehr viel Sachen waren wohl nicht darin.

»Sind Sie vielleicht mit Löwenbergs verwandt?« fragte Emil Kubinke, während sie beide den Korb doch schon etwas keuchend durch den Hausgang schleppten.

»Nee, nee, ick bin man bloß das neue Hausmädchen.«

»Ach so«, sagte Emil Kubinke, und er war doch etwas enttäuscht.

»Wissen Sie, wie die Herrschaft is?« fragte das neue Hausmädchen von Löwenbergs, während sie jetzt mit der linken Hand den Henkel packte.

»Nein, Fräulein, ich bin ja auch erst seit heute hier im Haus.«

»So, seit heute erst? Was sind Sie denn hier?«

»Ich bin unten beim Friseur.«

»Ach, beim Barbier sind Se?! Da können Se mir jleich am Achtzehnten frisieren. Da jeh ick mit meine Freundin hier in' Hohenzollernjarten auf 'n Maskenball als Ritterin.«

»Jewiß, Fräulein, das wer' ich gern tun, Ballfrisuren sind überhaupt meine Spezialität«, sagte Emil Kubinke nicht ohne Stolz und knickte mit dem Korb eines von den Tannenbäumchen um, die beim Apollo von Belvedere Wache hielten.

Nun gings die Korkenziehertreppe hinauf; und das Mädchen, das voran ging, hatte den Henkel fest mit ihren großen, weißen Handschuhen umfaßt und zog den schweren Korb, rückwärts emporsteigend, Schritt für Schritt nach. So kräftig zog sie, daß Emil Kubinke an der anderen Seite kaum die Last spürte. Und sie lächelte dabei unter dem garnierten Zitronenauflauf Emil Kubinke freundlich zu; der aber war ganz verlegen und doch im geheimsten sehr traurig darüber, daß der Schließkorb so viel unüberwindlichen Zwischenraum zwischen ihm und seiner Partnerin schuf.

Und als sich die Tür öffnete, da sah man im matten Licht der Flurlampe, die auf dem Küchenspind stand, – denn die Gasarbeiter hatten gesagt, daß sie morgen früh noch einmal wiederkämen – eine heillose Verwirrung. Nichts stand da, wo es stehen sollte; alle Tische und die Abwaschbank waren mit Geschirr und Kupferkesseln beladen. Frau Piesecke schrubberte und putzte, und Herr Max Löwenberg stand in Hemdsärmeln und reichte aus einem Waschkorb seiner Frau die schönen eckigen Gefäße mit dem blauen Fadenornament zu, jene für Grieß, Mehl, Zucker, Reis, Zwiebeln und Graupen – jene, in denen doch nur immer geriebene Semmel ist; – während Frau Löwenberg selbst ihren Geschmack bewies und für diese Dinge nach einer malerischen Anordnung auf dem Küchenbord strebte.

»Ach, Sie sind das neue Dienstmädchen! Na endlich! Wir haben schon den ganzen Nachmittag auf Sie gewartet«, rief Frau Löwenberg und stieg von dem Leiterstuhl.

»Ich brauche eigentlich überhaupt erst morgen zuzuziehen, jnädije Frau«, sagte die junge Dame schnippisch und sehr bestimmt, denn sie wußte aus Erfahrung, daß es jetzt am ersten Tag darauf ankam, sich nichts bieten zu lassen.

»Das Mädchen hat ganz recht, Betty«, sagte Herr Löwenberg beschwichtigend. »Wissen Sie, meine Frau meint das auch nicht so. Sie ist nur durch den Umzug etwas nervös geworden«, und damit verklärten sich Herrn Löwenbergs Züge zu heller Freundlichkeit, und er sah das neue Hausmädchen nicht ohne begründetes Interesse und ernsteres Wohlgefallen an. »Wie heißen Sie denn, mein Kind?«

»Ich heiße eigentlich Bertha, aber meine vorige Herrschaft hat mich immer Pauline gerufen.«

»Also, Pauline«, sagte Herr Löwenberg, »nun bringen Sie mal erst mit Ihrem Bräutigam Ihren Korb ins Mädchenzimmer; und dann helfen Sie uns noch ein wenig!«

»Das is nich mein Bräutjam; das is der junge Mann vom Friseur hier aus dem Haus, – er hat nur mein' Korb mit anjefaßt«, und damit suchte Pauline nach einem Fünfgroschenstück in ihrem Geldbeutel, um es Emil Kubinke zu reichen, – denn lumpen ließ sich Pauline nicht.

»Das lassen Se man, Fräulein!« sagte Emil Kubinke, und die Stimme zitterte ihm, »das hab ich gern getan.«

»Na, dann danke ich Ihnen auch«, sagte Pauline und warf Emil Kubinke aus ihren großen braunen, feuchtschimmernden Augen einen Blick zu, in dem deutlich zu lesen war, daß dieser schlichte Dank nicht alles wäre, was er zu erwarten hätte.

Und beseligt stolperte Emil Kubinke zur Tür hinaus.

Man wird es vielleicht freudig bemerkt haben, daß Herr Max Löwenberg, trotz seines Londoner Zylinders und trotz des Stocks mit dem Silbergriff, mit denen er sich dem bewundernden Volke stets zeigte, in seinen vier Pfählen dem Dienstpersonal gegenüber keineswegs stolz war, und es wird angenehm aufgefallen sein, daß Herr Löwenberg das neue Hausmädchen sogar nicht allein freundlich, sondern wohlgefällig betrachtet hatte.

Aber Herr Max Löwenberg war – trotzdem eigentlich die afrikanische Straußenfeder seine Branche war – keineswegs nun etwa ein einseitiger Mensch, nein, er hatte auch für andere Dinge Interesse, und kurz gesagt: Herr Löwenberg war gerade lange genug verheiratet, um sich in seiner Ehe unerhört zu langweilen, und er war wieder noch nicht lange genug verheiratet, um sein Junggesellenleben in allen Punkten wieder aufgenommen zu haben. Und nun ging er eben daran, wieder Fühlung zu gewinnen.

Aber Frau Betty Löwenberg war trotzdem – vorgreifend, oder sagen wir: prophylaktisch – noch nicht zu der Erkenntnis gekommen, daß die ältesten Dienstmädchen für den Hausherrn gerade häßlich genug sind. Denn, wie schon berichtet, Frau Betty Löwenberg war eben eine von den Naturen, deren Entwicklung etwas schwer und langsam vor sich geht.

Pauline war jedoch, wie sie den Zitronenauflauf mit den Hahnenfedern aufs Bett geworfen hatte, eine ganz andere geworden, und sie wirtschaftete umher für drei. Noch bis um zwölf Uhr nachts. Und schon nach einer Viertelstunde duzte sie sich mit Frau Piesecke, zankte sich mit dem Tapezier, der immer noch vorn an seinen Faltenwürfen baute, und hatte außerdem dem Monteur, der an den Kronen arbeitete, für nächsten Sonntag eine Ansichtskarte versprochen.

Emil Kubinke aber war ebenso beseligt, wie er aus der Tür stolperte, auch die Treppen heraufgestolpert, und er sah erst im letzten Augenblick auf, – als er oben auf der höchsten Insel gerade unter dem Boden im Halbdunkel auf eine weiße Gestalt stieß, deren breiten Armen sich mit einem leisen Aufschrei eine zweite weiße Gestalt entwand.

»Na, was ist det hier? Können Se denn nich kieken«, sagte ein tiefer Schlächterbaß.

Emil Kubinke ging ruhig weiter, ohne Gegenrede, ohne sich umzublicken. Als er an der Vorbodentür war, – bevor er in den langen Gang trat, mit seinen unheimlichen breiten Querbalken im Dämmerlicht, – hielt er einen Augenblick an.

»Nicht doch«, kam es von einer hellen Stimme herauf, »der kann uns ja noch sehen.«

»Ach wat, lass'n doch, Hedwig! Der Jüngling mit de Barbiertolle, der is ja bloß neidisch.«

Und dann war's ganz still.

Emil Kubinke aber lag noch eine geraume Zeit mit offenen Augen im Bett, hatte die Decken fest um sich gezogen, hörte Herrn Tesch leise den Atem durch die Nase blasen, sah durch das schräge Fenster ein Stück tiefdunklen Himmel, auf dem gerade mit hellen Punkten der Wagen des Großen Bären stand. Und während seine Gedanken so von Emma zu Hedwig, von Hedwig zu Emma und von diesen beiden immer wieder zu Pauline wanderten, schlief er ein.

Und seltsam, Emil Kubinke träumte weder von Hedwig, noch von Emma, noch von Pauline; sein Traum war weit weniger üppig und angenehm: er saß wieder ganz hinten in der großen grauen Stube, er sah die drei Kaiserbilder, die Schultafel, die Heizröhren, und oben saß der Klassenlehrer Doktor Mieleff, krabbelte und zauste sich in seinem kurzen grauen Bart, sah mit höhnischen Augen über die Brille fort und rief »Kubinke!« Und Kubinke kroch vor Angst ganz in sich zusammen.

»Maitre corbeau sur un arbre perché, tenait dans son bec un fromage«, stotterte er.

Aber was das hieß, war Emil Kubinke ganz und gar entfallen, er wußte nicht ein Wort, und er rief nur immer wieder ganz hoch und ängstlich:

»Poma sunt jucunda – poma sunt jucunda!«

Und Doktor Mieleff rückte seine Brille noch weiter herunter und betrachtete den armen, kleinen Emil Kubinke mit Augen, die ihn ganz starr machten, ähnlich wie eine Schlange, die ein zitterndes Kaninchen ansieht.

»Kubinke«, sagte er mit jener tiefen Verachtung, die der Lehrer dem Nichtkönner ein für alle Mal entgegenbringt. »Kubinke! Warum dein Vater immer noch für dich das Schulgeld wegwirft, das verstehe ich beim Zeus nicht!« Und die ganze Klasse lachte wie auf Befehl über diesen Witz.

Emil Kubinke aber duckte sich wieder zitternd auf sein Bänkchen hernieder.

... Ja, – mit solch einem gräßlichen Traum schloß für Emil Kubinke dieser schöne und ereignisreiche erste April des Jahres 1908.